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DAS TAGEBUCH, SAISON 2003 / 2004:
VfL Bochum - 1. FC Kaiserslautern 4:0 (4.10.2003)
Ich schwör: Eine zweite Halbzeit zum Verlieben - aber zu viel Höhenluft ist auch nicht gut!
Gebt mir Abstiegskampf!
Also Stephan hat das so formuliert:
"Also weisse, wenn dat 1:0 steht nä, wir kennen ja unsere", und winkt
ab dabei, "dann hält da ma einer den Fuß hin, und zack hasse
Kakao im Gesicht. Aber ich muss sagen: Heute, dat war, dat war so richtig
schön zum Angucken, der Ball lief flott. Nee, hat Spaß gemacht!"
Nennt mir einen besseren Straßenbahnfahrer in Mülheim! Einen
besseren als Stephan. Gibtet nich!
Eigentlich ist alles schief
gelaufen heute. Komm grad von einer eher öden Karaoke-Party (ich steh
da nicht so drauf). Und wie der Tag erst angefangen hat: Bin zu spät
aus dem Bett gekommen, hab die Straßenbahn Richtung Oberhausen verpasst
(musste dort etwas abholen), bin dann doch hin und wieder zurück gefahren,
hab aber meinen angestammten Regionalexpress um 13.46 Uhr nicht mehr gekriegt.
Will dann mit dem 133er-Bus Richtung Hauptbahnhof fahren, der kommt nicht,
und in den zehn Minuten, in denen ich zum Bahnhof sprinte, regnet es in
Strömen. Kaum unterm Dach der ersten Gleises angekommen, hört
es auf. "Boooh is dat n Scheiß-Wetter, Alter ich schwör", meint
jemand, und mir ist trotz des grammatikalischen Ohrenschmauses nicht nach
Lachen zumute. Ich glaub Petrus will mich verscheißern. Und dann
kommt auch noch mein Angstgegner Lautern nach Bochum, nur gegen Bayern
hab ich eine miesere Bilanz. "Wir können gleich zu Hause bleiben",
kapituliere ich zu Thommy, der extra früher aus Belgien zurückgekehrt
ist, nur um sich so ein matschiges Rumgewurschtel anzuschauen. Gerd teilt
per sms mit, dass es ihm "pein5ich ist, aber ich bin schon wieder nicht
da" (die 5 steht tatsächlich an der Stelle) - und das passt doch ins
Bild. Etwas angesickt drohe ich ihm eine Verwarnung per Homepage an (und
die GELBE KARTE sei Dir hiermit gezeigt, bei ner Roten wird ein Essen im
Three-Sixty im Bermuda-Dreieck fällig!).
Lasst mich zu Gedanke Nummer
drei springen: "October" von U2 säuselt in meinem Ohr, als ich - vom
Regen noch ganz nass - im Regionalexpress meinen Rock-am-Ring-Kapuzenpulli
auszuwringen versuche. "October - and the trees are stripped bare", summt
U2-Sänger Bono. Thommy leert grad ein Döschen Köpi und versucht
mir weiszumachen, dass der VfL meinen miesen Vormittag doch wiedergutmache.
Da wir schon ein bisschen zu spät dran sind, betreten die Kurve, als
sich Rein van Duijnhoven schon längst aufwärmt. 14.59 Uhr, noch
31 Minuten bis zum Anpfiff, und kaum eine Sau ist da und will sich den
ganzen Kram reinziehen. Da kann der Peter Neururer noch so sehr schimpfen
und trommeln und fordern: Mehr als 20.000 kriegste im Moment gegen normal-gute
Mittelklasse-Gegner einfach nicht ins Ruhrstadion. Bochumer Fans brauchen
einfach diesen Nervenkitzel, diese Existenzangst. "Gebt uns Abstiegskampf!",
fordern der mittlerweile eingetrudelte Sam, Thommy und ich. Immer nur auf
8, 9 oder 10 stehen - wer will denn diese emotionslose Scheiße? Hmm...,
wenn Bochum wieder unten steht, denke ich bestimmt anders, aber jetzt?
Scheiß drauf. Hier ist doch so lange schon kein echtes Feuer mehr
gewesen.
Sam hat bald Geburtstag.
Er lässt sich ein holländisch-oranges Nationaltrikot mit der
Aufschrift "Vriesde" schenken. Das ist doch mal eine Idee. An der Aufstellung
gibts nichts zu meckern, Momo spielt für den Wikinger Thoddi - das
heißt wieder 4-3-3 statt 4-4-2 - und in der Kurve passiert nix Neues.
Die "Ultras" kommen mit dem üblichen Megaphon, dem üblichen Megaphon-Man,
und ihren üblichen Sprüchen ("Bochum ist die geilste Stadt der
Welt!", "Alles außer Bochum ist Scheiße", "BVB-Hurensöhne",
"Wiese Du Fotze" - wahlweise für alle Torhüter - "Arschloch-Wichser-Hurensohn"
- beim Torwartabschlag). Der Stadionsprecher ist immer noch der gleiche
Stuten wie immer (wann lässt der endlich bei der Aufstellung das "VAN"
bei "Rein van Duijnhoven" weg? Wir Fans beanspruchen das "VAN" für
uns! Wir wollen nicht immer nur "Duijnhoven" rufen!). Alles nix Besonderes.
Nix Besonderes? Haaaaa,
jaaaaa, es regnet wieder ein bisschen, ein Hauch von Union-Berlin-,
von Alemannia-Aachen-Stimmung - und,
jepp, es entwickelt sich ein munteres Spielchen. Nicht so ein wie-vertrimme-ich-am-langweiligsten-das-Spielgerät-Gebolze
wie gegen Hertha und in Mönchengladbach. 22 heiße Spieler laufen
auf. 22 mit Spaß am Job und mit Spaß am Grätschen. "Endlich
mal ein bisschen Power", schaukeln wir uns auch ein bisschen hoch und entfachen
das Feuer mit. Und es nicht einmal gelogen und fehl am Platz. Eine halbe
Stunde ist alles ganz ausgeglichen, die beste Chance hat Klose für
Lautern in der 25. Minute. Eine "Puuuuuuuuh"-Durchatmen-Chance, eine Chance,
bei der sich alle Fans einmal um die eigene Achse drehen, das Gesicht hinter
den Händen verstecken und einmal feste reinpusten. Noch mal gut gegangen.
Gegangen ist ein gutes Wort. Fünf Minuten später bringt Hristov
das Stadion ganz zum Beben, als er Wosz wegmäht und dafür mit
Gelb-Rot vom Platz muss. Beim Verlassen desselben schießt er dem
Wosz den Ball in den Rücken. Dann Neururer-Sprint auf den Platz, Gerets
auch, alle drumrum, und "FCK-Hurensöhne"-Gebrüll von allen Tribünen
(aber nicht von mir). Naja, ein gutes Bild geben die hier nicht ab. Treten,
meckern und sehen das dann auch nicht ein... tsetsetse. "Ich kenn ja unsere",
denkt Stephan auf der Sitzplatztribüne. "Die kriegen dann bestimmt
einen rein!" Aber nicht mehr in Halbzeit eins. 0:0. Ein nettes Fußball-Spielchen,
mit hohem Brüll- und Prollfaktor - so wie ich´s gerne mag. Mit
elf gegen zehn, das müsste zu schaffen sein.
Die zweite Halbzeit beginnt,
und unser Lieblingstalent Anton Vriesde (eingewechselt für Kalla)
ist noch nicht mal negativ aufgefallen. "Eigentlich ist der Platzverweis
korrekt", frohlockt Thommy über einen geglückten Scherz: "Die
haben einen Mann weniger - und wir Vriesde!" Aber fortan wird der Lieblingsspieler
von Sam nicht mehr gebraucht. Hätte ich ein Kartenspiel dabei gehabt,
dann hätte ich mit van Duijnhoven und Anton aus Tirol ne Runde Skat
gekloppt. Es passiert etwas, was Thomas Wark als "Fußballfest" bezeichnen
würde, und wozu Günter Netzer das Wort "Demontage" gewählt
hätte. Keine drei Minuten in der zweiten Halbzeit sind gespielt: Freistoß
Wosz in den 16er, Gewurschtel, Hashemian trocken rechts ins Eck, 1:0! HUB-HUB-HUBSCHRAUBER-EINSATZ!!!
Lautern gibt sich auf, einfach nur auf - da kann Stephan (siehe oben),
noch so bangen. Oliseh ganz überragend im Mittelfeld. Stopft jedes
Loch, stark im Zweikampf, fast jeder Pass kommt an, selbst die langen;
er tanzt kurz vor Schluss demütigend mit dem Ball als Partner. Madsen
und Hashemian rochieren ständig, rackern unheimlich. Wosz nun wie
aufgedreht und kaum wiederzuerkennen. Colding und Bönig wechseln die
Seiten im Sekundentakt, um das Spiel zu verlagern und Lautern zu verwirren.
Himmlisch.
Nächste Chance für
Momo Diabang, 52., Wiese hält. Lautern ist gar nicht mehr auf dem
Platz, eine tote Mannschaft, taumeln und joggen nur noch, keine Sprints
mehr. "Yes Baby! Wenn ich nicht da bin, ist sogar Lautern schlagbar. Feiert
schön!", trägt Gerd zu unserem Freudentaumel bei. Ach ja, Lautern,
mein Angstgegner. "Lasst Sie laufen, die Arschgeigen!", brüllt einer
vom Fanklub, der auch in unserer Reihe steht. Ja, und das lassen sie: Riesenpass
von Wosz auf Madsen, 60., der steht freeeeeeeeiiiii, Kopfballllllll, in
die Ecke! "Deeeeeeeeer neue Spielstaaaaand: VfL Bochum????" "ZWEI !!!!!!"
"Kaiserslautern?" "NULL!!!!!" "Danke!" "BITTE!" Herrlich. Die Vorentscheidung.
"Wir singen Lautern-Lautern-zweiiiite Liiiigaaa!" Schwach. Nur noch ein
Torschuss in der gesamten zweiten Halbzeit. Bin gespannt, wie die das schönreden
wollen. Wahrscheinlich kommen die mit der Platzverweis-Nummer. Dabei war
der sonnenklar und wir hätten auch mit elf gegen elf die zweite Halbzeit
so bestimmt. Jede Wette! Wir demütigen Lautern. Hashemian verwertet
einen Klassepass von Buckley auf 3:0 in der 76., und als Madsen mit dem
Schlusspfiff nach einem Zdebel-Pass auf 4:0 erhöht, da gucken wir
uns alle nur ungläubig an. Gebt uns Abstiegskampf, so viel Höhenluft
tut dem Ruhrstadion gar nicht gut. Dann schon lieber solche Brachial-Sprechchöre
wie in der U-Bahn zurück: "Auf der Alm da steht ne Kuh---halleluja---die
macht ihr Arschloch auf und zu---halleluuuja---und die Scheiße fällt
und fällt---halleluja---auf Arminia Bielefeld---hallelujaaa!". Gegen
die haben wir zwar gar nicht gespielt, aber das hat Thommy und mir grad
noch gefehlt. Wir schlagen quietschvergnügt ein, rechnen die Tabelle
aus, freuen uns wie kleine Jungs. Über das Spiel. Das Ergebnis. Die
Huuuut-ab-Leistung der Mannschaft. Die "So-steigen-wir-niemals-ab"-Stimmung.
Die Currywurst-Pommes-Majo" im City-Grill. Was habe ich gesagt? Das war
ein verkorkster Tag? Wenn der VfL gewinnt, und dann auch noch so, das heißt
mit einem brillanten Sieg, dann ist mir alles andere völlig schnuppe.
Die nächsten beiden Spiele, auf Schalke und gegen Dortmund, sind am
Sonntag. Muss eigentlich arbeiten. Aber egal. Sollen sie mich doch rausschmeißen.
Also Stephan hat das so
formuliert: "Weisse, auffe Arbeit, da bin ich ja immer ganz groß
mit der Klappe, von wegen Champion und so, auch nach drei Niederlagen",
und er grinst. "Abba irgendwie gucken wir doch auch nur alle auf Platz
16!" So sind wir, wir Bochumer. Richtig nette und lustische Gesellen, mit
einer unendlich nervenden großen Schnauze. Aber insgeheim gilt der
Blick nur dem 16. Platz. Auch heute, trotz der Jubelorgie.
Aber das verraten wir natürlich
keinem.
Geschichte wiederholt sich!!! Der nächste Abend zum Ausrasten in der Arena!
Dreifach schön
Wenn ich in ein paar Jahren
einmal auf diese Homepage klicke, oder nur in meinem Hirn die VfL-Schublade
herausziehe, dann gibt es ein paar Erlebnisse, die sofort ins Auge springen.
Bislang hab ich immer gedacht, der 2:1-Sieg
des VfL im April sei dabei nicht zu toppen. Dachte. Bis heute, Sonntag,
19. Oktober 2003, um 19.17 Uhr. Huckepack trägt mich Thommy aus der
Schalker Arena, wir brüllen, brüllen, brüllen. WIE GEIL
WIE GEIL WIE GEIL !!! Unglaublich! Trägt mich vorbei an namenlosen,
gesichtslosen Polizisten, deren Knüppel still halten. Die verziehen
keine Miene. Wir schon. Selbst im Ausgang erschallt lautes "Oh wie ist
das schöööööön"-Gegröle. Brüllen
brüllen brüllen. 2:0 auf Schalke - sagen wir uns immer wieder,
zum zweiten Mal in einem halben Jahr Gelsenkirchen gestürmt. Wir mit
unserer Kirmestruppe sitzen am Schalthebel und fahren mit dem Rest der
Liga Karussell. Ist das Wahnsinn?
Eine von den Newcomer-Bands
in Deutschland heißt Virginia Jetzt! Das ist ein ziemlich affiger
Name, aber die Debüt-CD hat´s ganz schön in sich. Ein nettes
Liebeslied ist da drauf, trägt den Titel "Dreifach schön". Dreifach
schön ist die absolut passende Überschrift für den heutigen
Text. Gewinnen ist schön. Auf Schalke gewinnen ist dreifach schön.
Passt, gell? Brüllen brüllen brüllen. Ergreifend der Schlusspfiff.
Ergreifend schon beim Einlaufen. Habt Ihr "Whatever you want" im Ohr, den
Klassiker von "Status Quo"? Im
April, da hab ich das schon einmal ausführlich beschrieben, aber
ich muss es noch einmal tun: Stellt Euch das Lied vor... schließt
die Augen (naja, öffnet sie doch besser, sonst könnt Ihr nix
lesen)... schließt in Gedanken die Augen: Hört Ihr die sanfte
Gitarre im Hintergrund, die immer härter, immer lauter, immer melodiöser
wird? Hört Ihr sie? Und jetzt malt Euch aus, wie 61.000 Leute auf
grünen Rasen blicken und wie Eure elf Lieblings-Rumpelfußballer
auf den Platz stolpern. "Thommy", stups ich meinen Bruder an, "das ist
doch unglaublich, oder?" Ist es. Wirklich. Dreifach schön. Es ist
so herrlich, so ein Super-Gefühl. Könnt jetzt noch stundenlang,
seitenweise über meine Gefühle schwadronieren, über den
Anblick des Videowürfels, der so fest in meinem Schädel sitzt,
wie eintätowiert.
Und doch muss ich Euch erzählen,
dass ich über das Spiel an sich den Mantel des Schweigens aus meinem
Schrank hervorholen und darüber decken muss. Fragt nicht nach, fragt
nicht.
Die erste Halbzeit?
Da passierte genauso viel
wie in den letzten drei Zeilen.
Nichts. Noch nie habe ich
Thommy so brüllen gehört. "MAN WIE SCHLECHT!!!!" "WAS IST DENN
DA LOS BEI EUCH?" "KANN GAR NICHT WAHR SEIN!", fluchen wir in einer Tour.
Unsere Jungs spielen scheinbar mit angezogener Handbremse, geben nur 75
Prozent. Kann doch nicht sein, ist doch die Schalke-Arena hier, da würd
ich mir so die Lunge aus dem Leib rennen, dass nach fünf Minuten die
Lungen qualmen. Und unsere traben nur mäßig interessiert auf
und ab, pölen die Kugel unmotiviert nach vorn, nach links, auf die
Tribüne, überall hin, nur nicht zum eigenen Mann. Kein Torschuss
in 45 Minuten, zieht Euch das mal rein (hihi, und wir haben am Ende noch
gewonnen - kaum zu fassen). Ich kann nicht mal bestreiten, dass die Schalker
feldüberlegen sind und sogar zwei ziemlich dicke Chancen haben. Aber
irgendwie ist auch den Polizisten in der Arena langweilig. Also kommen
die in unsere Kurve gelaufen und lassen den Knüppel schwingen. Keine
Ahnung warum. Präsenz zeigen? Hat da einer irgendwas gesagt? Wenn
ja: Ist doch eigentlich egal: Als Auswärtsfan bist Du sowieso so eingepfercht,
dass Du nicht rauskommst. Manmanman, was für ein unglücklicher
Auftritt. Inmitten unserer Schimpftiraden unterhalten Thommy und ich uns
über John Blankenstein, einen homosexuellen Schiedsrichter, der Thommy
im Rahmen einer Veranstaltung einige erschreckende Geschichten zum Thema
"Tolerenz im Profi-Fußball" erzählte. Und über die aktuellen
Zwischenergebnisse in den Amateurligen. VfB Speldorf gewinnt, Union Mülheim
auch, Vatanspor Mülheim sowieso. "Mensch - die Arena", findet Thommy,
"ganz schön viel Synthetik. Das hat doch mit Fußball nichts
mehr zu tun." Stimmt. "Nicht mal die Toilette hab ich gefunden. Als ich
dann dort war, hab ich ne geile Geschichte erlebt." Ein Besoffener (mal
wieder) erzählte seine private Erlebnisstory am Kassenhäuschen.
"Ich steh da, und der Typ fragt mich: Hast Du Alkohol getrunken? Sollte
ich dem: Eine Flasche Whisky und eine Flasche Rum antworten? Ne, hab nur
JA gesagt. Kommse ma mit, zum Pusten. Also bin ich mit, hab gepustet, und?
0,49 Promille!" Sprachs und taumelte davon, als hätte er 1,49 !
Und nochmal 45 Minuten überstehen.
Mir fehlt noch das Derby-übliche Rumgeschimpfe. In der Straßenbahn
vom Hauptbahnhof zur Arena galten die Anfeindungen ausschließlich
Dortmund (dummes Beispiel: "Keiner ihn mag - den Stricher aus Prag - Koller,
Koller - zwei Meeeter Scheiße!" Hilfe!) - Bochum scheint (bei dem
Trainer...) einen guten Ruf zu haben. In Halbzeit eins gab es kaum Aufreger.
Aber kaum ausgesprochen, gibts ein paar heikle Szenen. Hashemian fällt
Asamoah mit ner Brutalo-Grätsche. Klar, der Vahid hat den Ball gespielt,
aber das kann auch ROT geben. Gibts aber nicht. Puuuh. Es bleibt beim 0:0.
Nächste Szene, Agali geht in den Strafraum, fällt.... Elfmeter?
Nein, ein bisschen Rudelbildung und GELB für Agali, Schwalbe. "Hut
ab der Schiri. War ne Schwalbe!", sms-t Premieregucker Helmut. Der arme
Agali. Nachdem er dann auch noch eine 100-prozentige Chance auslässt,
wird er mit einem dröhnenden Pfeifkonzert in die Kabine verabschiedet.
Das ist hart.
Unsere probierens derweil
mit der Bayern München´schen Effektivität. "Wenn hier ein
Tor fällt, dann nach einer Standardsituation", klugscheiße ich
zu Thommy in der 55. Minute. Und ein bisschen Ahnung von Fußball
hab ich doch: Freistoß Oliseh, Fahrenhorst schmeißt sich in
den Ball und seine Gegenspieler, und nudelt die Kugel irgendwie über
die Linie. Erster Torschuss, erste Chance, erstes Tor, 65. Minute. Tocktocktock,
ab mit dem Finger an die Stirn. Wir führen. Pfiffe werden lauter,
und wir souveräner. Nochmal Freistoß, 79. Minute, Bemben weit
weit weit, Diabang aus 17 Metern, Kopfball, der senkt sich wie in Zeeeeitluuupe
- Boing Latte, Boing Rosts Hinterkopf, REEEEIN brüllen brüllen
brüllen brüllen!!!! 2:0! Der Rest ist Jubel. "Wir singen SCHALKE
SCHALKE - ZWEEIIIIIITE LIIIIGA!" Beschissen gespielt, und doch drei Punkte
geholt. Es kann sportlich nur bergauf gehen, und doch sind wir schon Dritter.
Der "Schalker", ein alter Freund (der Spitzname ist Programm), ruft an!
"Für unsere Verhältnisse haben wir gar kein schlechtes Spiel
gemacht!" hihi...
Aber wen interessiert an
so einem Abend schon, wie das Spiel selbst gelaufen ist?
Mir ist das scheißegal.
Mein zweiter Sieg auf Schalke in sechs Monaten. Ich kann es kaum fassen.
Es ist nicht nur schön.
Es ist dreifach schön.
Der Wahnsinn geht weiter - Und jetzt alle:
Da stand mir die Suppe in den Augen!
Die Nummer 1 im Pott sind wir !
Blicke in die Augen von Dirk.
Von Sam. Von Daniel. Von Mama. Von Gerd. Von Thommy.
Blicke aufs Feld, auf die
Anzeigetafel, auf die imaginäre Bundesliga-Tabelle im Hinterkopf.
Umarmt mich Leute, packt
mir auf den Schädel, durchwühlt meine Haare, hört meine
Rufe, "yeeeeaaaaaah", "jaaaaaaaaaaaaaaaa" undsoweiter und mehr und mehr,
umarmt mich einfach, drückt mich feste! Das ist der absolute Wahnsinn.
Ich kann es nicht glauben. Kann es einfach nicht glauben. Will es nicht
wahrhaben. 3:0 gegen Borussia Dortmund.
Zurückspulen.
Union 09 Mülheim hat
vier Spiele in Folge nicht verloren. Und nun kommen die Amateure von Rot-Weiß
Oberhausen zur Mülheimer Südstraße. Gestern noch hab ich
den Trainer Bachmann angerufen, um ihm mitzuteilen, dass ich früher
"abhauen muss, aus privaten Gründen" (nicht gelogen, oder?) und deshalb
die Pressekonferenz schwänze. Nun ist es 16.41 Uhr. Die mit fünf
Profis unfair verstärkten Oberhausener führen sensationell hoch
mit 2:1, es ist beinahe peinlich, und zappelig sitze ich auf der Tribüne.
Bis ich es nicht mehr aushalte. Die 84. Minute läuft, und ich verschwinde.
Ich sprinte in Richtung Fahrrad, halte kurz inne, um den Fahrplan vor mir
abzuspulen, springe beschwingt aufs Rad und trete in die Pedale. 16.41
Uhr. Ich fühle mich wie in einer Werbepause der fantastischen TV-Serie
"24", in der 24 Stunden in Echtzeit ablaufen. Eine Uhr läuft mit,
die Sekunden schlagen im Takt, mit einem unverwechselbaren Geräusch.
Wie steht es bei Union? Ist doch scheißegal. Hauptsache, dieser Scheiß-Regionalexpress
kommt pünktlich.
Zwei Minuten Verspätung.
Ich hab ihn noch erwischt und kann sogar noch die Zusatz-Fahrradfahrkarte
abstempeln. Der Zug ist voll. Telefonat mit dem Union-Stadionsprecher:
Es ist beim 2:1 geblieben; puh, zum Glück nichts verpasst. Warum bleibt
denn jetzt dieser verdammte Zug stehen, in der Nähe von Essen-Kray?
"Nächster Halt - Essen Hauptbahnhof", "Nächster Halt - Wattenscheid",
"Nächster Halt - Bochum Hauptbahnhof". Na endlich. Und der Takt schlägt
monoton, 17.07 Uhr. SMS an Gerd: "Ich befinde mich im Anflug auf Bochum
Hauptbahnhof! Macht schon mal Platz!" Die Sekunden verrinnen. Schaffe ich
es pünktlich zum Anpfiff? Oha, wie lange bin ich nicht mehr zu Fuß
vom Hauptbahnhof bis zum Stadion gelaufen? Wo muss ich langfahren? Was
für ein Stress. Strampeln. Erinner Dich an Udo Bölts, der Jan
Ullrich einst bei der Tour "Quäl Dich, Du Sau!" zubrüllte. Ich
quäl mich und erblicke am Horizont die Fluchtlichtmasten. Ich hab
es geschafft, und als ich das Stadion erreicht habe, läuft "Mein VfL"
mit der Zeile "Du hast alles hergegeben". Oh ja, wie wahr. Egal, ob mein
Fahrrad geklaut wird oder nicht; ich schließ es irgendwo ab. Ich
will nur noch dieses verdammte Spiel sehen.
Super, die Kamera geht mit
durch. Kontrolliert werde ich kaum. Ein Maschinengewehr hätte ich
problemlos reinschmuggeln können. Oh scheiße ist das voll. Da
kann ich mich niemals bis zu meiner VfL-Sippe durchboxen. Versuchs aber.
"Mit der Nummer eins REEEEEIIINNNNN..." "VAN DUIJNHOVEN!!!" Pünktlich.
"V-F-L; V-F-L"! Ich sehe sie. Der Dirk ist da. Der Sam ist da, die Schals
sind alle da. "Tief im Westeeeen, wo die Sonne verstaubt!" Der Revier-Schlager.
Der zweite in sieben Tagen. Egal, dass ich völlig ausgelaugt bin.
Vergessen die Strapazen. Bin da, bin da, bin da. Anpfiff, Bönig über
links, siebte Minute, Flankeeeee, Flugkopfball, TOOOOOOOR, TOOOOOOR, TOOOOOOR,
wer wars? Hashemian? Hashemian!!!!! TOOOOOOOORRRR! JAAAAA! Yeaaahhh! Ist
das nicht der Wahnsinn? Der pure Wahnsinn? "I will survive" läuft
durch die Lautsprecher! La-la-la-la-laaaaa-lalalalala-laaaaa- undsoweiter.
Klatsche in meine Hände, wie 30.000 andere. Wie schnell ist man als
Fan doch geneigt zu sagen, es handle sich um ein "intensives" Derby. Ja,
das ist es. Wir sind seit zwei Spielen ohne Gegentor, haben zwei Spiele
in Folge gewonnen, sind fünfmal unbesiegt. Das ergibt alles addiert
eine breite Brust. Für mich wäre das der 100. Sieg in meiner
VfL-Laufbahn, das nächste Tor wäre das 400.! 400-mal aufspringen,
schreien, jubeln. 400 orgastische Erlebnisse. "Die Nummer eins - die Nummer
eins - die Nummer eins im Pott sind wiiiiiiiir!!!" Nach einem Sieg auf
Schalke und einer Führung gegen den BVB dürfen wir sowas schonmal
singen. Doch: Ewerthon schießt knapp vorbei. Ricken führt einen
Freistoß schnell aus - daneben. Glüüüüüüück
für uns. Intensiv? Da war doch was. 32. Minute, was rotes pappmäßiges
leuchtet in den Abendhimmel - eine Karte? Irgendwie verschwindet der Kehl
in den Katakomben. Auf Wiederseeeeehn. "Der hat dem Zdebel in die Eier
getreten", klärt Helmut per sms auf. Ich will es an Dirk aus München
weiterleiten, aber Scheiße, der steht doch neben mir... Wie geil!
"Jetzt müssen wir uns entscheiden: AC Milan, Real Madrid oder wen
wollen wir haben?" witzelt Sam. Ich rege mich derweil tierisch über
den Champagner-Charakter der BVB-Fans auf, die 500 Karten zurückgeschickt
haben. Zu Hause 80.000 im Schnitt und auswärts nach Bochum (15 Kilometer
weiter) kriegen die nicht mal 2.800 zusammen! Halbzeit. Hat sich irre gelohnt.
Fotos für die Homepage. Siehe unten.
45 Minuten noch. Wie gegen
Lautern
vor zwei Wochen: Überzahl - und diesmal führen wir noch dazu.
Buckley für Diabang, Buckley frei vor dem Tor, 48., das wäre
es doch gewesen. Es ist lauter als auf einem Flughafen, im Augenwinkel
entdecke ich, dass Dirk kurz davor ist, bei einem dieser unsäglichen
"BVB-Hurensööööhne"-Sprechchöre mitzuträllen.
Hat er? Weiß ich nicht. Ich überlege derweil, ob ich Gerds erneuten
"Titten"-Ruf für die Cheerleaders in diesen Text einbaue (was hiermit
getan wäre...), schreibe zeitgleich eine sms an einen im Urlaub weilenden
Schalker,
um ihn mit dem Zwischenergebnis zu beglücken und unterbreche diese
Gedanken. Es passiert zu viel auf dem Platz, viele Grätschen, schöne
Pässe, wir haben ihn im Sack, diesen kapitalistischen Haufen, diese
arroganten Schnösel. Wir gegen die. Klein gegen Groß. Sympathisch
gegen Großkotzig. Buckley auf links, flaaankt, der Hubschrauber frei,
TOOOOOOOOOOOOOOR, Tor-Pogo, endlich mal wieder so richtig geil, hoch, runter,
auf und ab, Mama lebst Du noch? Sie lebt, Küsschen, 2:0. "OOhhhhh,
wie ist das schöööön, sowas hat man lange nicht gesehen"...
"DIE NUMMER EINS IM POTT SIND WIIIIIIIIRRRRRR - DIE NUMMER EINS IM POTT
SIND WIIIIIIRRRRR!" Es ist glücklich gelaufen. Wie in den letzten
Spielen auch. Wer oben steht, hat nun mal dieses Quäntchen. Hätte
nie gedacht, dass ich diese 5-Euro-Phrase wirklich im Zusammenhang mit
dem VfL erwähne. Niemals.
Rest geht unter. Oliseh
versenkt noch einen Freistoß links unten zum 3:0, dreht völlig
durch. So einer geht von dem auch nur in diesem Spiel rein, in keinem anderen
sonst. Jetzt brechen alle Dämme und ich denke gar nichts mehr.
Blicke. In viele Augen.
Viele glückliche.
* * *
Und wie analysiert der "kicker"
das Spiel?
PERSONAL:
Trotz der bisher guten Heimbilanz
baute der Ostkurvenblock P seine Besetzung um. Neben dem Dreierblock Sam-Thommy-Andi
feierten Dirk und Daniel ihr überraschendes VfL-Comeback nach langer
Fehlzeit. Nach dreiwöchiger Pause kehrte Gerd in die Anfangsformation
zurück. Als Dirigent wurde Mama Ernst aufgeboten.
TAKTIK:
Gerd sollte in den oberen
Reihen des Fanblocks die Übersicht behalten und seinen Vater - BVB-Fan
- beruhigen. Thommy hatte gleich mehrere Aufgaben zu erfüllen. Erstens:
Mama Ernst zum Sehen zu verhelfen (was bringt ein Dirigent, wenn er nicht
aufs Feld blicken kann?). Zweitens und drittens: Unterhalten mit Harald
und Dirk. Sam, Dirk, Daniel und Andi sangen drei Treppenstufen unter Gerd
mit voller Kraft. Alle zusammen sollten "V-F-L" schreien bis zur Heiserkeit.
SPIELVERLAUF:
Nicht nur die Spieler können
90 Minuten Vollgas geben, sondern scheinbar auch die Fans. Von der ersten
Sekunde feuerte die Ostkurve in diesem heißen Derby mutig-offensiv
an, gegen überraschend tief gestaffelte und zurückhaltende Dortmunder.
Mit dem Vorsprung stiegen Kreativität und Stimmkraft. Nach dem 3:0
zehn Minuten vor Schluss war es ein kompletter Selbstläufer.
FAZIT:
Ein unvergesslicher Fußball-Abend
mit einer wohl einmaligen Fan-Besetzung. Tolles Spiel, Riesen-Stimmung,
da passte alles.
FAN DES SPIELS:
Dirk von Gehlen.
Nach zweieinhalb Jahren
Pause mal wieder im Ruhrstadion und dann direkt dieser Knaller. Das nenn
ich Riecher.
* * *
Es regnet nach dem Abpfiff.
Ganz langsam setze ich mir die Kapuze meines gleichnamigen Pullis auf,
um gleich im nächsten Moment "Ach scheiß drauf" zu denken. Hey,
mein Fahrrad ist ja sogar noch da. Ich springe über die Barriere zwischen
Bürgersteig und Straße, laufe in Richtung Straßenbahn-Haltestelle
und muss mich kneifen, um nicht aus Tradition in die 308 zu steigen. Die
Straße ist nass, Blätter liegen darauf, oha, das kann ja eine
Fahrt bis zum Hauptbahnhof werden. Menschenmassen drängen sich über
die Castroper Straße, Blätter sorgen für einen Glitschfilm,
es regnet. Aber kein Problem: In völliger Trance umkurve ich alles,
was sich mir in den Weg stellt. Parkende Autos, fahrende Autos, stehende
Menschen, laufende Menschen, Glückliche, Traurige; und zum Schluss
umkurve ich sogar mein eigenes Hirn. Es ist so wahnsinnig. Am City-Grill
warte ich auf den Rest der Gruppe, verabschiede mich kurz und verschwinde
im Dunkel des Regionalexpresses. Aus der Entfernung erklingen immer noch
die "Die Nummer eins im Pott sind wir"-Rufe, und es ist keine Einbildung.
Nein, es ist der Sprechchor des Abends. Es kommt die Zeit, sich in Ruhe
mit all diesem Knubbel von Emotionen zu befassen, ihn zu entwirren, auseinander
zu fummeln. Was für eine Tortur. So eine habe ich noch nie mitgemacht,
so eine werde ich nie mehr mitmachen. Alles war so eng, ein so enger Zeitrahmen,
und doch ist es gut gegangen. Wenn ich dieses Spiel verpasst hätte,
dann hätte ich da jahrelang dran zu knabbern gehabt. Wir sind Sechster,
haben unser Punktesoll für die Vorrunde erfüllt. Und es sind
weitaus mehr Gedanken als diese drei.
Als Überschrift für
den 94-zeiligen Artikel über Union werde ich wohl irgendwas mit "Verstärktes
Amateurteam setzte sich knapp durch" oder so wählen.
Aber es ist mir so egal.
"Du hast alles hergegeben;
Andi wir sind stolz auf Dich" (Frei nach "Mein VfL" - Vorsicht Eigenlob!)
Das Spiel
Lauter tolle Menschen
(nur
Thommy
fehlt; keine Ahnung warum - aber er ist ja oft genug auf dieser Seite verewigt)
Und der Tag endete, wie
er anfing: mit Arbeit
Surreale Tage im Oberhaus der Bundesliga! Beispiel? Raymond Kallas darf sein historisches erstes Tor köpfen!
Dreams
Manchmal mitten im Schlaf
sprinte ich durch Mailand. Oder durch Manchester. Durch Glasgow. Regentropfen
fallen vom Himmel, verteilen sich überall auf meinem Gesicht. Dann
schaue ich extra hoch in die Wolken, um die Tropfen gebührend zu empfangen,
schmeiße meine Brille auf den Bürgersteig und brülle ganz
laut "YAAAAAAAAAAWP!!!!!", ganz wie Todd Anderson im "Club der toten Dichter".
Um meinen Hals baumelt mein blau-weißer Schal mit dem VfL-Bochum-Wappen
drauf und vor meinen Augen laufen Bilder von Champions-League-Spielen.
Die Tore, die weiß ich dann im Schlaf ganz genau. Freistoß
Oliseh von halbrechts, auf den langen Pfosten, Kopfball Kalla, Unterkante
Latte; 1:0, gewonnen. Ob in Mailand, Manchester oder Glasgow. YAAAAAAAAWP!
Doch am Morgen, wenn dann der Wecker klingelt, dann blinzel ich kurz und
wache in Mülheim auf, in meinem eigenen Bett. Dann sind all die Träume
vorbei, und die Tabelle der Bundesliga flüstert mir zu: "Pssssst...
Andi.... das ist der VfL Bochum... der wird niiiiiieeee in der Champions
League spielen. Und der Kalla... der schießt sowieso nie ein Tor
für den VfL!"
So ist das nach meinen Fußball-Träumen.
Einen solchen hatte ich heute Nacht - zugegeben - nicht. Eigentlich weiß
ich gar nicht mehr so genau, was überhaupt in meinem Gehirn vorgegangen
ist. War es mein Traum-Urlaub in San Francisco? Schnorcheln im ägyptischen
Roten Meer? Eine wunderschöne Frau? Null Ahnung. Nur noch die Hintergrundmusik
ist hängen geblieben. Passenderweise natürlich "Dreams" von den
Cranberries.
Traumhaft schön waren
die letzten beiden Spiele. 2:0 auf Schalke, 3:0 gegen Dortmund, das wird
es so innerhalb einer Woche wohl nie wieder in der Vereinsgeschichte geben.
Das ist Kapital 1 des Bochumer Surrealismus, der im Moment die Bundesliga
überfällt. Vor der Saison stufte uns die gesamte Fußball-Expertenelite
als Absteiger Nummer zwei nach Eintracht Frankfurt ein - und jetzt? Jetzt
haben wir bewiesen, dass es doch geht, mit einem kleinen, aber feinen Familienverein
in einem kleinen, aber feinen Stadion; in dem fast jeder jeden noch kennt,
oben mitzuspielen. Nun gut, auch bei uns kriegen die Jungs Millionen, das
ist schon klar. Aber in den meisten der anderen 17 Klubs kriegen die Spieler
Aber-Millionen, und spielen in hochmodernsten, synthetischen, völlig
unpersönlichen Arenen, die ruckzuck in Konzertsäle, Veranstaltungshallen
umgewandelt werden können. Wo bleibt inmitten des Profits das Vereinsprofil?
Unser Ruhrstadion steht allenfalls Herbert Grönemeyer zur Verfügung.
Das nenne ich konsequent!
Meine Fresse, ist das alles
surreal. Surreal? Was heißt das eigentlich, surreal? "Kunstrichtung,
die das Traumhaft-Unterbewusste künstlerisch darstellen soll!" Na
bitte. Traumhaft. Traum. Dream. Willkommen in der Rahmung dieses künstlerisch
darstellenden Berichts. Da steht die Überschrift doch schon fest,
bevor ich überhaupt losgefahren bin, frohlocke ich um kurz nach halb
zwei, als ich mich auf den Weg zum Bahnhof mache, um in die S-Bahn zu hüpfen.
S-Bahn? Genau, richtig gelesen. Die habe ich seit bestimmt fünf Jahren
nicht mehr in Richtung Bochum benutzt, sondern stets immer brav auf den
Regionalexpress gewartet. Der kommt aber aus Köln, und die ganzen
rot-weißen Geißböcke zu sehen? Nee, das muss nun wirklich
nicht sein. Also ab durch Essen-Steele, Essen-Steele Ost, Essen-Eiberg,
Wattenscheid-Höntrop, und bis Bochum Hauptbahnhof. 14.30 Uhr treffe
ich am Ruhrstadion ein, nach der Abhetzerei beim Dortmund-Spiel
genieße ich das in vollen Zügen. Und denke an meine bisherigen
Köln-Erfahrungen. Mensch, gegen den FC habe ich schon lange nicht
mehr gespielt. Letztes Jahr waren die in der zweiten Liga, davor wir; und
davor hat der VfL fast alle Spiele verloren, ein paar Jahre lang. Irgendwie
waren mir die Kölner immer unangenehm, und jetzt kommen die auch noch
mit nem neuen Trainer. Gefäääährlich, würde Faßbender
sagen. Aber ist doch egaaaaaaaaal, wir können doch fünf Spiele
in Folge verlieren, wir sind der VfL, wir haaaaben doch schon 18 Punkte.
"Surreal", schmeiße ich Gerd mein heutiges Lieblingswort auch mal
entgegen. Die Kölner laufen ein und wir brüllen laut: "AB-STEI-GER!
AB-STEI-GER!!!" Aus unseren (!!) Mündern. Und wieder: "Surreal!"
Bruderhärzken Thommy
ist wieder dabei, hat Kollege Harald mitgebracht, Gerd und ich vermissen
allerdings unseren braunbegebrannten Freund Sam, der unentschuldigt fehlt
(Setzen! Sechs!); dafür ist Heinz-Horst-Dieter-Günter (schlagmichtot,
ich kenn seinen Vornamen nicht) da. Ein kleiner, circa 170 großer
Mann, mit ganz kurzen Haaren, hat immer eine Brille auf und ein Baseball-Cap,
ist gekleidet mit Jeans und Jeansjacke und ein genauso treuer Fan wie wir
alle. Noch so eine reine Stadionfreundschaft. Außerhalb der Ostkurve
könnte ich mit Heinz-Horst-Dieter-Günter nicht einen Satz wechseln.
Ich wüsst nicht worüber. "Ey Jungs", präsentiere ich mich
als grandioser Mathematiker, "vier Tore Differenz und wir sind für
heute vor Bayern!"
Die Sonne steht am Himmel,
aber tief, sehr tief, denn der Herbst ist gekommen. Das sorgt auf der einen
Seite für herbstliche Depressionseuphorie (spürt Ihr sie auch?),
andererseits für einen völlig verwirrten FC-Torwart Wessels.
Kaum hat das Spiel angefangen, hat der Wessels sich zweimal verguckt. Unsere
beiden Top-Stürmer Hashemian in der achten und Madsen in der 15. Minute
sind da und netzen zum 1:0 und 2:0 ein. Jaaaaaaa, Riiiiesen-Jubel... YAAAAAAAAAAAWP!!!!
Und es geht alles wieder von vorn los. Wir haben mal wieder richtig mies
angefangen; aber unsere Chancenauswertung ist so göttlich. Zwei Angriffe,
zwei Schüsse, 2:0! "DER IST SO GUT, DER HASHEMIAN - DER IST SO GUT!",
frohlocken wir alle, schlagen ein, und bemerken kaum, dass Heinz-Horst-Dieter-Günters
Birne brummt. Beim Torjubel zum 1:0 bekam er einen Bierbecher an den Schädel.
Eine 5-Zentimeter-Risswunde ziert nun seine Rübe. "Gehts?" "Klar,
der Kopf ist noch dran!" "Ach", brüllt einer aus den oberen Rängen,
"lass dat anne Luft trocknen. Kommt ne Kruste drauf!" Was danach passiert,
ist mit dem Begriff "Ergebnisverwaltung" zusammenzufassen. Es ergeben sich
grandiose Gegensätze. Wir, die wir trotz unserer Serie immer noch
(so erscheints mir) unterschätzt werden, führen die Kölner
vor. Drei Torschüsse kriegt der FC zustande, das ist nicht bundesligatauglich.
Zeitweilig kommt der FC drei Minuten lang nicht an den Ball, was bei jedem
Kurzpass laute "oooooooohhhhh-HEY"-Rufe zur Folge hat. Eine Demütigung.
Langelangelange hat sich keine so schlechte Mannschaft mehr im Ruhrstadion
präsentiert (nicht mal Cottbus
im letzten oder Schweinfurt
im vorletzten Jahr). Für eine Mannschaft, die seit einer Woche einen
neuen Trainer hat, ist das ein Armutszeugnis. Keiner spricht auf dem Rasen,
niemand schnauzt sich an, nicht beim 0:1, beim 0:2, 0:3 und erstmal gar
nicht beim 0:4. Wehrlos. Lieblos. Zahllose Flanken ins Niemandsland, unfassbare
Missverständnisse. Uns genügt eine durchschnittliche "Wir-geben-nur-75-Prozent"-Trainingsspielleistung,
um den FC völlig problemlos zu distanzieren.
Doch langweilig wird es
aus zwei Gründen nicht. Erstens ist dafür ein herrlicher Fan-Gegensatz
zuständig. Wir sind alle froh, glücklich, und trauen unseren
Augen nicht (Stichwort "surreal"), die Kölner ironisieren das Geschehen;
stimmen ein bei "Oh wie ist das schön", "So ein Tag, so wunderschön
wie heute" und feiern ihrerseits den Ex-Kölner Sunday Oliseh. Und
der zweite Grund? Eine kleine winzige Episode in diesem Spiel in der 45.
Minute und doch eine große für viele VfL-Fans. Ein ganz normaler
Freistoß aus der Halbposition (da sind wir die stärkste Mannschaft
der Liga, könnte ich schwören), ein Kopfball von unserem Raymond
Kalla, dem wir es alle sooo sehr gönnen, und der kullert, stolpert,
hüppelt tatsächlich zum 3:0 ins Eck. DER KALLAAAAA!!!! Surreale
Tage im Oberhaus? "Der Kalla schießt doch nie ein Tor", flüstert
die Tabelle eigentlich. Nun nicht mehr (und der Sam hat´s verpasst,
hihi!).
In einer objektiv langweiligen,
aber subjektiv grandiosen zweiten Halbzeit verfliegt die Schlussphase im
Ferrari-Tempo. Stevic streichelt einen Freistoß in den Winkel, in
der 87. zum 4:0. Und Abpfiff. Slawo Freier hat nach seiner Verletzung mal
wieder gespielt und ist nicht mal aufgefallen; Hashemian wird immer noch
nicht solo gefeiert (Vahid, Du hast einfach einen Scheiß-Namen zum
Feiern, Christiansen war da viel melodischer!), Kalla dafür umso mehr.
"Wir wolln Euch tanzen sehn!", fordern wir in aller Euphorie, und van Duijnhoven
und Oliseh legen einen perfekten Tango aufs Rasen-Parkett. Das ist es,
jaaaa, 4:0 gewonnen, es ist nicht zu fassen, es ist nicht zu fassen, es
ist nicht zu fassen. Da verkrustet Heinz-Horst-Dieter-Günters Risswunde
doppelt so schnell. 21 Punkte nach elf Spielen. 13 Punkte Vorsprung vor
dem ersten Abstiegsplatz. Kann nicht wahr sein.
Am Schluss, ganz am Schluss,
als die Spieler nach dem 4:0-Tanz wieder auf dem Weg in die Kabine sind,
hauchen wir alle gemeinsam das große 1996-er-UEFA-Cup-Lied. "Uuuuuefa-Cup,
uuuuuuefa-Cup, und wir ham das blau-weiße Licht bei der Nacht und
wir ham das blau-weiße Licht bei der Nacht, uuuefa-cuuuup, ueeeeeeefa-cup!"
Aber wir hauchen es nur, ganz leise, damit es möglichst schnell wieder
im Wind verweht. Denn wir sind der VfL Bochum; und wir alle kommen nervlich
mit dieser Tabellensituation nicht wirklich zurecht. Es ist, als ob ein
gut verdienender Beamter auf einmal eine Million im Lotto gewinnt. Dabei
ist er mit seinem bisherigen Leben hochzufrieden und weiß nicht,
wohin mit der Kohle. So geht es uns allen. Für heute sind wir also
auf Platz fünf, und sogar vor dem FC Bayern. Und das am elften Spieltag
(und nicht am ersten).
Lasst es uns tatsächlich
nur hauchen, ganz leise. Brüllen können wir es nur zu Hause,
im Schlaf.
Und dann vielleicht sogar
in "Old Trafford" in Manchester, im "Ibrox Park" von Glasgow oder im Mailänder
"San Siro", in den ganz großen Stadien.
Denn träumen, das dürfen
wir. Und beim VfL sind wir darin ganz besonders gut.
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... auf dem Pidder sein Stuhl zum VfL selbst interviewt wurde...
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