URLAUB: THAILAND / VIETNAM IM SOMMER 2005
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1. Tag: Mülheim -> Trier
2. Tag: Trier -> Frankfurt -> Moskau
3. Tag: Moskau -> Bangkok



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Dienstag, 19. Juli

Tag 1: Mülheim -> Trier

Eins, zwei, drei Worte

"Einmal die 'Pomm-und-Toffel
-Pfanne" bitte, werfe ich beschwingt dem Kellner entgegen. "Und vorher ne Suppe. Kartoffelsuppe, mit Zwiebeln." Dann schlage ich zufrieden die Speisekarte zu, ruecke mir die Sonnenbrille zurecht, die ich nicht aufhabe, hoere CD, Discman und habe doch keinen Kopfhoerer auf. "Bite gib mir nur ein Wort", haucht Judith von Wir sind Helden. Ja, kannste haben, dir haett ich so einiges zu sagen. Und allen und jedem und sowieso - egaaaaaal ist die Welt. Vor mir liegt ein halbwegs grosser Platz irgendwo im Herzen von Trier, ich sitze in einem Restaurant, das ich stets zu besuchen pflege, sobald ich das schnuckelige Staedtchen an der Mosel bereise, nippe an meiner Cola und schaue in acht Augen. Blicke sie an und doch nicht. Mein Bruder Thommy und seine Freundin Marrit gewaehren mir eine Nacht Unterschlupf und - Ueberraschung - Marrits Bruder Arne, 34, und seine 21-jaehrige Kim, sind auch da. Frisch aus Belgien.

Unser Tisch wackelt etwas, zu fuenft packen wir an und tauschen ihn mit dem Nachbartisch aus. Fast alle anderen Gaeste schauen uns an. "Wer von Euch ist Student?", fragt der Kellner. Kim, Thommy und ich melden uns und freuen uns ueber unverhoffte 50 Prozent Rabatt. Studentag. Halb neun abends. Urlaub. Wirklich Urlaub. Dreieinhalb Wochen. Dreieinhalb Wochen weg von Muelheim. Weg von Lokalberichterstattung, weg vom VfB Speldorf, Galatasaray Muelheim, man, klingt alles wie vor einem Jahr, weg vom VfL, ein Abschied, voruebergehend (okay, das war vor einem Jahr anders, da traeumte ich noch von einem UEFA-Cup-Traumlos). Weg vom VfL, vielleicht gelingts mir in Asien, den dusseligen, schusseligen, usseligen Abstieg zu verarbeiten und wenigstens eine winzige Form der Vorfreude zu entwickeln, der Vorfreude auf die bevorstehende Zweitligasaison, auf Burghausen, Cottbus aaaaaahhhhh!! Andi, Urlaub, Urlaub, nicht Fussball, nicht Job, nicht Uni, nicht Alltag, nicht Ruhrgebiet, nicht VfL, VfB. Heute Morgen noch besorgte ich Mueckenschuty, Nasenspray, all so Zeugs, schaute mir im Muelheimer Forum alles noch einmal ganz genau an, Burger King, baeh, Mc Donalds, und tschuess, H und M, bald hab ichs viel billiger, auf Wiedersehen Muelheim, ihr koennt mich mal. Packte den letzten Rest zusammen, liess meine Wohnung im Chaos zurueck. Scheiss auf die Zeitungen, die Stapel voller WAZ, taz, Spiegel und Kicker, scheiss auf die wahllos auf den Boden geschleuderten Unterlagen fuer die seit Wochen ueberfaellige Steuererklaerung. Steuerwas? Ein Unwort aus der "Money left to burn"-Welt. Scheiss auf alles, scheiss, scheiss, scheiss, ein Lieblingswort an einem solchen Tag.

Los, los, auf nach Trier, drei Zuege, dreimal Regionalexpress, zweimal umsteigen. Umsteigen in Duisburg und Koblenz. In Koblenz steigt eine Schulklasse zu. Eine? Nee, wohl eher eine ganze Schule, Kinderfreizeit, was weiss ich (gemerkt, ich habe nicht "scheiss" geschrieben...) Kinder sprinten ueber ne Stunde im RE hin und her, ob der Halt nun Kobern-Gondorf, Treis-Karden, Bullay oder Wittlich heisst. Im RE hin. Im RE her. In meinem grossen Rucksack schlafen die Reisefuehrer. Drei von Bangkok, drei von Vietnam, huebsch verteilt. Sie schlafen noch, schlafen gut. Der Wecker steht auf Mittwochnacht.

Meine Rucksaecke sind leichter als sonst. Macht das die Erfahrung? Israel 1999, da hab ich mir den Ruecken fuer immer ruiniert, das schwoere ich bis heute. Autsch was hatte ich damals mit. Fast ne komplette Bibliothek, "Leihbuecherei" war mein Spitzname in unserer Sechsergruppe. Fast fuer jeden Tag dann noch ne andere Modekluft am Start. Modenschaumaessig, jugendlicher Schwachsinn, Frauenjagd!? Und nun ist meine kleine Arbeitstasche nicht mal voll, und meinen grossen Rucksack, Marke Jack Wolfskin, der schon Israel, Mallorca, USA und ganz Skandinavien sah, kann ich mit einer Hand tragen. Warme Klamotten? Pullover? Jacken? NULL!! Seit Wochen verraet "wetteronline.de", dass die Temperaturen in Bangkok und Vietnam nicht unter die 32-Grad-Marke sinken. Und Buecher hab ich gar nicht mit. Reisefuehrer, okay, aber das sind ja nur halbe Buecher. Ich schreib lieber selbst, hab ich so vermisst in den letzten Wochen. In den von Novellen, Textsorten, Gerichtsreportagen, Lokalsport und World Games dominierten Pflichttagen. Frei schreiben, ich muss es ernsthaft wieder lernen, ueben, raus aus dem WAZ-Schema, kreativ sein. Musik wird mein zweiter Vorname. Auf meine gebrannten CDs bin ich sehr stolz. Wenn der Urlaub nur ansatzweise so viel Spass bringt wie die Zusammenstellung der Songs fuer die kleinen silbernen Scheiben, dann wirds ein Knaller. "Bitte gib mir nur ein Wort?" Tausende werdens. Tausende.

Trier. Roemer vor paffzig Jahren, alte Stadt, Porta Nigra, Kaiserthermen - didaktisch voellig missratene Museen sind das, findet Arne. Kim studiert Kunstgeschichte. Wir reden Deutsch, Englisch, manche auch Niederlaendisch. Ich trage mein "Sverige"-Shirt. Internationale Runde, sagt man wohl dazu. Halb zehn. Die Pfanne schmeckt. Eine Gruppe Studenten kommt aus Richtung Fussgaengerzone, Studentarif eben. Morgen haette ich nochmal zur Uni gemusst, Lehrforschungsprojekt Sowi. Tschuess, dann bin ich schon im Flieger!!! Ssssstttttt... uuuuund TSCHUESS!

Ein lauer Sommerabend, ja das ist es. Eine leichte Brise, ganz leicht nur, die Sonne geht unter, langsam und hinter ein paar kleinen Wolken verborgen, und waere ich Andi Pilcher, wuerde ich in diese Kitsch-Szenerie noch eine herzzerreissende Liebesgeschichte einbauen.

Zehn Uhr abends. Marrit, Thommy und ich setzen uns in den kleinen, weissen, 20 Jahre alten Opel-Klapperkasten und legen die paar Meter vom Restaurant zu Thommys Wohnung mit dem Auto zurueck. Arne und Kim laufen. Liebesgeschichte?

"Ich hab ne Diashow vorbereitet", sagt Thommz und drueckt den "On"-Knopf seines Laptops. Zwei Stunden lang fliegen 700 Bilder aus Bangkok und Vietnam an mir, meinen Augen und vielleicht, na wahrscheinlich sogar, auch an meinem Gehirn vorbei. So viele Tempel (genannt Wats), so viel Schweiss (kein Scheiss), Can Tho, Mekong Delta, Patpong, "Andi das ist ein Muss", "Andi, das ist auch ein Muss", Saigon, Hanoi, Tipps, viele Tipps, hey, lasst mich zwischendurch mal einen Schluck Apfelschorle trinken ("Bloss keine Cola, dann kannst Du nicht schlafen", sagt Thommy. Danke, als ob ich das nicht selbst wuesste). Thommy malt in meinem Baedeker herum, es ist ein Rieseninput, der meine Festplatte bis zum Anschlag fuellt. Marrit und Thommy gehen in der Reisefuehrer-Rolle richtig auf. Ich erhalte eine Wunschliste von Thommy und Marrit. Eine Haengematte, aber aus Parachutstoff bitte, und eine Weltkarte auf Thai fuer Marrit. Thommy moechte viele Vietnam-Trikots, einen Hut, DVDs (er sagt immer DVDen, klingt total seltsam, oder?). Hat sonst noch jemand Wuensche? Bilder, Bilder, Bilder, bis 1 Uhr. Zaehne putzen und Gute Nacht. Der Wecker klingelt fuer mich um 7.15 Uhr.

Ich ruecke mir meinen Zopf fuer die Nacht zurecht, um das Haarband dann doch zu entfernen. Meine Matratze liegt im Flur. Arne und Kim pennen im Wohnzimmer, Marrit und Thommy natuerlich im Schlafyimmer. Das Kindergeschrei aus dem Regionalexpress ist verstummt, Judith von Wir sind Helden schweigt, das Essen ist verdaut, mein Ruecken schmerzt nicht. Noch nicht. Morgen vielleicht.

Das Abenteuer beginnt. Morgen, nicht mehr heute. Gute Nacht Welt! Gute Nacht Trier, Muelheim! Gute Nacht Freunde! Ich will nur weg. Ganz weit weg. Ich will raus!

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Mittwoch, 20. Juli

Tag 2: Trier -> Frankfurt -> Moskau

Vollmond

Playlist, Song 1: "Man on the moon"

Er ist so nah, so gross. Das Flugzeug schwebt ueber den Wolken (jaja, genau da, wo die Freiheit grenzenlos ist), die weissen Wattewoelkchen wirken wie ein flauschiger, mit Perwoll gewaschener Teppich, in den hineinzuspringen ein grosses Vergnuegen ist, ganz bestimmt. Und am Horizont die ganz weisse Kugel im Nichts. Im dunklen Nichts. Von R.E.M. habe ich fast alles mit, alle grossen Hits, doch den, der jetzt so gut passen wuerde wie nie zuvor, der fehlt in meiner Sammlung. "If you believe, they put a man on the moon", oder so aehnlich roehrt Saenger Michael Stipe ins Mikrofon und ich singe es in mich hinein, ein bisschen und denke ueber den Mann auf dem Mond nach, wie er wohl aussehen wuerde. Quatsch eigentlich, aber angenehmer Quatsch. "Man on the moon". Und da waere noch Groenemeyer. Auch nicht dabei, die CD. Das Lied, das ich liebe, wenn ich mal wieder ungluecklich einer unerreichbaren Frau nachschmachte. "Vollmond, setz mich ins rechte Licht, Vollwond, ich weiss, sie will mich nicht", heisst es dort selbstverstaendlich fast unertraeglich kitschig. Aber wer "Bochum" geschrieben hat, dem sei ein solches Lied verziehen. Im Flieger sind alle Plaetze belegt. Ich versuche zu schlafen. Und das, obwohl Vadim, der Russe, links neben mir tierisch nervt. Lass mich schlafen. Bitte. Ich schnappe mir das Aeroflot-Kissen, das ich auf meinem Sitz im Flieger vorfand und quetsche mich mit dem Kopf gegen die Wand. Good night.

Playlist, Song 2: "Guten Morgen liebe Sorgen"

Noch so ein Lied, das ich nicht dabeihabe. Aber mit Bauchschmerzen, mit Sorgen, wache ich in Trier auf. Letztes Jahr, beim USA-Urlaub, hatte ich in den sieben Monaten nach der Flug-Buchung stets dieses zittrige Gefuehl im Magen, diesen Reiseschwindel im Hirn, mal wohlig, mal verdammt bedrueckend. Seien wir ehrlich, ich hatte Angst. Und diesmal? Nix, nothing. Seit Januar weiss ich, wie und wohin die Reise geht, und es liess mich kalt. Kalt. Kuehler. Kaelter. Am kuehlsten. Bis heute Morgen. Ich werde in Thommys Flur wach, mist, doch mit Rueckenschmerzen, und sie ist da, geballter denn je. Aaaaahhh!!! Nee, ich fahr nicht. Nee, ich dreh mich wieder um und schlaf. Nee, ich lass alle Tickets verfallen, baeh, mag nicht. Meine Innereien spielen American Football und keiner gewinnt. Muehsam schleppe ich mich unter die Dusche, lasse mich von Thommy zum Bahnhof kutschieren. "Tschuess!" "Viel Spass!" "Bin gespannt" "Komm gut an in New York". Eine letzte Umarmung. Jetzt noch so nah und bald sind wir Brueder so weit voneinander entfernt. Er ab dem 1. August in New York City, ich in Vietnam. Will gar nicht wissen, wie viele Flugstunden das sind.

Playlist, Song 3: "No melody"

Ein Regionalexpress bis Kobleny, diesmal ohne Kindergruppe, ein Eurocity in Schweizer Waggons Richtung Basel bis Mainy, ein Intercity bis Frankfurt Flughafen. Noch nie abgeflogen hier. Nie. Seit Koblenz begleiten mich eine unfassbar huebsche Lufthansa-Stewardess, samt Freund. Sie lassen das Bauchkribbeln, die geballte Angst ein wenig schwinden. Ist das American Football-Match in mir vorbei? Scheint so. Vielleicht doch nur ein Muedigkeitsanfall. Keine Ahnung. Das Einchecken funktioniert reibungslos, drei Stunden noch. Es beginnt wieder, das gute alte Flughafenspiel. Du stehst in einer Ecke, starrst auf die Tafel, auf der die schoensten Flugziele der Welt, von San Francisco bis Sydney verzeichnet sind und spielst mit dir selbst das Judith Hermannsche Spiel "Sich so das Leben vorstellen". Okay, etwas modifiziert meinetwegen. Sich so die Leute vorstellen. Wohin fliegt wohl der grauhaarige, schnauzbaertige 180-cm-Mann im Anzug mit der schief sitzenden Krawatte? Bernd Heynemann, ehemaliger FIFA-Fussball-Schiedsrichter, laeuft vorbei. Wohin? Ich frag nicht. Oder die junge Familie, Ehepaar, maximal Mitte 20, sie blond, er schwarzhaarig, Baby noch im Kinderwagen, gar nicht haarig. Und was ist das fuer eine Sprache links neben mir?

Im Discman laueft wieder eine gebrannte CD. "Vietnam IV" habe ich sie etwas lieblos genannt. Track? "No melody" von den Turntablerockern. Welche Melodie wird wohl meinen Urlaub am besten betiteln?

Playlist, Song 4: "Wuensch Dir was"

Von Euch waren wahrscheinlich noch nicht viele Bangkok, ich weiss. Trotzdem sei erwaehnt, wo ich gerade diese Zeilen in meinem Tagebuch verewige. Es ist mittags, vier Uhr, ueber mir brummen drei Ventilatoren. 32 Grad ists draussen. Immerhin. Links neben mir steht ein kleiner Buddha-Altar, in Gold gehalten, mit Bananen davor, vielleicht verstehe ichs in den naechsten Tagen. Neben meiner Federmappe habe ich eine 0,5-Liter-Flasche Wasser platziert, Kostenpunkt 20 Cent, habe ich schon halb geleert. Und das Treiben der Khao San Road, der Touristenstrasse Bangkoks, remember Leo di Caprio in "The beach" fasziniert mich ungemein. Stundenlang koennte ich sitzen, einkaufen, Touris, Sonne. "Es kommt die Zeit, o-ho, in der das Wuenschen wieder hilft." Meine Wuensche aus dem Flieger sind in Erfuellung gegangen.

Playlist, Song 5: "Moskau"

Ich hab lang genug gebraucht, um das zu erzaehlen, um den folgenden Satz zu verfassen. Jetzt sag ichs. Frei raus. Jetzt: Der heutige Tag war die haerteste Pruefung des Urlaubs. Ganz sicher weiss ich das schon jetzt. Erst frueh raus, und dann das. Schlimmer kanns nicht kommen. Und ich habs ueberlebt. Da ich das Ganze mit Dschingis Khans (warum eigentlich nicht Kahn...) "Moskau" betitelt habe, koennt Ihr Euch leicht vorstellen, womit das zusammenhaengt. Der Reihe nach (by the way: ach, wie schoen der Wind die 32 Grad ein wenig abkuehlt, herrlich, noch ein Wasser bitte, danke! Upps, da kniet jemand vor Buddha, was soll das denn?) Reibungslos laueft der Flug von Frankfurt nach Moskau. Erstaunlich reibungslos, dafuer, dass ich mich vor einer Woche noch rausgeschmissen waehnte.

Rausgeschmissen? WER DIE STORY KENNT, BITTE DEN FOLGENDEN ABSATZ UEBERSPRINGEN... Aufgrund einer Fehlauskunft des Auswaertigen Amtes bretterte ich unter widrigsten Bedingungen (Bahn-Verspaetung) nach Bonn-Bad Godesberg, um mir im Konsulat ein russisches Transitvisum zu besorgen. Das Amt meinte, ich braeuchte so etwas.Haette 205 Euro gekostet. Und mit dem sensationellen Spruch "Wem wollen Sie das Visum zeigen? Den anderen Fluggaesten?") entlarvte der russische Beamte die Fehlinfo des Amtes. Mir stieg die Zornesroete ins Gesicht - und das passiert nicht so oft.

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Gestaerkt mit Reis und "Chicken" (Note: 3-) lande ich am Flughafen "Moskau Sheremetyevo" mit der Aeroflot-Maschine und tatsaechlich ist mein immer noch leicht erhoehter Adrenalinspiegel fehl am Platy. Keine Sau will ein Visum sehen, selbst mein Reisepass wird nur fluechtig beaeugt. Mein Flug geht ne Stunde spaeter als geplant, es ist 19.20 Uhr Ortszeit, und ich habe 3:20 Stunden Aufenthalt im Mini-Transitbereich rund um die 21 Gates. Ich spaziere, drehe Runde um Runde, manche hats noch aerger erwischt, die pennen auf den Fluren. Ich versuche die kyrillische Schrift zu entziffern, zwecklos. Auf den Kofferwagen steht "Moscow 2012". tja, Pech, was?Der Duty-free-Shop ist unverschaemt teuer, und diesen Satz muss ich mit drei Ausrufezeichen versehen!!! Meine bei Saturn gekauften Mini-Discman-Batterien sind ein Desaster, die halten nur vier Stunden pro Par. Da muss ich wohl ordentlich nachkaufen. Russisches TV laueft ueberall, ich versteh kein Wort. Ich beobachte Leute, schreibe die Geschichte fuer Tag eins in mein Buch, dabei werde ich wiederum beobachtet. Oder machts das "Sverige"-Shirt? Keine Ahnung. Aus meiner Tasche krame ich den Reise-Know-How Bangkok, frisch in Frankfurt gekauft, hervor, und lese. Meine Angst ist schon lange futsch, meine Stimmung dreeeeht sich und dreeeeeeeht sich. Ich will mich hineinstuerzen ins Chaos der Khao San Road, will Bangkok hektisch sehen, erleben, 700 Bilder, alle wieder da.

Und dann sitzt auf einmal dieser Typ neben mir im Flieger. 22.45 Uhr russischer Zeit, 1.45 Uhr thailaendischer Zeit, 20.45 Uhr deutscher Zeit.

Playlist, Song 6: "Vollmond"

Einen Fensterplaty hat mir die nette Dame von Aeroflot Russian Airlines verschafft, besser gehts nicht. Schlafen, Musik hoeren, trauemen. Und dann die Frage "Where are you from?" Eine Wodkafahne fliegt mir entgegen, und nein, es ist nicht etwa der Englaender, der beim Einsteigen kaum noch laufen konnte und einer schoenen Frau einen Klaps auf den Hintern verpasste (sie hat nicht zurueckgeschlagen, was mich sehr verwunderte, und die Polizei hat auch nix gesagt). Eine ganze Gruppe, an der Sprache zu merken aus Russland, setzt sich neben, vor und hinter mich. "Germany", hoere ich mich sagen. "What do you think about European democracy?", fragt mein Nebenmann, der sich bald als 29-jaehriger Vadim aus Moskau vorstellt. Es entwickelt sich ein zweistuendiges, bizarres Gespraech, unser Englisch ist mehr schlecht als recht.

Vadim ist nicht dumm, studiert irgendwas mit Technik, ist weit gereist, hat gute Kenntnisse in Asien, diesmal fuehrt er seine Gruppe durch Kambodscha. Politik. Russland. Deutschland. Europa. Er liebt Russland. "Russia is interesting. Very interesting." Nur in Russland koenne er sich richtig frei fuehlen, sagt Vadim.

Nett? Alle fuenf Minuten greift er in seine Duty-free-Shop-Plastiktuete, holt eine Flasche Finlandia-Wodka heraus, 50 Prozent Alkohol, und trinkt mit seiner Gruppe. Alle fuenf Minuten. Sie werden immer besoffener und immer boeser darueber, dass ich mich beharrlich weigere, mitzutrinken. Jetzt wirds uebel. Meine Anti-Alkohol-Konditionierung klappt inzwischen so gut, dass ich bei jedem Wodka-Anstossen ein Aufstossen verspuere.

Es ist stockfinster, ooooh, der Mond, wie schoen, und mit seinem Suffkopp erzaehlt Vadim, dass seine Freundin 16 ist und er auf dicke Brueste steht. Okay, das interessiert mich nicht wirklich. "India is no good", sagt er ueber Indien. "No women, no alcohol". Mittlerweile hat er die Beruehrungskrankheit und klopft mir bei jedem Satz auf Arm oder Schulter. "Why do you drink Wodka?", frage ich. "Its tradition in Russia", lallt er. "And Wodka make me feel the long flight not so long." Im Flugzeug gibts kein TV, also keine Videoablenkung, alle Infos sind nur auf Russisch, aber was will ich bei dem Preis auch erwarten. Ich muss auf Klo, sehe zwei Sextouristen (ey, ich schwoer, hundertprozentig) und der Mikrowellengulasch, den Aeroflot als Gute-Nacht-Appetizer-Happening servierte, liegt schwer im Magen.

Als ich wiederkomme, nippe ich an meinem Colaglas und bemerke Wodka-Geschmack. Ich gebe das volle Glas einer Stewardess und ernte so bitterboese Blicke, das ich um mein Leben fuerchte. Bitterboese. "How is your girlfriend?", fragt Vadim ununterbrochen. Im 10-Sekunden-Takt. Nach fuenf Minuten kann ichs nicht mehr ertragen und erfinde irgendetwas.

"Vollmond - setz mich ins rechte Licht", wuerde ich vermutlich rufen, wenns die von mir geschilderte Frau wirklich gaebe. Vielleicht gibt es sie, vielleicht kenn ich sie, was weiss ich. Es ist hart im Flugzeug. Von Russland und Moskau habe ich keinen Eindruck bekommen. Vadim zaehlt ja nicht wirklich.Ach Vollmond, hilf mir doch, du siehst so unschuldig aus. Und genau in diesem Moment, als ich mir das wuensche, nickt Vadim ein. Eine etwas andere Urlaubsbekanntschaft. Hoffentlich sehe ich ihn in Bangkok nicht wieder.

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Donnerstag, 21. Juli

Tag 3: Moskau -> Bangkok

TOXICITY

Von oben sehen die Reisfelder riesig aus. Sind es ueberhaupt Reisfelder? "Sure, rice", sagt eine Stimme von links. Huch, Vadim, den hatte ich ja ganz vergessen. Guten Morgen, gar keinen Kater? Wir fliegen ueber Land; Indien, Myanmar, keine Ahnung, Asien jedenfalls. Fast zehn Stunden dauert der Flug, mein laengster bisher. Mein Schlafrhythmus war entgegen meiner Erwartungen erstaunlich, voellig okay geradeyu. Ich konnte sogar mal zwei Stunden am Stueck knacken, trotz Vadim, trotz aller Unwaegbarkeiten und trotz der Turbulenzen ueber was weiss ich fuer einem Land. Der Flugkaeptn hats wahrscheinlich gesagt, aber ich kann ja leider kein Russisch.

Zum Fruehstueck gegen fuenf Uhr russischer und acht Uhr thailaendischer Zeit, hilfe, immer diese Zeitspruenge, entscheide ich mich fuer Omelette. Falsche Wahl. Das sieht nicht nur so aus wie Gummikotze, es schmeckt auch so. Komischerweise werde ich schlaefrig, das Zeug hatte K.o.-Tropfen-Wirkung, und knacke zu den nicht wirklich sanften Klaengen von System of a downs "Toxicity" umso sanfter ein.

Erst als der Pilot, aeh Flugkapitaen, Bangkok ankuendigt, schnellt mein Puls wieder auf 180 hoch, meine Netto-Reisezeit ab Thommys Wohnung kratzt allmaehlich die 24-Stunden-Marke. Netto wohlgemerkt, brutto ist es inzwischen schon knapp elf. Ein Blick auf meine Lieblingsjeans vergraetzt meine Laune ein wenig. Aus keine Ahnung was fuer welchen Gruenden ist die gruene Tinte eines Stifts genau ueber dem rechten Oberschenkel ausgelaufen.

"Bangkok, thirtytwo degrees" ist alles, was ich aus dem englischen Kauderwelsch des Kaeptns aufschnappe. Hurra, 32 Grad, es ist auch noch bewoelkt. Direkt neben dem Flughafen Bangkoks befindet sich ein Golfplatz und ich frage mich besser nicht, was passiert, wenn ein Ball 'mal abrutscht... Die Abfertigung geht ruckzuck und am 21. Juli um 11.45 Uhr beginnt mein Urlaub richtig. Bangkok. Bangkok. Bangkok.

Ich fuehle mich sogar einigermassen fit, als ich mich auf die Wartesitze der Bushaltestelle fuer den "Airport bus" pflanze. Ein leichter Wind lenkt ein wenig von der drueckenden Schwuele ab. Fuer 100 Baht, umgerechnet 2,10 Euro, lasse ich mich zur Khao San Road transportieren, gemeinsam mit vielen, vielen anderen Travellern.

Ab 12.15 Uhr geht es ueber Bangkoks voellig verstopfte Highways. Wie viele Einwohner Bangkok hat? Ich schlage die Reisefuehrer auf, einen nach dem anderen. Der erste sagt fuenf, der naechste sechs, der dritte offiziell sieben, wahrscheinlich zehn. Zehn Prozent der Thai leben hier und Bangkok ist die "heisseste Hauptstadt der Welt", natuerlich nur, was die Temperatur angeht natuerlich.

"Ob du in Bangkok oder in London bist, eigentlich merkst du das gar nicht", hat Thommy mir mit auf den Weg gegeben. Ist Bangkok so westlich, so europaeisch? Auf dem Highway quaelt sich der Airportbus immer noch nur gaaaanz langsam vorwaerts. Wenigstens funktioniert die Klimaanlage, sonst waere es in dem Gemisch aus Hitze und Schweiss inmitten eines mit Reisenden und Rucksaecken gefuellten Busses total unertraeglich. Stau, dafuer ist Bangkok beruehmt, leider. Auf einmal geht nichts mehr, gar nichts mehr und der Bus steht. Minute fuer Minute verrinnt. Keiner weiss, was Sache ist. Dann steigt einer aus, schaut sich um, kehrt zurueck und verraet es auf Englisch. 200 Meter weiter ist ein Auto stehen geblieben. Passiert eben. Und das zur Mittagszeit.

Es geht vorbei an hohen Wolkenkratzern, aber weder sortiert an einem Ort wie beispielsweise in Philadelphia oder komplett in einem ganzen Stadtteil wie in New York. Nee, hier eins, da eins, ach und noch eins. Die Highways und jeweiligen Bruecken sind nicht gerade huebsch und zerschneiden so ziemlich jeden Stadtteil Bangkoks. Und dann waere da noch der Linksverkehr, der mich schon stoert, obwohl ich lediglich im Bus sitze. Doch irgendwie London?

Die Endhaltestelle liegt direkt an der Khao San Road im Stadtteil Banglamphoo. Die Scharen an Rucksackreisenden sind nicht zu uebersehen und ob aus persoenlichen oder aufgeschnappten Gespraechen erfahre ich, dass nur die wenigsten die komplette Urlaubszeit in Bangkok verbringen. Es geht weiter durch Thailand, Kambodscha, Laos, Vietnam. Bangkok ist eben einer der Verkehrsknotenpunkte Asiens, und ein Stopover "lohnt sich einfach". "Hier muss man gewesen sein", sagen alle.

Mit meinem schweren, aber doch leichten Rucksack und meiner halbvollen Arbeitstasche schlendere ich durch die Khao San Road. Sie ist nur hoechstens 500 Meter lang und doch fantastisch. Raubkopierstand reiht sich an Raubkopierstand, mal mit CDs, dann Sonnenbrille, dann Klamotten. Fantastisch? Ich bin Thommy und Marrit fuer ihre Tipps sehr, sehr dankbar. Irgendwelche Abzocker, die mich anlabern, koennen mir gar nichts anhaben. Und gelabert wird ueberall. Meinen Schweissfilm habe ich auch erwartet und mein Hotel "Sawasdee Khaosan Inn" finde ich sofort. Kostet 11 Euro die Nacht inklusive Fruehstueck, das ist fuer die Khao San Road schon luxusverdaechtig. Dass ich Klo und Dusche auf meinem Einzelzimmer habe, versteht sich hier keinesfalls von selbst. Mit allen Vieren breite ich mich auf meinem Bett aus, aaaaah, endlich duschen, und Zeeeeit, und als ich mich ohne Rucksack auf die Strasse wage, vor die Tuer, ins Getuemmel, schlaegts 15.15 Uhr.

Es beginnt wieder die Zeit der Tagesplanung. Allein zu reisen hat den unschaetzbaren Vorteil, auf lange Diskussionen verzichten zu koennen. Fuer heute habe ich mir nur die Khao San Road vorgenommen. Das reicht, damit duerfte ich ausgelastet sein. An Nummer eins steht Einkleiden. Eine Sonnenbrille fehlt mir noch, eine Hose und ein T-Shirt. Gesucht, gefeilscht (ganz wichtig hier), gefunden, alles zusammen fuer 13 Euro. Beim zweiten Blick entdecke ich neben den Verkaufsstaenden die vielen Cafes, Internet-Cafes, Hotels, Guest Houses, schwierigen Hostels und Restaurants jeglicher Couleur.

London?

Ich merke schon, dass ich woanders bin. Das Wetter, klar, der lange Flug, klar, ueberall stehen Buddhastatuen. Aber dass das Asien ist? Und Thailand speziell? Noch fehlt der direkte Bezug, vor allem hier in der Khao San Road. Ich wette, dass 85 Prozent der Leute, die gemeinsam mit mir bummeln, nicht aus Thailand kommen. Ich finds wahnsinnig spannend. Aber es stinkt. Nach Verkehr, Muell, faulem Essen.

Ist Bangkok touristisch so zweigeteilt, wie es die Reisefuehrer vermitteln wollen? Auf der einen Seite die Khao San Road, Heimat der alternativen, billigst reisenden Rucksack-Individualisten. Hier werden nachgebrannte Fake-CDs der Strokes, von Jimi Hendrix und weiteren alternativen Heroen der Gegenwart und Vergangenheit als Erstes angepriesen. T-Shirts von Bob Marley und Rastazopf-Flechten (keine Sorge, ich nicht) stehen ebenfalls ganz oben. Leute kennenlernen geht ganz furchtbar schnell. Einfach ins Cafe setzen - die meisten sind sowieso so voll, dass es nur moeglich ist, sich irgendwo dazuzusetzen - anquatschen, fertig. Jeder rechnet damit, jeder findet das okay.

Und auf der anderen Seite die Sex-Touristen? Ich moechte es nicht herausfinden. Klar werde ich mir die Highlifestrassen "Patpong 1" und "Patpong 2" anschauen. Zu befuerchten ist, dass die Vorurteile stimmen. Alle Reisefuehrer werden nicht gleichzeitig luegen. 300.000 Prostituierte leben angeblich hier. Es ist dieselbe Stadt: Geliebte Traveller-Stadt, verhasste Sextouri-Stadt, Smog-Stadt, Buddha-Stadt, ruhige Tempelanlagen (Wat heissen die hier). Und alles wahllos irgendwo hingestellt. Das verstehe ich unter "Toxicity".

Im Internet-Cafe verbringe ich zwei Stunden, um die ersten beiden Tagebucheintraege abzutippen, die Geraete sind scheinbar aus den beginnenden 90ern. Aber auch das laesst mich kalt - noch so eine nuetzliche Vorwarnung von Marrit und Thommy. Richtig aergerlich wird es erst, als ich eine Minute, nachdem ich die letzte Mail an die Ruhr geschickt habe, ein DSL-Internet-Cafe zwei Meter weiter entdecke. Na egal, fuer die zwei Stunden habe ich 1,80 Euro bezahlt, in Boston waeren das um die 30 Dollar gewesen.

22.20 Uhr, und nun hocke ich in der angrenzenden Bar meines Hotels, geniesse sensationelle Fruchtcocktails, erst Ananas, dann Banane, schaue einem Oasis-Konzert auf MTV Bangkok zu und spuere die Muedigkeit in meinen Knochen. Vorhin habe ich den Tagesplan fuer morgen entworfen (den ich noch mit mir selbst diskutieren muss) und wieder bestaetigt sich die Reiseregel: Du kannst vorher noch so viele Details planen, vor Ort schmeisst du sowieso alles wieder um.

Morgen will ich rauskommen aus diesem touristischen Sog, so verlockend er auch sein mag. Stunde um Stunde koennte ich in der Khao San Road verbringen, aber gerade das ist zu gefaehrlich und auch total falsch. Morgen will ich weitere Teile der Stadt kennenlernen. Heute aber bestimmt nicht mehr. Ich kann bestimmt gut schlafen. Ganz ohne Angst, ohne Schiss, ohne Heimweh wie noch in Boston vor einem Jahr. Jawollja. Helau. Alaaf.

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4. Tag

Freitag, 22. Juli

 
Bangkok

SCHACH DEM KOENIG oder: ALLES IN GOLD

Dass ich auch "Don't speak" auf einer meiner CDs habe, muss im Delirium passiert sein. Ein schoenes Lied von No Doubt, zweifellos, aber zu einem falschen Zeitpunkt aufgenommen, eindeutig. 1996, viele Paare entstanden, viele zerbrachen spaeter wieder. Ich laufe durch Bangkok an einem mittelschoenen Tag (schoen aufgrund der 30 Grad, mittel aufgrund der stetigen Bewoelkung), stoepsele mir die Kopfhoerer in die Ohren, und "Don't speak" kommt. So kann's gehen. "Gold" sollte die Ueberschrift des heutigen Tages werden, das entschied ich bereits um 13 Uhr. Doch danach geschah noch etwas, was diesen Tag toppte.

Piiiiiiiep, piiiiiiiiiiep, oh jeee, Wecker, ansonsten treibst du mich zur Uni, Arbeit, zum VfL, jetzt um 8.15 Uhr klingelst du mich im Urlaub aus den Federn - naja, Federn sind das nicht gerade auf und in meinem Bett. Egal. Sightseeing-Tag. In Deutschland ist's gerade 3.15 Uhr, da gehe ich sonst ins Bett. Wahrscheinlich hat meine Dart-Runde im "Bunten Baer" oder der fantastischen Kneipe "Zum schraegen Eck" grad die letzten Pfeile ins Triple-20-Feld geschleudert. In meiner giftgruenen Decke sind etliche Loecher, kleiner Schoenheitsfleck, aber brauchen werd ich die sowieso nur kaum. Schweiss, muss ich mehr sagen? Die wirklich gute und kuehlende Klimaanlage kann da leider nichts aendern. Das wird wohl ein dreieinhalbwoechiger Dauerzustand. Und doch bin ich, ja wirklich, ich bin ausgeschlafen. Ein mordsmaessiges Gefuehl, wirklich. Und vor allem habe ich gute Laune. Ich hab wieder in Farbe getraeumt und vor allem von schoenen Dingen. Urlaub.

Das Fruehstuecksbuffet in meinem Hotel ist inklusive und vor allem umfangreich. So gross war nicht mal das Buffet in meinem Luxushotel 2004 in Philadelphia, in dem eine Nacht so teuer war wie hier eine Wocke inklusive Shopping. Gestaerkt mit Reis, Mini-Pfannekuchen, Toast mit Marmelade, Massen an Wassermelonen, Wasser und O-Saft begebe ich mich in den Tag. Meine gestern gekauften Klamotten uebergestreift, pappe ich meine Sonnenbrille (da steht - hahahahaha - Adidas drauf) auf meinen Kopf, extracool soll das aussehen, aber es wirkt bestimmt eher laecherlich.

Bangkok, was ist das? Thailand? Wie sieht die Welt aus ausserhalb der Khao San Road? Voll mit Autos jedenfalls. Zum Ueberqueren der ersten Strassenkreuzung - dreispurig in jeder Richtung, eine Fussgaengerampel gibt es nicht - benoetige ich fuenf Minuten. Ziemlich gefaehrlich, das... Es ist eine Art Lottospiel. Wohin zuerst? Mit dem Expressboot ueber den Chao Phraya, das ist der Fluss, der mitten durch die Stadt fuehrt? Mit dem Sky Train hoch oben in der Luft, die Stadt betrachten? Thommys und Marrits Tipps befolgen?

Gewuerfelt habe ich schon gestern. Ich gehe ganz wie ein Tourist vor und wandere zu den Highlights eins und zwei auf der Prioritaetenliste - allerdings auch fuer die Thai, so viel sei gesagt. Es stinkt. Wieder. Die Motoren der Motorraeder, Autos, Tuktuks (das sind Taxis mit drei Raedern) sind nicht die besten und modernsten, moechte ich sagen. Da ist es nur zu verstaendlich, dass einige Mundschutz tragen, wobei das auch wohl damit zusammenhaengt, dass Hellhaeutigkeit - so hab ichs gelesen - das Schoenheitsideal der Thai ist.

Das Gedraenge wird groesser, die goldenen Spitzen des alten Koenigspalastes ruecken naeher. Und naeher. Und Menschenkinners so wat hasse noch nich erlebt. Fuer 100 Baht betrete ich das Gebaeude des Royal Palace, zehn Fussminuten vom Hotel entfernt, gelegen in einem Teil Bangkoks, der durchaus als "Altstadt" durchgehen koennte. Kunsthistoriker wuerden bei diesem Anblick bestimmt kollabieren vor Glueck. Es ist ein unfassbar gueldenes Ensemble von Prachtbauten; maerchenhaft sagen die einen, endlos kitschig die naechsten. Ich schlendere durch die Gebaeude, fast schon gelangweilt, fotografiere das wirklich Unwirkliche. Eben noch Khao San, jetzt schon DAS. Glaeubige Thai fallen auf die Knie, vor allem vor dem Smaragdbuddha im zum Palast gehoerigen Tempel "Wat Phrahaeo". Es ist ein Hindernislauf, vorbei an Millionen von Schuhen (die sind in allen Wats verboten, ueberhaupt ist nur lange Kleidung gestattet), vorbei an Trillionen von Kerzen und Raeucherstaebchen. Der Geruch vermischt sich mit Abgasen, that's Bangkok. Es gibt Wandmalerein, mit denen ich mich nicht beschaeftigen will. Der Reisefuehrer hat bestimmt Recht. Lesen reicht mir.

Mit den Haenden in den Hosentaschen schlendere ich gemaechlich 500 Meter weiter. Ich bin vorsichtig, denn gestern haette mich fast ein Taschendieb erwischt. Ich spuerte nur ein leichtes Schubsen von hinten, dann eine Umarmung von vorn. Zum Glueck waren alle meine Taschen leer, denn ansonsten waere es im Gewuehl der Khao San Road furchtbar schnell gegangen. Meine Batterien vom Discman sind wieder leer, aber egal, der Wat Po taucht schon direkt vor mir auf. Wats, davon gibt's 400 in Bangkok. Ueberall.

Einer davon ist besonders wichtig, denn einer nur hat eine 45 Meter lange und 15 Meter hohe Buddha-Statue. Und wow, das Teil hat's wirklich in sich und selbst ein solch schwer zu beeindruckender Kerl wie ich denkt einfach nur "wow". Gold, natuerlich, und gross und lang. Leute knien, nix Neues, Raeucherstaebchen, nix Neues. Leider ist alles eine Baustelle. Wie schon der Royal Palace. Die Bauwerke werden restauriert, das truebt den aesthetischen Blick.

Aber weswegen ich eigentlich hier bin, ich kleiner Egoist ich, das ist die traditionelle "Thai Massage School". Thai-Massage klingt zweifellos verdammt schmierig, aber bitteschoen nicht hier, nicht in einem klosteraehnlichen Tempel. Ich goenn mir fuer 300 Baht (ungefaehr 6,50 Euro) eine ganze Stunde, und das ist... ist... ist... spuert meine Entspaaaaaaannnuuuung... lasst sie auf Euch ueeeeeebergeeeehen... reckt Euch... streckt Euch... aaah... das ist sensationell! Ich schliesse die Augen, bin frei im Geiste. Waehrend der Masseur Beine, Fuesse, Arme, Ruecken, Gesicht und Schulter durchknetet und so verrenkt, dass zwischendurch in mir das Gefuehl hochsteigt, der Typ wuerde mir mit Absicht alle Knochen brechen, bin ich gluecklich, ganz weit weg, Paradies? Weiss nicht, glaub schon. Dass ich zuerst an Frauen und andere schoene Dinge denke und erst dann daran, wie Neururer haette aufstellen muessen, damit der VfL nicht absteigt, zeigt, dass ich auf einem guten Weg bin. "Fini" sagt der Masseur nach einer Stunde und entlaesst mich nach draussen. Wer nach Bangkok reist und das nicht miterlebt, der ist selbst schuld. Dafuer nehme ich jede Wartezeit in Kauf. Vor dem Massagegebaeude versammeln sich Maedchen in Schuluniform. Auch das gibt's.

Was nun? Schon 14 Uhr! Ich mache das, was ich bislang noch nie tat und laufe einen von einem Reisefuehrer (diesmal "Marco Polo") vorgegebenen Weg ab. Der fuehrt mich durch kleine Gaesschen, zwar auch mit Fresswagen, mal gut und mal schlecht riechend, aber touristenfrei. Keine laut in ihre Trillerpfeifen pustenden Polizisten (die sollen uebrigens fast alle korrupt sein, wollen die Reisefuehrer wissen), keine aufgemotzten Motorraeder, fast laermfrei. Keine Wats, die einen Souvenirozean in ihrer Naehe haben. Sondern Wats, vor denen Kinder Tischtennis spielen. Ja, es gibt ruhigere Ecken in Bangkok. Ja! Aber auch hier gibt es "7 Eleven". Eine solche Anhaeufung von Laeden dieser Kette gibt's sonst wohl nur in Stockholm.

Mein vorletztes Ziel fuer heute erreiche ich, waehrend ich "Gold" von Klee hoere, naemlich den "Golden Mount", der zweitgroesste Aussichtspunkt Bangkoks, 80 Meter hoch. Ich stapfe die Treppe hoch und ueberblicke Thailands undurchschaubare Hauptstadt. Wieder dasselbe Bild: Hochhaeuser ueberall, Tempelspitzen ueberall, Highways erst recht. Bruchbuden. Das Ganze ohne Buecher oder Tipps zu erkunden, wie das in anderen Staedten geht, ist hier schlichtweg VOELLIG UNMOEGLICH!

Auf dem Rueckweg hocke ich mich vor dem "Democracy Monument" nieder, ein haessliches Denkmal, das auf einer Kreisverkehr-Insel an den Aufstand der Demokraten 1932 erinnern soll. Ploetzlich setzt sich ein Thai neben mich, voellig unverhofft, und ein Gespraech beginnt. Anderthalb Stunden lang geht es um dies und das und alles laesst sich gar nicht wiedergeben. In solchen Gespraechen laesst sich am besten etwas ueber Land und Leute erfahren. Seine Kenntnisse ueber Deutschland sind beachtlich. "Aaaah, Germany, beer, people are fat, Munich, sausages, Helmut Kohl." Nee, is klar. Er sagt mir seinen Namen, aber ich verstehe ihn nicht. Er erklaert mir, was ich ohnehin schon wusste: "If you see only Khao San Road, you don't see Thailand." Er verraet mir den buddhistischen Way of Life; den Glauben an die Wiedergeburt, das Leben in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit oder Zukunft. "Today happy", sagt er. Deshalb wuerden die Thai schnell verzeihen und waren das "Land of smile". Und Bangkok? Bangkok gefaellt ihm nicht. Weil sich alles um Geld dreht. "Wothout money, you die in Bangkok. Out of Bangkok no money, no problem." Wer nur in Bangkok war, war also nicht in Thailand. Und umgekehrt? Wer nicht in Bangkok war, war auch nicht in Thailand. Hmm...

Der Mann kennt mich keine Stunde, hat gerade ueber Kahn, Ballack und in hoechsten Toenen ueber Effenberg geredet (der hat hier eine Fussballschule eroeffnet), schon spricht er freizuegig ueber seine Sexualitaet. Nahezu im Fuenf-Sekunden-Takt redet er ueber "bumbum". Bumbum hier und dort, absolut kein Fake! Es wird ein Monolog, ein ewig langer. Details erspare ich Euch. Mitten in seinem Redefluss steht er auf. Stimmt, seit ein paar Minuten ist kein Auto mehr vorbei gekommen. "The king is coming", sagt er. Bitte?? "The king!" Und wirklich: Ich sehe Koenig Bhumipol auf dem Weg zum alten Palast in seinem Rolls Royce (glaube ich), alle stehen, winken, so etwas wie Ehrfurcht liegt in der Luft. Leider versagt meine Kamera genau in der entscheidenden Sekunde, aber ja: Es war der Koenig, der sowieso ueberall hier rumhaengt. Wenigstens zu einem Bild mit meinem thailaendischen "Kumpel" reicht's. Er verabschiedet sich zum Bier trinken. Dann will er in eine Karaokebar. Aber erst nach dem dritten oder vierten Bier traut er sich ans Mikro. Vorher ist er zu schuechtern, sagt er. Morgen faehrt er drei Stunden hin und drei Stunden zurueck nach Pattaya, an den auch in Deutschland beruechtigten Strand (kennt Ihr das Lied "Samurai" von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung? Hab ich seit 1990 nicht mehr gehoert, aber heisst es nicht dort sinngemaess "Am Strande von Pattaya, da schwellen mir die ... Adern"). Europaeerinnen beobachten, wie er sagt. Oh je. Wie geht das alles eigentlich, unter der Woche? Alle offiziellen Stellen Thailands haben Urlaub, volle vier Tage, sagt er. Deshalb sei auch nicht so viel los in Bangkok. NICHT VIEL LOS????? Wie ist das erst pickepackevoll hier? Mehr geht doch gar nicht!

Um 17.35 Uhr nimmt mich die Khao San Road wieder in ihre Arme und unterhaelt mich mit Internet, Cafe, thailaendischem Essen und einem leckeren Bananen-Pfannekuchen bis in die Nacht. Dabei erfahre ich, dass jemand meine Homepage in meinem Gaestebuch als "krankeste Art von neurotischer Selbstbespiegelung" bezeichnet. Mag sein, dass es das ist, wahrscheinlich sogar, mag sein, dass das "Respekt" ein ironisches Kompliment sein soll. Aber seinen Namen haette er schon nennen koennen. Anonymitaet langweilt mich. Ich denk nicht weiter drueber nach und klicks weg.

Bevor es auf die Khao San Road ging, liess ich mich noch von einem kleinen Maedchen ausnehmen, das ausnutzte, dass ich fatalerweise meine Haende nicht in meinen Hosentaschen versteckt hatte. Es legte mir Tauben-Futter-Mais in eine Hand. Ich nahm es nicht, aber der Mais fiel auf den Boden. Sie nahm die leere Packung und wollte die bezahlt haben. Leider nicht nur sie allein, sondern auch vier andere, die ploetzlich auftauchten. Schnell zueckte ich 20 Baht. Umgerechnet nur 40 Cent, aber verarscht bliebt verarscht.

Die Khao San Road ist so etwas wie die Goldmedaille fuer Traveller. Nur weiss ich nicht, ob ich froh sein soll, dass ich sie errungen habe. Die Reise tut gut, und das sage ich schon am vierten Tag. Dafuer habe ich in den USA vor einem Jahr fast zehn gebraucht. Ein war ein goldener Tag, weswegen ich Bangkok mit all seinen Facetten, Gesichtern, Seiten, sucht Euch ein Wort aus, nicht liebe. Oh nein, das nicht. Eigentlich finde ich es sogar ziemlich unsympathisch hier. Ich hab das Reisen wiederentdeckt. Der Weg ist das Ziel, hiess es am Nordkapp 2001. Die Reise ist der Reisende, so einen Spruch gibts doch auch, gell? Welten kennenlernen, Leute, Erfahrungen sammeln. Yeah, ich habs!


5. Tag

Samstag, 23. Juli 2005

Bangkok

Three Nights in Bangkok

Grad laeuft hier ein Fussballspiel im Fernsehen; irgendeine thailaendische Mannschaft, mutmasslich sogar das Nationalteam, gegen die aktuelle von Jay-Jay Okocha, keine Ahnung, in welchem Team der sich gerade rumtreibt. Fussball kommt hier direkt hinter Thai-Boxen und Golf, wie mir scheint – das sind zumindest die Top-2-Sportarten hier im Fernsehen. Beckham uebrigens haengt hier ueberall rum. Ueberall. Und nicht wenige tragen Beckham-Real-Madrid-Trikots. Vor zwei Jahren, sagte Thommy, sei das auch nicht anders gewesen.

Der gestrige Tag, so sinniere ich beim Duschen, war irgendwie mein ruhigster. Ab morgen wird der Urlaub eine Pack-ein-Pack-aus-Orgie. Deshalb habe ich das getan, zum letzten Mal fuer ein paar Tage, was ich besonders gut kann: AUSSCHLAFEN! Erst um 9.45 Uhr traute ich mich aus dem warmen aeh heissen Bett, fruehstuecken ist hier sowieso bis 11.30 Uhr moeglich. Das schmeckt heute doppelt so gut, denn ich kann doppelt so entspannt essen. Es regnet in einer Tour. Da sich Thailand zu Beginn der Regenzeit befindet, nicht weiter verwunderlich. Irgendwann musste das so kommen.
Ich nutze eine kurze Regenpause, um die oeffentliche Verkehrsmittelsituation Bangkoks kennenzulernen. Und schon beim Blick in die Reisefuehrer stelle ich fest: Die ist hier nah an der Perfektion. Warum gibt es bloss trotzdem Staus?? Ueber den Chao Phraya fahren Expressboote, ich schaetze alle 15 Minuten. Dann gibt es noch endlos viele Buslinien in einem mehr als verwirrenden Netz. Und die Hochbahn waere da noch und seit 2004 eine U-Bahn.

Auf dem Weg zur Boothaltestelle in meiner Naehe (zehn Fuss-Minuten) entdecke ich die Umgebung der Khao San Road im Stadtteil Banglamphoo, laufe an der wohl angesagtesten Travellerdiscokneipe “Bangkok Bar” vorbei und weiteren, schier endlosen Strassen voll mit Hostels, Hotels und Guest Houses. Das Expressboot laesst nicht lange auf sich warten. Gezahlt wird auf dem Schiff, eine Fahrt kostet unglaublich 11 Baht (25 Cent) und ich tuckere einmal flussabwaerts bis zur Endstation “Saphan Taksin”, die gleichzeitig eine Verbindung zum Sky Train ist. Stellt Euch vor, die Weisse Flotte wuerde in Muelheim das ganze Jahr ueber von Styrum bis Essen-Kettwig fahren, und das im 15-Minuten-Takt und fuer 25 Cent… Eine Idee fuer Ruhrbania, oder??
Es geht vorbei an Wats, Hochhaeusern, der Fluss ist nicht gerade sauber und ich glaube, dass ein Bad in ihm ueble Folgen haben koennte, wie das eben erwartbar ist in einer Stadt wie Bangkok. Fuer Moenche (auf Englisch “monk”, hihi, bis “monkey” fehlen nur zwei Buchstaben) gibt es Extra-Sitzplaetze und daneben den Stehbereich “Space for monks”, und tatsaechlich nutzen das ein paar kahlrasierte Gestalten mit orangen Umhaengen. Jeder Buddhist sollte das mal gemacht haben, sagte der Thai gestern. Also Moench sein fuer eine gewisse Zeit.
Das Umsteigen in den Skytrain klappt perfekt. Mein erstes Ziel ist Bangkoks suendige Meile, die jeweils 500 Meter langen Strassen “Patpong 1” und – wir raten alle zusammen – “Patpong 2”. Die Luftbahn ist sauber und herrlich klimatisiert. Fuer eine Tageskarte loehne ich knapp 2 Euro. Meine Tour durch die Schluchten der Grossstadt beginnt. Eng windet sich der Skytrain zwischen den Hochhaeusern und Hochhaus-Baustellen hindurch und hier liesse sich hundertprozentig super eine duestere Zukunftsvision drehen. Ich sehe schon Doc Brown in “Zurueck in die Zukunft 4” in seinem fliegenden DeLorean mitten im dunkelsten Gewitter durch Bangkok duesen. Uuuuuh…

Der Skytrain ist zwar komfortabel, aber wahnsinnig haesslich in die Landschaft gestelzt. Viele Ecken von Bangkok haben zwei Etagen. Entweder ueberdacht von einem Highway oder eben dem Zug. Das macht laut, stickig, oede, bringt aber – einziger Vorteil – Unterschlupf bei Nieselregen. Der hat naemlich wieder angefangen. An der Station “Sala Daeng” steige ich aus, alles ist auch schoen auf Englisch gehalten, da die Zuege zu 50 Prozent von Touristen frequentiert werden, heute wenigstens.

Vor mir liegen Patpong 1 und 2. Es stoesst mich ab, schon von der ersten Sekunde. Wer hat bloss im “Marco Polo” geschrieben, dass sich hier prima mit der Familie bummeln liesse?? Die Kneipen heissen zum Beispiel “Super Pussy” und schon mittags um 13 Uhr werde ich auf insgesamt 1000 Metern von fuenf (!!) aelteren Damen “ficki ficki, ladies ladies” gefragt, immer dasselbe, und immer bekomme ich entsprechende Bilder mit Details, die nichts verschweigen, praesentiert. Laut Reisefuehrer sind die ganzen Gogo-Bars in den ersten Etagen, hurra. Die Einrichtung der Kneipen erinnert mich fatal an die Schinkenstrasse in Arenal auf Malle. Die Bierbars haben offene Theken und so mancher Bierbauch hat eine in Bangkok heimische Frau im Arm. Leider kein Vorurteil. Das Nachtleben Bangkoks soll legendaer sein, gerade hier in den beiden Patpongs und Umgebung. Aber nicht einmal mit einer grossen Gruppe wuerde ich mich abends hierhin wagen oder ueberhaupt hierhin wollen. Schlimm!

Nach dem Schock glaube ich, dass ich eine Ruhepause verdient habe. Zudem regnet es mittlerweile in Stroemen, so dass ich mich im Lumphini Park, unweit von der grossen Universitaet Bangkoks, unter einem Baum niederlasse. “Gruene Lunge” wird der dem “Boston Common” von Groesse und Ausstattung aehnliche Park genannt, doch das ist stark uebertrieben. Der Verkehr, der Laerm ist einfach zu praesent. Anstelle der putzigen Eichhoernchen wie in Boston gibts Tauben und Kraehen – nervig. Naja, nett ist der Blick auf einige verliebte Paerchen und vereinzelte Tretbootfahrer doch, zudem goenne ich mir nach Patpong erstmals in diesem Urlaub meine liebsten musischen Perlen, angefangen bei “Everlong” von den Foo Fighters bis hin zu “Under the bridge” von den Red Hot Chili Peppers, “Shine on you crazy diamond” von Pink Floyd und dem unvergleichlichen “Where is my mind” von den Pixies. Anderthalb Stunden lang sitze ich auf einem Stein unter dem Baum und kriege kaum etwas mit. Wer kulturell etwas erleben moechte – Stichwort Theater, Oper, Ballett (nicht, dass ich das im Ruhrpott besuchen wuerde, aber ich haette wenigstens die Option) – das faellt hier aus. Ein Blick auf meine Finanzen erfuellt mich aber mit einem Laecheln. Ich hatte nur ein Drittel meines USA-Startkapitals dabei und musste noch nicht ein einziges Mal von meiner VISA-Karte Gebrauch machen – am fuenften Tag. Vor einem Jahr war ich schon an Tag vier faellig.

Wild lebende Katzen huepfen auf und von Baeumen, jemand setzt weshalb auch immer einen Fisch in den Parksee aus, mittlerweile sind im Wechsel Mando Diao und die Strokes in meinem Discman an der Reihe. Irgendwann hoert es kurz auf zu regnen und diese kleine Sekunde nutze ich erneut, um in das Tempo ausserhalb des Parks zurueckzukehren. Das macht mir uebrigens keine Probleme, denn in Muelheim gehe ich fast auch nur ueber Rot. Im Strassenverkehr den Discman einzuschalten, ist derweile eine unmoegliche Mission.

An “Sala Daeng” steige ich erneut in den Sky Train, um ins Viertel “Siam” zu fahren. Diesmal erwartet mich der Siam Square, das sind viele kleine Querstrassen mit unendlich vielen Hochhaeusern und Shoppingcentern. Ein paar Kinos sind hier; Burger King, Mc Donalds, KFC und 7Eleven haben sich selbstverstaendlich auch angesiedelt. Das Hauptgebaeude Siam Center wird gerade renoviert (ueberrascht mich nicht bei dem Bauwahn hier) und auf vielen, vielen Etagen shoppen Thai und Touris gleichermassen in vielen, vielen Geschaeften. Ich muss das nicht mehr haben und begebe mich wieder in den Skytrain. So langsam langweilt mich Bangkok, obwohl es eigentlich nicht unmoeglich ist, dass diese Stadt ueberhaupt anoedet.

Der Zug faehrt dieselbe Strecke zurueck, dabei an einem grossen Sportfeld vorbei, noch einmal am Park, der Patpong, durch die Hochhaus-Schlucht, an Wats vorbei. Es regnet wieder und ich denke an den Thai, der wohl heute an Pattaya Beach keine Europaeerinnen zu Gesicht bekommt.

Das war also Bangkok fuer mich, vorerst. Bei einem Italiener in der Khao San Road und im Internet-Cafe fliegt die Zeit dahin – Smalltalk mit zwei daenischen Paerchen und einer Niederlaenderin inbegriffen. Morgen folgt eine Ueberfuehrungsetappe, wie es im Tour-de-France-Jargon heisst. Tour de France? Upps, die laeuft ja noch – erst Tag fuer Tag geguckt und jetzt ist mir voellig entgangen, ob Ullrich es noch aufs Podium geschafft hat. Urlaub eben.

Beim Fussball steht es 0:0, irgendwann in der zweiten Halbzeit, und nebenbei blaettere ich im “Reise Know-How Vietnam”. Vor mir liegt nur noch die dritte Nacht hier und nach three nights in Bangkok verschwinde ich. Ist es wahr? Muss ich schon zum ersten Mal ein Fazit ziehen? Ein Bangkok-Fan bin ich sicherlich nicht geworden und ich koennt mich nochmal wiederholen, was ich jetzt auch mache: zu laut, zu stinkig, zu verschwitzt, zu komisch, zu viele Stadt-Gesichter, und viele davon sind nicht einmal schoen. Aber ich ein Fan des Reisens geworden. Diese fuenf Tage waren ein Superauftakt mit den Hoehepunkten Fruitshakes, Thai-Massage und “Where is my mind?” im Lumphini Park. Morgen kann ich endlich die drei Worte schreiben, die Synchronsprecher Christian Brueckner zu Beginn des fantastischen Films “Apocalypse Now” rauchig praegte.
“Saigon – verdammte Scheisse!”

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6. Tag

Sonntag, 24. Juli 2005 

Bangkok -> Saigon

Night on Earth – Nacht in Saigon 

Kennt Ihr den Film „Night on Earth“? Ein sensationeller Streifen ueber Taxifahrer, die in Grossstaedten auf der ganzen Welt die dollsten Storys erleben! Die Hauptrolle in der Rom-Episode spielt Roberto Benigni, dann gibt es zum Beispiel noch Helsinki und mein persoenliches Highlight New York City. Mit Armin Mueller-Stah als deutschem Taxi-Heini, der nicht einmal richtig fahren kann. Wuerde es eine Fortsetzung geben, dann waere mir danach, einen Drehbuch-Beitrag zum Thema Saigon aeh Ho-Chi-Minh-Stadt zu leisten.

Der Tag beginnt verschlafen in Bangkok. Zum Flughafen muss ich schon um 12 Uhr aufbrechen, vorher noch irgendwas hier zu tun, waere schwachsinnig. Meine verklebten Augen kriege ich fsat gar nicht auf, deshalb lege ich meine beiden Haende hinter den Kopf und denke darueber, was ich noch haette tun koennen. Beziehungsweise was ich noch machen kann, denn schliesslich kehre ich noch einmal fuer zwei Tage zurueck.
Hmm... denke ich ich und freu mich, dass ich mein linkes Augenlid nach oben bewegen konnte... da waere zum Beispiel eine Klong-Boot-Tour. Klongs werden die kleinen Kanaele genannt, die vom Chao Phraya abgehen – und die sind auch gut allein auf Mini-Booten mit einem Guide zu erkunden. Oder ins thailaendische Nationalmuseum unweit vom Royal Palace und dem Wat Po entfernt haette ich prima gehen koennen (oder kann ich noch). Und da waere noch ausserhalb die „Ancient City“ mit dem thailendischen und auslaendischen Sehenswuerdigkeiten im Mini-Format („Mini-Europe“ heisst das glaube ich in Bruessel). Oder eine weitere Touri-Meile, die an der Sukhumvit Road liegt, das ist eine lange Strasse, die in Bangkok beginnt – allerdings ziemlich weit von der Khao San Road weg – die aber erst in Kambodscha aufhoert. Moeglichkeiten gaebe es also genug, doch nichts davon geht auf die Schnelle. So klemme ich mir mit dem Streichholz auch das zweite Auge und erledige den mehr als typischen Traveller-Kram. Das heisst Rucksack packen, das Hotel auch fuer meine letzten drei Tage in Bangkok buchen, Akkus aufladen, Postkarten schreiben. Kram halt. Den 12-Uhr-Bus Richtung Flughafen verpasse ich knapp, aber um 12.30 Uhr sage ich Bangkok vorerst „Auf Wiedersehen“> In meiner Tasche lagern noch genug Baht fuer die naechsten zwei Tage hier. Unglaublich. Dabei kann ich doch gar nicht mit Geld umgehen.

Der Bus faehrt los und ich fass es kaum. Die Fahrt bis zum Flughafen dauert 45 Minuten und die Stadt hoert und hoert nicht auf. Bei der Abfahrt am Hotel geht der Blick auf Wats, Hochhaeuser, Autos und Wohnblocks. Und das aendert sich nicht, bis zum Flughafen. Und unterwegs gibt es ausnahmsweise keinen Stau. In Berlin ist man schon nach 15 Minuten Autobahn ausserhalb des urbanen Trabantenstadt-Wahnsinns.

Am Flughafen bin ich natuerlich massig zu frueh und kann mich erstmal in ein Internet-Cafe begeben, das auch direkt viermal so teuer ist wie das an der Khao San Road. Egal. Der Passkontrolleur findet mein John-Lennon-T-Shirt unfassbar komisch und bruellt das direkt seinen Kollegen zu. Fast alle schauen mich an. Werde ich rot? „John Lennon good“, sagt er und schmunzelt.
An Gate 43 bin ich um 14.30 Uhr der Allererste. Abflug 16.45 Uhr. Zum Glueck kommt auf dem TV-Geraet direkt am Gate die Zusammenfassung des gestrigen Einzelzeitfahrens bei der „Tour de France“. Ich erfahre aus erster Hand, dass es Ullrich wenigstens noch aufs Podium geschafft hat.

Nach der typischen Flughafen-Langeweile betrete ich die Air-France-Maschine und staune: Die ist ja halbvoll! Ich bin ohnehin nervoes, da ich erstmals an einem Urlaubsort ankomme, ohne zu wissen, in welchem Hotel ich uebernachte – und das ueberfordert mich ein wenig. Hatte ich noch nie. Doch neben mir sitzt ein mehr als typischer Traveller. Drei-Tage-Bart, zerzauste Haare, Sandalen, schlabbrige Stoffhose, mit drei Jongleurstaeben als Handgepaeck. Der Komfort im Flieger ist im Vergleich zu Aeroflot unschlagbar. Bildschirme befinden sich an jedem Sitz, und jeder einzelne kann gucken oder spielen, was er moechte. Nicht der Einheitsbrei wie in allen meinen bisherigen Fluegen (oder etwa gar nichts, wie bei Aeroflot). Mein Nebenmann schlaeft die ganze Zeit. Der Flieger ist scheinbar seit 1 Uhr nachts unterwegs. Ich kann nicht knacken.
Je naeher Saigon aeh, also seit ein paar Jahren heisst das ja Ho-Chi-Minh-Stadt, rueckt, deston mehr – kitschig, aber wahr – fuehle ich mich wie ein US-Soldat. Genau 30 Jahre ist es her, dass der Flughafen Saigon einer der meistangeflogensten der Welt war. Und dass die Soldaten genau dieselbe Sicht hatten wie ich, bevor sie anfingen, loszubomben. Das alles verraet mir der Baedeker, den ich lese, waehrend ich den Air-France-Joghurt verschlinge. Und mein Nachbar schlaeft. Auf der Spur des Vietnam-Kriegs, Ausloeser des Vietnam-Kongresses in Berlin, „Ho Ho Ho Chi Minh“, „Schafft ein, zwei, viele Vietnam“ – Mitgrund fuer den Urlaub.

18.05 Uhr, wir sind in die Daemmerung geflogen. Schon von oben erkenne ich viele Motorraeder, die Motorcycles. Thommy, Marrit und die vielen Vietnam-Dokus in den letzten Wochen haben mich vorgewarnt. Beim Ausstieg stratzt mein Sitznachbar ganz langsam vor mir her. Mein Ziel ist ein kleines Hotel in der Saigoner Touristenstrasse „Buie Vien“, die inzwischen so etwas wie die Khao San Road sein soll. Ich frage meinen immer noch nicht ganz ausgeschlafenen Nachbar, ob er auch in die Buie Vien will – wir koennten uns ja ein Taxi teilen. Er stellt sich als „Ju“ vor und bejaht. Gepaeck abhole, Pass- und Visakontrolle, Geld umtauschen, das alles dauert ein bisschen laenger als in Bangkok. Erst um 19.15 Uhr, stockfinster ist’s, erblicken wir zu zweit das Chaos vor dem Flughafen. 27 Grad sorgen fuer eine verdammt stickige Luft und wir werden von gefuehlt 1000 Leuten gleichzeitig „Taxi Taxi Taxi“ gefragt. Oh wei, wie heftig.

In eins quetschen wir uns und eine der abgefahrensten Fahrten meines Lebens beginnt. Night in Saigon. Es sind so viele Motorcycles... so viele... so viele... alle durcheinander, Verkehrsregeln gibt es fuer die Zweiraeder nicht, Gelb, Rot, alles schnuppe, alles fuern Arsch... so viele... alle zehn Sekunden droht ein Unfall, viele hupen in einer Tour... so viele... mein Mund steht offen, ich kann nichts mehr sagen. Und Ju grinst nur amuesiert. Was los sei, frage ich. Und dann erzaehlt er. Gemeinsam mit seiner Freundin arbeitet er seit November 2004 fuer ein Jahr in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh fuer eine Hilfsorganisation. Zwei Wochen lang weilte er nun auf Heimaturlaub in Paris. Er will – weil’s nicht anders passte – nur eine Nacht in Saigon bleiben und morgen mit dem Bus weiter, die paar Stunden nach Phnom Penh zuruecklegen. So viele Motorcycles... so viele... gibt es in Phnom Penh auch, sagt Ju. Viele Geschaefte sind in die buntesten Neonlichter getunkt, alles so laut, so viele hupen... sind das typische Traveller-Geschichten? Jawoll! Schnell beschliessen wir, aus Kostengruenden ein Zimmer zu teilen und bei „Linh Thu“ ist  sogar eins frei. Um fast genau 20 Uhr schmeisst uns der namenlose Taxiheld raus, und um pennen zu gehen, ist es eindeutig zu frueh.

Wir gehen raus. In die Night on Earth, die Nacht in Saigon. Laufen kreuz und quer durch die Strassen, ohne Weg, ohne Ziel, so dass wir uns fast verlaufen. „It’s amazing“, sagen wir fast im Wechsel. Einfach herrlich das alles. Er, gleichalt uebrigens, entpuppt sich als Rucksackreise-Profi. Er war schon in Mali, Brasilien, Suedafrika und ueberall in Asien. Er ist auch Fussballfan, naemlich von Paris St. Germain. Vom VfL Bochum hat er noch nichts gehoert.

Wir sitzen in einer der zahlreichen Garkuechen, essen „Luc Lac“ – das ist Rindfleisch mit Pommes auf vietnamesische Art und verdammt koestlich. Die Kueche hier sei wundervoll, sagt JU. Auch in Kambodscha gibt es viel Vietnamesisches, zum Beispiel eben „Luc Lac“. Die jungen Leute haben scheinbar am Sonntag nichts zu tun, ausser mit dem Motorcycle durch die Strassen zu brettern... so laut... so viele... hupen...! In einer kleinen Klitsche in einer Nebenstrasse der Buie Vien klingt der Tag fuer uns aus. Fuer einen ersten Eindruck von Vietnam oder Saigon ist es eindeutig zu frueh. Es sei anders als ein Phnom Penh, meint Ju. Ich verstehe, als meinte er damit „reicher“ und „sauberer“. Nur eins ist klar: Die Buie Vien ist keine zweite Khao San Road. Da gibt es keine Motorcycles.

Morgen bricht der letzte Tag meiner ersten Reisewoche an, das ist tatsaechlich so schnell gegangen. Dass kurzfristig meine Internetadresse nicht abrufbar ist – was ich um Mitternacht im noch pickepackevollen Internet-Cafe bemerke – macht heute auch nichts mehr. Warum so voll? Auch in Kambodscha ist laut Ju Chatten der totale Renner.

Es scheint, als wuerde mein geplanter Abenteuerurlaub tatsaechlich einer. Sechs Tage lang unterwegs und schon so viel passiert. Vom Koenig bis Ju. Er raucht eine Zigarette, als wir zum Hotel zurueckspazieren, das um 0.20 Uhr schon abgeschlossen ist, so dass wir die Besitzer aus dem Bett klingeln muessen. Das gaebe eine schoene Schlussszene fuer „Night on Earth – Nacht in Saigon“.

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7. Tag
 
Montag, 25. Juli 2005
 
Saigon
 
It’s amazing
 
Das Wort, das Ju gestern Abend eindeutig am haeufigsten sagte, war “Amazing”. Das war auch das Wort, das mir heute in vielen Situationen spontan in den Sinn kam. Und als ich dann in einer Bar sass, und mir einen leckeren Lemon-Fruitshake hinter die Binde kippte, lief im Hintergrund… - natuerlich “Amazing” von Aerosmith. Zufall?!?

Ich will gar nicht drumherum reden. Es war eine beschissene Nacht. Nachdem Ju und ich noch ein wenig geplaudert und fuer die naechsten Tage geplant hatten – er die Stunden mit seiner Freundin in Phnom Penh, ich in Cu Chi, dem Mekong Delta und ueberall sonst in Vietnam, entschlossen wir uns gegen 1.20 Uhr, das Licht auszumachen. Doch da begannen die Probleme. Ohne die Klima-Anlage, die aus einem Ventilator bestand, waere es viel zu heiss gewesen. Mit ihr war’s aber zu laut. Zudem muss ich gestehen, doch einen Tick Vorsicht in mir zu tragen. Obwohl Ju total korrekt war und nicht den geringsten Anschein eines Reiseraeubers machte, verbrachte ich die Nacht in der Hab-Acht-Stellung, also maximal im Halbschlaf. Bin ja eben doch auf mich allein gestellt hier. Und ob ich nochmal mit einem Fremden das Zimmer teilen wuerde? Um 5.20 Uhr beendete Ju das Experiment. Er zog sich was drueber und verschwand. “Have a nice trip”, hoerte ich ihn nur noch in meinem Daemmerzustand sagen. Das Erinnerungsfoto fiel damit flach. Parallel klingelte bei den Nachbarn der Wecker – und die Kinder schlugen bis 6.30 Uhr volle Lotte Alarm. Richtig eindoesen konnte ich erst richtig spaet.

Nun zeigt der Wecker 10.45 Uhr, eigentlich wollte ich die Strassen Saigons schon seit einer Stunde unsicher machen, doch noch bin ich nicht einmal geduscht – spuere eben immer noch die Folgen der kurzen Nacht. Zudem ist mein linkes Knie aus Bangkok-Zeiten ziemlich uebel zerstochen – und das juckt fuerchterlich. Naja, es ging mir schon besser.

Aber Saigon wird’s richten, der Auftakt gestern war schon sehr vielversprechend. Heute ist nach meinem Plan der einzige ganz freie Tag hier, sprich: Ich muss alles in diesen Tag reinpacken, was alle Reisefuehrer vom Baedeker bis zum Lonely Planet sowie Thommy und Marrit mir mit auf den Weg gegeben haben. Aber wie geht das bis zum Einbruch der Dunkelheit um 18 Uhr?

Ich ueberlege, dusche in Ruhe, verlasse das Hotel und weiss beim Blick auf die Strasse: Ich erkunde die Stadt so, wie sie die meisten Einwohner Tag fuer Tag selbst erleben – auf dem Motorcycle, Motorbike, Motorrad. Und ein faelliges Moorradtaxi zu finden, ist genauso leicht wie ein Yellow Cab in New York. Wer alleine als Tourist erkennbar unterwegs ist, wird garantiert spaetestens nach einer Minute angepflaumt. Ich entscheide mich fuer den Erstbesten und weiss gleich: Eine gute Wahl! Tung heisst der gute Mann und er praesentiert ein Buch, in dem angeblich alle auslaendischen Fahrgaeste in diesem Jahr unterschrieben haben. Es sind Eintraege aus Australien, Oesterreich, USA, England undsoweiter dabei. Wenns ein Fake ist – was ich nicht glaube – ist es ein verdammt guter. Wir vereinbaren vorher die Route. Vor allem das “vorher” ist wichtig, wenn man den Reisefuehrern Glauben schenken darf. Oha ist das witzig. Ich moechte Cholon, das chinesische Viertel der Stadt, sehen, dann die Notre-Dame-Kathedrale aus der franzoesischen 

Kolonialzeit am Kriegsrestemuseum abgesetzt werden.

Drei klare Ansagen und Tung tuckert los. Wir sind keine 60 Sekunden unterwegs, da plant Tung mit mir den Rest des Tages. Der geht natuerlich weit ueber das eigentlich vereinbarte Museum hinaus. Hierhin noch und da und am Abend in ein Lokal mit vietnamesischer Musik und ich zahl die Getraenke. Alles klaaaar! Natuerliiiiich! Ich schuettle nur den Kopf, da beginnt es zu regnen. Super fuer Tung, der einen Kumpel ansteuert, der mir ein Wasser aufschwatzt (hab aber wirklich Durst). Nach zehn Minuten geht es wieder ab aufs Mofa und das ist wirklich eine von oben bis unten lebensmuede Mission. Wie in einem Hindernisrennen, Slalomlauf, Formel-1-Rundkurs geht es auf den Strassen Saigons zur Sache, mehr als einmal ist mir kotzuebel, und das nach der Nacht. Tung ist derjenige, er mit Abstand am haeufigsten hupt und generell JEDE Ampel bei “Rot” nimmt. Uaaaah, das ist sooo wackelig, so gefaehrliiich, helft mir, “Mamiii” wuerde ich manchmal am liebsten rufen.

Fast nebenbei – Tung nimmt natuerlich ein paar Umwege – bekomme ich die verschiedenen Teile Saigons zu sehen, welche die komplizierte Geschichte der Stadt gut zeigen. Zunaechst steuern wir Cholon an. Das chinesische ist gleichzeitig das aelteste Viertel Saigons. Wir halten bei der praechtigen Thien-Hau-Pagode (“Very beautiful” sagt Tung immer wieder), auch Chua Ba genannt, die der Goettin des Meeres gewidmet ist. Raeucherspiralen, goldene Thien-Hau-Statuen, eine 200 Jahre alte bronzene Glocke – echt nett. Danach geht es zum Binh-Tay-Markt. Wahnsinn, es ist eng, es geht ueber zwei Geschosse, es wird gefeilscht bis zum Abwinken. Tung ist immer hinter mir.

Und weiter steuert er zwischen den Stationen einige seiner Freunde an – bei den Taxifahrern ist das scheinbar ueblich. Diesmal soll ich fuer 10 Dollar ein Kilo Kaffee oder fuer 8 Dollar ein Kilo chinesischen Tee kaufen. “NO!!!”, sage ich deutlich. “No problem”, meint Tung. Uebel ist mir jetzt nicht mehr. Im Gegenteil. Ich fange an zu schmunzeln, zu lachen. Nach einer halben Stunde ist’s ein Genuss. Saigon hat sechs Millionen Einwohner und heisst seit der Wiedervereinigung 1975 offiziell “Ho-Chi-Minh-Stadt”. Bis 1954 war Saigon eine franzoesische Kolonie. Aus dieser Zeit zeugen noch einige Prachtbauten, die Vorliebe der Einwohner fuer Baguettes und eben die Kathedrale Notre-Dame, die Tung und ich ansteuern. Nach 1954 wurde Saigon dann die von den USA massiv gefoerderte Hauptstadt Sued-Vietnams. Deshalb sind die Strassen so breit, damit die amerikanischen Soldaten mit ihren dicken Autos auch genug Platz hatten. Heute ist das vor allem fuer die zahlreichen Motorcycle-Fahrer gut… Der westliche, kapitalistische Einfluss ist in Saigon immer noch sichtbar. Hochhaeuser gibt es schon und ein KFC habe ich auch gesehen. Bin mal gespannt, wie das im schon immer kommunistischen Norden ist.

Vor dem Kriegsrestemuseum wird Tung unsympathisch, weil er mir Frauen fuer “bumbum” vermitteln will. Viele Europaer springen wohl an. Ich springe ab, und zwar vom Mofa, bezahle Tung fuer die zweieinhalb saugefaehrlichen Stunden umgerechnet 10 Euro und beschaeftige mich zum ersten Mal direkt mit dem blutigsten Kapitel Vietnams und Saigons: Dem Vietnam-Krieg.

Das Museum, das ich um 15.15 Uhr betrete, ist weltberuehmt. Urspruenglich hiess es “Kriegsverbrechen-Museum”, wurde aber aufgrund der vielen US-Besucher umbenannt. Nicht nur amerikanischer Kriegsschrott, von Waffen bis zu Panzern, ist ausgestellt. Nicht nur viele, viele Fotos auch aus den anderen vietnamesischen Kriegen sind zu sehen (und es sind grausame Bilder, glaubt mir). In einem weiteren Raum stehen gestorbene Foeten, zerfetzt von Napalm. Und draussen folgt eine bis 1960 in Betrieb gebliebene Guillotine und die “Tigerkaefig” genannten Folterzellen. Ein Film rundet die erschreckende Stunde ab. Denn wer dieses Museum besucht und immer noch glaubt, Kriege seinen probate Mittel, um Konflikte zu loesen, der hat nichts kapiert.

Direkt um die Ecke steht der “Palast der Einheit”, ein modernes Gebaeude eines vietnamesischen Architekten, das bis 1975 als Palast fuer den suedvietnamesischen Praesidenten diente (das US-gesponserte Suedvietnam hiess damals “Republic of Vietnam”, der kommunistische Norden um Ho Chi Minh “Democratic Republic of Vietnam”). Der Palast stand am Ende des Krieges im Zentrum der letzten Kaempfe, und als am 30. April 1975 das Eisentor fiel, war der Krieg vorbei. Im Palast wurde die Wiedervereinigung beschlossen – daher der heutige Name. Das alles hoere in der letzten moeglichen Fuehrung des Tages auf Englisch. Es geht bis in die Kommandozentrale in den Keller, zum Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach, den Privatgemaechern in der Mitte des Palastes. Ich unterhalte mich mit einer Franzoesin, die grad ihre vietnamesische Freundin besucht. Total witzig, beide sind 22, die Franzoesin sieht aus wie 24, die Vietnamesin wie 16… mein ganzer Koerper ist inzwischen – mal wieder – eine einzige Schweissperle, die Klimaanlage funktioniert nicht mehr. Ohne Wasser dehydrier ich bald hier.

17.25 Uhr, wieder draussen, und jetzt kriege ich genug Wasser. Aber leider von oben. REGENZEIT!!! Zwei Stunden lang giesst es und giesst es und giesst es. Furchtbar! Hilft alles nix, ich muss schnell zurueck zur Buie Vien, um noch den Tagesausflug nach Cu Chi morgen frueh zu buchen. Durch die vielen Pfuetzen wate ich, werde nasser und nasser – die Cyclofahrer sind vorbereitet und haben ruckzuck eine Regenjacke uebergezogen. Auf dem Rueckweg lande ich im Kreisverkehr “Le Loi” und tataaa, das ist die erste Strasse meines Lebens, die mich fast zum Wahnsinn treibt. In der Mitte sind eine Riesen-Tankstelle und der zentrale Busbahnhof. Viele, viele Strassen gehen vom Kreisverkehr ab und im dichten und dicksten Feierabendverkehr (es gibt keine Ampel und Fussgaenger interessieren keinen) gelingt es mir beim starken Regen erst nach einer Viertelstunde, die richtige zu finden. Fluessig komme ich trotzdem vorwaerts, das Motto fuer Fussgaenger lautet “Wer bremst verliert”. Und wer Angst hat, der bleibt bis an sein Lebensende an derselben Stelle stehen. Fussgaenger in Vietnam zu sein schult eindeutig die Aufmerksamkeit.

Bei Fruchtshakes (vielen), Essen (viel) und im Internetcafe beende ich meinen Saigon-Tag, an dem ich das komplette Stadtprogramm in sechs Stunden durchziehen durfte: Politik, Geschichte, verschiedenste Viertel, Sonne, heiss, starker Regen, Wind, Motorrad fahren, Feierabendverkehr, verlaufen, verschiedensts Essen. Nicht zu vergessen die zahlreichen aufdringlichen Strassenverkaeufer, die Touristen fast im Minutentakt Zigaretten, Feuerzeuge, Zeitungen und sonstigen Kram andrehen wollen. Die gehen mir fast schon so auf den Zeiger wie die Mueckenstiche und die Groesse der Tueren. Ich stoss dauernd ueberall an. Die sind halt nicht so gross hier…

Aber ich habe die erste Woche insgesamt ohne groessere Blessuren ueberstanden.Das ist doch einen Applaus von mir fuer mich selbst (Selbstbespiegler, der Kerl hatte doch Recht) wert. So gewoehnungsbeduerftig Bangkok und Saigon sind, moechte ich die Tage, die Leute, die ich kennengelernt habe und die gewonnene Erfahrung nicht missen. Das bleibt immer in mir drin, und wenn ich Vietnam ueberlebt habe, dann meistere ich meinen Alltag noch relaxter!

Doch 19 Tagen warten noch auf mich. Ab morgen ist aber hoffentlich ein bisschen mehr Ruhe angesagt. Es beginnen viele, viele Busfahrten. Eins hat mir heute richtig im Radau von Saigon gefehlt: meine Musik!

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8. Tag
 
Dienstag, 26. Juli 2005
 
Saigon -> Cao Dai, Cu Chi -> Saigon
 
Von Krieg und Kriech(en)
 
Es gibt Leute, die sind so irre, die wuerden sogar Mickymaus einen Tempel bauen. Es gibt Tunnel, die sind so eng, dass ich 100 Meter lang japsend auf allen Vieren kriechen muss, um gesund und munter rauszufinden. Es gibt vietnamesische Tourguides, die sich "Slim Jim" nennen und es gibt all das an nur einem einzigen Tag.

Hach tut das gut. Es war der achte Tag heute und eigentlich muesste ich mich an das tropische Klima laengst gewoehnt haben, und doch bin ich ueber jeden Hauch eines leichten Windes sehr, sehr dankbar. Ich schliesse die Augen und lasse den Ventilator meinen Kopf anvisieren. Mein Wecker fuer morgen steht schon wieder auf 7 Uhr; ich sagte es, jetzt kommen die Tage der eigentlich ruhigen Busfahrten, aber auch die Pack-ein-pack-aus-Tage. Jetzt bleibe ich vorerst in keinem Hotel laenger als zwei Naechte. Und um 22.30 Uhr, so spaet ist es schon/erst, habe ich fast ein schlechtes Gewissen, noch nicht zu schlafen. Denn morgen wird es auf der Tour ins Mekong-Delta wieder sehr hart. 22.30 Uhr, in Muelheim ist es grad 17.30 Uhr - da seht Ihr, dass mein Tagesrhythmus komplett aus den Fugen geraten ist.

Ein Morgenmuffel war ich und bin ich meistens. Ob im Alltag, am Wochenende oder im Urlaub. Und wenn ich um 7 Uhr aufstehen muss, egal wie lange ich geschlafen habe, dann bin ich grundsaetzlich sauer auf die Welt. Und deshalb freue ich mich gar nicht, dass mein erster Busmarathon waehrend des Urlaubs nicht wie angekuendigt um 8, sondern erst um 8.15 Uhr beginnt. Ich haette laenger schlafen koennen!! Naja, kann im Saigoner Morgenverkehr schon einmal passieren. Im Kleinbus - 16 Personen finden Platz - sitze ich in der mittleren Reihe in der Mitte, da kann ich nicht mal weiterschlafen. Scheisse, faengt ja gut an. Unser Tourguide nennt sich "Slim Jim", er war 20 Jahre lang im Mekong-Delta Englischlehrer, sagt er, und suchte eine Abwechslung. Nun spielt er seit sieben Jahren den Tourguide fuer englischsprachige Touristen. Ganz langsam fallen mir immer wieder die Augen zu - dabei war die Nacht in Saigon okay - doch ein Strassenhuegel Saigons zerstoert jedes Mal meinen Sekundenschlaf sofort. Auch um 8.30 Uhr vormittags scheint nichts veraendert. 60 Prozent Motorraeder ("They have no rules", sagt Slim Jim), den Rest der vollgestopften Strasse teilen sich Taxis, Busse, Autos und auch ein paar Fahrraeder. Nach einer halben Stunde gibt's den ersten Stopp, zum Fruehstueck bei einem - mutmasslich - Partner-Restaurant der Reiseagentur.

Ich belasse es bei einer Flasche Wasser und versuche mich im Gehoppel und Gehupe Saigons so gut es geht auf mein erstes vietnamesisches Ziel ausserhalb Saigons zu konzentrieren. Cao Dai. Waehrend ich in den Reisefuehrern blaettere, erzaehlt Slim Jim in einer Englisch-Mischung aus asiatischem und Suedstaaten-Dialekt (total witzig) auch ein bisschen. Es ist ein Exkurs in die Religionen Vietnams. Ein interessanter dazu. In Thailand - erinnert Euch - ist alles auf den Buddhismus ausgerichtet. Aber in Vietnam gibt es alles und nichts. Buddhisten, Islamisten, Christen, dann noch Anhaenger bestimmter Philosophen, wie zum Beispiel Daoisten und Konfuzianisten. Die Katholiken leben ueberwiegend im Sueden Vietnams, da insgesamt eine Million Katholiken 1954 nach dem Abzug der Franzosen vor den angeblich kirchenfeindlichen Kommunisten flohen - zum Beispiel auch Jim. Nebenbei erzaehlt er, dass er den Norden niemals gesehen hat ("Why? Now the communists are here!")

11.20 Uhr, wir sind da. Denn es gibt noch Cao Dai - eine Sekte, deren Tempel in allen Reisefuehrern aller Sprachen als besonders sehenswert eingestuft wird. Das Ganze liegt etwa 100 Kilometer (schaetze ich) westlich von Saigon, nahe an der Grenze zu Kambodscha. Und schon von weitem ist die Staette im Doerfchen Tay Ninh zu erkennen. Alles wird auf einmal so bunt. "Cao Dai" heisst uebersetzt "Der Hohe" oder "der grosse Palast". Die Idee haette scharlataniger nicht sein koennen. 1926 erfand Ngo Van Chien diese Sekte und manschte Lehren aus allen Religionen zusammen. Man nehme den Nirwana-Glauben des Buddhismus, vermengt den mit konfuzianischen Lehren, der Hierarchie der Katholiken (mit Papst und festgelegten Zeremonien) und wuerze das ganze mit einer Prise Islam und den Worten Victor Hugos - und fertig ist "Cao Dai". Bunt ist das Ganze, um durch die Farben die jeweiligen Herkunftsreligionen herauszustellen. Symbol von "Cao Dai" ist ein Auge in einem Dreieck.

Kaum zu glauben, dass diesen Quatsch irgendeiner befolgt, was? Tja, in der Hoch-Zeit hatte "Cao Dai" vier Millionen Anhaenger und eine Privatarmee, die sich gleichzeitig mit Nord- und Suedvietnam anlegte und einen "Staat im Staat" bildete. Die Leiche des Papstes (der noch keinen Nachfolger hat), die in Kambodscha liegt, darf "Cao Dai" bis heute nicht beerdigen. Die Erlaubnis fehlt. Deshalb steht auf dem Gelaende ein leeres Grab rum. "Disneyworld-Religion" hat jemand "Cao Dai" mal genannt. Besser haette ich das auch nicht ausdruecken koennen.

Viermal taeglich findet eine immer gleiche Gottesdienst-Zeremonie der Umhangtraeger statt. Wir verfolgen 20 Minuten der 12-Uhr-Sitzung, und die ist an Laecherlichkeit kaum noch zu ueberbieten. Alles streng hierarchisch, eine Vierer-Musiktruppe, die immer das gleiche spielt. Und immer so wieder. Im liebsten wuerde ich in Manier von "Werner's Sportstudio" einen Fussball in die Runde werfen und laut ruelpsen.

Fuer mich bekommen die 20 Minuten dennoch einen leicht positiven Spin. Neben mir steht Hanna (ihr vietnamesischer Name laesst sich so am besten uebersetzen, sagt sie), die eine Gruppe durch Cao Dai fuehrt. Sie bezeichnet sich als Studentin (glaube ich) und 26 (glaube ich nicht, hoechstens 22) und spricht mich an. Dabei schaetzt sie mich auf 22 (!), was ich fuer ein unglaubliches Kompliment halte, da mich schon zum zweiten Mal innerhalb von drei Wochen jemand deutlich juenger eingeschaetzt hat. Irre. Und Hanna will meine Mail-Adresse. Kann sie haben. Bin gespannt, ob sie sich meldet.

Um 12.30 Uhr verlassen wir den mehr als skurrilen Ort. Da fand ich das Gefuehl schon wesentlich beeindruckender, als wir auf dem Cao-Dai-Hinweg an der Strasse vorbeifuhren, auf der das nackte Maedchen Kim Phuc fotografiert wurde, gezeichnet von einem US-Napalm-Angriff (Ihr erinnert Euch, eins der beruehmtesten Fotos des 20. Jahrhunderts).

Auf dem Rueckweg passieren wir einen weiteren wichtigen Kriegsschauplatz (hier hat sich scheinbar am Ende eine ganze Menge abgespielt): Naemlich den 986 Meter hohen "Black Lady Mountain", der nicht nur die Grenze zu Kambodscha bedeutet, sondern auch das Ende des "Ho Chi Minh Pfades" der Vietcong war. Dort fanden die nordvietnamesischen Kaempfer Unterschlupf und parallel hatten die Amis dort einen Hubschrauber-Landeplatz. Sprich: Das Gebiet war total umkaempft, vor 30 Jahren. Geschichte total real.

Und mit den Tunnelanlagen von Cu Chi wird es - nach einem Mittagessen in einem natuerlich reeeeein zufaellig angefahrenen Lokal - der Cao-Dai-Flop voll ausgeglichen. Klingt affig, das jetzt 15 Flugstunden von Euch entfernt zu sagen, aber: Dieses Gefuehl muss man selbst erlebt haben, das kann kein Foto nachstellen und kein Film zeigen. Die von den Vietcong mit einfachen Schaufeln gebuddelten Tunnel, die vom Norden bis vor die Tore Saigons reichten, hatten insgesamt 200 bis 250 Kilometer Laenge. Und Teile davon sind zu besichtigen, eben in Cu Chi.

In den Pyrenaen Suedfrankreichs unternahm ich schon einmal eine Tunnel-Kletter-und-Kriechpartie, aber das ist nichts gegen Cu Chi. Der Einstieg ist kaum zu erkennen. Wir gehen in ein Waldstueck, alles ist ganz normal bedeckt mit Muecken und Laub. Ploetzlich taucht ein vietnamesischer Soldat aus der Tiefe auf. Der Einstieg: klein und nicht zu sehen. Durch dieses kleine Tunnelstueck geht es ebenso wie durch ein zehn Meter langes nicht weiter schlimmes. Doch dann folgt das Meisterstueck. Der laengste. 120 Meter lang. Es ist eng. Sehr eng. Bueckt Euch mal, wie Fussballer auf einem Mannschaftsfoto. Und stellt Euch jetzt vor, Ihr stosst mit jedem Koerperteil an eine Wand. So eng. "No asthmatiker", hat Jim geraten. Die Luft ist schlecht, heiss, stickig, alle schwitzen. Ich auch, aber zum Glueck trage ich mein VfL-Kalla-Trikot, und die Fussballjerseys schnappen den Schweiss ziemlich gut auf. Und AUTSCH, Kopf gestossen, es wird knapper. Ich lege meine Knie auf den Boden und krieche. Anders geht's. Robben, robben, robben, bis der Ausgang am Horizont zu sehen ist. Dort steht Jim und erzaehlt. Die Tunnel sind auf Touristengroesse ausgebaut. In Wirklichkeit waren sie 60 mal 80 Zentimeter gross und bis zu 20 Meter in der Tiefe, damit sie der Bombenvibration standhalten konnten. Hammer! Hammer-Erlebnis!!

Die Amerikaner waren mit der modernsten Technologie in Vietnam, doch gegen die Tunnel, von deren Existenz sie erst spaet erfuhren, konnten sie kaum ankommen. Die Vietcong lebten darin, assen, erzogen Kinder. Wir gehen ins nachgebaute Hospital, in eine nachgebaute Kueche. Dann noch zu einem Film und einem Schiessstand mit Original-Vietcong-Waffen. Immer schoen im Hintergrund als Soundeffekt: Hubschrauber! Kurz vor dem Ende des Krieges war Cu Chi eine "free fire zone", das heisst, dass die Amerikaner jeden toeten durften - egal ob aus dem Norden oder dem verbuendeten Sueden. Cu Chi war nach 1975 eine Wueste. Heute sind die Baeume nachgewachsen. Naja, ein paar Bombenkrater sind geblieben. Und bleiben.

Auf dem holprigen Weg zurueck nach Saigon durch den schon ausfuehrlichst geschilderten Rush-Hour-Verkehr nutze ich die Gelegenheit, meine Reisegruppe naeher kennenzulernen. Es sind vier Japaner dabei, mit einem eigenen Guide, vier Franzosen im Alter meiner Eltern (zwei Paerchen) und drei weitere Paerchen. Eine junge Frau aus Kanada fragt: "Where is Bockum?" Gut, sie identifiziert mich nicht als Deutscher, sondern mutmasslich nur als verrueckten Traveller (so hoffe ich). Neben mir schlaeft ein Grieche, der aussieht wie Obelix, keinen Tunnel ersteigen konnte und staendig laut telefoniert. Ein unangenehmer Zeitgenosse. Wenigstens kann ich zwischen 16.15 Uhr und 18.05 Uhr wieder ein Paar Batterien leer hoeren. Kettcar, Weezer, Tocotronic, Tomte, R.E.M., Metallica, K's Choice, Green Day, Adam Green, Helden, Hosen, Mando Diao, Strokes, Peppers... herrlich, das hat mir gefehlt.

Direkt nach der Rueckkehr buche ich die naechste Bustour. Fuer 25 Dollar (inklusive Hotelkosten) geht es ins Mekong-Delta mit Zwischenstopp und Uebernachtung in Can Tho, der Stadt, in der Marrit wochenlang Englisch unterrichtete. Um 7 Uhr klingelt der Wecker. Ich werde wieder ein vermuffeltes Muedigkeits-Wrack sein. Doch ich hoffe, dass mich die morgige Tour auch am Ende versoehnt. Morgen geht's in den Hintern Vietnams. Denn nach langer Ueberlegungszeit ist mir aufgefallen, dass Vietnam so aussieht wie ein Seepferdchen. Saigon ist schon weit unten (bauchnabelmaessig). Und das Mekong-Delta eben ganz unten. Es soll fantastisch sein.

Waere schoen.

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9. Tag
 
Mittwoch, 27. Juli 2005
 
Saigon -> Can Tho (Mekong-Delta)
 
Mittendrin statt nur dabei
 
Was denkt Ihr eigentlich, wenn Ihr das Wort "Vietnam" hoert? Wuerde mich echt mal interessieren - dumm nur, dass Ihr jetzt nicht hier neben mir sitzt. Hmm... an den Vietnam-Krieg wahrscheinlich zuerst. Doch mal ehrlich: Wieviel wissen wir schon wirklich ueber Land und Leute, wenn wir unser bisheriges Wissen vor allem den amerikanischen Filmen entnehmen, die sich sowieso eher mit der eigenen amerikanischen Psyche beschaeftigen als mit dem Land, in dem heute 50 (manche Reisefuehrer nennen hoehere Zahlen) Prozent der Einwohner nach dem Krieg geboren wurden. Was lernt man ueber die Gegenwart Vietnams, wenn man "Platoon", "Full Metal Jacket", "Rambo", "Apocalypse Now" oder "Good Morning Vietnam" sieht? Nicht viel.

Goooooood morning Vietnam!! Wo wir schon beim Thema sind... Robin Williams' Weckruf koennte ich jetzt auch gut gebrauchen. Schon wieder um 7 Uhr wach werden, und das wieder einmal nach einem sehr kranken Traum (wird wohl zur Gewohnheit hier, dass sich mein Unterbewusstsein hier nur verquerte Sachen ausdenkt), ja hoert das denn nie auf? Muffelmuffelmuffel. Zum Glueck habe ich alles gestern Abend schon gepackt, so dass ich nur noch duschen und in die Klamotten schluepfen muss. Meinen dicken Rucksack kann ich ueber Nacht gluecklicherweise in meinem Saigoner Hotel "Linh Thu" lassen. Deshalb muss ich an den naechsten beiden Tagen nicht ganz so viel schleppen.

Heute geht's in die Region, die von den Amis ganz besonders zerbombt wurde. "Today we say in Vietnam 'the unlocigal war'", sagte gestern Slim Jim. Okay, zwischen Saigon und Hanoi gibt es gewisse Rivalitaeten, wie ich hier aus so mancher Aeusserung heraushoerte (aber die gibt es zwischen Berlin und Muenchen auch), aber dass sich Norden und Sueden bis vor 30 Jahren noch gegenseitig abgeschossen haben, will hier kaum noch jemand wissen. Weil es zwischen 1975 und 1991 das West-Embargo und zwei weitere Kriege (Einmarsch in Kambodscha, 16-taegiges Techtelmechtel mit China an der Nordgrenze als "Strafaktion" fuer Kambodscha) gab, zaehlte das komplett zerstoerte und wirtschaftlich total marode und korrupte Vietnam zu den zehn aermsten Laendern der Welt. Das ist erst 14 Jahre her! Seitdem hat sich viel geaendert. Der Westen - und selbst die USA - importieren wieder aus Vietnam und investieren ebenso fleissig wie andere (aus Deutschland z.B. Siemens und Mercedes), nach der Oeffnung des Landes fuer Touristen kommen inzwischen drei Millionen pro Jahr (darunter viele US-Vietnam-Veteranen - was heute nicht alles geht...), die Kredite fliessen - und zack boomt Vietnams Wirtschaft mit durchschnittlich 7 Prozent pro Jahr.

Unser Guide heute heisst Himb, geschaetzte 30 Jahre alt und 1,70 gross, faehrt sich dauernd durch die mittelgescheitelten Haare und hustet. Um 8.10 Uhr geht's los in einem gut klimatisierten Bus, ich erwische einen Platz am Fenster, allein in einer Zweier-Kombi. Optimal. Die vielen Loecher in den Strassen fallen mir kaum noch auf beim Weg aus Saigon Richtung Sueden. Ich lese ein bisschen im Teil "Geschichte" des "Reise Know-How Vietnam" (Ergebnis siehe oben). Der Bus faehrt durch verlassene Vororte Saigons, am Horizont sind fuenf Hochhaeuser vom Baustil "Marzahn" und "Maerkisches Viertel" erkennbar, davor eine grosse Rasen-/Lehmflaeche. "This is our new city", sagt Himb mit einem stolzen Unterton. Stolz? Damit meint er, dass Saigon eben eine sehr alte Stadt sei (vom Baustil). Und in eben dieser neuen Siedlung entsteht innerhalb der naechsten zehn Jahre ein ganzer Park solcher Haeuser. Eine U-Bahn soll wohl auch bald in Saigon eroeffnen, in Vietnams groesster und wohl auch westlich orientiertester Stadt. Boom, ich sag's. Fehlen nur noch Mc Donalds, Burger King und Pizza Hut (die es hier noch nicht gibt). Um welchen Preis? Manchmal habe ich das Gefuehl, als blickten die Vietnamesen neidisch nach Bangkok, ausgerechnet. Bitte nicht! Bewahrt Euch den eigenen Charme! "In 40 oder 50 years our countrys will be the same", glaubt Himb. Soso, so ist also die Planung. Wenn ich sterbe, spielen Vietnam und Deutschland in derselben Liga. Schoen waer's. Aber wird es wirklich dazu kommen?

Mal wieder ist der Verkehr, der scheinbar 24 Stunden dicht an dicht ist, verdammt nervtoetend, aber zugleich putzig. Drei Millionen Motorraeder gibt es in Saigon, erzaehlt Himb. Drei!!! Zusaetzlich zu den sieben Millionen Einwohnern (gestern bei Slim Jim waren's noch sechs oder acht, weiss nicht mehr) kommen taeglich eine Million aus den umliegenden Doerfern zur Arbeit. Kein Wunder, dass Saigon bei allem Reiz, aber der trotzdem indiskutablen Verkehrsfuehrung Tag fuer Tag zusammenbricht. Fast 24 Stunden lang. Himb ist Saigoner und er bestaetigt meine These der Konkurrenz zu Hanoi. Mehr als auffaellig weist er daraufhin, dass Hanoi zwar die Hauptstadt sei, Saigon aber die groesste Stadt mit den vielen Projekten...

Hab ich schon erzaehlt, warum Vietnam fuer Rucksackreisende wie ich einer bin als erste Wahl gilt? Es ist wie schon so oft beschrieben furchtbar interessant wegen seiner vielfaeltigen Geschichte, liegt in einem anderen Kontinent, das Wetter ist meist gut, es gibt viel zu entdecken und es ist so unschlagbar billig. Und dank der Reiseagenturen gibt es ein toll ausgebautes Bussystem. Zwischen den fuenf groessten Staedten Saigon, Nha Trang, Hoi An, Hue und Hanoi gibt es vom Sueden in den Norden und umgekehrt taegliche Verbindungen. Und alle Fahrten zusammen kosten 25 Dollar! Und von den einzelnen Staedten bieten die Reiseagenturen speziell buchbare Extratouren an. Von Saigon zum Beispiel nach Cu Chi und Cao Dai (wie gestern) oder ins Mekong-Delta, was ich heute "abhake", anstatt einer Tour von zwei waeren auch drei, vier oder fuenf moeglich gewesen. Inklusive zweier Mahlzeiten, der Nacht im Hotel und eines Shirts der Agentur "SinhCafe" kostet der zweitaegige Spass ebenfalls nur 25 Dollar. Geschenkt!

Exkurs beendet. Warum ich so viel Zeit habe, um das zu erklaeren? Der heutige Tag ist ein einziges "berieseln lassen". Ich hocke im Bus am Fenster, beobachte, wie Frauen und Maenner in den Reisfeldern Suedvietnams herumplanschen, die Frauen ganz klassisch mit den beruehmten Kegelhueten auf dem Kopf. Schaue Kleinkindern zu, die am Strassenrand stehen und vermutlich Tag fuer Tag einfach so den Touribussen zuwinken. Sehe die Verkaeufer, die an jeder Ampel (wenn es denn mal welche gibt) vor die Busse sprinten, und Gucci-Sonnenbrillen (haha!) verscheuern wollen. Betrachte die Einwohner, wie sie einfach nur vor ihren kleinen Haeusern - die meisten sind nur drei Meter breit, dafuer aber sehr tief - sitzen, sich ausruhen, spielen, kochen. Bewundere die Maerkte mit den vielen tropischen Fruechten, von Bananen, Ananas, Kokosnuessen bis zur "Dragon Fruit" und der Sternfrucht. Und vielen mehr, deren Namen ich nichtmal weiss. Und der Speichel tropft aus meinem Mund wie bei Homer Simpson. Zwischendurch hupen und ueberholen Lkw-Fahrer, Motorraeder versuchen waghalsige Manoever. Good morning Vietnam! Hier bin ich mittendrin statt nur dabei. An Thommys Bildschirm sah alles schon verrueckt aus, aber es selbst zu erleben, ist fast schon zu schoen. In meinen Ohren sitzen die Stoepsel wie angegossen. Und ich hoere "Dream now" von All About Eve und "Dreams" von den Cranberries. Hatte ich vor einem Jahr in den USA glaube ich schonmal, aber diesmal passt's besser.

Das Programm, das SinhCafe bietet, ist wirklich abwechslungsreich. Nach zweieinhalb Stunden Busfahrt geht es endlich auf ei Boot, denn wie anders ist das Mekong-Delta am besten zu erkunden!? Hier liegt Vietnam auf einem Breitengrad mit Djibouti. Der Mekong ist 4500 Kilometer lang, fliesst durch Burma, Laos und Thailand, bevor er sich in Kambodscha in zwei Arme aufteilt, in Vietnam schliesslich in acht, um dann ins Meer ueberzutreten. Mit dem Boot fahren wir durch einen kleinen "Floating Market", das sind schwimmende Maerkte, bei der die Farmer auf Booten ihre Waren anbieten und verkaufen. Danach geht's aufs Festland, um sichtlich genervten Puffreismachern bei der Arbeit zuzuschauen. Die reichen Touristen knipsen, was das Zeug haelt, und die kriegen wahrscheinlich gerade einmal den staatlich festgelegten Mindestlohn von 20 Dollar im Monat. Schrecklich!

Auf dem Boot geht die Berieselung weiter. In einem klitzekleinen Schiffchen, der Motor knattert lauter als laut, geht es ueber einen sehr, sehr breiten Mekong-Arm, der an der dicksten Stelle ein Kilometer breit ist. Verkaeufer passieren den Weg, rauchen ein Zigarettchen und halten den nackten Oberkoerper in die Bewoelkung. Ganze Familien wohnen auf den Booten im Mekong, wohlgemerkt als Farmer und nicht wirklich als Seefahrer. Viele verbringen ihr gesamtes Leben dort, sagt Himb. Schulen gibt es nur kaum.

Dann passiert auch mal fuenf Minuten nichts. Keine anderen Boote, nur Palmen, ueppige Vegetation (bin kein Biologe, sonst koennte ich Euch sicherlich mehr Pflanzen und Baeume benennen). Es ist eine Apocalypse-Now-Romantik. Der Grossteil des Films spielt (obwohl - wie ich weiss - nicht hier gedreht) auf dem Mekong-Fluss in Richtug Kambodscha. Diese Region diente als prima Versteck fuer die nach Suedvietnam vergedrungenen Vietcong. Jetzt weiss ich, was mit dieser Aussage gemeint ist. Und die Amis haben vieles davon platt gemacht. In Vinh Long, einer kleinen Stadt, halten wir zum kostenlosen Mittagessen. Es gibt eine undefinierbare Suppe und undefinierbares Fleisch mit Reis - moechte gar nicht wissen, was ich da in mich reingestopft habe. Am leckersten sind eindeutig die Fruechte als Dessert! Leckerleckerlecker! Wir treffen dort andere Touristen, einer spricht mich auf mein VfL-Trikot und den Abstieg an. "Supporter from Bochum, trotz van Duijnhoven?", fragt er, waehrend wir einer kleinen, putzigen vietnamesischen Familien-Musikband lauschen (moechte wieder nicht wissen, fuer welchen Hungerlohn die sich zum Affen machen). Er ist jedenfalls Niederlaender aus Eindhoven. Shakehands.

In Vinh Long wird unsere grosse Gruppe gegen 15 Uhr schlagartig kleiner. Wie sich herausstellt, waren bis jetzt auch die dabei, die nur eine Ein-Tages-Tour gebucht haben. Sie fahren zurueck nach Saigon, und nur 14 plus Himb tuckeln weiter Richtung Can Tho, der Hauptstadt des Mekong-Delta. Der Stadt, in der Marrit Englisch unterrichtete und in der Thommy ein paar Tage wohnte. Marrit bevorzugt das Mekong-Delta als schoenste Region Vietnams, hat sie gesagt. Beide gaben mir fuer Can Tho viele, viele Tipps.

Mit einer typisch vietnamesischen Feierabend-Verkehrs-Faehre (nicht ueberall im Delta gibt es Bruecken) geht es ueber einen Mekong-Arm nach Can Tho, 310.000 Einwohner, 135 Kilometer suedwestlich von Saigon. Jetzt bin ich am weitesten von meinem Vietnam-Ziel Hanoi entfernt. Jetzt bin ich mittendrin im Uraub. Nicht mehr am Anfang, noch lange nicht am Ende. 1900 Kilometer werde ich in den naechsten zehn Tagen per Bus zuruecklegen. Um 17 Uhr betrete ich mein gebuchtes Einzelzimmer - und das ist der absolute Luxus: gross, geraeumig, grosses Badezimmer, klimatisiert auf genau 20 Grad. Da hat SinhCafe ganze Arbeit geleistet. Heute ist der erste Tag komplett ohne Schweiss: alles klimatisiert und draussen Bewoelkung.

Ich will mich flugs in die von Thommy und Marrit vorbereiteten Can-Tho-Planungen stuerzen, da - oh Schreck - stelle ich fest, dass unser Hotel auf allen Innenstadt-Karten, die ich in den Reisefuehrern habe, nicht verzeichnet ist! Scheisse, wir liegen ausserhalb. Und wie fast immer in den letzten Tagen faengt es puenktlich gegen 17.30 Uhr an zu plaestern. Und nicht zu knapp! Und die Daemmerung beginnt sowieso in diesen Minuten. Ich hocke mich ins DSL-Internet-Cafe, schreibe Mails, surfe durch die Welt, bezahle umgerechnet 30 Cent fuer anderthalb Stunden, und gebe um 19 Uhr auf. Das bringt nichts mehr, jetzt noch in die Stadt zu laufen. Jetzt, da es stockfinster ist. Und der Weckdienst klingelt schon um 6.30 Uhr morgen durch.

Ich blicke auf den ersten langweiligen Leerlauf-Abend des Urlaubs zurueck, und das ausgerechnet in Can Tho. Wenn das Thommy und Marrit lesen... Aus der 14er-Gruppe eignet sich niemand zum Plauschen oder Weggehen. Die Japaner sprechen kein Englisch und der Rest ist deutlich zu alt. Zum ersten Mal starre ich an die Decke, hoere dem Regen zu und wuerde am liebsten siedeln, ein Fussballspiel gucken und dabei Giovanni-Pizza essen oder bei Zarko im Schraegen Eck ein paar Dartpfeile werfen. Und mein Oberschenkel meldet sich mit Schmerzen nach dem Kriech-Sport gestern in Cu Chi.

Im Hotel gibt's Essen. Reis mit so einer Art Huehnerfluegel. In so einer Stimmung geht mir sogar das Motto "alles probieren" auf den Sack. Ich habe in den neun Tagen so viel Verschiedenes in mich reingestopft - Hoehepunkte waren die Fruechte und Fruit-Shakes - schon am neunten Tag kann ich Reis kaum noch sehen. Naja, vielleicht legt sich meine Langeweiler-Miesmacher-Laune morgen wieder. Bestimmt sogar.

Denn wenn ich um 19 Uhr morgen wieder in Saigon ankomme, dann bin ich nicht ausserhalb. Dann bin ich endlich wieder mittendrin im Geschehen. Und jetzt klappe ich das Buch fuer heute zu.

Hanna hat uebrigens nicht geschrieben.

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10. Tag
 
Can Tho (Mekong-Delta) -> Saigon
 
Im Bus-Kloster
 
Bus-Aufenthalte, zumal ein paar Stunden lang, haben in diesem Urlaub fuer mich etwas klosterhaftes. Du sitzt ganz fuer dich allein in deinem flauschigen Sesselchen, sagst nichts, lauscht nur deinen liebsten Musikstuecken und meditierst dabei fast ein bisschen. Und im Rahmen dieses nahezu zolibataeren Lebens gibt es genug Zeit, ueber die Welt und alles andere nachzudenken. In den naechsten sieben Tag werde ich 1700 Kilometer im Bus abfahren. Eine ganz schoen lange Strecke im Bus-Kloster. Heute bekam ich einen Vorgeschmack auf das, was mich erwartet. Aber nur einen kleinen.

Bei aller Liebe zum vietnamesischen Essen, das Fruehstueck bin ich allmaehlich leid. Einen Teller warme Suppe gleich zum Tagesbeginn zu essen, darin koennte ich mich nie gewoehnen. Die landestypische Suppe heisst Pho, die gibt es mit allerlei Gemuese drin und wahlweise Huhn, Rind oder keins von beidem. Zu kaufen ist Pho ueberall in Saigon und vermutlich auch dem Rest des Landes, zu jeder Tages- und Jahreszeit. Thommy und Marrit haben sie mir auch fuer frueh morgens ans Herz gelegt. Zum Fruehstueck?? Never! Aus dem Bett komme ich um 6.30 Uhr erstaunlich gut, mein innerer Wecker und mein Unterbewusstsein haben es heute gut mit mir gemeint. Das Fruehstuecksbuffet ist zwar einigermassen umfangreich, aber so gar nicht mein Ding. Pho gibt es auf Wunsch, ausserdem steht warmer O-Saft, kaltes Wasser, Reisbrei, normaler Reis (den gibt es hier halt immer), lauwarmes Gemuese, papp-trockene Mini-Pfannekuchen und viel, viel Baguette (der franzoesische Einfluss, ich sag’s ja), verfeinerbar mit einer einzigen Frucht-Marmelade. Ne richtige Schuessel Cornflakes, das waere doch was. Oder ein knuspriges Schoko-Croissant, ne Tasse Pfefferminztee. Ich fruehstuecke nie viel, aber der Geschmack muss schon stimmen.

Um 7.30 Uhr sitzen wir 14 und Himb mehr oder weniger gestaerkt im Bus, um 8 Uhr geht es zu einer ueber dreistuendigen Bootstour aufs Wasser. Ich freu mich sehr drauf. “It will be very hot”, vermutet Himb schon um 7.45 Uhr. “Don’t forget your hat.” Ich habe mein Kaeppi natuerlich in Saigon liegen. Shit! Und es wird wirklich von Sekunde zu Sekunde heisser. Himb sieht mit seiner Muetze aus wie Kermit, der Frosch. Keine Ahnung, wie mir der Vergleich eingefallen ist. Kermit halt. Wenn er etwas erklaert, ist das so witzig. Er sagt es auf Englisch, fuer die Japaner auf Zeichensprache und fuer zwei Vietnamesen auf Vietnamesisch. Und da von der franzoesischen Familie nicht alle des Englischen maechtig sind, gibt es noch Franzoesisch, also ein herrlich internationales Sprach-Spektakel.

Als wir die letzten Meter im Bus vom Hotel bis zur Anlegestelle in Can Tho zuruecklegen, spiele ich Gluecksfee und lege irgendeine CD in den Discman. Und was laeuft? Herbies “Bochum”. Haette besser zu meiner Laune gestern Abend gepasst, als ich mir ausmalte, wie Edu den VfL mit einem 30-Meter-Knaller in der letzten Minute zum Pokalsieg 2006 schiesst. Aber halt. Die Zeilen “Du bist keine Schoenheit”, “Du bist keine Weltstadt”, “Wo das Herz noch zaehlt, nicht das grosse Geld” lassen sich auch auf Can Tho anwenden, zumindest den Teil, den ich gesehen habe.

Sagte ich gestern nicht etwas von “berieseln lassen”? Ich lasse es sein, heute eine andere Formulierung suchen zu wollen. Es ist ein dreistuendiger Trip wie auf Drogen, die das Unwirkliche zur Realitaet machen. Auf den Kokosnusspalmen hangeln sich Affen von Baum zu Baum, manchmal muss das Boot durchs dickste Dschungel-Dickicht und zu vernehmen ist nur noch das Zirpen und Zwitschern der Insekten und Tiere, mal gibt es endlos weite Sicht in Gruen, Gruen und nochmals Gruen. Gut, das Wasser koennte sauberer sein, aber wen juckt das schon!?

Wir durchqueren wieder einen “Floating Market”, den Groessten im Mekong-Delta, und um 8.30 Uhr ist eindeutig mehr los als gestern um 11 auf dem anderen. Die Farmer stehen eben sehr frueh auf, erklaert Himb. Langsam tuckert unser Boot durch all die anderen, auf denen alles verscheuert wird. Wirklich alles. Ein schwimmender Frucht- und Gemuese-Supermarkt. Ein beeindruckendes Schauspiel.

Bei einem weiteren Zwischenstopp lernen wir in einer der vielen Reisfabriken des Deltas den Weg von der Reispflanze bis zum Reis, Reismehl oder Reispapier kennen. Die Reisindustrie profitiert uebrigens am meisten von der Reprivatisierung, die natuerlich – das vergass ich gestern – einen grossen Anteil am Boom Vietnams hat. Denn nicht vergessen: Vietnam ist immer noch ein kommunistisches Land mit nur einer Partei und einer nur eingeschraenkten Pressefreiheit. Auch das darf nicht unerwaehnt bleiben.

Um halb elf verschwindet die Sonne ploetzlich. Innerhalb von wenigen Minuten zieht es zu und regnet ganz heftig. “We are lucky”, sagt Himb-Kermit. Puenktlich mit dem ersten Tropfen betreten wir unser letztes, ueberdachtes Ziel, einen Garten mit tropischen Fruechten. Ein Genuss, einfach nur ein Genuss, obwohl ich laengst nicht von allem weiss, wie es genau heisst.

Um 11.15 Uhr – der Regen ist vorbei und wir haben Can Tho und den Bus wieder erreicht – ist die Tour eigentlich vorbei. Um die Zeit bis zum Abend totzuschlagen und die 135 Kilometer bis Saigon in meinem Kloster nicht zu lang werden zu lassen, gibt es noch drei Pausen. Die erste in unserem Hotel, zum Mittagessen. Ich ordere “Luc Lac”. Natuerlich mit Reis… Ist ja erst fuenf Stunden her. Ich setze mich zu einem Schweizer Paerchen, das allein an einem Sechser-Tisch hockt. Sie stellen sich als Ivan und Amelie (welch wunderbarer Name) aus Lausanne vor, koennen besser Franzoesisch als Deutsch, haben aber einen Superakzent drauf.

Sie sind auf der Durchreise nach Phu Quoc, das ist eine abgelegene, schwer erreichbare Insel ganz im Sueden Vietnams, vielleicht sogar der suedlichste Punkt, schon ausserhalb des Mekong-Deltas. So wie alle Reisefuehrer Phu Quoc beschreiben, ist das eine Mischung aus Karibik und Seychellen, nur noch nicht touristisch erschlossen (ist aber geplant). Sprich: Momentan kommt Phu Quoc dem Paradies sehr nahe. Vier Tage ihrer vierwoechigen Reise wollen sie dort verbringen, an menschenleeren Straenden (Achtung an Silke von der Muelheimer Woche, die Ende des Jahres Vietnam bereist: Soll gut zum Tauchen sein). Eine kluge Wahl. Leider nicht meine, keine Zeit. Um 12.30 Uhr geht ihr Bus. Tschuess! Mit den Beiden haette ich gestern gern etwas unternommen. Nur Marcel Koller kennen sie leider nicht.

Auf dem Weg zurueck nach Saigon gibt es einen Halt in Vinh Long, der zweitgroessten Delta-Stadt. Es gibt einen grossen, bunten Fruchtmarkt, doch nach einer kurzen Foto-Session ist mehr mehr nch einem Eiskakao an der Uferpromenade zumute. Es laeuft im Hintergrund “Hotel California”, was ich sehr amuesant finde. Eiskaffee (Café Da) und Eiskakao (Kakao Da) ist uebringens das Lieblingsgetraenk der Vietnamesen fuer zwischendurch. In einem 0,3-l-Glas ist 0,1 l Kakao und der Rest mit Eiswuerfeln aufgefuellt. In der Waerme zermanscht man die Wuerfel so lange, bis eine 0,25-l-Fluessigkeit entsteht. Lecker!

Um kurz vor vier geht es fuer eine Viertelstunde in den Bonsai Garden von My Tho, einer Kleinstadt am Delta-Rand, eher schon Vorort von Saigon. Neben einem Café ist ein Mini-Zoo, in dem Affen und Schlangen aber in Mini-Kaefigen untergebracht sind. Tierquaelerei pur. Ich bestelle mir im Café fuer 3000 Dong (immer noch ein Spitzenname fuer ne Waehrung) ein Kokusnuss-Gebaeckteilchen und lerne eine weitere Facette der vietnamesischen Kueche kennen: Die Mahlzeiten hier sind nie wirklich gross, es wird zwischendurch auch mal gern genascht. Fruechte eben. Oder Backwaren, die es hier ebenfalls zu Hauf gibt. Ein richtig geselliges, warmes Mittag- oder Abendessen werde ich aber wohl nicht mitbekommen. Dann stehen viele Speisen auf dem Tisch und jeder darf bei jedem probieren. Ich unterhalte mich mit Himb. Er arbeitet sieben Tage die Woche, immer neue Touren. Ganz harter Job, doch vermutlich einer der besseren in Saigon.

In den anderthalb Stunden Busfahrt zwischen den jeweiligen Pausen ziehe ich mich in mein Kloster zurueck und hoere viel. Von “Californication” (schon wieder Kalifornien!?) der Peppers bis zu K’s Choice’s “Believe”. Von Hannes Waders Arbeiterliedern (die muessen in Vietnam einfach sein; “Voelker hoeeeeeeert…”) bis zu Ton-Steine-Scherben (auch). Am Strassenrand Bilder wie gestern. Und mehr. Auf den Sand- und Lehmfeldern neben dem Asphalt bolzen Jugendliche. Oder spielen mit Murmeln. Da kommen mir fast die Traenen.

Je naeher Saigon rueckt, desto unverschaemter und zahlreiche werden die Mofafahrer. Und es wird haeufiger gehupt. Die Hupe ersetzt hier den Mittelfinger. Denn trotz aller Verkehrsprobleme habe ich noch keinen hier ausrasten sehen. Ein Wunder eigentlich.

Um 18.15 Uhr treffen wir nach einem seelenruhigen Tag in Saigon ein. “I hope you tell your friends and family good things about Vietnam”, sagt Kermit zum Schluss. Er war ein guter Guide. Wir sollten uns nicht nur an Mofafahrer und Verkehrsstaus erinnern, sondern auch an einen grossartigen Aufenthalt im Mekong-Delta. Das werde ich, Himb. Trotz des Leerlaufs gestern.

Es ist mein letzter Abend in Saigon, mein letzter und vierter Nacht-Aufenthalt bei “Linh Thu”. Eine Nacht hier im Einzelzimmer mit Bad und WC kostet 5,60 Euro; und das bei der zentralen Lage. Zum Abschluss laufe ich noch einmal durch die Gassen des Zentrums. Schade, dass ich nur einen Tag hier hatte. Schade. Morgen klingelt der Wecker um 6.30 Uhr (ausnahmsweise). Dann beginnen die 1-Tag-Bus-1-Tag-Aufenthalt-Spielchen.

Und die Daueraufenthalte im Kloster. Es heisst Abschied nehmen von Saigon. Tschuess, Du eigenwillige Metropole, Du Stadt, wie ich vorher noch keine andere erlebt habe. Behalte Deinen Charme, ein bisschen von Deinem Chaos, Deinem Stress. Behalte Deine Freundlchkeit.

Und werde bitte nicht so wie Bangkok.

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11. Tag
 
Freitag, 29. Juli 2005
 
Saigon -> Nha Trang
 
Enjoy the silence
 
Als Information nebenbei wollte ich heute, da es ausser einer langen, langen, langen Busfahrt nicht viel zu erzaehlen gibt, verkaufen, dass ich bisher kaum Alleinreisende getroffen oder gesehen habe (Ju kann man ja nicht wirklich als Single bezeichnen) und (eine angenehme Ueberraschung angesichts der drastischen Zunahme von Vietnam-Dokus im TV) noch gar keine Deutschen. Und zack, als ich im Internet-Cafe gerade den Eintrag Nummer zehn abtippte und mir nebenbei Gedanken fuer Nummer elf machte, da sprach mich eine singlereisende Deutsche, grob geschaetzt Mitte 30, an. Bei einem Bananen/Papaya/Ananas-Fruchtshake unterhielten wir uns ueber Vietnam und uebers Reisen. Ich muss sagen, um Leute kennenzulernen, ist dieses Land eine echte Goldgrube. Oder ich habe bisher einfach verdammt viel Glueck gehabt.

6.30 Uhr, ey, schon wieder so frueh aufstehen, gibts doch gar nicht! Damit haette ich meinen so-oft-wie-moeglich-hintereinander-frueh-aufstehen-Rekord auf Ewigkeit getoppt. 7 Uhr, 7 Uhr, 6.30 Uhr, 6.30 Uhr; in deutscher Zeit ist das 2 Uhr, 2 Uhr, 1.30 Uhr, 1.30 Uhr, was fuer Zeiten, ich kann es nur noch einmal wiederholen. Um 7.15 Uhr soll ich in Saigon vor dem Sinhafe-Buero stehen und hey, das klappt sogar. Schlimm, aber wahr: Das fruehe Aufstehen ist schon so etwas wie eine Gewohnheit hier.

Heute beginnt die Zeit – ich muss es noch einmal wiederholen – der langen, langen, langen Busfahrten, der Einsamkeit, dem Verhaeltnis Andi und die vietnamesische Landschaft am Ende der Welt. Acht Stunden, und das ist lediglich meine drittlaengste Busfahrt, in Tour-de-France-Sprache ein Berg der zweiten Kategorie, also einer, bei dem Lance Armstrong nicht einmal schwitzt. Zu meiner Ueberraschung steht einer der beiden Sinhcafe-Busse, die heute Nha Trang ansteuern, schon vor dem Buero; naemlich der groessere. Es ist noch genau ein Platz frei. “Big man in big bus”, sagt der Fahrer und meint wohl mich. Er lotst mich auf den letzten freien Platz inmitten einer vietnamesischen Familie und neben einem schaetzungsweise achtjaehrigen Kind. Super. Die Eltern schauen sichtlich skeptisch und alle 30 Sekunden rueber, aber ihren Missmut vermag ich ihnen nicht zu nehmen. Wie auch?

Es geht los in einem so gut klimatisierten Bus, dass ich am liebsten einen Pullover anziehen wuerde (hab aber erst gar keinen aus Muelheim mitgenommen). Als erstes hoere ich mit Absicht das fantastische “Enjoy the silence” von Depeche Mode (immer wieder gern genommen als Ueberschrift). Eindeutig mein heutiges Motto. Eindeutig.

Ich bekomme noch einmal eine Stadtrundfahrt durch Saigon und dabei deutlich vor Augen gefuert, was ich alles nicht geschafft habe. Einen Spaziergang an der Uferpromenade des “Saigon River” beispielsweise. Oder in einem der angrenzenden Parks, in dem jetzt junge Leute Beachvolleyball und Badminton spielen, und das um kurz vor acht am Morgen. Vielleicht haette ich hier die Ruhe gefunden, die ich in “meinem” Saigon ein wenig vermisst habe. Zufaellig befahren wir auf dem Weg stadtauswaerts auch das Viertel mit den Hochhaeusern (Wolkenkratzer waere uebertrieben), die Saigons Stadtbild in den letzten zehn Jahren in die Hoehe haben wachsen lassen und zumindest in diesem Punkt nun zu einer Millionen-Metropolen-Skyline unter vielen machen. “Citibank” steht auf einem, “Sheraton” auf dem naechsten. Und auf dem modernsten Glasbau mit zugegeben gar nicht mal so schlechter Architektur prangt das Schild “Prudential”. Und dass weitere im Bau sind, im ganzen Stadtgebiet, und diesmal sinds vor allem Wohnbloecke, ist im gesamten Stadtgebiet zu sehen. Wer also in zehn Jahren mit dem Flieger in Saigon einschwebt, der sieht nicht nur die Millionen Mofas, sondern vor allem auch ne Menge hoher Bauten. Das war schon anders.

“Words like violence break the silence”, singt Dave Gahan. Ich habe die Repeat-Taste meines Discmans gedrueckt. Um es Euch geographisch zu verdeutlichen (fuer diejenigen, die die Landkarte Vietnams nicht wirklich vor sich oder vor Augen haben). Das Land hat ja meiner Meinung nach Seepferdchen-Form (in der Mitte beispielsweise ist es nur 50 Kilometer breit). Ich finde das Tier-Beispiel auch besser als das im Reisefuehrer benutzte “S”. Wie auch immer. Saigon ist die Hauptstadt Suedvietnams gewesen (damals) und liegt folglich ziemlich weit unten. Im Westen grenzt Vietnam an Kambodscha und Laos, und im Osten liegt das Suedchinesische Meer. Und mein heutiger Weg fuehrt 450 Kilometer an dieser Kueste entlang, bis ins Zentralvietnam, bis Nha Trang, der bekanntesten Strand- und Badestadt. “Mallorca”, hat Thommy etwas spoettisch ueber den Nha-Trang-Stadtplan im Vietnam-Baedeker geschrieben.

Dieser Kuestenstreifen hat auch eine Kriegsvergangenheit. Wenn die in Suedvietnam stationierten US-Soldaten Urlaub hatten oder einfach nur frei, dann zog es sie zum Beispiel an den Strand Nha Trangs. Bekannter ist aber die noch noerdlicher gelegene China Beach.

Schon nach 100 Kilometern (ganz grobe Schaetzung) ist das Wasser zu sehen. Traumhaft, schoen, Meer. Es ist so still hier, silence eben. Es gibt auch leise Ecken in Vietnam, an denen keine Mofas stoeren, Strassen, auf denen nicht dauernd gehupt wird. Wahrscheinlich sind die meisten Ecken Vietnams still, doch fuer den, der gerade frisch aus Saigon kommt, ist das eine sensationelle Neuigkeit. Die Wellen brausen an den Sandstrand, mal gemaechlich, mal peitschend. Zwischendurch regnet es kurz, ganz kurz aber nur. Vietnam ist huegelig im Zentrum, aber wie huegelig, sehe ich erst auf der Fahrt. Aus dem rechten Busfenster sind die leeren Straende zu sehen, und auf dem linken die Berge. Unsere Strasse, die “Nationalstrasse 1” schlaengelt sich hindurch. Dieses highwayartige Asphaltgebilde wurde uebrigens in der Kolonialzeit Frankreichs angelegt und verbindet Saigon und Hanoi – auf 1700 Kilometern.

Ich haette vor der Tour nach Nha Trang auch Da Lat ansteuern koennen. Das ist die hoechstgelegene Stadt Vietnams, auf ueber 1000 Metern. Doch da lediglich die An- und Abfahrt besonders spektakulaer sein soll und die Stadt nicht weiter spannend, und da mir geraten wurde, am ehesten Da Lat wegzulassen, wenn ich irgendwas aufgrund meines ganz engen Zeitplans streichen muss, lass ich’s sein.

In der Kuestenstadt Mui Ne halten wir in einem Strand-Restaurant direkt neben dem oertlichen Sinhcafe-Buero zum Mittagessen. Um uns herum bereits stehende “Resorts” aller Art und Bungalows, auffaellig neu, und viele noch entstehende. Sieht so Vietnams Zukunft aus? Aus Saigon wird Bangkok II und an der Kueste ist ein Club-Urlaub zwei Wochen Mui Ne oder Nha Trang “all inclusive” moeglich? Laeuft es darauf hinaus? Wer viel Geld ausgeben will, der kann das heute schon. Luxushotels mit dreistelligen Dollar-Preisen pro Nacht gibt es ueberall, nicht nur mit dem Sheraton in Saigon. Und auf fast jeder Speisekarte in den Touri-Regionen stehen auch Burger, Spagetti, Pommes, Steaks, oft auch Pizza. Es wirkt manchmal, als wuerde der Westen Vietnam doch erobern. Mit 30 Jahren Verspaetung.

Mit einer Ladung “Luc Lac” im Bauch geht es auf den Rest der Reise. Wie lang dauert das denn noch??? Mein Ruecken schmerzt mittlerweile, von meinem Oberschenkel ganz zu schweigen. Es werden wohl zehn statt acht Stunden, verraet der Fahrer. Und das fuer 450 Kilometer. Rechnet den Stundenschnitt aus und ihr wisst, ueber welche Qualitaet Vietnams Strassen verfuegen.

Und jetzt kommt wieder eine Instrumentalphase in diesem Text. Leise Musik, Balladen am besten, im Hintergrund, und am Strassenrand vietnamesische Farmer mit Familien in ihren aus allen Materialien zusammengezimmerten kleinsten Haeusern. Sie muehen sich auf dem Feld oder liegen entspannt in ihrer Haengematte. Autos sehe ich nirgendwo, hoechstens mal Mofas. Und die naechsten groesseren Stedte sind weit weg. Ich versuche, mich ins Leben der Leute hier hineinzuversetzen. Und schaff’s nicht. Zuweilen muss der Bus scharf abbremsen, um keine Kuh, die mitten auf der Strasse hockt, volles Rohr mitzunehmen. Schafsherden grasen, Wasserbueffel erst recht, dann wieder der freie Blick aufs Meer. Leere Straende und leere Strassen. In dieser Ecke fahren wohl nur Lkw und Touribusse ueber die N1. Zwischendurch tauchen auch Friedhoefe am Strassenrand auf. Entweder Massen-Friedhoefe in Reih und Glied oder eine wild zusammengestellte und in die Landschaft gesetzte, nicht abgezauente Grab-Ansammlung.

Nach zehn Stunden steige ich aus dem Bus, mitten in der Travellerstrasse Nha Trangs, und mein ganzer Koerper knackt. Mein im Know-How ausgesuchtes Wunschhotel “SeaView” hat tatsaechlich fuer 14 Dollar noch ein Zimmer frei. Das hat zwar leider keinen Meer-, sondern einen Innenhof-Pool-Blick, aber bei der Groesse des Zimmers, das eigentlich fuer zwei Personen gedacht ist, macht das ganz und gar nichts. Es ist wirklich so: In einem Hotel-Vergleich mit Vietnam (Preise und Qualitaet) wuerde Bangkoks Khao San Road eine bitterboese Niederlage erleben.

Ich schmeisse meinen Rucksack auf eins der Betten und stuerze mich ins Nha Trang’sche Leben rund ums Hotel, rund ums Traveller-Zentrum (ein Zentrum fuer reichere Touris gibts direkt an der Strandpromenade natuerlich auch). Eine halbe Stunde lang schaue ich am Strand einem Beachvolleyball-Spiel Fuenf gegen Fuenf zu. In jedem Team stehen zwei Europaeer, und die sind – das Vorurteil wird krass bestaetigt – alle einen Kopf groesser als ihre vietnamesischen Mitspieler.

Direkt am Strand (Silke, aufgepasst!) steht eine Tauchschule neben der naechsten. Das muss wohl prima sein hier. Ein Internet-Cafe mit DSL finde ich auch sofort. Direkt neben meinem Hotel liegt das “Cafe des amis”, in das ich mit der namenlosen Deutschen verschwinde. Sie hat mich im Internet-Cafe erkannt, weil ich “Spiegel Online” gelesen habe. Sie kann nach 14 Tagen Reise in Vietnam (sie ist vier Wochen hier) nicht viel mit dem Land anfangen. Sie findet es zu laut, sie sei sprachlich zu isoliert, und in wichtigen Momenten ihrer Reise (auf Phu Quoc regnete es nur) hatte sie sehr, sehr viel Pech. Sie warte noch auf die Hoehepunkte, sagt sie, und fuehle sich mitten in einem grossen Reiseloch. Klingt sehr deprimiert. Sie war wohl mal drei Monate in Suedamerika und die seien wie im Flug vergangen. Ja, bis jetzt, bis zum elften Tag, stand das Reiseglueck wohl auf meiner Seite, vom Abend in Can Tho mal abgesehen.

Nach einer Stunde Quatschen verschwindet sie. In Hoi An sind wir wohl wieder parallel, haben wir herausgefunden, und treffen uns vielleicht nochmal. Meinen deutschsprachigen Tag komplettiere ich mit den Nachrichten der Deutschen Welle (hab TV auf meinem 14-Dollar-Zimmer) und einem Telefonat mit Tina und Helmut. Heute war mir danach, mal wieder mit Muelheimer Freunden zu telefonieren. Ausserdem musste ich Helmut auch mal muendlich meinen Dank mitteilen, dafuer, dass er die Homepage regelmaessig aktualisiert.

Jetzt zaehlt fuer mich nur noch die Stille, die ich im SeaView auch gluecklicherweise habe. Morgen kann ich ausschlafen und mich an den Strand legen, zum einzigen Mal in diesem Urlaub. Am Geburtstag meiner Mama werde ich dann mit einem Fruchtshake auf sie anstossen.

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12. Tag
 
Samstag, 30. Juli 2005
 
Nha Trang
 
On the beach
 
Heute hat meine Mama Geburtstag! Wollte das nur mal zu Beginn loswerden, damit das in diesem Tagebuch nicht zu kurz kommt. Waehrend sie gegen Mittag in Muelheim sass, waehlte ich zeitgleich gegen 20 Uhr Ortszeit Nha Trang die Muelheimer Nummer, um zu gratulieren. Verschwitzt, durstig und vollgefressen nach meinem Tag am Meer. Dem Tag “on the beach”.

Es ziiiieht sich etwas in der Mitte der Reise, hat die Dame gestern Abend gesagt. Und ja, doch, ich kann es etwas nachvollziehen. Den Wecker habe ich an meinem Strandtag demonstrativ auf 9 Uhr gestellt (spaet fuer diesen Urlaub), um dann kraeftig auf ihn draufschlagen zu koennen und bis 10 Uhr weiterzuknacken. Gestern Abend lief die Durchschnittskomoedie “Jonny English” auf dem Filmkanal hier, mit “Mr Bean” Rowan Atkinson in der Hauptrolle. Dabei bin ich ganz in Ruhe mit den Armen hinter meinem Kopf verschraenkt eingeschlummert. Als ich dann gegen 1 Uhr wach wurde, weil meine Haende fast abgestorben waren, hatte Jonny English England gerettet.

26 Tage, sinniere ich morgens, die Arme wieder hinter den Kopf verschraenkt, in der Wachwerdphase, die in den letzten vier Tagen zehn Sekunden und heute ne halbe Stunde dauert, 26 Tage allein sind doch ein starkes Stueck. Wenn ich ueberlege, dass dies schon mein zwoelfter Tag ist und doch erst morgen ueberhaupt die Mitte des Urlaubs erreiche… nee, so lange werd ich wohl nicht mehr solo auf Reisen gehen. Nicht, dass es mir schlecht ginge oder dass ich gar Heimweh haette, ganz im Gegenteil: Gesundheitlich ist alles im gruenen Bereich und organisatorisch sogar bestens. Wahrscheinlich ist es nur die Laune am Beginn eines ganz ruhigen, traegen, vermutlich langweiligen Tages, der so gar nicht ins Konzept eines Abenteuerurlaubs passen will.

Nun gut, nach einer ausgiebigsten Dusche setze ich mich um 11.20 Uhr ins “Cafe des amis”, um in Ruhe und ausfuehrlich zu fruehstuecken. Heute, Andi, laesst du’s dir richtig gut gehen. Eine Stunde und zwei Fruchtshakes sowie zwei Pancakes spaeter gehe ich die paar Meter zum Strand, pflanze mich auf eine Bank und hoere die einzigen Lieder, die zu diesen Momenten zu passen scheinen: Morcheebas “Way beyond” und “Aqualang” sowie Bright Eyes’ “Land-locked blues”, “At the bottom of everything”, ach, sowieso ohnehin alles von der letzten Bright-Eyes-CD. “So jung und schon so traurig”, sagte Thees Uhlmann von Tomte bei “Rock am Ring 2005” ueber Bright-Eyes-Saenger Conor Oberst. Vielleicht habe ich deshalb heute diese Durchhaenger-Laune. Traurigkeit?

Ich habe beschlossen, an der Strandpromenade einen knapp dreikilometrigen Rundgang zu absolvieren, mit Sitzpausen, Trinkpausen, Musikpausen. Und so mach ich’s, zumal es ohnehin eher bewoelkt ist als sonnig und ich mir die Kilo an Sonnencreme, die jetzt auf meiner Haut schwimmen, auch haette sparen koennen. Gut, bewoelkt ja, aber die Temperatur betraegt trotzdem 33 Grad. Oh je, das wird wieder eine verschwitzte Angelegenheit heute. Der Strand hat keine Klimaanlage…

Nha Trang also… eine kleine Expedition in die Stadtgeschichte ist heute unnoetig und zu sehen gibt’s auch nur wenig. Ausser den Baustellen fuer weitere mehrstoeckige Hotelbettenbunker vielleicht. Gestern dachte ich noch, Thommys “Mallorca”-Bemerkung im Baedeker sei spoettisch gewesen. Heute weiss ich: Recht hat er. Viele Touris konnten wohl gar nicht genug von der Sonne bekommen und sind fast schon mehr als rot und damit besonders bescheuert. Ich kann mir nicht helfen und vielleicht will ich’s auch nur so sehen, aber die westlichen Touris tauchen im Strassenbild Nha Trangs deutlich haeufiger auf als zum Beispiel im Delta oder Saigon.

Ich spaziere und sitze, spaziere und sitze, hey, alleine am Strand zu sein, macht definitiv keinen Spass. Keiner da zum Fussball zocken und mittags ist das Beachvolleyball auch noch unbesetzt. Die Vietnamesen kommen erst am spaeten Nachmittag zum Strand, habe ich mir sagen lassen.

“NO!” ist mein Lieblingswort an diesem Tag. Seit meiner Ankunft in Bangkok habe ich besonnen, aber widerwillig geduldet, alle paar Meter bloed von der Seite angelabert zu werden; von Mofataxifahrern, von Strassenverkaeufern, die Feuerzeuge, Postkarten, Zigaretten, Buecher, Zeitungen und jede Art von Essen feilbieten. Doch heute geht mir das so auf den Zwirn, dass ich am liebsten alle umwimmsen wuerde. Inzwischen bin ich so arrogant, einmal “NO!” zu sagen und bei der Doppelnachfrage “Wait! Wait!” und “Why?” einfach nur abzuwinken. Nach den ersten zwei Mofabike-Anfragen und den ersten zwei Verkaeuferinnen nehme ich mir vor, aus Spass eine Strichliste zu fuehren. Und auf dem Weg zu meinem Wendepunkt werde ich auf den anderthalb Kilometern weitere 36 (!) Mal angesprochen. 36! Aaaaaaahhh!!! LASST MICH IN RUHE! ICH HAB MEINEN RELAXDAY! ICH WILL BRIGHT EYES HOEREN!, moechte ich ihnen am liebsten entgegen bruellen. Und behalte doch meine Nerven.

In einem kleinen Restaurant am Strand lasse ich mich nieder, um etwas Chicken-Mc-Nuggets-Maessiges, nur auf Vietnamesisch, auf die Hand zu bestellen. Und zum ersten Mal werde ich schlecht behandelt. Es dauert 30 Minuten, bis das Essen kommt, andere Gaeste werden deutlich frueher bedient, die Kellner sind sehr unfreundlich und das Essen schmeckt nicht einmal. Wenigstens bekomme ich am Nachbartisch ein echt vietnamesisches Essen mit, witzigerweise ist ein deutsches Paar dabei und ueberhaupt sprechen alle Deutsch. Womoeglich eine Familie mit Verstaerkung auf Heimatbesuch. Doch warum ausgerechnet in Nha Trang?? Jeder der acht Personen bestellt etwas Anderes und waehrend des Essens wird wild getauscht. Irre sieht das aus. Ich stopfe meinen Frass gelangweilt in mich rein. Ist das die “Laeeeeenge” des Urlaubs, die ich im letzten Jahr in den USA vermisst habe? Ich warte und warte auf den mittlersten Tag, das ist immer so etwas wie ein Zwischenziel fuer mich, aber die Mitte kommt erst morgen. Morgen, am Sonntag, am letzten Tag im Juli.

Aeusserst uebellaunig erreiche ich – nach ungezaehlten Versuchen von Leuten, mich auf der Strasse zu was-weiss-ich-was-zu-ueberreden (hab einfach die Musik lauter gestellt) – das Sinhcafe-Buero, um die naechste Busfahrt morgen frueh nach Hoi An zu buchen. Und dann folgt der naechste Schock. Morgen frueh faehrt mangels Interesse gar kein Bus. Also muss ich den morgigen Tag wieder in Nha Trang verbringen – super, das wird ja ein trostloses Bergfest – um dann um 19 Uhr den Nachtbus nach Hoi An zu nehmen. Das wollte ich unbedingt vermeiden. Zur Besichtigung der Stadt habe ich dann genau einen halben Tag, vermutlich voellig uebermuedet. Dass in meinem Online-Gaestebuch wieder ein sehr seltsamer Eintrag ist – wenn keine positiven drinstehen, stoert mich das doch irgendwie mehr als ich dachte – gibt mir den Rest.

Um 17 Uhr lasse ich mir von der Rezeption den Schluessel fuer Zimmer 209 aushaendigen und schmeisse mich deprimiert aufs Bett. Ich zappe erstmals in den zwoelf Tagen im Fernsehprogramm und kann sogar CNN gucken. In Bangkok spielte gestern Thailand gegen Real Madrid, erfahre ich. Ich bleibe haengen bei irgendeinem Sportkanal und benutze das Snooker-Spiel zwischen Jong Kim und Mohammed Saleh bei der Asien-Meisterschaft ebenfalls in Bangkok, um mich zu beruhigen. Waehrend dieser Stunde raeume ich – laestige Travelleraufgabe in der Mitte eines laengeren Urlaubs – meinen Rucksack komplett um. Dreckige, saubere Waesche, das flog zuletzt ein wenig durcheinander. Um den Tag halbwegs zu retten, beschliesse ich, mir heute auf Mama den Bauch vollzuschlagen. Auf der Travellerstrasse, also unweit meines Hotels, gibt es ein italienisches Restaurant namens “Good morning Vietnam”, das aufgrund des Namens meinen Zuschlag erhaelt. Ich verschlinge heute mal ganz tourilike eine echt gute Riesenpizza und anschliessend im “Cafe des amis” noch einen Pancake als Dessert.

Im Cafe sitze ich auch jetzt noch, um kurz vor zehn. Dieses Frustessen hat diesen Tag gerade noch gerettet. Hier in Nha Trang erinnert wirklich kaum etwas an Vietnam. Ob du irgendwo am Mittelmeer bist oder hier, das macht keinen Unterschied. Um mit den Glasbodenboot zu fahren oder um zu schnorcheln, dafuer muss ich nicht nach Vietnam fliegen. Gut, es gibt mehr Mofas, es ist alles superbillig und die Waehrung heisst Dong, aber das ist es auch schon.

Morgen erreiche ich dann nach langem, momentan zaehem Marsch den Gipfel meines Reisebergs. Erfahrungsgemaess vergeht der zweite Urlaubsteil wie im Flug. Aber bis 19 Uhr muss ich morgen leider noch hier die Zeit verbringen. Alone on the beach. Im Mallorca Vietnms.

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13. Tag
 
Sonntag, 31. Juli 2005
 
Nha Trang -> Hoi An
 
On the road again
 
Gefunden im Internet!

Was ist ein Keks unterm Baum?

Ein schattiges Plaetzchen!

***

Meine offenen Haare flattern im Wind, ich sitze unter Palmen, hab ne Sonnenbrille auf, weil ich sie brauch. Das klingt ganz schoen luxurioes und abgehoben, ich gebe es zu. Ist es vielleicht auch, waehrend ihr gerade in Deutschland eurem Alltag nachgehen muesst und lieber mit offenen Haaren am suedchinesischen Meer sitzen wuerdet. Und doch will mich der Anblick des mittaeglich noch leeren Strandes nicht begeistern. Trotz des Windes, der Sonnenbrille und des eiskalten Getraenks in meiner Hand. Heute habe ich mich fuer die Dresden-Dolls-CD entschieden, eine Band aus Boston, zur Erinnerung an das gefuehlt intensivste und verrueckteste Konzert 2005 im Koeln-Deutzer “Gebaeude 9”, das meine grosse, grosse Enttaeuschung nach dem 0:2 des VfL gegen Schalke 04 nach wenigen Sekunden eliminierte. Fast ein Wunder war das…

HEY, Andi, jubel doch mal! Du hast es geschafft! Die Mitte des Urlaubs! Okay, die Passage, der Satz erinnert doch sehr an “Die Mitte des Films” aus Monty Pythons grossartigem Film “Der Sinn des Lebens”, okay, mal sind wir Helden und mal Diebe… JAAAAAAAA, geschafft!! Und was mach ich? Ich schliesse nur meine Augen, einerseits, um die Verkaeufer abzuwimmeln, ohne ueberhaupt “NO!” sagen zu muessen. Und um die Gedanken an die Horror-Nachtfahrt nach Hoi An, die ab 19 Uhr auf mich wartet, zu verdraengen. Und weil’s einfach gut tut natuerlich. Auch in Nha Trang.

Der einzige Vorteil des Busses, der sich nur im Stockfinstern fortbewegt, ist, dass ich das Ausschlafen in Nha Trang wiederentdecken darf, wenigstens fuer zwei Tage in Folge. Bei der morgendlichen Variante haette mein Wecker um 6.30 Uhr geklingelt. Nach dem Wachwerden konzentrierten sich meine Gedanken deshalb wieder auf Snooker auf dem Sportkanal – und so langsam verstehe ich das Spiel sogar. Oh je, ich darf nicht an meine letzten eigenen Auftritte am gruenen Tisch denken. Uebles Desaster, sagt man dazu wohl nur.

Vor mir praeparieren gerade jeweils zwei Persoenchen mittags um 13 Uhr die Beachvolleyballfelder. Hae? Wieso das denn? Das geht? Wusste ich bisher auch nicht. Der eine faehrt mit einer Harke ueber den Sand und fegt dann alles schoen glatt, und der andere waessert den Sand mit einem ganz normalen Gartenschlauch. Und ich hocke mit der Sonnenbrille, dem eiskalten Getraenk blabla daneben. Waessert? Stimmt, heute hilft die Natur nicht wirklich nach. Einmal kurz gab’s heute morgen einen Schauer, und damit auch an meinem 13. Urlaubstag Regen. Aber zum Waessern reichte das eben nicht.

“Good day” von den Dresden Dolls erklaere ich heute zu meinem Lieblingssong, und waehrend eine Fliege auf meinem linken Arm Platz nimmt und es sich dort gemuetlich macht, denke ich an Malaria. Was haaaabe ich mir vorher bloss fuer Gedanken gemacht?!? Medikamente ja – oder Medikamente nein!? Ich entschied mich fuer Nein. Und wenn’s mich deshalb erwischt hat, beginnen genau in einer Woche (so lang ist die Inkubationszeit) die Tage der Wahrheit. Denn aus den hochgefaehrdetsten Regionen bin ich entweder raus (Mekong-Delta) oder war gar nicht erst drin (Hochgebirge rund um Da Lat).

Nha Trang ist nicht nur ein europaeisches Reiseziel (Franzoesisch hoere ich auffaellig oft, kann aber auch nur ein Wahrnehmungsfehler sein), sondern auch ein vietnamesisches. Vor allem an diesem Sonntag faellt mir das auf. Mofafahrer stellen sich an allen Ecken kurz vor den Strand, beobachten das Geschehen, andere stuerzen sich ins Wasser. Also nicht die Mofas, sondern die Fahrer, ohne Mofas. Und ich sitz mit Sonnenbrille und Kaltgetraenk in gebuehrendem Abstand, halte meine Fuesse in den Sand und schlag die Zeit bis zur Busabfahrt um 19 Uhr tot.

Dafuer ist Nha Trang aber leider nicht wirklich gut geeignet. Ich ueberlege mir, ob ich mir Vorwuerfe machen muss, nicht genug aus der Stadt herausgeholt zu haben. Es gibt hier in der Naehe wohl jahrhundertealte Tuerme, die sogar zwei Sternchen vom Baedeker erhalten haben. Aber deshalb zwei oder zweieinhalb Kilometer laufen? Oder gar auf einen dieser dreisten Mofataxifahrer eingehen? No way!! Der uebliche Markt ist auch ziemlich weit von meinem Hotel weg und heute kein Thema mehr. Und das Strandprogramm liegt direkt vor meiner Nase. Na gut, abends soll hier die Post abgehen, in den ganzen Discos. Aber die geht am Ballermann ja auch ab. Um 14.15 Uhr taucht etwas schiedsrichterartiges in Weiss vor mir auf. Haeeee??? Ist heute irgendeine Nha-Trang-Beach-Meisterschaft??

In meinem Magen lagert noch das Crepe (also der Pancake) aus meinem Fruehstueck um zwoelf im total schnuckeligen “Nha Trang Quan” – sehr weiterzuempfehlen uebrigens auch die tollen Fruchtshakes (wer jemals in Nha Trang sein sollte: Biet Thu 8B, direkt in der Travellerstrasse). Vor mir tauchen Verkaeufer wieder in regelmaessiger Folge auf. Heute bin ich etwas freundlicher gestimmt, aber sie sind es auch. Einer versucht es mit der “You look like my friend”-Masche, haette aber nicht mit dem schmissigen Einwurf eines vorbeilaufenden Touri-Passanten gerechnet, der nur anmerkt, er wuerde es auch bei jedem mit dem gleichen Trick versuchen. Da war er ganz, ganz schnell wieder weg, hihi. Ich bin ueberrascht, wie gut die Kinder im Grundschulalter, die meistens Postkarten in der Hand haben, schon der englischen Sprache maechtig sind. Hut ab! Die Kenntnisse gehen weit ueber das Wort “postcard” hinaus. Das Postkartensystem in Nha Trang ist uebrigens mafiaartig. Nirgendwo, in keinem Souvenirshop, habe ich welche gesehen. Will also jemand schriftliche Gruesse verschicken, muss er sich schon an die Strassenverkaeufer wenden. Ein Kind erklaert mir, dass die Aussprache "Njae Traeng” korrekt ist und nicht etwa “NA TRANGGG”, wie wir Deutsche wahrscheinlich vermuten wuerden.

Auf den beiden Beachvolleyballfeldern finden tatsaechlich richtige Turniere mit Schieds- und Linienrichtern statt. Sensationell! Waehrend das bei den Frauen sehr, sehr hilflos aussieht und ueber das Schema Aufschlag/Ball holen nicht hinausgeht, bringen die Herren echt ansehnliche Ballwechsel zustande. Ich sehe zwischen den ganzen Mofas und Zuschauern fast wie ein europaeischer Talentscout aus.

Mein Urlaub hat drei Teile. Wie Vietnam. Vietnam – drei Teile? Nicht nur Nord und Sued? Nee, das Zentrum hat nicht nur ein eigenes Klima, sondern auch die Kueste, die Berge. Und ist deshalb als durchaus eigenstaendig zu bezeichnen. Nehme ich die Fluege raus, hat mein Urlaub netto drei Wochen. Die tragen die Titel “Bangkok, Grossstadt und Naturwunder I”, “Busfahrten” und “Grossstadt, Naturwunder und Bangkok II”. Sagte ich schon einmal, wie langwierig ich die Busfahrten-Woche finde???

Im Internet-Cafe und in den umliegenden Kneipen lasse ich den Tag Tag sein, den Nachmittag Nachmittag, die Beachvolleyballer Beachvolleyballer und das Unterbewusstsein unten. Tierisch freue ich mich ueber die Mail von Filmemacher Thomas Durchschlag, dessen Werk “Allein” sogar in den Tagesthemen erwaehnt wurde. Aus Vietnam kann ich nur eins empfehlen, fast sogar befehlen: REINGEHEN!!! Gedanken bei einem Eiskaffee. Ist meine Homepage aber wirklich krank und/oder uebertrieben? Es gab drei kritische Stimmen in dreieinhalb Jahren – so what! Und doch… Aber ist auch egal, um 18 Uhr nehme ich Abschied von meinem nicht geliebten Strand, von meinem allerdings sehr ordentlichen Hotel und stelle enttaeuscht fest, dass die Beachvolleyballfelder nur ein voruebergehendes Vergnuegen waren und scheinbar eigens fuer das Turnier herangeschafft wurden. Und das war noch das einzige, was den Strand einigermassen sympathisch gemacht hatte.

Als endlich ‘ne Stunde spaeter der Bus vor dem Sinhcafe-Buero vorfaehrt, sinke ich kuntzsaegend zu Boden. Jepp!! Zeit? Tot!! Leider habe ich nicht den versprochenen Fensterplatz bekommen, sondern nur einen im Gang (bei Nachtfahrten werden vorher feste Sitze zugeteilt, im Bus wollte keiner mit mir tauschen, haette ich aber auch nicht gewollt). Leider koennen alle ihre Sitze in Liegeposition zurueckdrehen – nur ich nicht. Erst wollte ich diese Nachtfahrt gar nicht, und dann das! NEEEEEINNN!!! Das Leben ist manchmal echt gemein. Stellt Euch vor, Ihr muesstest im 124-er elf Stunden ueber Nacht verbringen. Viel Spass!!

Als wir losfahren, ist es schon stockfinster und nicht nur aufgrund der Enge kriege ich kein Auge zu. Auch nachts steuern die Fahrer ihre Busse wie Vollidioten und mehr als einmal sehe ich mein Leben an einer vietnamesischen Steilkueste als beendet an. Interessant ist lediglich, was sich nachts am Strassenrand abspielt. Alle 150 Meter ist auch weit ausserhalb der Staedte ein Mofa mit einem knutschenden Paerchen zu sehen. Im Hellen sind Zaertlichkeiten in Vietnam verpoent, das ist mir schon aufgefallen. Deshalb sind Mofafahrten zu zweit auch nicht ganz unbeliebt. Da kann man sich zwangslaeufig naeherkommen. Aber im Dunkeln…

Nach der zweiten Pinkelpause gegen 23 Uhr werde ich nun versuchen, fuer die letzten sieben Stunden dieser 500 Kilometer langen Hoellenfahrt die Augen zu schliessen und die schoensten Lieder, die meine CD-Box bietet, fuer dieses Ziel missbrauchen. Jetzt ist’s mir klar. Andi, es ist Urlaubs-Halbzeit. Ab sofort geht’s dem Ende entgegen. Jetzt stellt der Trainer sein Team noch einmal neu ein. Moegen auch die zweiten 13 Tage so viele Erlebnisse, Erfahrungen und Leute bringen.

***

By the way: Der Keks-Witz ist doch echt gut, oder?

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14. Tag
 
Montag, 1. August 2005
 
Hoi An
 
Somewhere over the rainbow
 
Nanu, was ist das denn? Wenn ich richtig hinsehe, ganz genau, brauche fast schon eine Lupe dafuer, dann hat Thommy auch ueber den Baedeker-Stadtplan von Hoi An etwas gekritzelt. Nein, nicht wieder Mallorca. Oder etwa Teneriffa oder ein sonstiger Insel-am-Meer-und-Sonne-Kram. Nein. Bernkastel-Kues steht da.

Und? Stehen sie schon da? Stehen sie? Und wo sind wir ueberhaupt? Und wann? Ich reisse meine Augen auf, hell ist’s schon, und mich rum viele Leute. Ach so, immer noch im Bus, stimmt, ist ja Nachtfahrt. Mein linker und mein rechter Daumen sind noch am richtigen Platz. Und jetzt weiss ich’s. Ob nachts um halb eins oder morgens um sechs, wenn jeder normale Mensch entweder noch schlaeft, gerade wach wird oder zumindest sich noch muede die Augen reibt. Diese verdammten Mofataxifahrer und Komm-in-mein-Hotel-Reinholer passen aber auch jeden Touribus ab. Wir muessen also am Sinhcafe-Buero in Hoi An angekommen sein, endlich. Denn schon zweimal wurden meine Bus-Mitfahrer und ich aeusserst unsanft aus dem Schlaf gerissen, um halb sechs und eine Viertelstunde spaeter. Allerdings betraten nur die Vertreter von zwei Sinhcafe-Partnerhotels unser fahrendes Schlafzimmer, um Werbeflyer zu verteilen! Muffelmuffelmuffel…

Die letzten sechs Stunden im fahrenden Kaefig habe ich mehr oder weniger mit geschlossenen Augen verbracht. Ja, ein paar Minuten war ich wohl sogar im Tiefschlaf, glaube ich, nein, weiss ich sogar. Denn meine eigens fuer die Nachtfahrt erworbene 1,5-Liter-Wasserflasche klemmte nicht mehr zwischen meinen Beinen, sondern lag drei Meter weiter vorn im Mittelgang. Und wie sie dahin kam, weiss ich nicht mehr. Und die Kopfhoerer von meinem Discman sind auch hinueber. Ich hab sie plattgesessen, keine Ahnung, wie sie unter meinen Arsch gekommen sind. Zum Glueck habe ich Ersatz-Kopfhoerer mit. Man kann ja nie wissen…

Es ist hell, nach 530 Kilometern sind wir mitten in Hoi An, ich verlasse den Bus mit schwarzen Augenringen – ich seh’s nicht im Spiegel, aber ich weiss es. Mit meinen drei Taschen stehe ich etwas verloren auf dem fast (aber nur fast) verlassenen Buergersteig vor dem Sinhcafe-Buero und bin fast sogar zu geschafft, um den zahlreichen Anfragern einen grimmigen und muffeligen Blick zu entgegen. Ich glaube, dass Alleinreisende fuer jede Art des Verkaufes hier in Vietnam Freiwild sind. Um mich macht keiner einen Bogen. Sehe ich so hilfsbeduerftig aus??

Mit letzter Kraft schlappe ich mich zu meinem vorher im “Reise Know-How” angekreuzten Wunschhotel und hoffe, dass ich auch morgens um kurz vor sieben schon einchecken darf. Und tatsaechlich: Es gibt ein 15-Dollar-Doppelzimmer fuer mich allein. Der Komfort dieser Low-Budget-Hotels haut mich jedes Mal wieder um; wieder Air-Condition und Sat-TV. Dafuer geht mein Blick durchs zwar vorhandene Fenster auf eine rote Ziegelstein-Wand. Das ist der bisherige Nachteil der Billigzimmer: Nicht ein einziges Mal hatte ich irgendeine Art von Aussicht. Aber wenn’s nur das ist… In voller Montur, mit Jeans, Shirt und allem, falle ich aufs Bett. Als ich aufwache, ist es 11 Uhr.

Hoi An, lese ich nach der erfrischenden kalten Dusche, ist gar nicht wirklich in der Mitte Vietnams, wie ich Euch hier eigentlich erzaehlen wollte. “790 Kilometer suedlich von Hanoi” steht im Baedeker. Nicht mehr “noerdlich von Saigon”, wie noch bei Nha Trang. Ich komme meinem Ziel naeher und naeher. Es ist seltsam. Ich blaettere und blaettere und frage mich, was an Hoi An so besonders ist. Warum wirklich alle Open-Tours-Anbieter hier halten, in deinem 60.000-Einwohner-Staedtchen, das zum letzten Mal im 19. Jahrhundert irgendeine Bedeutung hatte!? Der “Know-How” widmet gerade einmal fuenfeinhalb Seiten den Sehenswuerdigkeiten der Stadt, dafuer aber zwoelf dem Stadtplan, Fotos, Hotels, Anschriften und der Umgebung. Im Baedeker ist es aehnlich. Direkt nebenan liegt Da Nang, eigentlich die viel interessantere Stadt. Die viertgroesste Vietnams immerhin, mit 650.000 Einwohnern, Drehscheibe der Industrie zwischen Hanoi und Saigon, wichtiger Hafen, dritter internationaler Flughafen-Standort. Eine Boom-Stadt mit interessanter und vermarktbarer Kriegsgeschichte, denn in Hoi An liegt die China Beach, an der die Amis landeten. Da Nang: Jedes amerikanische Schulkind kennt diesen Ort. Doch Da Nang ist fuer die Open-Tours-Anbieter nur ein Ausflugsziel von Hoi An aus. Ich putze mir die Zaehne, vergesse die Buerste fast beim Lesen.

Nachdem ich an der Hotel-Rezeption von “Vinh Hung 3” den Schluessel fuer Zimmer 027 gelassen habe, stuerze ich mich – naja, nicht mit Vollgas, sondern eher im Tempo eines konditionsschwachen Mittelstuermers – ins Leben. Und stelle zur besten Zeit, am Montagmittag um 12 Uhr, fest: Hoi An ist genauso verschlafen wie ich! Vielleicht meinte Thommy das mit Bernkastel-Kues: Ruhig. Verschlafen.

Schon nach wenigen Minuten erreiche ich das Zentrum, in der Hand stets einen der Reisefuehrer, immer lesend und dabei blinzelnd, denn die Sonne scheint wirklich knallermaessig heute. Keine Wolke am Himmel. Und ich habe das Eincremen vergessen, nach den Bewoelkungsflops der letzten Tage. Mist. Auf meiner Linken sammeln sich Geschaefte. Gut, eigentlich fuer jeden Ort der Welt nicht ungewoehnlich. Aber die Haeufung (heisst das nicht Monostruktur oder so aehnlich?) macht Hoi An besonders. Es sind ausschliesslich Schneidereien in der Verlaengerung der Hotelmeile. Eine reiht sich neben die andere. Bestimmt 500 Meter lang. Ueberall Kleider, Hosen, Anzuege. Ueberall die Angebot, sich etwas auf den Leib schneidern zu lassen. Die Hotel-und-Klamotten-Strasse stoesst auf die “Tran Phu”, die auf einem Kilometer fast alle fuenfeinhalb Know-How-Seiten verbindet. Ich beginne mit meinem Spaziergang an der Japanischen Bruecke, die von 1593 bis 1595 als Verbindung zwischen dem japanischen und chinesischen Viertel errichtet wurde. Denn ja, in der Vergangenheit hatte Hoi An wohl mal etwas seemetropolenartiges. Aber das liegt weit, weit, weit zurueck. Ich schlurfe ueber die Tran Phu und merke so allmaehlich, was in den Travellern, Urlaubern, Reisenden aus aller Welt im letzten Jahrzehnt das Hoi-An-Gefuehl und damit einen Touristenboom ausloeste. Es ist so still hier. Ungewoehnlich still fuer eine vietnamesische Kleinstadt. Autos sind hier im Zentrum verboten, durch die Gaesschen wuerden sie auch gar nicht passen. Und nur die mutigsten Mofafahrer trauen sich hinein. Es ist moeglich in komplette Gelassenheit zu schlendern. Hier, auf der Tran Phu, dessen alte Gebaeude der Stadt einen Eintrag auf der “UNESCO-Weltkulturerbe”-Liste brachten. Es sind “alte Haeuser”, doch diese zwei Worte sind unzureichend und fast sogar eine Beleidigung. Genau hier rasten damals, daaaaaamals, chinesische, portugiesische, ach Seefahrer aller Nationen durch die Gassen, stuermten oder besuchten zum Beispiel das alte, und dementsprechend kunstvolle Quang-Thang-Haus, das Phung-Hung-Haus, die Kapelle der Tran-Familie, weitere Versammlungshallen, die sich an der Tran Phu mit Cafes und Shops abwechseln. Abgeschlossen wird das Ganze mit einem vietnamtypischen Dorfmarkt. Alte Frauen, alte Maenner, junge Frauen, junge Maenner feilschen mit Hoi-Annern, mit Touristen um bunteste Fruechte, Gemuese, Stoffe, Postkarten. Treiben lassen. Durchdraengeln.

Der Markt hoert auf an der Uferpromenade, die einen Blick und einen Spaziergang am Thu Bon Fluss ermoeglicht und parallel zur Tran Phu verlaeuft, verbunden eben durch die ganz, ganz engen Gaesschen.

Hier kann ich das sein, was ich in diesem Urlaub schon lange sein wollte: Ein Kaffeehaus-Literat. Ich tummle von Cafe zu Cafe, lasse kaum eines aus, trinke die grosse Auswahl an Fruchtshakes einmal rauf und runter, setze meine Sonnenbrille bei traumhaftem Wetter auf die Nase und beobachte, wie sich Touristen auf dem Fluss im Ruderboot umherfahren lassen. Wie es die Einkaufenden auf den Markt zieht. Wie sich sich mit Tueten in der Hand vom Draengeln erholen, entweder in den Cafes oder auf Baenken direkt am Flussufer. Es ist herrlich und Nha Trang fast vergessen. Vergessen im sommerlichen Glanz Hoi Ans.

Diese Stadt ist das beste Beispiel fuer Vietnams Strukturwandel, notiere ich irgendwann – ach die Uhrzeit habe ich heute voellig vergessen, die spielt aber auch nicht immer eine Rolle – in meinem Notizblock, ganz literaten- und journalistenlike. Vor zehn Jahren vergammelte die unbedeutende, kaputte und dreckige Stadt vor sich hin, dann kam Traveller – und jetzt werden die Einheimischen in neu entstehende Wohnblocks in neuen Vororten abgeschoben, um Platz fuer Hotels, Cafes, Geschaefte zu machen. Dass vor lauter Modernisierung der traditionelle Teil Hoi Ans auf der Strecke bleibt, ist natuerlich eine Gefahr. Sollte die Stadtspitze auf die Idee kommen, die Tran Phu und die Uferpromenade in eine rotgepflasterte Fussgaengerzone zu verwandeln, waere Hoi An wohl nicht mehr von einer Stadt an der Nord- oder Ostseekueste zu unterscheiden.

Wie Nha Trang hat Hoi An nicht wirklich etwas besonders sehenswertes anzubieten, ein besonderes Top-Highlight. Aber es biedert nicht an. Es ist liebenswert. Es macht Freude. Es macht mir Freude. Die Ruhe macht mir Freude. Diese Notiz entsteht im naechsten Cafe, natuerlich, diesmal bei einem Mango-Shake. Vorher war’s Banane. Kokosnuss. Papaya. Ananas. Irgendwas.

Ein halber Tag steht mir fuer Hoi An zur Verfuegung. Auch in der Dammerung sitze ich immer noch in Cafes und schaue begeistert den Spaziergaengern zu. Ja, immer noch. Und das koennte ich noch stundenlang so weitermachen. Fuer Hoi An selbst reicht ein halber Tag voellig aus. Wie die ganzen alten Haeuser auch noch von innen sehen moechte und dazu noch massgeschneidert neu einkleiden lassen will, der sollte auch problemlos einen ganzen Tag hier rumkriegen koennen. Aber auch die Umgebung macht Hoi An interessant. Kaum eine Stadt eignet sich besser fuer Ausfluege mit Motor- oder Fahrraedern, die hier ueberall zur Miete angeboten werden. Der Strand von Hoi An ist vier Kilometer entfernt, die gar nicht einmal uninteressante Tempelstadt My Son dreissig Kilometer. Und der Weg dorthin sei allein schon sehenswert genug, urteilen die Reisefuehrer. Und Marrit und Thommy uebrigens auch. Manche sagen: Wer Hoi An nicht gesehen hat, hat Vietnam nicht gesehen. Ist das typisch vietnamesisches Kleinstadtleben heute und ein bisschen auch damals? Ich weiss es nicht. Wahrscheinlich ist’s schon jetzt ein wenig zu kuenstlich. Das ganze Beiprogramm liesse sich sicherlich auch vom dreissig Kilometer entfernten Da Nang abspulen. Aber was ist an einem Urlaubsabend attraktiver? Eine Uebernachtung im grossen Frankfurt oder im beschaulich-ruhigen Bernkastel-Kues?!? Ich wuerde Bernkastel vorziehen.

Es ist Urlaub, denkt sich Hoi-Andi nach Internet-Cafe und Abendessen gegen 22 Uhr, als ich die Uhr wiederentdecke, und spaziere “Somewhere over the rainbow” pfeifend zurueck ins Hotel. Urlaubsmaessig entspannt. Und gluecklich. Als ich mein Zimmer betrete, denke ich noch einmal an den Sonnenuntergang, den ich am Flussufer fruchtig-frisch, aber leicht schwitzend erlebte. Aber noch nie in diesem Urlaub waren mir 33 Grad und Sonne scheissegaler.

Die Muedigkeit stoert mich schon lange nicht mehr. Hoi An hat mich gerettet. Das verstehe ich unter Entspannung. Das ist Relaxen und wirklich an NICHTS denken. An GAR NICHTS! Das ist eine weitere Facette, das naechste Gesicht Vietnams, eins, das krass zu dem Saigons differiert. Und ich glaube nicht, dass dieses Gesicht erst mit den Touristen gekommen ist.

Doch morgen muss ich wieder abreisen. In meinem engen Reiseplan steht dann Hue ganz oben. Eins ist sicher: Hoi An, dieses langweilige, verschlafene Bernkastel Vietnams, bleibt in meinem Urlaubsherzen 2005 weit oben.

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15. Tag 
 
Dienstag, 2. August 2005
 
Hoi An -> Hue
 
Obelix verfolgt mich
 
Es gibt Tage, die wollen und wollen nicht vergehen. Neulich hatte ich so einen, in Nha Trang. Oder in der Schule, ganz frueher, egal in welcher Stufe... ach lassen wir das. Und es gibt Tage, die sind so schnell rum, dass du dich in einer Zeitmaschine waehnst. Nicht mehr Hoi An, Hue steht in den naechsten drei Tagen ueber meiner Ueberschrift. Meine Bluemchen-Bettdecke, ziemlich duenn, waermt meine Beine, so gut es geht, die auf 20 Grad eingestellte Klimaanlage kuehlt meinen Kopf. Vom Balkon meines Zimmers in der vierten Etage ist das schlafende Hue um 23 Uhr in viele, viele Lichter getaucht, zumeist orange. Und ich koennte schwoeren, dass der Moment, als ich den Mango-Shake in Hoi An an der Uferpromenade genoss, dass dieser Moment keine fuenf Minuten vergangen ist. Oh je, dieser Nha-Trang-Flop wird meinen Vietnam-Urlaub auf ewig ein kleines bisschen belasten. Ich haette gar nicht erst aus dem Bus aussteigen duerfen.

Ein kleiner Blick aus dem Busfenster heraus auf den Strand haette voellig ausgereicht. Und direkt mit dem gleichen Bus ueber Nacht nach Hoi An weiterfahren muessen. Dann waere mir viel Langeweile und Sand-Tristesse erspart geblieben. 

Als ich gegen 9 Uhr aufwache, wuerde ich deshalb am liebsten meinen Kopf mit Wucht dreimal gegen die rote Ziegelsteinmauer donnern. Dass ich Kopfschmerzen habe, von ganz alleine, ohne Donnern, ist leicht zu erklaeren. In meinem Traum war ich ein Teil des kleinen gallischen Dorfes und mit Asterix, Obelix und Miraculix auf Roemer-Jagd. Und Obelix hat einmal aus Versehen mich erwischt. Autsch! 

Nach der Dusche und der erneuten, wiederholten, allmaehlich muede machenden Rucksackpackerei stelle ich um kurz nach zehn fest, das Fruehstueck verpasst zu haben. Shit. Aber aus der ersten Etage bis raus vor die Tuer ist es nicht weit und bis zur Cafe-Meile erst recht nicht. Und wie empfaengt mich Hoi An? Mit strahlendstem Sonnenschein!! Fast so schoen wie der Applaus, den Fussballprofis bekommen, wenn sie zum Warmlaufen das Stadion betreten. Hab’s zwar nie erlebt, stelle ich mir aber eben genauso warm vor. Waere Nha Trang nicht gewesen, haette ich hier meinen Aufenthalt verlaengert, haette mir ein Radl ausgeliehen, waere vier Kilometer zum Strand, zum Baden geheizt, haette mir danach die nicht ganz uninteressante Tempelstadt My Son angesehen (ungefaehr 30 Kilometer weg) und waere abends in einem Cafe versackt und haette mir den Sonnenuntergang angeschaut. Meine Augen sind weit offen, waehrend ich mit dem Strohhalm in Bananen-Shake rumruehre und auf irgendwas 

genau gerichtet. Aber meine Gedanken sind gewiss nicht beim Fruehstueck. 

Hoi An ist nicht mehr als eine ganz, ganz kurze Episode meiner Reise mit nur einer einzigen Uebernachtung. Aber eine schoene und vor allem voellig regenfreie. Nun wird im Reisefuehrer beim Buchstaben “H” einfach ein paar Seiten weitergeblaettert. Bis Hue. Hue, eine sehr interessante Stadt, vielleicht sogar die interessanteste Vietnams?? Es geht weitere 135 Kilometer an der Zentralkueste Richtung Norden, dann sind es nur noch knapp 650 bis Hanoi. Hue liegt an der engsten Stelle Vietnams. Zwischen dem Meer und der Grenze zu Laos liegen ganze 40 Kilometer. Saigon ist erst vier Tage, aber schon weit ueber 1000 Kilometer entfernt. Eine Strecke von Berlin bis Muenchen. Und weiter. 

Oh wie gern wuerde ich um 13 Uhr noch im Cafe sitzen bleiben oder mich auf eine Bank am Ufer setzen, um mich relaxend in die Sonne zu flazen. Ein so fantastischer, ja ueberwaeltigender Sommertag ist das. Doch schon in einer halben Stunde ist Treffpunkt an der Bushaltestelle am Sinhcafe-Buero. Und ich muss noch in meinem Hotel mein Gepaeck abholen. Adieu Hoi An. Adieu. Ich verlasse das fuenfte Hotel meines Urlaubs. Drei kommen noch. Dazu noch Bangkok, aber den Schuppen kenne ich ja schon. Auch in dieser Statistik ist die Mitte laengst erreicht. Seit genau zwei Wochen bin ich heute in Asien unterwegs. Die Wie-viele-Tage-schon-und-wie-viele-noch-Statistik steht nicht mehr 13:13, sondern nur noch 15:11. Zaehle ich zu viel? Scheint fast so, glaub auch fast. Aber keine Sorge, es ist nur eine Spielerei. Ich glaube, jeder Sportjournalist kann aus allem eine kleine Statistik ableiten.

Auf den verlassenen Strassen Hoi Ans schleiche ich zum Sinhcafe-Buero, hoere Pink Floyds “High hopes” und Tocotronics “Hi Freaks”. Und denke an Obelix. Auf einmal steht ein bekanntes Gesicht vor mir. Genau, wir hatten ja schon in Nha Trang vorgemerkt, dass wir uns in Hoi An wiedersehen. Es ist die deutsche Dame, die mich vor zwei Tagen im Internet-Cafe ansprach. Gemeinsam warten wir auf den Bus. Ihr Reisepech hat sich fortgesetzt. Zu allem Ueberfluss hat sie auch noch die Klimaanlagen-Grippe heimgesucht (von der ich wohl verschont bleibe), so dass sie den Morgen im Bett verbringen musste. Und das bei dem Wetter. Also dass sie angesichts ihrer Laune noch einmal nach Vietnam zurueckkehrt... ich glaub nicht! 

Im Bus sitzen wir hintereinander. Es ist nicht viel los, jeder hat eine Zweier-Reihe fuer sich allein. “Wunderbarer Bergpass!” hat Thommy (der uebrigens seit drei Tagen in New Yorks Chinatown wohnt. Schoene Gruesse!!) per Bleistift im Baedeker verewigt. Mittlerweile weiss ich, dass die Dame Antje heisst, aus Bremen kommt und als Grundschullehrerin arbeitet. Als Schwerpunkte hat sie Mathe und Musik – und damit kriegt jeder Primarstufenstudent wohl ruck, zuck einen Job. Momentan geniesst sie die Sommerferien – oder auch nicht... 

Wir durchqueren mit dem Bus Da Nang, naja, wir streifen es eher, und dann taucht der beruehmte Wolkenpass der N1 zwischen Hoi An und Hue vor uns auf. Die Digicam ist schon laengst gezueckt, doch HALT, was ist das??? Seit ein paar Wochen ist der Tunnel frei gegeben. Der fuer 300 Millionen Euro entstand und zu den 30 laengsten der Welt gehoert. Fast sieben Kilometer lang ist der und verkuerzt die Fahrtzeit um knapp 45 Minuten (gerade Strecke statt Serpentinen auf einen Berg in vierstelliger Hoehe). Aber der Tunnel beraubt uns eines fantastischen Fotomotivs! Die Vietnamesen im Bus finden den Tunnel aber so beeindruckend, dass sie wie die Bekloppten Fotos schiessen. Es wirkt, als seien sie nur deshalb im Bus mitgefahren. Doch trotz der kleinen Enttaeuschung wird es die schoenste, ruhigste, schnellste und entspannendste Busfahrt. Vorbei an Bergen, Seen, der Kueste, weiten, leeren Straenden. An einem davon pausieren wir zwanzig Minuten lang.

Es ist eine so rauschige Atmosphaere, dass es angebracht ist, “Where is my mind?” von den Pixies auf angemessener Lautstaerke zu drehen und zu geniessen! Tatsaechlich: Statt der angegebenen vier Stunden braucht der Bus nur 3:15 Stunden bis Hue. Es ist 17.15 Uhr, und dennoch glaube ich, der Tag habe gerade erst begonnen und Obelix haette mich erst vor ein paar Sekunden bloed angemacht, weil ich am Zaubertrink nippen durfte und er nicht. Antje und ich haben zufaellig in unseren Vorplanungen fuer Hue dasselbe Hotel angekreuzt. Und zufaellig laeuft uns ein Reinholer von “Binh Minh 2” nach dem Aussteigen ueber den Weg. Zum ersten Mal, dass mir so ein Typ gelegen kommt. Mit einem mehr als ueberfreundlichen Laecheln begruesst uns die Dame an der Rezeption, und der Service ist einzigartig knuffig; sogar das Gepaeck wird uns bis in die vierte Etage getragen, dabei wollten wir das gar nicht. Fuer 12 Dollar pro Nacht erhalte ich ein Zimmer mit Balkon. Yeaaaaah, mit Aussicht!!!! Ich verweile am Gelaender und beobachte, wie der blaue Himmel der Daemmerung weicht. Unter mir tosen die Mofas, in der Sporthalle gegenueber fliegen die Federbaelle beim Badminton und die Fernsicht auf Vietnams Zentralmassiv ist toll. Herrlich!! 

Als Antje, die ein Einzelzimmer direkt nebenan hat, und ich zum Abendessen aufbrechen, merke ich, dass meine Angst vor Vietnam, vor dem Fremden, vor dem anderen Kontinent, komplett weg ist. Vor Mofas und dem Verkehr fuerchte ich mich lange nicht mehr, hoechsten sie vor mir. Das asiatische Leben nehme ich an, auch wenn ich mich an die vietnamesische Kueche nie gewoehnen koennte. Die Freundlichkeit der Leute ist beeindruckender von Tag zu Tag. 

Vielleicht war die Metropole Saigon auch ein zu heftiger Einstieg!?! Ich weiss nur, dass 16 Netto-Tage viel zu wenig sind, um ein 1900 Kilometer langes Land treffend in allen Regionen zu erkunden. Himb muss sich keine Sorgen machen. Schon jetzt habe ich mehr von dem Land in meinem Herzen als Mofas, Chaos und Verkehrsstaus. Und Hanoi und die Ha-Long-Bucht kommen noch... 

Mit einem Mahl am Parfum-Fluss, mit Blick auf die beiden Bruecken, die Hues europaeisch gepraegte Neustadt mitsamt der Hotel-Ecke mit der Altstadt verbinden, beenden wir den Tag. Erstmals klappt bei mir das Essen mit Sticks einigermassen akzeptabel. Morgen gehe ich den Geheimnissen der einstigen Kaiserstadt Vietnams auf die Spur. Heute gehe ich nur noch schlafen. Obwohl ich das Gefuehl habe, ich sei gerade erst aufgestanden. Naja, keine Ahnung, was Obelix da genau fuer Stellen getroffen hat.

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16. Tag
 
Mittwoch, 3. August 2005
 
Hue
 
Paradise City a. D.
 
Einst spazierten also die Kaiser Vietnams hierher. Soso. Das war also eine der sagenumwobenen Verbotenen Staedte Asiens. Aha. Fernab der Realitaet des vietnamesischen Lebens des 19. Jahrhunderts, des Hungers, des Leids. Palaeste standen hier, Schatzkammern, eine Bibliothek, alles wohl sortiert, angeordnet, auf alles geachtet. Prunk, Gold, Prunk, Gold, Prunk, Gold. In meiner CD-Box blaettere ich ein wenig hin und her. Welche habe ich noch nicht gehoert? Ich sitze auf einem Stein, einem bei einem Bombenabwurf mutmasslich von einem Palast abgesplitterten (male ich mir so aus), und druecke auf “Play”, um “Paradise City” von den Guns’n’Roses in meine Birne zu jagen und versetze mich, meine Phantasie, meinen Kopf ins Jahr 1820. Es ist das letzte Herrschaftsjahr des ersten vietnamesischen Kaisers Gia Long. Gemaechlich schreitet er durchs grosse Tor (heute muehsam restauriert), durch die Halle der hoechsten Harmonie (so wie frueher), setzt sich auf seinen Thron (noch da) und bittet aus seinem Harem (bis zu 300 Frauen) ein paar Damen zu sich. Hue ist die Hauptstadt Vietnams, hier spielt sich alles ab. Die Augen auf… nee, das mit der Phantasie muss ich noch ueben. Augen wieder zu, 148 Jahre spaeter, gleiche Stelle, jetzt muss ich mich aber duuuuucken und wuenschte, ich waere gaaaanz woanders. Die suedvietnamesischen Untergrundkaempfer der Vietcong haben sich in der schon voellig zerschossenen Zitadelle verschanzt. Und die Amis fliegen einen Angriff nach dem Angriff. Flieger, Hubschrauber, Bomben, Granaten, Waffen, Munition. Zerstoert die Geschichte. Zerbombt die einst Verbotene Stadt. Schutt und Asche.

Gemaechlich trotte ich von einem Gebaeude der Zitadelle zum naechsten. Maaaan, ist das heiss heute! Das etwas eigene Klima Zentralvietnams bekomme ich zu spueren. Seit drei Tagen habe ich keinen Tropfen Regen mehr gesehen oder abbekommen. Und ich dachte, Hue gehoert zu den Staedten Vietnams, in denen es am haeufigsten regnet. Heute sind es 35 Grad, mindestens. Die richtige Temperatur will ich gar nicht wissen. Ein Schweissmeer gleitet meinen ganzen Koerper hinab, Tropfen fuer Tropfen. Auf der Suche nach einem Schattenplaetzchen. Gib mir Schatten! Gib’s mir! Tut das gut…

Hue? Zitadelle? Schweiss? Paradise City?

Ich habe es getan. Ich habe meinen Selbstmord gebucht. So etwas geht auch bei Sinhcafe. Auf Bestellung. Vorhin noch genoss ich das Fruehstueck im Hotel. Bis 10 Uhr geht das Tag fuer Tag und wie in Jugendfreizeiten ganz frueher gelernt tauchte ich um Punkt 9.55 Uhr dort auf. Antje war hustend und roechelnd schon in der Nacht durch die Wand hindurch nicht zu ueberhoeren. Waehrend des Fruehstuecks bricht sie auf – aber nur, um sich wieder ins Bett zu legen. Die Arme!

Tja, ich kann darauf keine Ruecksicht nehmen, sitze nun im Sinhcafe-Buero und erhalte um halb elf die Papiere. Im Wirkungskreis eines Ventilators – aaaaah, herrlich!! – setze ich meine Unterschrift unter eine VISA-Abrechnung fuer gleich zwei Touren. Morgen der Ausflug ins Gebiet der demilitarisierten Zone (DMZ) des Vietnamkriegs. Abfahrt (!) 6 Uhr und am Freitag unmittelbar vor der Nacht-Busfahrt nach Hanoi noch eine Drachenbootfahrt zur den Kaisergraebern Hues. Abfahrt 8 Uhr. Dazu, siehe gerade, die Nachtfahrt. Also wenn ich das ueberlebe… Und das bei der Hitze. Tropftropftropf, lauflauflauf, schwitzschwitzschwitz. Jetzt ist’s zu spaet und alles gebucht.

Auf den ersten, ganz naiven Blick ist Hue eine Grossstadt. 350.000 Einwohner sind immerhin eine ziemlich stolze Zahl. Ich erreiche nach fuenf Minuten Fussweg die Bruecke ueber den Parfum-Fluss und es wird Zeit fuer den zweiten Blick. Denn auf den zweiten Blick ist Hue sogar eine schoene Grossstadt, wenigstens fuer meinen Geschmack. Denn ich liebe nur Staedte, durch deren Zentrum, mittendurch, ein Fluss fuehrt. Macht wohl Muelheim. Das bringt meist eine tolle Landschaft, das kuehlt Fuesse und Gemueter. In Hue verbinden zwei Bruecken die Altstadt mit der Zitadelle und dem chinesischen Viertel mit der von Hotels, Restaurant, Uni und modernen Gebaueden vollgestopften Neustadt. Ich will’s heute alt.

Tropftropf. Schwitzschwitz. Erst mal rechts ran, entspannen, relaxen, Shirt auswringen. Getreu dem Prinzip Angebot/Nachfrage (das hier auch schon angekommen zu sein scheint) will eine Verkaeuferin am Strassenrand 15.000 Dong (85 Cent) fuer eine 1,5-Liter-Flasche Wasser. Sonst kostet die hoechstens 10.000. Schnell noch gefeilscht (um Wasser!) und rein mit dem Zeug. Tsetsetse.

11.45 Uhr und vor mir taucht ein grosses, altes Tor auf und selbst durch die schweissnasse Sonnenbrille erkenne ich die vielen Farben. Denn Hue ist eben keine normale Grossstadt und bietet mehr als den Fluss, ein paar nette Kneipen, die Uni und den vietnamtypischen chaotischen Markt. Wer sich fuer Vietnam und viel mehr fuer die vietnamesische Geschichte der letzten 200 Jahre interessiert, der muss hier gewesen sein. Muss! In kaum einer anderen Stadt treffen alle Epochen dieser Zeit so eindrucksvoll aufeinander.

Nachdem ich an einigen Reisegruppen vorbeispaziert bin und die Blicke auf mein Peter-Graulund-Trikot gezogen habe (ich haette auch bloed geguckt. Ey Peter Graulund!!!), bezahle ich 55.000 Dong (2,75 Euro) und betrete die Zitadelle der Kaiserstadt Hue. Ich besteige das Mittagstor (das ist das Eingangstor) ueber eine lange Treppe, setze mich hin, fange an zu lesen (und trinke Wasser, ganz wichtig heute, ist heiss, sagte ich das schon?), zu phantasieren und “Paradise City” zu hoeren. Schwitzschwitz, tropftropf. 1802 begruendete Gia Long die letzte Dynastie Vietnams, die bis 1945 blieb. Zur Hauptstadt seines “Reichs” erklaerte er seine Heimatstadt Hue – ideal gelegen am Fluss und fast in der Mitte zwischen den aufstrebenden Metropolen Hanoi und Saigon. Schon die Bauprinzipien – das erkenne ich von meinem Ausguck auf dem Eingangstor – sind unglaublich. Die gesamte Zitadelle entstand nach dem Vorbild Pekings und streng entlang einer schnurgeraden Hauptachse. Alle weiteren Wege gehen im rechten Winkel davon ab und bleiben genauso gerade. Der Grundriss ist quadratisch und auch der Fluss und die sichtbaren Berge werden in die Gesamtphilosophie des Bauwerks eingebaut.

Ueber eine von zwei Bruecken betrete ich die Halle der hoechsten Harmonie, das einzige Gebaeude, das wie durch ein Wunder alle Kriege ueberstand. Hier empfingen die Kaiser einst wichtige Beamte und Bedienstete. Ein Thron steht drin, windende Drachen bilden die Dachfirste. Auf der Wiese nebenan – frueher tatsaechlich so etwas wie ein Park – spazieren Elefanten. Das war wohl schon immer so.

Ich gehe weiter und weiter, Schritt fuer Schritt, Tropfen fuer Tropfen – 35 Grad!! Keine Wolke!! – und hinter der Halle steht nichts mehr gerade und unfallfrei aufeinander. Es ist Gras, ja sogar Unkraut ueber das Geruempel gewachsen. Auf der Guns’n’Roses-CD laeuft inzwischen die Coverversion von Bob Dylans “Knockin’ on heavens door” und im franzoesischen Krieg in den 50-ern und dem Vietnamkrieg und dort im Jahr 1968 knockten hier ganz viele on heavens door. Zehntausende starben in der eigentlich gut beschuetzten Festung. Durch Bomben aus der Luft.

Ich durchschreite fast jeden Weg, schaue zu, wie Arbeiter mit Hilfe der UNESCO (ist Weltkulturerbe hier!) vieles wenigstens einigermassen wiederherstellen wollen, bin manchmal ganz allein mit meiner Musik und den Reisefuehrern auf einem alleeartigen Weg. So richtig geherrscht haben die Kaiser auch nur kurz. Denn die Kolonisten aus Frankreich waren ruck, zuck da und tolerierten den Prunk und die Realitaetsferne Hues nur noch. Die Monarchie war dem Volk ohnehin laengst zuwider, heisst es. Zum Abschluss marschiere ich noch einmal durch das, was bis 1945 verboten und die Privatzone des Kaisers und seines Gefolges war. Heute ist es eine durchloecherte, kaputte, total heruntergekommene, kahle Wiesen- und Schrottwueste. Dort, wo Kaiser regierten, ist heute nicht einmal mehr ein freundschaftlicher Fussballkick ohne schwere Verletzung moeglich. Man, so dick war der Schweissfilm noch nie auf meine Haut. Handtuch! Meer! Schwimmbad! Ozean! Sofort! Tropftropf. Noch einmal, bevor ich mich auf den Weg zurueck Richtung Neustadt mache, begebe ich mich aufs Mittagstor und krame nach dem Reisefuehrer. Gegen zwei muesste es jetzt sein.

Halt, what’s that? Hoppla! Am 16. Tag bemerke ich, dass ich neben Know-How, Baedeker, meinen CDs, dem Discman, Ersatzbatterien, der Federmappe, dem Block, den Flugtickets und dem “echten” Tagebuch auch das Kicker-Fussball-Sonderheft pausenlos bei mir trage. Noch einmal blicke ich auf die ganzen alten Achsen und im naechsten Moment aufs Mannschaftsbild des VfL Bochum. Tief im Westen.

Es gibt noch eine zweite herausragende Sehenswuerdigkeit in Hue. Denn die ganzen Kaiser sind hier auch begraben, und das auch nicht einfach so. Sie haben sich am Ufer des Flusses einige praechtige Graeber, fast sogar Mausoleen hingestellt. Kaiserstadt eben. Das schaue ich mir uebermorgen an. Das Sonderheft packe ich sorgfaeltig wieder meine Tasche, das rote Teil muss immerhin noch eine ganze Fussballsaison ueberstehen, und spaziere Richtung Flussufer. Wer sich gar nicht fuer Geschichte interessiert und keinen Funken Phantasie in sich traegt, der sollte um Hue einen Bogen machen (Dann aber eigentlich auch gleich um ganz Vietnam…). Um die Zitadelle im “Gesehen”-Plan abzuhaken, reicht eigentlich eine halbe Stunde. Fuer Nicht-Interessierte sind es nur ein paar alte Steine und viel Gras. Nicht fuer mich. Schwitzschwitz.

In einem Cafe pausiere ich mit einer Eisschokolade. Aber es hilft nicht wirklich, um meinen Koerper zu kuehlen. Heeeeeissss!! Selbst Ansaetze der einstigen Bedeutung wird Hue trotz des Tourismus nicht wiederbekommen. Die wirtschaftlich maechtigere Stadt im Zentrum Vietnams ist ganz eindeutig Da Nang. Die malerischere und fuer Shopping besser geeignete ist das beschauliche Hoi An. Und die schoensten Straende sind auch nicht in Hue. Waehrend ich um 15 Uhr feststelle, dass auf dem Markt am Ufer vor der Bruecke fast nichts mehr los ist (nur viele Singvoegel stehen zum Verkauf, vielleicht chinesischer Einfluss, habe ich jedenfalls noch nicht hier gesehen), sehe ich viele junge Leute. Stimmt, Hue ist eine Uni-Stadt, also eine absolut kulturell-historische und vermutlich auch intellektuelle Hochburg. Und heute eine scheisseheisse. Tropftropf. Ich glaub, ich hab mein Maximum an Braenungsgrad mittlerweile erreicht.

Auf den Strassen geht es fuer 350.000 Einwohner echt gemaechlich und stressfrei zu – oder Mofas sind mittlerweile schon Gewohnheit fuer mich. Geckos tauchen im Strassenbild Hues haeufiger auf als ueberall sonst. Aber die kleinen, flutschigen Dinger, die wie Baby-Eidechsen aussehen, stoeren mich nicht. Als ich am Schweiss zu ertrinken drohe, unterbreche ich meinen Spaziergang durch das Hotelviertel der Neustadt im “Hung Vuong”, einem Cafe mit Baeckereiangebot…. Leckerleckerlecker. Leider faellt nach kurzer Zeit der Strom aus. Und es tropft wieder.

Um kurz von fuenf, man, durch die Pausen ist die Zeit ganz schoen gerast, betrete ich das Internet-Café. Neben mir bemerkt ein muskelbepackter Bodybuilder-Typ (bestimmt mit dem Motorrad unterwegs) mein VfL-Trikot und spricht mich auf Deutsch an. Gustav heisst er, ist gelernter Koch und tourt seit fuenf Jahren “in der Hotelbranche” durch Asien. Naja, manchmal wirkt er wie Schwarzenegger auf Steuerflucht, aber die Geschichten, die er zu erzaehlen hat und die Infos, die er bietet, fesseln ein wenig. Birma, sagt er, sei wunderschoen. Nha Trang mag er aufgrund der vielen Australier und der Discos (auch) nicht. Und dass er in Hoi An arbeitet, erfahre ich noch, seit einem Jahr schon. “Hab mich noch keine Sekunde gelangweilt”, sagt er. In Hue besucht er gerade einen Freund. Und wundert sich auch ueber die Sonne. “Stimmt. Es regnet hier oft. Such mal eine braune Stelle in der Stadt. Nix. Hier ist alles gruen.” Dann setzt er sich sein Baseballkaeppi auf, bedeckt seine fast nicht mehr vorhandenen Haare, liest sich den Spielbericht Stuttgart gegen Schalke aus dem Ligapokal durch, lacht darueber, dass Schalke gewonnen hat, und meint: “Wenn ich mal keine Arbeit habe, miete ich mich hier irgendwo fuer 200 Dollar im Monat in einem Hotel ein. In einem Superhotel.” Er bezahlt, steigt aufs Motorrad (sag ich doch) und braust davon.

Ich surfe noch ein bisschen, aber nicht auf der WAZ-Seite. Mein Ziel ist erreicht und nach 16 Tagen bin ich vom Muelheimer Politik- und Sportgeschehen total abgeschnitten und das juckt mich nocht einmal richtig. Die einzigen deutschen Seiten, die ich regelmaessig anklicke, tragen die Titel VfL Bochum (da MUSS ich up-to-date sein), Kicker und Spiegel. In einem Gartenrestaurant esse ich lecker – und kurz vor meiner Rueckkehr ins Hotel gegen halb zehn treffe ich die kranke Antje.

Fast den ganzen Tag hat sie im Bett gelegen, ihre Weiterfahrt nach Hanoi auf naechste Woche verschoben. In Hue ist sie erst einmal gestrandet. Die Arme! Ich hatte wirklich Glueck bis jetzt. Kein Durchfall, kein Fieber, nicht mehr als zehn Mueckenstiche gleichzeitig, kein Husten, kein Schnupfen, keine Klimaanlagen-Grippe…

Nach vielen heissen Sonnenstunden betrete ich mein klimatisiertes Zimmer, versuche, die klebenden Klamotten vom Leib zu zerren. Und stelle den Wecker auf 5.30 Uhr. Bin ich irre?

Ich drehe mich um und denke noch einmal nach. Draussen bellt ein Hund, meine Klospuelung ist defekt und das nervt etwas, meine Anziehsachen fuer morgen liegen bereit. Ich gehoere zu Ich-mag-Hue-Fraktion. Mehr als hochinteressante Geschichte, tolles Stadtbild (Fluss), tolle Umgebung (DMZ, Hoi An, Da Nang, Laos). Und der Strand ist auch nicht weit weg. Ja, Strand. An einem solchen Tag wie heute waere das auch keine schlechte Wahl gewesen.

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17. Tag
 
Donnerstag, 4. August 2005
 
Hue -> DMZ -> Hue
 
Don't want to be an American Idiot
 
Pssst… ganz leise… hoert Ihr die Voegel im Hintergrund zwitschern? Wie sie singen, traellern, pfeifen? Es liegt so eine Ruhe ueber der Berglandschaft an der Grenze zwischen Laos und Vietnam. Am Horizont trotten einige Farmer durch ihre Kaffeebohnenplantagen, Touristen spazieren mit ihren Fotoknipsdingern ueber die Huegel. Ich hoere lieber still den Voegeln und versuche herauszufinden, was sie wohl pfeifen. "Spiel mir das Lied vom Tod" vielleicht.

Ich glaube in meinem gesamten 27-jaehrigen Leben bin ich erst maximal fuenfmal frueher als 6 Uhr aufgestanden - freilich alles aus Urlaubsgruenden. Um Punkt 5.26 Uhr schellt der Wecker, und oh Wunder, ich scheine mich unterbewusst mit meinem Schicksal arrangiert zu haben, denn wie ein Automatspule ich das Morgenprogramm so gekonnt herunter, dass ich um 6.05 Uhr vor meinem Hotel stehe. In fuenf Minuten soll ich abgeholt werden. "Good morning Sir", sagt der Reinigungsjunge, lediglich in kurzen Hosen gekleidet, der die Rezeption im Erdgeschoss fegt. Scheint hier zu wohnen, aber naja, juckt mich auch nicht wirklich. Buuuuuussss… kommt nicht. 6.10, 6.11, mein Hals schwillt und schwillt an. Okay, ich finde es wahnsinnig interessant, Hue am Morgen zu beobachten, aber fuer jede Minute, die ich haette laenger schlafen koennen, verlange ich 10 Cent oder einen Red Bull als Entschaedigung! Ich setze mich auf die Mini-Treppe vor dem Hotel-Eingang und warte. Und gucke. Schraeg gegenueber treffen sich die Nachbarn um kurz nach sechs morgens wahrscheinlich taeglich unmittelbar nach dem Aufstehen, loeffeln ihren Reis und quatschen, durchaus gut gelaunt. Neeeneee… Witzkanonen am fruehen Morgen kann ich gar nicht. Um die Zeit tobt Saigon und versinkt in einem Mofa-, Verkehrs- und Hupchaos. Millionen-Metropole, undurchschaubar. Und Hue, die nette mittlere Grossstadt in Vietnams Zentrum? Och, ab und zu beruehrt ein Mofafahrer mal sein Huepchen, aber warum auch, von Chaos ist hier keine Spur, und das ist gewiss keine unwichtige Nebenstrasse. Die meisten Laeden hier im Touriviertel haben sogar schon geschlossen. Als ich schon ueberlege, die 500 Meter zum Sinhcafe-Buero zu Fuss zurueckzulegen und denen tierisch auf die Theke zu kacken, biegt der Bus um die Ecke. Um 6.30 Uhr inzwischen. Meine Zaehne knirschen, grummelgrummel. Am besten ich brabbel irgendwas auf Ruhrpoettisch…

Ein Fensterplatz ist noch frei - und als erstes faellt mir auf: Kein einziger Vietnamese will die grosse Tour in die demilitarisierte Zone (DMZ), die im Vietnamkrieg eine so entscheidende Bedeutung hatte, sehen. Nur kriegsinteressierte Europaer, Amerikaner, Australier. Als ich meinen Ruecken anlehne, merke ich: Dieser Tag wird kein Spass. Holzsitze in der Schule sind purer Luxus dagegen, das ist ein Bus aus ganz, ganz alten Bestaenden. Nachdem der Fahrer dann kurz aufs Gaspedal tritt, um die Kiste in Gang zu kriegen, der naechste Schlag: Die Klimaanlage funktioniert nicht richtig. Und dass die Temperatur wieder auf 35 Grad hochschnellt (mindestens) merke ich bereits jetzt. Es waere so leicht… aussteigen, weiterschlafen, einen ruhigen Tag verbringen, hab ja nur acht Dollar bezahlt. Aber es interessiert mich eben.

Ein Guide ist noch nicht dabei - ich dachte, der ist inclusive!? Ich helfe mir selbst mit dem Baedeker. 1954 beschloss die Genfer Friedenskonferenz nach dem Rueckzug Frankreichs, dass das Land am 17. Breitengrad, also genau am Ben-Hai-Fluss, geteilt wird - bis zu Neuwahlen, die aber nie stattfanden. Die DMZ umfasste fuenf Kilometer auf beiden Seiten. Das Wort "demilitarisiert" galt aber nur auf dem Papier - in Wirklichkeit waren die Gebiete rund um die Nationalstrassen 1 und 9 und eben rund um den Fluss die am heissesten umkaempften - uebrigens auch schon im franzoesischen Krieg rund um 1954.

Aufwachen!! Geschichtskurs beendet!! Nach 59 Kilometern durchqueren wir Quang Tri. Weil die Strassen dermassen beschissen sind, duerfen alle Gefaehrte oft nur maximal 30 fahren. Es ist schon 8.10 Uhr, wir fahren seit anderthalb Stunden. Stundenschnitt?? Uebelst langsam! Jetzt weiss ich auch, warum die Tour offiziell von 6 bis 18 Uhr dauert. Der Busfahrer stellt sich leider als grosse Katastrophe heraus. Er lenkt fast mit den Knien und benutzt seine Haende, um entweder mit seinem Handy zu telefonieren, die Hupe moeglichst laut und oft hintereinander zu betaetigen (auch wenn da gar kein Auto zum Anhupen vorhanden ist) oder am Radioschaltknopf zu drehen und schlimmstes Gedudel laut zu stellen.

Von Quang Tri steht fast nichts mehr. Auf den vier Quadratkilometer grossen Stadtkern warfen die Amis in 62 Tagen Bomben mit der siebenfachen Sprengkraft der Hiroshima-Atombombe. Um 8.30 Uhr halten wir ein paar Kilometer weiter in der Nachfolgestadt Dong Ha - und endlich prasentiert sich ein Guide. Doch Sinhcafe enttaeuscht weiter. Von Anfang an spricht der Guide miserable Englisch. Und das Fruehstueck - inklusive eigentlich - besteht aus der Auswahl zwischen Baguettebrot mit Belag oder einem Bananen-Pancake. Getraenke sind selbst zu entrichten. Wenigstens mein Vierer-Begleittisch ist sehr interessant. Ein Australier, Mitte 40 wuerde ich schaetzen, reist mit seiner thailaendischen Frau durch Vietnam, auch von Sueden nach Norden. Seine Frau hatte aber keine Lust auf die DMZ-Tour. Und zwei Koreanerinnen, ziemlich jung, Anfang 20 sage ich mal, die noch ganz suess am Beginn ihrer Reise sind. Sie kommen gerade frisch aus Hanoi. Etwas erschrocken merke ich, dass mir gar nichts daran liegt, die Namen der Leute herauszufinden und zum ersten Mal, am 17. Tag, weiss ich: Der Urlaub geht allmaehlich zu Ende. Ausfuehrliche Unterhaltungen, Bekanntschaften, ergaeben keinen Sinn mehr. Aus dem Kauderwelsch-Englisch des Guides (Ich will Himb!) entnehme ich, dass wir insgesamt 400 Kilometer mit dem Bus unterwegs sind. Es ist die Luxus-DMZ-Tour. Es ist moeglich, zwischen den Sehenswuerdigkeiten an der N1 oder der N9 zu waehlen. Wir wollen alles. Und dafuer geht es unter anderem bis zu 90 Kilometer weg von Hue. Und fast direkt an die Grenze zu Laos.

Es ist unertraeglich heiss. Deshalb faehrt der Bus fast die ganze Zeit mit geoeffneter Tuer - macht nix. Ich lese, mache ein Nickerchen, rege mich ueber Sinhcafe auf, in etwa in der Reihenfolge, und daaaafuer stehe ich um 5.30 Uhr auf.

Nach weiteren zehn Minuten duerfen wir endlich fuer zehn Minuten aussteigen. Wir blicken auf den ins Sonnenlicht getauchten Ben Hai River, die einst natuerliche Grenze und ein Mahnmal am 17. Breitengrad. Es ist ein Gefuehl wie im alten Berliner Todesstreifen. Stell Dir vor, Du haettest ein paar Jahre frueher dort gestanden…

Hauptziel Nummer eins sind die Vinh-Moc-Tunnel am suedchinesischen Meer. Beim Museumsrundgang ist leider nichts zu verstehen, so schlecht redet der Guide, und in den Tunneln selbst braucht's keine Worte. Fuer diejenigen, die schon Cu Chi gesehen haben, ist das fast ein Kindergarten-Erlebnis. Okay, ich muss mich die komplett begehbaren 500 Tunnel-Meter ducken, mehr aber nicht. Da haette ich auch im Ausgehanzug durchflanieren koennen. PAH! Und doch macht etwas die Tunnel interessant: Sie sind lebensnaher als Cu Chi, weil sie ja auch eher zum Leben benutzt wurden. Im dritten Untergeschoss weit, weit unter der Erde, gibt es einen Saal, in dem wirklich 17 Kinder geboren wurden. Auf engstem, schwer beschreibbar allerengstem Raum lebten parallel bis zu sechs Menschen! Unfassbar! Zwar nicht mit dem Cu-Chi-Prickeln, aber mit einem beeindruckten Nicken steige ich zurueck in den Bus, es ist erst 11.30 Uhr! Ich haett's ahnen muessen. Als Naechstes geht es wieder in ein Sinhcafe-Partnerlokal, diesmal zum Mittagessen. Hab aber keinen Hunger.

Nun fehlt noch Khe Sanh auf dem DMZ-Plan, Ort der beruechtigsten Kriegsschlachten. 1968 warfen die Amis innerhalb von vier Monaten 100.000 Tonnen Sprengstoff, Napalm und Phosphor auf die Gebiete ab, nur um ihre Festung eben in Khe Sanh zu halten.

Und schon schnell ist klar: Nicht Khe Sanh selbst wird das Erlebnis, die Anfahrt ist es schon. Zehntausende starben hier und mir wird ein wenig uebel, weil ich die Helikopter und Flugzeuge fast noch im Nacken spuere. Viele Waelder auf den Huegeln sind kahl bis heute, nur noch ein Acker. Und auf Khe Sanh selbst, einst eine grosse Flugzeugbasis der Amis, wuerde kein Saatkorn der Welt irgendwas hervorbringen.

Das Museum Khe Sanh bietet ein paar Bilder, davor stehen noch ganze oder abgeschossene US-Hubschrauber, aber das Gefuehl macht's, die Erinnerung an die Horrortaten, die hier geschehen sind. Und der Genuss der heutigen Ruhe. Ich setze mich auf die Museumtreppe, lege zielgerichtet eine CD in den Discman und hoere Billy Joe von Green Day "Don't want to be an American Idiot" bruellen.

Auf dem Rueckweg auf der N9 - Khe Sanh liegt kurz vor der Grenze zu Laos - passieren wir die Dakrong-Bruecke, im Krieg zerschossen und einst wohl Teil des beruehmten Ho-Chi-Minh-Pfades, durch den die nordvietnamesische Armee die Vietcong im Sueden unterstuetzte. Und am Rockpile fahren wir vorbei, ein kahler 230 Meter hoher Huegel, den die Amis als Wachposten benutzten. Die Strecke, bis vor wenigen Jahren nicht existent und komplett kaput, ist nun fast eine einzige Baustelle. Bruecken entstehen neu, Strassen werden ausgebessert. Nur eins bleibt: Die Bergbevoelkerung treibt Schweine, Kuehe, Wasserbueffel und Ziegen mit Hund und Peitsche die Strassen entlang - und wenn es sein muss, blockiert ein Tier eben minutenlang den Verkehr.

Von einem letzten Nickerchen wache ich auf, weil ich das Sitzen nicht mehr aushalte. Mein Arsch, Ruecken, alles schmerzt. "Noch 16 km bis Hue City" steht auf einem Schild. Neun von zwoelf Stunden im Bus gesessen und von den bleibenden drei anderthalb in Sinhcafe-Lokalen verbracht. Eine verschenkte Tour? Waehrend wir um 18.15 Uhr ueber eine der beiden Bruecken Richtung Hotel fahren, beschliesse ich, mich doch ein bisschen zu aergern. Die Organisation war einfach schlecht - und nur der sollte die zwoelfstuendige Tortur auf sich nehmen, der sich wirklich brennend fuer den Vietnamkrieg interessiert. Da ich das bin, faellt der Schaden bei mir nicht ganz so gross aus wie bei anderen.

In meinem Internet-Café sind ausser mir nur Kinder und zocken irgendwas. Viele schauen mir beim Abtippen ueber die Schulter. Macht mich ein bisschen nervoes. Am Strassenrand sammeln sich Raeucherstaebchen und ein leicht angebrannter Duft weht ueber Hues Neustadt. Nach irgendeinem Kalender, erklaert eine Frau, ist morgen Monatsanfang. Und das wird eben so gefeiert. Nach einem Essen im Garten-Restaurant kehre ich um 21 Uhr nach 15 Stunden on Tour zurueck. Ein Tag, an dem ich mich vom Sinhcafe-Programm ueberrollen liess. Was womoeglich ein Fehler war, aber aufgrund meines Zeitmangels sein musste. Ich hake den 17. Tag meiner Reise als "Pflichterfuellung - nicht schlecht, aber auch kein Highlight" ab. Uebrig bleiben wird die Tatsache, wie frueh ich es geschafft habe, meinem am Abend wunden Arsch so frueh aus dem Bett zu bewegen.

Und was macht die arme Antje? Die habe ich heute gar nicht gesehen. Aber ich hoere sie laut und deutlich. Sie hustet ununterbrochen. Sollte mal zum Arzt gehen, die Gute. Ich verabschiede mich morgen von ihr. Von Hue. Noch einmal wird es knueppelhart. Stichwort Nachtbus nach Hanoi.

Noch ein Hinweis in eigener Sache:

Danke an Ruediger Heuer (schaut ins Gaestebuch)! Er war der erste, der mich mit vollem Namen und vollstaendiger Mail-Adresse kritisiert hat (zu Hause antworte ich ihm vielleicht) und mich als Schmalspur-Journalisten, Selbstbeweihraeucherer, Selbstbespiegeler und (zumindest das ist richtig) als Langzeitstudenten bezeichnet hat.

Danke fuer die Kritik! Danke fuer die positiven Mails (die gab es auch)! Und keine Sorge: Dieses Tagebuch werde ich, obwohl einige ueber mich (Zitat Peter Neururer) "im negativen Bereich Denkmoeglichkeiten haben", noch bis zum bitteren Ende und dem 26. Tag fortfuehren. Ueber die Zukunft meiner Homepage denke ich dann spaeter nach. Weil ich Student bin, habe ich ja noch ein paar Wochen Ferien und damit genug Zeit...

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18. Tag
 
Freitag, 5. August 2005
 
Hue -> Hanoi
 
Sternenhimmel bei der Koenigsetappe
 
Bei der Tour de France ist auch immer die 18., na gut, vielleicht nicht immer, aber so um den Dreh wenigstens, die Koenigsetappe. Es geht ueber mehrere Berge der hoechsten Kategorie, oft bei sommerlich heissem Wetter. Und wer all diese Strapazen ueberstanden hat, der beendet auch die ganze Tour erfolgreich. Der Rest ist nur noch eine Zugabe. Um 7.10 Uhr wache ich auf, blicke auf meine gepackten Sachen und weiss: Die naechsten 24 Stunden warden meine Koenigsetappe 2005.

Fruehstueck. Schon am Abend vorher musste ich im “Binh Minh 2”, das ich nach wie vor jedem, der mal Vietnam bereist, weiterempfehlen kann (Adresse gibt es auf Anfrage), einen Zettel ausfuellen, was ich denn genau verspeisen moechte – Premiere in diesem Urlaub. Und um 7.45 Uhr, eine Viertelstunde vor dem Treffpunkt am Sinhcafe-Buero (liegt um die Ecke), zur Drachenboot-Tour zu den Kaisergraebern in den Waeldern vor Hue, bekomme ich ein Ei, Baguettebrot, Streichkaese, eine Banane fuer den Weg und O-Saft praesentiert. Cornflakes scheint hier echt keiner zu kennen… Als ich schon meine kleine Tasche umgehaengt habe – meinen grossen Rucksack kann ich zum Glueck im Hotel zwischenlagern, bis die Tour zu Ende ist – taucht Antje auf, mittlerweile vollgepumpt mit Antibiotika, und das be idem Wetter. Sie wuenscht mir eine gute Weitereise. Hach wie nett. Ihr dasselbe zu wuenschen, waere alles ziemlich unfreundlich im Moment – bei ihrem Zustand.

Vom Sinhcafe-Buero werde ich mit einem Motorbike kostenlos zur Anlegestelle eskortiert. Und klar ist: Das ist kein Drachenboot im klassischen, im Muelheimer Sinn. Dieses besteht aus 20 Mann und jeder paddelt selbst. Neeeeee, bei dem Wetter, bin ich denn lebensmuede?? Es ist ein eigentlich stinknormales ueberdachtes Boetchen, nur mit zwei Drachenkoepfchen vorne dran. Die Tour geht 14 Kilometer auf dem Parfum-Fluss stromabwaerts (glaube ich), vorbei an zwei Pagoden und den beruehmtesten der zahlreichen Kaisergraeber. Sie sind wohl Hues Hauptattraktion Nummer zwei nach der Zitadelle. Klar, denn Kaiser wollen ja nicht irgendwie bestattet warden. Bin jedenfalls sehr gespannt!

Ich bekomme einen Plastikstuhl direct an einer Ballustrade, mit Blick auf den Fluss. Ab 8.30 Uhr knattert der Motor und bei blauem Himmel geht es im Schneckentempo ueber den von der Sonne schoener geht’s nicht angestrahlten Strom. Am Anfang hat die Tour leichten Kaffeefahrt-Charakter, da die Familie, der das Boot gehoert oder die es fuer die Open-Tour-Bueros betreibt, allerlei kitschige Souvenirs und Stoffe anbietet. Ich stelle einmal mehr fest, dass 90 Prozent der Rucksack-Reisenden hier Paerchen sind. Das Durchschnittsalter der Bootsbesatzung ist durchaus jung, aber ich bin einmal mehr der einzige Deutsche und einzige Single.

Egal, Sonnenbrille auf und rausgucken. Das Wasser ist ruhig, der Gegenverkehr spaerlich und der Trinkverbrauch hoch. Der Fluss ist in etwa so breit wie die Ruhr in Muelheim – brauche mich also nicht grossartig umgewoehnen. Erster Halt Thien-Hu-Pagode, deren Turm within sichtbar ist und auch so eine Art Markenzeichen der Stadt sein soll. Joa, ganz nett, aber der Zauber bleibt morgens um 9 Uhr bei mir noch aus. Am interessantesten finde ich noch einen kaputten Austin, mit dem der Moench Thic Quang Duc 1963 nach Saigon aufbrach, um sich aus Protest gegen das suedvietnamesische Regime zu verbrennen.

Einsteigen bitte und weiter geht’s. Zu einer weiteren Pagode, bei der aber keener 22.000 Dong Eintritt bezahlt – sie ist nicht im Lonely Planet verzeichnet und hat keinen Stern fuer “sehenswert” im Baedeker erhalten. Keine Ahnung, warum die auf unserem Tourplan steht. Einfach entspannen und das brillante Wetter geniessen. Und Nachdenken. Tag Nummer 18 – vor einem Jahr habe ich zu diesem Zeitpunkt schon meinen Rucksack fuer die Heimfahrt gepackt. Jetzt blicke ich auf noch eine folgende Woche – aber dann meine letzte. Und das geht wirklich sehr schnell jetzt.

Das erste Grab ist erreicht. “50 minutes time”, sagt der Bootfahrer in schlecht verstaendlichem Englisch. Er muss die Zahl schon aufschreiben. Diese Tour wird allmaehlich zur Halsabschneiderei. Nicht nur die Eintrittsgelder fuer die Graeber (jeweils 55.000 Dong/knapp 3 Euro) sind zusaetzlich zu entrichten, sondern auch Motorbikes, da die moisten Graeber zu weit vom Fluss entfernt sind. Ein finanzieller Nachteil, aber das bringt auch einige Vorteile: Wohl zum letzten Mal in diesem Urlaub komme ich in den Genuss, hinten auf so einem Bike sitzen zu koennen – und be idem Wetter ist das deutlich angenehmer als die insgesamt vier Kilometer allein zum Grab Tu Ducs zu laufen. Er regierte von 1847 bis 1883 und damit laenger als alle anderen.

Sagte ich Halsabschneiderei? Vietnamesen zahlen nur 20.000 Dong Eintritt. Hallo – Gerechtigkeit?? Doch das Geld ist gut angelegt. Tu Duc hat sich schon zu Lebzeiten einen richtig grossen Park geschaffen. Mit einem Palast fuer sich, Haeusern fuer seine 104 Frauen, einem Fluss, das alles von Mauern umzingelt, und etwas abgelegen seinem eigenen Grab. 16 Jahre lang – heisst es – hat er in dieser kuenstlichen Landschaft verbracht. Er verfasste Gedichte (er sei ein Poet gewesen, noch so ein Geruecht), trank Tee, fuhr mit dem Boetchen und angelte dabei (da sind Fische drin??) und beschaeftigte sich mit den vielen, vielen Frauen. Was fuer ein Leben… Naja, an der Bevoelkerung lebte Tu Duc aber mehr als elegant vorbei. Scheiss-Monarchie eigentlich. Der Eingang zu seinem Grab ist bewacht von einer Armee, in der Stein-Elefanten einen Platz haben. Ehrenhof heisst das. Hoechst interessant. Hoechst.

Auf dem Schiff wird das Essen serviert, wenigstens das ist inclusive. Maechtig viel Reis, gemischtes Gemuese und irgendetwas Fleischartiges steht auf dem Tisch, jeder kann sich so viel er will in seine Schuessel fuellen, um dann mit Staebchen zu essen. Ich mach’s nicht perfekt und erst recht nicht schulbuchmaessig, aber effektiv. Zeit, um ein paar Mitreisende mit der ueblichen Travellerfrage “Where are you from?” zu konfrontieren. Ein japanisches Paerchen will alles von allen wissen – total knuffig. Und ein Paar aus der Schweiz hat ein halbes Jahr frei und schon eine grosse Tour hinter sich. Angefangen in Neuseeland ging es weiter in Australien, Singapur, Thailand und nun nach Vietnam. Von Saigon fliegen sie nach Japan. Was das wohl kostet…

Das total kitschige Grab des vorletzten und damit voellig wirkungslosen Kaisers Khai Dinh, das wir schon auf dem Rueckweg passieren, wurde nicht aus Ziegelsteinen gebaut, sondern aus Beton. Es hat franzoesische Einfluesse (sagt der Baedeker, wird wohl stimmen) und keinen Park, keinen Fluss, kein Gruen. Dafuer aber Gold, Gold, Gold. Und einen Ehrenhof. Ganz zum Schluss schauen wir uns noch an, wie Minh Mang sich selbst hat bestatten lassen, und wenigstens dieses Grab ist von der Anlagestelle zu Fuss erreichbar. Aber nicht ohne Schweissmeer. Es ist fuer mich das schoenste, am besten erhaltene Grab – und wieder in eine ruhige Parkanlage (mit Ehrenhof) mitten im Wald eingebettet. Keine Frage, ueberlege ich gegen 15 Uhr auf dem langen Weg zurueck, diese kleine Boetchenfahrt hat sich echt gelohnt.

Bis zur Abfahrt am Sinhcafe-Buero mit dem Bus nach Hanoi (oh Graus) sind es noch anderthalb Stunden. Ich verbringe die Zeit im Internet-Café, bin geschockt, was meine kleine Homepage auch fuer Reaktionen hervorruft (naja, irgendwann musste das kommen) und aergere mich schwarz. Klar, jede Art der persoenlichen Homepage, fast alle Arten von Veroeffentlichungen ueberhaupt sind Selbstbespiegelungen, aber was genau ist daran schlimm? Und auf Selbstbeweihraeucherung ist diese Seite wirklich nicht angelegt. Wem’s nicht gefaellt, der soll weiterklicken. Dafuer ist das Internet doch gut. Aber so ist’s. Die einen finden’s gut, die anderen lachen drueber. Dann hole ich meinen Rucksack und verschwinde. Sage einer weiteren Stadt, dem sechsten Hotel in 18 Tagen “Adieu”. Antje sehe ich nicht und wohl nie wieder.

Wie wird wohl die zweite Nachtfahrt?? Um 17 Uhr bin ich erleichtert: Der Bus sieht deutlich angenehmer aus, ich erhalte einen Fensterplatz, das Gefaehrt ist halbleer und deshalb sitzt niemand neben mir. Und es klappt sogar, den Stuhl in Liegeposition zu bringen. Das wird eine ruhige Fahrt.

Und zu Beginn sogar eine traumhafte. Wir haben den Sonnenuntergang auf dem 630 Kilometer langen Weg in den Norden Vietnams in die Hauptstadt Hanoi genau vor uns, genau im Blick. Ich wechsle die CD’s im Fuenf-Minuten-Takt, bin begeistert. Der Busfahrer ist der mit Abstand Beste bisher, voellig entspannt, hupt selten und wenn, dann aeusserst leise.

Wir halten wie schon gestern eine halbe Stunde lang in Dong Ha in der DMZ, fuer umgerechnet einen Euro kriege ich ein komplettes Abendessen (Nudeln mit irgendwas Fleischigem und eine Cola – bis jetzt hatte ich noch keinen Durchfall, toitoitoi) und bei der Rueckkehr in den Bus der Schock: WAS IST DAS? In Dong Ha sind so viele zugestiegen, zumeist Geschaeftsleute, was gute Klamotten und Aktenkoffer verraten, so dass der Bus ploetzlich pickepackevoll ist. Vorbei ist’s mit der Ruhe, ich bekomme eine Nebenfrau. Wenigstens der Fensterplatz bleibt. “Ich seh’ den Sternenhimmel”, diesen Hubert-Kah-Klassiker aus der neuen deutschen Welle habe ich nicht dabei – und doc him Ohr. Zum ersten Mal sehe ich in Vietnam die vielen, vielen kleinen, weissen, hellen Punkte am Himmel und mal mir sonstwas aus. Wie immer bei diesem Anblick vergesse ich alles. Den ganzen Homepage-Aerger, den Stress der Koenigsetappe und die Gedanken daran, dass mein Urlaub nur noch eine Woche dauert und dann volle Breitseite der Arbeits- und Uni-Hausarbeits-Alltag beginnt.

Heute hoere ich noch den Kirmes-Techno der 90-er und versuche dabei einzuschlafen. Bei der ersten Nachtfahrt hat es schliesslich auch geklappt.

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19. Tag 



 
 
Samstag, 6. August 2005 



Hanoi 



 
 
Ho-Ho-Spitzenreiter 



"Spitzenreiter - Spitzenreiter - HEYHEY" hoere ich mich rufen, quatsch schreien, quatsch bruellen. Aber nur in mir selbst, in mir drin, wenn ich den Spiegel in meinen Kopf halte. In Echt wuerde das ziemlich bloede aussehen. In der Hotel-Rezeption sitze ich an einem von zwei PCs mit Internetanschluss, sogar fast DSL-Geschwindigkeit, und werde von den Angestellten hier in Hanoi schon bloede angeschaut, weil ich seit zwei Stunden auf dieselbe Seite, auf eben den VfL-Ticker glotze. Im letzten Jahr hatte ich mir geschworen, das nie wieder zu machen. Also ein VfL-Spiel 90 Minuten lang lediglich am Ticker zu verfolgen. Und doch ist es wieder soweit, wenigstens nur einmal und nicht wie 2004 viermal, und dank Eduuuu und Zwetschge hat's viermal eingeschlagen in Saarbruecken. Viermal! 4:0! Vom Tag, vom einmal mehr heissen Tag, war mein Shirt schon mehr als angeschwitzt. Und trotz der gut klimatisierten Rezeption sind nun auch die letzten vorher noch freien Stellen nass. Hat sich gelohnt. Mitten in Hanoi erklimme ich den ersten Platz, meine grosse Klappe - die einen Start-Ziel-Aufstieg prophezeite - darf ich also weiter haben...


Auf diesen Triumph, auf diesen Tag, goenne ich mir ein etwas feineres Essen, hier in einer Nebenstrasse der schoenen Hanoier Altstadt. Teuer heisst nicht drei Euro, sondern sechs, heisst Cocktail statt Cola. Viel Reis, Huehnchen, Sosse, ein bisschen hungrig, ein bisschen gierig schaufel ich es in mich hinein - und mit dem VfL-Spiel hat mein Alltag wieder angefangen. Ein wenig. Ein bisschen. Seit heute Morgen, seit der Ankunft hier in Hanoi, ist alles Zugabe, siehe gestern, siehe Koenigsetappe. Die Ha-Long-Bucht morgen und uebermorgen soll noch einmal ein Riesenhighlight werden, doch nicht an die Arbeit zu denken, nicht an die Uni, wird wohl schwierig bis unmoeglich. Mit der Ankunft hier, mit Beginn des 19. Tages, mit Beginn der letzten Woche laeuft der Sand. Ab.

Es ist morgens, frueh morgens. Irgendwas stubst mich an und will zurueckschlagen. Alles tut weh, wieder, kann nicht wahr sein. "Go out! Finish here!", sagt jemand, als ich der letzte im Bus bin. Entfuehrung oder was? Ein Blick auf die Busuhr verraet, dass es 5.20 Uhr ist. Und wir vor dem Prince-Hotel in Hanoi stehen. Hanoi? Bis der Groschen faellt, ist es um mich herum leer und der Bus weitergefahren. Ach sooo, wir sind schon in Hanoi...? Fruehestens 7 Uhr war angekuendigt, 5.20 Uhr ist's. Der Fahrer war also nicht nur gut, sondern auch verflucht fix unterwegs.

Vom ueberraschenden Aufstehen nach einer sehr, sehr kurzen Nacht geraet mein Kreislauf so durcheinander, dass ich das tue, was ein Vietnam-Traveller eigentlich nie machen sollte. Ich miete ein Zimmer im Sinhcafe-Hotel, handele den Typen im Halbschlaf vom 20-Dollar-Wucher auf 15 runter, wahrscheinlich immer noch zu viel. Schmeisse mich dann auf's Bett und penne. Schlafe in den Tag hinein. Sleeping my day away in Ho-Ho-Onkel-Ho's City. Um kurz nach halb zwoelf erwache ich, das Licht ist noch an und ich hab es scheinbar nicht einmal geschafft, mich vernuenftig auszuziehen. Mein Kreislauf faehrt immer noch Achterbahn, als ich im TV die "Deutsche Welle" entdecke und die Bayern-Tore  beim 3:0 gegen Gladbach in der Sendung "Bundesliga Kick-Off" sehe. Zweimal Makaay, freut mich, den habe ich im Kicker-Spiel gekauft.... ZACK, und da hat es mich wieder, das deutsche, das Muelheimer Leben. Doch wenn ich mich auf eins freue, dann auf meine Freunde. Ein Abend mit Pizza von Giovanni, einfach nur Spielen, in einen Biergarten gehen oder Darten - das fehlt mir schon sehr. Doch ich ertappe mich auch beim Gedanken, was ich wohl am Montag nach meiner Rueckkehr erledigen muss.

Spaeter. Schnell duschen, um halb eins den Ha-Long-Trip buchen und dann Hanoi. Vorerst bleibt mir Hoi-An-maessig nur ein halber Tag fuer diese 1,1-Millionen-Einwohner-Hauptstadt Vietnams. Von 18 bis 20 Uhr ist der VfL-Ticker fest gebucht und danach gehe ich in die Heia - des Nachtbusses wegen und weil am Ha-Long-Tag der Wecker schon wieder um 6.25 Uhr klingelt.

Erst einmal setze ich mich in ein Cafe neben dem Hotel, esse einen Pancake, trinke Wasser und erkundige mich, wo das Hotel ueberhaupt liegt. In meinem Nachtbus-Delirium ist das vollkommen mit mir durchgegangen. Moeglich also, dass ich in einem Vorort gelandet bin. Ahaaaa, da sind wir. Zum Glueck doch sehr zentral.

Aber was heisst schon zentral? Seitdem ich mich mit Hanoi beschaeftige, weiss ich, dass diese Stadt kein wirkliches Zentrum hat. Sondern ein einziges Zentrum ist. Und in diesem geballten Chaos doch wieder in idyllisches Doerfchen zu sein scheint, glaube ich schon nach dem ersten gelaufenen Meter. Wichtigste Viertel, erfahre ich beim Blick auf den Stadtplan, sind die Altstadt (Old Quarter) mit vielen kleinen Gaesschen und noch mehr Laeden und herzerfrischenden Bruellern und Reinholern. Das habe ich mir fuer den Abflugtag vorgenommen, wenn es heisst: Shoppen! Daneben waere da noch das Franzoesische Viertel, in dem einst die Kolonialherren lebten, und heute noch Villen und Oper franzoesischer Bauart rumstehen. Das, beschliesse ich, kann ich heute streifen. Im politischen Zentrum gibt es das Ho-Chi-Minh-Mausoleum, Ho's Wohnhaus, Ho's Museum und das Parlament. Alles Pflicht, mache ich am Tag nach der Rueckkehr von der Bucht. Verbunden wird das alles durch den Hoan-Kiem-See. Zu dem will ich. Und merke, gegen eins, dass es heute nur schuebeweise vorwaerts geht. Laufen, heiss, setzen, laufen, heiss, setzen, schwitzen. Immer weiter. Und doch Hanoi geniessen. Vielleicht mag es daran liegen, dass ich schon zwoelf Vietnamtage absolviert habe, aber den Verkehr empfinde ich als geradezu beschaulich im Vergleich zu Saigon (diese beiden Staedte werde ich wohl noch haeufiger vergleichen, schwant mir). Ein englischer Tourist nicht . "What do you think about the traffic?", fragt er und sagt, dass er deshalb fast verrueckt wird. Als ich entgegne, gegenueber Saigon sei das Erholung, schaut er boese.

Die Strassen sind enger. Das ist mein allerzweiter Gedanke. Ich komme besser klar mit dem Stadtplan, wenn ich mir vorher feste Wege einpraege (so mache ich das in grossen, mir unbekannten Staedten), dann komme ich auch an und muss nicht noch dreimal nachschlagen wie in Saigon. Dort sind selbst Gaesschen fast grosse Boulevards, aber da mussten ja auch die Ami-Schlitten durch. Es ist enger, gemuetlicher, See und der Rote Fluss (Red River) sind schnell erreichbar, also auch ein wenig romantischer. Und jeder nimmt durch die Enge mehr am Hanoier Leben teil. Nur eine Fahrradstadt wie vor ein paar Jahren noch ist Hanoi nicht mehr. Auch hier hat das Mofa alles andere abgeloest.

Bei ziemlich grossartigem Wetter platziere ich meinen Kopf einen Zentimeter unter einem Ventilator in einem Cafe am See. Gross ist der nicht, aber er liegt genau am richtigen Fleck. Zu Fuss ist er aus allen wichtigen Ecken der Stadt in zehn Minuten erreichbar. Und tatsaechlich: Auf den Baenken liegen Leute zur Entspannung, zum Nickerchen, hier ruht die Stadt, hier ruhe ich, hier gefaellts mir. Die Besichtigung des Jadetempels schenke ich mir - der liegt auf einer klitzekleinen Insel im See. Die Bruecke ist schon malerisch genug. Knips und weg. Knips und weg gilt auch fuer die Oper im "French Quarter". Da ich nie ein Architekt werden wollte, kann ich ausser "sieht wirklich an einigen Stellen so aus wie in Paris" nichts zu den Haeusern beitragen.

Hier ist von Bangkok zum Glueck keine Spur. Kein Skytrain, kein Expressboot, keine U-Bahn, nicht mal eine in Planung und nur ganz ganz wenige Wolkenkratzer, die auch allenfalls den Namen Hochhaeuser verdienen. Es gibt Cyclos, Mofataxis, normale Taxis oder Stadtbusse - aber um das Netz zu verstehen, muss man schon Einstein heissen.

Ich beginne schon gegen 17 Uhr, Hanoi richtig zu moegen und zu geniessen. Etwas ausserhalb von allen Vierteln liegt der aeusserst sehenswerte Literaturtempel, mein letztes Ziel fuer heute. Das ist das konfuzianische Hauptheiligtum Vietnams, die erste Uni einst im 11. Jahrhundert. Der ganze Tempel besteht aus fuenf Hoefen und umfasst zum Beispiel Stelen (auf steinerne Schildkroeten sind die Absolventen eingemeisselt, und die Pruefung war wohl sehr schwierig), eine Zeremonienhalle in Rot-Gold und im Sanktum eine Konfuzius-Statue. Ein bisschen unheimlich, aber doch in gewisser Weise ein total ausgeflippter Ort.

Meine letzte Pause lege ich vor der Lenin-Statue ein, die direkt am Zitadellen-Gebiet Hanois liegt. Und beobachte den Platz davor. Total klasse. Viele spielen Badminton, konzentrieren sich bei Tai-Chi-Uebungen und zehn Kerle, Jung und Alt, stehen im grossen Kreis und schiessen sich einen Fussball zu, halten ihn hoch. Naja, keinen grossen Fussball, eher einen kleinen, aber auch nicht aus Leder und nicht mit Luft gefuellt, sondern eher plastikartig. Ich darf auch mitmachen. Fuenf Minuten lang. Dann geht's zum VfL.

Beim Essen habe ich mir viel Zeit gelassen. Es ist kurz nach Mitternacht, gerade habe ich die Bundesliga-Ergebnisse bei der "Deutschen Welle" gehoert und den Rucksack gepackt. Bitte, Ha-Long-Bucht, bitte befreie mich noch einmal fuer zwei Tage aus der Umklammerung des Alltags. Das einzige, was mich dann an Deutschland erinnern soll, ist der Sprechchor "Spitzenreiter-Spitzenreiter-HEYHEY!"

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20. Tag
 
Sonntag, 7. August 2005
 
Hanoi -> Cat Ba (Ha-Long-Bucht)
 
Lou Reed laesst gruessen
 
Lasst mich heute gar nicht lange drumherum reden. Lasst es mich ohne einen Versuch eines womoeglich einigermassen kreativen “Vorspanns” sagen. Ich hatte 19 aufregende Tage, spannende Tage, mit vielen Erlebnissen, Massen an Leuten, die ich kennenlernen durfte, vielen Erfahrungen, die ich sammeln konnte und die mir in meinem weiteren Leben bestimmt weiterhelfen. Aber das heute -ja, so wahr ich gerade auf den Strand von Cat Ba Island blicke, aus meinem Fenster in der ersten Etage des Hotels – das heute war das Nonplusultra, der Hoehepunkt, das Highlight, das/der Curry auf der Wurst. Besser kann ein Urlaubstag nicht sein. “Just a perfect day”, hauchte Lou Reed einst ins Mikrofon (ein oft genannter Liedtitel auf dieser Homepage). Ein Song, der den “Trainspotting”-Soundtrack fast zu einer Oper komplettieren liess. “Perfect day” wird heute Abend, gleich, bevor ich den Lichtschalter auf “Aus” betaetige, meinen Tag abrunden. So ein Scheiss, jetzt habe ich doch drumherum geredet.

So ein Scheiss. Schon wieder auf einen Bus warten. “Stehen Sie um 6.30 Uhr auf”, hat der Typ an der Rezeption fast im Befehlston gesagt, gestern Abend noch. Damit ich bis 7.30 Uhr fertig bin mit dem Fruehstueck und sofort in den Bus Richtung Ha-Long-Bucht einsteigen kann. Wann war ich fertig mit meinen zwei Toastscheiben (wenigstens getoastet) und den fuenf Melonenscheiben? 7.15 Uhr. Und wie spaet ist es jetzt? Kurz vor acht. Sinhcafe ist rund um Saigon wirklich um Laengen besser organisiert und deutlich zuverlaessiger. Naja, waehrend der Typ von der Rezeption vietnamesische Soaps guckt, so frueh am Morgen, bleibt mir genug Zeit, um im Reisefuehrer die Entstehungsgeschichte der vielfach hochgelobten, von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannten Bucht (Erbe ist hier uebrigens fast alles, wie mir scheint) nachzulesen. Die Ha-Long-Bucht liegt 160 Kilometer oestlich von Hanoi und besteht aus ueber 3000 Inseln, meist Felsen mit durchaus ueppiger Vegetation. “Ha Long” heisst aufsteigender Drache, und die Landschaft entstand – so die Sage – als ein Drache den Vietnamesen beim Kampf gegen den Feind half und mit dem Schwanz die Berge spaltete. Nuechtern und streng wissenschaftlich betrachtet ist aber in den letzten Millionen Jahren das Kalkgestein an der Kueste “nur” vom saeurehaltigen Wasser zersetzt worden. Es bildeten sich Spalten und Kluefte, in denen das Wasser versank und immer noch versinkt. Durch die hoeheren Temperaturen schritt und schreitet der Stoffumsatz eben schneller voran als ueberall sonst auf der Welt.

Kapiert? Noe? Ich muss es auch einfach live sehen. Es soll so spektakulaer sein, so einzigartig, noch keine negative Stimme ueber diese Tour gehoert; zwei Tage nur; “viiiiel zu wenig” sagten alle, denen ich das hier erzaehlt habe. Aaaah, der Bus kuett…

Es ist ein Mini-Bus, 16 Sitze, der in ganz Hanoi Leute einsammelt. Irgendwo im “French Quarter” steigt eine fuenfkoepfige Familie zu, vom ersten Moment an unverkennbar aus Sueddeutschland, vermutlich Schwaben. Sie erkennen mich “Gleichsprachigen” am VfL-Trikot (das ich heute natuerlich doppelt gerne und dreifach so stolz trage) und ein interessantes Gespraech entsteht. Die Kinder, zwischen 7 und 15, heissen Josephine, Hannah und Felix, und zwar genau in dieser Alters-Reihenfolge, sie redden ihre Eltern mit den Vornamen Jochen und Ulrike alias Uli an. Die Eltern erzaehlen von ihren zahlreichen Reisen, als die Kinder noch nicht geboren waren, zum Beispiel von ihrem dreimonatigen Aufenthalt in Indien, als es nicht moeglich war, zu Hause anzurufen, nicht einmal, um der Mama zum Geburtstag zu gratulieren. “Und heute”, sagt Jochen, “kann ich hier in Vietnam im Internet die ‘taz’ lessen.” Hoerthoert, fuer Schwaben machen sie einen knallermaessig alternativen Eindruck. Wir reden ueber den Kommunismus, der hier ja laut Staatsform noch immer existiert. Nein, vielmehr darueber, dass er in Vietnam so ganz und gar nicht present ist. Kaum Parolen auf Waenden und Haeusern (vielmehr sehr viele Plakate, die auf die AIDS-Gefahr hinweisen und Kondome “ans Herz” legen), keine finster dreinblickenden Soldaten, nichts Graues – dafuer ist dieses landschaftlich faszinierende Land viel zu bunt. Naja, so mancher sozialistische Wohnblock steht hier rum, Ho Chi Minh ist ohnehin in allen Formen praesent (das ist in Europa und den USA kein ehemaliger Staatschef). Und es gibt weder Mc Donalds noch Burger King. Das ist ein sehr sicheres Zeichen, dass der Kapitalismus noch nicht angekommen ist in diesem Land. An meinem 20. Reisetag spiele ich erstmals den Tippgeber, denn die Schwaben sind gerade erst angekommen und reisen von Hanoi nach Saigon. Ich erzaehle von Hue, Hoi An, spucke auf Nha Trang, fasse das aber mit den Worten “grossartiges Reiseland” zusammen. Wenn auch am Anfang etwas gewoehnungsbeduerftig, wie in in einem Nebensatz noch anmerken muss – vor allem, was die vielen Mofas angeht. Und ans Fruehstueck habe ich mich immer noch nicht gewoehnt.

Himmelarschundzwirn, ist das chaotisch organisiert. Um 9.40 Uhr halten wir vor einer total haesslichen Markthalle mit allerlei Geschaeften – so wie alle Minibusse (so um die 25 werden’s sein – mit dem Ziel Ha-Long-Bucht. Ein unglaubliches Gedraenge und Durcheinander. Mit viel Glueck finde ich meinen Bus wieder, als es nach 45 Minuten “Let’s go” heisst. Die Fahrt geht durch die Vororte Hanois, die ineinander ueberzugehen scheinen, durch Vietnams viertgroesste Stadt Haiphong bis nach Ha-Long-Stadt. Die liegt auf dem Festland und besteht aus einigen nebeneinander liegenden Doerfern. Dort heisst es ein zweites Mal “Alle aussteigen!!!” und der Fahrer uebergibt uns anderen Guides. Im Hafen stehen mehrere Boote nebeneinander, und unsere Busbesetzung wird scheinbar wahllos und wild verteilt. Wer behaelt da den Ueberblick?? Die schwaebische Familie bleibt drei Tage in der Bucht und kommt in ein anderes Boot. Tschoeoeoeoe! Um Punkt 12 Uhr, als es zu donnern beginnt und ich erstmals nach einer Woche wieder Regentropfen sehe und spuere (32 Grad sind trotzdem), schmeisse ich mein Gepaeck in den Speisesaal eines dieser Boote, auf das ich hinaufgelotst wurde, warum auf immer. Oben befindet sich das Aussichtsdeck, unten die Zimmer. Dabei hatte ich mich fuer eine Uebernachtung im Hotel entschieden!?! Egal!

Noch sind die Felsen lediglich am Horizont zu erkennen, der Hafen ist noch praesenter. Das hier ist uebrigens Vietnams Kohleregion, wie ich nachgelesen habe, heute Morgen im Hotel – und das moegen wir Ruhrpottler doch besonders. Die Schiffscrew deckt zum Mittagessen (inklusive!) auf. Ich werde an den Tisch zweier englischer Paerchen gebeten, die Herren (Roger und Marshal) sind in Rente, die Frauen (Becky und Lizzy, ganz klassisch) waren ohnehin nur fuer Haushalt und Kinder zustaendig. Aber alle sehr nett. Ein bisschen nervoes bin ich, weil meine Englisch-Kenntnisse fuer diese Art der Konversation (mit absoluten Profis) definitiv nicht ausreicht. Aber um mich ueber das Fruehstueck zu beschweren, reichen meine Vokabeln. Das Mittagessen hingegen ist gigantisch. Jeder der Fuenfer-Tische bekommt viele Schuesseln, ob Reis, Huehnchen, Gemuese, Sossen, Fisch, Seafood – jeder schlaegt zu. Unfassbar. Mitten im Regen, der wie ein Vorhang fuer das Theaterstueck des Jahrzehnts wirkt, tauchen erste Kalktuerme auf. Es wird klasse. Es wird. Bestimmt.

Puenktlich zum letzten Bissen klart der Himmel auf und die ganze wunderbare Pracht liegt vor uns, neben uns, fast ueber uns.

Es ist grossartig.

Nicht zu beschreiben.

Maerchenhaft, zu schoen, um wahr zu sein, fantastisch, unglaublich. Wir setzen uns auf Liegestuehle oben auf dem Deck, platzieren unsere nackten Fuesse auf dem Gelaender und schauen. Das ist besser als Fernsehen. Tausendfach. Besser als fast alles. Wuerde ich noch trinken, ich haette in diesen Momenten einen Schnaps gebraucht. Einen guten. Den besten. Das sind die Stunden, fuer die du dich ein ganzes Jahr lang abrackerst. Das sind die Minuten Urlaubs-Gaensehaut, die dir keener mehr nehmen kann, das sind die Sekunden, die im Alltag nichts zu geben vermag. Mal verharrt das Boot auf derselben Stelle, mal bewegt es sich leise inmitten dieser 3000 kleinen Berge. Hier leben aufgrund der Vegetation viele seltene Tierarten, sogar Hochseefische. Hoffentlich bleibt das auch so, trotz der Touriboote, die schon jetzt zahlreich fahren. Ich befuerchte Schlimmes, denn bald kommen bestimmt die Expressboote und Wasserski-Spezialisten. Hilfe. Es klingt fast wie im Zoo hier, so laut zirpt, quietscht, pfeift und bruellt es. Doch es ist real. Natur. In kleinen Felsluecken sind Fischerfamilien zu sehen, die seit Jahrzehnten hier leben. Und es geht um die Kurve und nochmal, und es bleibt immer spektakulaer, brilliant. Das schreit nach Pink Floyd und Foo Fighters’ “Everlong”, mein Lied fuer besondere Momente. Zwei Paerchen haben “Kajak fahren” mitgebucht. Sie werden aufs Wasser gelassen, unser Guide springt zum Schwimmen hinterher. In einem anderen Boot 200 Meter weiter haengen durchweg junge Leute ab. Sie haben eine andere der zahlreichen Varianten gebucht, naemlich ein tagelanges Bootleben. Rechts von uns liegt ein Strand. Und ins Innere der Felsen werden wir auch gelassen, naemlich in die Hang-Thien-Cung-Hoehle voller effektvoll angestrahlter Stalagmiten und Stalaktiten.

Diese Hoehle durchquere ich mit einem aussergewoehnlich netten australischen Paar, das aber kein Paar mehr ist – und trotzdem noch gemeinsam verreist. Sie duesen ebenfalls von Hanoi nach Saigon und sind noch am Beginn der Reise. Ich erzaehle ihnen, dass die Bucht ein bisschen was von Norwegens Fjordlandschaft hat. Aber eben nur ein bisschen. Die Beiden steigen in der Liste meiner Urlaubsbekanntschaften von Null auf Eins. Ihnen gebe ich meine Mail-Adresse und ich erhalte tausendprozentig eine Antwort. Wieder auf dem Boot schuetten sie – als haetten sie meine Gedanken gelesen – sich einen Schnaps ein. Und mir gleich mit. In einem unbeobachteten Moment tausche ich ihn gegen Wasser aus. Abzulehnen bringe ich nicht uebers Herz. Yeah, ich habe gute Freunde in Australien. Wenn das kein Grund ist…

Um 17 Uhr werden wir aber jaeh getrennt. Ausser mir pennen alle auf dem Schiff (ich sag’s ja: 1000 Moeglichkeiten), manche – wie die Australier – bleiben drei Tage. Ich werde ein letztes Mal abgeschoben, steige um auf hoher See. Gleich sechs Leute, vier Briten und zwei Australier, stehen an der Bruestung und rufen: “Bye Andy!” “Bye, my friend”, ergaenzt der Australier. Ein Moment zu schoen um zu heulen.

Den Rest des Tages nehme ich nach dieser Urlaubs-Sternstunde kaum noch wahr. Auf Cat Ba Island, der groessten Insel der Bucht, ist das Hotel das schlechteste des Urlaubs, das Abendessen nur mehr als durchschnittlich, die Internet-Cafes alle unglaublich langsam, die Klimaanlagen laut und hier gibt es keine Geldautomaten, so dass ich mir auf der Rueckfahrt morgen kaum noch ein Wasser leisten kann. Telefonisch lasse ich mich am 20. Tag erstmals ausfuehrlich und in aller Breite ueber die beruflichen Geschehnisse in Muelheim informieren. Ein leichter Hauch von Alltag.

An Tagen wie diesen ist all das egal, spielt keine Rolle. An Tagen, an denen ein weiterer “Happy Place” auf meine Liste kommt. Solche Traumziele, an die jeder in den suessesten Traeumen zuerst denkt und dann, wenn zu Hause gar nichts zu gelingen scheint. Davon gibt es nicht viele. Bei mir ist es Bochumer Ruhrstadion, klar. Und im Ausland das Nordkapp und der Geirangerfjord, jeweils in Norwegen, Israels Davidsquelle am Toten Meer, das Rote Meer in Aegypten, Stockholm in Gaenze sowie einsame Seen in Finnland und Schweden.

Und nun auch die Ha-Long-Bucht.

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21. Tag
 
Montag, 8. August 2005
 
Cat Ba (Ha-Long-Bucht) -> Hanoi
 
Das Ende des Fiebers
 
“Dem Morgenrot entge-he-geeen”, singt Hannes Wader bei seiner fast schon legendaeren Live-Aufnahme fuer die “Arbeiterlieder”-CD. Und ich schaue mitten in der Ha-Long-Bucht in die noch aufgehende Sonne, um kurz nach acht. “Schlag zu, du junge Garde des Proletariats”, bei dem Refrain singen im Saal alle mit. Naja, ich nicht, mitten auf dem Boot. Wuerde eh keiner verstehen.

Hinter mir liegt eine solide Nacht in meinem siebten Hotel dieses Urlaubs. Das war aber nur eine ueberdachte Bettdecke ohne jegliche Art von Komfort – trotz des geringen Preises bin ich scheinbar anspruchsvoll geworden, eigentlich war das Preis-/Leistungsverhaeltnis voellig okay. Mein Magen hat gerade nicht besonders viel Arbeit, denn das Fruehstueck (noch sechs Tage bis zu meinen Cornflakes und einem Schoko-Croissant egal von welcher Baeckerei) bestand aus zwei Mini-Baguettes mit einem Mini-Klecks Marmelade und einer Banane. Aber das ist ja immerhin inclusive… Und vor mir liegt eeeeendlich der eeeeendgueltig letzte Tag, an dem ich laenger als drei Stunden im Bus sitzen muss. Es gibt so viel zu sehen in Vietnam, fast jeder Blick aus dem Fenster bringt eine neue Entdeckung oder gruene, schier endlose Reisfelder, schwer beladene Frauen mit Kegelhueten auf dem Kopf, typisch kleine Haeuser, also duenn, aber lang und Mofas. Mofas, Mofas, Mofas. Mit einem Fahrer, zwei, drei oder auch mal einer vierkoepfigen Familie im dicksten Verkehr. Doch all das bin ich allmaehlich wirklich satt, immer nur aus dem Fenster zu sehen. Genug gesessen. Wem immer ich in den letzten Tagen von meiner Tour erzaehlte – und alle Traveller tauschen sich regelmaessig aus – der reagierte erstaunt, wie schnell ich die Sued-Nord-Tour durchgezogen habe, in nur 16 Tagen. Keine Luft zum Atmen, das war scheinbar das Besondere an meiner Single-Tour. Die anderen waren moistens mindestens als Paar unterwegs und/oder gleich durch ganz Suedostasien. Oder mindestens drei Netto-Wochen.

Auf dem Schiff werde ich noch einmal ein bisschen an den grossartigen gestrigen Tag erinnert. Es ist dasselbe, das ich gestern verliess, derselbe Guide, aber etwas andere Besatzung. Die Australier fehlen leider, die britischen Paerchen sind aber dabei. “Hey Andy”, sagen, nein singen sie fast quietschvergnuegt am Morgen. Sie hatten scheinbar eine ruhige Nacht an Bord. Neben mir sitzt im Speisesaal ein Paerchen, das in Singapur wohnt und arbeitet, aber eigentlich aus Japan (sie) und England (er) stammt. Sie haben ein verlaengertes Wochenende zu einem Abstecher in die Ha-Long-Bucht genutzt – diese Moeglichkeit haette ich auch gern… Von Singapur ist’s nicht weit! Ein Schwede, der links neben mir sitzt, erzaehlt von einer durchzechten Nacht in einer Karaokebar auf Cat Ba. Und seinen Kater. Er freut sich auf Nha Trang. So kann man natuerlich auch durch Vietnam reisen… von Bar zu Bar und zwischendurch ein bisschen was sehen!

Noch einmal geht es durchs Paradies, noch einmal durch die Zoo-Geraeusche. Noch einmal Sonnen an Deck, noch einmal Eindruecke wie Drogen in die Vene spritzen. Ein Happy Place, ich sag’s ja. Doch mit jedem Meter, den wir uns der Kueste naehern, mit jedem Meter, mit dem wir uns von Cat Ba entfernen und Ha-Long-Stadt klarer am Horizont zu erkennen ist, desto schneller sinkt mein Reisefieber. Ich bin heute seit genau drei Wochen unterwegs und nun habe ich wirklich alles gehabt und gesehen, was ich wollte. Alles hatte ich, sogar bis zum Reise-Hoehepunkt-Tag. Fuer Hanoi morgen gibt’s noch einmal ein dichtes Programm mit dem Highlight Ho Chi Minh-Mausoleum, aber wie ich die zwei Tage im zurzeit (laut Wetterbericht) regnerischen und gewittrigen Bangkok rumkriegen soll, ist mir ein Raetsel. Ab uebermorgen verschwinden die Vietnam-Reisefuehrer wieder im hintersten Rucksack-Eck. Und Bangkok ist wieder “in”. Aber auch nur in diesem Punkt.

Nach zwei Stunden haelt das Boot an. Der Himmel ist blau, die Sonne brennt so sehr, dass ich es vorziehe, im leeren Speisesaal zu bleiben, um nicht mit einem Sonnenbrand heimzukehren. Ploetzlich haelt das Boot. Der Guide joggt ueber alle Etagen des Bootes und fordert uns zum Schwimmen auf. Mist, ich habe meine Badeshorts natuerlich nicht dabei – andere dafuer schon. Und sie huepfen vom Deck des Bootes, mindestens zwei Meter hoch, mitten ins Nass. Muss das herrlich sein. Ein wenig neidisch blicke ich aus dem Saal durchs Fenster nach unten. Und schmunzle ein wenig, als ein Calmund-Verschnitt ungewollt eine Arschbombe hinlegt (endlich einmal das Wort “Bombe” nicht im Zusammenhang mit den USA verwendet…). Nach zwanzig Minuten brettert das Boot weiter und ich erwische mich dabei, wie ich in meinem Notizblock die Tage von Sonntag bis Dienstag durchplane. Ich will ja nicht ganz unvorbereitet heimkehren. Ein bisschen schade ist’s aber schon.

Zwischen 12 und 17 Uhr passiert nichts. In einem Restaurant in Ha-Long-Stadt bekommen wir dasselbe Buffet aufgetischt wie am Tag zuvor auf dem Boot. Das ist natuerlich immer noch toll, aber diesmal habe ich keinen Hunger und der Ueberraschungseffekt ist natuerlich weg. Da ich auf Cat Ba keinen Geldautomaten finden konnte (und hier auch nicht), reicht mein Geld nur noch fuer einen halben Liter Wasser (die Getraenke sind nicht inclusive). Ich kille die Flasche in zwanzig Sekunden und befuerchte, innerhalb der naechsten Minuten an Fluessigkeitsmangel zu kollabieren. Und dann wieder im Bus sitzen. Zum letzten Mal gequetscht in einem engen Sitz, Discman hoeren, rausschauen. Eine Pause zwischendurch bringt eine gute Traveller-Erfahrungs-Zusammenfassung. Wieder halten alle moeglichen Busse zeitgleich an einer (diesmal anderen) Markthalle und dort begegnet mir ein Paerchen, das ich bei der Cu-Chi-Tour erstmals traf (“damals” muss ich fast schon schreiben) und der Mitte-40-Australien aus der DMZ-Tour rund um Hue. Sehen und gesehen werden. So eine Rucksackreise macht schon Spass.

Um 17 Uhr werde ich direkt am Prince Hotel rausgelassen, die gewiss schoenste Tour, aber gewiss nicht bestorganisierte geht zu Ende. Der Tag ist natuerlich kaputt, denn in einer Stunde beginnt hier in Vietnam schon die Daemmerung. Noch was zu unternehmen, ist also zwecklos. Im Hotel bekomme ich nun Zimmer 402 in der vierten Etage – dort stinkt leider die Klimaanlage. Meinen ersten Eindruck aus Hanoi, den beschaulichen, muss ich etwas revidieren. Bei der “Reinfahrt” ueber die Bruecken des Roten Flusses schien das Verkehrschaos Saigoner Ausmass zu nehmen. Und der Highway, zweispurig ausgebaut, hat durchaus Metropolencharakter. Doch bei meinem lieblichen, fast romantischen Gefuehl, das mich beim Durchschreiten der Altstadtgassen beschleicht, bleibe ich. Wort fuer Wort. So etwas gibt es in Saigon nicht. Im kosmopolitischen, sehr bangkokwestlich orientierten, gewollt hektischen Saigon. In den Gassen schlendern, das mache ich ab 17.30 Uhr. Ich setze mich wie gestern ins Cafe am See, schaue der Sonne bei der Untergangsarbeit zu, gehe italienisch essen (einmal Pizza pro Woche als Abwechslung zum Reis muss einfach sein) und schlendere. Schlendere und schlendere. Wenigstens noch ein bisschen genutzt, diesen Tag.

Mit einer kleinen Tumultgeschichte findet der sein Ende. Jetzt gerade, waehrend ich diesen Eintrag im Original-Tagebuch verewige, ist hier im Hotel die Hoelle los. Es gab drei, vier laute Knaller, als wenn ein Fernseher explodiert waere oder so etwas, dann Sirenengeheul und zwei Stromausfaelle. Bin mal gespannt, was sich hier ereignet hat.

Ich erfahr’s morgen. Wenn ich wieder dem Morgenrot entge-he-gen laufe.

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22. Tag
 
Dienstag, 9. August 2005
 
Hanoi
 
Aber hier leben?
 
Ein letztes Mal das Gehupe aufsaugen, die Lautstaerke, die Leute. Die Leute, die gegenueber auf dem Buergersteig sitzen und sich die Suppe “Pho” servieren lassen, in einem dieser Millionen an offenen Restaurants. Die vielen Laeden geniessen, die an den Strassen auch um kurz nach neun noch um Kunden buhlen. Ein letztes Mal ein Fruechtemeer, und ja, mit ein wenig Wehmut, ein letztes Mal “NO!” zu den vielen, vielen Mofataxifahrern sagen. Im Restaurant, naja, viel mehr in einem Café mit Karte fuer warme Speisen – also dort habe ich meine Sticks schon lange zur Seite gelegt und schaue nur nach dreaussen in die Altstadt. Im CD-Player des Cafes laeuft auf einmal “Take it easy”, fast wie auf Ansage, auf Zuruf. Es ist mein letzter Tag, letzter Abend, die letzten Stunden in Vietnam. Diesem fuer mich gewoehnungsbeduerftigen Land, das ich im Laufe der 16 Tage hier immer mehr ins Herz geschlossen habe, weil es so viele Highlights, unbedingt sehens- und erlebenswerte Ecken zu bieten hat. Als “Take it easy” vorbei ist und ich die Rechnung begleiche, kommt mir ein Tocotronic-Titel in den Sinn, zumindest der Beginn davon. “Aber hier leben?”

Jetzt aber schnell, hurry up, leg einen Zahn zu. Ohne gestern Abend gross nachzudenken, habe ich meinen Wecker auf 8 Uhr gestellt. Ich stehe voellig uebermuedet um 8.30 Uhr auf, da faellt mir wieder ein, dass das Ho Chi Minh Mausoleum nur bis 10.30 Uhr geoeffnet hat und man auch noch sehr lang anstehen muss. Schnell geduscht, in die Klamotten geschmissen, an der Rezeption nach der Ursache des naechtlichen Trubels gefragt (Loesung: Direkt nebenan war ein kleiner Brand), auf das naechstbeste Mofataxi geschwungen und ab dafuer. So komme ich doch noch einmal in den Genuss dieses mobilen lebensmueden Services. Schnell kutschiert mich der Typ zum Mausoleum und um 9.45 Uhr ist die Schlange immer noch riesig. Das klappt nie. Meine Tasche samt Kamera muss ich an der Rezeption abgeben. Aus dem Baedeker habe ich ohnehin schon alles auswendig gelernt, dann kann ich den direkt in der Tasche lassen. Ho Chi Minh wollte das gar nicht. Er wollte verbrannt werden und dass seine Asche in drei Urnen (sinnbildlich fuer Norden, Zentrum und Sueden) verteilt wird. Stueck fuer Stueck ruecke ich, rueckt die ganz lange Reihe voran, alle zwanzig Sekunden frage ich meinen Vordermann nach der Zeit. Es wird knapper. Und dann ist es soweit. Der graue, ungemein haessliche und ueberdimensionierte Betonklotz taucht vor mir auf. Alle paar Meter steht ein Soldat der Ehrengarde, in Weiss gekleidet und jeder kontrolliert stichprobenartig, obwohl es schon eine Security-Station a la Flughafen gab. Reden ist strikt verboten, Shorts bei allen oder zu hautenge Kleidung bei Frauen ebenfalls. Eine freie Schulter – pfuuuuiii… Jemand, bei dem das Handy im unguenstigen Moment klingelt, wird rausgeholt. Hihi, Pech gehabt.

Erstmals in meinem Leben sehe ich eine Leiche, denke ich und tupfe mir den Schweiss von der Stirn. Obwohl es noch frueh am Morgen ist, betragen die Temperaturen schon weit ueber 30 Grad. Um 10.26 Uhr, puuuh, puenktlich, betrete ich das eisgekuehlte Mausoleum. 20 Jahre lang stand in diesem die einzige Klimaanlage Vietnams, also – nach Adam Riese – bis 1995. Ich will besser nicht wissen, wie die das in dem Land ohne Aircondition ausgehalten haben. Still ist es, ganz still, nur das Trapsen der Schuhe ist zu vernehmen. Nur hier blacken die Soldaten wirklich finster drein. Der entscheidende Raum. Im Gaensemarsch schleichen wir in U-Form um den glaesernen Sarg herum, in dem Ho einbalsamiert, anzugtragend, mit geschlossenen Augen, angestrahlt wird. Das war mal ein Mensch?? Er sieht original aus wie eine Wachsfigur von Madame Tussaud! Aber original. Und doch ist es ein faszinierendes, unvergessliches, stimmungsvolles Erlebnis. Obwohl sich Vietnam Richtung Kapitalismus und Konsum bewegt, obwohl Ho sein Land kaum noch wiedererkennen wuerde und er so manch kritische Entwicklung beobachten muesste (sein Wunsch ”wir werden das Land tausendfach schoener aufbauen als es je war” ist nur bedingt umgesetzt), verehrt eine ganze Nation den seit 1969 gestorbenen Koerper. Keine Grossstadt ohne Ho-Denkmal, Ho-Museum, kein Geldschein ohne Ho’s Kopf, kaum ein Haus ohne Ho’s Bild. “Ho Ho Ho Chi Minh”-Sprechchoere kennen heute noch alle Studenten und nicht nur die. Wie kein Zweiter steht der damalige nordvietnamesische Praesident fuer den Kampf gegen die USA. Und fuer Vietnam.

Noch tief beeindruckt hole ich schnell meine Tasche und schaue mir den Rest in Onkel Ho’s Viertel an. Denn er lebte nicht in Prunk, Saus und Braus, wie man es fuer einen Staatenlenker dieses Formats vermueten koennte. Ho lebte ganz spartanisch in einem kleinen Wohnhaus mit wenigen Zimmern an einem schnuckeligen Karpfenteich, die noch heute darin schwimmen. Alle Zimmer sind im Originalzustand erhalten. Etwas kuenstlich und eindeutig wahnsinnig uebertrieben ist das Ho Chi Minh (heisst uebrigens “der nach Erleuchtung Strebende”, im Laufe seines 79-jaehrigen hatte er fast 50 Namen, die moisten davon zu Tarnzwecken), also das Ho Chi Minh Museum. Alles, was von Ho aufzutreiben war, Stifte, Klamotten, Stuehle, Notizen ist neben einigen Kunstobjekten auf zwei Etagen ausgestellt samt riesigem Souvenirshop, in einem Gebaeude, das auch als Hauptstelle einer Bank durchgehen wuerde. Es ist nicht nur Ho’s, es ist auch das politische Viertel der Stadt. Am Parlament geht es vorbei, dem Platz, auf dem Ho 1945 die Unabhaengigkeitserklaerung verlas, und an zahlreichen Botschaften. Ein Blick zum Himmel beendet meinen politischen Stadtrundgang um high noon. Es zieht bedrohlich zu. Politik – noch so etwas, mit dem sich das leichtlebige Saigon nicht rumzuschlagen vermag. Und was Hanoi ein bisschen ernster, nachdenklicher. Hier in Hanoi sollen sich auch alle wichtigen Kuenstler und Intellektuellen aufhalten. Was ist nicht nachpruefen, mir aber gut vorstellen kann. Hanoi denkt, Saigon feiert.

Am West-See will ich ohnehin meine Mittagspause verbringen. Der See liegt im Nordwesten Hanois und ist um ein Vielfaches groesser als der beliebtere Hoan Kiem See. Eine Fahrradumrundung wuerde 14 Kilometer lang dauern – waere prima als Joggstrecke fuer Fussballteams geeignet. Ein bisschen Kellersee-Eutin-Stimmung steigt in mir auf, von den Zehenspitzen bis in die Haare – okay, die sichtbaren Hotels und eine Pagode zerstoeren das Gefuehl sofort. Es gibt so viel Wasser in Hanois Mitte. Zwei Seen, der Rote Fluss ist auch nicht weit. Schoooeeenn!

Als ich auf einer Bank Platz nehme, beginnt es zu nieseln. Ich wechsele in ein Cafe, rutsche auf dem Weg dahin einmal boese aus und lege mich fast auf die Fresse (glitschig hier! Aufpassen!) und werde deprimierter. Es regnet in Stroemen. Nicht wie sonst nur zwanzig Minuten, sondert zwei Stunden lang. Na gut, es gibt schlechtere Orte, als am West-See bei einem O-Saft auf Eis eine Mittagspause zu verbringen.

Um 14 Uhr bleibt es zwar bewoelkt, aber es regnet nicht mehr. Waaaas?? Schon zwei?? Mein naechstes Ziel ist das Aeroflot-Buero, um meinen Rueckflug zu bestaetigen, jaja, werde eben immer haeufiger mit Deutschland konfrontiert jetzt. Ich muss in einen Vorort, der eigentlich prima erreichbar sein muesste und so ein Spaziergang tut auch mal ganz gut. Die Luftfeuchtigkeit ist enorm, schon nach zwei Minuten koennte ich mein T-Shirt auswringen. Nach zwanzig Minuten erreiche ich die Zielstrasse “Kim Ma” am Haus Nummer eins und ich muss bis 360. Uff. Weitere fuenfzehn Minuten spaeter habe ich die Hanoier Fussballstadion passiert (das Muelheimer Ruhrstadion ist schooner) und es bis 180 geschafft. Da kapituliere ich. Mach ich das eben telefonisch. Schnell das Handy eingeschaltet – und die verstehen mich kein Stueck. Mal schauen, wie ich das nun regale. Egal. Zurueck nehme ich trotz zahlreicher Anfragen – die Kim Ma ist eine viel befahrene Hauptstrasse auf dem Weg zum Highway, also zu einer der Nationalstrassen – und trotz der offenkundigen Schweissprobleme kein Mofataxi, so dass ich voellig ausser Puste um halb vier ins Air-France-Buero am Hoan Kiem See stuerze, um in einem klimatisierten Raum zu sitzen und um wenigstens den morgigen Flug rueckzubestaetigen. Ist zwar ein bisschen spaet, aber klappt!

Heute mache ich nix mehr, no way. Ich kaufe eine Flasche Wasser und hocke mich an den See. Ploetzlich setzt sich fuer zehn Minuten ein vietnamesischer Student zu mir, der sehr passabel Englisch spricht. Er hat mich am VfL-Shirt erkannt und Bochum mit Bundesliga in Verbindung gebracht. Nett von ihm. Er hat noch nie Vietnam verlassen, sein Traumreiseziel ist Europa. Vielleicht sagt er’s nur wegen mir. Im Cafe, direkt am nordwestlichen Ende des Sees, meinem Lieblingsladen inzwischen, lesen vier Leute den “Lonely Planet”, nach dem 90 Prozent der Traveller reisen, wie mir scheint. Da sind die vermerkten Geheimtipps doch laengst keine Geheimtipps mehr. Nicht schlecht, dass ich den “Know How” benutze und nur ab und zu im “Lonely Planet” nachschlage. Nach dem Weg durch die durch abgestellte Mofas, fahrende Mofas, Laeden und Fussgaenger bis zur Unkenntnis verwuselte Altstadt kehre ich gegen fuenf ins Hotel zurueck, um zu surfen und meine mehr als durchgesickten Klamotten zu wechseln. Trotz der Undurchschaubarkeit und der versteckten Strassenschilder habe ich den Weg zum Hotel ohne nachzuschauen gefunden. In Saigon haette das wohl nie geklappt.

Nach einer Portion “Luc Lac” und den letzten wehmuetigen Augenblicken auf Hanois Strassen hoere ich in meinem Hotel ein paar Donner, die laut knatternde Klimaanlage, schaue nebenbei die vietnamesische Version von “Wer wird Millionaer” (hmmm… eine Million Dong haben den Wert von knapp 55 Euro, welch billige Show, aber ich glaube, es geht um 55 Millionen) und stelle mir die “Aber hier leben?”-Frage. Vietnam ist ein tolles Land, ich betonte das mehrfach. Doch um hier mehrere Monate zu leben und zu arbeiten, waere es mir einen Tick zu laut, zu heiss, zu fremd. Die Kueche wuerde mich extreme stoeren, der langsame Internet-Anschluss (Scheiss-Details, oder?), naja, ich bin wohl auch ein kleines westliches Konsum- und Luxuskind. Abgesehen von meinen Freunden, meiner Familie und dem VfL, die mir natuerlich auch wahnsinnig fehlen wuerden 15 Flugstunden entfernt. Und um als Sportjournalist zu arbeiten, ist Vietnam auch nicht gerade die Offenbarung. Im Journalismus wird hier immer noch zensiert und hochklassigen Sport gibt es in Vietnam nur im Fernsehen.

Um vier oder meinetwegen auch sechs Wochen zu reisen (im Norden musste ich leider die Bergtour bis Sa Pa streichen, die ganz toll sein soll), gibt es kaum einen schoeneren Platz auf der Welt. Mekong-Delta, vor allem die Ha-Long-Bucht, die Zentralkueste, Saigon, Hanoi, Hoi An, die Cu-Chi-Tunnel, alles unvergessliche Momente, fuer die es sich lohnt, sich viel Zeit zu nehmen. Aber hier leben? Wie lautet die Tocotronic-Antwort – keine Frage, in diesem Song nicht auf Vietnam gemuenzt, aber fuer mich diesmal entfremdet und uebertragbar? Nein, danke. Leider.

Auf die Frage Saigon oder Hanoi habe ich eine eindeutige Antwort. Auf der einen Seite das gewollt unpolitische, hektische, fast komplett kapitalistische, moechtegernmoderne, travellerfreundlichere, sich abzugrenzen versuchende Saigon, noch immer mit spuerbar amerikanischen Einfluessen. Und dann das exotischere, ernstere Hanio, mit einer fantastischen, ruhig-hektischen Atmosphaere und vielen aufregenden Plaetzchen.

And the winner is Hanoi.

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24. Tag
 
Donnerstag, 11. August 2005
 
Bangkok
 
Stunden zaehlen
 
Irgendwann klaert sich immer alles auf. Jetzt weiss ich endlich, warum die Koenigin seit gestern Abend (und vermutlich sogar noch viel laenger) kirmesmaessig und kitschig ohne Ende ueberall hier angestrahlt wird. Jetzt weiss ich, warum heute um kurz nach elf noch laute Musik in mein Zimmer droehnt. Jetzt weiss ich, warum hier heute in der Umgebung alles blitzeblank gefegt und geschrubbt wurde. Nein, das ist hier nicht die Normalitaet (aber was ist schon normal in dieser Stadt?). Morgen hat die Koenigin Geburtstag! Und schon ab heute ist der ganze Sanam Luang (wer wissen will, was das ist, muss auf dieser Seite ganz, ganz weit nach oben scrollen): jedenfalls der Sanam Luang, diese Allzweckwaffe fuer alle moeglichen Veranstaltungen direkt vor dem Royal Palace und in Fussball-Torabschlag-Weite von meinem Hotel entfernt, ist randvoll mit Buden, Menschen, Verkaeufern, Autos und Buehnen. Total irre. Bekloppt irre.

Blinzelblinzel... wo ist der Wecker... aaaah da... blinzel... kurz nach neun, ach da kann ich ja noch ein bisschen liegen blieben. Gestern Nacht ist es dann doch noch zwei Uhr geworden, bis ich alles aufgeschrieben, Zaehne geputzt, im Fernsehen das Ende des absolut unsinnigen Films "Starship Troopers" verfolgt hatte und am Ende auch eingeschlafen war. Uaaaah... gaeeeehn... blinzel... und wieder taucht diese grosse Frau namens Zeit vor mir auf, die ich irgendwie besiegen muss. War doch keine allzu gute Idee, noch zwei Tage in Bangkok dranzuhaengen, naja, aber aus preislichen Gruenden ging das eben nicht anders. Meine Motivation ist nicht nur auf dem Nullkommanull-Punkt, sie liegt sogar auf dem tiefsten Punkt aller Meere. Nicht, dass ich mich nach der Arbeit sehnen wuerde, es ist eine Vakuum-Situation. Machtlosigkeit. Naja, erstmal nicht mehr auf die Uhr sehen, nehme ich mir vor, gehe duschen, in aller Ruhe, falle ueber das Fruehstuecksbuffet her (sehr westlich, wenig thailaendisch, aber ich beschliesse trotzdem, dass sich die vietnamesischen Hotels NUR in diesem Punkt etwas abschauen koennten), schaufel mir den Teller gleich dreimal voll, mit Toast, Marmelade, Reis, Salat, Obst, dazu O-Saft und Wasser - eben mit allem, was da so rumsteht. Schnell noch im "Know-How Bangkok" geblaettert und gelesen, dann wieder die Uhr hervorgeholt. Wow, 12 Uhr, klasse, schon den halben Tag geschafft, das ging ja flugs. Tempoverschleppung perfektioniert!

Was tun... was tun... ich hole dieses Tagebuch hervor, schmoekere in den Bangkok-Eintraegen, und KLONK wuerde jetzt in einem Comic stehen, und ich als Zeichenfigur vor eine Betonwand laufen. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen? Ich beende meinen Urlaub so, wie er begonnen hat: Mit einer Massage im Wat Po! Das ist erstens sensationell und dauert ziemlich. Auf meinem Zimmer ziehe ich mich noch schnell um, schaue dabei Snooker auf dem Sportkanal (also das wird mir wirklich fehlen...) und ab dafuer.

Bangkoks Strassen. Wieder hier. Aber gewiss nicht in meinem Revier. Wird's auch nie werden. Schwarze Wolken kommen aus den Hinterteilen der meisten Autos, ein fast unertraeglicher Motorengestank verpestet die Luft. Von Vietnams Grossstaedten laesst sich Bangkok schon in den kleinsten Details unterscheiden. Nicht nur wie gestern gesagt Links- statt Rechtsverkehr, Autos statt Mofas und Koenig Bhumibol statt Onkel Ho, sondern auch Tuktuks statt Mofataxis, Pagoden statt Wats, keine Frauen mit Kegelhueten im Strassenbild und noch deutlich mehr Touristen - gegenueber Bangkok ist Vietnam paradiesisch unerschlossen. Nur ausserhalb der Staedte duerften sich die Laender doch aehnlich sein. Denn Bangkok mag zwar wohlhabend und extrem westlich wirken, aber Thailand in Gaenze ist immer noch ein bettelarmes Entwicklungsland, so wie auch Vietnam.

Wie vor drei Wochen passiere ich das grosse Feld Sanam Luang, da sind nicht nur wie sonst fliegende Haendler und pausierende Arbeiter, sondern auch viele, viele andere Leute. Ist da heute was?? Es geht am Grand Palace vorbei, an den grossen, weissen Mauern und den Soldaten mit Gewehr im Anschlag. Es ist echt paradox. Wie ich bei meiner kleinen kurzweiligen Lesestunde heute Morgen feststellen musste, werden (egal welche) Reisefuehrer nicht muede zu betonen, dass die Regierung alles gegen Prostitution und Drogenhandel unternehmen wuerde und in vielen eigentlich beruechtigten Gassen und Stadtteilen nachts auch Familien bummeln koennten. Ein ein paar Seiten weiter heisst es dann: Den Lumphini-Park nachts besser nicht betreten, dort wimmelt es vor Verbrechern und es hat auch schon Morde gegeben, auch rund um das Democracy Monument (also in unmittelbarer Naehe zur Khao San Road) soll es sehr aggressiv zugehen - naja, und die Patpong-Strassen seien eben nur vordergruendig ein Markt mit vielen Laeden... Und drogensuechtig seien hier ohnehin sehr viele. Tja, Bangkok hat so viele Gesichter, auch so viele miese, dass eigentlich keiner mehr weiss, wo Wahrheit ist, wo Dichtung und wie das ueberhaupt zu deuten ist. Das Nachtleben Bangkoks nimmt in allen Reisefuehrern ein Extra-Kapitel ein, und das fehlt auch noch auf meiner Sightseeing-Liste. Denn es geht weit, weit ueber die Khao San Road hinaus. Die ist lediglich ein Mini-Puzzleteil inmitten von Patpongs, Karaoke-Bars, futuristischen Grossraum-Diskos und Gogo-Kneipen. Nee, aber ich lasse meine Finger davon. Und gehe nachts lieber frueh ins Bett.

Oh je, der Prunk, der Prunk, der Prunk - ich hatte mitten in Vietnams bunter Welt fast vergessen, wie guelden-kitschig und fernab jeglicher Realitaet das hier an manchen Stellen aussieht, vor allem rund um den Royal Palace. Schneller bewege ich meine Fuesse vorwaerts, damit ich fix ins Wat Po komme, um nicht von all dem Gold blind zu werden. Die eigentliche Sehenswuerdigkeit dort, den liegenden Buddha, lass ich liegen. Ab zum Massage-Schuppen, dem beruehmtesten des Landes. Fuer 300 Baht lasse ich mir so gut wie alles durchkneten. Wieder eine Stunde lang die Augen schliessen und an alles Schoene denken. Zum Beispiel meine Happy Places. Zum Beispiel also die Ha-Long-Bucht. Als die Masseuse "Finish" sagt, will ich's nicht glauben und fuehle mich verarscht. Ein erster Blick, ein erster Griff geht zur Uhr - aaaaaahhh, selbst die Armbewegung ist jetzt sehr angenehm - nee tatsaechlich, von genau 13 bis genau 14 Uhr ging's. Unglaublich.

Beim Gratis-Samrong-Drink, den ich am Ausgang des Massage-Schuppens auf dem Tempelgelaende bekomme, lese ich wieder im "Know-How". Hey, ins Nationalmuseum koennte ich jetzt auch noch gehen. Hat nur noch bis 16 Uhr auf, naja, aber in ein und demselben Museum bleibe ich sowieso in den seltensten Faellen laenger als zwei Stunden. Zurueck geht es, am Royal Palace vorbei, das Sanam Luang wird voller und voller - und rein ins Museum. Fuer Freunde der Hochkultur - ich erwaehnte es schon einmao - ist Bangkok ein Desaster. Grosse Konzerte, Theaterstuecke undsoweiter (scrollt hoch) empfinden die Ich-geb-Gas-gib-mir-Spass-orientierten Thai eher als "spiessig". Wenigstens ein Nationaltheater gibt es, direkt neben dem Museum. Aber Travestieshows und Thai-Boxen sind wohl eher angesagt. So heisst es jedenfalls in den Reisefuehrern, aber ich kann es mir auch sehr gut vorstellen. Das Museum ist also mit das hoechste der intelligenten Gefuehle hier?? Nach einem langsamen Marsch durch die Hallen weiss ich eins: Monarchien sind echt irre. Bekloppt irre. Die Geschichte Thailands, des ehemaligen Siam, ist anschaulich dargestellt, unterlegt mit alten Waffen, Musikinstrumenten, Schautafeln, Kleidung und etlichen weiteren Exponaten dieser Art, die das Leben einst und jetzt zeigen. Und doch endet alles immer in einer fuerchterlichen Glorifizierung der Monarchie. Ehemalige Throne, Gewaender, Gemaelde, voellig uebertriebene Bestattungswagen sind ausgestellt. Als meine Geduld zu Ende ist, zeigt die Uhr kurz vor vier an. Kurz vor vier!! Wow, der Tag ist fast rum und ich habe noch nicht einmal Luft geholt. Klasse! Den Rest des Tages kann ich spielend an der Khao San Road verbringen.

Auf dem Rueckweg am rappelvollen Sanam Luang vorbei wird es mir zu bunt und ich zwinge einem Passanten ein Gespraech auf. Wie lange ich gedenken wuerde, in Bangkok zu bleiben, fragt er. Nur bis morgen, entgegne ich. Da gluehen seine Augen. Nicht, weil ich dann wieder verschwinde. Er sagt: "You are lucky!" Fast im besten Lothar-Matthaeus-Englisch. "Tomorrow is the birthday of the queen. And today in the evening festival begins." Ich hab's hier irgendwie mit der Koenigsfamilie. Erst sehe ich den Koenig hoechstpersoenlich und nun bekomme ich mit, wie die Thai reihenweise vor dem Bild eines ganz normalen Menschen auf die Knie sinken, nur weil der zufaellig Geburtstag hat. Bekloppt irre.

Um halb fuenf erreiche ich erstmals wieder die Khao San Road, diese wohl auf der ganzen Welt nicht zu schlagende Travellermeile, gestern Abend bin ich sofort nach dem Check-In auf meinem Zimmer verschwunden. Wer sich hier langweilt, der ist wirklich selbst schuld. Die Strasse misst keine 600 Meter, moechte ich schwoeren, doch sie lebt. Hier regieren Haendler und Feilscher, Rucksaecke und Rastazoepfe, Cafes und Bars, Musik und Klamotten. Hier hat keiner Geld, irgendwie. Und die einen dann doch mehr als die anderen. Wer am fertigsten aussieht, ist der coolste. Stoebern an den CD-Staenden, so wie gestern in Hanoi, T-Shirts und Klamotten gucken, im Internet-Cafe nach den neuesten News aus Muelheim erkundigen, bei Fruchtshakes Leute beobachten (Verkaeufer und Traveller, macht wahnsinnig Spass hier) und bis in die Dunkelheit trinken und den Bass aus zahlreichen Lautsprechern aufsaugen. So vergeht Zeit, ohne dass es wirklich auffaellt. Am 13. oder 14. Tag, wahrscheinlich in Nha Trang, hoffte ich noch, die zweite Urlaubshaelfte solle doch immer ruck, zuck vorbeigehen. Und oh ja, so war, so ist es.

Nach einem Reisgericht am Abend im Hotel und einem letzten Banana-Pancake auf der dunklen und doch neonroehrenbelichteten und hoffnungslos ueberlaufenen Khao San Road sitze ich auf meinem Bett, an der Stelle, an der ich vor 24 Stunden noch gruebelte, wie ich die naechsten 24 rumkriegen soll. Es ging. Ueberraschend. Der Tag ist sensationell fix an mir vorbeigezogen, und ich habe sogar etwas Sinnvolles getan. Nur noch ein Tag. Jetzt kann ich die Stunden zaehlen, bis der Flieger geht. Das ist auch gut so. Ich kann das Ende, meine Freunde, am Horizont sehen. Und nach 24 Tagen allein wird das auch Zeit. Es reicht langsam.

IN EIGENER SACHE:

Das war mein letzter Eintag, den ich live aus Suedostasien online stelle. Die beiden letzten Tage reiche ich aus Muelheim nach, vermutlich dann auch schon mit den ersten Fotos. Danke schon einmal dafuer, dass Ihr so geduldig Tag fuer Tag mitverfolgt habt!

 

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