Übersicht
Tag 1: Mülheim -> Trier
Eins, zwei, drei Worte
"Einmal die 'Pomm-und-Toffel
-Pfanne" bitte, werfe ich beschwingt dem Kellner entgegen. "Und vorher
ne Suppe. Kartoffelsuppe, mit Zwiebeln." Dann schlage ich zufrieden die
Speisekarte zu, ruecke mir die Sonnenbrille zurecht, die ich nicht aufhabe,
hoere CD, Discman und habe doch keinen Kopfhoerer auf. "Bite gib mir nur
ein Wort", haucht Judith von Wir sind Helden. Ja, kannste haben, dir haett
ich so einiges zu sagen. Und allen und jedem und sowieso - egaaaaaal ist
die Welt. Vor mir liegt ein halbwegs grosser Platz irgendwo im Herzen von
Trier, ich sitze in einem Restaurant, das ich stets zu besuchen pflege,
sobald ich das schnuckelige Staedtchen an der Mosel bereise, nippe an meiner
Cola und schaue in acht Augen. Blicke sie an und doch nicht. Mein Bruder
Thommy und seine Freundin Marrit gewaehren mir eine Nacht Unterschlupf
und - Ueberraschung - Marrits Bruder Arne, 34, und seine 21-jaehrige Kim,
sind auch da. Frisch aus Belgien.
Unser Tisch wackelt
etwas, zu fuenft packen wir an und tauschen ihn mit dem Nachbartisch aus.
Fast alle anderen Gaeste schauen uns an. "Wer von Euch ist Student?", fragt
der Kellner. Kim, Thommy und ich melden uns und freuen uns ueber unverhoffte
50 Prozent Rabatt. Studentag. Halb neun abends. Urlaub. Wirklich Urlaub.
Dreieinhalb Wochen. Dreieinhalb Wochen weg von Muelheim. Weg von Lokalberichterstattung,
weg vom VfB Speldorf, Galatasaray Muelheim, man, klingt alles wie vor einem
Jahr, weg vom VfL, ein Abschied, voruebergehend (okay, das war vor einem
Jahr anders, da traeumte ich noch von einem UEFA-Cup-Traumlos). Weg vom
VfL, vielleicht gelingts mir in Asien, den dusseligen, schusseligen, usseligen
Abstieg zu verarbeiten und wenigstens eine winzige Form der Vorfreude zu
entwickeln, der Vorfreude auf die bevorstehende Zweitligasaison, auf Burghausen,
Cottbus aaaaaahhhhh!! Andi, Urlaub, Urlaub, nicht Fussball, nicht Job,
nicht Uni, nicht Alltag, nicht Ruhrgebiet, nicht VfL, VfB. Heute Morgen
noch besorgte ich Mueckenschuty, Nasenspray, all so Zeugs, schaute mir
im Muelheimer Forum alles noch einmal ganz genau an, Burger King, baeh,
Mc Donalds, und tschuess, H und M, bald hab ichs viel billiger, auf Wiedersehen
Muelheim, ihr koennt mich mal. Packte den letzten Rest zusammen, liess
meine Wohnung im Chaos zurueck. Scheiss auf die Zeitungen, die Stapel voller
WAZ, taz, Spiegel und Kicker, scheiss auf die wahllos auf den Boden geschleuderten
Unterlagen fuer die seit Wochen ueberfaellige Steuererklaerung. Steuerwas?
Ein Unwort aus der "Money left to burn"-Welt. Scheiss auf alles, scheiss,
scheiss, scheiss, ein Lieblingswort an einem solchen Tag.
Los, los, auf nach
Trier, drei Zuege, dreimal Regionalexpress, zweimal umsteigen. Umsteigen
in Duisburg und Koblenz. In Koblenz steigt eine Schulklasse zu. Eine? Nee,
wohl eher eine ganze Schule, Kinderfreizeit, was weiss ich (gemerkt, ich
habe nicht "scheiss" geschrieben...) Kinder sprinten ueber ne Stunde im
RE hin und her, ob der Halt nun Kobern-Gondorf, Treis-Karden, Bullay oder
Wittlich heisst. Im RE hin. Im RE her. In meinem grossen Rucksack schlafen
die Reisefuehrer. Drei von Bangkok, drei von Vietnam, huebsch verteilt.
Sie schlafen noch, schlafen gut. Der Wecker steht auf Mittwochnacht.
Meine Rucksaecke sind
leichter als sonst. Macht das die Erfahrung? Israel 1999, da hab ich mir
den Ruecken fuer immer ruiniert, das schwoere ich bis heute. Autsch was
hatte ich damals mit. Fast ne komplette Bibliothek, "Leihbuecherei" war
mein Spitzname in unserer Sechsergruppe. Fast fuer jeden Tag dann noch
ne andere Modekluft am Start. Modenschaumaessig, jugendlicher Schwachsinn,
Frauenjagd!? Und nun ist meine kleine Arbeitstasche nicht mal voll, und
meinen grossen Rucksack, Marke Jack Wolfskin, der schon Israel, Mallorca,
USA und ganz Skandinavien sah, kann ich mit einer Hand tragen. Warme Klamotten?
Pullover? Jacken? NULL!! Seit Wochen verraet "wetteronline.de", dass die
Temperaturen in Bangkok und Vietnam nicht unter die 32-Grad-Marke sinken.
Und Buecher hab ich gar nicht mit. Reisefuehrer, okay, aber das sind ja
nur halbe Buecher. Ich schreib lieber selbst, hab ich so vermisst in den
letzten Wochen. In den von Novellen, Textsorten, Gerichtsreportagen, Lokalsport
und World Games dominierten Pflichttagen. Frei schreiben, ich muss es ernsthaft
wieder lernen, ueben, raus aus dem WAZ-Schema, kreativ sein. Musik wird
mein zweiter Vorname. Auf meine gebrannten CDs bin ich sehr stolz. Wenn
der Urlaub nur ansatzweise so viel Spass bringt wie die Zusammenstellung
der Songs fuer die kleinen silbernen Scheiben, dann wirds ein Knaller.
"Bitte gib mir nur ein Wort?" Tausende werdens. Tausende.
Trier. Roemer vor paffzig
Jahren, alte Stadt, Porta Nigra, Kaiserthermen - didaktisch voellig missratene
Museen sind das, findet Arne. Kim studiert Kunstgeschichte. Wir reden Deutsch,
Englisch, manche auch Niederlaendisch. Ich trage mein "Sverige"-Shirt.
Internationale Runde, sagt man wohl dazu. Halb zehn. Die Pfanne schmeckt.
Eine Gruppe Studenten kommt aus Richtung Fussgaengerzone, Studentarif eben.
Morgen haette ich nochmal zur Uni gemusst, Lehrforschungsprojekt Sowi.
Tschuess, dann bin ich schon im Flieger!!! Ssssstttttt... uuuuund TSCHUESS!
Ein lauer Sommerabend,
ja das ist es. Eine leichte Brise, ganz leicht nur, die Sonne geht unter,
langsam und hinter ein paar kleinen Wolken verborgen, und waere ich Andi
Pilcher, wuerde ich in diese Kitsch-Szenerie noch eine herzzerreissende
Liebesgeschichte einbauen.
Zehn Uhr abends. Marrit,
Thommy und ich setzen uns in den kleinen, weissen, 20 Jahre alten Opel-Klapperkasten
und legen die paar Meter vom Restaurant zu Thommys Wohnung mit dem Auto
zurueck. Arne und Kim laufen. Liebesgeschichte?
"Ich hab ne Diashow
vorbereitet", sagt Thommz und drueckt den "On"-Knopf seines Laptops. Zwei
Stunden lang fliegen 700 Bilder aus Bangkok und Vietnam an mir, meinen
Augen und vielleicht, na wahrscheinlich sogar, auch an meinem Gehirn vorbei.
So viele Tempel (genannt Wats), so viel Schweiss (kein Scheiss), Can Tho,
Mekong Delta, Patpong, "Andi das ist ein Muss", "Andi, das ist auch ein
Muss", Saigon, Hanoi, Tipps, viele Tipps, hey, lasst mich zwischendurch
mal einen Schluck Apfelschorle trinken ("Bloss keine Cola, dann kannst
Du nicht schlafen", sagt Thommy. Danke, als ob ich das nicht selbst wuesste).
Thommy malt in meinem Baedeker herum, es ist ein Rieseninput, der meine
Festplatte bis zum Anschlag fuellt. Marrit und Thommy gehen in der Reisefuehrer-Rolle
richtig auf. Ich erhalte eine Wunschliste von Thommy und Marrit. Eine Haengematte,
aber aus Parachutstoff bitte, und eine Weltkarte auf Thai fuer Marrit.
Thommy moechte viele Vietnam-Trikots, einen Hut, DVDs (er sagt immer DVDen,
klingt total seltsam, oder?). Hat sonst noch jemand Wuensche? Bilder, Bilder,
Bilder, bis 1 Uhr. Zaehne putzen und Gute Nacht. Der Wecker klingelt fuer
mich um 7.15 Uhr.
Ich ruecke mir meinen
Zopf fuer die Nacht zurecht, um das Haarband dann doch zu entfernen. Meine
Matratze liegt im Flur. Arne und Kim pennen im Wohnzimmer, Marrit und Thommy
natuerlich im Schlafyimmer. Das Kindergeschrei aus dem Regionalexpress
ist verstummt, Judith von Wir sind Helden schweigt, das Essen ist verdaut,
mein Ruecken schmerzt nicht. Noch nicht. Morgen vielleicht.
Das Abenteuer beginnt. Morgen, nicht mehr heute. Gute Nacht Welt! Gute Nacht Trier, Muelheim! Gute Nacht Freunde! Ich will nur weg. Ganz weit weg. Ich will raus!
Tag 2: Trier -> Frankfurt -> Moskau
Vollmond
Playlist, Song 1: "Man
on the moon"
Er ist so nah, so gross.
Das Flugzeug schwebt ueber den Wolken (jaja, genau da, wo die Freiheit
grenzenlos ist), die weissen Wattewoelkchen wirken wie ein flauschiger,
mit Perwoll gewaschener Teppich, in den hineinzuspringen ein grosses Vergnuegen
ist, ganz bestimmt. Und am Horizont die ganz weisse Kugel im Nichts. Im
dunklen Nichts. Von R.E.M. habe ich fast alles mit, alle grossen Hits,
doch den, der jetzt so gut passen wuerde wie nie zuvor, der fehlt in meiner
Sammlung. "If you believe, they put a man on the moon", oder so aehnlich
roehrt Saenger Michael Stipe ins Mikrofon und ich singe es in mich hinein,
ein bisschen und denke ueber den Mann auf dem Mond nach, wie er wohl aussehen
wuerde. Quatsch eigentlich, aber angenehmer Quatsch. "Man on the moon".
Und da waere noch Groenemeyer. Auch nicht dabei, die CD. Das Lied, das
ich liebe, wenn ich mal wieder ungluecklich einer unerreichbaren Frau nachschmachte.
"Vollmond, setz mich ins rechte Licht, Vollwond, ich weiss, sie will mich
nicht", heisst es dort selbstverstaendlich fast unertraeglich kitschig.
Aber wer "Bochum" geschrieben hat, dem sei ein solches Lied verziehen.
Im Flieger sind alle Plaetze belegt. Ich versuche zu schlafen. Und das,
obwohl Vadim, der Russe, links neben mir tierisch nervt. Lass mich schlafen.
Bitte. Ich schnappe mir das Aeroflot-Kissen, das ich auf meinem Sitz im
Flieger vorfand und quetsche mich mit dem Kopf gegen die Wand. Good night.
Playlist, Song 2: "Guten
Morgen liebe Sorgen"
Noch so ein Lied, das
ich nicht dabeihabe. Aber mit Bauchschmerzen, mit Sorgen, wache ich in
Trier auf. Letztes Jahr, beim USA-Urlaub, hatte ich in den sieben Monaten
nach der Flug-Buchung stets dieses zittrige Gefuehl im Magen, diesen Reiseschwindel
im Hirn, mal wohlig, mal verdammt bedrueckend. Seien wir ehrlich, ich hatte
Angst. Und diesmal? Nix, nothing. Seit Januar weiss ich, wie und wohin
die Reise geht, und es liess mich kalt. Kalt. Kuehler. Kaelter. Am kuehlsten.
Bis heute Morgen. Ich werde in Thommys Flur wach, mist, doch mit Rueckenschmerzen,
und sie ist da, geballter denn je. Aaaaahhh!!! Nee, ich fahr nicht. Nee,
ich dreh mich wieder um und schlaf. Nee, ich lass alle Tickets verfallen,
baeh, mag nicht. Meine Innereien spielen American Football und keiner gewinnt.
Muehsam schleppe ich mich unter die Dusche, lasse mich von Thommy zum Bahnhof
kutschieren. "Tschuess!" "Viel Spass!" "Bin gespannt" "Komm gut an in New
York". Eine letzte Umarmung. Jetzt noch so nah und bald sind wir Brueder
so weit voneinander entfernt. Er ab dem 1. August in New York City, ich
in Vietnam. Will gar nicht wissen, wie viele Flugstunden das sind.
Playlist, Song 3: "No
melody"
Ein Regionalexpress
bis Kobleny, diesmal ohne Kindergruppe, ein Eurocity in Schweizer Waggons
Richtung Basel bis Mainy, ein Intercity bis Frankfurt Flughafen. Noch nie
abgeflogen hier. Nie. Seit Koblenz begleiten mich eine unfassbar huebsche
Lufthansa-Stewardess, samt Freund. Sie lassen das Bauchkribbeln, die geballte
Angst ein wenig schwinden. Ist das American Football-Match in mir vorbei?
Scheint so. Vielleicht doch nur ein Muedigkeitsanfall. Keine Ahnung. Das
Einchecken funktioniert reibungslos, drei Stunden noch. Es beginnt wieder,
das gute alte Flughafenspiel. Du stehst in einer Ecke, starrst auf die
Tafel, auf der die schoensten Flugziele der Welt, von San Francisco bis
Sydney verzeichnet sind und spielst mit dir selbst das Judith Hermannsche
Spiel "Sich so das Leben vorstellen". Okay, etwas modifiziert meinetwegen.
Sich so die Leute vorstellen. Wohin fliegt wohl der grauhaarige, schnauzbaertige
180-cm-Mann im Anzug mit der schief sitzenden Krawatte? Bernd Heynemann,
ehemaliger FIFA-Fussball-Schiedsrichter, laeuft vorbei. Wohin? Ich frag
nicht. Oder die junge Familie, Ehepaar, maximal Mitte 20, sie blond, er
schwarzhaarig, Baby noch im Kinderwagen, gar nicht haarig. Und was ist
das fuer eine Sprache links neben mir?
Im Discman laueft wieder
eine gebrannte CD. "Vietnam IV" habe ich sie etwas lieblos genannt. Track?
"No melody" von den Turntablerockern. Welche Melodie wird wohl meinen Urlaub
am besten betiteln?
Playlist, Song 4: "Wuensch
Dir was"
Von Euch waren wahrscheinlich
noch nicht viele Bangkok, ich weiss. Trotzdem sei erwaehnt, wo ich gerade
diese Zeilen in meinem Tagebuch verewige. Es ist mittags, vier Uhr, ueber
mir brummen drei Ventilatoren. 32 Grad ists draussen. Immerhin. Links neben
mir steht ein kleiner Buddha-Altar, in Gold gehalten, mit Bananen davor,
vielleicht verstehe ichs in den naechsten Tagen. Neben meiner Federmappe
habe ich eine 0,5-Liter-Flasche Wasser platziert, Kostenpunkt 20 Cent,
habe ich schon halb geleert. Und das Treiben der Khao San Road, der Touristenstrasse
Bangkoks, remember Leo di Caprio in "The beach" fasziniert mich ungemein.
Stundenlang koennte ich sitzen, einkaufen, Touris, Sonne. "Es kommt die
Zeit, o-ho, in der das Wuenschen wieder hilft." Meine Wuensche aus dem
Flieger sind in Erfuellung gegangen.
Playlist, Song 5: "Moskau"
Ich hab lang genug
gebraucht, um das zu erzaehlen, um den folgenden Satz zu verfassen. Jetzt
sag ichs. Frei raus. Jetzt: Der heutige Tag war die haerteste Pruefung
des Urlaubs. Ganz sicher weiss ich das schon jetzt. Erst frueh raus, und
dann das. Schlimmer kanns nicht kommen. Und ich habs ueberlebt. Da ich
das Ganze mit Dschingis Khans (warum eigentlich nicht Kahn...) "Moskau"
betitelt habe, koennt Ihr Euch leicht vorstellen, womit das zusammenhaengt.
Der Reihe nach (by the way: ach, wie schoen der Wind die 32 Grad ein wenig
abkuehlt, herrlich, noch ein Wasser bitte, danke! Upps, da kniet jemand
vor Buddha, was soll das denn?) Reibungslos laueft der Flug von Frankfurt
nach Moskau. Erstaunlich reibungslos, dafuer, dass ich mich vor einer Woche
noch rausgeschmissen waehnte.
Rausgeschmissen? WER
DIE STORY KENNT, BITTE DEN FOLGENDEN ABSATZ UEBERSPRINGEN... Aufgrund einer
Fehlauskunft des Auswaertigen Amtes bretterte ich unter widrigsten Bedingungen
(Bahn-Verspaetung) nach Bonn-Bad Godesberg, um mir im Konsulat ein russisches
Transitvisum zu besorgen. Das Amt meinte, ich braeuchte so etwas.Haette
205 Euro gekostet. Und mit dem sensationellen Spruch "Wem wollen Sie das
Visum zeigen? Den anderen Fluggaesten?") entlarvte der russische Beamte
die Fehlinfo des Amtes. Mir stieg die Zornesroete ins Gesicht - und das
passiert nicht so oft.
JETZT KOENNEN ALLE
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Gestaerkt mit Reis
und "Chicken" (Note: 3-) lande ich am Flughafen "Moskau Sheremetyevo" mit
der Aeroflot-Maschine und tatsaechlich ist mein immer noch leicht erhoehter
Adrenalinspiegel fehl am Platy. Keine Sau will ein Visum sehen, selbst
mein Reisepass wird nur fluechtig beaeugt. Mein Flug geht ne Stunde spaeter
als geplant, es ist 19.20 Uhr Ortszeit, und ich habe 3:20 Stunden Aufenthalt
im Mini-Transitbereich rund um die 21 Gates. Ich spaziere, drehe Runde
um Runde, manche hats noch aerger erwischt, die pennen auf den Fluren.
Ich versuche die kyrillische Schrift zu entziffern, zwecklos. Auf den Kofferwagen
steht "Moscow 2012". tja, Pech, was?Der
Duty-free-Shop ist unverschaemt teuer, und diesen Satz muss ich mit drei
Ausrufezeichen versehen!!! Meine bei Saturn gekauften Mini-Discman-Batterien
sind ein Desaster, die halten nur vier Stunden pro Par. Da muss ich wohl
ordentlich nachkaufen. Russisches TV laueft ueberall, ich versteh kein
Wort. Ich beobachte Leute, schreibe die Geschichte fuer Tag eins in mein
Buch, dabei werde ich wiederum beobachtet. Oder machts das "Sverige"-Shirt?
Keine Ahnung. Aus meiner Tasche krame ich den Reise-Know-How Bangkok, frisch
in Frankfurt gekauft, hervor, und lese. Meine Angst ist schon lange futsch,
meine Stimmung dreeeeht sich und dreeeeeeeht sich. Ich will mich hineinstuerzen
ins Chaos der Khao San Road, will Bangkok hektisch sehen, erleben, 700
Bilder, alle wieder da.
Und dann sitzt auf
einmal dieser Typ neben mir im Flieger. 22.45 Uhr russischer Zeit, 1.45
Uhr thailaendischer Zeit, 20.45 Uhr deutscher Zeit.
Playlist, Song 6: "Vollmond"
Einen Fensterplaty
hat mir die nette Dame von Aeroflot Russian Airlines verschafft, besser
gehts nicht. Schlafen, Musik hoeren, trauemen. Und dann die Frage "Where
are you from?" Eine Wodkafahne fliegt mir entgegen, und nein, es ist nicht
etwa der Englaender, der beim Einsteigen kaum noch laufen konnte und einer
schoenen Frau einen Klaps auf den Hintern verpasste (sie hat nicht zurueckgeschlagen,
was mich sehr verwunderte, und die Polizei hat auch nix gesagt). Eine ganze
Gruppe, an der Sprache zu merken aus Russland, setzt sich neben, vor und
hinter mich. "Germany", hoere ich mich sagen. "What do you think about
European democracy?", fragt mein Nebenmann, der sich bald als 29-jaehriger
Vadim aus Moskau vorstellt. Es entwickelt sich ein zweistuendiges, bizarres
Gespraech, unser Englisch ist mehr schlecht als recht.
Vadim ist nicht dumm,
studiert irgendwas mit Technik, ist weit gereist, hat gute Kenntnisse in
Asien, diesmal fuehrt er seine Gruppe durch Kambodscha. Politik. Russland.
Deutschland. Europa. Er liebt Russland. "Russia is interesting. Very interesting."
Nur in Russland koenne er sich richtig frei fuehlen, sagt Vadim.
Nett? Alle fuenf Minuten
greift er in seine Duty-free-Shop-Plastiktuete, holt eine Flasche Finlandia-Wodka
heraus, 50 Prozent Alkohol, und trinkt mit seiner Gruppe. Alle fuenf Minuten.
Sie werden immer besoffener und immer boeser darueber, dass ich mich beharrlich
weigere, mitzutrinken. Jetzt wirds uebel. Meine Anti-Alkohol-Konditionierung
klappt inzwischen so gut, dass ich bei jedem Wodka-Anstossen ein Aufstossen
verspuere.
Es ist stockfinster,
ooooh, der Mond, wie schoen, und mit seinem Suffkopp erzaehlt Vadim, dass
seine Freundin 16 ist und er auf dicke Brueste steht. Okay, das interessiert
mich nicht wirklich. "India is no good", sagt er ueber Indien. "No women,
no alcohol". Mittlerweile hat er die Beruehrungskrankheit und klopft mir
bei jedem Satz auf Arm oder Schulter. "Why do you drink Wodka?", frage
ich. "Its tradition in Russia", lallt er. "And Wodka make me feel the long
flight not so long." Im Flugzeug gibts kein TV, also keine Videoablenkung,
alle Infos sind nur auf Russisch, aber was will ich bei dem Preis auch
erwarten. Ich muss auf Klo, sehe zwei Sextouristen (ey, ich schwoer, hundertprozentig)
und der Mikrowellengulasch, den Aeroflot als Gute-Nacht-Appetizer-Happening
servierte, liegt schwer im Magen.
Als ich wiederkomme,
nippe ich an meinem Colaglas und bemerke Wodka-Geschmack. Ich gebe das
volle Glas einer Stewardess und ernte so bitterboese Blicke, das ich um
mein Leben fuerchte. Bitterboese. "How is your girlfriend?", fragt Vadim
ununterbrochen. Im 10-Sekunden-Takt. Nach fuenf Minuten kann ichs nicht
mehr ertragen und erfinde irgendetwas.
"Vollmond - setz mich ins rechte Licht", wuerde ich vermutlich rufen, wenns die von mir geschilderte Frau wirklich gaebe. Vielleicht gibt es sie, vielleicht kenn ich sie, was weiss ich. Es ist hart im Flugzeug. Von Russland und Moskau habe ich keinen Eindruck bekommen. Vadim zaehlt ja nicht wirklich.Ach Vollmond, hilf mir doch, du siehst so unschuldig aus. Und genau in diesem Moment, als ich mir das wuensche, nickt Vadim ein. Eine etwas andere Urlaubsbekanntschaft. Hoffentlich sehe ich ihn in Bangkok nicht wieder.
Tag 3: Moskau -> Bangkok
TOXICITY
Von oben sehen die
Reisfelder riesig aus. Sind es ueberhaupt Reisfelder? "Sure, rice", sagt
eine Stimme von links. Huch, Vadim, den hatte ich ja ganz vergessen. Guten
Morgen, gar keinen Kater? Wir fliegen ueber Land; Indien, Myanmar, keine
Ahnung, Asien jedenfalls. Fast zehn Stunden dauert der Flug, mein laengster
bisher. Mein Schlafrhythmus war entgegen meiner Erwartungen erstaunlich,
voellig okay geradeyu. Ich konnte sogar mal zwei Stunden am Stueck knacken,
trotz Vadim, trotz aller Unwaegbarkeiten und trotz der Turbulenzen ueber
was weiss ich fuer einem Land. Der Flugkaeptn hats wahrscheinlich gesagt,
aber ich kann ja leider kein Russisch.
Zum Fruehstueck gegen
fuenf Uhr russischer und acht Uhr thailaendischer Zeit, hilfe, immer diese
Zeitspruenge, entscheide ich mich fuer Omelette. Falsche Wahl. Das sieht
nicht nur so aus wie Gummikotze, es schmeckt auch so. Komischerweise werde
ich schlaefrig, das Zeug hatte K.o.-Tropfen-Wirkung, und knacke zu den
nicht wirklich sanften Klaengen von System of a downs "Toxicity" umso sanfter
ein.
Erst als der Pilot,
aeh Flugkapitaen, Bangkok ankuendigt, schnellt mein Puls wieder auf 180
hoch, meine Netto-Reisezeit ab Thommys Wohnung kratzt allmaehlich die 24-Stunden-Marke.
Netto wohlgemerkt, brutto ist es inzwischen schon knapp elf. Ein Blick
auf meine Lieblingsjeans vergraetzt meine Laune ein wenig. Aus keine Ahnung
was fuer welchen Gruenden ist die gruene Tinte eines Stifts genau ueber
dem rechten Oberschenkel ausgelaufen.
"Bangkok, thirtytwo
degrees" ist alles, was ich aus dem englischen Kauderwelsch des Kaeptns
aufschnappe. Hurra, 32 Grad, es ist auch noch bewoelkt. Direkt neben dem
Flughafen Bangkoks befindet sich ein Golfplatz und ich frage mich besser
nicht, was passiert, wenn ein Ball 'mal abrutscht... Die Abfertigung geht
ruckzuck und am 21. Juli um 11.45 Uhr beginnt mein Urlaub richtig. Bangkok.
Bangkok. Bangkok.
Ich fuehle mich sogar
einigermassen fit, als ich mich auf die Wartesitze der Bushaltestelle fuer
den "Airport bus" pflanze. Ein leichter Wind lenkt ein wenig von der drueckenden
Schwuele ab. Fuer 100 Baht, umgerechnet 2,10 Euro, lasse ich mich zur Khao
San Road transportieren, gemeinsam mit vielen, vielen anderen Travellern.
Ab 12.15 Uhr geht es
ueber Bangkoks voellig verstopfte Highways. Wie viele Einwohner Bangkok
hat? Ich schlage die Reisefuehrer auf, einen nach dem anderen. Der erste
sagt fuenf, der naechste sechs, der dritte offiziell sieben, wahrscheinlich
zehn. Zehn Prozent der Thai leben hier und Bangkok ist die "heisseste Hauptstadt
der Welt", natuerlich nur, was die Temperatur angeht natuerlich.
"Ob du in Bangkok oder
in London bist, eigentlich merkst du das gar nicht", hat Thommy mir mit
auf den Weg gegeben. Ist Bangkok so westlich, so europaeisch? Auf dem Highway
quaelt sich der Airportbus immer noch nur gaaaanz langsam vorwaerts. Wenigstens
funktioniert die Klimaanlage, sonst waere es in dem Gemisch aus Hitze und
Schweiss inmitten eines mit Reisenden und Rucksaecken gefuellten Busses
total unertraeglich. Stau, dafuer ist Bangkok beruehmt, leider. Auf einmal
geht nichts mehr, gar nichts mehr und der Bus steht. Minute fuer Minute
verrinnt. Keiner weiss, was Sache ist. Dann steigt einer aus, schaut sich
um, kehrt zurueck und verraet es auf Englisch. 200 Meter weiter ist ein
Auto stehen geblieben. Passiert eben. Und das zur Mittagszeit.
Es geht vorbei an hohen
Wolkenkratzern, aber weder sortiert an einem Ort wie beispielsweise in
Philadelphia oder komplett in einem ganzen Stadtteil wie in New York. Nee,
hier eins, da eins, ach und noch eins. Die Highways und jeweiligen Bruecken
sind nicht gerade huebsch und zerschneiden so ziemlich jeden Stadtteil
Bangkoks. Und dann waere da noch der Linksverkehr, der mich schon stoert,
obwohl ich lediglich im Bus sitze. Doch irgendwie London?
Die Endhaltestelle
liegt direkt an der Khao San Road im Stadtteil Banglamphoo. Die Scharen
an Rucksackreisenden sind nicht zu uebersehen und ob aus persoenlichen
oder aufgeschnappten Gespraechen erfahre ich, dass nur die wenigsten die
komplette Urlaubszeit in Bangkok verbringen. Es geht weiter durch Thailand,
Kambodscha, Laos, Vietnam. Bangkok ist eben einer der Verkehrsknotenpunkte
Asiens, und ein Stopover "lohnt sich einfach". "Hier muss man gewesen sein",
sagen alle.
Mit meinem schweren,
aber doch leichten Rucksack und meiner halbvollen Arbeitstasche schlendere
ich durch die Khao San Road. Sie ist nur hoechstens 500 Meter lang und
doch fantastisch. Raubkopierstand reiht sich an Raubkopierstand, mal mit
CDs, dann Sonnenbrille, dann Klamotten. Fantastisch? Ich bin Thommy und
Marrit fuer ihre Tipps sehr, sehr dankbar. Irgendwelche Abzocker, die mich
anlabern, koennen mir gar nichts anhaben. Und gelabert wird ueberall. Meinen
Schweissfilm habe ich auch erwartet und mein Hotel "Sawasdee Khaosan Inn"
finde ich sofort. Kostet 11 Euro die Nacht inklusive Fruehstueck, das ist
fuer die Khao San Road schon luxusverdaechtig. Dass ich Klo und Dusche
auf meinem Einzelzimmer habe, versteht sich hier keinesfalls von selbst.
Mit allen Vieren breite ich mich auf meinem Bett aus, aaaaah, endlich duschen,
und Zeeeeit, und als ich mich ohne Rucksack auf die Strasse wage, vor die
Tuer, ins Getuemmel, schlaegts 15.15 Uhr.
Es beginnt wieder die
Zeit der Tagesplanung. Allein zu reisen hat den unschaetzbaren Vorteil,
auf lange Diskussionen verzichten zu koennen. Fuer heute habe ich mir nur
die Khao San Road vorgenommen. Das reicht, damit duerfte ich ausgelastet
sein. An Nummer eins steht Einkleiden. Eine Sonnenbrille fehlt mir noch,
eine Hose und ein T-Shirt. Gesucht, gefeilscht (ganz wichtig hier), gefunden,
alles zusammen fuer 13 Euro. Beim zweiten Blick entdecke ich neben den
Verkaufsstaenden die vielen Cafes, Internet-Cafes, Hotels, Guest Houses,
schwierigen Hostels und Restaurants jeglicher Couleur.
London?
Ich merke schon, dass
ich woanders bin. Das Wetter, klar, der lange Flug, klar, ueberall stehen
Buddhastatuen. Aber dass das Asien ist? Und Thailand speziell? Noch fehlt
der direkte Bezug, vor allem hier in der Khao San Road. Ich wette, dass
85 Prozent der Leute, die gemeinsam mit mir bummeln, nicht aus Thailand
kommen. Ich finds wahnsinnig spannend. Aber es stinkt. Nach Verkehr, Muell,
faulem Essen.
Ist Bangkok touristisch
so zweigeteilt, wie es die Reisefuehrer vermitteln wollen? Auf der einen
Seite die Khao San Road, Heimat der alternativen, billigst reisenden Rucksack-Individualisten.
Hier werden nachgebrannte Fake-CDs der Strokes, von Jimi Hendrix und weiteren
alternativen Heroen der Gegenwart und Vergangenheit als Erstes angepriesen.
T-Shirts von Bob Marley und Rastazopf-Flechten (keine Sorge, ich nicht)
stehen ebenfalls ganz oben. Leute kennenlernen geht ganz furchtbar schnell.
Einfach ins Cafe setzen - die meisten sind sowieso so voll, dass es nur
moeglich ist, sich irgendwo dazuzusetzen - anquatschen, fertig. Jeder rechnet
damit, jeder findet das okay.
Und auf der anderen
Seite die Sex-Touristen? Ich moechte es nicht herausfinden. Klar werde
ich mir die Highlifestrassen "Patpong 1" und "Patpong 2" anschauen. Zu
befuerchten ist, dass die Vorurteile stimmen. Alle Reisefuehrer werden
nicht gleichzeitig luegen. 300.000 Prostituierte leben angeblich hier.
Es ist dieselbe Stadt: Geliebte Traveller-Stadt, verhasste Sextouri-Stadt,
Smog-Stadt, Buddha-Stadt, ruhige Tempelanlagen (Wat heissen die hier).
Und alles wahllos irgendwo hingestellt. Das verstehe ich unter "Toxicity".
Im Internet-Cafe verbringe
ich zwei Stunden, um die ersten beiden Tagebucheintraege abzutippen, die
Geraete sind scheinbar aus den beginnenden 90ern. Aber auch das laesst
mich kalt - noch so eine nuetzliche Vorwarnung von Marrit und Thommy. Richtig
aergerlich wird es erst, als ich eine Minute, nachdem ich die letzte Mail
an die Ruhr geschickt habe, ein DSL-Internet-Cafe zwei Meter weiter entdecke.
Na egal, fuer die zwei Stunden habe ich 1,80 Euro bezahlt, in Boston waeren
das um die 30 Dollar gewesen.
22.20 Uhr, und nun
hocke ich in der angrenzenden Bar meines Hotels, geniesse sensationelle
Fruchtcocktails, erst Ananas, dann Banane, schaue einem Oasis-Konzert auf
MTV Bangkok zu und spuere die Muedigkeit in meinen Knochen. Vorhin habe
ich den Tagesplan fuer morgen entworfen (den ich noch mit mir selbst diskutieren
muss) und wieder bestaetigt sich die Reiseregel: Du kannst vorher noch
so viele Details planen, vor Ort schmeisst du sowieso alles wieder um.
Morgen will ich rauskommen aus diesem touristischen Sog, so verlockend er auch sein mag. Stunde um Stunde koennte ich in der Khao San Road verbringen, aber gerade das ist zu gefaehrlich und auch total falsch. Morgen will ich weitere Teile der Stadt kennenlernen. Heute aber bestimmt nicht mehr. Ich kann bestimmt gut schlafen. Ganz ohne Angst, ohne Schiss, ohne Heimweh wie noch in Boston vor einem Jahr. Jawollja. Helau. Alaaf.
Freitag, 22. Juli
SCHACH DEM KOENIG oder: ALLES IN GOLD
Dass
ich auch "Don't speak" auf einer meiner CDs habe, muss im Delirium passiert
sein. Ein schoenes Lied von No Doubt, zweifellos, aber zu einem falschen
Zeitpunkt aufgenommen, eindeutig. 1996, viele Paare entstanden, viele zerbrachen
spaeter wieder. Ich laufe durch Bangkok an einem mittelschoenen Tag (schoen
aufgrund der 30 Grad, mittel aufgrund der stetigen Bewoelkung), stoepsele
mir die Kopfhoerer in die Ohren, und "Don't speak" kommt. So kann's gehen.
"Gold" sollte die Ueberschrift des heutigen Tages werden, das entschied
ich bereits um 13 Uhr. Doch danach geschah noch etwas, was diesen Tag toppte.
Piiiiiiiep,
piiiiiiiiiiep, oh jeee, Wecker, ansonsten treibst du mich zur Uni, Arbeit,
zum VfL, jetzt um 8.15 Uhr klingelst du mich im Urlaub aus den Federn -
naja, Federn sind das nicht gerade auf und in meinem Bett. Egal. Sightseeing-Tag.
In Deutschland ist's gerade 3.15 Uhr, da gehe ich sonst ins Bett. Wahrscheinlich
hat meine Dart-Runde im "Bunten Baer" oder der fantastischen Kneipe "Zum
schraegen Eck" grad die letzten Pfeile ins Triple-20-Feld geschleudert.
In meiner giftgruenen Decke sind etliche Loecher, kleiner Schoenheitsfleck,
aber brauchen werd ich die sowieso nur kaum. Schweiss, muss ich mehr sagen?
Die wirklich gute und kuehlende Klimaanlage kann da leider nichts aendern.
Das wird wohl ein dreieinhalbwoechiger Dauerzustand. Und doch bin ich,
ja wirklich, ich bin ausgeschlafen. Ein mordsmaessiges Gefuehl, wirklich.
Und vor allem habe ich gute Laune. Ich hab wieder in Farbe getraeumt und
vor allem von schoenen Dingen. Urlaub.
Das
Fruehstuecksbuffet in meinem Hotel ist inklusive und vor allem umfangreich.
So gross war nicht mal das Buffet in meinem Luxushotel 2004 in Philadelphia,
in dem eine Nacht so teuer war wie hier eine Wocke inklusive Shopping.
Gestaerkt mit Reis, Mini-Pfannekuchen, Toast mit Marmelade, Massen an Wassermelonen,
Wasser und O-Saft begebe ich mich in den Tag. Meine gestern gekauften Klamotten
uebergestreift, pappe ich meine Sonnenbrille (da steht - hahahahaha - Adidas
drauf) auf meinen Kopf, extracool soll das aussehen, aber es wirkt bestimmt
eher laecherlich.
Bangkok,
was ist das? Thailand? Wie sieht die Welt aus ausserhalb der Khao San Road?
Voll mit Autos jedenfalls. Zum Ueberqueren der ersten Strassenkreuzung
- dreispurig in jeder Richtung, eine Fussgaengerampel gibt es nicht - benoetige
ich fuenf Minuten. Ziemlich gefaehrlich, das... Es ist eine Art Lottospiel.
Wohin zuerst? Mit dem Expressboot ueber den Chao Phraya, das ist der Fluss,
der mitten durch die Stadt fuehrt? Mit dem Sky Train hoch oben in der Luft,
die Stadt betrachten? Thommys und Marrits Tipps befolgen?
Gewuerfelt
habe ich schon gestern. Ich gehe ganz wie ein Tourist vor und wandere zu
den Highlights eins und zwei auf der Prioritaetenliste - allerdings auch
fuer die Thai, so viel sei gesagt. Es stinkt. Wieder. Die Motoren der Motorraeder,
Autos, Tuktuks (das sind Taxis mit drei Raedern) sind nicht die besten
und modernsten, moechte ich sagen. Da ist es nur zu verstaendlich, dass
einige Mundschutz tragen, wobei das auch wohl damit zusammenhaengt, dass
Hellhaeutigkeit - so hab ichs gelesen - das Schoenheitsideal der Thai ist.
Das
Gedraenge wird groesser, die goldenen Spitzen des alten Koenigspalastes
ruecken naeher. Und naeher. Und Menschenkinners so wat hasse noch nich
erlebt. Fuer 100 Baht betrete ich das Gebaeude des Royal Palace, zehn Fussminuten
vom Hotel entfernt, gelegen in einem Teil Bangkoks, der durchaus als "Altstadt"
durchgehen koennte. Kunsthistoriker wuerden bei diesem Anblick bestimmt
kollabieren vor Glueck. Es ist ein unfassbar gueldenes Ensemble von Prachtbauten;
maerchenhaft sagen die einen, endlos kitschig die naechsten. Ich schlendere
durch die Gebaeude, fast schon gelangweilt, fotografiere das wirklich Unwirkliche.
Eben noch Khao San, jetzt schon DAS. Glaeubige Thai fallen auf die Knie,
vor allem vor dem Smaragdbuddha im zum Palast gehoerigen Tempel "Wat Phrahaeo".
Es ist ein Hindernislauf, vorbei an Millionen von Schuhen (die sind in
allen Wats verboten, ueberhaupt ist nur lange Kleidung gestattet), vorbei
an Trillionen von Kerzen und Raeucherstaebchen. Der Geruch vermischt sich
mit Abgasen, that's Bangkok. Es gibt Wandmalerein, mit denen ich mich nicht
beschaeftigen will. Der Reisefuehrer hat bestimmt Recht. Lesen reicht mir.
Mit
den Haenden in den Hosentaschen schlendere ich gemaechlich 500 Meter weiter.
Ich bin vorsichtig, denn gestern haette mich fast ein Taschendieb erwischt.
Ich spuerte nur ein leichtes Schubsen von hinten, dann eine Umarmung von
vorn. Zum Glueck waren alle meine Taschen leer, denn ansonsten waere es
im Gewuehl der Khao San Road furchtbar schnell gegangen. Meine Batterien
vom Discman sind wieder leer, aber egal, der Wat Po taucht schon direkt
vor mir auf. Wats, davon gibt's 400 in Bangkok. Ueberall.
Einer
davon ist besonders wichtig, denn einer nur hat eine 45 Meter lange und
15 Meter hohe Buddha-Statue. Und wow, das Teil hat's wirklich in sich und
selbst ein solch schwer zu beeindruckender Kerl wie ich denkt einfach nur
"wow". Gold, natuerlich, und gross und lang. Leute knien, nix Neues, Raeucherstaebchen,
nix Neues. Leider ist alles eine Baustelle. Wie schon der Royal Palace.
Die Bauwerke werden restauriert, das truebt den aesthetischen Blick.
Aber
weswegen ich eigentlich hier bin, ich kleiner Egoist ich, das ist die traditionelle
"Thai Massage School". Thai-Massage klingt zweifellos verdammt schmierig,
aber bitteschoen nicht hier, nicht in einem klosteraehnlichen Tempel. Ich
goenn mir fuer 300 Baht (ungefaehr 6,50 Euro) eine ganze Stunde, und das
ist... ist... ist... spuert meine Entspaaaaaaannnuuuung... lasst sie auf
Euch ueeeeeebergeeeehen... reckt Euch... streckt Euch... aaah... das ist
sensationell! Ich schliesse die Augen, bin frei im Geiste. Waehrend der
Masseur Beine, Fuesse, Arme, Ruecken, Gesicht und Schulter durchknetet
und so verrenkt, dass zwischendurch in mir das Gefuehl hochsteigt, der
Typ wuerde mir mit Absicht alle Knochen brechen, bin ich gluecklich, ganz
weit weg, Paradies? Weiss nicht, glaub schon. Dass ich zuerst an Frauen
und andere schoene Dinge denke und erst dann daran, wie Neururer haette
aufstellen muessen, damit der VfL nicht absteigt, zeigt, dass ich auf einem
guten Weg bin. "Fini" sagt der Masseur nach einer Stunde und entlaesst
mich nach draussen. Wer nach Bangkok reist und das nicht miterlebt, der
ist selbst schuld. Dafuer nehme ich jede Wartezeit in Kauf. Vor dem Massagegebaeude
versammeln sich Maedchen in Schuluniform. Auch das gibt's.
Was
nun? Schon 14 Uhr! Ich mache das, was ich bislang noch nie tat und laufe
einen von einem Reisefuehrer (diesmal "Marco Polo") vorgegebenen Weg ab.
Der fuehrt mich durch kleine Gaesschen, zwar auch mit Fresswagen, mal gut
und mal schlecht riechend, aber touristenfrei. Keine laut in ihre Trillerpfeifen
pustenden Polizisten (die sollen uebrigens fast alle korrupt sein, wollen
die Reisefuehrer wissen), keine aufgemotzten Motorraeder, fast laermfrei.
Keine Wats, die einen Souvenirozean in ihrer Naehe haben. Sondern Wats,
vor denen Kinder Tischtennis spielen. Ja, es gibt ruhigere Ecken in Bangkok.
Ja! Aber auch hier gibt es "7 Eleven". Eine solche Anhaeufung von Laeden
dieser Kette gibt's sonst wohl nur in Stockholm.
Mein
vorletztes Ziel fuer heute erreiche ich, waehrend ich "Gold" von Klee hoere,
naemlich den "Golden Mount", der zweitgroesste Aussichtspunkt Bangkoks,
80 Meter hoch. Ich stapfe die Treppe hoch und ueberblicke Thailands undurchschaubare
Hauptstadt. Wieder dasselbe Bild: Hochhaeuser ueberall, Tempelspitzen ueberall,
Highways erst recht. Bruchbuden. Das Ganze ohne Buecher oder Tipps zu erkunden,
wie das in anderen Staedten geht, ist hier schlichtweg VOELLIG UNMOEGLICH!
Auf
dem Rueckweg hocke ich mich vor dem "Democracy Monument" nieder, ein haessliches
Denkmal, das auf einer Kreisverkehr-Insel an den Aufstand der Demokraten
1932 erinnern soll. Ploetzlich setzt sich ein Thai neben mich, voellig
unverhofft, und ein Gespraech beginnt. Anderthalb Stunden lang geht es
um dies und das und alles laesst sich gar nicht wiedergeben. In solchen
Gespraechen laesst sich am besten etwas ueber Land und Leute erfahren.
Seine Kenntnisse ueber Deutschland sind beachtlich. "Aaaah, Germany, beer,
people are fat, Munich, sausages, Helmut Kohl." Nee, is klar. Er sagt mir
seinen Namen, aber ich verstehe ihn nicht. Er erklaert mir, was ich ohnehin
schon wusste: "If you see only Khao San Road, you don't see Thailand."
Er verraet mir den buddhistischen Way of Life; den Glauben an die Wiedergeburt,
das Leben in der Gegenwart, nicht in der Vergangenheit oder Zukunft. "Today
happy", sagt er. Deshalb wuerden die Thai schnell verzeihen und waren das
"Land of smile". Und Bangkok? Bangkok gefaellt ihm nicht. Weil sich alles
um Geld dreht. "Wothout money, you die in Bangkok. Out of Bangkok no money,
no problem." Wer nur in Bangkok war, war also nicht in Thailand. Und umgekehrt?
Wer nicht in Bangkok war, war auch nicht in Thailand. Hmm...
Der
Mann kennt mich keine Stunde, hat gerade ueber Kahn, Ballack und in hoechsten
Toenen ueber Effenberg geredet (der hat hier eine Fussballschule eroeffnet),
schon spricht er freizuegig ueber seine Sexualitaet. Nahezu im Fuenf-Sekunden-Takt
redet er ueber "bumbum". Bumbum hier und dort, absolut kein Fake! Es wird
ein Monolog, ein ewig langer. Details erspare ich Euch. Mitten in seinem
Redefluss steht er auf. Stimmt, seit ein paar Minuten ist kein Auto mehr
vorbei gekommen. "The king is coming", sagt er. Bitte?? "The king!" Und
wirklich: Ich sehe Koenig Bhumipol auf dem Weg zum alten Palast in seinem
Rolls Royce (glaube ich), alle stehen, winken, so etwas wie Ehrfurcht liegt
in der Luft. Leider versagt meine Kamera genau in der entscheidenden Sekunde,
aber ja: Es war der Koenig, der sowieso ueberall hier rumhaengt. Wenigstens
zu einem Bild mit meinem thailaendischen "Kumpel" reicht's. Er verabschiedet
sich zum Bier trinken. Dann will er in eine Karaokebar. Aber erst nach
dem dritten oder vierten Bier traut er sich ans Mikro. Vorher ist er zu
schuechtern, sagt er. Morgen faehrt er drei Stunden hin und drei Stunden
zurueck nach Pattaya, an den auch in Deutschland beruechtigten Strand (kennt
Ihr das Lied "Samurai" von der Ersten Allgemeinen Verunsicherung? Hab ich
seit 1990 nicht mehr gehoert, aber heisst es nicht dort sinngemaess "Am
Strande von Pattaya, da schwellen mir die ... Adern"). Europaeerinnen beobachten,
wie er sagt. Oh je. Wie geht das alles eigentlich, unter der Woche? Alle
offiziellen Stellen Thailands haben Urlaub, volle vier Tage, sagt er. Deshalb
sei auch nicht so viel los in Bangkok. NICHT VIEL LOS????? Wie ist das
erst pickepackevoll hier? Mehr geht doch gar nicht!
Um
17.35 Uhr nimmt mich die Khao San Road wieder in ihre Arme und unterhaelt
mich mit Internet, Cafe, thailaendischem Essen und einem leckeren Bananen-Pfannekuchen
bis in die Nacht. Dabei erfahre ich, dass jemand meine Homepage in meinem
Gaestebuch als "krankeste Art von neurotischer Selbstbespiegelung" bezeichnet.
Mag sein, dass es das ist, wahrscheinlich sogar, mag sein, dass das "Respekt"
ein ironisches Kompliment sein soll. Aber seinen Namen haette er schon
nennen koennen. Anonymitaet langweilt mich. Ich denk nicht weiter drueber
nach und klicks weg.
Bevor
es auf die Khao San Road ging, liess ich mich noch von einem kleinen Maedchen
ausnehmen, das ausnutzte, dass ich fatalerweise meine Haende nicht in meinen
Hosentaschen versteckt hatte. Es legte mir Tauben-Futter-Mais in eine Hand.
Ich nahm es nicht, aber der Mais fiel auf den Boden. Sie nahm die leere
Packung und wollte die bezahlt haben. Leider nicht nur sie allein, sondern
auch vier andere, die ploetzlich auftauchten. Schnell zueckte ich 20 Baht.
Umgerechnet nur 40 Cent, aber verarscht bliebt verarscht.
Die Khao San Road ist so etwas wie die Goldmedaille fuer Traveller. Nur weiss ich nicht, ob ich froh sein soll, dass ich sie errungen habe. Die Reise tut gut, und das sage ich schon am vierten Tag. Dafuer habe ich in den USA vor einem Jahr fast zehn gebraucht. Ein war ein goldener Tag, weswegen ich Bangkok mit all seinen Facetten, Gesichtern, Seiten, sucht Euch ein Wort aus, nicht liebe. Oh nein, das nicht. Eigentlich finde ich es sogar ziemlich unsympathisch hier. Ich hab das Reisen wiederentdeckt. Der Weg ist das Ziel, hiess es am Nordkapp 2001. Die Reise ist der Reisende, so einen Spruch gibts doch auch, gell? Welten kennenlernen, Leute, Erfahrungen sammeln. Yeah, ich habs!
Samstag, 23. Juli 2005
Bangkok
Three Nights in Bangkok
Grad laeuft hier ein
Fussballspiel im Fernsehen; irgendeine thailaendische Mannschaft, mutmasslich
sogar das Nationalteam, gegen die aktuelle von Jay-Jay Okocha, keine Ahnung,
in welchem Team der sich gerade rumtreibt. Fussball kommt hier direkt hinter
Thai-Boxen und Golf, wie mir scheint – das sind zumindest die Top-2-Sportarten
hier im Fernsehen. Beckham uebrigens haengt hier ueberall rum. Ueberall.
Und nicht wenige tragen Beckham-Real-Madrid-Trikots. Vor zwei Jahren, sagte
Thommy, sei das auch nicht anders gewesen.
Der
gestrige Tag, so sinniere ich beim Duschen, war irgendwie mein ruhigster.
Ab morgen wird der Urlaub eine Pack-ein-Pack-aus-Orgie. Deshalb habe ich
das getan, zum letzten Mal fuer ein paar Tage, was ich besonders gut kann:
AUSSCHLAFEN! Erst um 9.45 Uhr traute ich mich aus dem warmen aeh heissen
Bett, fruehstuecken ist hier sowieso bis 11.30 Uhr moeglich. Das schmeckt
heute doppelt so gut, denn ich kann doppelt so entspannt essen. Es regnet
in einer Tour. Da sich Thailand zu Beginn der Regenzeit befindet, nicht
weiter verwunderlich. Irgendwann musste das so kommen.
Ich nutze eine kurze Regenpause, um die oeffentliche Verkehrsmittelsituation
Bangkoks kennenzulernen. Und schon beim Blick in die Reisefuehrer stelle
ich fest: Die ist hier nah an der Perfektion. Warum gibt es bloss trotzdem
Staus?? Ueber den Chao Phraya fahren Expressboote, ich schaetze alle 15
Minuten. Dann gibt es noch endlos viele Buslinien in einem mehr als verwirrenden
Netz. Und die Hochbahn waere da noch und seit 2004 eine U-Bahn.
Auf
dem Weg zur Boothaltestelle in meiner Naehe (zehn Fuss-Minuten) entdecke
ich die Umgebung der Khao San Road im Stadtteil Banglamphoo, laufe an der
wohl angesagtesten Travellerdiscokneipe “Bangkok Bar” vorbei und weiteren,
schier endlosen Strassen voll mit Hostels, Hotels und Guest Houses. Das
Expressboot laesst nicht lange auf sich warten. Gezahlt wird auf dem Schiff,
eine Fahrt kostet unglaublich 11 Baht (25 Cent) und ich tuckere einmal
flussabwaerts bis zur Endstation “Saphan Taksin”, die gleichzeitig eine
Verbindung zum Sky Train ist. Stellt Euch vor, die Weisse Flotte wuerde
in Muelheim das ganze Jahr ueber von Styrum bis Essen-Kettwig fahren, und
das im 15-Minuten-Takt und fuer 25 Cent… Eine Idee fuer Ruhrbania, oder??
Es geht vorbei an Wats, Hochhaeusern, der Fluss ist nicht gerade sauber
und ich glaube, dass ein Bad in ihm ueble Folgen haben koennte, wie das
eben erwartbar ist in einer Stadt wie Bangkok. Fuer Moenche (auf Englisch
“monk”, hihi, bis “monkey” fehlen nur zwei Buchstaben) gibt es Extra-Sitzplaetze
und daneben den Stehbereich “Space for monks”, und tatsaechlich nutzen
das ein paar kahlrasierte Gestalten mit orangen Umhaengen. Jeder Buddhist
sollte das mal gemacht haben, sagte der Thai gestern. Also Moench sein
fuer eine gewisse Zeit.
Das Umsteigen in den Skytrain klappt perfekt. Mein erstes Ziel ist
Bangkoks suendige Meile, die jeweils 500 Meter langen Strassen “Patpong
1” und – wir raten alle zusammen – “Patpong 2”. Die Luftbahn ist sauber
und herrlich klimatisiert. Fuer eine Tageskarte loehne ich knapp 2 Euro.
Meine Tour durch die Schluchten der Grossstadt beginnt. Eng windet sich
der Skytrain zwischen den Hochhaeusern und Hochhaus-Baustellen hindurch
und hier liesse sich hundertprozentig super eine duestere Zukunftsvision
drehen. Ich sehe schon Doc Brown in “Zurueck in die Zukunft 4” in seinem
fliegenden DeLorean mitten im dunkelsten Gewitter durch Bangkok duesen.
Uuuuuh…
Der
Skytrain ist zwar komfortabel, aber wahnsinnig haesslich in die Landschaft
gestelzt. Viele Ecken von Bangkok haben zwei Etagen. Entweder ueberdacht
von einem Highway oder eben dem Zug. Das macht laut, stickig, oede, bringt
aber – einziger Vorteil – Unterschlupf bei Nieselregen. Der hat naemlich
wieder angefangen. An der Station “Sala Daeng” steige ich aus, alles ist
auch schoen auf Englisch gehalten, da die Zuege zu 50 Prozent von Touristen
frequentiert werden, heute wenigstens.
Vor
mir liegen Patpong 1 und 2. Es stoesst mich ab, schon von der ersten Sekunde.
Wer hat bloss im “Marco Polo” geschrieben, dass sich hier prima mit der
Familie bummeln liesse?? Die Kneipen heissen zum Beispiel “Super Pussy”
und schon mittags um 13 Uhr werde ich auf insgesamt 1000 Metern von fuenf
(!!) aelteren Damen “ficki ficki, ladies ladies” gefragt, immer dasselbe,
und immer bekomme ich entsprechende Bilder mit Details, die nichts verschweigen,
praesentiert. Laut Reisefuehrer sind die ganzen Gogo-Bars in den ersten
Etagen, hurra. Die Einrichtung der Kneipen erinnert mich fatal an die Schinkenstrasse
in Arenal auf Malle. Die Bierbars haben offene Theken und so mancher Bierbauch
hat eine in Bangkok heimische Frau im Arm. Leider kein Vorurteil. Das Nachtleben
Bangkoks soll legendaer sein, gerade hier in den beiden Patpongs und Umgebung.
Aber nicht einmal mit einer grossen Gruppe wuerde ich mich abends hierhin
wagen oder ueberhaupt hierhin wollen. Schlimm!
Nach
dem Schock glaube ich, dass ich eine Ruhepause verdient habe. Zudem regnet
es mittlerweile in Stroemen, so dass ich mich im Lumphini Park, unweit
von der grossen Universitaet Bangkoks, unter einem Baum niederlasse. “Gruene
Lunge” wird der dem “Boston Common” von Groesse und Ausstattung aehnliche
Park genannt, doch das ist stark uebertrieben. Der Verkehr, der Laerm ist
einfach zu praesent. Anstelle der putzigen Eichhoernchen wie in Boston
gibts Tauben und Kraehen – nervig. Naja, nett ist der Blick auf einige
verliebte Paerchen und vereinzelte Tretbootfahrer doch, zudem goenne ich
mir nach Patpong erstmals in diesem Urlaub meine liebsten musischen Perlen,
angefangen bei “Everlong” von den Foo Fighters bis hin zu “Under the bridge”
von den Red Hot Chili Peppers, “Shine on you crazy diamond” von Pink Floyd
und dem unvergleichlichen “Where is my mind” von den Pixies. Anderthalb
Stunden lang sitze ich auf einem Stein unter dem Baum und kriege kaum etwas
mit. Wer kulturell etwas erleben moechte – Stichwort Theater, Oper, Ballett
(nicht, dass ich das im Ruhrpott besuchen wuerde, aber ich haette wenigstens
die Option) – das faellt hier aus. Ein Blick auf meine Finanzen erfuellt
mich aber mit einem Laecheln. Ich hatte nur ein Drittel meines USA-Startkapitals
dabei und musste noch nicht ein einziges Mal von meiner VISA-Karte Gebrauch
machen – am fuenften Tag. Vor einem Jahr war ich schon an Tag vier faellig.
Wild
lebende Katzen huepfen auf und von Baeumen, jemand setzt weshalb auch immer
einen Fisch in den Parksee aus, mittlerweile sind im Wechsel Mando Diao
und die Strokes in meinem Discman an der Reihe. Irgendwann hoert es kurz
auf zu regnen und diese kleine Sekunde nutze ich erneut, um in das Tempo
ausserhalb des Parks zurueckzukehren. Das macht mir uebrigens keine Probleme,
denn in Muelheim gehe ich fast auch nur ueber Rot. Im Strassenverkehr den
Discman einzuschalten, ist derweile eine unmoegliche Mission.
An
“Sala Daeng” steige ich erneut in den Sky Train, um ins Viertel “Siam”
zu fahren. Diesmal erwartet mich der Siam Square, das sind viele kleine
Querstrassen mit unendlich vielen Hochhaeusern und Shoppingcentern. Ein
paar Kinos sind hier; Burger King, Mc Donalds, KFC und 7Eleven haben sich
selbstverstaendlich auch angesiedelt. Das Hauptgebaeude Siam Center wird
gerade renoviert (ueberrascht mich nicht bei dem Bauwahn hier) und auf
vielen, vielen Etagen shoppen Thai und Touris gleichermassen in vielen,
vielen Geschaeften. Ich muss das nicht mehr haben und begebe mich wieder
in den Skytrain. So langsam langweilt mich Bangkok, obwohl es eigentlich
nicht unmoeglich ist, dass diese Stadt ueberhaupt anoedet.
Der
Zug faehrt dieselbe Strecke zurueck, dabei an einem grossen Sportfeld vorbei,
noch einmal am Park, der Patpong, durch die Hochhaus-Schlucht, an Wats
vorbei. Es regnet wieder und ich denke an den Thai, der wohl heute an Pattaya
Beach keine Europaeerinnen zu Gesicht bekommt.
Das
war also Bangkok fuer mich, vorerst. Bei einem Italiener in der Khao San
Road und im Internet-Cafe fliegt die Zeit dahin – Smalltalk mit zwei daenischen
Paerchen und einer Niederlaenderin inbegriffen. Morgen folgt eine Ueberfuehrungsetappe,
wie es im Tour-de-France-Jargon heisst. Tour de France? Upps, die laeuft
ja noch – erst Tag fuer Tag geguckt und jetzt ist mir voellig entgangen,
ob Ullrich es noch aufs Podium geschafft hat. Urlaub eben.
Beim
Fussball steht es 0:0, irgendwann in der zweiten Halbzeit, und nebenbei
blaettere ich im “Reise Know-How Vietnam”. Vor mir liegt nur noch die dritte
Nacht hier und nach three nights in Bangkok verschwinde ich. Ist es wahr?
Muss ich schon zum ersten Mal ein Fazit ziehen? Ein Bangkok-Fan bin ich
sicherlich nicht geworden und ich koennt mich nochmal wiederholen, was
ich jetzt auch mache: zu laut, zu stinkig, zu verschwitzt, zu komisch,
zu viele Stadt-Gesichter, und viele davon sind nicht einmal schoen. Aber
ich ein Fan des Reisens geworden. Diese fuenf Tage waren ein Superauftakt
mit den Hoehepunkten Fruitshakes, Thai-Massage und “Where is my mind?”
im Lumphini Park. Morgen kann ich endlich die drei Worte schreiben, die
Synchronsprecher Christian Brueckner zu Beginn des fantastischen Films
“Apocalypse Now” rauchig praegte.
“Saigon – verdammte Scheisse!”
Sonntag, 24. Juli 2005
Bangkok -> Saigon
Night on Earth – Nacht in Saigon
Kennt Ihr den Film
„Night on Earth“? Ein sensationeller Streifen ueber Taxifahrer, die in
Grossstaedten auf der ganzen Welt die dollsten Storys erleben! Die Hauptrolle
in der Rom-Episode spielt Roberto Benigni, dann gibt es zum Beispiel noch
Helsinki und mein persoenliches Highlight New York City. Mit Armin Mueller-Stah
als deutschem Taxi-Heini, der nicht einmal richtig fahren kann. Wuerde
es eine Fortsetzung geben, dann waere mir danach, einen Drehbuch-Beitrag
zum Thema Saigon aeh Ho-Chi-Minh-Stadt zu leisten.
Der
Tag beginnt verschlafen in Bangkok. Zum Flughafen muss ich schon um 12
Uhr aufbrechen, vorher noch irgendwas hier zu tun, waere schwachsinnig.
Meine verklebten Augen kriege ich fsat gar nicht auf, deshalb lege ich
meine beiden Haende hinter den Kopf und denke darueber, was ich noch haette
tun koennen. Beziehungsweise was ich noch machen kann, denn schliesslich
kehre ich noch einmal fuer zwei Tage zurueck.
Hmm... denke ich ich und freu mich, dass ich mein linkes Augenlid nach
oben bewegen konnte... da waere zum Beispiel eine Klong-Boot-Tour. Klongs
werden die kleinen Kanaele genannt, die vom Chao Phraya abgehen – und die
sind auch gut allein auf Mini-Booten mit einem Guide zu erkunden. Oder
ins thailaendische Nationalmuseum unweit vom Royal Palace und dem Wat Po
entfernt haette ich prima gehen koennen (oder kann ich noch). Und da waere
noch ausserhalb die „Ancient City“ mit dem thailendischen und auslaendischen
Sehenswuerdigkeiten im Mini-Format („Mini-Europe“ heisst das glaube ich
in Bruessel). Oder eine weitere Touri-Meile, die an der Sukhumvit Road
liegt, das ist eine lange Strasse, die in Bangkok beginnt – allerdings
ziemlich weit von der Khao San Road weg – die aber erst in Kambodscha aufhoert.
Moeglichkeiten gaebe es also genug, doch nichts davon geht auf die Schnelle.
So klemme ich mir mit dem Streichholz auch das zweite Auge und erledige
den mehr als typischen Traveller-Kram. Das heisst Rucksack packen, das
Hotel auch fuer meine letzten drei Tage in Bangkok buchen, Akkus aufladen,
Postkarten schreiben. Kram halt. Den 12-Uhr-Bus Richtung Flughafen verpasse
ich knapp, aber um 12.30 Uhr sage ich Bangkok vorerst „Auf Wiedersehen“>
In meiner Tasche lagern noch genug Baht fuer die naechsten zwei Tage hier.
Unglaublich. Dabei kann ich doch gar nicht mit Geld umgehen.
Der
Bus faehrt los und ich fass es kaum. Die Fahrt bis zum Flughafen dauert
45 Minuten und die Stadt hoert und hoert nicht auf. Bei der Abfahrt am
Hotel geht der Blick auf Wats, Hochhaeuser, Autos und Wohnblocks. Und das
aendert sich nicht, bis zum Flughafen. Und unterwegs gibt es ausnahmsweise
keinen Stau. In Berlin ist man schon nach 15 Minuten Autobahn ausserhalb
des urbanen Trabantenstadt-Wahnsinns.
Am
Flughafen bin ich natuerlich massig zu frueh und kann mich erstmal in ein
Internet-Cafe begeben, das auch direkt viermal so teuer ist wie das an
der Khao San Road. Egal. Der Passkontrolleur findet mein John-Lennon-T-Shirt
unfassbar komisch und bruellt das direkt seinen Kollegen zu. Fast alle
schauen mich an. Werde ich rot? „John Lennon good“, sagt er und schmunzelt.
An Gate 43 bin ich um 14.30 Uhr der Allererste. Abflug 16.45 Uhr. Zum
Glueck kommt auf dem TV-Geraet direkt am Gate die Zusammenfassung des gestrigen
Einzelzeitfahrens bei der „Tour de France“. Ich erfahre aus erster Hand,
dass es Ullrich wenigstens noch aufs Podium geschafft hat.
Nach
der typischen Flughafen-Langeweile betrete ich die Air-France-Maschine
und staune: Die ist ja halbvoll! Ich bin ohnehin nervoes, da ich erstmals
an einem Urlaubsort ankomme, ohne zu wissen, in welchem Hotel ich uebernachte
– und das ueberfordert mich ein wenig. Hatte ich noch nie. Doch neben mir
sitzt ein mehr als typischer Traveller. Drei-Tage-Bart, zerzauste Haare,
Sandalen, schlabbrige Stoffhose, mit drei Jongleurstaeben als Handgepaeck.
Der Komfort im Flieger ist im Vergleich zu Aeroflot unschlagbar. Bildschirme
befinden sich an jedem Sitz, und jeder einzelne kann gucken oder spielen,
was er moechte. Nicht der Einheitsbrei wie in allen meinen bisherigen Fluegen
(oder etwa gar nichts, wie bei Aeroflot). Mein Nebenmann schlaeft die ganze
Zeit. Der Flieger ist scheinbar seit 1 Uhr nachts unterwegs. Ich kann nicht
knacken.
Je naeher Saigon aeh, also seit ein paar Jahren heisst das ja Ho-Chi-Minh-Stadt,
rueckt, deston mehr – kitschig, aber wahr – fuehle ich mich wie ein US-Soldat.
Genau 30 Jahre ist es her, dass der Flughafen Saigon einer der meistangeflogensten
der Welt war. Und dass die Soldaten genau dieselbe Sicht hatten wie ich,
bevor sie anfingen, loszubomben. Das alles verraet mir der Baedeker, den
ich lese, waehrend ich den Air-France-Joghurt verschlinge. Und mein Nachbar
schlaeft. Auf der Spur des Vietnam-Kriegs, Ausloeser des Vietnam-Kongresses
in Berlin, „Ho Ho Ho Chi Minh“, „Schafft ein, zwei, viele Vietnam“ – Mitgrund
fuer den Urlaub.
18.05
Uhr, wir sind in die Daemmerung geflogen. Schon von oben erkenne ich viele
Motorraeder, die Motorcycles. Thommy, Marrit und die vielen Vietnam-Dokus
in den letzten Wochen haben mich vorgewarnt. Beim Ausstieg stratzt mein
Sitznachbar ganz langsam vor mir her. Mein Ziel ist ein kleines Hotel in
der Saigoner Touristenstrasse „Buie Vien“, die inzwischen so etwas wie
die Khao San Road sein soll. Ich frage meinen immer noch nicht ganz ausgeschlafenen
Nachbar, ob er auch in die Buie Vien will – wir koennten uns ja ein Taxi
teilen. Er stellt sich als „Ju“ vor und bejaht. Gepaeck abhole, Pass- und
Visakontrolle, Geld umtauschen, das alles dauert ein bisschen laenger als
in Bangkok. Erst um 19.15 Uhr, stockfinster ist’s, erblicken wir zu zweit
das Chaos vor dem Flughafen. 27 Grad sorgen fuer eine verdammt stickige
Luft und wir werden von gefuehlt 1000 Leuten gleichzeitig „Taxi Taxi Taxi“
gefragt. Oh wei, wie heftig.
In
eins quetschen wir uns und eine der abgefahrensten Fahrten meines Lebens
beginnt. Night in Saigon. Es sind so viele Motorcycles... so viele... so
viele... alle durcheinander, Verkehrsregeln gibt es fuer die Zweiraeder
nicht, Gelb, Rot, alles schnuppe, alles fuern Arsch... so viele... alle
zehn Sekunden droht ein Unfall, viele hupen in einer Tour... so viele...
mein Mund steht offen, ich kann nichts mehr sagen. Und Ju grinst nur amuesiert.
Was los sei, frage ich. Und dann erzaehlt er. Gemeinsam mit seiner Freundin
arbeitet er seit November 2004 fuer ein Jahr in der kambodschanischen Hauptstadt
Phnom Penh fuer eine Hilfsorganisation. Zwei Wochen lang weilte er nun
auf Heimaturlaub in Paris. Er will – weil’s nicht anders passte – nur eine
Nacht in Saigon bleiben und morgen mit dem Bus weiter, die paar Stunden
nach Phnom Penh zuruecklegen. So viele Motorcycles... so viele... gibt
es in Phnom Penh auch, sagt Ju. Viele Geschaefte sind in die buntesten
Neonlichter getunkt, alles so laut, so viele hupen... sind das typische
Traveller-Geschichten? Jawoll! Schnell beschliessen wir, aus Kostengruenden
ein Zimmer zu teilen und bei „Linh Thu“ ist sogar eins frei. Um fast
genau 20 Uhr schmeisst uns der namenlose Taxiheld raus, und um pennen zu
gehen, ist es eindeutig zu frueh.
Wir
gehen raus. In die Night on Earth, die Nacht in Saigon. Laufen kreuz und
quer durch die Strassen, ohne Weg, ohne Ziel, so dass wir uns fast verlaufen.
„It’s amazing“, sagen wir fast im Wechsel. Einfach herrlich das alles.
Er, gleichalt uebrigens, entpuppt sich als Rucksackreise-Profi. Er war
schon in Mali, Brasilien, Suedafrika und ueberall in Asien. Er ist auch
Fussballfan, naemlich von Paris St. Germain. Vom VfL Bochum hat er noch
nichts gehoert.
Wir
sitzen in einer der zahlreichen Garkuechen, essen „Luc Lac“ – das ist Rindfleisch
mit Pommes auf vietnamesische Art und verdammt koestlich. Die Kueche hier
sei wundervoll, sagt JU. Auch in Kambodscha gibt es viel Vietnamesisches,
zum Beispiel eben „Luc Lac“. Die jungen Leute haben scheinbar am Sonntag
nichts zu tun, ausser mit dem Motorcycle durch die Strassen zu brettern...
so laut... so viele... hupen...! In einer kleinen Klitsche in einer Nebenstrasse
der Buie Vien klingt der Tag fuer uns aus. Fuer einen ersten Eindruck von
Vietnam oder Saigon ist es eindeutig zu frueh. Es sei anders als ein Phnom
Penh, meint Ju. Ich verstehe, als meinte er damit „reicher“ und „sauberer“.
Nur eins ist klar: Die Buie Vien ist keine zweite Khao San Road. Da gibt
es keine Motorcycles.
Morgen
bricht der letzte Tag meiner ersten Reisewoche an, das ist tatsaechlich
so schnell gegangen. Dass kurzfristig meine Internetadresse nicht abrufbar
ist – was ich um Mitternacht im noch pickepackevollen Internet-Cafe bemerke
– macht heute auch nichts mehr. Warum so voll? Auch in Kambodscha ist laut
Ju Chatten der totale Renner.
Es
scheint, als wuerde mein geplanter Abenteuerurlaub tatsaechlich einer.
Sechs Tage lang unterwegs und schon so viel passiert. Vom Koenig bis Ju.
Er raucht eine Zigarette, als wir zum Hotel zurueckspazieren, das um 0.20
Uhr schon abgeschlossen ist, so dass wir die Besitzer aus dem Bett klingeln
muessen. Das gaebe eine schoene Schlussszene fuer „Night on Earth – Nacht
in Saigon“.
7. Tag
Montag, 25. Juli 2005
Saigon
It’s amazing
Ich
will gar nicht drumherum reden. Es war eine beschissene Nacht. Nachdem
Ju und ich noch ein wenig geplaudert und fuer die naechsten Tage geplant
hatten – er die Stunden mit seiner Freundin in Phnom Penh, ich in Cu Chi,
dem Mekong Delta und ueberall sonst in Vietnam, entschlossen wir uns gegen
1.20 Uhr, das Licht auszumachen. Doch da begannen die Probleme. Ohne die
Klima-Anlage, die aus einem Ventilator bestand, waere es viel zu heiss
gewesen. Mit ihr war’s aber zu laut. Zudem muss ich gestehen, doch einen
Tick Vorsicht in mir zu tragen. Obwohl Ju total korrekt war und nicht den
geringsten Anschein eines Reiseraeubers machte, verbrachte ich die Nacht
in der Hab-Acht-Stellung, also maximal im Halbschlaf. Bin ja eben doch
auf mich allein gestellt hier. Und ob ich nochmal mit einem Fremden das
Zimmer teilen wuerde? Um 5.20 Uhr beendete Ju das Experiment. Er zog sich
was drueber und verschwand. “Have a nice trip”, hoerte ich ihn nur noch
in meinem Daemmerzustand sagen. Das Erinnerungsfoto fiel damit flach. Parallel
klingelte bei den Nachbarn der Wecker – und die Kinder schlugen bis 6.30
Uhr volle Lotte Alarm. Richtig eindoesen konnte ich erst richtig spaet.
Nun
zeigt der Wecker 10.45 Uhr, eigentlich wollte ich die Strassen Saigons
schon seit einer Stunde unsicher machen, doch noch bin ich nicht einmal
geduscht – spuere eben immer noch die Folgen der kurzen Nacht. Zudem ist
mein linkes Knie aus Bangkok-Zeiten ziemlich uebel zerstochen – und das
juckt fuerchterlich. Naja, es ging mir schon besser.
Aber
Saigon wird’s richten, der Auftakt gestern war schon sehr vielversprechend.
Heute ist nach meinem Plan der einzige ganz freie Tag hier, sprich: Ich
muss alles in diesen Tag reinpacken, was alle Reisefuehrer vom Baedeker
bis zum Lonely Planet sowie Thommy und Marrit mir mit auf den Weg gegeben
haben. Aber wie geht das bis zum Einbruch der Dunkelheit um 18 Uhr?
Ich
ueberlege, dusche in Ruhe, verlasse das Hotel und weiss beim Blick auf
die Strasse: Ich erkunde die Stadt so, wie sie die meisten Einwohner Tag
fuer Tag selbst erleben – auf dem Motorcycle, Motorbike, Motorrad. Und
ein faelliges Moorradtaxi zu finden, ist genauso leicht wie ein Yellow
Cab in New York. Wer alleine als Tourist erkennbar unterwegs ist, wird
garantiert spaetestens nach einer Minute angepflaumt. Ich entscheide mich
fuer den Erstbesten und weiss gleich: Eine gute Wahl! Tung heisst der gute
Mann und er praesentiert ein Buch, in dem angeblich alle auslaendischen
Fahrgaeste in diesem Jahr unterschrieben haben. Es sind Eintraege aus Australien,
Oesterreich, USA, England undsoweiter dabei. Wenns ein Fake ist – was ich
nicht glaube – ist es ein verdammt guter. Wir vereinbaren vorher die Route.
Vor allem das “vorher” ist wichtig, wenn man den Reisefuehrern Glauben
schenken darf. Oha ist das witzig. Ich moechte Cholon, das chinesische
Viertel der Stadt, sehen, dann die Notre-Dame-Kathedrale aus der franzoesischen
Kolonialzeit
am Kriegsrestemuseum abgesetzt werden.
Drei
klare Ansagen und Tung tuckert los. Wir sind keine 60 Sekunden unterwegs,
da plant Tung mit mir den Rest des Tages. Der geht natuerlich weit ueber
das eigentlich vereinbarte Museum hinaus. Hierhin noch und da und am Abend
in ein Lokal mit vietnamesischer Musik und ich zahl die Getraenke. Alles
klaaaar! Natuerliiiiich! Ich schuettle nur den Kopf, da beginnt es zu regnen.
Super fuer Tung, der einen Kumpel ansteuert, der mir ein Wasser aufschwatzt
(hab aber wirklich Durst). Nach zehn Minuten geht es wieder ab aufs Mofa
und das ist wirklich eine von oben bis unten lebensmuede Mission. Wie in
einem Hindernisrennen, Slalomlauf, Formel-1-Rundkurs geht es auf den Strassen
Saigons zur Sache, mehr als einmal ist mir kotzuebel, und das nach der
Nacht. Tung ist derjenige, er mit Abstand am haeufigsten hupt und generell
JEDE Ampel bei “Rot” nimmt. Uaaaah, das ist sooo wackelig, so gefaehrliiich,
helft mir, “Mamiii” wuerde ich manchmal am liebsten rufen.
Fast
nebenbei – Tung nimmt natuerlich ein paar Umwege – bekomme ich die verschiedenen
Teile Saigons zu sehen, welche die komplizierte Geschichte der Stadt gut
zeigen. Zunaechst steuern wir Cholon an. Das chinesische ist gleichzeitig
das aelteste Viertel Saigons. Wir halten bei der praechtigen Thien-Hau-Pagode
(“Very beautiful” sagt Tung immer wieder), auch Chua Ba genannt, die der
Goettin des Meeres gewidmet ist. Raeucherspiralen, goldene Thien-Hau-Statuen,
eine 200 Jahre alte bronzene Glocke – echt nett. Danach geht es zum Binh-Tay-Markt.
Wahnsinn, es ist eng, es geht ueber zwei Geschosse, es wird gefeilscht
bis zum Abwinken. Tung ist immer hinter mir.
Und
weiter steuert er zwischen den Stationen einige seiner Freunde an – bei
den Taxifahrern ist das scheinbar ueblich. Diesmal soll ich fuer 10 Dollar
ein Kilo Kaffee oder fuer 8 Dollar ein Kilo chinesischen Tee kaufen. “NO!!!”,
sage ich deutlich. “No problem”, meint Tung. Uebel ist mir jetzt nicht
mehr. Im Gegenteil. Ich fange an zu schmunzeln, zu lachen. Nach einer halben
Stunde ist’s ein Genuss. Saigon hat sechs Millionen Einwohner und heisst
seit der Wiedervereinigung 1975 offiziell “Ho-Chi-Minh-Stadt”. Bis 1954
war Saigon eine franzoesische Kolonie. Aus dieser Zeit zeugen noch einige
Prachtbauten, die Vorliebe der Einwohner fuer Baguettes und eben die Kathedrale
Notre-Dame, die Tung und ich ansteuern. Nach 1954 wurde Saigon dann die
von den USA massiv gefoerderte Hauptstadt Sued-Vietnams. Deshalb sind die
Strassen so breit, damit die amerikanischen Soldaten mit ihren dicken Autos
auch genug Platz hatten. Heute ist das vor allem fuer die zahlreichen Motorcycle-Fahrer
gut… Der westliche, kapitalistische Einfluss ist in Saigon immer noch sichtbar.
Hochhaeuser gibt es schon und ein KFC habe ich auch gesehen. Bin mal gespannt,
wie das im schon immer kommunistischen Norden ist.
Vor
dem Kriegsrestemuseum wird Tung unsympathisch, weil er mir Frauen fuer
“bumbum” vermitteln will. Viele Europaer springen wohl an. Ich springe
ab, und zwar vom Mofa, bezahle Tung fuer die zweieinhalb saugefaehrlichen
Stunden umgerechnet 10 Euro und beschaeftige mich zum ersten Mal direkt
mit dem blutigsten Kapitel Vietnams und Saigons: Dem Vietnam-Krieg.
Das
Museum, das ich um 15.15 Uhr betrete, ist weltberuehmt. Urspruenglich hiess
es “Kriegsverbrechen-Museum”, wurde aber aufgrund der vielen US-Besucher
umbenannt. Nicht nur amerikanischer Kriegsschrott, von Waffen bis zu Panzern,
ist ausgestellt. Nicht nur viele, viele Fotos auch aus den anderen vietnamesischen
Kriegen sind zu sehen (und es sind grausame Bilder, glaubt mir). In einem
weiteren Raum stehen gestorbene Foeten, zerfetzt von Napalm. Und draussen
folgt eine bis 1960 in Betrieb gebliebene Guillotine und die “Tigerkaefig”
genannten Folterzellen. Ein Film rundet die erschreckende Stunde ab. Denn
wer dieses Museum besucht und immer noch glaubt, Kriege seinen probate
Mittel, um Konflikte zu loesen, der hat nichts kapiert.
Direkt
um die Ecke steht der “Palast der Einheit”, ein modernes Gebaeude eines
vietnamesischen Architekten, das bis 1975 als Palast fuer den suedvietnamesischen
Praesidenten diente (das US-gesponserte Suedvietnam hiess damals “Republic
of Vietnam”, der kommunistische Norden um Ho Chi Minh “Democratic Republic
of Vietnam”). Der Palast stand am Ende des Krieges im Zentrum der letzten
Kaempfe, und als am 30. April 1975 das Eisentor fiel, war der Krieg vorbei.
Im Palast wurde die Wiedervereinigung beschlossen – daher der heutige Name.
Das alles hoere in der letzten moeglichen Fuehrung des Tages auf Englisch.
Es geht bis in die Kommandozentrale in den Keller, zum Hubschrauberlandeplatz
auf dem Dach, den Privatgemaechern in der Mitte des Palastes. Ich unterhalte
mich mit einer Franzoesin, die grad ihre vietnamesische Freundin besucht.
Total witzig, beide sind 22, die Franzoesin sieht aus wie 24, die Vietnamesin
wie 16… mein ganzer Koerper ist inzwischen – mal wieder – eine einzige
Schweissperle, die Klimaanlage funktioniert nicht mehr. Ohne Wasser dehydrier
ich bald hier.
17.25
Uhr, wieder draussen, und jetzt kriege ich genug Wasser. Aber leider von
oben. REGENZEIT!!! Zwei Stunden lang giesst es und giesst es und giesst
es. Furchtbar! Hilft alles nix, ich muss schnell zurueck zur Buie Vien,
um noch den Tagesausflug nach Cu Chi morgen frueh zu buchen. Durch die
vielen Pfuetzen wate ich, werde nasser und nasser – die Cyclofahrer sind
vorbereitet und haben ruckzuck eine Regenjacke uebergezogen. Auf dem Rueckweg
lande ich im Kreisverkehr “Le Loi” und tataaa, das ist die erste Strasse
meines Lebens, die mich fast zum Wahnsinn treibt. In der Mitte sind eine
Riesen-Tankstelle und der zentrale Busbahnhof. Viele, viele Strassen gehen
vom Kreisverkehr ab und im dichten und dicksten Feierabendverkehr (es gibt
keine Ampel und Fussgaenger interessieren keinen) gelingt es mir beim starken
Regen erst nach einer Viertelstunde, die richtige zu finden. Fluessig komme
ich trotzdem vorwaerts, das Motto fuer Fussgaenger lautet “Wer bremst verliert”.
Und wer Angst hat, der bleibt bis an sein Lebensende an derselben Stelle
stehen. Fussgaenger in Vietnam zu sein schult eindeutig die Aufmerksamkeit.
Bei
Fruchtshakes (vielen), Essen (viel) und im Internetcafe beende ich meinen
Saigon-Tag, an dem ich das komplette Stadtprogramm in sechs Stunden durchziehen
durfte: Politik, Geschichte, verschiedenste Viertel, Sonne, heiss, starker
Regen, Wind, Motorrad fahren, Feierabendverkehr, verlaufen, verschiedensts
Essen. Nicht zu vergessen die zahlreichen aufdringlichen Strassenverkaeufer,
die Touristen fast im Minutentakt Zigaretten, Feuerzeuge, Zeitungen und
sonstigen Kram andrehen wollen. Die gehen mir fast schon so auf den Zeiger
wie die Mueckenstiche und die Groesse der Tueren. Ich stoss dauernd ueberall
an. Die sind halt nicht so gross hier…
Aber
ich habe die erste Woche insgesamt ohne groessere Blessuren ueberstanden.Das
ist doch einen Applaus von mir fuer mich selbst (Selbstbespiegler, der
Kerl hatte doch Recht) wert. So gewoehnungsbeduerftig Bangkok und Saigon
sind, moechte ich die Tage, die Leute, die ich kennengelernt habe und die
gewonnene Erfahrung nicht missen. Das bleibt immer in mir drin, und wenn
ich Vietnam ueberlebt habe, dann meistere ich meinen Alltag noch relaxter!
Doch 19 Tagen warten noch auf mich. Ab morgen ist
aber hoffentlich ein bisschen mehr Ruhe angesagt. Es beginnen viele, viele
Busfahrten. Eins hat mir heute richtig im Radau von Saigon gefehlt: meine
Musik!
8. Tag
Dienstag, 26. Juli 2005
Saigon -> Cao Dai, Cu Chi -> Saigon
Von Krieg und Kriech(en)
Hach
tut das gut. Es war der achte Tag heute und eigentlich muesste ich mich
an das tropische Klima laengst gewoehnt haben, und doch bin ich ueber jeden
Hauch eines leichten Windes sehr, sehr dankbar. Ich schliesse die Augen
und lasse den Ventilator meinen Kopf anvisieren. Mein Wecker fuer morgen
steht schon wieder auf 7 Uhr; ich sagte es, jetzt kommen die Tage der eigentlich
ruhigen Busfahrten, aber auch die Pack-ein-pack-aus-Tage. Jetzt bleibe
ich vorerst in keinem Hotel laenger als zwei Naechte. Und um 22.30 Uhr,
so spaet ist es schon/erst, habe ich fast ein schlechtes Gewissen, noch
nicht zu schlafen. Denn morgen wird es auf der Tour ins Mekong-Delta wieder
sehr hart. 22.30 Uhr, in Muelheim ist es grad 17.30 Uhr - da seht Ihr,
dass mein Tagesrhythmus komplett aus den Fugen geraten ist.
Ein
Morgenmuffel war ich und bin ich meistens. Ob im Alltag, am Wochenende
oder im Urlaub. Und wenn ich um 7 Uhr aufstehen muss, egal wie lange ich
geschlafen habe, dann bin ich grundsaetzlich sauer auf die Welt. Und deshalb
freue ich mich gar nicht, dass mein erster Busmarathon waehrend des Urlaubs
nicht wie angekuendigt um 8, sondern erst um 8.15 Uhr beginnt. Ich haette
laenger schlafen koennen!! Naja, kann im Saigoner Morgenverkehr schon einmal
passieren. Im Kleinbus - 16 Personen finden Platz - sitze ich in der mittleren
Reihe in der Mitte, da kann ich nicht mal weiterschlafen. Scheisse, faengt
ja gut an. Unser Tourguide nennt sich "Slim Jim", er war 20 Jahre lang
im Mekong-Delta Englischlehrer, sagt er, und suchte eine Abwechslung. Nun
spielt er seit sieben Jahren den Tourguide fuer englischsprachige Touristen.
Ganz langsam fallen mir immer wieder die Augen zu - dabei war die Nacht
in Saigon okay - doch ein Strassenhuegel Saigons zerstoert jedes Mal meinen
Sekundenschlaf sofort. Auch um 8.30 Uhr vormittags scheint nichts veraendert.
60 Prozent Motorraeder ("They have no rules", sagt Slim Jim), den Rest
der vollgestopften Strasse teilen sich Taxis, Busse, Autos und auch ein
paar Fahrraeder. Nach einer halben Stunde gibt's den ersten Stopp, zum
Fruehstueck bei einem - mutmasslich - Partner-Restaurant der Reiseagentur.
Ich
belasse es bei einer Flasche Wasser und versuche mich im Gehoppel und Gehupe
Saigons so gut es geht auf mein erstes vietnamesisches Ziel ausserhalb
Saigons zu konzentrieren. Cao Dai. Waehrend ich in den Reisefuehrern blaettere,
erzaehlt Slim Jim in einer Englisch-Mischung aus asiatischem und Suedstaaten-Dialekt
(total witzig) auch ein bisschen. Es ist ein Exkurs in die Religionen Vietnams.
Ein interessanter dazu. In Thailand - erinnert Euch - ist alles auf den
Buddhismus ausgerichtet. Aber in Vietnam gibt es alles und nichts. Buddhisten,
Islamisten, Christen, dann noch Anhaenger bestimmter Philosophen, wie zum
Beispiel Daoisten und Konfuzianisten. Die Katholiken leben ueberwiegend
im Sueden Vietnams, da insgesamt eine Million Katholiken 1954 nach dem
Abzug der Franzosen vor den angeblich kirchenfeindlichen Kommunisten flohen
- zum Beispiel auch Jim. Nebenbei erzaehlt er, dass er den Norden niemals
gesehen hat ("Why? Now the communists are here!")
11.20
Uhr, wir sind da. Denn es gibt noch Cao Dai - eine Sekte, deren Tempel
in allen Reisefuehrern aller Sprachen als besonders sehenswert eingestuft
wird. Das Ganze liegt etwa 100 Kilometer (schaetze ich) westlich von Saigon,
nahe an der Grenze zu Kambodscha. Und schon von weitem ist die Staette
im Doerfchen Tay Ninh zu erkennen. Alles wird auf einmal so bunt. "Cao
Dai" heisst uebersetzt "Der Hohe" oder "der grosse Palast". Die Idee haette
scharlataniger nicht sein koennen. 1926 erfand Ngo Van Chien diese Sekte
und manschte Lehren aus allen Religionen zusammen. Man nehme den Nirwana-Glauben
des Buddhismus, vermengt den mit konfuzianischen Lehren, der Hierarchie
der Katholiken (mit Papst und festgelegten Zeremonien) und wuerze das ganze
mit einer Prise Islam und den Worten Victor Hugos - und fertig ist "Cao
Dai". Bunt ist das Ganze, um durch die Farben die jeweiligen Herkunftsreligionen
herauszustellen. Symbol von "Cao Dai" ist ein Auge in einem Dreieck.
Kaum
zu glauben, dass diesen Quatsch irgendeiner befolgt, was? Tja, in der Hoch-Zeit
hatte "Cao Dai" vier Millionen Anhaenger und eine Privatarmee, die sich
gleichzeitig mit Nord- und Suedvietnam anlegte und einen "Staat im Staat"
bildete. Die Leiche des Papstes (der noch keinen Nachfolger hat), die in
Kambodscha liegt, darf "Cao Dai" bis heute nicht beerdigen. Die Erlaubnis
fehlt. Deshalb steht auf dem Gelaende ein leeres Grab rum. "Disneyworld-Religion"
hat jemand "Cao Dai" mal genannt. Besser haette ich das auch nicht ausdruecken
koennen.
Viermal
taeglich findet eine immer gleiche Gottesdienst-Zeremonie der Umhangtraeger
statt. Wir verfolgen 20 Minuten der 12-Uhr-Sitzung, und die ist an Laecherlichkeit
kaum noch zu ueberbieten. Alles streng hierarchisch, eine Vierer-Musiktruppe,
die immer das gleiche spielt. Und immer so wieder. Im liebsten wuerde ich
in Manier von "Werner's Sportstudio" einen Fussball in die Runde werfen
und laut ruelpsen.
Fuer
mich bekommen die 20 Minuten dennoch einen leicht positiven Spin. Neben
mir steht Hanna (ihr vietnamesischer Name laesst sich so am besten uebersetzen,
sagt sie), die eine Gruppe durch Cao Dai fuehrt. Sie bezeichnet sich als
Studentin (glaube ich) und 26 (glaube ich nicht, hoechstens 22) und spricht
mich an. Dabei schaetzt sie mich auf 22 (!), was ich fuer ein unglaubliches
Kompliment halte, da mich schon zum zweiten Mal innerhalb von drei Wochen
jemand deutlich juenger eingeschaetzt hat. Irre. Und Hanna will meine Mail-Adresse.
Kann sie haben. Bin gespannt, ob sie sich meldet.
Um
12.30 Uhr verlassen wir den mehr als skurrilen Ort. Da fand ich das Gefuehl
schon wesentlich beeindruckender, als wir auf dem Cao-Dai-Hinweg an der
Strasse vorbeifuhren, auf der das nackte Maedchen Kim Phuc fotografiert
wurde, gezeichnet von einem US-Napalm-Angriff (Ihr erinnert Euch, eins
der beruehmtesten Fotos des 20. Jahrhunderts).
Auf
dem Rueckweg passieren wir einen weiteren wichtigen Kriegsschauplatz (hier
hat sich scheinbar am Ende eine ganze Menge abgespielt): Naemlich den 986
Meter hohen "Black Lady Mountain", der nicht nur die Grenze zu Kambodscha
bedeutet, sondern auch das Ende des "Ho Chi Minh Pfades" der Vietcong war.
Dort fanden die nordvietnamesischen Kaempfer Unterschlupf und parallel
hatten die Amis dort einen Hubschrauber-Landeplatz. Sprich: Das Gebiet
war total umkaempft, vor 30 Jahren. Geschichte total real.
Und
mit den Tunnelanlagen von Cu Chi wird es - nach einem Mittagessen in einem
natuerlich reeeeein zufaellig angefahrenen Lokal - der Cao-Dai-Flop voll
ausgeglichen. Klingt affig, das jetzt 15 Flugstunden von Euch entfernt
zu sagen, aber: Dieses Gefuehl muss man selbst erlebt haben, das kann kein
Foto nachstellen und kein Film zeigen. Die von den Vietcong mit einfachen
Schaufeln gebuddelten Tunnel, die vom Norden bis vor die Tore Saigons reichten,
hatten insgesamt 200 bis 250 Kilometer Laenge. Und Teile davon sind zu
besichtigen, eben in Cu Chi.
In
den Pyrenaen Suedfrankreichs unternahm ich schon einmal eine Tunnel-Kletter-und-Kriechpartie,
aber das ist nichts gegen Cu Chi. Der Einstieg ist kaum zu erkennen. Wir
gehen in ein Waldstueck, alles ist ganz normal bedeckt mit Muecken und
Laub. Ploetzlich taucht ein vietnamesischer Soldat aus der Tiefe auf. Der
Einstieg: klein und nicht zu sehen. Durch dieses kleine Tunnelstueck geht
es ebenso wie durch ein zehn Meter langes nicht weiter schlimmes. Doch
dann folgt das Meisterstueck. Der laengste. 120 Meter lang. Es ist eng.
Sehr eng. Bueckt Euch mal, wie Fussballer auf einem Mannschaftsfoto. Und
stellt Euch jetzt vor, Ihr stosst mit jedem Koerperteil an eine Wand. So
eng. "No asthmatiker", hat Jim geraten. Die Luft ist schlecht, heiss, stickig,
alle schwitzen. Ich auch, aber zum Glueck trage ich mein VfL-Kalla-Trikot,
und die Fussballjerseys schnappen den Schweiss ziemlich gut auf. Und AUTSCH,
Kopf gestossen, es wird knapper. Ich lege meine Knie auf den Boden und
krieche. Anders geht's. Robben, robben, robben, bis der Ausgang am Horizont
zu sehen ist. Dort steht Jim und erzaehlt. Die Tunnel sind auf Touristengroesse
ausgebaut. In Wirklichkeit waren sie 60 mal 80 Zentimeter gross und bis
zu 20 Meter in der Tiefe, damit sie der Bombenvibration standhalten konnten.
Hammer! Hammer-Erlebnis!!
Die
Amerikaner waren mit der modernsten Technologie in Vietnam, doch gegen
die Tunnel, von deren Existenz sie erst spaet erfuhren, konnten sie kaum
ankommen. Die Vietcong lebten darin, assen, erzogen Kinder. Wir gehen ins
nachgebaute Hospital, in eine nachgebaute Kueche. Dann noch zu einem Film
und einem Schiessstand mit Original-Vietcong-Waffen. Immer schoen im Hintergrund
als Soundeffekt: Hubschrauber! Kurz vor dem Ende des Krieges war Cu Chi
eine "free fire zone", das heisst, dass die Amerikaner jeden toeten durften
- egal ob aus dem Norden oder dem verbuendeten Sueden. Cu Chi war nach
1975 eine Wueste. Heute sind die Baeume nachgewachsen. Naja, ein paar Bombenkrater
sind geblieben. Und bleiben.
Auf
dem holprigen Weg zurueck nach Saigon durch den schon ausfuehrlichst geschilderten
Rush-Hour-Verkehr nutze ich die Gelegenheit, meine Reisegruppe naeher kennenzulernen.
Es sind vier Japaner dabei, mit einem eigenen Guide, vier Franzosen im
Alter meiner Eltern (zwei Paerchen) und drei weitere Paerchen. Eine junge
Frau aus Kanada fragt: "Where is Bockum?" Gut, sie identifiziert mich nicht
als Deutscher, sondern mutmasslich nur als verrueckten Traveller (so hoffe
ich). Neben mir schlaeft ein Grieche, der aussieht wie Obelix, keinen Tunnel
ersteigen konnte und staendig laut telefoniert. Ein unangenehmer Zeitgenosse.
Wenigstens kann ich zwischen 16.15 Uhr und 18.05 Uhr wieder ein Paar Batterien
leer hoeren. Kettcar, Weezer, Tocotronic, Tomte, R.E.M., Metallica, K's
Choice, Green Day, Adam Green, Helden, Hosen, Mando Diao, Strokes, Peppers...
herrlich, das hat mir gefehlt.
Direkt
nach der Rueckkehr buche ich die naechste Bustour. Fuer 25 Dollar (inklusive
Hotelkosten) geht es ins Mekong-Delta mit Zwischenstopp und Uebernachtung
in Can Tho, der Stadt, in der Marrit wochenlang Englisch unterrichtete.
Um 7 Uhr klingelt der Wecker. Ich werde wieder ein vermuffeltes Muedigkeits-Wrack
sein. Doch ich hoffe, dass mich die morgige Tour auch am Ende versoehnt.
Morgen geht's in den Hintern Vietnams. Denn nach langer Ueberlegungszeit
ist mir aufgefallen, dass Vietnam so aussieht wie ein Seepferdchen. Saigon
ist schon weit unten (bauchnabelmaessig). Und das Mekong-Delta eben ganz
unten. Es soll fantastisch sein.
Waere schoen.
9. Tag
Mittwoch, 27. Juli 2005
Saigon -> Can Tho (Mekong-Delta)
Mittendrin statt nur dabei
Goooooood
morning Vietnam!! Wo wir schon beim Thema sind... Robin Williams' Weckruf
koennte ich jetzt auch gut gebrauchen. Schon wieder um 7 Uhr wach werden,
und das wieder einmal nach einem sehr kranken Traum (wird wohl zur Gewohnheit
hier, dass sich mein Unterbewusstsein hier nur verquerte Sachen ausdenkt),
ja hoert das denn nie auf? Muffelmuffelmuffel. Zum Glueck habe ich alles
gestern Abend schon gepackt, so dass ich nur noch duschen und in die Klamotten
schluepfen muss. Meinen dicken Rucksack kann ich ueber Nacht gluecklicherweise
in meinem Saigoner Hotel "Linh Thu" lassen. Deshalb muss ich an den naechsten
beiden Tagen nicht ganz so viel schleppen.
Heute
geht's in die Region, die von den Amis ganz besonders zerbombt wurde. "Today
we say in Vietnam 'the unlocigal war'", sagte gestern Slim Jim. Okay, zwischen
Saigon und Hanoi gibt es gewisse Rivalitaeten, wie ich hier aus so mancher
Aeusserung heraushoerte (aber die gibt es zwischen Berlin und Muenchen
auch), aber dass sich Norden und Sueden bis vor 30 Jahren noch gegenseitig
abgeschossen haben, will hier kaum noch jemand wissen. Weil es zwischen
1975 und 1991 das West-Embargo und zwei weitere Kriege (Einmarsch in Kambodscha,
16-taegiges Techtelmechtel mit China an der Nordgrenze als "Strafaktion"
fuer Kambodscha) gab, zaehlte das komplett zerstoerte und wirtschaftlich
total marode und korrupte Vietnam zu den zehn aermsten Laendern der Welt.
Das ist erst 14 Jahre her! Seitdem hat sich viel geaendert. Der Westen
- und selbst die USA - importieren wieder aus Vietnam und investieren ebenso
fleissig wie andere (aus Deutschland z.B. Siemens und Mercedes), nach der
Oeffnung des Landes fuer Touristen kommen inzwischen drei Millionen pro
Jahr (darunter viele US-Vietnam-Veteranen - was heute nicht alles geht...),
die Kredite fliessen - und zack boomt Vietnams Wirtschaft mit durchschnittlich
7 Prozent pro Jahr.
Unser
Guide heute heisst Himb, geschaetzte 30 Jahre alt und 1,70 gross, faehrt
sich dauernd durch die mittelgescheitelten Haare und hustet. Um 8.10 Uhr
geht's los in einem gut klimatisierten Bus, ich erwische einen Platz am
Fenster, allein in einer Zweier-Kombi. Optimal. Die vielen Loecher in den
Strassen fallen mir kaum noch auf beim Weg aus Saigon Richtung Sueden.
Ich lese ein bisschen im Teil "Geschichte" des "Reise Know-How Vietnam"
(Ergebnis siehe oben). Der Bus faehrt durch verlassene Vororte Saigons,
am Horizont sind fuenf Hochhaeuser vom Baustil "Marzahn" und "Maerkisches
Viertel" erkennbar, davor eine grosse Rasen-/Lehmflaeche. "This is our
new city", sagt Himb mit einem stolzen Unterton. Stolz? Damit meint er,
dass Saigon eben eine sehr alte Stadt sei (vom Baustil). Und in eben dieser
neuen Siedlung entsteht innerhalb der naechsten zehn Jahre ein ganzer Park
solcher Haeuser. Eine U-Bahn soll wohl auch bald in Saigon eroeffnen, in
Vietnams groesster und wohl auch westlich orientiertester Stadt. Boom,
ich sag's. Fehlen nur noch Mc Donalds, Burger King und Pizza Hut (die es
hier noch nicht gibt). Um welchen Preis? Manchmal habe ich das Gefuehl,
als blickten die Vietnamesen neidisch nach Bangkok, ausgerechnet. Bitte
nicht! Bewahrt Euch den eigenen Charme! "In 40 oder 50 years our countrys
will be the same", glaubt Himb. Soso, so ist also die Planung. Wenn ich
sterbe, spielen Vietnam und Deutschland in derselben Liga. Schoen waer's.
Aber wird es wirklich dazu kommen?
Mal
wieder ist der Verkehr, der scheinbar 24 Stunden dicht an dicht ist, verdammt
nervtoetend, aber zugleich putzig. Drei Millionen Motorraeder gibt es in
Saigon, erzaehlt Himb. Drei!!! Zusaetzlich zu den sieben Millionen Einwohnern
(gestern bei Slim Jim waren's noch sechs oder acht, weiss nicht mehr) kommen
taeglich eine Million aus den umliegenden Doerfern zur Arbeit. Kein Wunder,
dass Saigon bei allem Reiz, aber der trotzdem indiskutablen Verkehrsfuehrung
Tag fuer Tag zusammenbricht. Fast 24 Stunden lang. Himb ist Saigoner und
er bestaetigt meine These der Konkurrenz zu Hanoi. Mehr als auffaellig
weist er daraufhin, dass Hanoi zwar die Hauptstadt sei, Saigon aber die
groesste Stadt mit den vielen Projekten...
Hab
ich schon erzaehlt, warum Vietnam fuer Rucksackreisende wie ich einer bin
als erste Wahl gilt? Es ist wie schon so oft beschrieben furchtbar interessant
wegen seiner vielfaeltigen Geschichte, liegt in einem anderen Kontinent,
das Wetter ist meist gut, es gibt viel zu entdecken und es ist so unschlagbar
billig. Und dank der Reiseagenturen gibt es ein toll ausgebautes Bussystem.
Zwischen den fuenf groessten Staedten Saigon, Nha Trang, Hoi An, Hue und
Hanoi gibt es vom Sueden in den Norden und umgekehrt taegliche Verbindungen.
Und alle Fahrten zusammen kosten 25 Dollar! Und von den einzelnen Staedten
bieten die Reiseagenturen speziell buchbare Extratouren an. Von Saigon
zum Beispiel nach Cu Chi und Cao Dai (wie gestern) oder ins Mekong-Delta,
was ich heute "abhake", anstatt einer Tour von zwei waeren auch drei, vier
oder fuenf moeglich gewesen. Inklusive zweier Mahlzeiten, der Nacht im
Hotel und eines Shirts der Agentur "SinhCafe" kostet der zweitaegige Spass
ebenfalls nur 25 Dollar. Geschenkt!
Exkurs
beendet. Warum ich so viel Zeit habe, um das zu erklaeren? Der heutige
Tag ist ein einziges "berieseln lassen". Ich hocke im Bus am Fenster, beobachte,
wie Frauen und Maenner in den Reisfeldern Suedvietnams herumplanschen,
die Frauen ganz klassisch mit den beruehmten Kegelhueten auf dem Kopf.
Schaue Kleinkindern zu, die am Strassenrand stehen und vermutlich Tag fuer
Tag einfach so den Touribussen zuwinken. Sehe die Verkaeufer, die an jeder
Ampel (wenn es denn mal welche gibt) vor die Busse sprinten, und Gucci-Sonnenbrillen
(haha!) verscheuern wollen. Betrachte die Einwohner, wie sie einfach nur
vor ihren kleinen Haeusern - die meisten sind nur drei Meter breit, dafuer
aber sehr tief - sitzen, sich ausruhen, spielen, kochen. Bewundere die
Maerkte mit den vielen tropischen Fruechten, von Bananen, Ananas, Kokosnuessen
bis zur "Dragon Fruit" und der Sternfrucht. Und vielen mehr, deren Namen
ich nichtmal weiss. Und der Speichel tropft aus meinem Mund wie bei Homer
Simpson. Zwischendurch hupen und ueberholen Lkw-Fahrer, Motorraeder versuchen
waghalsige Manoever. Good morning Vietnam! Hier bin ich mittendrin statt
nur dabei. An Thommys Bildschirm sah alles schon verrueckt aus, aber es
selbst zu erleben, ist fast schon zu schoen. In meinen Ohren sitzen die
Stoepsel wie angegossen. Und ich hoere "Dream now" von All About Eve und
"Dreams" von den Cranberries. Hatte ich vor einem Jahr in den USA glaube
ich schonmal, aber diesmal passt's besser.
Das
Programm, das SinhCafe bietet, ist wirklich abwechslungsreich. Nach zweieinhalb
Stunden Busfahrt geht es endlich auf ei Boot, denn wie anders ist das Mekong-Delta
am besten zu erkunden!? Hier liegt Vietnam auf einem Breitengrad mit Djibouti.
Der Mekong ist 4500 Kilometer lang, fliesst durch Burma, Laos und Thailand,
bevor er sich in Kambodscha in zwei Arme aufteilt, in Vietnam schliesslich
in acht, um dann ins Meer ueberzutreten. Mit dem Boot fahren wir durch
einen kleinen "Floating Market", das sind schwimmende Maerkte, bei der
die Farmer auf Booten ihre Waren anbieten und verkaufen. Danach geht's
aufs Festland, um sichtlich genervten Puffreismachern bei der Arbeit zuzuschauen.
Die reichen Touristen knipsen, was das Zeug haelt, und die kriegen wahrscheinlich
gerade einmal den staatlich festgelegten Mindestlohn von 20 Dollar im Monat.
Schrecklich!
Auf
dem Boot geht die Berieselung weiter. In einem klitzekleinen Schiffchen,
der Motor knattert lauter als laut, geht es ueber einen sehr, sehr breiten
Mekong-Arm, der an der dicksten Stelle ein Kilometer breit ist. Verkaeufer
passieren den Weg, rauchen ein Zigarettchen und halten den nackten Oberkoerper
in die Bewoelkung. Ganze Familien wohnen auf den Booten im Mekong, wohlgemerkt
als Farmer und nicht wirklich als Seefahrer. Viele verbringen ihr gesamtes
Leben dort, sagt Himb. Schulen gibt es nur kaum.
Dann
passiert auch mal fuenf Minuten nichts. Keine anderen Boote, nur Palmen,
ueppige Vegetation (bin kein Biologe, sonst koennte ich Euch sicherlich
mehr Pflanzen und Baeume benennen). Es ist eine Apocalypse-Now-Romantik.
Der Grossteil des Films spielt (obwohl - wie ich weiss - nicht hier gedreht)
auf dem Mekong-Fluss in Richtug Kambodscha. Diese Region diente als prima
Versteck fuer die nach Suedvietnam vergedrungenen Vietcong. Jetzt weiss
ich, was mit dieser Aussage gemeint ist. Und die Amis haben vieles davon
platt gemacht. In Vinh Long, einer kleinen Stadt, halten wir zum kostenlosen
Mittagessen. Es gibt eine undefinierbare Suppe und undefinierbares Fleisch
mit Reis - moechte gar nicht wissen, was ich da in mich reingestopft habe.
Am leckersten sind eindeutig die Fruechte als Dessert! Leckerleckerlecker!
Wir treffen dort andere Touristen, einer spricht mich auf mein VfL-Trikot
und den Abstieg an. "Supporter from Bochum, trotz van Duijnhoven?", fragt
er, waehrend wir einer kleinen, putzigen vietnamesischen Familien-Musikband
lauschen (moechte wieder nicht wissen, fuer welchen Hungerlohn die sich
zum Affen machen). Er ist jedenfalls Niederlaender aus Eindhoven. Shakehands.
In
Vinh Long wird unsere grosse Gruppe gegen 15 Uhr schlagartig kleiner. Wie
sich herausstellt, waren bis jetzt auch die dabei, die nur eine Ein-Tages-Tour
gebucht haben. Sie fahren zurueck nach Saigon, und nur 14 plus Himb tuckeln
weiter Richtung Can Tho, der Hauptstadt des Mekong-Delta. Der Stadt, in
der Marrit Englisch unterrichtete und in der Thommy ein paar Tage wohnte.
Marrit bevorzugt das Mekong-Delta als schoenste Region Vietnams, hat sie
gesagt. Beide gaben mir fuer Can Tho viele, viele Tipps.
Mit
einer typisch vietnamesischen Feierabend-Verkehrs-Faehre (nicht ueberall
im Delta gibt es Bruecken) geht es ueber einen Mekong-Arm nach Can Tho,
310.000 Einwohner, 135 Kilometer suedwestlich von Saigon. Jetzt bin ich
am weitesten von meinem Vietnam-Ziel Hanoi entfernt. Jetzt bin ich mittendrin
im Uraub. Nicht mehr am Anfang, noch lange nicht am Ende. 1900 Kilometer
werde ich in den naechsten zehn Tagen per Bus zuruecklegen. Um 17 Uhr betrete
ich mein gebuchtes Einzelzimmer - und das ist der absolute Luxus: gross,
geraeumig, grosses Badezimmer, klimatisiert auf genau 20 Grad. Da hat SinhCafe
ganze Arbeit geleistet. Heute ist der erste Tag komplett ohne Schweiss:
alles klimatisiert und draussen Bewoelkung.
Ich
will mich flugs in die von Thommy und Marrit vorbereiteten Can-Tho-Planungen
stuerzen, da - oh Schreck - stelle ich fest, dass unser Hotel auf allen
Innenstadt-Karten, die ich in den Reisefuehrern habe, nicht verzeichnet
ist! Scheisse, wir liegen ausserhalb. Und wie fast immer in den letzten
Tagen faengt es puenktlich gegen 17.30 Uhr an zu plaestern. Und nicht zu
knapp! Und die Daemmerung beginnt sowieso in diesen Minuten. Ich hocke
mich ins DSL-Internet-Cafe, schreibe Mails, surfe durch die Welt, bezahle
umgerechnet 30 Cent fuer anderthalb Stunden, und gebe um 19 Uhr auf. Das
bringt nichts mehr, jetzt noch in die Stadt zu laufen. Jetzt, da es stockfinster
ist. Und der Weckdienst klingelt schon um 6.30 Uhr morgen durch.
Ich
blicke auf den ersten langweiligen Leerlauf-Abend des Urlaubs zurueck,
und das ausgerechnet in Can Tho. Wenn das Thommy und Marrit lesen... Aus
der 14er-Gruppe eignet sich niemand zum Plauschen oder Weggehen. Die Japaner
sprechen kein Englisch und der Rest ist deutlich zu alt. Zum ersten Mal
starre ich an die Decke, hoere dem Regen zu und wuerde am liebsten siedeln,
ein Fussballspiel gucken und dabei Giovanni-Pizza essen oder bei Zarko
im Schraegen Eck ein paar Dartpfeile werfen. Und mein Oberschenkel meldet
sich mit Schmerzen nach dem Kriech-Sport gestern in Cu Chi.
Im
Hotel gibt's Essen. Reis mit so einer Art Huehnerfluegel. In so einer Stimmung
geht mir sogar das Motto "alles probieren" auf den Sack. Ich habe in den
neun Tagen so viel Verschiedenes in mich reingestopft - Hoehepunkte waren
die Fruechte und Fruit-Shakes - schon am neunten Tag kann ich Reis kaum
noch sehen. Naja, vielleicht legt sich meine Langeweiler-Miesmacher-Laune
morgen wieder. Bestimmt sogar.
Denn
wenn ich um 19 Uhr morgen wieder in Saigon ankomme, dann bin ich nicht
ausserhalb. Dann bin ich endlich wieder mittendrin im Geschehen. Und jetzt
klappe ich das Buch fuer heute zu.
Hanna
hat uebrigens nicht geschrieben.
10. Tag
Can Tho (Mekong-Delta) -> Saigon
Im Bus-Kloster
Bei
aller Liebe zum vietnamesischen Essen, das Fruehstueck bin ich allmaehlich
leid. Einen Teller warme Suppe gleich zum Tagesbeginn zu essen, darin koennte
ich mich nie gewoehnen. Die landestypische Suppe heisst Pho, die gibt es
mit allerlei Gemuese drin und wahlweise Huhn, Rind oder keins von beidem.
Zu kaufen ist Pho ueberall in Saigon und vermutlich auch dem Rest des Landes,
zu jeder Tages- und Jahreszeit. Thommy und Marrit haben sie mir auch fuer
frueh morgens ans Herz gelegt. Zum Fruehstueck?? Never! Aus dem Bett komme
ich um 6.30 Uhr erstaunlich gut, mein innerer Wecker und mein Unterbewusstsein
haben es heute gut mit mir gemeint. Das Fruehstuecksbuffet ist zwar einigermassen
umfangreich, aber so gar nicht mein Ding. Pho gibt es auf Wunsch, ausserdem
steht warmer O-Saft, kaltes Wasser, Reisbrei, normaler Reis (den gibt es
hier halt immer), lauwarmes Gemuese, papp-trockene Mini-Pfannekuchen und
viel, viel Baguette (der franzoesische Einfluss, ich sag’s ja), verfeinerbar
mit einer einzigen Frucht-Marmelade. Ne richtige Schuessel Cornflakes,
das waere doch was. Oder ein knuspriges Schoko-Croissant, ne Tasse Pfefferminztee.
Ich fruehstuecke nie viel, aber der Geschmack muss schon stimmen.
Um
7.30 Uhr sitzen wir 14 und Himb mehr oder weniger gestaerkt im Bus, um
8 Uhr geht es zu einer ueber dreistuendigen Bootstour aufs Wasser. Ich
freu mich sehr drauf. “It will be very hot”, vermutet Himb schon um 7.45
Uhr. “Don’t forget your hat.” Ich habe mein Kaeppi natuerlich in Saigon
liegen. Shit! Und es wird wirklich von Sekunde zu Sekunde heisser. Himb
sieht mit seiner Muetze aus wie Kermit, der Frosch. Keine Ahnung, wie mir
der Vergleich eingefallen ist. Kermit halt. Wenn er etwas erklaert, ist
das so witzig. Er sagt es auf Englisch, fuer die Japaner auf Zeichensprache
und fuer zwei Vietnamesen auf Vietnamesisch. Und da von der franzoesischen
Familie nicht alle des Englischen maechtig sind, gibt es noch Franzoesisch,
also ein herrlich internationales Sprach-Spektakel.
Als
wir die letzten Meter im Bus vom Hotel bis zur Anlegestelle in Can Tho
zuruecklegen, spiele ich Gluecksfee und lege irgendeine CD in den Discman.
Und was laeuft? Herbies “Bochum”. Haette besser zu meiner Laune gestern
Abend gepasst, als ich mir ausmalte, wie Edu den VfL mit einem 30-Meter-Knaller
in der letzten Minute zum Pokalsieg 2006 schiesst. Aber halt. Die Zeilen
“Du bist keine Schoenheit”, “Du bist keine Weltstadt”, “Wo das Herz noch
zaehlt, nicht das grosse Geld” lassen sich auch auf Can Tho anwenden, zumindest
den Teil, den ich gesehen habe.
Sagte
ich gestern nicht etwas von “berieseln lassen”? Ich lasse es sein, heute
eine andere Formulierung suchen zu wollen. Es ist ein dreistuendiger Trip
wie auf Drogen, die das Unwirkliche zur Realitaet machen. Auf den Kokosnusspalmen
hangeln sich Affen von Baum zu Baum, manchmal muss das Boot durchs dickste
Dschungel-Dickicht und zu vernehmen ist nur noch das Zirpen und Zwitschern
der Insekten und Tiere, mal gibt es endlos weite Sicht in Gruen, Gruen
und nochmals Gruen. Gut, das Wasser koennte sauberer sein, aber wen juckt
das schon!?
Wir
durchqueren wieder einen “Floating Market”, den Groessten im Mekong-Delta,
und um 8.30 Uhr ist eindeutig mehr los als gestern um 11 auf dem anderen.
Die Farmer stehen eben sehr frueh auf, erklaert Himb. Langsam tuckert unser
Boot durch all die anderen, auf denen alles verscheuert wird. Wirklich
alles. Ein schwimmender Frucht- und Gemuese-Supermarkt. Ein beeindruckendes
Schauspiel.
Bei
einem weiteren Zwischenstopp lernen wir in einer der vielen Reisfabriken
des Deltas den Weg von der
Reispflanze bis zum Reis, Reismehl oder Reispapier
kennen. Die Reisindustrie profitiert uebrigens am meisten von der Reprivatisierung,
die natuerlich – das vergass ich gestern – einen grossen Anteil am Boom
Vietnams hat. Denn nicht vergessen: Vietnam ist immer noch ein kommunistisches
Land mit nur einer Partei und einer nur eingeschraenkten Pressefreiheit.
Auch das darf nicht unerwaehnt bleiben.
Um
halb elf verschwindet die Sonne ploetzlich. Innerhalb von wenigen Minuten
zieht es zu und regnet ganz heftig. “We are lucky”, sagt Himb-Kermit. Puenktlich
mit dem ersten Tropfen betreten wir unser letztes, ueberdachtes Ziel, einen
Garten mit tropischen Fruechten. Ein Genuss, einfach nur ein Genuss, obwohl
ich laengst nicht von allem weiss, wie es genau heisst.
Um
11.15 Uhr – der Regen ist vorbei und wir haben Can Tho und den Bus wieder
erreicht – ist die Tour eigentlich vorbei. Um die Zeit bis zum Abend totzuschlagen
und die 135 Kilometer bis Saigon in meinem Kloster nicht zu lang werden
zu lassen, gibt es noch drei Pausen. Die erste in unserem Hotel, zum Mittagessen.
Ich ordere “Luc Lac”. Natuerlich mit Reis… Ist ja erst fuenf Stunden her.
Ich setze mich zu einem Schweizer Paerchen, das allein an einem Sechser-Tisch
hockt. Sie stellen sich als Ivan und Amelie (welch wunderbarer Name) aus
Lausanne vor, koennen besser Franzoesisch als Deutsch, haben aber einen
Superakzent drauf.
Sie
sind auf der Durchreise nach Phu Quoc, das ist eine abgelegene, schwer
erreichbare Insel ganz im Sueden Vietnams, vielleicht sogar der suedlichste
Punkt, schon ausserhalb des Mekong-Deltas. So wie alle Reisefuehrer Phu
Quoc beschreiben, ist das eine Mischung aus Karibik und Seychellen, nur
noch nicht touristisch erschlossen (ist aber geplant). Sprich: Momentan
kommt Phu Quoc dem Paradies sehr nahe. Vier Tage ihrer vierwoechigen Reise
wollen sie dort verbringen, an menschenleeren Straenden (Achtung an Silke
von der Muelheimer Woche, die Ende des Jahres Vietnam bereist: Soll gut
zum Tauchen sein). Eine kluge Wahl. Leider nicht meine, keine Zeit. Um
12.30 Uhr geht ihr Bus. Tschuess! Mit den Beiden haette ich gestern gern
etwas unternommen. Nur Marcel Koller kennen sie leider nicht.
Auf
dem Weg zurueck nach Saigon gibt es einen Halt in Vinh Long, der zweitgroessten
Delta-Stadt. Es gibt einen grossen, bunten Fruchtmarkt, doch nach einer
kurzen Foto-Session ist mehr mehr nch einem Eiskakao an der Uferpromenade
zumute. Es laeuft im Hintergrund “Hotel California”, was ich sehr amuesant
finde. Eiskaffee (Café Da) und Eiskakao (Kakao Da) ist uebringens
das Lieblingsgetraenk der Vietnamesen fuer zwischendurch. In einem 0,3-l-Glas
ist 0,1 l Kakao und der Rest mit Eiswuerfeln aufgefuellt. In der Waerme
zermanscht man die Wuerfel so lange, bis eine 0,25-l-Fluessigkeit entsteht.
Lecker!
Um
kurz vor vier geht es fuer eine Viertelstunde in den Bonsai Garden von
My Tho, einer Kleinstadt am Delta-Rand, eher schon Vorort von Saigon. Neben
einem Café ist ein Mini-Zoo, in dem Affen und Schlangen aber in
Mini-Kaefigen untergebracht sind. Tierquaelerei pur. Ich bestelle mir im
Café fuer 3000 Dong (immer noch ein Spitzenname fuer ne Waehrung)
ein Kokusnuss-Gebaeckteilchen und lerne eine weitere Facette der vietnamesischen
Kueche kennen: Die Mahlzeiten hier sind nie wirklich gross, es wird zwischendurch
auch mal gern genascht. Fruechte eben. Oder Backwaren, die es hier ebenfalls
zu Hauf gibt. Ein richtig geselliges, warmes Mittag- oder Abendessen werde
ich aber wohl nicht mitbekommen. Dann stehen viele Speisen auf dem Tisch
und jeder darf bei jedem probieren. Ich unterhalte mich mit Himb. Er arbeitet
sieben Tage die Woche, immer neue Touren. Ganz harter Job, doch vermutlich
einer der besseren in Saigon.
In
den anderthalb Stunden Busfahrt zwischen den jeweiligen Pausen ziehe ich
mich in mein Kloster zurueck und hoere viel. Von “Californication” (schon
wieder Kalifornien!?) der Peppers bis zu K’s Choice’s “Believe”. Von Hannes
Waders Arbeiterliedern (die muessen in Vietnam einfach sein; “Voelker hoeeeeeeert…”)
bis zu Ton-Steine-Scherben (auch). Am Strassenrand Bilder wie gestern.
Und mehr. Auf den Sand- und Lehmfeldern neben dem Asphalt bolzen Jugendliche.
Oder spielen mit Murmeln. Da kommen mir fast die Traenen.
Je
naeher Saigon rueckt, desto unverschaemter und zahlreiche werden die Mofafahrer.
Und es wird haeufiger gehupt. Die Hupe ersetzt hier den Mittelfinger. Denn
trotz aller Verkehrsprobleme habe ich noch keinen hier ausrasten sehen.
Ein Wunder eigentlich.
Um
18.15 Uhr treffen wir nach einem seelenruhigen Tag in Saigon ein. “I hope
you tell your friends and family good things about Vietnam”, sagt Kermit
zum Schluss. Er war ein guter Guide. Wir sollten uns nicht nur an Mofafahrer
und Verkehrsstaus erinnern, sondern auch an einen grossartigen Aufenthalt
im Mekong-Delta. Das werde ich, Himb. Trotz des Leerlaufs gestern.
Es
ist mein letzter Abend in Saigon, mein letzter und vierter Nacht-Aufenthalt
bei “Linh Thu”. Eine Nacht hier im Einzelzimmer mit Bad und WC kostet 5,60
Euro; und das bei der zentralen Lage. Zum Abschluss laufe ich noch einmal
durch die Gassen des Zentrums. Schade, dass ich nur einen Tag hier hatte.
Schade. Morgen klingelt der Wecker um 6.30 Uhr (ausnahmsweise). Dann beginnen
die 1-Tag-Bus-1-Tag-Aufenthalt-Spielchen.
Und
die Daueraufenthalte im Kloster. Es heisst Abschied nehmen von Saigon.
Tschuess, Du eigenwillige Metropole, Du Stadt, wie ich vorher noch keine
andere erlebt habe. Behalte Deinen Charme, ein bisschen von Deinem Chaos,
Deinem Stress. Behalte Deine Freundlchkeit.
Und werde bitte nicht so wie Bangkok.
11. Tag
Freitag, 29. Juli 2005
Saigon -> Nha Trang
Enjoy the silence
6.30
Uhr, ey, schon wieder so frueh aufstehen, gibts doch gar nicht! Damit haette
ich meinen so-oft-wie-moeglich-hintereinander-frueh-aufstehen-Rekord auf
Ewigkeit getoppt. 7 Uhr, 7 Uhr, 6.30 Uhr, 6.30 Uhr; in deutscher Zeit ist
das 2 Uhr, 2 Uhr, 1.30 Uhr, 1.30 Uhr, was fuer Zeiten, ich kann es nur
noch einmal wiederholen. Um 7.15 Uhr soll ich in Saigon vor dem Sinhafe-Buero
stehen und hey, das klappt sogar. Schlimm, aber wahr: Das fruehe Aufstehen
ist schon so etwas wie eine Gewohnheit hier.
Heute
beginnt die Zeit – ich muss es noch einmal wiederholen – der langen, langen,
langen Busfahrten, der Einsamkeit, dem Verhaeltnis Andi und die vietnamesische
Landschaft am Ende der Welt. Acht Stunden, und das ist lediglich meine
drittlaengste Busfahrt, in Tour-de-France-Sprache ein Berg der zweiten
Kategorie, also einer, bei dem Lance Armstrong nicht einmal schwitzt. Zu
meiner Ueberraschung steht einer der beiden Sinhcafe-Busse, die heute Nha
Trang ansteuern, schon vor dem Buero; naemlich der groessere. Es ist noch
genau ein Platz frei. “Big man in big bus”, sagt der Fahrer und meint wohl
mich. Er lotst mich auf den letzten freien Platz inmitten einer vietnamesischen
Familie und neben einem schaetzungsweise achtjaehrigen Kind. Super. Die
Eltern schauen sichtlich skeptisch und alle 30 Sekunden rueber, aber ihren
Missmut vermag ich ihnen nicht zu nehmen. Wie auch?
Es
geht los in einem so gut klimatisierten Bus, dass ich am liebsten einen
Pullover anziehen wuerde (hab aber erst gar keinen aus Muelheim mitgenommen).
Als erstes hoere ich mit Absicht das fantastische “Enjoy the silence” von
Depeche Mode (immer wieder gern genommen als Ueberschrift). Eindeutig mein
heutiges Motto. Eindeutig.
Ich
bekomme noch einmal eine Stadtrundfahrt durch Saigon und dabei deutlich
vor Augen gefuert, was ich alles nicht geschafft habe. Einen Spaziergang
an der Uferpromenade des “Saigon River” beispielsweise. Oder in einem der
angrenzenden Parks, in dem jetzt junge Leute Beachvolleyball und Badminton
spielen, und das um kurz vor acht am Morgen. Vielleicht haette ich hier
die Ruhe gefunden, die ich in “meinem” Saigon ein wenig vermisst habe.
Zufaellig befahren wir auf dem Weg stadtauswaerts auch das Viertel mit
den Hochhaeusern (Wolkenkratzer waere uebertrieben), die Saigons Stadtbild
in den letzten zehn Jahren in die Hoehe haben wachsen lassen und zumindest
in diesem Punkt nun zu einer Millionen-Metropolen-Skyline unter vielen
machen. “Citibank” steht auf einem, “Sheraton” auf dem naechsten. Und auf
dem modernsten Glasbau mit zugegeben gar nicht mal so schlechter Architektur
prangt das Schild “Prudential”. Und dass weitere im Bau sind, im ganzen
Stadtgebiet, und diesmal sinds vor allem Wohnbloecke, ist im gesamten Stadtgebiet
zu sehen. Wer also in zehn Jahren mit dem Flieger in Saigon einschwebt,
der sieht nicht nur die Millionen Mofas, sondern vor allem auch ne Menge
hoher Bauten. Das war schon anders.
“Words
like violence break the silence”, singt Dave Gahan. Ich habe die Repeat-Taste
meines Discmans gedrueckt. Um es Euch geographisch zu verdeutlichen (fuer
diejenigen, die die Landkarte Vietnams nicht wirklich vor sich oder vor
Augen haben). Das Land hat ja meiner Meinung nach Seepferdchen-Form (in
der Mitte beispielsweise ist es nur 50 Kilometer breit). Ich finde das
Tier-Beispiel auch besser als das im Reisefuehrer benutzte “S”. Wie auch
immer. Saigon ist die Hauptstadt Suedvietnams gewesen (damals) und liegt
folglich ziemlich weit unten. Im Westen grenzt Vietnam an Kambodscha und
Laos, und im Osten liegt das Suedchinesische Meer. Und mein heutiger Weg
fuehrt 450 Kilometer an dieser Kueste entlang, bis ins Zentralvietnam,
bis Nha Trang, der bekanntesten Strand- und Badestadt. “Mallorca”, hat
Thommy etwas spoettisch ueber den Nha-Trang-Stadtplan im Vietnam-Baedeker
geschrieben.
Dieser
Kuestenstreifen hat auch eine Kriegsvergangenheit. Wenn die in Suedvietnam
stationierten US-Soldaten Urlaub hatten oder einfach nur frei, dann zog
es sie zum Beispiel an den Strand Nha Trangs. Bekannter ist aber die noch
noerdlicher gelegene China Beach.
Schon
nach 100 Kilometern (ganz grobe Schaetzung) ist das Wasser zu sehen. Traumhaft,
schoen, Meer. Es ist so still hier, silence eben. Es gibt auch leise Ecken
in Vietnam, an denen keine Mofas stoeren, Strassen, auf denen nicht dauernd
gehupt wird. Wahrscheinlich sind die meisten Ecken Vietnams still, doch
fuer den, der gerade frisch aus Saigon kommt, ist das eine sensationelle
Neuigkeit. Die Wellen brausen an den Sandstrand, mal gemaechlich, mal peitschend.
Zwischendurch regnet es kurz, ganz kurz aber nur. Vietnam ist huegelig
im Zentrum, aber wie huegelig, sehe ich erst auf der Fahrt. Aus dem rechten
Busfenster sind die leeren Straende zu sehen, und auf dem linken die Berge.
Unsere Strasse, die “Nationalstrasse 1” schlaengelt sich hindurch. Dieses
highwayartige Asphaltgebilde wurde uebrigens in der Kolonialzeit Frankreichs
angelegt und verbindet Saigon und Hanoi – auf 1700 Kilometern.
Ich
haette vor der Tour nach Nha Trang auch Da Lat ansteuern koennen. Das ist
die hoechstgelegene Stadt Vietnams, auf ueber 1000 Metern. Doch da lediglich
die An- und Abfahrt besonders spektakulaer sein soll und die Stadt nicht
weiter spannend, und da mir geraten wurde, am ehesten Da Lat wegzulassen,
wenn ich irgendwas aufgrund meines ganz engen Zeitplans streichen muss,
lass ich’s sein.
In
der Kuestenstadt Mui Ne halten wir in einem Strand-Restaurant direkt neben
dem oertlichen Sinhcafe-Buero zum Mittagessen. Um uns herum bereits stehende
“Resorts” aller Art und Bungalows, auffaellig neu, und viele noch entstehende.
Sieht so Vietnams Zukunft aus? Aus Saigon wird Bangkok II und an der Kueste
ist ein Club-Urlaub zwei Wochen Mui Ne oder Nha Trang “all inclusive” moeglich?
Laeuft es darauf hinaus? Wer viel Geld ausgeben will, der kann das heute
schon. Luxushotels mit dreistelligen Dollar-Preisen pro Nacht gibt es ueberall,
nicht nur mit dem Sheraton in Saigon. Und auf fast jeder Speisekarte in
den Touri-Regionen stehen auch Burger, Spagetti, Pommes, Steaks, oft auch
Pizza. Es wirkt manchmal, als wuerde der Westen Vietnam doch erobern. Mit
30 Jahren Verspaetung.
Mit
einer Ladung “Luc Lac” im Bauch geht es auf den Rest der Reise. Wie lang
dauert das denn noch??? Mein Ruecken schmerzt mittlerweile, von meinem
Oberschenkel ganz zu schweigen. Es werden wohl zehn statt acht Stunden,
verraet der Fahrer. Und das fuer 450 Kilometer. Rechnet den Stundenschnitt
aus und ihr wisst, ueber welche Qualitaet Vietnams Strassen verfuegen.
Und
jetzt kommt wieder eine Instrumentalphase in diesem Text. Leise Musik,
Balladen am besten, im Hintergrund, und am Strassenrand vietnamesische
Farmer mit Familien in ihren aus allen Materialien zusammengezimmerten
kleinsten Haeusern. Sie muehen sich auf dem Feld oder liegen entspannt
in ihrer Haengematte. Autos sehe ich nirgendwo, hoechstens mal Mofas. Und
die naechsten groesseren Stedte sind weit weg. Ich versuche, mich ins Leben
der Leute hier hineinzuversetzen. Und schaff’s nicht. Zuweilen muss der
Bus scharf abbremsen, um keine Kuh, die mitten auf der Strasse hockt, volles
Rohr mitzunehmen. Schafsherden grasen, Wasserbueffel erst recht, dann wieder
der freie Blick aufs Meer. Leere Straende und leere Strassen. In dieser
Ecke fahren wohl nur Lkw und Touribusse ueber die N1. Zwischendurch tauchen
auch Friedhoefe am Strassenrand auf. Entweder Massen-Friedhoefe in Reih
und Glied oder eine wild zusammengestellte und in die Landschaft gesetzte,
nicht abgezauente Grab-Ansammlung.
Nach
zehn Stunden steige ich aus dem Bus, mitten in der Travellerstrasse Nha
Trangs, und mein ganzer Koerper knackt. Mein im Know-How ausgesuchtes Wunschhotel
“SeaView” hat tatsaechlich fuer 14 Dollar noch ein Zimmer frei. Das hat
zwar leider keinen Meer-, sondern einen Innenhof-Pool-Blick, aber bei der
Groesse des Zimmers, das eigentlich fuer zwei Personen gedacht ist, macht
das ganz und gar nichts. Es ist wirklich so: In einem Hotel-Vergleich mit
Vietnam (Preise und Qualitaet) wuerde Bangkoks Khao San Road eine bitterboese
Niederlage erleben.
Ich
schmeisse meinen Rucksack auf eins der Betten und stuerze mich ins Nha
Trang’sche Leben rund ums Hotel, rund ums Traveller-Zentrum (ein Zentrum
fuer reichere Touris gibts direkt an der Strandpromenade natuerlich auch).
Eine halbe Stunde lang schaue ich am Strand einem Beachvolleyball-Spiel
Fuenf gegen Fuenf zu. In jedem Team stehen zwei Europaeer, und die sind
– das Vorurteil wird krass bestaetigt – alle einen Kopf groesser als ihre
vietnamesischen Mitspieler.
Direkt
am Strand (Silke, aufgepasst!) steht eine Tauchschule neben der naechsten.
Das muss wohl prima sein hier. Ein Internet-Cafe mit DSL finde ich auch
sofort. Direkt neben meinem Hotel liegt das “Cafe des amis”, in das ich
mit der namenlosen Deutschen verschwinde. Sie hat mich im Internet-Cafe
erkannt, weil ich “Spiegel Online” gelesen habe. Sie kann nach 14 Tagen
Reise in Vietnam (sie ist vier Wochen hier) nicht viel mit dem Land anfangen.
Sie findet es zu laut, sie sei sprachlich zu isoliert, und in wichtigen
Momenten ihrer Reise (auf Phu Quoc regnete es nur) hatte sie sehr, sehr
viel Pech. Sie warte noch auf die Hoehepunkte, sagt sie, und fuehle sich
mitten in einem grossen Reiseloch. Klingt sehr deprimiert. Sie war wohl
mal drei Monate in Suedamerika und die seien wie im Flug vergangen. Ja,
bis jetzt, bis zum elften Tag, stand das Reiseglueck wohl auf meiner Seite,
vom Abend in Can Tho mal abgesehen.
Nach
einer Stunde Quatschen verschwindet sie. In Hoi An sind wir wohl wieder
parallel, haben wir herausgefunden, und treffen uns vielleicht nochmal.
Meinen deutschsprachigen Tag komplettiere ich mit den Nachrichten der Deutschen
Welle (hab TV auf meinem 14-Dollar-Zimmer) und einem Telefonat mit Tina
und Helmut. Heute war mir danach, mal wieder mit Muelheimer Freunden zu
telefonieren. Ausserdem musste ich Helmut auch mal muendlich meinen Dank
mitteilen, dafuer, dass er die Homepage regelmaessig aktualisiert.
Jetzt
zaehlt fuer mich nur noch die Stille, die ich im SeaView auch gluecklicherweise
habe. Morgen kann ich ausschlafen und mich an den Strand legen, zum einzigen
Mal in diesem Urlaub. Am Geburtstag meiner Mama werde ich dann mit einem
Fruchtshake auf sie anstossen.
12. Tag
Samstag, 30. Juli 2005
Nha Trang
On the beach
Es
ziiiieht sich etwas in der Mitte der Reise, hat die Dame gestern Abend
gesagt. Und ja, doch, ich kann es etwas nachvollziehen. Den Wecker habe
ich an meinem Strandtag demonstrativ auf 9 Uhr gestellt (spaet fuer diesen
Urlaub), um dann kraeftig auf ihn draufschlagen zu koennen und bis 10 Uhr
weiterzuknacken. Gestern Abend lief die Durchschnittskomoedie “Jonny English”
auf dem Filmkanal hier, mit “Mr Bean” Rowan Atkinson in der Hauptrolle.
Dabei bin ich ganz in Ruhe mit den Armen hinter meinem Kopf verschraenkt
eingeschlummert. Als ich dann gegen 1 Uhr wach wurde, weil meine Haende
fast abgestorben waren, hatte Jonny English England gerettet.
26
Tage, sinniere ich morgens, die Arme wieder hinter den Kopf verschraenkt,
in der Wachwerdphase, die in den letzten vier Tagen zehn Sekunden und heute
ne halbe Stunde dauert, 26 Tage allein sind doch ein starkes Stueck. Wenn
ich ueberlege, dass dies schon mein zwoelfter Tag ist und doch erst morgen
ueberhaupt die Mitte des Urlaubs erreiche… nee, so lange werd ich wohl
nicht mehr solo auf Reisen gehen. Nicht, dass es mir schlecht ginge oder
dass ich gar Heimweh haette, ganz im Gegenteil: Gesundheitlich ist alles
im gruenen Bereich und organisatorisch sogar bestens. Wahrscheinlich ist
es nur die Laune am Beginn eines ganz ruhigen, traegen, vermutlich langweiligen
Tages, der so gar nicht ins Konzept eines Abenteuerurlaubs passen will.
Nun
gut, nach einer ausgiebigsten Dusche setze ich mich um 11.20 Uhr ins “Cafe
des amis”, um in Ruhe und ausfuehrlich zu fruehstuecken. Heute, Andi, laesst
du’s dir richtig gut gehen. Eine Stunde und zwei Fruchtshakes sowie zwei
Pancakes spaeter gehe ich die paar Meter zum Strand, pflanze mich auf eine
Bank und hoere die einzigen Lieder, die zu diesen Momenten zu passen scheinen:
Morcheebas “Way beyond” und “Aqualang” sowie Bright Eyes’ “Land-locked
blues”, “At the bottom of everything”, ach, sowieso ohnehin alles von der
letzten Bright-Eyes-CD. “So jung und schon so traurig”, sagte Thees Uhlmann
von Tomte bei “Rock am Ring 2005” ueber Bright-Eyes-Saenger Conor Oberst.
Vielleicht habe ich deshalb heute diese Durchhaenger-Laune. Traurigkeit?
Ich
habe beschlossen, an der Strandpromenade einen knapp dreikilometrigen Rundgang
zu absolvieren, mit Sitzpausen, Trinkpausen, Musikpausen. Und so mach ich’s,
zumal es ohnehin eher bewoelkt ist als sonnig und ich mir die Kilo an Sonnencreme,
die jetzt auf meiner Haut schwimmen, auch haette sparen koennen. Gut, bewoelkt
ja, aber die Temperatur betraegt trotzdem 33 Grad. Oh je, das wird wieder
eine verschwitzte Angelegenheit heute. Der Strand hat keine Klimaanlage…
Nha
Trang also… eine kleine Expedition in die Stadtgeschichte ist heute unnoetig
und zu sehen gibt’s auch nur wenig. Ausser den Baustellen fuer weitere
mehrstoeckige Hotelbettenbunker vielleicht. Gestern dachte ich noch, Thommys
“Mallorca”-Bemerkung im Baedeker sei spoettisch gewesen. Heute weiss ich:
Recht hat er. Viele Touris konnten wohl gar nicht genug von der Sonne bekommen
und sind fast schon mehr als rot und damit besonders bescheuert. Ich kann
mir nicht helfen und vielleicht will ich’s auch nur so sehen, aber die
westlichen Touris tauchen im Strassenbild Nha Trangs deutlich haeufiger
auf als zum Beispiel im Delta oder Saigon.
Ich
spaziere und sitze, spaziere und sitze, hey, alleine am Strand zu sein,
macht definitiv keinen Spass. Keiner da zum Fussball zocken und mittags
ist das Beachvolleyball auch noch unbesetzt. Die Vietnamesen kommen erst
am spaeten Nachmittag zum Strand, habe ich mir sagen lassen.
“NO!”
ist mein Lieblingswort an diesem Tag. Seit meiner Ankunft in Bangkok habe
ich besonnen, aber widerwillig geduldet, alle paar Meter bloed von der
Seite angelabert zu werden; von Mofataxifahrern, von Strassenverkaeufern,
die Feuerzeuge, Postkarten, Zigaretten, Buecher, Zeitungen und jede Art
von Essen feilbieten. Doch heute geht mir das so auf den Zwirn, dass ich
am liebsten alle umwimmsen wuerde. Inzwischen bin ich so arrogant, einmal
“NO!” zu sagen und bei der Doppelnachfrage “Wait! Wait!” und “Why?” einfach
nur abzuwinken. Nach den ersten zwei Mofabike-Anfragen und den ersten zwei
Verkaeuferinnen nehme ich mir vor, aus Spass eine Strichliste zu fuehren.
Und auf dem Weg zu meinem Wendepunkt werde ich auf den anderthalb Kilometern
weitere 36 (!) Mal angesprochen. 36! Aaaaaaahhh!!! LASST MICH IN RUHE!
ICH HAB MEINEN RELAXDAY! ICH WILL BRIGHT EYES HOEREN!, moechte ich ihnen
am liebsten entgegen bruellen. Und behalte doch meine Nerven.
In
einem kleinen Restaurant am Strand lasse ich mich nieder, um etwas Chicken-Mc-Nuggets-Maessiges,
nur auf Vietnamesisch, auf die Hand zu bestellen. Und zum ersten Mal werde
ich schlecht behandelt. Es dauert 30 Minuten, bis das Essen kommt, andere
Gaeste werden deutlich frueher bedient, die Kellner sind sehr unfreundlich
und das Essen schmeckt nicht einmal. Wenigstens bekomme ich am Nachbartisch
ein echt vietnamesisches Essen mit, witzigerweise ist ein deutsches Paar
dabei und ueberhaupt sprechen alle Deutsch. Womoeglich eine Familie mit
Verstaerkung auf Heimatbesuch. Doch warum ausgerechnet in Nha Trang?? Jeder
der acht Personen bestellt etwas Anderes und waehrend des Essens wird wild
getauscht. Irre sieht das aus. Ich stopfe meinen Frass gelangweilt in mich
rein. Ist das die “Laeeeeenge” des Urlaubs, die ich im letzten Jahr in
den USA vermisst habe? Ich warte und warte auf den mittlersten Tag, das
ist immer so etwas wie ein Zwischenziel fuer mich, aber die Mitte kommt
erst morgen. Morgen, am Sonntag, am letzten Tag im Juli.
Aeusserst
uebellaunig erreiche ich – nach ungezaehlten Versuchen von Leuten, mich
auf der Strasse zu was-weiss-ich-was-zu-ueberreden (hab einfach die Musik
lauter gestellt) – das Sinhcafe-Buero, um die naechste Busfahrt morgen
frueh nach Hoi An zu buchen. Und dann folgt der naechste Schock. Morgen
frueh faehrt mangels Interesse gar kein Bus. Also muss ich den morgigen
Tag wieder in Nha Trang verbringen – super, das wird ja ein trostloses
Bergfest – um dann um 19 Uhr den Nachtbus nach Hoi An zu nehmen. Das wollte
ich unbedingt vermeiden. Zur Besichtigung der Stadt habe ich dann genau
einen halben Tag, vermutlich voellig uebermuedet. Dass in meinem Online-Gaestebuch
wieder ein sehr seltsamer Eintrag ist – wenn keine positiven drinstehen,
stoert mich das doch irgendwie mehr als ich dachte – gibt mir den Rest.
Um
17 Uhr lasse ich mir von der Rezeption den Schluessel fuer Zimmer 209 aushaendigen
und schmeisse mich deprimiert aufs Bett. Ich zappe erstmals in den zwoelf
Tagen im Fernsehprogramm und kann sogar CNN gucken. In Bangkok spielte
gestern Thailand gegen Real Madrid, erfahre ich. Ich bleibe haengen bei
irgendeinem Sportkanal und benutze das Snooker-Spiel zwischen Jong Kim
und Mohammed Saleh bei der Asien-Meisterschaft ebenfalls in Bangkok, um
mich zu beruhigen. Waehrend dieser Stunde raeume ich – laestige Travelleraufgabe
in der Mitte eines laengeren Urlaubs – meinen Rucksack komplett um. Dreckige,
saubere Waesche, das flog zuletzt ein wenig durcheinander. Um den Tag halbwegs
zu retten, beschliesse ich, mir heute auf Mama den Bauch vollzuschlagen.
Auf der Travellerstrasse, also unweit meines Hotels, gibt es ein italienisches
Restaurant namens “Good morning Vietnam”, das aufgrund des Namens meinen
Zuschlag erhaelt. Ich verschlinge heute mal ganz tourilike eine echt gute
Riesenpizza und anschliessend im “Cafe des amis” noch einen Pancake als
Dessert.
Im
Cafe sitze ich auch jetzt noch, um kurz vor zehn. Dieses Frustessen hat
diesen Tag gerade noch gerettet. Hier in Nha Trang erinnert wirklich kaum
etwas an Vietnam. Ob du irgendwo am Mittelmeer bist oder hier, das macht
keinen Unterschied. Um mit den Glasbodenboot zu fahren oder um zu schnorcheln,
dafuer muss ich nicht nach Vietnam fliegen. Gut, es gibt mehr Mofas, es
ist alles superbillig und die Waehrung heisst Dong, aber das ist es auch
schon.
Morgen
erreiche ich dann nach langem, momentan zaehem Marsch den Gipfel meines
Reisebergs. Erfahrungsgemaess vergeht der zweite Urlaubsteil wie im Flug.
Aber bis 19 Uhr muss ich morgen leider noch hier die Zeit verbringen. Alone
on the beach. Im Mallorca Vietnms.
13. Tag
Sonntag, 31. Juli 2005
Nha Trang -> Hoi An
On the road again
Was
ist ein Keks unterm Baum?
Ein
schattiges Plaetzchen!
***
Meine
offenen Haare flattern im Wind, ich sitze unter Palmen, hab ne Sonnenbrille
auf, weil ich sie brauch. Das klingt ganz schoen luxurioes und abgehoben,
ich gebe es zu. Ist es vielleicht auch, waehrend ihr gerade in Deutschland
eurem Alltag nachgehen muesst und lieber mit offenen Haaren am suedchinesischen
Meer sitzen wuerdet. Und doch will mich der Anblick des mittaeglich noch
leeren Strandes nicht begeistern. Trotz des Windes, der Sonnenbrille und
des eiskalten Getraenks in meiner Hand. Heute habe ich mich fuer die Dresden-Dolls-CD
entschieden, eine Band aus Boston, zur Erinnerung an das gefuehlt intensivste
und verrueckteste Konzert 2005 im Koeln-Deutzer “Gebaeude 9”, das meine
grosse, grosse Enttaeuschung nach dem 0:2 des VfL gegen Schalke 04 nach
wenigen Sekunden eliminierte. Fast ein Wunder war das…
HEY,
Andi, jubel doch mal! Du hast es geschafft! Die Mitte des Urlaubs! Okay,
die Passage, der Satz erinnert doch sehr an “Die Mitte des Films” aus Monty
Pythons grossartigem Film “Der Sinn des Lebens”, okay, mal sind wir Helden
und mal Diebe… JAAAAAAAA, geschafft!! Und was mach ich? Ich schliesse nur
meine Augen, einerseits, um die Verkaeufer abzuwimmeln, ohne ueberhaupt
“NO!” sagen zu muessen. Und um die Gedanken an die Horror-Nachtfahrt nach
Hoi An, die ab 19 Uhr auf mich wartet, zu verdraengen. Und weil’s einfach
gut tut natuerlich. Auch in Nha Trang.
Der
einzige Vorteil des Busses, der sich nur im Stockfinstern fortbewegt, ist,
dass ich das Ausschlafen in Nha Trang wiederentdecken darf, wenigstens
fuer zwei Tage in Folge. Bei der morgendlichen Variante haette mein Wecker
um 6.30 Uhr geklingelt. Nach dem Wachwerden konzentrierten sich meine Gedanken
deshalb wieder auf Snooker auf dem Sportkanal – und so langsam verstehe
ich das Spiel sogar. Oh je, ich darf nicht an meine letzten eigenen Auftritte
am gruenen Tisch denken. Uebles Desaster, sagt man dazu wohl nur.
Vor
mir praeparieren gerade jeweils zwei Persoenchen mittags um 13 Uhr die
Beachvolleyballfelder. Hae? Wieso das denn? Das geht? Wusste ich bisher
auch nicht. Der eine faehrt mit einer Harke ueber den Sand und fegt dann
alles schoen glatt, und der andere waessert den Sand mit einem ganz normalen
Gartenschlauch. Und ich hocke mit der Sonnenbrille, dem eiskalten Getraenk
blabla daneben. Waessert? Stimmt, heute hilft die Natur nicht wirklich
nach. Einmal kurz gab’s heute morgen einen Schauer, und damit auch an meinem
13. Urlaubstag Regen. Aber zum Waessern reichte das eben nicht.
“Good
day” von den Dresden Dolls erklaere ich heute zu meinem Lieblingssong,
und waehrend eine Fliege auf meinem linken Arm Platz nimmt und es sich
dort gemuetlich macht, denke ich an Malaria. Was haaaabe ich mir vorher
bloss fuer Gedanken gemacht?!? Medikamente ja – oder Medikamente nein!?
Ich entschied mich fuer Nein. Und wenn’s mich deshalb erwischt hat, beginnen
genau in einer Woche (so lang ist die Inkubationszeit) die Tage der Wahrheit.
Denn aus den hochgefaehrdetsten Regionen bin ich entweder raus (Mekong-Delta)
oder war gar nicht erst drin (Hochgebirge rund um Da Lat).
Nha
Trang ist nicht nur ein europaeisches Reiseziel (Franzoesisch hoere ich
auffaellig oft, kann aber auch nur ein Wahrnehmungsfehler sein), sondern
auch ein vietnamesisches. Vor allem an diesem Sonntag faellt mir das auf.
Mofafahrer stellen sich an allen Ecken kurz vor den Strand, beobachten
das Geschehen, andere stuerzen sich ins Wasser. Also nicht die Mofas, sondern
die Fahrer, ohne Mofas. Und ich sitz mit Sonnenbrille und Kaltgetraenk
in gebuehrendem Abstand, halte meine Fuesse in den Sand und schlag die
Zeit bis zur Busabfahrt um 19 Uhr tot.
Dafuer
ist Nha Trang aber leider nicht wirklich gut geeignet. Ich ueberlege mir,
ob ich mir Vorwuerfe machen muss, nicht genug aus der Stadt herausgeholt
zu haben. Es gibt hier in der Naehe wohl jahrhundertealte Tuerme, die sogar
zwei Sternchen vom Baedeker erhalten haben. Aber deshalb zwei oder zweieinhalb
Kilometer laufen? Oder gar auf einen dieser dreisten Mofataxifahrer eingehen?
No way!! Der uebliche Markt ist auch ziemlich weit von meinem Hotel weg
und heute kein Thema mehr. Und das Strandprogramm liegt direkt vor meiner
Nase. Na gut, abends soll hier die Post abgehen, in den ganzen Discos.
Aber die geht am Ballermann ja auch ab. Um 14.15 Uhr taucht etwas schiedsrichterartiges
in Weiss vor mir auf. Haeeee??? Ist heute irgendeine Nha-Trang-Beach-Meisterschaft??
In
meinem Magen lagert noch das Crepe (also der Pancake) aus meinem Fruehstueck
um zwoelf im total schnuckeligen “Nha Trang Quan” – sehr weiterzuempfehlen
uebrigens auch die tollen Fruchtshakes (wer jemals in Nha Trang sein sollte:
Biet Thu 8B, direkt in der Travellerstrasse). Vor mir tauchen Verkaeufer
wieder in regelmaessiger Folge auf. Heute bin ich etwas freundlicher gestimmt,
aber sie sind es auch. Einer versucht es mit der “You look like my friend”-Masche,
haette aber nicht mit dem schmissigen Einwurf eines vorbeilaufenden Touri-Passanten
gerechnet, der nur anmerkt, er wuerde es auch bei jedem mit dem gleichen
Trick versuchen. Da war er ganz, ganz schnell wieder weg, hihi. Ich bin
ueberrascht, wie gut die Kinder im Grundschulalter, die meistens Postkarten
in der Hand haben, schon der englischen Sprache maechtig sind. Hut ab!
Die Kenntnisse gehen weit ueber das Wort “postcard” hinaus. Das Postkartensystem
in Nha Trang ist uebrigens mafiaartig. Nirgendwo, in keinem Souvenirshop,
habe ich welche gesehen. Will also jemand schriftliche Gruesse verschicken,
muss er sich schon an die Strassenverkaeufer wenden. Ein Kind erklaert
mir, dass die Aussprache "Njae Traeng” korrekt ist und nicht etwa “NA TRANGGG”,
wie wir Deutsche wahrscheinlich vermuten wuerden.
Auf
den beiden Beachvolleyballfeldern finden tatsaechlich richtige Turniere
mit Schieds- und Linienrichtern statt. Sensationell! Waehrend das bei den
Frauen sehr, sehr hilflos aussieht und ueber das Schema Aufschlag/Ball
holen nicht hinausgeht, bringen die Herren echt ansehnliche Ballwechsel
zustande. Ich sehe zwischen den ganzen Mofas und Zuschauern fast wie ein
europaeischer Talentscout aus.
Mein
Urlaub hat drei Teile. Wie Vietnam. Vietnam – drei Teile? Nicht nur Nord
und Sued? Nee, das Zentrum hat nicht nur ein eigenes Klima, sondern auch
die Kueste, die Berge. Und ist deshalb als durchaus eigenstaendig zu bezeichnen.
Nehme ich die Fluege raus, hat mein Urlaub netto drei Wochen. Die tragen
die Titel “Bangkok, Grossstadt und Naturwunder I”, “Busfahrten” und “Grossstadt,
Naturwunder und Bangkok II”. Sagte ich schon einmal, wie langwierig ich
die Busfahrten-Woche finde???
Im
Internet-Cafe und in den umliegenden Kneipen lasse ich den Tag Tag sein,
den Nachmittag Nachmittag, die Beachvolleyballer Beachvolleyballer und
das Unterbewusstsein unten. Tierisch freue ich mich ueber die Mail von
Filmemacher Thomas Durchschlag, dessen Werk “Allein” sogar in den Tagesthemen
erwaehnt wurde. Aus Vietnam kann ich nur eins empfehlen, fast sogar befehlen:
REINGEHEN!!! Gedanken bei einem Eiskaffee. Ist meine Homepage aber wirklich
krank und/oder uebertrieben? Es gab drei kritische Stimmen in dreieinhalb
Jahren – so what! Und doch… Aber ist auch egal, um 18 Uhr nehme ich Abschied
von meinem nicht geliebten Strand, von meinem allerdings sehr ordentlichen
Hotel und stelle enttaeuscht fest, dass die Beachvolleyballfelder nur ein
voruebergehendes Vergnuegen waren und scheinbar eigens fuer das Turnier
herangeschafft wurden. Und das war noch das einzige, was den Strand einigermassen
sympathisch gemacht hatte.
Als
endlich ‘ne Stunde spaeter der Bus vor dem Sinhcafe-Buero vorfaehrt, sinke
ich kuntzsaegend zu Boden. Jepp!! Zeit? Tot!! Leider habe ich nicht den
versprochenen Fensterplatz bekommen, sondern nur einen im Gang (bei Nachtfahrten
werden vorher feste Sitze zugeteilt, im Bus wollte keiner mit mir tauschen,
haette ich aber auch nicht gewollt). Leider koennen alle ihre Sitze in
Liegeposition zurueckdrehen – nur ich nicht. Erst wollte ich diese Nachtfahrt
gar nicht, und dann das! NEEEEEINNN!!! Das Leben ist manchmal echt gemein.
Stellt Euch vor, Ihr muesstest im 124-er elf Stunden ueber Nacht verbringen.
Viel Spass!!
Als
wir losfahren, ist es schon stockfinster und nicht nur aufgrund der Enge
kriege ich kein Auge zu. Auch nachts steuern die Fahrer ihre Busse wie
Vollidioten und mehr als einmal sehe ich mein Leben an einer vietnamesischen
Steilkueste als beendet an. Interessant ist lediglich, was sich nachts
am Strassenrand abspielt. Alle 150 Meter ist auch weit ausserhalb der Staedte
ein Mofa mit einem knutschenden Paerchen zu sehen. Im Hellen sind Zaertlichkeiten
in Vietnam verpoent, das ist mir schon aufgefallen. Deshalb sind Mofafahrten
zu zweit auch nicht ganz unbeliebt. Da kann man sich zwangslaeufig naeherkommen.
Aber im Dunkeln…
Nach
der zweiten Pinkelpause gegen 23 Uhr werde ich nun versuchen, fuer die
letzten sieben Stunden dieser 500 Kilometer langen Hoellenfahrt die Augen
zu schliessen und die schoensten Lieder, die meine CD-Box bietet, fuer
dieses Ziel missbrauchen. Jetzt ist’s mir klar. Andi, es ist Urlaubs-Halbzeit.
Ab sofort geht’s dem Ende entgegen. Jetzt stellt der Trainer sein Team
noch einmal neu ein. Moegen auch die zweiten 13 Tage so viele Erlebnisse,
Erfahrungen und Leute bringen.
***
By
the way: Der Keks-Witz ist doch echt gut, oder?
14. Tag
Montag, 1. August 2005
Hoi An
Somewhere over the rainbow
Und?
Stehen sie schon da? Stehen sie? Und wo sind wir ueberhaupt? Und wann?
Ich reisse meine Augen auf, hell ist’s schon, und mich rum viele Leute.
Ach so, immer noch im Bus, stimmt, ist ja Nachtfahrt. Mein linker und mein
rechter Daumen sind noch am richtigen Platz. Und jetzt weiss ich’s. Ob
nachts um halb eins oder morgens um sechs, wenn jeder normale Mensch entweder
noch schlaeft, gerade wach wird oder zumindest sich noch muede die Augen
reibt. Diese verdammten Mofataxifahrer und Komm-in-mein-Hotel-Reinholer
passen aber auch jeden Touribus ab. Wir muessen also am Sinhcafe-Buero
in Hoi An angekommen sein, endlich. Denn schon zweimal wurden meine Bus-Mitfahrer
und ich aeusserst unsanft aus dem Schlaf gerissen, um halb sechs und eine
Viertelstunde spaeter. Allerdings betraten nur die Vertreter von zwei Sinhcafe-Partnerhotels
unser fahrendes Schlafzimmer, um Werbeflyer zu verteilen! Muffelmuffelmuffel…
Die
letzten sechs Stunden im fahrenden Kaefig habe ich mehr oder weniger mit
geschlossenen Augen verbracht. Ja, ein paar Minuten war ich wohl sogar
im Tiefschlaf, glaube ich, nein, weiss ich sogar. Denn meine eigens fuer
die Nachtfahrt erworbene 1,5-Liter-Wasserflasche klemmte nicht mehr zwischen
meinen Beinen, sondern lag drei Meter weiter vorn im Mittelgang. Und wie
sie dahin kam, weiss ich nicht mehr. Und die Kopfhoerer von meinem Discman
sind auch hinueber. Ich hab sie plattgesessen, keine Ahnung, wie sie unter
meinen Arsch gekommen sind. Zum Glueck habe ich Ersatz-Kopfhoerer mit.
Man kann ja nie wissen…
Es
ist hell, nach 530 Kilometern sind wir mitten in Hoi An, ich verlasse den
Bus mit schwarzen Augenringen – ich seh’s nicht im Spiegel, aber ich weiss
es. Mit meinen drei Taschen stehe ich etwas verloren auf dem fast (aber
nur fast) verlassenen Buergersteig vor dem Sinhcafe-Buero und bin fast
sogar zu geschafft, um den zahlreichen Anfragern einen grimmigen und muffeligen
Blick zu entgegen. Ich glaube, dass Alleinreisende fuer jede Art des Verkaufes
hier in Vietnam Freiwild sind. Um mich macht keiner einen Bogen. Sehe ich
so hilfsbeduerftig aus??
Mit
letzter Kraft schlappe ich mich zu meinem vorher im “Reise Know-How” angekreuzten
Wunschhotel und hoffe, dass ich auch morgens um kurz vor sieben schon einchecken
darf. Und tatsaechlich: Es gibt ein 15-Dollar-Doppelzimmer fuer mich allein.
Der Komfort dieser Low-Budget-Hotels haut mich jedes Mal wieder um; wieder
Air-Condition und Sat-TV. Dafuer geht mein Blick durchs zwar vorhandene
Fenster auf eine rote Ziegelstein-Wand. Das ist der bisherige Nachteil
der Billigzimmer: Nicht ein einziges Mal hatte ich irgendeine Art von Aussicht.
Aber wenn’s nur das ist… In voller Montur, mit Jeans, Shirt und allem,
falle ich aufs Bett. Als ich aufwache, ist es 11 Uhr.
Hoi
An, lese ich nach der erfrischenden kalten Dusche, ist gar nicht wirklich
in der Mitte Vietnams, wie ich Euch hier eigentlich erzaehlen wollte. “790
Kilometer suedlich von Hanoi” steht im Baedeker. Nicht mehr “noerdlich
von Saigon”, wie noch bei Nha Trang. Ich komme meinem Ziel naeher und naeher.
Es ist seltsam. Ich blaettere und blaettere und frage mich, was an Hoi
An so besonders ist. Warum wirklich alle Open-Tours-Anbieter hier halten,
in deinem 60.000-Einwohner-Staedtchen, das zum letzten Mal im 19. Jahrhundert
irgendeine Bedeutung hatte!? Der “Know-How” widmet gerade einmal fuenfeinhalb
Seiten den Sehenswuerdigkeiten der Stadt, dafuer aber zwoelf dem Stadtplan,
Fotos, Hotels, Anschriften und der Umgebung. Im Baedeker ist es aehnlich.
Direkt nebenan liegt Da Nang, eigentlich die viel interessantere Stadt.
Die viertgroesste Vietnams immerhin, mit 650.000 Einwohnern, Drehscheibe
der Industrie zwischen Hanoi und Saigon, wichtiger Hafen, dritter internationaler
Flughafen-Standort. Eine Boom-Stadt mit interessanter und vermarktbarer
Kriegsgeschichte, denn in Hoi An liegt die China Beach, an der die Amis
landeten. Da Nang: Jedes amerikanische Schulkind kennt diesen Ort. Doch
Da Nang ist fuer die Open-Tours-Anbieter nur ein Ausflugsziel von Hoi An
aus. Ich putze mir die Zaehne, vergesse die Buerste fast beim Lesen.
Nachdem
ich an der Hotel-Rezeption von “Vinh Hung 3” den Schluessel fuer Zimmer
027 gelassen habe, stuerze ich mich – naja, nicht mit Vollgas, sondern
eher im Tempo eines konditionsschwachen Mittelstuermers – ins Leben. Und
stelle zur besten Zeit, am Montagmittag um 12 Uhr, fest: Hoi An ist genauso
verschlafen wie ich! Vielleicht meinte Thommy das mit Bernkastel-Kues:
Ruhig. Verschlafen.
Schon
nach wenigen Minuten erreiche ich das Zentrum, in der Hand stets einen
der Reisefuehrer, immer lesend und dabei blinzelnd, denn die Sonne scheint
wirklich knallermaessig heute. Keine Wolke am Himmel. Und ich habe das
Eincremen vergessen, nach den Bewoelkungsflops der letzten Tage. Mist.
Auf meiner Linken sammeln sich Geschaefte. Gut, eigentlich fuer jeden Ort
der Welt nicht ungewoehnlich. Aber die Haeufung (heisst das nicht Monostruktur
oder so aehnlich?) macht Hoi An besonders. Es sind ausschliesslich Schneidereien
in der Verlaengerung der Hotelmeile. Eine reiht sich neben die andere.
Bestimmt 500 Meter lang. Ueberall Kleider, Hosen, Anzuege. Ueberall die
Angebot, sich etwas auf den Leib schneidern zu lassen. Die Hotel-und-Klamotten-Strasse
stoesst auf die “Tran Phu”, die auf einem Kilometer fast alle fuenfeinhalb
Know-How-Seiten verbindet. Ich beginne mit meinem Spaziergang an der Japanischen
Bruecke, die von 1593 bis 1595 als Verbindung zwischen dem japanischen
und chinesischen Viertel errichtet wurde. Denn ja, in der Vergangenheit
hatte Hoi An wohl mal etwas seemetropolenartiges. Aber das liegt weit,
weit, weit zurueck. Ich schlurfe ueber die Tran Phu und merke so allmaehlich,
was in den Travellern, Urlaubern, Reisenden aus aller Welt im letzten Jahrzehnt
das Hoi-An-Gefuehl und damit einen Touristenboom ausloeste. Es ist so still
hier. Ungewoehnlich still fuer eine vietnamesische Kleinstadt. Autos sind
hier im Zentrum verboten, durch die Gaesschen wuerden sie auch gar nicht
passen. Und nur die mutigsten Mofafahrer trauen sich hinein. Es ist moeglich
in komplette Gelassenheit zu schlendern. Hier, auf der Tran Phu, dessen
alte Gebaeude der Stadt einen Eintrag auf der “UNESCO-Weltkulturerbe”-Liste
brachten. Es sind “alte Haeuser”, doch diese zwei Worte sind unzureichend
und fast sogar eine Beleidigung. Genau hier rasten damals, daaaaaamals,
chinesische, portugiesische, ach Seefahrer aller Nationen durch die Gassen,
stuermten oder besuchten zum Beispiel das alte, und dementsprechend kunstvolle
Quang-Thang-Haus, das Phung-Hung-Haus, die Kapelle der Tran-Familie, weitere
Versammlungshallen, die sich an der Tran Phu mit Cafes und Shops abwechseln.
Abgeschlossen wird das Ganze mit einem vietnamtypischen Dorfmarkt. Alte
Frauen, alte Maenner, junge Frauen, junge Maenner feilschen mit Hoi-Annern,
mit Touristen um bunteste Fruechte, Gemuese, Stoffe, Postkarten. Treiben
lassen. Durchdraengeln.
Der
Markt hoert auf an der Uferpromenade, die einen Blick und einen Spaziergang
am Thu Bon Fluss ermoeglicht und parallel zur Tran Phu verlaeuft, verbunden
eben durch die ganz, ganz engen Gaesschen.
Hier
kann ich das sein, was ich in diesem Urlaub schon lange sein wollte: Ein
Kaffeehaus-Literat. Ich tummle von Cafe zu Cafe, lasse kaum eines aus,
trinke die grosse Auswahl an Fruchtshakes einmal rauf und runter, setze
meine Sonnenbrille bei traumhaftem Wetter auf die Nase und beobachte, wie
sich Touristen auf dem Fluss im Ruderboot umherfahren lassen. Wie es die
Einkaufenden auf den Markt zieht. Wie sich sich mit Tueten in der Hand
vom Draengeln erholen, entweder in den Cafes oder auf Baenken direkt am
Flussufer. Es ist herrlich und Nha Trang fast vergessen. Vergessen im sommerlichen
Glanz Hoi Ans.
Diese
Stadt ist das beste Beispiel fuer Vietnams Strukturwandel, notiere ich
irgendwann – ach die Uhrzeit habe ich heute voellig vergessen, die spielt
aber auch nicht immer eine Rolle – in meinem Notizblock, ganz literaten-
und journalistenlike. Vor zehn Jahren vergammelte die unbedeutende, kaputte
und dreckige Stadt vor sich hin, dann kam Traveller – und jetzt werden
die Einheimischen in neu entstehende Wohnblocks in neuen Vororten abgeschoben,
um Platz fuer Hotels, Cafes, Geschaefte zu machen. Dass vor lauter Modernisierung
der traditionelle Teil Hoi Ans auf der Strecke bleibt, ist natuerlich eine
Gefahr. Sollte die Stadtspitze auf die Idee kommen, die Tran Phu und die
Uferpromenade in eine rotgepflasterte Fussgaengerzone zu verwandeln, waere
Hoi An wohl nicht mehr von einer Stadt an der Nord- oder Ostseekueste zu
unterscheiden.
Wie
Nha Trang hat Hoi An nicht wirklich etwas besonders sehenswertes anzubieten,
ein besonderes Top-Highlight. Aber es biedert nicht an. Es ist liebenswert.
Es macht Freude. Es macht mir Freude. Die Ruhe macht mir Freude. Diese
Notiz entsteht im naechsten Cafe, natuerlich, diesmal bei einem Mango-Shake.
Vorher war’s Banane. Kokosnuss. Papaya. Ananas. Irgendwas.
Ein
halber Tag steht mir fuer Hoi An zur Verfuegung. Auch in der Dammerung
sitze ich immer noch in Cafes und schaue begeistert den Spaziergaengern
zu. Ja, immer noch. Und das koennte ich noch stundenlang so weitermachen.
Fuer Hoi An selbst reicht ein halber Tag voellig aus. Wie die ganzen alten
Haeuser auch noch von innen sehen moechte und dazu noch massgeschneidert
neu einkleiden lassen will, der sollte auch problemlos einen ganzen Tag
hier rumkriegen koennen. Aber auch die Umgebung macht Hoi An interessant.
Kaum eine Stadt eignet sich besser fuer Ausfluege mit Motor- oder Fahrraedern,
die hier ueberall zur Miete angeboten werden. Der Strand von Hoi An ist
vier Kilometer entfernt, die gar nicht einmal uninteressante Tempelstadt
My Son dreissig Kilometer. Und der Weg dorthin sei allein schon sehenswert
genug, urteilen die Reisefuehrer. Und Marrit und Thommy uebrigens auch.
Manche sagen: Wer Hoi An nicht gesehen hat, hat Vietnam nicht gesehen.
Ist das typisch vietnamesisches Kleinstadtleben heute und ein bisschen
auch damals? Ich weiss es nicht. Wahrscheinlich ist’s schon jetzt ein wenig
zu kuenstlich. Das ganze Beiprogramm liesse sich sicherlich auch vom dreissig
Kilometer entfernten Da Nang abspulen. Aber was ist an einem Urlaubsabend
attraktiver? Eine Uebernachtung im grossen Frankfurt oder im beschaulich-ruhigen
Bernkastel-Kues?!? Ich wuerde Bernkastel vorziehen.
Es
ist Urlaub, denkt sich Hoi-Andi nach Internet-Cafe und Abendessen gegen
22 Uhr, als ich die Uhr wiederentdecke, und spaziere “Somewhere over the
rainbow” pfeifend zurueck ins Hotel. Urlaubsmaessig entspannt. Und gluecklich.
Als ich mein Zimmer betrete, denke ich noch einmal an den Sonnenuntergang,
den ich am Flussufer fruchtig-frisch, aber leicht schwitzend erlebte. Aber
noch nie in diesem Urlaub waren mir 33 Grad und Sonne scheissegaler.
Die
Muedigkeit stoert mich schon lange nicht mehr. Hoi An hat mich gerettet.
Das verstehe ich unter Entspannung. Das ist Relaxen und wirklich an NICHTS
denken. An GAR NICHTS! Das ist eine weitere Facette, das naechste Gesicht
Vietnams, eins, das krass zu dem Saigons differiert. Und ich glaube nicht,
dass dieses Gesicht erst mit den Touristen gekommen ist.
Doch morgen muss ich wieder abreisen. In meinem engen Reiseplan steht dann Hue ganz oben. Eins ist sicher: Hoi An, dieses langweilige, verschlafene Bernkastel Vietnams, bleibt in meinem Urlaubsherzen 2005 weit oben.
15. Tag
Dienstag, 2. August 2005
Hoi An -> Hue
Obelix verfolgt mich
Ein
kleiner Blick aus dem Busfenster heraus auf den Strand haette voellig ausgereicht.
Und direkt mit dem gleichen Bus ueber Nacht nach Hoi An weiterfahren muessen.
Dann waere mir viel Langeweile und Sand-Tristesse erspart geblieben.
Als
ich gegen 9 Uhr aufwache, wuerde ich deshalb am liebsten meinen Kopf mit
Wucht dreimal gegen die rote Ziegelsteinmauer donnern. Dass ich Kopfschmerzen
habe, von ganz alleine, ohne Donnern, ist leicht zu erklaeren. In meinem
Traum war ich ein Teil des kleinen gallischen Dorfes und mit Asterix, Obelix
und Miraculix auf Roemer-Jagd. Und Obelix hat einmal aus Versehen mich
erwischt. Autsch!
Nach
der Dusche und der erneuten, wiederholten, allmaehlich muede machenden
Rucksackpackerei stelle ich um kurz nach zehn fest, das Fruehstueck verpasst
zu haben. Shit. Aber aus der ersten Etage bis raus vor die Tuer ist es
nicht weit und bis zur Cafe-Meile erst recht nicht. Und wie empfaengt mich
Hoi An? Mit strahlendstem Sonnenschein!! Fast so schoen wie der Applaus,
den Fussballprofis bekommen, wenn sie zum Warmlaufen das Stadion betreten.
Hab’s zwar nie erlebt, stelle ich mir aber eben genauso warm vor. Waere
Nha Trang nicht gewesen, haette ich hier meinen Aufenthalt verlaengert,
haette mir ein Radl ausgeliehen, waere vier Kilometer zum Strand, zum Baden
geheizt, haette mir danach die nicht ganz uninteressante Tempelstadt My
Son angesehen (ungefaehr 30 Kilometer weg) und waere abends in einem Cafe
versackt und haette mir den Sonnenuntergang angeschaut. Meine Augen sind
weit offen, waehrend ich mit dem Strohhalm in Bananen-Shake rumruehre und
auf irgendwas
genau
gerichtet. Aber meine Gedanken sind gewiss nicht beim Fruehstueck.
Hoi
An ist nicht mehr als eine ganz, ganz kurze Episode meiner Reise mit nur
einer einzigen Uebernachtung. Aber eine schoene und vor allem voellig regenfreie.
Nun wird im Reisefuehrer beim Buchstaben “H” einfach ein paar Seiten weitergeblaettert.
Bis Hue. Hue, eine sehr interessante Stadt, vielleicht sogar die interessanteste
Vietnams?? Es geht weitere 135 Kilometer an der Zentralkueste Richtung
Norden, dann sind es nur noch knapp 650 bis Hanoi. Hue liegt an der engsten
Stelle Vietnams. Zwischen dem Meer und der Grenze zu Laos liegen ganze
40 Kilometer. Saigon ist erst vier Tage, aber schon weit ueber 1000 Kilometer
entfernt. Eine Strecke von Berlin bis Muenchen. Und weiter.
Oh
wie gern wuerde ich um 13 Uhr noch im Cafe sitzen bleiben oder mich auf
eine Bank am Ufer setzen, um mich relaxend in die Sonne zu flazen. Ein
so fantastischer, ja ueberwaeltigender Sommertag ist das. Doch schon in
einer halben Stunde ist Treffpunkt an der Bushaltestelle am Sinhcafe-Buero.
Und ich muss noch in meinem Hotel mein Gepaeck abholen. Adieu Hoi An. Adieu.
Ich verlasse das fuenfte Hotel meines Urlaubs. Drei kommen noch. Dazu noch
Bangkok, aber den Schuppen kenne ich ja schon. Auch in dieser Statistik
ist die Mitte laengst erreicht. Seit genau zwei Wochen bin ich heute in
Asien unterwegs. Die Wie-viele-Tage-schon-und-wie-viele-noch-Statistik
steht nicht mehr 13:13, sondern nur noch 15:11. Zaehle ich zu viel? Scheint
fast so, glaub auch fast. Aber keine Sorge, es ist nur eine Spielerei.
Ich glaube, jeder Sportjournalist kann aus allem eine kleine Statistik
ableiten.
Auf
den verlassenen Strassen Hoi Ans schleiche ich zum Sinhcafe-Buero, hoere
Pink Floyds “High hopes” und Tocotronics “Hi Freaks”. Und denke an Obelix.
Auf einmal steht ein bekanntes Gesicht vor mir. Genau, wir hatten ja schon
in Nha Trang vorgemerkt, dass wir uns in Hoi An wiedersehen. Es ist die
deutsche Dame, die mich vor zwei Tagen im Internet-Cafe ansprach. Gemeinsam
warten wir auf den Bus. Ihr Reisepech hat sich fortgesetzt. Zu allem Ueberfluss
hat sie auch noch die Klimaanlagen-Grippe heimgesucht (von der ich wohl
verschont bleibe), so dass sie den Morgen im Bett verbringen musste. Und
das bei dem Wetter. Also dass sie angesichts ihrer Laune noch einmal nach
Vietnam zurueckkehrt... ich glaub nicht!
Im
Bus sitzen wir hintereinander. Es ist nicht viel los, jeder hat eine Zweier-Reihe
fuer sich allein. “Wunderbarer Bergpass!” hat Thommy (der uebrigens seit
drei Tagen in New Yorks Chinatown wohnt. Schoene Gruesse!!) per Bleistift
im Baedeker verewigt. Mittlerweile weiss ich, dass die Dame Antje heisst,
aus Bremen kommt und als Grundschullehrerin arbeitet. Als Schwerpunkte
hat sie Mathe und Musik – und damit kriegt jeder Primarstufenstudent wohl
ruck, zuck einen Job. Momentan geniesst sie die Sommerferien – oder auch
nicht...
Wir
durchqueren mit dem Bus Da Nang, naja, wir streifen es eher, und dann taucht
der beruehmte Wolkenpass der N1 zwischen Hoi An und Hue vor uns auf. Die
Digicam ist schon laengst gezueckt, doch HALT, was ist das??? Seit ein
paar Wochen ist der Tunnel frei gegeben. Der fuer 300 Millionen Euro entstand
und zu den 30 laengsten der Welt gehoert. Fast sieben Kilometer lang ist
der und verkuerzt die Fahrtzeit um knapp 45 Minuten (gerade Strecke statt
Serpentinen auf einen Berg in vierstelliger Hoehe). Aber der Tunnel beraubt
uns eines fantastischen Fotomotivs! Die Vietnamesen im Bus finden den Tunnel
aber so beeindruckend, dass sie wie die Bekloppten Fotos schiessen. Es
wirkt, als seien sie nur deshalb im Bus mitgefahren. Doch trotz der kleinen
Enttaeuschung wird es die schoenste, ruhigste, schnellste und entspannendste
Busfahrt. Vorbei an Bergen, Seen, der Kueste, weiten, leeren Straenden.
An einem davon pausieren wir zwanzig Minuten lang.
Es
ist eine so rauschige Atmosphaere, dass es angebracht ist, “Where is my
mind?” von den Pixies auf angemessener Lautstaerke zu drehen und zu geniessen!
Tatsaechlich: Statt der angegebenen vier Stunden braucht der Bus nur 3:15
Stunden bis Hue. Es ist 17.15 Uhr, und dennoch glaube ich, der Tag habe
gerade erst begonnen und Obelix haette mich erst vor ein paar Sekunden
bloed angemacht, weil ich am Zaubertrink nippen durfte und er nicht. Antje
und ich haben zufaellig in unseren Vorplanungen fuer Hue dasselbe Hotel
angekreuzt. Und zufaellig laeuft uns ein Reinholer von “Binh Minh 2” nach
dem Aussteigen ueber den Weg. Zum ersten Mal, dass mir so ein Typ gelegen
kommt. Mit einem mehr als ueberfreundlichen Laecheln begruesst uns die
Dame an der Rezeption, und der Service ist einzigartig knuffig; sogar das
Gepaeck wird uns bis in die vierte Etage getragen, dabei wollten wir das
gar nicht. Fuer 12 Dollar pro Nacht erhalte ich ein Zimmer mit Balkon.
Yeaaaaah, mit Aussicht!!!! Ich verweile am Gelaender und beobachte, wie
der blaue Himmel der Daemmerung weicht. Unter mir tosen die Mofas, in der
Sporthalle gegenueber fliegen die Federbaelle beim Badminton und die Fernsicht
auf Vietnams Zentralmassiv ist toll. Herrlich!!
Als
Antje, die ein Einzelzimmer direkt nebenan hat, und ich zum Abendessen
aufbrechen, merke ich, dass meine Angst vor Vietnam, vor dem Fremden, vor
dem anderen Kontinent, komplett weg ist. Vor Mofas und dem Verkehr fuerchte
ich mich lange nicht mehr, hoechsten sie vor mir. Das asiatische Leben
nehme ich an, auch wenn ich mich an die vietnamesische Kueche nie gewoehnen
koennte. Die Freundlichkeit der Leute ist beeindruckender von Tag zu Tag.
Vielleicht
war die Metropole Saigon auch ein zu heftiger Einstieg!?! Ich weiss nur,
dass 16 Netto-Tage viel zu wenig sind, um ein 1900 Kilometer langes Land
treffend in allen Regionen zu erkunden. Himb muss sich keine Sorgen machen.
Schon jetzt habe ich mehr von dem Land in meinem Herzen als Mofas, Chaos
und Verkehrsstaus. Und Hanoi und die Ha-Long-Bucht kommen noch...
Mit
einem Mahl am Parfum-Fluss, mit Blick auf die beiden Bruecken, die Hues
europaeisch gepraegte Neustadt mitsamt der Hotel-Ecke mit der Altstadt
verbinden, beenden wir den Tag. Erstmals klappt bei mir das Essen mit Sticks
einigermassen akzeptabel. Morgen gehe ich den Geheimnissen der einstigen
Kaiserstadt Vietnams auf die Spur. Heute gehe ich nur noch schlafen. Obwohl
ich das Gefuehl habe, ich sei gerade erst aufgestanden. Naja, keine Ahnung,
was Obelix da genau fuer Stellen getroffen hat.
16. Tag
Mittwoch, 3. August 2005
Hue
Paradise City a. D.
Gemaechlich
trotte ich von einem Gebaeude der Zitadelle zum naechsten. Maaaan, ist
das heiss heute! Das etwas eigene Klima Zentralvietnams bekomme ich zu
spueren. Seit drei Tagen habe ich keinen Tropfen Regen mehr gesehen oder
abbekommen. Und ich dachte, Hue gehoert zu den Staedten Vietnams, in denen
es am haeufigsten regnet. Heute sind es 35 Grad, mindestens. Die richtige
Temperatur will ich gar nicht wissen. Ein Schweissmeer gleitet meinen ganzen
Koerper hinab, Tropfen fuer Tropfen. Auf der Suche nach einem Schattenplaetzchen.
Gib mir Schatten! Gib’s mir! Tut das gut…
Hue?
Zitadelle? Schweiss? Paradise City?
Ich
habe es getan. Ich habe meinen Selbstmord gebucht. So etwas geht auch bei
Sinhcafe. Auf Bestellung. Vorhin noch genoss ich das Fruehstueck im Hotel.
Bis 10 Uhr geht das Tag fuer Tag und wie in Jugendfreizeiten ganz frueher
gelernt tauchte ich um Punkt 9.55 Uhr dort auf. Antje war hustend und roechelnd
schon in der Nacht durch die Wand hindurch nicht zu ueberhoeren. Waehrend
des Fruehstuecks bricht sie auf – aber nur, um sich wieder ins Bett zu
legen. Die Arme!
Tja,
ich kann darauf keine Ruecksicht nehmen, sitze nun im Sinhcafe-Buero und
erhalte um halb elf die Papiere. Im Wirkungskreis eines Ventilators – aaaaah,
herrlich!! – setze ich meine Unterschrift unter eine VISA-Abrechnung fuer
gleich zwei Touren. Morgen der Ausflug ins Gebiet der demilitarisierten
Zone (DMZ) des Vietnamkriegs. Abfahrt (!) 6 Uhr und am Freitag unmittelbar
vor der Nacht-Busfahrt nach Hanoi noch eine Drachenbootfahrt zur den Kaisergraebern
Hues. Abfahrt 8 Uhr. Dazu, siehe gerade, die Nachtfahrt. Also wenn ich
das ueberlebe… Und das bei der Hitze. Tropftropftropf, lauflauflauf, schwitzschwitzschwitz.
Jetzt ist’s zu spaet und alles gebucht.
Auf
den ersten, ganz naiven Blick ist Hue eine Grossstadt. 350.000 Einwohner
sind immerhin eine ziemlich stolze Zahl. Ich erreiche nach fuenf Minuten
Fussweg die Bruecke ueber den Parfum-Fluss und es wird Zeit fuer den zweiten
Blick. Denn auf den zweiten Blick ist Hue sogar eine schoene Grossstadt,
wenigstens fuer meinen Geschmack. Denn ich liebe nur Staedte, durch deren
Zentrum, mittendurch, ein Fluss fuehrt. Macht wohl Muelheim. Das bringt
meist eine tolle Landschaft, das kuehlt Fuesse und Gemueter. In Hue verbinden
zwei Bruecken die Altstadt mit der Zitadelle und dem chinesischen Viertel
mit der von Hotels, Restaurant, Uni und modernen Gebaueden vollgestopften
Neustadt. Ich will’s heute alt.
Tropftropf.
Schwitzschwitz. Erst mal rechts ran, entspannen, relaxen, Shirt auswringen.
Getreu dem Prinzip Angebot/Nachfrage (das hier auch schon angekommen zu
sein scheint) will eine Verkaeuferin am Strassenrand 15.000 Dong (85 Cent)
fuer eine 1,5-Liter-Flasche Wasser. Sonst kostet die hoechstens 10.000.
Schnell noch gefeilscht (um Wasser!) und rein mit dem Zeug. Tsetsetse.
11.45
Uhr und vor mir taucht ein grosses, altes Tor auf und selbst durch die
schweissnasse Sonnenbrille erkenne ich die vielen Farben. Denn Hue ist
eben keine normale Grossstadt und bietet mehr als den Fluss, ein paar nette
Kneipen, die Uni und den vietnamtypischen chaotischen Markt. Wer sich fuer
Vietnam und viel mehr fuer die vietnamesische Geschichte der letzten 200
Jahre interessiert, der muss hier gewesen sein. Muss! In kaum einer anderen
Stadt treffen alle Epochen dieser Zeit so eindrucksvoll aufeinander.
Nachdem
ich an einigen Reisegruppen vorbeispaziert bin und die Blicke auf mein
Peter-Graulund-Trikot gezogen habe (ich haette auch bloed geguckt. Ey Peter
Graulund!!!), bezahle ich 55.000 Dong (2,75 Euro) und betrete die Zitadelle
der Kaiserstadt Hue. Ich besteige das Mittagstor (das ist das Eingangstor)
ueber eine lange Treppe, setze mich hin, fange an zu lesen (und trinke
Wasser, ganz wichtig heute, ist heiss, sagte ich das schon?), zu phantasieren
und “Paradise City” zu hoeren. Schwitzschwitz, tropftropf. 1802 begruendete
Gia Long die letzte Dynastie Vietnams, die bis 1945 blieb. Zur Hauptstadt
seines “Reichs” erklaerte er seine Heimatstadt Hue – ideal gelegen am Fluss
und fast in der Mitte zwischen den aufstrebenden Metropolen Hanoi und Saigon.
Schon die Bauprinzipien – das erkenne ich von meinem Ausguck auf dem Eingangstor
– sind unglaublich. Die gesamte Zitadelle entstand nach dem Vorbild Pekings
und streng entlang einer schnurgeraden Hauptachse. Alle weiteren Wege gehen
im rechten Winkel davon ab und bleiben genauso gerade. Der Grundriss ist
quadratisch und auch der Fluss und die sichtbaren Berge werden in die Gesamtphilosophie
des Bauwerks eingebaut.
Ueber
eine von zwei Bruecken betrete ich die Halle der hoechsten Harmonie, das
einzige Gebaeude, das wie durch ein Wunder alle Kriege ueberstand. Hier
empfingen die Kaiser einst wichtige Beamte und Bedienstete. Ein Thron steht
drin, windende Drachen bilden die Dachfirste. Auf der Wiese nebenan – frueher
tatsaechlich so etwas wie ein Park – spazieren Elefanten. Das war wohl
schon immer so.
Ich
gehe weiter und weiter, Schritt fuer Schritt, Tropfen fuer Tropfen – 35
Grad!! Keine Wolke!! – und hinter der Halle steht nichts mehr gerade und
unfallfrei aufeinander. Es ist Gras, ja sogar Unkraut ueber das Geruempel
gewachsen. Auf der Guns’n’Roses-CD laeuft inzwischen die Coverversion von
Bob Dylans “Knockin’ on heavens door” und im franzoesischen Krieg in den
50-ern und dem Vietnamkrieg und dort im Jahr 1968 knockten hier ganz viele
on heavens door. Zehntausende starben in der eigentlich gut beschuetzten
Festung. Durch Bomben aus der Luft.
Ich
durchschreite fast jeden Weg, schaue zu, wie Arbeiter mit Hilfe der UNESCO
(ist Weltkulturerbe hier!) vieles wenigstens einigermassen wiederherstellen
wollen, bin manchmal ganz allein mit meiner Musik und den Reisefuehrern
auf einem alleeartigen Weg. So richtig geherrscht haben die Kaiser auch
nur kurz. Denn die Kolonisten aus Frankreich waren ruck, zuck da und tolerierten
den Prunk und die Realitaetsferne Hues nur noch. Die Monarchie war dem
Volk ohnehin laengst zuwider, heisst es. Zum Abschluss marschiere ich noch
einmal durch das, was bis 1945 verboten und die Privatzone des Kaisers
und seines Gefolges war. Heute ist es eine durchloecherte, kaputte, total
heruntergekommene, kahle Wiesen- und Schrottwueste. Dort, wo Kaiser regierten,
ist heute nicht einmal mehr ein freundschaftlicher Fussballkick ohne schwere
Verletzung moeglich. Man, so dick war der Schweissfilm noch nie auf meine
Haut. Handtuch! Meer! Schwimmbad! Ozean! Sofort! Tropftropf. Noch einmal,
bevor ich mich auf den Weg zurueck Richtung Neustadt mache, begebe ich
mich aufs Mittagstor und krame nach dem Reisefuehrer. Gegen zwei muesste
es jetzt sein.
Halt,
what’s that? Hoppla! Am 16. Tag bemerke ich, dass ich neben Know-How, Baedeker,
meinen CDs, dem Discman, Ersatzbatterien, der Federmappe, dem Block, den
Flugtickets und dem “echten” Tagebuch auch das Kicker-Fussball-Sonderheft
pausenlos bei mir trage. Noch einmal blicke ich auf die ganzen alten Achsen
und im naechsten Moment aufs Mannschaftsbild des VfL Bochum. Tief im Westen.
Es
gibt noch eine zweite herausragende Sehenswuerdigkeit in Hue. Denn die
ganzen Kaiser sind hier auch begraben, und das auch nicht einfach so. Sie
haben sich am Ufer des Flusses einige praechtige Graeber, fast sogar Mausoleen
hingestellt. Kaiserstadt eben. Das schaue ich mir uebermorgen an. Das Sonderheft
packe ich sorgfaeltig wieder meine Tasche, das rote Teil muss immerhin
noch eine ganze Fussballsaison ueberstehen, und spaziere Richtung Flussufer.
Wer sich gar nicht fuer Geschichte interessiert und keinen Funken Phantasie
in sich traegt, der sollte um Hue einen Bogen machen (Dann aber eigentlich
auch gleich um ganz Vietnam…). Um die Zitadelle im “Gesehen”-Plan abzuhaken,
reicht eigentlich eine halbe Stunde. Fuer Nicht-Interessierte sind es nur
ein paar alte Steine und viel Gras. Nicht fuer mich. Schwitzschwitz.
In
einem Cafe pausiere ich mit einer Eisschokolade. Aber es hilft nicht wirklich,
um meinen Koerper zu kuehlen. Heeeeeissss!! Selbst Ansaetze der einstigen
Bedeutung wird Hue trotz des Tourismus nicht wiederbekommen. Die wirtschaftlich
maechtigere Stadt im Zentrum Vietnams ist ganz eindeutig Da Nang. Die malerischere
und fuer Shopping besser geeignete ist das beschauliche Hoi An. Und die
schoensten Straende sind auch nicht in Hue. Waehrend ich um 15 Uhr feststelle,
dass auf dem Markt am Ufer vor der Bruecke fast nichts mehr los ist (nur
viele Singvoegel stehen zum Verkauf, vielleicht chinesischer Einfluss,
habe ich jedenfalls noch nicht hier gesehen), sehe ich viele junge Leute.
Stimmt, Hue ist eine Uni-Stadt, also eine absolut kulturell-historische
und vermutlich auch intellektuelle Hochburg. Und heute eine scheisseheisse.
Tropftropf. Ich glaub, ich hab mein Maximum an Braenungsgrad mittlerweile
erreicht.
Auf
den Strassen geht es fuer 350.000 Einwohner echt gemaechlich und stressfrei
zu – oder Mofas sind mittlerweile schon Gewohnheit fuer mich. Geckos tauchen
im Strassenbild Hues haeufiger auf als ueberall sonst. Aber die kleinen,
flutschigen Dinger, die wie Baby-Eidechsen aussehen, stoeren mich nicht.
Als ich am Schweiss zu ertrinken drohe, unterbreche ich meinen Spaziergang
durch das Hotelviertel der Neustadt im “Hung Vuong”, einem Cafe mit Baeckereiangebot….
Leckerleckerlecker. Leider faellt nach kurzer Zeit der Strom aus. Und es
tropft wieder.
Um
kurz von fuenf, man, durch die Pausen ist die Zeit ganz schoen gerast,
betrete ich das Internet-Café. Neben mir bemerkt ein muskelbepackter
Bodybuilder-Typ (bestimmt mit dem Motorrad unterwegs) mein VfL-Trikot und
spricht mich auf Deutsch an. Gustav heisst er, ist gelernter Koch und tourt
seit fuenf Jahren “in der Hotelbranche” durch Asien. Naja, manchmal wirkt
er wie Schwarzenegger auf Steuerflucht, aber die Geschichten, die er zu
erzaehlen hat und die Infos, die er bietet, fesseln ein wenig. Birma, sagt
er, sei wunderschoen. Nha Trang mag er aufgrund der vielen Australier und
der Discos (auch) nicht. Und dass er in Hoi An arbeitet, erfahre ich noch,
seit einem Jahr schon. “Hab mich noch keine Sekunde gelangweilt”, sagt
er. In Hue besucht er gerade einen Freund. Und wundert sich auch ueber
die Sonne. “Stimmt. Es regnet hier oft. Such mal eine braune Stelle in
der Stadt. Nix. Hier ist alles gruen.” Dann setzt er sich sein Baseballkaeppi
auf, bedeckt seine fast nicht mehr vorhandenen Haare, liest sich den Spielbericht
Stuttgart gegen Schalke aus dem Ligapokal durch, lacht darueber, dass Schalke
gewonnen hat, und meint: “Wenn ich mal keine Arbeit habe, miete ich mich
hier irgendwo fuer 200 Dollar im Monat in einem Hotel ein. In einem Superhotel.”
Er bezahlt, steigt aufs Motorrad (sag ich doch) und braust davon.
Ich
surfe noch ein bisschen, aber nicht auf der WAZ-Seite. Mein Ziel ist erreicht
und nach 16 Tagen bin ich vom Muelheimer Politik- und Sportgeschehen total
abgeschnitten und das juckt mich nocht einmal richtig. Die einzigen deutschen
Seiten, die ich regelmaessig anklicke, tragen die Titel VfL Bochum (da
MUSS ich up-to-date sein), Kicker und Spiegel. In einem Gartenrestaurant
esse ich lecker – und kurz vor meiner Rueckkehr ins Hotel gegen halb zehn
treffe ich die kranke Antje.
Fast
den ganzen Tag hat sie im Bett gelegen, ihre Weiterfahrt nach Hanoi auf
naechste Woche verschoben. In Hue ist sie erst einmal gestrandet. Die Arme!
Ich hatte wirklich Glueck bis jetzt. Kein Durchfall, kein Fieber, nicht
mehr als zehn Mueckenstiche gleichzeitig, kein Husten, kein Schnupfen,
keine Klimaanlagen-Grippe…
Nach
vielen heissen Sonnenstunden betrete ich mein klimatisiertes Zimmer, versuche,
die klebenden Klamotten vom Leib zu zerren. Und stelle den Wecker auf 5.30
Uhr. Bin ich irre?
Ich drehe mich um und denke noch einmal nach. Draussen bellt ein Hund, meine Klospuelung ist defekt und das nervt etwas, meine Anziehsachen fuer morgen liegen bereit. Ich gehoere zu Ich-mag-Hue-Fraktion. Mehr als hochinteressante Geschichte, tolles Stadtbild (Fluss), tolle Umgebung (DMZ, Hoi An, Da Nang, Laos). Und der Strand ist auch nicht weit weg. Ja, Strand. An einem solchen Tag wie heute waere das auch keine schlechte Wahl gewesen.
17. Tag
Donnerstag, 4. August 2005
Hue -> DMZ -> Hue
Don't want to be an American Idiot
Ich
glaube in meinem gesamten 27-jaehrigen Leben bin ich erst maximal fuenfmal
frueher als 6 Uhr aufgestanden - freilich alles aus Urlaubsgruenden. Um
Punkt 5.26 Uhr schellt der Wecker, und oh Wunder, ich scheine mich unterbewusst
mit meinem Schicksal arrangiert zu haben, denn wie ein Automatspule ich
das Morgenprogramm so gekonnt herunter, dass ich um 6.05 Uhr vor meinem
Hotel stehe. In fuenf Minuten soll ich abgeholt werden. "Good morning Sir",
sagt der Reinigungsjunge, lediglich in kurzen Hosen gekleidet, der die
Rezeption im Erdgeschoss fegt. Scheint hier zu wohnen, aber naja, juckt
mich auch nicht wirklich. Buuuuuussss… kommt nicht. 6.10, 6.11, mein Hals
schwillt und schwillt an. Okay, ich finde es wahnsinnig interessant, Hue
am Morgen zu beobachten, aber fuer jede Minute, die ich haette laenger
schlafen koennen, verlange ich 10 Cent oder einen Red Bull als Entschaedigung!
Ich setze mich auf die Mini-Treppe vor dem Hotel-Eingang und warte. Und
gucke. Schraeg gegenueber treffen sich die Nachbarn um kurz nach sechs
morgens wahrscheinlich taeglich unmittelbar nach dem Aufstehen, loeffeln
ihren Reis und quatschen, durchaus gut gelaunt. Neeeneee… Witzkanonen am
fruehen Morgen kann ich gar nicht. Um die Zeit tobt Saigon und versinkt
in einem Mofa-, Verkehrs- und Hupchaos. Millionen-Metropole, undurchschaubar.
Und Hue, die nette mittlere Grossstadt in Vietnams Zentrum? Och, ab und
zu beruehrt ein Mofafahrer mal sein Huepchen, aber warum auch, von Chaos
ist hier keine Spur, und das ist gewiss keine unwichtige Nebenstrasse.
Die meisten Laeden hier im Touriviertel haben sogar schon geschlossen.
Als ich schon ueberlege, die 500 Meter zum Sinhcafe-Buero zu Fuss zurueckzulegen
und denen tierisch auf die Theke zu kacken, biegt der Bus um die Ecke.
Um 6.30 Uhr inzwischen. Meine Zaehne knirschen, grummelgrummel. Am besten
ich brabbel irgendwas auf Ruhrpoettisch…
Ein
Fensterplatz ist noch frei - und als erstes faellt mir auf: Kein einziger
Vietnamese will die grosse Tour in die demilitarisierte Zone (DMZ), die
im Vietnamkrieg eine so entscheidende Bedeutung hatte, sehen. Nur kriegsinteressierte
Europaer, Amerikaner, Australier. Als ich meinen Ruecken anlehne, merke
ich: Dieser Tag wird kein Spass. Holzsitze in der Schule sind purer Luxus
dagegen, das ist ein Bus aus ganz, ganz alten Bestaenden. Nachdem der Fahrer
dann kurz aufs Gaspedal tritt, um die Kiste in Gang zu kriegen, der naechste
Schlag: Die Klimaanlage funktioniert nicht richtig. Und dass die Temperatur
wieder auf 35 Grad hochschnellt (mindestens) merke ich bereits jetzt. Es
waere so leicht… aussteigen, weiterschlafen, einen ruhigen Tag verbringen,
hab ja nur acht Dollar bezahlt. Aber es interessiert mich eben.
Ein
Guide ist noch nicht dabei - ich dachte, der ist inclusive!? Ich helfe
mir selbst mit dem Baedeker. 1954 beschloss die Genfer Friedenskonferenz
nach dem Rueckzug Frankreichs, dass das Land am 17. Breitengrad, also genau
am Ben-Hai-Fluss, geteilt wird - bis zu Neuwahlen, die aber nie stattfanden.
Die DMZ umfasste fuenf Kilometer auf beiden Seiten. Das Wort "demilitarisiert"
galt aber nur auf dem Papier - in Wirklichkeit waren die Gebiete rund um
die Nationalstrassen 1 und 9 und eben rund um den Fluss die am heissesten
umkaempften - uebrigens auch schon im franzoesischen Krieg rund um 1954.
Aufwachen!!
Geschichtskurs beendet!! Nach 59 Kilometern durchqueren wir Quang Tri.
Weil die Strassen dermassen beschissen sind, duerfen alle Gefaehrte oft
nur maximal 30 fahren. Es ist schon 8.10 Uhr, wir fahren seit anderthalb
Stunden. Stundenschnitt?? Uebelst langsam! Jetzt weiss ich auch, warum
die Tour offiziell von 6 bis 18 Uhr dauert. Der Busfahrer stellt sich leider
als grosse Katastrophe heraus. Er lenkt fast mit den Knien und benutzt
seine Haende, um entweder mit seinem Handy zu telefonieren, die Hupe moeglichst
laut und oft hintereinander zu betaetigen (auch wenn da gar kein Auto zum
Anhupen vorhanden ist) oder am Radioschaltknopf zu drehen und schlimmstes
Gedudel laut zu stellen.
Von
Quang Tri steht fast nichts mehr. Auf den vier Quadratkilometer grossen
Stadtkern warfen die Amis in 62 Tagen Bomben mit der siebenfachen Sprengkraft
der Hiroshima-Atombombe. Um 8.30 Uhr halten wir ein paar Kilometer weiter
in der Nachfolgestadt Dong Ha - und endlich prasentiert sich ein Guide.
Doch Sinhcafe enttaeuscht weiter. Von Anfang an spricht der Guide miserable
Englisch. Und das Fruehstueck - inklusive eigentlich - besteht aus der
Auswahl zwischen Baguettebrot mit Belag oder einem Bananen-Pancake. Getraenke
sind selbst zu entrichten. Wenigstens mein Vierer-Begleittisch ist sehr
interessant. Ein Australier, Mitte 40 wuerde ich schaetzen, reist mit seiner
thailaendischen Frau durch Vietnam, auch von Sueden nach Norden. Seine
Frau hatte aber keine Lust auf die DMZ-Tour. Und zwei Koreanerinnen, ziemlich
jung, Anfang 20 sage ich mal, die noch ganz suess am Beginn ihrer Reise
sind. Sie kommen gerade frisch aus Hanoi. Etwas erschrocken merke ich,
dass mir gar nichts daran liegt, die Namen der Leute herauszufinden und
zum ersten Mal, am 17. Tag, weiss ich: Der Urlaub geht allmaehlich zu Ende.
Ausfuehrliche Unterhaltungen, Bekanntschaften, ergaeben keinen Sinn mehr.
Aus dem Kauderwelsch-Englisch des Guides (Ich will Himb!) entnehme ich,
dass wir insgesamt 400 Kilometer mit dem Bus unterwegs sind. Es ist die
Luxus-DMZ-Tour. Es ist moeglich, zwischen den Sehenswuerdigkeiten an der
N1 oder der N9 zu waehlen. Wir wollen alles. Und dafuer geht es unter anderem
bis zu 90 Kilometer weg von Hue. Und fast direkt an die Grenze zu Laos.
Es
ist unertraeglich heiss. Deshalb faehrt der Bus fast die ganze Zeit mit
geoeffneter Tuer - macht nix. Ich lese, mache ein Nickerchen, rege mich
ueber Sinhcafe auf, in etwa in der Reihenfolge, und daaaafuer stehe ich
um 5.30 Uhr auf.
Nach
weiteren zehn Minuten duerfen wir endlich fuer zehn Minuten aussteigen.
Wir blicken auf den ins Sonnenlicht getauchten Ben Hai River, die einst
natuerliche Grenze und ein Mahnmal am 17. Breitengrad. Es ist ein Gefuehl
wie im alten Berliner Todesstreifen. Stell Dir vor, Du haettest ein paar
Jahre frueher dort gestanden…
Hauptziel
Nummer eins sind die Vinh-Moc-Tunnel am suedchinesischen Meer. Beim Museumsrundgang
ist leider nichts zu verstehen, so schlecht redet der Guide, und in den
Tunneln selbst braucht's keine Worte. Fuer diejenigen, die schon Cu Chi
gesehen haben, ist das fast ein Kindergarten-Erlebnis. Okay, ich muss mich
die komplett begehbaren 500 Tunnel-Meter ducken, mehr aber nicht. Da haette
ich auch im Ausgehanzug durchflanieren koennen. PAH! Und doch macht etwas
die Tunnel interessant: Sie sind lebensnaher als Cu Chi, weil sie ja auch
eher zum Leben benutzt wurden. Im dritten Untergeschoss weit, weit unter
der Erde, gibt es einen Saal, in dem wirklich 17 Kinder geboren wurden.
Auf engstem, schwer beschreibbar allerengstem Raum lebten parallel bis
zu sechs Menschen! Unfassbar! Zwar nicht mit dem Cu-Chi-Prickeln, aber
mit einem beeindruckten Nicken steige ich zurueck in den Bus, es ist erst
11.30 Uhr! Ich haett's ahnen muessen. Als Naechstes geht es wieder in ein
Sinhcafe-Partnerlokal, diesmal zum Mittagessen. Hab aber keinen Hunger.
Nun
fehlt noch Khe Sanh auf dem DMZ-Plan, Ort der beruechtigsten Kriegsschlachten.
1968 warfen die Amis innerhalb von vier Monaten 100.000 Tonnen Sprengstoff,
Napalm und Phosphor auf die Gebiete ab, nur um ihre Festung eben in Khe
Sanh zu halten.
Und
schon schnell ist klar: Nicht Khe Sanh selbst wird das Erlebnis, die Anfahrt
ist es schon. Zehntausende starben hier und mir wird ein wenig uebel, weil
ich die Helikopter und Flugzeuge fast noch im Nacken spuere. Viele Waelder
auf den Huegeln sind kahl bis heute, nur noch ein Acker. Und auf Khe Sanh
selbst, einst eine grosse Flugzeugbasis der Amis, wuerde kein Saatkorn
der Welt irgendwas hervorbringen.
Das
Museum Khe Sanh bietet ein paar Bilder, davor stehen noch ganze oder abgeschossene
US-Hubschrauber, aber das Gefuehl macht's, die Erinnerung an die Horrortaten,
die hier geschehen sind. Und der Genuss der heutigen Ruhe. Ich setze mich
auf die Museumtreppe, lege zielgerichtet eine CD in den Discman und hoere
Billy Joe von Green Day "Don't want to be an American Idiot" bruellen.
Auf
dem Rueckweg auf der N9 - Khe Sanh liegt kurz vor der Grenze zu Laos -
passieren wir die Dakrong-Bruecke, im Krieg zerschossen und einst wohl
Teil des beruehmten Ho-Chi-Minh-Pfades, durch den die nordvietnamesische
Armee die Vietcong im Sueden unterstuetzte. Und am Rockpile fahren wir
vorbei, ein kahler 230 Meter hoher Huegel, den die Amis als Wachposten
benutzten. Die Strecke, bis vor wenigen Jahren nicht existent und komplett
kaput, ist nun fast eine einzige Baustelle. Bruecken entstehen neu, Strassen
werden ausgebessert. Nur eins bleibt: Die Bergbevoelkerung treibt Schweine,
Kuehe, Wasserbueffel und Ziegen mit Hund und Peitsche die Strassen entlang
- und wenn es sein muss, blockiert ein Tier eben minutenlang den Verkehr.
Von
einem letzten Nickerchen wache ich auf, weil ich das Sitzen nicht mehr
aushalte. Mein Arsch, Ruecken, alles schmerzt. "Noch 16 km bis Hue City"
steht auf einem Schild. Neun von zwoelf Stunden im Bus gesessen und von
den bleibenden drei anderthalb in Sinhcafe-Lokalen verbracht. Eine verschenkte
Tour? Waehrend wir um 18.15 Uhr ueber eine der beiden Bruecken Richtung
Hotel fahren, beschliesse ich, mich doch ein bisschen zu aergern. Die Organisation
war einfach schlecht - und nur der sollte die zwoelfstuendige Tortur auf
sich nehmen, der sich wirklich brennend fuer den Vietnamkrieg interessiert.
Da ich das bin, faellt der Schaden bei mir nicht ganz so gross aus wie
bei anderen.
In
meinem Internet-Café sind ausser mir nur Kinder und zocken irgendwas.
Viele schauen mir beim Abtippen ueber die Schulter. Macht mich ein bisschen
nervoes. Am Strassenrand sammeln sich Raeucherstaebchen und ein leicht
angebrannter Duft weht ueber Hues Neustadt. Nach irgendeinem Kalender,
erklaert eine Frau, ist morgen Monatsanfang. Und das wird eben so gefeiert.
Nach einem Essen im Garten-Restaurant kehre ich um 21 Uhr nach 15 Stunden
on Tour zurueck. Ein Tag, an dem ich mich vom Sinhcafe-Programm ueberrollen
liess. Was womoeglich ein Fehler war, aber aufgrund meines Zeitmangels
sein musste. Ich hake den 17. Tag meiner Reise als "Pflichterfuellung -
nicht schlecht, aber auch kein Highlight" ab. Uebrig bleiben wird die Tatsache,
wie frueh ich es geschafft habe, meinem am Abend wunden Arsch so frueh
aus dem Bett zu bewegen.
Und
was macht die arme Antje? Die habe ich heute gar nicht gesehen. Aber ich
hoere sie laut und deutlich. Sie hustet ununterbrochen. Sollte mal zum
Arzt gehen, die Gute. Ich verabschiede mich morgen von ihr. Von Hue. Noch
einmal wird es knueppelhart. Stichwort Nachtbus nach Hanoi.
Noch
ein Hinweis in eigener Sache:
Danke
an Ruediger Heuer (schaut ins Gaestebuch)! Er war der erste, der mich mit
vollem Namen und vollstaendiger Mail-Adresse kritisiert hat (zu Hause antworte
ich ihm vielleicht) und mich als Schmalspur-Journalisten, Selbstbeweihraeucherer,
Selbstbespiegeler und (zumindest das ist richtig) als Langzeitstudenten
bezeichnet hat.
Danke
fuer die Kritik! Danke fuer die positiven Mails (die gab es auch)! Und
keine Sorge: Dieses Tagebuch werde ich, obwohl einige ueber mich (Zitat
Peter Neururer) "im negativen Bereich Denkmoeglichkeiten haben", noch bis
zum bitteren Ende und dem 26. Tag fortfuehren. Ueber die Zukunft meiner
Homepage denke ich dann spaeter nach. Weil ich Student bin, habe ich ja
noch ein paar Wochen Ferien und damit genug Zeit...
18. Tag
Freitag, 5. August 2005
Hue -> Hanoi
Sternenhimmel bei der Koenigsetappe
Fruehstueck.
Schon am Abend vorher musste ich im “Binh Minh 2”, das ich nach wie vor
jedem, der mal Vietnam bereist, weiterempfehlen kann (Adresse gibt es auf
Anfrage), einen Zettel ausfuellen, was ich denn genau verspeisen moechte
– Premiere in diesem Urlaub. Und um 7.45 Uhr, eine Viertelstunde vor dem
Treffpunkt am Sinhcafe-Buero (liegt um die Ecke), zur Drachenboot-Tour
zu den Kaisergraebern in den Waeldern vor Hue, bekomme ich ein Ei, Baguettebrot,
Streichkaese, eine Banane fuer den Weg und O-Saft praesentiert. Cornflakes
scheint hier echt keiner zu kennen… Als ich schon meine kleine Tasche umgehaengt
habe – meinen grossen Rucksack kann ich zum Glueck im Hotel zwischenlagern,
bis die Tour zu Ende ist – taucht Antje auf, mittlerweile vollgepumpt mit
Antibiotika, und das be idem Wetter. Sie wuenscht mir eine gute Weitereise.
Hach wie nett. Ihr dasselbe zu wuenschen, waere alles ziemlich unfreundlich
im Moment – bei ihrem Zustand.
Vom
Sinhcafe-Buero werde ich mit einem Motorbike kostenlos zur Anlegestelle
eskortiert. Und klar ist: Das ist kein Drachenboot im klassischen, im Muelheimer
Sinn. Dieses besteht aus 20 Mann und jeder paddelt selbst. Neeeeee, bei
dem Wetter, bin ich denn lebensmuede?? Es ist ein eigentlich stinknormales
ueberdachtes Boetchen, nur mit zwei Drachenkoepfchen vorne dran. Die Tour
geht 14 Kilometer auf dem Parfum-Fluss stromabwaerts (glaube ich), vorbei
an zwei Pagoden und den beruehmtesten der zahlreichen Kaisergraeber. Sie
sind wohl Hues Hauptattraktion Nummer zwei nach der Zitadelle. Klar, denn
Kaiser wollen ja nicht irgendwie bestattet warden. Bin jedenfalls sehr
gespannt!
Ich
bekomme einen Plastikstuhl direct an einer Ballustrade, mit Blick auf den
Fluss. Ab 8.30 Uhr knattert der Motor und bei blauem Himmel geht es im
Schneckentempo ueber den von der Sonne schoener geht’s nicht angestrahlten
Strom. Am Anfang hat die Tour leichten Kaffeefahrt-Charakter, da die Familie,
der das Boot gehoert oder die es fuer die Open-Tour-Bueros betreibt, allerlei
kitschige Souvenirs und Stoffe anbietet. Ich stelle einmal mehr fest, dass
90 Prozent der Rucksack-Reisenden hier Paerchen sind. Das Durchschnittsalter
der Bootsbesatzung ist durchaus jung, aber ich bin einmal mehr der einzige
Deutsche und einzige Single.
Egal,
Sonnenbrille auf und rausgucken. Das Wasser ist ruhig, der Gegenverkehr
spaerlich und der Trinkverbrauch hoch. Der Fluss ist in etwa so breit wie
die Ruhr in Muelheim – brauche mich also nicht grossartig umgewoehnen.
Erster Halt Thien-Hu-Pagode, deren Turm within sichtbar ist und auch so
eine Art Markenzeichen der Stadt sein soll. Joa, ganz nett, aber der Zauber
bleibt morgens um 9 Uhr bei mir noch aus. Am interessantesten finde ich
noch einen kaputten Austin, mit dem der Moench Thic Quang Duc 1963 nach
Saigon aufbrach, um sich aus Protest gegen das suedvietnamesische Regime
zu verbrennen.
Einsteigen
bitte und weiter geht’s. Zu einer weiteren Pagode, bei der aber keener
22.000 Dong Eintritt bezahlt – sie ist nicht im Lonely Planet verzeichnet
und hat keinen Stern fuer “sehenswert” im Baedeker erhalten. Keine Ahnung,
warum die auf unserem Tourplan steht. Einfach entspannen und das brillante
Wetter geniessen. Und Nachdenken. Tag Nummer 18 – vor einem Jahr habe ich
zu diesem Zeitpunkt schon meinen Rucksack fuer die Heimfahrt gepackt. Jetzt
blicke ich auf noch eine folgende Woche – aber dann meine letzte. Und das
geht wirklich sehr schnell jetzt.
Das
erste Grab ist erreicht. “50 minutes time”, sagt der Bootfahrer in schlecht
verstaendlichem Englisch. Er muss die Zahl schon aufschreiben. Diese Tour
wird allmaehlich zur Halsabschneiderei. Nicht nur die Eintrittsgelder fuer
die Graeber (jeweils 55.000 Dong/knapp 3 Euro) sind zusaetzlich zu entrichten,
sondern auch Motorbikes, da die moisten Graeber zu weit vom Fluss entfernt
sind. Ein finanzieller Nachteil, aber das bringt auch einige Vorteile:
Wohl zum letzten Mal in diesem Urlaub komme ich in den Genuss, hinten auf
so einem Bike sitzen zu koennen – und be idem Wetter ist das deutlich angenehmer
als die insgesamt vier Kilometer allein zum Grab Tu Ducs zu laufen. Er
regierte von 1847 bis 1883 und damit laenger als alle anderen.
Sagte
ich Halsabschneiderei? Vietnamesen zahlen nur 20.000 Dong Eintritt. Hallo
– Gerechtigkeit?? Doch das Geld ist gut angelegt. Tu Duc hat sich schon
zu Lebzeiten einen richtig grossen Park geschaffen. Mit einem Palast fuer
sich, Haeusern fuer seine 104 Frauen, einem Fluss, das alles von Mauern
umzingelt, und etwas abgelegen seinem eigenen Grab. 16 Jahre lang – heisst
es – hat er in dieser kuenstlichen Landschaft verbracht. Er verfasste Gedichte
(er sei ein Poet gewesen, noch so ein Geruecht), trank Tee, fuhr mit dem
Boetchen und angelte dabei (da sind Fische drin??) und beschaeftigte sich
mit den vielen, vielen Frauen. Was fuer ein Leben… Naja, an der Bevoelkerung
lebte Tu Duc aber mehr als elegant vorbei. Scheiss-Monarchie eigentlich.
Der Eingang zu seinem Grab ist bewacht von einer Armee, in der Stein-Elefanten
einen Platz haben. Ehrenhof heisst das. Hoechst interessant. Hoechst.
Auf
dem Schiff wird das Essen serviert, wenigstens das ist inclusive. Maechtig
viel Reis, gemischtes Gemuese und irgendetwas Fleischartiges steht auf
dem Tisch, jeder kann sich so viel er will in seine Schuessel fuellen,
um dann mit Staebchen zu essen. Ich mach’s nicht perfekt und erst recht
nicht schulbuchmaessig, aber effektiv. Zeit, um ein paar Mitreisende mit
der ueblichen Travellerfrage “Where are you from?” zu konfrontieren. Ein
japanisches Paerchen will alles von allen wissen – total knuffig. Und ein
Paar aus der Schweiz hat ein halbes Jahr frei und schon eine grosse Tour
hinter sich. Angefangen in Neuseeland ging es weiter in Australien, Singapur,
Thailand und nun nach Vietnam. Von Saigon fliegen sie nach Japan. Was das
wohl kostet…
Das
total kitschige Grab des vorletzten und damit voellig wirkungslosen Kaisers
Khai Dinh, das wir schon auf dem Rueckweg passieren, wurde nicht aus Ziegelsteinen
gebaut, sondern aus Beton. Es hat franzoesische Einfluesse (sagt der Baedeker,
wird wohl stimmen) und keinen Park, keinen Fluss, kein Gruen. Dafuer aber
Gold, Gold, Gold. Und einen Ehrenhof. Ganz zum Schluss schauen wir uns
noch an, wie Minh Mang sich selbst hat bestatten lassen, und wenigstens
dieses Grab ist von der Anlagestelle zu Fuss erreichbar. Aber nicht ohne
Schweissmeer. Es ist fuer mich das schoenste, am besten erhaltene Grab
– und wieder in eine ruhige Parkanlage (mit Ehrenhof) mitten im Wald eingebettet.
Keine Frage, ueberlege ich gegen 15 Uhr auf dem langen Weg zurueck, diese
kleine Boetchenfahrt hat sich echt gelohnt.
Bis
zur Abfahrt am Sinhcafe-Buero mit dem Bus nach Hanoi (oh Graus) sind es
noch anderthalb Stunden. Ich verbringe die Zeit im Internet-Café,
bin geschockt, was meine kleine Homepage auch fuer Reaktionen hervorruft
(naja, irgendwann musste das kommen) und aergere mich schwarz. Klar, jede
Art der persoenlichen Homepage, fast alle Arten von Veroeffentlichungen
ueberhaupt sind Selbstbespiegelungen, aber was genau ist daran schlimm?
Und auf Selbstbeweihraeucherung ist diese Seite wirklich nicht angelegt.
Wem’s nicht gefaellt, der soll weiterklicken. Dafuer ist das Internet doch
gut. Aber so ist’s. Die einen finden’s gut, die anderen lachen drueber.
Dann hole ich meinen Rucksack und verschwinde. Sage einer weiteren Stadt,
dem sechsten Hotel in 18 Tagen “Adieu”. Antje sehe ich nicht und wohl nie
wieder.
Wie
wird wohl die zweite Nachtfahrt?? Um 17 Uhr bin ich erleichtert: Der Bus
sieht deutlich angenehmer aus, ich erhalte einen Fensterplatz, das Gefaehrt
ist halbleer und deshalb sitzt niemand neben mir. Und es klappt sogar,
den Stuhl in Liegeposition zu bringen. Das wird eine ruhige Fahrt.
Und
zu Beginn sogar eine traumhafte. Wir haben den Sonnenuntergang auf dem
630 Kilometer langen Weg in den Norden Vietnams in die Hauptstadt Hanoi
genau vor uns, genau im Blick. Ich wechsle die CD’s im Fuenf-Minuten-Takt,
bin begeistert. Der Busfahrer ist der mit Abstand Beste bisher, voellig
entspannt, hupt selten und wenn, dann aeusserst leise.
Wir
halten wie schon gestern eine halbe Stunde lang in Dong Ha in der DMZ,
fuer umgerechnet einen Euro kriege ich ein komplettes Abendessen (Nudeln
mit irgendwas Fleischigem und eine Cola – bis jetzt hatte ich noch keinen
Durchfall, toitoitoi) und bei der Rueckkehr in den Bus der Schock: WAS
IST DAS? In Dong Ha sind so viele zugestiegen, zumeist Geschaeftsleute,
was gute Klamotten und Aktenkoffer verraten, so dass der Bus ploetzlich
pickepackevoll ist. Vorbei ist’s mit der Ruhe, ich bekomme eine Nebenfrau.
Wenigstens der Fensterplatz bleibt. “Ich seh’ den Sternenhimmel”, diesen
Hubert-Kah-Klassiker aus der neuen deutschen Welle habe ich nicht dabei
– und doc him Ohr. Zum ersten Mal sehe ich in Vietnam die vielen, vielen
kleinen, weissen, hellen Punkte am Himmel und mal mir sonstwas aus. Wie
immer bei diesem Anblick vergesse ich alles. Den ganzen Homepage-Aerger,
den Stress der Koenigsetappe und die Gedanken daran, dass mein Urlaub nur
noch eine Woche dauert und dann volle Breitseite der Arbeits- und Uni-Hausarbeits-Alltag
beginnt.
Heute hoere ich noch den Kirmes-Techno der 90-er und versuche dabei einzuschlafen. Bei der ersten Nachtfahrt hat es schliesslich auch geklappt.
19. Tag
Samstag, 6. August 2005
Hanoi
Ho-Ho-Spitzenreiter
Auf
diesen Triumph, auf diesen Tag, goenne ich mir ein etwas feineres Essen,
hier in einer Nebenstrasse der schoenen Hanoier Altstadt. Teuer heisst
nicht drei Euro, sondern sechs, heisst Cocktail statt Cola. Viel Reis,
Huehnchen, Sosse, ein bisschen hungrig, ein bisschen gierig schaufel ich
es in mich hinein - und mit dem VfL-Spiel hat mein Alltag wieder angefangen.
Ein wenig. Ein bisschen. Seit heute Morgen, seit der Ankunft hier in Hanoi,
ist alles Zugabe, siehe gestern, siehe Koenigsetappe. Die Ha-Long-Bucht
morgen und uebermorgen soll noch einmal ein Riesenhighlight werden, doch
nicht an die Arbeit zu denken, nicht an die Uni, wird wohl schwierig bis
unmoeglich. Mit der Ankunft hier, mit Beginn des 19. Tages, mit Beginn
der letzten Woche laeuft der Sand. Ab.
Es
ist morgens, frueh morgens. Irgendwas stubst mich an und will zurueckschlagen.
Alles tut weh, wieder, kann nicht wahr sein. "Go out! Finish here!", sagt
jemand, als ich der letzte im Bus bin. Entfuehrung oder was? Ein Blick
auf die Busuhr verraet, dass es 5.20 Uhr ist. Und wir vor dem Prince-Hotel
in Hanoi stehen. Hanoi? Bis der Groschen faellt, ist es um mich herum leer
und der Bus weitergefahren. Ach sooo, wir sind schon in Hanoi...? Fruehestens
7 Uhr war angekuendigt, 5.20 Uhr ist's. Der Fahrer war also nicht nur gut,
sondern auch verflucht fix unterwegs.
Vom
ueberraschenden Aufstehen nach einer sehr, sehr kurzen Nacht geraet mein
Kreislauf so durcheinander, dass ich das tue, was ein Vietnam-Traveller
eigentlich nie machen sollte. Ich miete ein Zimmer im Sinhcafe-Hotel, handele
den Typen im Halbschlaf vom 20-Dollar-Wucher auf 15 runter, wahrscheinlich
immer noch zu viel. Schmeisse mich dann auf's Bett und penne. Schlafe in
den Tag hinein. Sleeping my day away in Ho-Ho-Onkel-Ho's City. Um kurz
nach halb zwoelf erwache ich, das Licht ist noch an und ich hab es scheinbar
nicht einmal geschafft, mich vernuenftig auszuziehen. Mein Kreislauf faehrt
immer noch Achterbahn, als ich im TV die "Deutsche Welle" entdecke und
die Bayern-Tore beim 3:0 gegen Gladbach in der Sendung "Bundesliga
Kick-Off" sehe. Zweimal Makaay, freut mich, den habe ich im Kicker-Spiel
gekauft.... ZACK, und da hat es mich wieder, das deutsche, das Muelheimer
Leben. Doch wenn ich mich auf eins freue, dann auf meine Freunde. Ein Abend
mit Pizza von Giovanni, einfach nur Spielen, in einen Biergarten gehen
oder Darten - das fehlt mir schon sehr. Doch ich ertappe mich auch beim
Gedanken, was ich wohl am Montag nach meiner Rueckkehr erledigen muss.
Spaeter.
Schnell duschen, um halb eins den Ha-Long-Trip buchen und dann Hanoi. Vorerst
bleibt mir Hoi-An-maessig nur ein halber Tag fuer diese 1,1-Millionen-Einwohner-Hauptstadt
Vietnams. Von 18 bis 20 Uhr ist der VfL-Ticker fest gebucht und danach
gehe ich in die Heia - des Nachtbusses wegen und weil am Ha-Long-Tag der
Wecker schon wieder um 6.25 Uhr klingelt.
Erst
einmal setze ich mich in ein Cafe neben dem Hotel, esse einen Pancake,
trinke Wasser und erkundige mich, wo das Hotel ueberhaupt liegt. In meinem
Nachtbus-Delirium ist das vollkommen mit mir durchgegangen. Moeglich also,
dass ich in einem Vorort gelandet bin. Ahaaaa, da sind wir. Zum Glueck
doch sehr zentral.
Aber
was heisst schon zentral? Seitdem ich mich mit Hanoi beschaeftige, weiss
ich, dass diese Stadt kein wirkliches Zentrum hat. Sondern ein einziges
Zentrum ist. Und in diesem geballten Chaos doch wieder in idyllisches Doerfchen
zu sein scheint, glaube ich schon nach dem ersten gelaufenen Meter. Wichtigste
Viertel, erfahre ich beim Blick auf den Stadtplan, sind die Altstadt (Old
Quarter) mit vielen kleinen Gaesschen und noch mehr Laeden und herzerfrischenden
Bruellern und Reinholern. Das habe ich mir fuer den Abflugtag vorgenommen,
wenn es heisst: Shoppen! Daneben waere da noch das Franzoesische Viertel,
in dem einst die Kolonialherren lebten, und heute noch Villen und Oper
franzoesischer Bauart rumstehen. Das, beschliesse ich, kann ich heute streifen.
Im politischen Zentrum gibt es das Ho-Chi-Minh-Mausoleum, Ho's Wohnhaus,
Ho's Museum und das Parlament. Alles Pflicht, mache ich am Tag nach der
Rueckkehr von der Bucht. Verbunden wird das alles durch den Hoan-Kiem-See.
Zu dem will ich. Und merke, gegen eins, dass es heute nur schuebeweise
vorwaerts geht. Laufen, heiss, setzen, laufen, heiss, setzen, schwitzen.
Immer weiter. Und doch Hanoi geniessen. Vielleicht mag es daran liegen,
dass ich schon zwoelf Vietnamtage absolviert habe, aber den Verkehr empfinde
ich als geradezu beschaulich im Vergleich zu Saigon (diese beiden Staedte
werde ich wohl noch haeufiger vergleichen, schwant mir). Ein englischer
Tourist nicht . "What do you think about the traffic?", fragt er und sagt,
dass er deshalb fast verrueckt wird. Als ich entgegne, gegenueber Saigon
sei das Erholung, schaut er boese.
Die
Strassen sind enger. Das ist mein allerzweiter Gedanke. Ich komme besser
klar mit dem Stadtplan, wenn ich mir vorher feste Wege einpraege (so mache
ich das in grossen, mir unbekannten Staedten), dann komme ich auch an und
muss nicht noch dreimal nachschlagen wie in Saigon. Dort sind selbst Gaesschen
fast grosse Boulevards, aber da mussten ja auch die Ami-Schlitten durch.
Es ist enger, gemuetlicher, See und der Rote Fluss (Red River) sind schnell
erreichbar, also auch ein wenig romantischer. Und jeder nimmt durch die
Enge mehr am Hanoier Leben teil. Nur eine Fahrradstadt wie vor ein paar
Jahren noch ist Hanoi nicht mehr. Auch hier hat das Mofa alles andere abgeloest.
Bei
ziemlich grossartigem Wetter platziere ich meinen Kopf einen Zentimeter
unter einem Ventilator in einem Cafe am See. Gross ist der nicht, aber
er liegt genau am richtigen Fleck. Zu Fuss ist er aus allen wichtigen Ecken
der Stadt in zehn Minuten erreichbar. Und tatsaechlich: Auf den Baenken
liegen Leute zur Entspannung, zum Nickerchen, hier ruht die Stadt, hier
ruhe ich, hier gefaellts mir. Die Besichtigung des Jadetempels schenke
ich mir - der liegt auf einer klitzekleinen Insel im See. Die Bruecke ist
schon malerisch genug. Knips und weg. Knips und weg gilt auch fuer die
Oper im "French Quarter". Da ich nie ein Architekt werden wollte, kann
ich ausser "sieht wirklich an einigen Stellen so aus wie in Paris" nichts
zu den Haeusern beitragen.
Hier
ist von Bangkok zum Glueck keine Spur. Kein Skytrain, kein Expressboot,
keine U-Bahn, nicht mal eine in Planung und nur ganz ganz wenige Wolkenkratzer,
die auch allenfalls den Namen Hochhaeuser verdienen. Es gibt Cyclos, Mofataxis,
normale Taxis oder Stadtbusse - aber um das Netz zu verstehen, muss man
schon Einstein heissen.
Ich
beginne schon gegen 17 Uhr, Hanoi richtig zu moegen und zu geniessen. Etwas
ausserhalb von allen Vierteln liegt der aeusserst sehenswerte Literaturtempel,
mein letztes Ziel fuer heute. Das ist das konfuzianische Hauptheiligtum
Vietnams, die erste Uni einst im 11. Jahrhundert. Der ganze Tempel besteht
aus fuenf Hoefen und umfasst zum Beispiel Stelen (auf steinerne Schildkroeten
sind die Absolventen eingemeisselt, und die Pruefung war wohl sehr schwierig),
eine Zeremonienhalle in Rot-Gold und im Sanktum eine Konfuzius-Statue.
Ein bisschen unheimlich, aber doch in gewisser Weise ein total ausgeflippter
Ort.
Meine
letzte Pause lege ich vor der Lenin-Statue ein, die direkt am Zitadellen-Gebiet
Hanois liegt. Und beobachte den Platz davor. Total klasse. Viele spielen
Badminton, konzentrieren sich bei Tai-Chi-Uebungen und zehn Kerle, Jung
und Alt, stehen im grossen Kreis und schiessen sich einen Fussball zu,
halten ihn hoch. Naja, keinen grossen Fussball, eher einen kleinen, aber
auch nicht aus Leder und nicht mit Luft gefuellt, sondern eher plastikartig.
Ich darf auch mitmachen. Fuenf Minuten lang. Dann geht's zum VfL.
Beim
Essen habe ich mir viel Zeit gelassen. Es ist kurz nach Mitternacht, gerade
habe ich die Bundesliga-Ergebnisse bei der "Deutschen Welle" gehoert und
den Rucksack gepackt. Bitte, Ha-Long-Bucht, bitte befreie mich noch einmal
fuer zwei Tage aus der Umklammerung des Alltags. Das einzige, was mich
dann an Deutschland erinnern soll, ist der Sprechchor "Spitzenreiter-Spitzenreiter-HEYHEY!"
20. Tag
Sonntag, 7. August 2005
Hanoi -> Cat Ba (Ha-Long-Bucht)
Lou Reed laesst gruessen
So
ein Scheiss. Schon wieder auf einen Bus warten. “Stehen Sie um 6.30 Uhr
auf”, hat der Typ an der Rezeption
fast im Befehlston gesagt, gestern Abend
noch. Damit ich bis 7.30 Uhr fertig bin mit dem Fruehstueck und sofort
in den Bus Richtung Ha-Long-Bucht einsteigen kann. Wann war ich fertig
mit meinen zwei Toastscheiben (wenigstens getoastet) und den fuenf Melonenscheiben?
7.15 Uhr. Und wie spaet ist es jetzt? Kurz vor acht. Sinhcafe ist rund
um Saigon wirklich um Laengen besser organisiert und deutlich zuverlaessiger.
Naja, waehrend der Typ von der Rezeption vietnamesische Soaps guckt, so
frueh am Morgen, bleibt mir genug Zeit, um im Reisefuehrer die Entstehungsgeschichte
der vielfach hochgelobten, von der UNESCO als Weltkulturerbe anerkannten
Bucht (Erbe ist hier uebrigens fast alles, wie mir scheint) nachzulesen.
Die Ha-Long-Bucht liegt 160 Kilometer oestlich von Hanoi und besteht aus
ueber 3000 Inseln, meist Felsen mit durchaus ueppiger Vegetation. “Ha Long”
heisst aufsteigender Drache, und die Landschaft entstand – so die Sage
– als ein Drache den Vietnamesen beim Kampf gegen den Feind half und mit
dem Schwanz die Berge spaltete. Nuechtern und streng wissenschaftlich betrachtet
ist aber in den letzten Millionen Jahren das Kalkgestein an der Kueste
“nur” vom saeurehaltigen Wasser zersetzt worden. Es bildeten sich Spalten
und Kluefte, in denen das Wasser versank und immer noch versinkt. Durch
die hoeheren Temperaturen schritt und schreitet der Stoffumsatz eben schneller
voran als ueberall sonst auf der Welt.
Kapiert?
Noe? Ich muss es auch einfach live sehen. Es soll so spektakulaer sein,
so einzigartig, noch keine negative Stimme ueber diese Tour gehoert; zwei
Tage nur; “viiiiel zu wenig” sagten alle, denen ich das hier erzaehlt habe.
Aaaah, der Bus kuett…
Es
ist ein Mini-Bus, 16 Sitze, der in ganz Hanoi Leute einsammelt. Irgendwo
im “French Quarter” steigt eine fuenfkoepfige Familie zu, vom ersten Moment
an unverkennbar aus Sueddeutschland, vermutlich Schwaben. Sie erkennen
mich “Gleichsprachigen” am VfL-Trikot (das ich heute natuerlich doppelt
gerne und dreifach so stolz trage) und ein interessantes Gespraech entsteht.
Die Kinder, zwischen 7 und 15, heissen Josephine, Hannah und Felix, und
zwar genau in dieser Alters-Reihenfolge, sie redden ihre Eltern mit den
Vornamen Jochen und Ulrike alias Uli an. Die Eltern erzaehlen von ihren
zahlreichen Reisen, als die Kinder noch nicht geboren waren, zum Beispiel
von ihrem dreimonatigen Aufenthalt in Indien, als es nicht moeglich war,
zu Hause anzurufen, nicht einmal, um der Mama zum Geburtstag zu gratulieren.
“Und heute”, sagt Jochen, “kann ich hier in Vietnam im Internet die ‘taz’
lessen.” Hoerthoert, fuer Schwaben machen sie einen knallermaessig alternativen
Eindruck. Wir reden ueber den Kommunismus, der hier ja laut Staatsform
noch immer existiert. Nein, vielmehr darueber, dass er in Vietnam so ganz
und gar nicht present ist. Kaum Parolen auf Waenden und Haeusern (vielmehr
sehr viele Plakate, die auf die AIDS-Gefahr hinweisen und Kondome “ans
Herz” legen), keine finster dreinblickenden Soldaten, nichts Graues – dafuer
ist dieses landschaftlich faszinierende Land viel zu bunt. Naja, so mancher
sozialistische Wohnblock steht hier rum, Ho Chi Minh ist ohnehin in allen
Formen praesent (das ist in Europa und den USA kein ehemaliger Staatschef).
Und es gibt weder Mc Donalds noch Burger King. Das ist ein sehr sicheres
Zeichen, dass der Kapitalismus noch nicht angekommen ist in diesem Land.
An meinem 20. Reisetag spiele ich erstmals den Tippgeber, denn die Schwaben
sind gerade erst angekommen und reisen von Hanoi nach Saigon. Ich erzaehle
von Hue, Hoi An, spucke auf Nha Trang, fasse das aber mit den Worten “grossartiges
Reiseland” zusammen. Wenn auch am Anfang etwas gewoehnungsbeduerftig, wie
in in einem Nebensatz noch anmerken muss – vor allem, was die vielen Mofas
angeht. Und ans Fruehstueck habe ich mich immer noch nicht gewoehnt.
Himmelarschundzwirn,
ist das chaotisch organisiert. Um 9.40 Uhr halten wir vor einer total haesslichen
Markthalle mit allerlei Geschaeften – so wie alle Minibusse (so um die
25 werden’s sein – mit dem Ziel Ha-Long-Bucht. Ein unglaubliches Gedraenge
und Durcheinander. Mit viel Glueck finde ich meinen Bus wieder, als es
nach 45 Minuten “Let’s go” heisst. Die Fahrt geht durch die Vororte Hanois,
die ineinander ueberzugehen scheinen, durch Vietnams viertgroesste Stadt
Haiphong bis nach Ha-Long-Stadt. Die liegt auf dem Festland und besteht
aus einigen nebeneinander liegenden Doerfern. Dort heisst es ein zweites
Mal “Alle aussteigen!!!” und der Fahrer uebergibt uns anderen Guides. Im
Hafen stehen mehrere Boote nebeneinander, und unsere Busbesetzung wird
scheinbar wahllos und wild verteilt. Wer behaelt da den Ueberblick?? Die
schwaebische Familie bleibt drei Tage in der Bucht und kommt in ein anderes
Boot. Tschoeoeoeoe! Um Punkt 12 Uhr, als es zu donnern beginnt und ich
erstmals nach einer Woche wieder Regentropfen sehe und spuere (32 Grad
sind trotzdem), schmeisse ich mein Gepaeck in den Speisesaal eines dieser
Boote, auf das ich hinaufgelotst wurde, warum auf immer. Oben befindet
sich das Aussichtsdeck, unten die Zimmer. Dabei hatte ich mich fuer eine
Uebernachtung im Hotel entschieden!?! Egal!
Noch
sind die Felsen lediglich am Horizont zu erkennen, der Hafen ist noch praesenter.
Das hier ist uebrigens Vietnams Kohleregion, wie ich nachgelesen habe,
heute Morgen im Hotel – und das moegen wir Ruhrpottler doch besonders.
Die Schiffscrew deckt zum Mittagessen (inklusive!) auf. Ich werde an den
Tisch zweier englischer Paerchen gebeten, die Herren (Roger und Marshal)
sind in Rente, die Frauen (Becky und Lizzy, ganz klassisch) waren ohnehin
nur fuer Haushalt und Kinder zustaendig. Aber alle sehr nett. Ein bisschen
nervoes bin ich, weil meine Englisch-Kenntnisse fuer diese Art der Konversation
(mit absoluten Profis) definitiv nicht ausreicht. Aber um mich ueber das
Fruehstueck zu beschweren, reichen meine Vokabeln. Das Mittagessen hingegen
ist gigantisch. Jeder der Fuenfer-Tische bekommt viele Schuesseln, ob Reis,
Huehnchen, Gemuese, Sossen, Fisch, Seafood – jeder schlaegt zu. Unfassbar.
Mitten im Regen, der wie ein Vorhang fuer das Theaterstueck des Jahrzehnts
wirkt, tauchen erste Kalktuerme auf. Es wird klasse. Es wird. Bestimmt.
Puenktlich
zum letzten Bissen klart der Himmel auf und die ganze wunderbare Pracht
liegt vor uns, neben uns, fast ueber uns.
Es
ist grossartig.
Nicht
zu beschreiben.
Maerchenhaft,
zu schoen, um wahr zu sein, fantastisch, unglaublich. Wir setzen uns auf
Liegestuehle oben auf dem Deck, platzieren unsere nackten Fuesse auf dem
Gelaender und schauen. Das ist besser als Fernsehen. Tausendfach. Besser
als fast alles. Wuerde ich noch trinken, ich haette in diesen Momenten
einen Schnaps gebraucht. Einen guten. Den besten. Das sind die Stunden,
fuer die du dich ein ganzes Jahr lang abrackerst. Das sind die Minuten
Urlaubs-Gaensehaut, die dir keener mehr nehmen kann, das sind die Sekunden,
die im Alltag nichts zu geben vermag. Mal verharrt das Boot auf derselben
Stelle, mal bewegt es sich leise inmitten dieser 3000 kleinen Berge. Hier
leben aufgrund der Vegetation viele seltene Tierarten, sogar Hochseefische.
Hoffentlich bleibt das auch so, trotz der Touriboote, die schon jetzt zahlreich
fahren. Ich befuerchte Schlimmes, denn bald kommen bestimmt die Expressboote
und Wasserski-Spezialisten. Hilfe. Es klingt fast wie im Zoo hier, so laut
zirpt, quietscht, pfeift und bruellt es. Doch es ist real. Natur. In kleinen
Felsluecken sind Fischerfamilien zu sehen, die seit Jahrzehnten hier leben.
Und es geht um die Kurve und nochmal, und es bleibt immer spektakulaer,
brilliant. Das schreit nach Pink Floyd und Foo Fighters’ “Everlong”, mein
Lied fuer besondere Momente. Zwei Paerchen haben “Kajak fahren” mitgebucht.
Sie werden aufs Wasser gelassen, unser Guide springt zum Schwimmen hinterher.
In einem anderen Boot 200 Meter weiter haengen durchweg junge Leute ab.
Sie haben eine andere der zahlreichen Varianten gebucht, naemlich ein tagelanges
Bootleben. Rechts von uns liegt ein Strand. Und ins Innere der Felsen werden
wir auch gelassen, naemlich in die Hang-Thien-Cung-Hoehle voller effektvoll
angestrahlter Stalagmiten und Stalaktiten.
Diese
Hoehle durchquere ich mit einem aussergewoehnlich netten australischen
Paar, das aber kein Paar mehr ist – und trotzdem noch gemeinsam verreist.
Sie duesen ebenfalls von Hanoi nach Saigon und sind noch am Beginn der
Reise. Ich erzaehle ihnen, dass die Bucht ein bisschen was von Norwegens
Fjordlandschaft hat. Aber eben nur ein bisschen. Die Beiden steigen in
der Liste meiner Urlaubsbekanntschaften von Null auf Eins. Ihnen gebe ich
meine Mail-Adresse und ich erhalte tausendprozentig eine Antwort. Wieder
auf dem Boot schuetten sie – als haetten sie meine Gedanken gelesen – sich
einen Schnaps ein. Und mir gleich mit. In einem unbeobachteten Moment tausche
ich ihn gegen Wasser aus. Abzulehnen bringe ich nicht uebers Herz. Yeah,
ich habe gute Freunde in Australien. Wenn das kein Grund ist…
Um
17 Uhr werden wir aber jaeh getrennt. Ausser mir pennen alle auf dem Schiff
(ich sag’s ja: 1000 Moeglichkeiten), manche – wie die Australier – bleiben
drei Tage. Ich werde ein letztes Mal abgeschoben, steige um auf hoher See.
Gleich sechs Leute, vier Briten und zwei Australier, stehen an der Bruestung
und rufen: “Bye Andy!” “Bye, my friend”, ergaenzt der Australier. Ein Moment
zu schoen um zu heulen.
Den
Rest des Tages nehme ich nach dieser Urlaubs-Sternstunde kaum noch wahr.
Auf Cat Ba Island, der groessten Insel der Bucht, ist das Hotel das schlechteste
des Urlaubs, das Abendessen nur mehr als durchschnittlich, die Internet-Cafes
alle unglaublich langsam, die Klimaanlagen laut und hier gibt es keine
Geldautomaten, so dass ich mir auf der Rueckfahrt morgen kaum noch ein
Wasser leisten kann. Telefonisch lasse ich mich am 20. Tag erstmals ausfuehrlich
und in aller Breite ueber die beruflichen Geschehnisse in Muelheim informieren.
Ein leichter Hauch von Alltag.
An
Tagen wie diesen ist all das egal, spielt keine Rolle. An Tagen, an denen
ein weiterer “Happy Place” auf meine Liste kommt. Solche Traumziele, an
die jeder in den suessesten Traeumen zuerst denkt und dann, wenn zu Hause
gar nichts zu gelingen scheint. Davon gibt es nicht viele. Bei mir ist
es Bochumer Ruhrstadion, klar. Und im Ausland das Nordkapp und der Geirangerfjord,
jeweils in Norwegen, Israels Davidsquelle am Toten Meer, das Rote Meer
in Aegypten, Stockholm in Gaenze sowie einsame Seen in Finnland und Schweden.
Und
nun auch die Ha-Long-Bucht.
21. Tag
Montag, 8. August 2005
Cat Ba (Ha-Long-Bucht) -> Hanoi
Das Ende des Fiebers
Hinter
mir liegt eine solide Nacht in meinem siebten Hotel dieses Urlaubs. Das
war aber nur eine ueberdachte Bettdecke ohne jegliche Art von Komfort –
trotz des geringen Preises bin ich scheinbar anspruchsvoll geworden, eigentlich
war das Preis-/Leistungsverhaeltnis voellig okay. Mein Magen hat gerade
nicht besonders viel Arbeit, denn das Fruehstueck (noch sechs Tage bis
zu meinen Cornflakes und einem Schoko-Croissant egal von welcher Baeckerei)
bestand aus zwei Mini-Baguettes mit einem Mini-Klecks Marmelade und einer
Banane. Aber das ist ja immerhin inclusive… Und vor mir liegt eeeeendlich
der eeeeendgueltig letzte Tag, an dem ich laenger als drei Stunden im Bus
sitzen muss. Es gibt so viel zu sehen in Vietnam, fast jeder Blick aus
dem Fenster bringt eine neue Entdeckung oder gruene, schier endlose Reisfelder,
schwer beladene Frauen mit Kegelhueten auf dem Kopf, typisch kleine Haeuser,
also duenn, aber lang und Mofas. Mofas, Mofas, Mofas. Mit einem Fahrer,
zwei, drei oder auch mal einer vierkoepfigen Familie im dicksten Verkehr.
Doch all das bin ich allmaehlich wirklich satt, immer nur aus dem Fenster
zu sehen. Genug gesessen. Wem immer ich in den letzten Tagen von meiner
Tour erzaehlte – und alle Traveller tauschen sich regelmaessig aus – der
reagierte erstaunt, wie schnell ich die Sued-Nord-Tour durchgezogen habe,
in nur 16 Tagen. Keine Luft zum Atmen, das war scheinbar das Besondere
an meiner Single-Tour. Die anderen waren moistens mindestens als Paar unterwegs
und/oder gleich durch ganz Suedostasien. Oder mindestens drei Netto-Wochen.
Auf
dem Schiff werde ich noch einmal ein bisschen an den grossartigen gestrigen
Tag erinnert. Es ist dasselbe, das ich gestern verliess, derselbe Guide,
aber etwas andere Besatzung. Die Australier fehlen leider, die britischen
Paerchen sind aber dabei. “Hey Andy”, sagen, nein singen sie fast quietschvergnuegt
am Morgen. Sie hatten scheinbar eine ruhige Nacht an Bord. Neben mir sitzt
im Speisesaal ein Paerchen, das in Singapur wohnt und arbeitet, aber eigentlich
aus Japan (sie) und England (er) stammt. Sie haben ein verlaengertes Wochenende
zu einem Abstecher in die Ha-Long-Bucht genutzt – diese Moeglichkeit haette
ich auch gern… Von Singapur ist’s nicht weit! Ein Schwede, der links neben
mir sitzt, erzaehlt von einer durchzechten Nacht in einer Karaokebar auf
Cat Ba. Und seinen Kater. Er freut sich auf Nha Trang. So kann man natuerlich
auch durch Vietnam reisen… von Bar zu Bar und zwischendurch ein bisschen
was sehen!
Noch
einmal geht es durchs Paradies, noch einmal durch die Zoo-Geraeusche. Noch
einmal Sonnen an Deck, noch einmal Eindruecke wie Drogen in die Vene spritzen.
Ein Happy Place, ich sag’s ja. Doch mit jedem Meter, den wir uns der Kueste
naehern, mit jedem Meter, mit dem wir uns von Cat Ba entfernen und Ha-Long-Stadt
klarer am Horizont zu erkennen ist, desto schneller sinkt mein Reisefieber.
Ich bin heute seit genau drei Wochen unterwegs und nun habe ich wirklich
alles gehabt und gesehen, was ich wollte. Alles hatte ich, sogar bis zum
Reise-Hoehepunkt-Tag. Fuer Hanoi morgen gibt’s noch einmal ein dichtes
Programm mit dem Highlight Ho Chi Minh-Mausoleum, aber wie ich die zwei
Tage im zurzeit (laut Wetterbericht) regnerischen und gewittrigen Bangkok
rumkriegen soll, ist mir ein Raetsel. Ab uebermorgen verschwinden die Vietnam-Reisefuehrer
wieder im hintersten Rucksack-Eck. Und Bangkok ist wieder “in”. Aber auch
nur in diesem Punkt.
Nach
zwei Stunden haelt das Boot an. Der Himmel ist blau, die Sonne brennt so
sehr, dass ich es vorziehe, im leeren Speisesaal zu bleiben, um nicht mit
einem Sonnenbrand heimzukehren. Ploetzlich haelt das Boot. Der Guide joggt
ueber alle Etagen des Bootes und fordert uns zum Schwimmen auf. Mist, ich
habe meine Badeshorts natuerlich nicht dabei – andere dafuer schon. Und
sie huepfen vom Deck des Bootes, mindestens zwei Meter hoch, mitten ins
Nass. Muss das herrlich sein. Ein wenig neidisch blicke ich aus dem Saal
durchs Fenster nach unten. Und schmunzle ein wenig, als ein Calmund-Verschnitt
ungewollt eine Arschbombe hinlegt (endlich einmal das Wort “Bombe” nicht
im Zusammenhang mit den USA verwendet…). Nach zwanzig Minuten brettert
das Boot weiter und ich erwische mich dabei, wie ich in meinem Notizblock
die Tage von Sonntag bis Dienstag durchplane. Ich will ja nicht ganz unvorbereitet
heimkehren. Ein bisschen schade ist’s aber schon.
Zwischen
12 und 17 Uhr passiert nichts. In einem Restaurant in Ha-Long-Stadt bekommen
wir dasselbe Buffet aufgetischt wie am Tag zuvor auf dem Boot. Das ist
natuerlich immer noch toll, aber diesmal habe ich keinen Hunger und der
Ueberraschungseffekt ist natuerlich weg. Da ich auf Cat Ba keinen Geldautomaten
finden konnte (und hier auch nicht), reicht mein Geld nur noch fuer einen
halben Liter Wasser (die Getraenke sind nicht inclusive). Ich kille die
Flasche in zwanzig Sekunden und befuerchte, innerhalb der naechsten Minuten
an Fluessigkeitsmangel zu kollabieren. Und dann wieder im Bus sitzen. Zum
letzten Mal gequetscht in einem engen Sitz, Discman hoeren, rausschauen.
Eine Pause zwischendurch bringt eine gute Traveller-Erfahrungs-Zusammenfassung.
Wieder halten alle moeglichen Busse zeitgleich an einer (diesmal anderen)
Markthalle und dort begegnet mir ein Paerchen, das ich bei der Cu-Chi-Tour
erstmals traf (“damals” muss ich fast schon schreiben) und der Mitte-40-Australien
aus der DMZ-Tour rund um Hue. Sehen und gesehen werden. So eine Rucksackreise
macht schon Spass.
Um
17 Uhr werde ich direkt am Prince Hotel rausgelassen, die gewiss schoenste
Tour, aber gewiss nicht bestorganisierte geht zu Ende. Der Tag ist natuerlich
kaputt, denn in einer Stunde beginnt hier in Vietnam schon die Daemmerung.
Noch was zu unternehmen, ist also zwecklos. Im Hotel bekomme ich nun Zimmer
402 in der vierten Etage – dort stinkt leider die Klimaanlage. Meinen ersten
Eindruck aus Hanoi, den beschaulichen, muss ich etwas revidieren. Bei der
“Reinfahrt” ueber die Bruecken des Roten Flusses schien das Verkehrschaos
Saigoner Ausmass zu nehmen. Und der Highway, zweispurig ausgebaut, hat
durchaus Metropolencharakter. Doch bei meinem lieblichen, fast romantischen
Gefuehl, das mich beim Durchschreiten der Altstadtgassen beschleicht, bleibe
ich. Wort fuer Wort. So etwas gibt es in Saigon nicht. Im kosmopolitischen,
sehr bangkokwestlich orientierten, gewollt hektischen Saigon. In den Gassen
schlendern, das mache ich ab 17.30 Uhr. Ich setze mich wie gestern ins
Cafe am See, schaue der Sonne bei der Untergangsarbeit zu, gehe italienisch
essen (einmal Pizza pro Woche als Abwechslung zum Reis muss einfach sein)
und schlendere. Schlendere und schlendere. Wenigstens noch ein bisschen
genutzt, diesen Tag.
Mit
einer kleinen Tumultgeschichte findet der sein Ende. Jetzt gerade, waehrend
ich diesen Eintrag im Original-Tagebuch verewige, ist hier im Hotel die
Hoelle los. Es gab drei, vier laute Knaller, als wenn ein Fernseher explodiert
waere oder so etwas, dann Sirenengeheul und zwei Stromausfaelle. Bin mal
gespannt, was sich hier ereignet hat.
Ich erfahr’s morgen. Wenn ich wieder dem Morgenrot entge-he-gen laufe.
22. Tag
Dienstag, 9. August 2005
Hanoi
Aber hier leben?
Jetzt
aber schnell, hurry up, leg einen Zahn zu. Ohne gestern Abend gross nachzudenken,
habe ich meinen Wecker auf 8 Uhr gestellt. Ich stehe voellig uebermuedet
um 8.30 Uhr auf, da faellt mir wieder ein, dass das Ho Chi Minh Mausoleum
nur bis 10.30 Uhr geoeffnet hat und man auch noch sehr lang anstehen muss.
Schnell geduscht, in die Klamotten geschmissen, an der Rezeption nach der
Ursache des naechtlichen Trubels gefragt (Loesung: Direkt nebenan war ein
kleiner Brand), auf das naechstbeste Mofataxi geschwungen und ab dafuer.
So komme ich doch noch einmal in den Genuss dieses mobilen lebensmueden
Services. Schnell kutschiert mich der Typ zum Mausoleum und um 9.45 Uhr
ist die Schlange immer noch riesig. Das klappt nie. Meine Tasche samt Kamera
muss ich an der Rezeption abgeben. Aus dem Baedeker habe ich ohnehin schon
alles auswendig gelernt, dann kann ich den direkt in der Tasche lassen.
Ho Chi Minh wollte das gar nicht. Er wollte verbrannt werden und dass seine
Asche in drei Urnen (sinnbildlich fuer Norden, Zentrum und Sueden) verteilt
wird. Stueck fuer Stueck ruecke ich, rueckt die ganz lange Reihe voran,
alle zwanzig Sekunden frage ich meinen Vordermann nach der Zeit. Es wird
knapper. Und dann ist es soweit. Der graue, ungemein haessliche und ueberdimensionierte
Betonklotz taucht vor mir auf. Alle paar Meter steht ein Soldat der Ehrengarde,
in Weiss gekleidet und jeder kontrolliert stichprobenartig, obwohl es schon
eine Security-Station a la Flughafen gab. Reden ist strikt verboten, Shorts
bei allen oder zu hautenge Kleidung bei Frauen ebenfalls. Eine freie Schulter
– pfuuuuiii… Jemand, bei dem das Handy im unguenstigen Moment klingelt,
wird rausgeholt. Hihi, Pech gehabt.
Erstmals
in meinem Leben sehe ich eine Leiche, denke ich und tupfe mir den Schweiss
von der Stirn. Obwohl es noch frueh am Morgen ist, betragen die Temperaturen
schon weit ueber 30 Grad. Um 10.26 Uhr, puuuh, puenktlich, betrete ich
das eisgekuehlte Mausoleum. 20 Jahre lang stand in diesem die einzige Klimaanlage
Vietnams, also – nach Adam Riese – bis 1995. Ich will besser nicht wissen,
wie die das in dem Land ohne Aircondition ausgehalten haben. Still ist
es, ganz still, nur das Trapsen der Schuhe ist zu vernehmen. Nur hier blacken
die Soldaten wirklich finster drein. Der entscheidende Raum. Im Gaensemarsch
schleichen wir in U-Form um den glaesernen Sarg herum, in dem Ho einbalsamiert,
anzugtragend, mit geschlossenen Augen, angestrahlt wird. Das war mal ein
Mensch?? Er sieht original aus wie eine Wachsfigur von Madame Tussaud!
Aber original. Und doch ist es ein faszinierendes, unvergessliches, stimmungsvolles
Erlebnis. Obwohl sich Vietnam Richtung Kapitalismus und Konsum bewegt,
obwohl Ho sein Land kaum noch wiedererkennen wuerde und er so manch kritische
Entwicklung beobachten muesste (sein Wunsch ”wir werden das Land tausendfach
schoener aufbauen als es je war” ist nur bedingt umgesetzt), verehrt eine
ganze Nation den seit 1969 gestorbenen Koerper. Keine Grossstadt ohne Ho-Denkmal,
Ho-Museum, kein Geldschein ohne Ho’s Kopf, kaum ein Haus ohne Ho’s Bild.
“Ho Ho Ho Chi Minh”-Sprechchoere kennen heute noch alle Studenten und nicht
nur die. Wie kein Zweiter steht der damalige nordvietnamesische Praesident
fuer den Kampf gegen die USA. Und fuer Vietnam.
Noch
tief beeindruckt hole ich schnell meine Tasche und schaue mir den Rest
in Onkel Ho’s Viertel an. Denn er lebte nicht in Prunk, Saus und Braus,
wie man es fuer einen Staatenlenker dieses Formats vermueten koennte. Ho
lebte ganz spartanisch in einem kleinen Wohnhaus mit wenigen Zimmern an
einem schnuckeligen Karpfenteich, die noch heute darin schwimmen. Alle
Zimmer sind im Originalzustand erhalten. Etwas kuenstlich und eindeutig
wahnsinnig uebertrieben ist das Ho Chi Minh (heisst uebrigens “der nach
Erleuchtung Strebende”, im Laufe seines 79-jaehrigen hatte er fast 50 Namen,
die moisten davon zu Tarnzwecken), also das Ho Chi Minh Museum. Alles,
was von Ho aufzutreiben war, Stifte, Klamotten, Stuehle, Notizen ist neben
einigen Kunstobjekten auf zwei Etagen ausgestellt samt riesigem Souvenirshop,
in einem Gebaeude, das auch als Hauptstelle einer Bank durchgehen wuerde.
Es ist nicht nur Ho’s, es ist auch das politische Viertel der Stadt. Am
Parlament geht es vorbei, dem Platz, auf dem Ho 1945 die Unabhaengigkeitserklaerung
verlas, und an zahlreichen Botschaften. Ein Blick zum Himmel beendet meinen
politischen Stadtrundgang um high noon. Es zieht bedrohlich zu. Politik
– noch so etwas, mit dem sich das leichtlebige Saigon nicht rumzuschlagen
vermag. Und was Hanoi ein bisschen ernster, nachdenklicher. Hier in Hanoi
sollen sich auch alle wichtigen Kuenstler und Intellektuellen aufhalten.
Was ist nicht nachpruefen, mir aber gut vorstellen kann. Hanoi denkt, Saigon
feiert.
Am
West-See will ich ohnehin meine Mittagspause verbringen. Der See liegt
im Nordwesten Hanois und ist um ein Vielfaches groesser als der beliebtere
Hoan Kiem See. Eine Fahrradumrundung wuerde 14 Kilometer lang dauern –
waere prima als Joggstrecke fuer Fussballteams geeignet. Ein bisschen Kellersee-Eutin-Stimmung
steigt in mir auf, von den Zehenspitzen bis in die Haare – okay, die sichtbaren
Hotels und eine Pagode zerstoeren das Gefuehl sofort. Es gibt so viel Wasser
in Hanois Mitte. Zwei Seen, der Rote Fluss ist auch nicht weit. Schoooeeenn!
Als
ich auf einer Bank Platz nehme, beginnt es zu nieseln. Ich wechsele in
ein Cafe, rutsche auf dem Weg dahin einmal boese aus und lege mich fast
auf die Fresse (glitschig hier! Aufpassen!) und werde deprimierter. Es
regnet in Stroemen. Nicht wie sonst nur zwanzig Minuten, sondert zwei Stunden
lang. Na gut, es gibt schlechtere Orte, als am West-See bei einem O-Saft
auf Eis eine Mittagspause zu verbringen.
Um
14 Uhr bleibt es zwar bewoelkt, aber es regnet nicht mehr. Waaaas?? Schon
zwei?? Mein naechstes Ziel ist das Aeroflot-Buero, um meinen Rueckflug
zu bestaetigen, jaja, werde eben immer haeufiger mit Deutschland konfrontiert
jetzt. Ich muss in einen Vorort, der eigentlich prima erreichbar sein muesste
und so ein Spaziergang tut auch mal ganz gut. Die Luftfeuchtigkeit ist
enorm, schon nach zwei Minuten koennte ich mein T-Shirt auswringen. Nach
zwanzig Minuten erreiche ich die Zielstrasse “Kim Ma” am Haus Nummer eins
und ich muss bis 360. Uff. Weitere fuenfzehn Minuten spaeter habe ich die
Hanoier Fussballstadion passiert (das Muelheimer Ruhrstadion ist schooner)
und es bis 180 geschafft. Da kapituliere ich. Mach ich das eben telefonisch.
Schnell das Handy eingeschaltet – und die verstehen mich kein Stueck. Mal
schauen, wie ich das nun regale. Egal. Zurueck nehme ich trotz zahlreicher
Anfragen – die Kim Ma ist eine viel befahrene Hauptstrasse auf dem Weg
zum Highway, also zu einer der Nationalstrassen – und trotz der offenkundigen
Schweissprobleme kein Mofataxi, so dass ich voellig ausser Puste um halb
vier ins Air-France-Buero am Hoan Kiem See stuerze, um in einem klimatisierten
Raum zu sitzen und um wenigstens den morgigen Flug rueckzubestaetigen.
Ist zwar ein bisschen spaet, aber klappt!
Heute
mache ich nix mehr, no way. Ich kaufe eine Flasche Wasser und hocke mich
an den See. Ploetzlich setzt sich fuer zehn Minuten ein vietnamesischer
Student zu mir, der sehr passabel Englisch spricht. Er hat mich am VfL-Shirt
erkannt und Bochum mit Bundesliga in Verbindung gebracht. Nett von ihm.
Er hat noch nie Vietnam verlassen, sein Traumreiseziel ist Europa. Vielleicht
sagt er’s nur wegen mir. Im Cafe, direkt am nordwestlichen Ende des Sees,
meinem Lieblingsladen inzwischen, lesen vier Leute den “Lonely Planet”,
nach dem 90 Prozent der Traveller reisen, wie mir scheint. Da sind die
vermerkten Geheimtipps doch laengst keine Geheimtipps mehr. Nicht schlecht,
dass ich den “Know How” benutze und nur ab und zu im “Lonely Planet” nachschlage.
Nach dem Weg durch die durch abgestellte Mofas, fahrende Mofas, Laeden
und Fussgaenger bis zur Unkenntnis verwuselte Altstadt kehre ich gegen
fuenf ins Hotel zurueck, um zu surfen und meine mehr als durchgesickten
Klamotten zu wechseln. Trotz der Undurchschaubarkeit und der versteckten
Strassenschilder habe ich den Weg zum Hotel ohne nachzuschauen gefunden.
In Saigon haette das wohl nie geklappt.
Nach
einer Portion “Luc Lac” und den letzten wehmuetigen Augenblicken auf Hanois
Strassen hoere ich in meinem Hotel ein paar Donner, die laut knatternde
Klimaanlage, schaue nebenbei die vietnamesische Version von “Wer wird Millionaer”
(hmmm… eine Million Dong haben den Wert von knapp 55 Euro, welch billige
Show, aber ich glaube, es geht um 55 Millionen) und stelle mir die “Aber
hier leben?”-Frage. Vietnam ist ein tolles Land, ich betonte das mehrfach.
Doch um hier mehrere Monate zu leben und zu arbeiten, waere es mir einen
Tick zu laut, zu heiss, zu fremd. Die Kueche wuerde mich extreme stoeren,
der langsame Internet-Anschluss (Scheiss-Details, oder?), naja, ich bin
wohl auch ein kleines westliches Konsum- und Luxuskind. Abgesehen von meinen
Freunden, meiner Familie und dem VfL, die mir natuerlich auch wahnsinnig
fehlen wuerden 15 Flugstunden entfernt. Und um als Sportjournalist zu arbeiten,
ist Vietnam auch nicht gerade die Offenbarung. Im Journalismus wird hier
immer noch zensiert und hochklassigen Sport gibt es in Vietnam nur im Fernsehen.
Um
vier oder meinetwegen auch sechs Wochen zu reisen (im Norden musste ich
leider die Bergtour bis Sa Pa streichen, die ganz toll sein soll), gibt
es kaum einen schoeneren Platz auf der Welt. Mekong-Delta, vor allem die
Ha-Long-Bucht, die Zentralkueste, Saigon, Hanoi, Hoi An, die Cu-Chi-Tunnel,
alles unvergessliche Momente, fuer die es sich lohnt, sich viel Zeit zu
nehmen. Aber hier leben? Wie lautet die Tocotronic-Antwort – keine Frage,
in diesem Song nicht auf Vietnam gemuenzt, aber fuer mich diesmal entfremdet
und uebertragbar? Nein, danke. Leider.
Auf
die Frage Saigon oder Hanoi habe ich eine eindeutige Antwort. Auf der einen
Seite das gewollt unpolitische, hektische, fast komplett kapitalistische,
moechtegernmoderne, travellerfreundlichere, sich abzugrenzen versuchende
Saigon, noch immer mit spuerbar amerikanischen Einfluessen. Und dann das
exotischere, ernstere Hanio, mit einer fantastischen, ruhig-hektischen
Atmosphaere und vielen aufregenden Plaetzchen.
And the winner is Hanoi.
24. Tag
Donnerstag, 11. August 2005
Bangkok
Stunden zaehlen
Blinzelblinzel...
wo ist der Wecker... aaaah da... blinzel... kurz nach neun, ach da kann
ich ja noch ein bisschen liegen blieben. Gestern Nacht ist es dann doch
noch zwei Uhr geworden, bis ich alles aufgeschrieben, Zaehne geputzt, im
Fernsehen das Ende des absolut unsinnigen Films "Starship Troopers" verfolgt
hatte und am Ende auch eingeschlafen war. Uaaaah... gaeeeehn... blinzel...
und wieder taucht diese grosse Frau namens Zeit vor mir auf, die ich irgendwie
besiegen muss. War doch keine allzu gute Idee, noch zwei Tage in Bangkok
dranzuhaengen, naja, aber aus preislichen Gruenden ging das eben nicht
anders. Meine Motivation ist nicht nur auf dem Nullkommanull-Punkt, sie
liegt sogar auf dem tiefsten Punkt aller Meere. Nicht, dass ich mich nach
der Arbeit sehnen wuerde, es ist eine Vakuum-Situation. Machtlosigkeit.
Naja, erstmal nicht mehr auf die Uhr sehen, nehme ich mir vor, gehe duschen,
in aller Ruhe, falle ueber das Fruehstuecksbuffet her (sehr westlich, wenig
thailaendisch, aber ich beschliesse trotzdem, dass sich die vietnamesischen
Hotels NUR in diesem Punkt etwas abschauen koennten), schaufel mir den
Teller gleich dreimal voll, mit Toast, Marmelade, Reis, Salat, Obst, dazu
O-Saft und Wasser - eben mit allem, was da so rumsteht. Schnell noch im
"Know-How Bangkok" geblaettert und gelesen, dann wieder die Uhr hervorgeholt.
Wow, 12 Uhr, klasse, schon den halben Tag geschafft, das ging ja flugs.
Tempoverschleppung perfektioniert!
Was
tun... was tun... ich hole dieses Tagebuch hervor, schmoekere in den Bangkok-Eintraegen,
und KLONK wuerde jetzt in einem Comic stehen, und ich als Zeichenfigur
vor eine Betonwand laufen. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?
Ich beende meinen Urlaub so, wie er begonnen hat: Mit einer Massage im
Wat Po! Das ist erstens sensationell und dauert ziemlich. Auf meinem Zimmer
ziehe ich mich noch schnell um, schaue dabei Snooker auf dem Sportkanal
(also das wird mir wirklich fehlen...) und ab dafuer.
Bangkoks
Strassen. Wieder hier. Aber gewiss nicht in meinem Revier. Wird's auch
nie werden. Schwarze Wolken kommen aus den Hinterteilen der meisten Autos,
ein fast unertraeglicher Motorengestank verpestet die Luft. Von Vietnams
Grossstaedten laesst sich Bangkok schon in den kleinsten Details unterscheiden.
Nicht nur wie gestern gesagt Links- statt Rechtsverkehr, Autos statt Mofas
und Koenig Bhumibol statt Onkel Ho, sondern auch Tuktuks statt Mofataxis,
Pagoden statt Wats, keine Frauen mit Kegelhueten im Strassenbild und noch
deutlich mehr Touristen - gegenueber Bangkok ist Vietnam paradiesisch unerschlossen.
Nur ausserhalb der Staedte duerften sich die Laender doch aehnlich sein.
Denn Bangkok mag zwar wohlhabend und extrem westlich wirken, aber Thailand
in Gaenze ist immer noch ein bettelarmes Entwicklungsland, so wie auch
Vietnam.
Wie
vor drei Wochen passiere ich das grosse Feld Sanam Luang, da sind nicht
nur wie sonst fliegende Haendler und pausierende Arbeiter, sondern auch
viele, viele andere Leute. Ist da heute was?? Es geht am Grand Palace vorbei,
an den grossen, weissen Mauern und den Soldaten mit Gewehr im Anschlag.
Es ist echt paradox. Wie ich bei meiner kleinen kurzweiligen Lesestunde
heute Morgen feststellen musste, werden (egal welche) Reisefuehrer nicht
muede zu betonen, dass die Regierung alles gegen Prostitution und Drogenhandel
unternehmen wuerde und in vielen eigentlich beruechtigten Gassen und Stadtteilen
nachts auch Familien bummeln koennten. Ein ein paar Seiten weiter heisst
es dann: Den Lumphini-Park nachts besser nicht betreten, dort wimmelt es
vor Verbrechern und es hat auch schon Morde gegeben, auch rund um das Democracy
Monument (also in unmittelbarer Naehe zur Khao San Road) soll es sehr aggressiv
zugehen - naja, und die Patpong-Strassen seien eben nur vordergruendig
ein Markt mit vielen Laeden... Und drogensuechtig seien hier ohnehin sehr
viele. Tja, Bangkok hat so viele Gesichter, auch so viele miese, dass eigentlich
keiner mehr weiss, wo Wahrheit ist, wo Dichtung und wie das ueberhaupt
zu deuten ist. Das Nachtleben Bangkoks nimmt in allen Reisefuehrern ein
Extra-Kapitel ein, und das fehlt auch noch auf meiner Sightseeing-Liste.
Denn es geht weit, weit ueber die Khao San Road hinaus. Die ist lediglich
ein Mini-Puzzleteil inmitten von Patpongs, Karaoke-Bars, futuristischen
Grossraum-Diskos und Gogo-Kneipen. Nee, aber ich lasse meine Finger davon.
Und gehe nachts lieber frueh ins Bett.
Oh
je, der Prunk, der Prunk, der Prunk - ich hatte mitten in Vietnams bunter
Welt fast vergessen, wie guelden-kitschig und fernab jeglicher Realitaet
das hier an manchen Stellen aussieht, vor allem rund um den Royal Palace.
Schneller bewege ich meine Fuesse vorwaerts, damit ich fix ins Wat Po komme,
um nicht von all dem Gold blind zu werden. Die eigentliche Sehenswuerdigkeit
dort, den liegenden Buddha, lass ich liegen. Ab zum Massage-Schuppen, dem
beruehmtesten des Landes. Fuer 300 Baht lasse ich mir so gut wie alles
durchkneten. Wieder eine Stunde lang die Augen schliessen und an alles
Schoene denken. Zum Beispiel meine Happy Places. Zum Beispiel also die
Ha-Long-Bucht. Als die Masseuse "Finish" sagt, will ich's nicht glauben
und fuehle mich verarscht. Ein erster Blick, ein erster Griff geht zur
Uhr - aaaaaahhh, selbst die Armbewegung ist jetzt sehr angenehm - nee tatsaechlich,
von genau 13 bis genau 14 Uhr ging's. Unglaublich.
Beim
Gratis-Samrong-Drink, den ich am Ausgang des Massage-Schuppens auf dem
Tempelgelaende bekomme, lese ich wieder im "Know-How". Hey, ins Nationalmuseum
koennte ich jetzt auch noch gehen. Hat nur noch bis 16 Uhr auf, naja, aber
in ein und demselben Museum bleibe ich sowieso in den seltensten Faellen
laenger als zwei Stunden. Zurueck geht es, am Royal Palace vorbei, das
Sanam Luang wird voller und voller - und rein ins Museum. Fuer Freunde
der Hochkultur - ich erwaehnte es schon einmao - ist Bangkok ein Desaster.
Grosse Konzerte, Theaterstuecke undsoweiter (scrollt hoch) empfinden die
Ich-geb-Gas-gib-mir-Spass-orientierten Thai eher als "spiessig". Wenigstens
ein Nationaltheater gibt es, direkt neben dem Museum. Aber Travestieshows
und Thai-Boxen sind wohl eher angesagt. So heisst es jedenfalls in den
Reisefuehrern, aber ich kann es mir auch sehr gut vorstellen. Das Museum
ist also mit das hoechste der intelligenten Gefuehle hier?? Nach einem
langsamen Marsch durch die Hallen weiss ich eins: Monarchien sind echt
irre. Bekloppt irre. Die Geschichte Thailands, des ehemaligen Siam, ist
anschaulich dargestellt, unterlegt mit alten Waffen, Musikinstrumenten,
Schautafeln, Kleidung und etlichen weiteren Exponaten dieser Art, die das
Leben einst und jetzt zeigen. Und doch endet alles immer in einer fuerchterlichen
Glorifizierung der Monarchie. Ehemalige Throne, Gewaender, Gemaelde, voellig
uebertriebene Bestattungswagen sind ausgestellt. Als meine Geduld zu Ende
ist, zeigt die Uhr kurz vor vier an. Kurz vor vier!! Wow, der Tag ist fast
rum und ich habe noch nicht einmal Luft geholt. Klasse! Den Rest des Tages
kann ich spielend an der Khao San Road verbringen.
Auf
dem Rueckweg am rappelvollen Sanam Luang vorbei wird es mir zu bunt und
ich zwinge einem Passanten ein Gespraech auf. Wie lange ich gedenken wuerde,
in Bangkok zu bleiben, fragt er. Nur bis morgen, entgegne ich. Da gluehen
seine Augen. Nicht, weil ich dann wieder verschwinde. Er sagt: "You are
lucky!" Fast im besten Lothar-Matthaeus-Englisch. "Tomorrow is the birthday
of the queen. And today in the evening festival begins." Ich hab's hier
irgendwie mit der Koenigsfamilie. Erst sehe ich den Koenig hoechstpersoenlich
und nun bekomme ich mit, wie die Thai reihenweise vor dem Bild eines ganz
normalen Menschen auf die Knie sinken, nur weil der zufaellig Geburtstag
hat. Bekloppt irre.
Um
halb fuenf erreiche ich erstmals wieder die Khao San Road, diese wohl auf
der ganzen Welt nicht zu schlagende Travellermeile, gestern Abend bin ich
sofort nach dem Check-In auf meinem Zimmer verschwunden. Wer sich hier
langweilt, der ist wirklich selbst schuld. Die Strasse misst keine 600
Meter, moechte ich schwoeren, doch sie lebt. Hier regieren Haendler und
Feilscher, Rucksaecke und Rastazoepfe, Cafes und Bars, Musik und Klamotten.
Hier hat keiner Geld, irgendwie. Und die einen dann doch mehr als die anderen.
Wer am fertigsten aussieht, ist der coolste. Stoebern an den CD-Staenden,
so wie gestern in Hanoi, T-Shirts und Klamotten gucken, im Internet-Cafe
nach den neuesten News aus Muelheim erkundigen, bei Fruchtshakes Leute
beobachten (Verkaeufer und Traveller, macht wahnsinnig Spass hier) und
bis in die Dunkelheit trinken und den Bass aus zahlreichen Lautsprechern
aufsaugen. So vergeht Zeit, ohne dass es wirklich auffaellt. Am 13. oder
14. Tag, wahrscheinlich in Nha Trang, hoffte ich noch, die zweite Urlaubshaelfte
solle doch immer ruck, zuck vorbeigehen. Und oh ja, so war, so ist es.
Nach
einem Reisgericht am Abend im Hotel und einem letzten Banana-Pancake auf
der dunklen und doch neonroehrenbelichteten und hoffnungslos ueberlaufenen
Khao San Road sitze ich auf meinem Bett, an der Stelle, an der ich vor
24 Stunden noch gruebelte, wie ich die naechsten 24 rumkriegen soll. Es
ging. Ueberraschend. Der Tag ist sensationell fix an mir vorbeigezogen,
und ich habe sogar etwas Sinnvolles getan. Nur noch ein Tag. Jetzt kann
ich die Stunden zaehlen, bis der Flieger geht. Das ist auch gut so. Ich
kann das Ende, meine Freunde, am Horizont sehen. Und nach 24 Tagen allein
wird das auch Zeit. Es reicht langsam.
IN
EIGENER SACHE:
Das
war mein letzter Eintag, den ich live aus Suedostasien online stelle. Die
beiden letzten Tage reiche ich aus Muelheim nach, vermutlich dann auch
schon mit den ersten Fotos. Danke schon einmal dafuer, dass Ihr so geduldig
Tag fuer Tag mitverfolgt habt!