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Auf vielfachen Wunsch habe ich das VfL-Tagebuch in drei Teile geteilt; damit die Fotos nicht mehr so lange brauchen !!!
Teil 1 steht HIER
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Teil 2 steht HIER
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SV Werder Bremen - VfL Bochum 2:0 (8.3.2003)
Zuerst ein umgestürzter Kaffee, zum Schluss ne Schicki-Micki-Party
Der Ailton-Banovic-Komplex
Meine Geschichte vom Auswärtsspiel
in Bremen beginnt am Samstagmorgen um 10.15 Uhr im Intercity von Rostock
in Richtung Karlsruhe. Ein paar kurze Nächte liegen hinter mir, so
zum Beispiel das unvergessliche Ärzte-Konzert
am Dienstag, das MSV gegen Köln-Spiel
am Mittwoch, ein Abend in der Turbinenhalle Oberhausen am Donnerstag und
ein anstrengender Freitag. Und nun zeigt der Pfeil mal wieder in Richtung
VfL Bochum, und ab dafür nach Bremen. Hört sich immer so weit
an, aber Bremen liegt nun wirklich nicht Millionen Kilometer entfernt vom
Pott. Doch 10.15 Uhr ist eine verdammt frühe Zeit, na klar, und so
beehre ich das IC-Bistro mit meiner Anwesenheit, ordere so beschwingt es
eben geht ein Hörnchen (mit Philadelphia-Frischkäse und Marmelade,
eingeschweißt, sieht irgendwie BÄH aus), dazu noch ein stinknormales
Croissant (auch eingeschweißt) und einen Becher Kaffee (nicht eingeschweißt).
Hab schon leckerer gefrühstückt, aber besser als nichts. Leider
ist eine halbe Weltreise nötig, um quer durch den ganzen Zug zu meinem
Platz zurückzufinden, mit so viel Ess-Gepäck in der Hand: schwierig
schwierig. So scheitere ich selbstverständlich an einer dieser saublöden
Türen und verbreite den Kaffee auf dem Boden. Das kann ja ein heiterer
Tag werden. Wenigstens krieg ich einen neuen Kaffee für lau und der
Schaffner wischt für mich den Boden. Schimpf mir noch einer auf die
Deutsche Bahn! Nanu, fragt Ihr Euch seit ein paar Zeilen - IC von Rostock
nach Karlsruhe? Das ist tatsächlich unnormal, da habt Ihr gut aufgepasst.
In Rostock geht nämlich grad um 10.15 Uhr die Sonne auf, und ich beobachte
das Schauspiel live. Vor zwei Wochen hatte ich Judith (Ihr erinnert Euch
doch noch an den Rostock-Spielbericht, oder?) versprochen,
noch mal wiederzukommen. Gesagt getan.
Der zweite Kaffee-Versuch
glückt, und mit einem fünfminütigen Rumgepuste bringe ich
den Wachhalter (boah bin ich müde) auf Zimmertemperatur. Letzte Woche
die Ärzte, Uni, Arbeit, viiiiel zu tun, viiiiiele Termine, gestern
noch Warnemünde und der Strand und heute das nächste VfL-Spiel.
Nun ja, ganz so sinnlos wie vor zwei Wochen ist´s nicht, obwohl...
bisher hat Bochum 26 Spiele in Bremen absolviert - und noch keins davon
gewonnen. Eine Reise nach Bremen ist VfL-statistisch gesehen ebenso überflüssig
wie eine nach Köln. Wieder begleitet mich die Geschichte der RAF,
diesmal der "Baader-Meinhof-Komplex" vom SPIEGEL-Chefredakteur Stefan Aust.
Wer immer von Euch eine Frage zur RAF hat: Stellt sie mir... ich kenne
die Antwort bestimmt. So langsam könnte ich selbst im Untergrund überleben......
aber Mama und Papa, keine Sorge... ich überzeugter Pazifist hab es
ganz bestimmt nicht vor! In den Denkpausen zwischen den Kapiteln schießen
meine Erinnerungen an Bremen wieder hoch. Es war ein Auswärtsspiel
im Februar 1999, als wir zu dritt bei einem Kumpel übernachteten,
uns das 1:1 ansahen (Torschütze: Stefan Kuntz - sooo lang ists schon
her) und uns die Sehenswürdigkeiten zeigen ließen. Es war ein
Kurzaufenthalt im Oktober 2000, als vier Trottel (inklusive mir) vom Bremer
Flughafen aus nach Malle flogen. Döner heißt in Bremen Rollo.
Und die Stadtmusikanten stehen irgendwo rum. Soviel konnte ich mir grad
noch merken.
Ankunft in Bremen, Rucksack
einschließen, nach so vielen weiten Auswärtsfahrten ist auch
das inzwischen schon Routine geworden. Den Stadtrundgang verlege ich auf
die Zeit zwischen 17.30 und 18.30 Uhr, will ins Stadion, sofort, von Gorillas
untersucht werden (mein Hintermann muss seine Schuhe ausziehen, hihi),
eine Frikadelle essen, mich auf meinen Sitzplatz setzen. Wobei Sitzplatz
das falsche Wort ist. Wir VfL-er (erstaunlich viele da) funktionieren die
Sitzplatz- in einer Stehtribüne um. Platzwahl frei. Upps, ist das
eine komische Stimmung hier. Bremen ist zwar Tabellensechster, hat aber
sechs Pflichtspiele in Folge verloren. Und direkt drehen die hier im Norden
alle am Rad. Auf einem Plakat steht sogar "Wir reisen weit, zahlen viel
und ihr verliert jedes Spiel". Den VfL-Fan-Eignungstest hat der Schöpfer
dieses Satzes eindeutig nicht bestanden. Schaut nach bei meiner Statistik...
Beim Einmarsch der Spieler läuft nicht "Highway to hell" von AC/DC
(abgeschaut in Rostock?), sondern "Help" von den Beatles. Haben die Probleme.
Echt zum Kopfschütteln. Genauso wie unsere Aufstellung. Unser Trainer
beweist mal wieder Massen an Mut und bringt vorsichtshalber gar keinen
Stürmer. Christiansen Bank. Hashemian Bank.
Das einzig Spannende an
der ersten halben Stunde bleibt somit die fantastische Bremer Stadionzeitung
(64 !!! Seiten). Die erste Ecke versemmeln die Bremer in der 28. Minute.
Christiansen läuft sich ab der 30. Minute warm (wenigstens ein kleiner
Lichtblick). Wollte der Neururer torlos in die Pause und dann so richtig
abgehen? Wenn das geht, wirds eine taktische Meisterleistung. Slawo Freier
will aber mit der Entscheidung nicht so lange warten und vergibt die klarsten
Chancen der ersten Halbzeit, trifft einmal den Pfosten. Das muss es doch
sein! 0:0 nach 45 Minuten, das ist aber auch ganz ordentlich. Einige von
den 1500 Blau-Weißen denken sogar an drei Punkte (Sprechchor: "Wir
wolln hier einmal gewinnen!"), doch...
- Ich glaub erst an einen
Sieg in Bremen, wenn wir in der 90. Minute 3:0 führen
konstatiert jemand hinter
mir.
Der Himmel dunkelt ab, es
beginnt zu regnen. Anpfiff für Halbzeit zwei. Und immer noch gähnt
der Andi vor sich hin. Freier die Dritte. Wieder frei vergeben. Es sieht
immer besser aus, bis vier schlappe Minuten ausreichen, um uns auch den
27. Versuch zu versauen. Erst passt Christiansen im Mittelfeld fehl. Micoud-Assist
auf Aaaaaaaailton, 1:0. Erleichterung an der Weser (und auch bei mir: Ich
hab ihn im Kicker-Manager-Online-Spiel und kann die Punkte gut gebrauchen).
Dann rutscht Meichelbeck aus, Ailton hat freie Bank. Eine Flanke auf Micoud,
ein kluger und technisch versierter Rückpass und TOR durch Banovic.
2:0 in der 52. und 56. Minute. Das wars. Die in der ersten Halbzeit noch
so fröhlich gestimmten "Ultras" (die gute Laune ist an der Anzahl
der hochgereckten Hände zu erkennen - je mehr, desto besser) halten
ihre Schnauze. Es ist ein Neururer-scher taktischer Flop geworden (Christiansen
ist schuld am ersten Tor), und Werder-Torwart Pascel Borel, der in der
bisherigen Saison als "legitimer Nachfolger von Pannen-Olli" gehandelt
wurde, spielt die Partie seines Lebens und treibt unseren überragenden
Slawo Freier zur Verzweiflung. Wir bleiben gar ohne eigenes Tor. Zuvor
haben wir zumindest das in jedem Auswärtsspiel hingekriegt.
0:2 am Ende. 24 Spieltage bin ich ohne Abstiegskampf ausgekommen. Nun sind
es nur noch vier Punkte. So schnell kann das gehen. Also doch wieder zittern.
Nächste Woche - oh Schreck - kommen nämlich die Bayern ins Ruhrstadion;
die drei Punkten sollten wir lieber nicht mit einrechnen...
Zurück mit der Straßenbahn.
Kurzzeitig schäme ich mich mal wieder über die eigenen Fans (aus
dem "Ultra"-Kreis), die die Stadt Bochum und den Klub nicht wirklich gut
repräsentieren, wenn sie ca. 20 Minuten lang "SVW-Hurensöhne",
"Scheiß Werder Bremen" sowie "Was ist Grün und stinkt nach Fisch?
Werder Bremen!" rufen. Manche sind grad mal 18 und trotzdem sternhagelvoll.
Im IC treffe ich ein paar dieser Deppen wieder. An "meinem" Zug sind drei
Sonderwaggons für VfL-er angebracht. Wird bestimmt laut. Im "Baader-Meinhof-Komplex"
bin ich inzwischen bei Seite 350 angekommen und den "Deutschen Herbst"
am Schluss habe ich auch quer gelesen. Es geht um den antiimperialistischen
Kampf (schweres Wort), Hungerstreiks, Banküberfälle, Morde undsoweiter.
Doch im Hintergrund schwebt was Anderes. Nämlich der "Ailton-Banovic-Komplex".
Und so endet meine Geschichte
fernab von allen Reisen. Nicht in Warnemünde. Nicht in Rostock. Nicht
in Bremen.
Sondern mit dem 27. Fehlversuch
einer VfL-Mannschaft, in Bremen zu gewinnen.
Die Geschichte endet in
der stinknormalen Arbeitswelt Mülheims. Ich nehme ein Taxi Richtung
Mintarder Straße. Der Kahlenberger HTC Mülheim wird 50 Jahre
alt. Festball. Und ich mit dreckigen und nassen Klamotten, strubbeligen
Haaren und Rucksack.
Ein Hauch von Schicki-Micki
um mich rum. Als ob ich darauf jetzt noch Lust hätte.
Weitere Impressionen von
der Tour nach Bremen gibt es HIER
!
Charmante Begleitung ... Sam als Ordner ... Super-Wetter ... lest einfach den Text ... ach, da war noch was ... schaut nach bei der dicken Überschrift ...
... Gerd hat Geburtstag ...
Happy Birthday to Gerd! Happy
Birthday to Gerd! Happy Birthday Happy Birthday Happy Birthday to Gerd!
Kaum kenne ich einen Monat
den Vornamen von meinem einst so namenlosen Stadionkumpel, schon hat der
Kerl Geburtstag. Und gibts was Schöneres, als an einem Tag Geburtstag
zu haben, an dem der VfL zu Hause gegen Bayern München spielt? Gibt
es was Schöneres, am ersten Tag im Jahr Geburtstag zu haben, an dem
es nötig ist, die Sonnenbrille aufzusetzen? Wohl kaum. Ach hätte
ich doch auch heute Geburtstag gehabt.
Leute, wo soll ich bloß
anfangen? Es gibt soooo viel zu erzählen, dass ich meine ganze Wohnung
mit Spickzetteln tapezieren könnte. Wo fange ich bloß an? Kleinere
Stichpunkte seht Ihr in den Überschriften, die diesmal nicht nur als
Appetizer für einen Tagebucheintrag dienen, sondern auch als Gedankenstütze
für mich... Problem ist immer noch nicht gelöst. Wo fange ich
also an?
Vielleicht sollte ich Euch
erzählen, dass Bochum heute gegen Bayern spielt. An den Fotos ist
Euch das aufgefallen, klar, aber die Spiele gegen die Bayern sind nunmal
immer was ganz Besonderes, daher erwähne ich das hier nochmal extra.
Aus sportlichen Gründen (so unsympathisch die Spieler, Funktionäre
und Fans auch sind: Ein bisschen Fußball spielen können die
ja, 13 Punkte Vorsprung am 25. Spieltag sprechen eine eindeutige Sprache,
oder?) sicherlich, aber auch, weil das Stadion ausverkauft ist, weil Freunde
mitkommen, die sonst nicht das Stadion besuchen. Das ist schon immer so
gewesen, in all den Jahren. Deshalb werde ich nicht müde, mich schon
sieben Tage zuvor wie irre auf dieses Spiel zu freuen, obwohl meine Statistik
gegen die Bayern debakulös ist. Zehn Spiele gesehen, kein Sieg, die
letzten total in den Sand gesetzt, oder wie würdet ihr die Ergebnisse
0:3, 2:4 und 1:4 interpretieren? Es bleiben Erinnerungen an mein allererstes
VfL-Spiel, natürlich Bochum gegen Bayern, 1987. An das geilste VfL-gegen-Bayern-Spiel,
ein 2:2 anno Winter 1998, Spielnote 1. An das 0:3 vor zwei Jahren, das
ich nur im Vollrausch miterlebte (und ich war in diesem Moment sehr stolz
darauf). Und an die Auswärtsspiele, wie zum Beispiel im Oktober
2002.
Es ist so ein schöner
Tag. Die Vorfreude auf dieses Spiel ist sowieso schon unendlich, und dann
verrät mir der Wetterbericht, dass es 16 Grad gibt. Die Jacke wird
mit Karacho in den Schrank geschmissen, die Sonnenbrille aus der Schublade
hervorgekramt. Das kann ja nur ein wunderbarer Nachmittag werden. Vielleicht
nicht aus sportlicher Sicht, aller Voraussicht nach muss ich meine große
Klappe, die ich gegenüber Bayern-Fan Christian-Wibbel Schneider (Er
wettete: Bayern gewinnt mit mindestens zwei Toren Differenz, Ich: dagegen)
und BVB-Fan Björn (Andi: "Wir
helfen Euch und hauen die Bayern weg!") zum besten gab, revidieren - aber
egal. Die Sonne wirds richten. Verpass mir einen Brand, eine rote Nase.
Ich brauchs jetzt.
Um mal wieder einen in diesem
Tagebuch altbekannten Satz aufzugreifen: Jedes Fußballspiel erzählt
nicht nur für die Aktiven auf dem Platz, sondern auch für jeden
einzelnen Fan eine besondere Geschichte. Für mich ist dies das 221.
VfL-Spiel, und doch ein außergewöhnliches. Denn gleich vier
Leute begleiten mich, die noch nie neben mir in der Ostkurve standen. So
richtig geplant war das nicht, als ich im August 2002 insgesamt sieben
Eintrittskarten für das Bayern-Spiel käuflich erwarb, aber nun
ists umso schöner. Ein großer Organisationsaufwand ist gar nicht
nötig. Stefan und Thorsten (Neuling Nummer eins) Meinert kommen mit
dem Auto. Die beiden müssen auch früher gehen; zu einem Tischtennis-Spiel.
Mein Gott ist der Stefan ("Meini") fett geworden. "NIMM MAL AB, JUNGE!"
Mein Bruder Thommy hat meinen Opa (siehe Schalke-Spiel)
und meinen Cousin Tobias (Neuling Nummer zwei) mitgenommen. Ich wiederum
werde von Tina und Nicole begleitet - mit Sicherheit die charmantesten
Begleiterinnen in meiner VfL-Geschichte. Tina ist eine Arbeitskollegin,
aber noch vielmehr eine ganz liebe Freundin, und Nicole spielt in Tinas
Handballmannschaft (und ist hier im Gästebuch
und in einem von mir verfassten WAZ-Artikel
vertreten). Die beiden sind die Neulinge drei und vier.
Sowieso da sind Gerd und
Sam, meine Stadionkollegen. Wobei lediglich Gerd auch wirklich in unserer
"Stammecke" auftaucht. Trotz seines - siehe oben - Geburtstags. Sam derweil
hat einen exklusiveren Stehplatz ergattert. Das Ganze erzählt mir
Gerd um 14 Uhr (heute mal schon anderthalb Stunden vor dem Anpfiff - normalerweise
fahre ich dann erst los, aber besondere Spiele...), als Tina, Nicole und
ich das Stadion betreten und unsere Fressen der Sonne entgegenstrecken.
"Schau mal unten", merkt Gerd an und deutet auf eine dunkelhäutige
Gestalt in Security-Kluft. "Nein. NICHT WIRKLICH", brülle ich und
bemerke, dass die Geschichte vom Hannover-Spiel
keine Verarsche war. Sam hat das Job-Angebot dieses Dienstes für dieses
eine Spiel angenommen (weil er keine Karte mehr bekommen hat) und kriegt
fürs Sonnen und Nichtstun 50 Schleifen. Als Gerd mir in der Folgezeit
noch weitere Details aus Sams Leben erzählt (läuft die 100 Meter
in 10,4 Sekunden, ist mal bei Bon Jovi mitgeflogen, hat Gerd bei einem
Sting-Konzert mit den Worten "he is a dancer for the show" reingeschleust)
beschließe ich, über ihn mal ein Porträt zu schreiben.
Nach und nach trudeln die verschiedenen Grüppchen ein, und um mich
herum versammeln sich so viele mir liebe Menschen, dass ich sie gar nicht
mehr zählen kann. Thommy und ich schenken Gerd zum Geburtstag ein
Exemplar von Thommys Buch "Popliteratur" - natürlich mit Widmung.
Einmal eine Widmung im vollbesetzten Ruhrstadion schreiben: Das wird Thommy
auch so schnell nicht mehr passieren.
Die Sonne scheint immer
noch, der Feuerball steht sogar direkt über dem Ruhrstadion, als irgendein
bescheuerter Schlagerheini "You´ll never walk alone" grölt.
Der Text läuft auf der Anzeigetafel mit, aber wohl kaum für die
Fans, sondern eher für den Sänger... der Puls steigt, Hörbies
"Bochum" kommt wie immer gut; und dann pfeift Piepsstimme Markus Merk (der
auch heute Geburtstag hat - aber das kann Gerd die Stimmung nicht versauen)
das Spiel an. Ähnlich wie beim 1:4
im Hinspiel ist dieses aber nur ein paar Zeilen wert. Zu frustrierend
ist diese verdammte Scheiß-Überlegenheit der Bayern. Meine Hoffnung,
dass die hier in Bochum reif sind, verschwindet schnell im Keller des Ruhrstadions.
Zwar fehlen Ballack, Scholl und Salihamidzic - aber trotzdem können
es sich die Köppe leisten, Leute wie Deisler, Kuffour und Santa Cruz
auf der Bank sitzen zu lassen. Claudio Pizarro nutzt die Unfähigkeit
seines Gegenspielers (Vriesde) ruckzuck aus (16./1:0) und dann ists ne
einfache Angelegenheit. Einmal macht ihn unser Torwart unglücklicherweise
selbst sein (35.), dann noch Niko Kovac (47.) und Willy Sagnol (89.). 4:0
für Bayern, das sieht verdächtig nach meiner höchsten Heimniederlage
ever seen aus. Gleich dreimal hätten wir wenigstens den Anschlusstreffer
erzielen können, aber leider ist Oliver Kahn der beste Torwart der
Welt. Die Frustration bleibt. Zé Roberto tänzelt nach Belieben
durch unsere Abwehr, und obwohl wir grätschen wie die Wilden, und
obwohl die Bayern in der zweiten Halbzeit nur noch 60 Prozent bringen,
führen die uns vor. Bitter. Gut, Christiansen darf (Kahn patzt!!!)
noch zum 1:4 einnetzen (doch nicht meine höchste Heimniederlage),
aber das wars.
Es sind die kleinen Momente,
die das in den letzten 60 Minuten kotzlangweilige, weil eindeutige Spiel
noch ein wenig erhellen. Die Unterhaltungen mit meinen "Lieben" beispielsweise,
oder Sprechchöre wie "Wo bleibt das Megaphon?". In der zweiten Hälfte
hatte nämlich nicht einmal mehr der oft geschilderte Ultra-Depp mit
dem Megaphon Bock, für Stimmung zu sorgen. Herrliche Bochumer Selbst-Ironie.
Sam macht sich derweil einen lauen Lenz. Gerd und ich beschließen,
dass wir eigentlich auch 50 Schleifen für das Spiel verdient hätten.
Die anderen Ergebnisse sind für uns nicht gut, das wird Abstiegskampf
an den letzten neun Spieltagen. Wir haben dreimal in Folge verloren und
Meini, der links neben mir steht, erzählt mir fortwährend, dass
er am Abend zuvor betrunken war. Opa findets toll und verdrückt nach
dem Spiel im "City-Grill" eine Frikadelle. Und auch Tina und Nicole machts
Spaß. So bin ich auch glücklich, und habe alle meine Episoden
für diesen Tagebuch-Eintrag beisammen.
Gerd setzt direkt nach dem
Abpfiff seine Sonnenbrille auf (ich hab meine gar nicht erst abgenommen)
und verschwindet Richtung Heimat. Die gute Laune hat auch er sich nicht
vermiesen lassen.
Hat ja auch Geburtstag heute,
der Gute.
Es ist Krieg - und ich ärger mich über zwei Monate Abstiegskampf
Die Welt steht still
Es ist Krieg.
Es ist Krieg im Irak. Aus
irgendwelchen Gründen schmeißen die USA Bomben auf den Irak,
Menschen werden sinnlos sterben. NEIN!
Hört auf damit!
Es ist Krieg, und den Beginn
bekomme ich in Rostock mit, tief in der Nacht. Die paar Tage Erholung bei
Judith (die ich auch im Rahmen der Spiele in eben Rostock
und auch Bremen schon zweimal besuchte) haben mir
sehr gut getan; und ehrlich - auch wenn mir das keiner von Euch glauben
wird - ich hatte nicht vor, zum Spiel Wolfsburg gegen VfL Bochum zu fahren.
Entgegen meinen sonstigen Gepflogenheiten habe ich mir diesmal keine Eintrittskarte
geholt, eigentlich wollte ich schon am Freitag, den 21.3., gen Ruhrpott
abdüsen.
Es ist Krieg und Jan Delay
singt mein Mottolied für die mittleren-März-Frühlingsbeginns-Tage.
"Die Welt steht still" näselt er durch die Lautsprecher. Immer und
immer wieder.
Und die Welt steht wirklich
still an diesem Samstagmorgen. Es deutet sich ein wunderbarer Tag an. Keine
Wolke ist am Himmel zu sehen, die Sonne strahlt in grellen Farben. Es wirkt,
als hätte jemand eine Atombombe auf Deutschland geworfen und lediglich
ein paar Schaffner, Lukas´se (Lokomotivführer) und ich hätten
überlebt. Außer den Zuggeräuschen ist nichts zu vernehmen;
kein Ton, keine Stimme. Auf den Straßen Mecklenburg-Vorpommerns fährt
kein Auto, auf den Seen dreht keine Ente ihre Runde. Zum Glück muss
ich in den vier Stunden Zugfahrt von Rostock bis Wolfsburg viermal umsteigen,
ansonsten wäre idie Einschlafgefahr ziemlich groß!
Was erwartet mich? In Schwerin,
Ludwigslust, Wittenberge und Stendal ist mein Aufenthalt nicht lang genug,
um die Städte zu erkunden. Also Wolfsburg. Der BAEDEKER bietet mir
nur wenige Stichpunkte auf einer Dreiviertelseite - und das bei einer Stadt
mit 123.000 Einwohnern. Das alles zusammengemengt mit Vorurteilen (Erzählungen
von Thommy und weiteren Personen) ergibt ein ganz finsteres Bild. Wolfsburg
gleich Leverkusen?
Also bin ich doch wieder
beim Auswärtsspiel. Man scheiße ich wollte es doch nicht. Nächste
Woche ist doch sowieso spielfrei, dann hätte ich den Mist sogar für
insgesamt zweieinhalb volle Wochen vergessen. Doch jetzt erwischt mich
der Abstiegskampf mit voller Breitseite; direkt am Bahnhof, als mir die
"Hurra hurra die Bochumer sind da"-Rufe entgegen schallen. Wolfsburg hat
insgesamt nur zehn (!) Schließfächer am Bahnhof, mist, muss
ich meinen ganzen Krempel zum Stadion mitschleppen. Im Bahnhofskiosk liegt
eine BILD von Freitag. "Tötet Saddam!" steht in roten Lettern darauf,
Schriftgröße 90 oder so. Ach ja, es ist Krieg.
Ich war schonmal hier in
Wolfsburg beim Fußball. Noch im alten Stadion am "Elsterweg". Da
waren wir im Februar 2001 Tabellenletzter und Rolf Schafstall bestritt
sein erstes Spiel als VfL-Trainer. Acht Verteidiger standen in unserem
Kader und alle acht haben gespielt. Der "gute alte Schafstall-Beton" unkten
wir damals auf der Stehtribüne und hofften inständig auf ein
0:0. Was wurde es? Ein 0:0! Das witzigste 0:0 meiner bisherigen Fußball-Karriere,
zweifelsohne.
Oh ja, das sind Erinnerungen,
aber die haben unweigerlich mit Abstiegskampf zu tun. Das neue Stadion,
die "VW-Arena", taucht inmitten von ehrfürchtigen Gedanken an alte
Zweitliga-Ängste am Horizont auf. Es liegt nur wenige Wosz-Pässe
vom alten entfernt. Prima, die haben eine Gepäckaufbewahrung, wenigstens
das, und Tausende von F-Jugendlichen begegnen mir auf dem Weg. Eine Aktion
scheinbar, um das Stadion wenigstens mit 20.000 Zuschauern zu füllen.
Das bringt den Wolfsburgern den Sprechchor "Eure Fans sind alle unter zwölf"
einbringt. So falsch ist´s nicht. Vielleicht knacken die auf diesem
Weg im Jahr 2030 die 5000-Dauerkarten-Marke.
Überhaupt VfL Wolfsburg.
Das ist neben Bayer Leverkusen der Verein, den ich am wenigsten mag. Ich
ignoriere diesen Klub so sehr, dass ich überhaupt keine Lust habe,
meine Abneigung hier noch groß zu begründen. Wenige Stichpunkte
reichen aus: Reiner Firmenklub, lebt nur durch Finanzspritzen des großen
Stadtsponsors (VW), wenig Fans (weil keine Tradition), eine Millionentruppe
(freiwillig geht keiner nach Wolfsburg) und dazu ist Wolfsburg ne Scheiß-Stadt
(mehr Gehässigkeiten in meinen Notizen
zu Wolfsburg). Zurück in die zweite Liga - bitte schön!.
Für über 50 Millionen Euro hat VW dem VfL wenigstens ein ganz
nettes Stadion auf ein Brachgelände gebaut, allerdings ist es so verdammt
schuppig in dem Gebäude, dass alle fünf Minuten irgendjemand
"Mach doch mal das Fenster zu" brüllt und ich froh bin, einen Tag
nach Frühlingsbeginn meine Winterpudelmütze in der Jacke verstaut
zu haben (purer Zufall!).
Darf ich wieder einen Blick
auf meine Serien werfen?
Halt, Telefon läutet.
Mama ist dran, oh verdammt, hatte vergessen allen Mülheimern mitzuteilen,
dass ich erst Samstagabend und nicht schon Freitag (wie ursprünglich
gedacht) heimkehre, da wird mein Anrufbeantworter überquillen; aber
jaja, ich lebe noch.
Also Bratwurst rein ins
Maul, Serien ins Hirn!
Sieben Auswärtsspiele
ohne Sieg, drei Niederlagen in Folge, sechs Spiele insgesamt ohne Sieg,
von den letzten 13 Spielen nur zwei gewonnen. Alles finster, vor allem,
als die Spieler gegen 15 Uhr zum Aufwärmen den Platz betreten. Da
ich in Rostock war, bin ich über Aufstellung und Personalsorgen völlig
uninformiert, aber so krass war´s lang nicht mehr. Gerade einmal
zwei Profis sitzen auf der Auswechselbank (Hashemian, Fiel), ansonsten:
alles verletzt. Zu meinem Entsetzen stülpt sich Sergej-Kampfsau Mandreko
ebenso ein Trainingsleibchen über wie mein persönlicher Freund
Michael Bemben. Das Spiel ist für mich schon verloren, bevor es angefangen
hat. Egal wie es ausgeht, ich weiß jetzt schon, dass unser Trainer
vor dem nächsten Spiel gegen Kaiserslautern sieben Änderungen
vornehmen wird: Kalla, Fahrenhorst, Reis, Oliseh, Schindzielorz, Wosz und
Hashemian rein.
Das kann wieder mal heiter
werden; und wird es auch. Wieder versucht es unser Trainer mit Manndeckung
(Tapalovic gegen Maric, Meichelbeck gegen Präger, Colding gegen Petrov),
daher dirigiert (!) Anton Vriesde (!!) als Libero (!!!!) unsere Abwehr.
Das hab ich in der F-Jugend aber mindestens genauso gut gekonnt, denn etwas
anderes als die Kugel zweimal hochzuhalten, um sie dann mit 150 km/h auf
die Tribüne zu pfeffern, fällt dem guten Anton, der wohl doch
in der Regionalliga besser aufgehoben war, nicht ein. Wenigstens gewinnt
er ab und an nen Zweikampf (um ihn nicht völlig durch den Kakao zu
ziehen). Meine speziellen Freunde Bemben und Mandreko, die im defensiven
Mittelfeld wirbeln (wo sonst Schindzielorz und Oliseh werkeln - uaaaahhh,
welch Vergleich), beweisen einmal mehr, dass sie in der Bundesliga nichts
zu suchen haben. Kein Wunder, dass unsere offensiven (Gudjonsson, Buckley,
Christiansen, Freier) keine Pässe bekommen und auch nicht die geringste
Lust auf Fußball verspüren.
Daher grenzt die erste Halbzeit
verdächtig nah an Arbeitsverweigerung. Wir Fans müssen uns mit
witzigen Sprüchen warm halten. Zuerst trifft es den Schlagersänger
Michael Schleiring, der "Olé Ola" zum Besten gibt (Schlagersänger
- ist das jetzt Mode in Stadien? Bitte nicht!) und der "Du machst Dich
lächerlich" abbekommt. Dann trifft es sehr zu meiner Freude die Stadt
Wolfsburg und den dortigen VfL ("Wolfsburg ist ne tote Stadt - heyheyhey",
"Neues Stadion - keine Stimmung - SCHEISS VW!", "Ihr seid nur ein Alibi-Verein"
- ich kann nur nochmal auf meine Wolfsburg-Gehässigkeiten
hinweisen) und weiterhin den Fanclub "Die Treuen", die sich im Gegensatz
zu uns auf dem Oberrang sitzend aufhalten und ihren Club-Geburtstag feiern.
Das gibt von uns "unten" ein "Happy Birthday"-Ständchen. Inmitten
des dicksten Gesangs fällt dann das 0:1. Schon in den ersten 20 Minuten
hatte Wolfsburg drei Hundertprozenter, und seit der zweiten davon schaut
sowieso kaum noch ein Blau-Weißer auf den Rasen. Das 0:1 ist ein
Tor, das nur wir kassieren können. Karhan schießt, Maric fälscht
ganz blöd ab, drin. Das bringt unsere (wie in Bremen)
so durcheinander, dass direkt das nächste Scheiß-Tor hintendran
fällt. Diesmal schläft unsere komplette Abwehr, so dass selbst
ROY PRÄGER (der sonst NIE trifft) einmal jubeln darf. Das Ganze zum
2:0 in der 31. Minute. Biliskov erhöht gar auf 3:0 (34.), doch der
Schiedsrichter erkennt das Tor nach langer Überlegungsphase nicht
an (die "Tor"-Musik lief schon im Hintergrund). Nach dieser Szene wirds
selbst uns Sängern zu viel, und wir halten den Mund.
Das geht auch in Halbzeit
zwei so weiter, als alles entschieden ist und sich die Wolfsburger nur
noch den Ball zuspielen und uns auch ein paar Spielanteile gönnen.
"Wir sitzen tief in der Scheiße, heyheyhey" - dieser Song findet
Anklang bei so manchem, genauso wie "Reißt Euch den Arsch auf!" Dass
die "Ultras" die altbekannten Sprüche "Wir sind Bochumer und ihr nicht"
und "Wir haben die Schnauze voll" auspacken, ist für mich unverständlich.
Immerhin haben wir SIEBEN Verletzte, und bemüht haben die Jungs sich
zumindest in der zweiten Halbzeit. Peinlich wirds nur, als uns selbst in
den letzten acht Minuten kein Tor gelingt, als Wolfsburgs Stürmer
Klimowicz im Tor steht. Der etatmäßige Schnapper Reitmeier (der
39 wurde, auch gegen diesen Rentner gelang uns kein Tor) hatte sich verletzt.
Tja, 0:2, dabei bleibts, die Spieler wollen uns zuwinken, werden aber gnadenlos
niedergepfiffen. Ich warte darauf, dass die "Ultras" bald streiken. Wär
mal ne Idee.
Bleibt die Rückfahrt.
Ich könnte so viele Fotos von Wolfsburg schießen, um zu beweisen,
warum ich diese Stadt nicht mag (ihr wisst schon, kleine
Gehässigkeiten). Wenigstens die Pizza schmeckt. Im Radio läuft
"Only Time" von Enya, der 11.September-Song, der den Krieg wieder ein wenig
näher in meine Realität rückt. Am Bahnsteig steht einer,
der sich am Handy mit "Krümpelmann" meldet (der erste BILD-Reporter
über den VfL heißt so), der mit "Günner" telefoniert (der
zweite BILD-Reporter heißt Günther Pohl), über "Bemben"
spricht (ein VfL-Spieler) und den PLAYBOY liest. Erzähl mir einer
was über Vorurteile. Im ICE gen Heimat sitzen wieder die Jungs, die
mit dem BOZ-Fanexpress unterwegs sind. Alles dieselben Leute wie immer,
und stets ist es ein Highlight, die Gutverdienenden im ICE mit den besoffenen
Fußballfans in Konfrontation zu sehen. "Ekelhafte Proleten" stottert
eine 65-Jährige vor sich hin, bis sie sich in ihr Pelzmäntelchen
schmiegt und in die erste Klasse abwandert. Ein weiterer erzählt jedem
ICE-Gast, dass Sunday Oliseh ihm die Hand geschüttelt hat ("Die Niederlage
is mir soooo egal. Der hat gesagt: Et wird allet wieder juuut. Abba auf
nigerianisch!"). Ich grinse in mich hinein.
Dann steht die Welt ganz
still.
Trost hab ich heute nicht
nötig. Denn ursprünglich wollte ich eigentlich gar nicht nach
Wolfsburg.
Dann tut´s auch nicht
so weh.
Weitere Impressionen von der Tour nach Wolfsburg gibt es HIER !
Angstzustände knistern und der Vriesde wird nie ein Torjäger
Von der Tragik des Fußballfan-Seins
so eine scheiße...
so ein verdammter mist... so eine scheiße... es reißt dir das
herz raus, es brennt in dir wie eine zu scharf gewürzte spaghettisoße,
es trampelt auf deinem körper rum, es schmerzt wie eine bänderdehnung
im fußgelenk... so eine scheiße... so ein verdammter mist...
warum? warum? warum? warum? es ist 1:1 ausgegangen... es ist wirklich noch
1:1 ausgegangen...
Ich will jetzt einfach nur
noch ins Bett gehen. Ich will sms an mein ganzes Adressbuch verschicken
und vorheulen wie deprimiert ich bin. Von wegen, traurige Fußballspiele
habe ich nach ein paar Minuten schon wieder abgehakt. Dieses nicht. Das
sind so Spiele, die einen Knacks bringen können. Am Ende steigst Du
ab und weißt genau, welche Szene die entscheidende in der Saison
war. Ein unberechtigter Freistoß, eine Flanke, eine zweite Flanke,
ein Kopfball. Das sind Spiele, für die ich diesen Verein, für
die ich diese Sportart liebe; für die ich diesen Verein, für
die ich diese Sportart hasse. Ich will jetzt einfach nur noch ins Bett
gehen. Und muss doch zu einer Geburtstagsparty. Fußballfan sein ist
so tragisch manchmal. Warum? Du führst, schreist, umarmst Leute, glaubst
wieder an diesen Klassenerhalt, denkst, dass alle 20.000 Bochumer gemeinsam
dieses Spiel gewonnen haben; und es geht noch schief. Ein unberechtigter
Freistoß, eine Flanke, eine zweite Flanke, ein Kopfball. "Laauuuuuuutern
und der DFB"-Gesänge. Verschwörungstheorien?
In meinem Kopf ist Chaos.
Von einem Spiel, dass sich im KICKER nur die "Spielnote 4" verdienen wird.
Von einem Spiel, von dem bei RAN keine Szene aus den Minuten 45 bis 80
zu sehen sein wird.
Meine Eltern haben nichts
falsch gemacht. Es war - so weit ich mich erinnere - der Geburtstag meiner
Mutter Ende Juli, als mein Bruder und ich einen "Gutschein für ein
VfL-Spiel" aufmalten, und es war Mitte November (glaube ich), als die beiden
sich das Spiel gegen Kaiserslautern aussuchten. Die damalige Situation,
kurz nach dem Hinspiel? Bochum auf Platz drei, Kaiserslautern Letzter und
mit anderthalb Beinen in der Insolvenz und in der zweiten Liga. Endlich
mal wieder einen Heimsieg sehen, lautete der größte Wunsch der
beiden, und meine schlimme Serie gegen Kaiserslautern (bisher noch kein
Sieg) sollte auch zu Ende gehen. Der 27. Spieltag rückte näher
und näher... und wie sieht die Tabelle nun aus? Lautern auf Platz
11, wir auf Platz 14; ein Punkt liegt dazwischen. "Na da habt Ihr Euch
ein schönes Spiel ausgesucht", wies ich in der Woche vor dem Spiel
nahezu im Acht-Stunden-Rhythmus auf mögliches Aggressionspotenzial
unter den Fans hin.
Vergesst meine Spielberichte
aus den letzten Wochen. Heute ist wieder der Punkt Null. Alle sind fit,
es fängt wieder von vorn an. Bemben Tribüne!!! Unsere Mannschaft,
die in der Hinrunde so fantastischen Fußball gespielt hat, ist wieder
da, wieder fit, helau. Zum Warmlaufen betreten die Spieler den Platz, sofort
schließen sich laute "KALLA-KALLA-KALLA"-Sprechchöre an. Wer
einmal Anton Vriesde in der Abwehr hat rumgurken sehen, wird wissen, warum
unsere schwarze Mauer während der sechswöchigen Verletzungspause
so sehr in der Beliebtheitsskala nach oben rutschte. Es knistert in der
Kurve. "Heinz-Werner Eggeling" ruft jemand aus unerfindlichen Gründen
hinter mir, und doch erinnert dieses Knistern stark an die alten Zeiten,
als Rolf Schafstall die Mannschaft in den 80-ern mit dem "Ihr müsst
brennen"-Gefasel auf den Platz schickte, jeder Spieler einen wunden Arsch
von der ganzen Grätscherei hatte und bei einer knappen Führung
eine ganze Ball-Kompanie auf der Tribüne landete. Schwelgen in Erinnerungen;
und da der VfL Bochum eben der VfL Bochum, und eine Saison ohne Abstiegs-
oder Aufstiegsdrama scheinbar zuviel verlangt ist, wirds heute genauso
ein Spiel..
"Und - alles klar?" frage
ich meine Mutter um kurz vor halb vier, genau wissend, dass in mir selbst
grad nichts klar ist. Na klar, der letzte Nervenkitzel mit dem Aufstiegschaos
letztes Jahr gegen Union Berlin
und in Aachen ging auch knallhart
an die Nerven; aber das ist positiver Nervenkitzel; positive Anspannung.
Abstiegskampf hingegen hat mit Angstzuständen, Angstschweiß
zu tun. Das sehen meine Kumpels Thommy (hey, mein Bruder ist mal pünktlich
mitgekommen; KOMPLIMENT!), Gerd (der Richter, der die Stationettes in der
Halbzeitpause mit einem eiskalten "Titten"-Ruf begrüßt) und
Sam (der supergeile Geschichten von seiner Ordnertätigkeit im Bayern-Spiel
zu erzählen hat), ganz genauso. Es kann doch einfach nur geil werden.
Die Eltern sind dabei und wollen ein schönes Spiel sehen, die Jungs
sind gut drauf wie immer (naja, nur Gerd schaut ein wenig skeptisch) und
zu lachen gibts immer was.
Die Knie zittern, die Beine
knicken fast ein, man, wo ist meine Sonnenbrille, das blendet zwischendurch
ganz schön, zum Glück steht Thommy direkt vor mir, da kann ich
zwischendurch mal mein Kinn abstützen und durchschnaufen. "Mama -
kannst Du was sehen?" Mama kann. Überhaupt ist meine Mama die Allergrößte.
Na gut, vielleicht nicht körperlich, aber sie nimmt nahezu jeden Sprechchor
mit und ist beim "V-F-L-"-Schreien ganz weit vorn mit dabei. Wir alle helfen,
dass es klappt. Jaaa, und das sieht doch gleich ganz anders aus. Mit Oliseh.
Mit Kalla. Mit Wosz. Da ist ne ganz andere Spielkultur drin. Der erste
Schock, Fahrenhorst früh verletzt, dafür kommt mein Liebling
Anton Vriesde, wird auch schnell weggesteckt, und es geht hin und her.
Erste Chance für uns. Colding. Gehalten. Dann Kaiserslautern. Mandreko,
grätscht den Ball in Richtung eigenes Tor. Sieht nach dem Schalke-Eigentor
aus, doch Colding rettet. Puuh. Schweiß abtupfen bitte. Wieder wir.
Freier über rechts, sieht gegen Tchato eigentlich kein Land, aber
einmal doch, scharfe Flanke, neeein, keiner mitgelaufen. Dann Kaiserslautern.
Foul an Dominguez, von Vriesde. Einen klareren Elfmeter gibts gar nicht.
Weiterspielen. Minute 33. Flanke Oliseh, Kopfball Kalla, ich gönns
ihm so, ich gönns ihm so, ich gönns ihm so... vorbei! Wie geil
der Schindzielorz und wie scheiße der Buckley spielt. Mein Daddy
hats auf Buckley abgesehen ("Da kommt kein Ball an") - und er hat recht.
Minute 37. Flanke Oliseh, Vriesde gaaaanz frei, JA JA JA JA JA JA, gehalten,
Nachschuss, ganz frei, Tor ist leer, kannnnnnnn doch nicht wahr sein. Wie
hat der den denn noch vorbei gekriegt. Lähmendes Entsetzen. Offene
Münder in der Ostkurve. Halbzeit 0:0. Was für ein wahnsinniges
Spiel, was für eine unglaubliche Spannung.
Die zweite Halbzeit ist
einfach nur noch ein Krampf. Beide Mannschaften wollen, und doch kriegt
keine mehr auch nur einen vernünftigen Spielzug hin. Würden nervöse
Gedanken rote Neonlichter erzeugen - keiner würde mehr seine Hand
vor Augen sehen. Die Zeit verrinnt. Ein Unentschieden; zu wenig. "Drei
Punkte - ist mir egal wie", murmelt Sam dauernd vor sich hin. Zwischenzeitliche
Unterhaltungen über seine Zeit bei den Backstreet Boys, dumme Fan-Sprechchöre
und so´m Zeug dienen als schlechte Ablenkung. Die Gesprächsthemen
sind so vielfältig, und doch weiß ich jetzt keins mehr. 0:0.
Bloß keine Nullnummer. Zwischendurch Wechsel. Schindzielorz geht.
Völlig ausgepumpt. Dafür Tapalovic. Warum nicht Gudjonsson? Buckley
geht, endlich. Erleichternder Applaus. Dafür Hashemian. Hopp oder
top. Ecke für uns. Oliseh schießt. Der Weltstar. Der Ball fliegt
in die Mitte, 1000 Köpfe steigen hoch, fliegen durch die Luft. DRIN
DRIN DRIN DRIN, kommt alle in meine Arme!!!!!! Kommt zu mir Jungs!!!! Wir
habens! Wir könnens noch!!!! Wer ist´s? Christiansen? Hashemian?
Eigentor? Wie lange noch! 1:0, 82. Minute. Etwas schmeichelhaft, aber wen
juckt das schon?
Zeitspiel. Nur noch den
Ball halten. Vatter meckert hinter mir. "Ach Zeitspiel hab ich noch nie
gemocht". Es hilft scheinbar. Eine rote "2" blinkt auf der Tafel des vierten
Schiris auf. Noch bis 120 zählen. 100... 101... 102... 103... Mandreko
an der Eckfahne. Halt den Ball, Junge. Schirm ihn ab. Genauso... 108...
109... ja warum hebt der Linienrichter die Fahne? Freistoß? Maaaaaaaaaaaaaan.....
"Andi, sowas hat doch noch nie ein Linienrichter abgepfiffen!!!!", echauffiert
sich Thommy. Die ganze Gegentribüne, der ganze Block A springt auf,
will dem Linienrichter an die Gurgel. Alle ahnen, was kommt.
Ein unberechtigter Freistoß,
eine Flanke, eine zweite Flanke, ein Kopfball, ein Tor.
Abpfiff. Direkt danach.
Aus in der 94. Minute. 1:1.
Das darf einfach keinen
Knacks geben.
Meine Eltern dürfen
wieder mitkommen. Immerhin nicht verloren, ein irres Spiel mit viiiiel
Emotion gesehen. Kriege die Pommes vom City-Grill einfach nicht komplett
verschlungen, erstmals seit langem. "Wir sehen uns wieder auf einem Abstiegsplatz",
ruft Thommy Gerd bei der Verabschiedung zu. Er widerspricht nicht.
Ein Spiel, in dem alles
drin war.
Und das tragisch endete.
Wie so oft beim VfL.
Frösche zerreißen die Nervenstränge und Sprechchöre saugen die Fußball-Lust aus dem Hirn ...
Bitter sweet symphony
Geigenmusik dringt via Trommelfell
in jede Windung meines Gehirns ein. Ein rot geschriebener Kurzsatz mit
dem Inhalt "230 km/h" blinkt auf dem Elektrodisplay des Zuges auf, und
eine Stimme, die der Band "The Verve" gehört, flüstert mir "It´s
a bitter sweet symphony, but that´s life" ins Ohr.
Ich bin gern in Berlin.
In keiner anderen Stadt
außerhalb des Ruhrgebiets habe ich mehr Zeit verbracht. Nicht mal
in Köln. Zum ersten Mal im Juni 1994, im Rahmen einer Klassenfahrt
mit der 10. Klasse. Besoffene Lehrer, die den selbst gewählten Zapfenstreich
überschreiten, wippen im uralten Aufzug, "quartern" (ein Spiel für
Insider); Erinnerungen, die niemand vergisst. Ein Besuch am Potsdamer Platz.
Eine brach liegende Fläche; unbebaut. Große Pläne für
eine ferne Zukunft. Reste der Mauer stehen noch.
Meine Güte, was habe
ich in diesem Jahr ein Glück mit dem Wetter bei den Auswärtsspielen.
Sensationell blauer Himmel in Wolfsburg, sensationell blauer Himmel in
Rostock, sensationell blauer Himmel in Berlin - und diesmal stimmen zusätzlich
auch noch die Temperaturen. Der Frühling kommt; sprechts aus - wer
wars, Mörike? - "Frühling lässt sein blaues Band, wieder
flattern durch undsoweiter".
Was für ein Tag. Und
ich würd am liebsten 85 Prozent der Bochumer VfL-Mannschaft verprügeln.
So sauer bin ich. Man wie peinlich!!!
- It´s a bitter sweet
symphony, but that´s life, tönt´s in meinem Ohr.
Erst ein Spiel habe ich
überhaupt im Kalenderjahr 2003 verpasst, nämlich das 0:2 in Cottbus.
Nee, das musste nun wirklich nicht sein. Ansonsten: Der VfL spielt und
Andi ist dabei. Vielleicht bin ich höchstpersönlich dafür
verantwortlich, dass der VfL die mieseste Rückrundenmannschaft ist...
Berlin hätte ich - wie ich glaube - aber selbst dann mitgenommen,
wenn ich 2003 noch kein Spiel gesehen hätte.
Ich bin gern in Berlin.
So ein Auswärtsspiel
beginnt nicht immer erst am Morgen des jeweiligen Anpfiffs. Dieses hier
zum Beispiel fand seinen Auftakt bereits drei Tage zuvor mit einem ganz
simplen Telefonat. Stephan hat bei mir angerufen, ihr wisst schon, der
"Mülheimer Straßenbahnfahrer" (so hat er sich auch gleich auf
meinem Anrufbeantworter verewigt, nicht etwa mit dem Vornamen...), den
ich schonmal im oder auf dem Weg zum Ruhrstadion oder einfach nur in einer
Bahn in Mülheim treffe. Wusste gar nicht, dass der meine Nummer hat.
Ist auch wurscht, denn 15 Minuten "Lacherei" (Stephans Lieblingswort) und
eine Verabredung später ("Andreas, ich bin auch in Berlin. Sehen uns
in der Kurve!") stellten wir unseren eigenen Spiel-Fahrplan auf. "Andi
also ich sach ma: montachs da jeht dat ja noch. Das alte Spiel ist grad
vorbei, das neue noch weit weg. Dienstach gehts dann ganz langsam los,
ab Mittwoch beginnt das Kribbeln, ab Donnerstach kommen die schweißnassen
Hände. Freitachs läufste dann nur noch auf und ab. Oder?" Stimmt
irgendwie.
Ich bin gern in Berlin.
Ob es wohl ein Vorteil ist,
dass ich schon oft hier war? Ob ich deshalb mehr von dieser Stadt sehe?
Hab mich auch mit meinem Bruder Thommy verabredet, der zufälligerweise
an diesem Tag einen literaturwissenschaftlichen Vortrag in der Volksbühne
am Rosa-Luxemburg-Platz hält. Kaum einmal in Berlin, direkt zwei Verabredungen.
Thommy hat mal in Berlin gewohnt, direkt am Prenzelberg. Hab ihn besucht,
für vier Tage. Geile Zeit. Ein Jahr später waren wir wieder dort;
zum Hertha-gegen-Bochum-Spiel. Thommy hat zudem Freunde getroffen. Auch
eine geile Zeit, trotz 1:4-Klatsche. Und dann noch eine "Bekannte", die
ich dort mal hatte, und mich im Winter 2000/2001 ein paar Mal lockte. Diese
Zeiten sind präsent. Bei jedem Schritt. Erinnere mich an die Leute,
mit denen ich am Reichstag war, durchs Brandenburger Tor sprintete, aus
dem Bahnhof Zoo raus marschierte. Wenn ich eine Stadt außerhalb Essens
zum Studieren suchen würde; meine Wahl wäre ohne zu zögern
Berlin.
Einer der berühmtesten
Söhne Berlins begleitet mich durch die ICE-Fahrt, nämlich Rudi
Dutschke, der so allmählich einen gewissen Grad von Idolhaftigkeit
für mich entwickelt, da uns doch ein paar kleine Dinge verbinden.
Seine Tagebücher sind grad erschienen, und auch wenn ich um Längen
nicht so theoriefest bin wie er... Hut ab.
Der Discman dudelt die Placebo-CD
"Black market music" rauf und runter, die ein ständiger Begleiter
meiner Tagestouren geworden ist. Morcheeba kommt mit der elfenstimmigen
Sängerin nicht durch. Etwas härteres muss in den Compactdisctoaster.
Rase mit 216 Sachen durch die ostdeutsche Prärie, hey, das ist doch
Ecki, der Bochumer WAZ-Redakteur, der gegenüber sitzt? Spreche ich
ihn an? Dass ich in Mülheim frei mitarbeite? Nöö, bin privat
unterwegs. "Drei Punkte wären super. Achte mal auf den Stadionsprecher",
funkt Dirk per sms aus dem fernen München rüber. Steige ich schon
in Charlottenburg aus? Joaa, könnt ich tun, mach ich auch. Vorher
keine Späßkes in der Innenstadt, direkt das feine Fußballvergnügen
im Olympiastadion.
Ich bin gern in Berlin.
Irgendwann muss die Scheißserie
reißen. Wir dürfen nicht absteigen. Werde durchsucht. In der
Wiederholungsschleife des Olympiastadion (geiles Wetter ist übrigens)
läuft der Satz "Liebe Fußballfreunde - aufgrund der Umbauarbeiten
blablabla", Rest hab ich vergessen. Mächtig viele Kräne stehen
hier; ich glaub, die wollten die Kanzleramtsgeräte nicht verschrotten
und haben die einfach nur verlegt. Ja wer ist das denn? Locke nimmt vor
mir Platz, der vom Bayern-Spiel...
wie geil ist das denn!?! Locke erweist sich als typischer VfL-Fan, der
erstens schon anderthalb Stunden vor Spielbeginn meckert und zweitens jegliche
Hoffnung auf einen Punktgewinn aufgegeben hat. Das Stadion wird bestimmt
mal ein Knaller, wenn es komplett fertig ist. Und doch bleibt die Aura
des Nationalsozialismus immer da. Dort, wo sich Adolf 1936 grüßen
ließ, ist jetzt ne Baustelle.
Habe nicht mehr die bisherigen
Tage in Berlin vor Augen. Sondern die letzten Auswärtsspiele. 1:4
in Dortmund, 1:1 in Rostock, 0:2 jeweils in Bremen und Wolfsburg. Lange
nicht gewonnen; warum bin ich überhaupt hier? Die immer währende
VfL-Sinnesfrage. Oh ja, da kommt der Schmerz wieder, Dezember 2000, 0:1
im Pokal bei Union Berlin, bitterste Niederlage in meiner VfL-Karriere.
Geiles Wetter, ob ich wohl ein bisschen braun werde?
Ich bin gern in Berlin.
It´s a bitter sweet symphony.
Die Spieler laufen ein,
sich warm, und Locke weiß schon, wer Schuld sein wird. "Ohhhh, der
Gefahrenhorst, wenn ich den schon seh!" Erst bei der Aufstellung merkt
er, dass der nicht mal auf der Bank ist. "Boooo, der Oliseh, schau mal,
wie ein Balletttänzer läuft der sich warm. Und der Vriiiesde
- Neururer: morgen biste weg!" Einlaufen, hab den Titel des Hintergrundsongs
schon vergessen, die Hände schwitzen schon. Ich merke: Heute wirds
ein krasses Spiel. Es verlangt mir alles ab. Ein Frosch hat sich in meinen
Körper geschlichen, hüpft einerseits vom einen Ende zum anderen,
und zerreißt andererseits meine Nervenstränge. Meine Sitznachbarn
gucken schon blöd, meine Zitterei ist echt auffällig, bei jedem
Hertha-Angriff. Und davon gibt es verdammt viele. Eine Großchance
folgt der nächsten; glücklicherweise haben wir einen Torwart
drin. Bereits nach 20 Minuten halten alle VfL-Fans die Klappe. Unfassbar
schlecht. Es bleibt beim 0:0, ein Fußball-Wunder. Und noch eins deutet
sich an: van Burik fliegt vom Platz, 41. Minute. 49 Minuten Überzahl,
teile ich Dirk mit, das muss doch was geben. Auch Mama, die in der Halbzeitpause
einfach so mal anruft, kriegt das zu hören. Das Zittern geht weiter.
Klasse, wie der Stadionsprecher "Hertha" ausspricht, und genauso wie er
"Paule" ruft und die Kurve "Beinlich" antwortet. Dirk hat recht.
Pause aus. Die Frösche
sind immer noch da, schaue mich um, drehe mich nach vorn und hinten, zerknülle
die Stadionzeitung. Gudjonsson schießt vorbei, erste Ecke für
uns erst in der 55. Minute, ist das schlecht, wir spielen, als hätten
wir zwei Mann weniger und nicht einen mehr. Eine Erlösung irgendwie
die 62. Minute. Flanke Goor, Schindzielorz verschätzt sich, Dardai
volley; 1:0 für Hertha. Ich hab´s doch gewusst. Der Rest ein
peinliches Gewurschtel wie in Bremen und Wolfsburg.
Das grenzt schon sehr nah an Verarschung, tja, und fast hätte der
Christiansen sogar noch einen gemacht in der 86. Minute. Ein Freistoß
an den Pfosten, ich hätte gekotzt vor Glück. Doch die Zahl der
Fans, die langsam von den oberen Sitzreihen nach unten schlendern, um den
Spielern ihre Meinung zu geigen, wird kurz vor dem Abpfiff immer größer,
und ich bin darunter. Natürlich Abpfiff. 0:1. Wieder verloren. Ein
weiterer Sargnagel auf die mieseste Auswärtsbilanz, die ein Fußballfan
in Deutschland hat. Freier, Kalla, Oliseh: Alle verletzt. Schwieriges Restprogramm.
Pfiffe. Ein Mann mehr. Fast 50 Minuten lang. Und wer hat den Schnüff,
um sich bei den Fans zu bedanken? Colding, van Duijnhoven! Die beiden,
die als einzige alles gegeben haben. Abgerutscht auf Platz 15. Und die
Olympia 2012 geht nach Leipzig. Nicht in den Ruhrpott.
Gerd sitzt in Düsseldorf
auf der Kö und ist völlig entgeistert, wie er per sms mitteilt:
"Ich trinke auf die Ungerechtigkeit der Welt!" Das würde ich auch
liebend gern tun, und begegne doch nur den Resten der Friedensdemo, die
in der Innenstadt 15.000 Menschen anlockte. Steige in den 200-er-Bus, der
via Potsdamer Platz zum Brandenburger Tor fährt. Beobachte die Menschen,
spüre dieses Berlin-Feeling. Feeling der Stadt, der Menschen, meiner
Erinnerungen. Etwas Besonderes. Würde so gern einen Abgesang auf diesen
miesen Tag machen. Zu geiles Wetter. Zu geile Stadt.
Ich bin gern in Berlin.
Bitter sweet symphony im Ohr.
Na klar, eindeutig ein Vorteil,
dass ich Berlin-Erfahrung habe. Kenne die Bahnverbindungen aus der Westentasche.
Das "Ernst"-Trikot ist an, das Foto für die Titelseite
der Homepage im Kasten. Laufe zum Kanzleramt, dem Pariser Platz, "Unter
den Linden" entlang, blicke in den Dunst der Dämmerung und der Siegessäule
entgegen, fahre via Potsdamer Platz zum Zoo zurück, telefoniere mit
Thommy, zweimal, dreimal, viermal, schimpfe über den VfL. Höre
nebenbei aus dem CD-Recorder jugendlicher Demonstranten "Wir müssen
hier raus! Das ist die Hölle! Wir leben im Zuchthaus" aus der wilden
Zeit von Ton-Steine-Scherben. Berlin-Feeling. Thommys Vortrag war ein Erfolg.
Diskussion dauerte länger als gedacht, sagt er. Rede ihm ein schlechtes
Gewissen ein, hihi. Zoo, 19.57 Uhr. Dutschke erzählt vom Leben mit
dem Schuss im Hirn, Widerstand, Revolution, Marx, Trotzki, seinem Sohn
Hosea, seine Frau.
Ich bin gern in Berlin gewesen.
Thommy habe ich nicht gesehen.
Und Stephan auch nicht.
But that´s life.
Anderthalb Stunden vor dem Anpfiff - die große Schüssel ist noch leer. Zurzeit wird sie umgebaut, das Ganze dauert noch bis 2005 - und in die Blöcke zu gelangen, ist teilweise ganz schön kompliziert; ganz zu schweigen von der Qualität der Toiletten! | Blau-weißer Himmel, blau-weißer Schal - was willste mehr? | Einer vom 1.FC Locke ist auch wieder da (schau nach beim Bayern-Hinspiel!). Keine Ahnung, warum der Klub so heißt. Die Frisur ist jedenfalls kein Aufnahmekriterium... | Eine halbe Stunde noch ... die Spieler laufen sich in aller Ruhe warm! | Fünf Minuten noch! Peter Neururer (Mitte), die Ersatzspieler (v.l.) Hashemian, Vander, Meichelbeck sowie Co-Trainer Michaty (2.v.r.) laufen schon einmal Richtung Reservebank! |
Eine Minute noch... die 22+3 Aktiven haben schon den Rasen betreten! | 1. Halbzeit, 20. Minute: Thomas Christiansen beim Freistoß... er wird ganz knapp vorbeigehen! | ... dieselbe Szene, nur anders gezoomt! | 2. Halbzeit, es ist schon passiert: Berlin führt 1:0 und wir stümpern uns einen zurecht. | Abpfiff, wieder verloren. Einige VfL-Fans sind stinksauer. War wirklich sehr schwach heute! |
Tja, Thommy - eigentlich war an dieser Stelle ein Bild von Dir eingeplant! Aber DU hattest ja was Besseres vor... tsetsetse...
- Weitere Impressionen von der Tour nach Berlin gibt es HIER !
"Gustl ist ein Bochumer" - wir Ernstens müssen zusammenhalten
Ans Ende denken wir zuletzt
Macht das der Nachname?
Macht das die Sympathie?
Telefon klingelt, 11.35
Uhr, uaaaaah bin ich noch müde, gähne so vor mich hin. Ostersonntag,
keine Eier suchen, schnell ab zum Family-Osteressen, nee, vorher noch Bruder
anrufen. Thommy weilt in Brüssel, wird da auch bleiben, und nicht
mit zum Spiel kommen. Na toll. "Wirst was verpassen, Du Depp", brülle
ich ihm zu, und er stimmt ein in den Möchtegern-Jubelchor: "Andi,
ich habe ein unheimlich gutes Gefühl, kann das selbst gar nicht erklären."
Wir beide sind uns einig, dass der "Gustl" mindestens einen entscheidenden
Fehler macht. "Gustl - wer ist das denn?", werden die Nicht-Bochumer unter
Euch wissen wollen. Gustl heißt Thomas Ernst (ja richtig, genauso
wie mein Bruder), war fünf Jahre Torwart beim VfL, einer der sympathischsten
Spieler, die jemals im Ruhrstadion vor den Ball getreten haben; hält
aber seit einem Jahr in Stuttgart. Zusammen mit "Gustl" (sein Spitzname,
logisch) hat mein Bruder mal eine Lesung gemacht, mit Fußballtexten,
in der Uni Bochum; total irre. "Gustl ist uns wohl gesonnen" - und die
ganze Ostkurve denkt bestimmt genauso...
Noch sechs Stunden bis zum
Anstoß. Noch fünf. Noch vier. Undsoweiter. Mit zitternden Händen
sitze ich vor dem Computer, zocke das Spiel bei "Sensible Soccer" nach,
verliere 0:3 (hab sowieso noch nie ein Tor geschossen), was für ein
Omen. Rufe Helmut an, er kommt mit. Waren gestern zusammen bei Rheinfire,
wirklich witzig, und komplettieren heute das Oster-Sportwochenende.
Höre Einslive, die
Sportfreunde Stiller. Hab sie letztes Mal zitiert beim Bielefeld-Spiel,
0:3 verloren, noch ein schlechtes Omen. Sammle die schlechten Omen. Warum
nur? Um mein saumäßig gutes Gefühl auszugleichen? "Das
sind so Spiele", orakelte Straßenbahnfahrer Stephan unter der Woche,
"weiß´se Andreas. Die ne gute Serie, wir ne schlechte. Und
beide reißen." So seh ich´s auch. Ein Spiel, dass schon vor
einer Woche begonnen hat. Sportfreunde Stiller? Sie singen "Wer, wenn nicht
wir? - Wo wenn nicht hier? Wann, wenn nicht jetzt - Ans Ende denken wir
zuletzt" Ist zwar teilweise ziemlich schlecht bei Rio Reiser geklaut, aber
wer? Wo? Wann? Nicht ans Ende denken. Keine zweite Liga. Zitternde Hände.
Schweißnass. Spiel rückt näher. Viele Stuttgarter sind
dabei. Helmut schickt eine sms an seine Freundin Tina: "Andreas nervös".
Oh ja, und wie. Thommy sitzt in Brüssel vor dem Internet-Live-Ticker,
hat Anrufe während des Spiels angekündigt. Ob ich drangehen werde?
Gerd kommt, ganz schön schnieke angezogen. Ist ne halbe Stunde vor
dem Anpfiff noch ganz schön leer; was solls, am Ende werdens doch
stolze 25.000! Hab meine Sonnenbrille dabei ("Siehst aus wie Puck die Stubenfliege"
- danke Gerd!) Stimmt, Gerd. War bei seiner Schwiegermutter essen. Der
ist so fein angezogen, am liebsten würd ich ne Bratwurst verdrücken
und zuuuuufällig Senf und Ketchup schlabbern. Sam - auch da, mit intelligenter
Brille auf, könnte glatt als Manager durchgehen. Gerd nimmt´s
locker, Sam ist mindestens genauso nervös wie der Stadionsprecher
(wirkt betrunken) und ich - und Helmut? Der ist mir zu neutral, bangt nur
um seine Wetten. Gustl läuft sich warm, wird mit donnerndem Applaus
begrüßt, unsere wissen, was die Stunde geschlagen hat. Abstiegsplatz?
Befreiungsschlag? Der Tabellenzweite kommt. "Von denen hab ich noch nie
was gehalten. Die Qualität beider Mannschaften ist gleich", posaune
ich mutig heraus. Alle machen den Scheibenwischer.
Wieder mal nervös.
Wie mal zittern die Hände. Ich wiederhole mich seit ein paar Wochen.
Ist aber auch spannend, diese Bundesliga. Und vollkommen erschrocken drehen
wir uns alle schon nach fünf Minuten weg. Gerd, Sam, Helmut, ich,
alle. Grauenvoll, einfach nur grauenvoll. Verwirrend die Taktik (mit drei
Mann hinten, Oliseh als Abwehrchef; Freier mal rechts, mal links; Wosz
umgekehrt; Christiansen und Hashemian nicht sortiert), alle laufen kreuz
und quer über den Platz und passen im Sekundentakt fehl. Hiiiiiilfe!
Die Stuttgarter lassen das Bällchen flott laufen, Helmut nötigt
mir schon nach wenigen Minuten eine Korrektur ab ("Jaja, die sind ja doch
gar nicht so schlecht"). Kevin Kuranyi trifft zum 0:1 (27.) - meine Fresse
steht der frei - und Balakov nagelt das Ding gnadenlos an den Außenpfosten
(keine fünf Minuten später). Ein bitterer Abend kündigt
sich an.
"Man, damit der Gustl einen
Fehler machen kann, muss der doch zumindest an den BALL KOMMEN!", brülle
ich laut, und er erhört uns. Ein harmloser Rückpass, Gustl versucht
sich als Maradona (konnte er noch nie), Hashemian, 1:1. Aus dem Nichts,
unverdient. Ein fixer Anruf aus Brüssel, "Riesenfehler Gustl", schreie
ich durchs Fon. Halbzeit 1:1, sowas kann ein Spiel drehen, es entscheiden.
Puuh, durchatmen, noch alles drin. Leverkusen gegen Schalke auch 1:1. Helmut
zerbricht sich den Kopf von VfB-Trainer Magath, würde Gustl auswechseln
("was meinste, was der zu hören kriegt vor der Kurve hier")! Gustl
bleibt. Wird hämisch angefeuert. "Gustl machs nochmal", "Gustl ist
ein Bochumer", "Einmal Bochum - immer Bochum - heyhey"
Anpfiff. Schweißnasse
Hände, immer noch - V-f-L, V-f-L - Spiel ist offen. Ein schönes
Fußballspiel, ein spannendes, da ist alles drin. Helmut bereut´s
als neutraler Zuschauer in keiner Sekunde, macht irre Spaß. Flanke
Balakov, Kopfball Ganea, VAN DUIJNHOVEN hält (keine Ahnung wie, der
muss Krakenarme haben), Kalla rettet per Fallrückzieher. Bleibt beim
1:1, das Glück scheint heute auf unserer Seite zu sein. Da geht was.
18.36 Uhr, 66. Minute...
van Duijnhoven am Ball, schlägt ihn nach vorn, Hashemian stoppt ihn,
legt ihn an der halben Stuttgarter Abwehr vorbei, strammer Schuss, links
unten, TOOOOOOOOOOOOOOOOOOR, jawolljawolljawoll, Helmut wie neutral-angewurzelt,
Andi obenauf, Gerd obenauf, Sam obenauf, alle so kreuz und quer wie unsere
Jungs in der ersten Halbzeit. 2:1! Wir haben sie im Sack!
18.37 Uhr, 67. Minute...
"und der Torschütze... unser Hubschrauber... mit der Nummer 16...
VAHID!" "HAAAAASHHHEEEEMIAAANNN!!!!!!!!!" Anzeigetafel... "BILD TICKER...
1. BUNDESLIGA... Bayer Leverkusen - Schalke 04 1:2!" JAAA!
18.38 Uhr, 68. Minute...
Freistoßpfiff, Oliseh auf Linksaußenposition... Flanke, weeiiit
weeeiit in den Strafraum, Christiansen, imaginär mitköpfen, mach
ihn mach ihn... JAAAAA!!! 3:1, unglaublich unglaublich unglaublich.
Das Ding gedreht, das Ding
ist gelaufen. Okay, Balakov mit noch einem Lattenschuss, aber wir habens
gepackt. 34 Punkte, vier vor Leverkusen, die sogar noch 1:3 verlieren,
der Rest ein Freudentaumel. "Oh wie ist das schön" und "Wir sind stolz
auf unser Team" nach langer langer Zeit mal wieder. Erstmals leichte "Hubschrauber"-Sprechchöre,
der Trainer kommt trotz Aufforderung diesmal nicht. Macht nichts. Anruf
Thommy... "Also wenn der Balakov das Ding in der ersten Halbzeit reinmacht!"
So schön ist Fußball.
Super-Wetter, sehenswertes (wirklich) Spiel (bestimmt Spielnote 2 oder
2,5), drei Punkte für den VfL, eine nette Unterhaltung mit Stuttgart-Fans
im Regionalexpress zurück (die sich von ihren Fan-Kollegen auf dem
Gleis gegenüber - "Bochum ist ein Judenklub"-Sprechchöre, böses
Foul - eindeutig abgrenzen), ganz neutral, ohne jede Wertung - alle haben
das Spiel so gesehen wie wir... Gustl hat´s gedreht - siehe oben;
der Name verbindet wirklich, wir habens gleich gewusst. Einmal VfL - immer
VfL - wie wahr. Ein perfekter Tag klingt aus in Mülheims bester Pizzeria
(Pizza Pasta), Mülheims bester Eisdiele (Rizzardini) und im T-Club
bei ner 80-er-Jahre-Party, in dem mich Blacks "Wonderful life" beglückt.
Und doch muss ich an die
Sportfreunde Stiller denken. "Wer, wenn nicht wir? - Wo wenn nicht hier?
Wann, wenn nicht jetzt? Ans Ende denken wir zuletzt!" Kein Gedanke mehr
ans Ende.
Jetzt packen wir´s!
100 Pro!
"Whatever you want" dröhnte durch die Lautsprecher und ich schloss fest die Augen...
Ein wahrhaft historischer Tag
Für diesen Moment bin
ich am 5. Mai 2002 aufgestiegen. An diese paar Sekunden dachte ich unmittelbar
nach dem Riesenjubel-Schrei beim 3:1
in Aachen: GEIL, ein Auswärtsspiel in der "Arena Auf Schalke".
Einmal in der Gästekurve stehen, sitzen meinetwegen auch, zuhören,
wie die ersten Gitarrenklänge von Status Quo´s "Whatever you
want" via Lautsprecher in jeden Winkel der größten Sporthalle
des Ruhrgebiets dringen, wie meine Jungs den Rasen betreten. Eine Vision
im Mai 2002 - Realität am 26. April 2003. Es ist ein Hochgenuss, es
geht runter wie Öl, es versetzt dich in eine Hypnose, in Trance. Als
Spieler würde ich mir in die Hosen kacken wie ein Baby. Eigentlich
hätte ich geheult in diesem Moment, aber in Hypnose heulen ist ein
bisschen schwierig. Fühle mich, als sei alles um mich herum ruhig,
still, keiner mehr im Stadion. Historischer Tag. Wer weiß, ob wir
drinbleiben oder nicht und egal, wie das läuft - für dieses eine
Spiel hätte ich glaube ich alle anderen 22, die ich in dieser Saison
gesehen habe, hergegeben. Ach was, für dieses Spiel? Quatsch - für
diese zwei Minuten voller "Whatever you want". Ich schloss fest die Augen
und träumte... träumte ganz leise von einem fußballorgastischen
Glück um 17.20 Uhr desselben Tages.
Es war am Karnevalssonntag
2002, als ich abends schlecht gelaunt mit Alex Post telefonierte, meinem
alten Kumpel, den Ihr unter anderem schon von Dortmund
und dem Hinspiel kennt. Am selben
Tag hatte der VfL gerade die inzwischen im VfL-Fankreis legendäre
1:6-Klatsche
in Oberhausen kassiert, war auf Platz neun der 2. Bundesliga abgerutscht,
und nur ein klitzekleiner Mann glaubte noch felsenfest an den Aufstieg:
ICH! In all meinem Trotz schlug ich Alex, dem Schalke-Fan, eine Wette vor:
"In der nächsten Saison gewinnen wir in der Arena mit 1:0!" Haha,
lachte er, zeigte mir nen Vogel und schlug ein. Den Wetteinsatz, stellen
wir bei der Begrüßung fest, den haben wir beide vergessen...
"Ein typischer Fußball-Nachmittag, oder Andi? Draußen regnet
es, im Autoradio dudelt EINSLIVE, und die A2 ist voll." Wusste gar nicht,
dass Alex so pathetisch sein kann.
"Block 67" steht auf unseren
Karten. Wie lange bin ich schon nicht mehr mit dem Auto zu einem Auswärtsspiel
gefahren? Muss lange her sein. "Das Wetter ... war schon mal besser", verrät
die freundliche Stimme vom EINSLIVE-Wetterbericht. Wie wahr wie wahr...
nach einigen hochsommerlichen Tagen hat sich die Sonne wieder hinter massig
Wolken versteckt und schickt stattdessen den halben pazifischen Ozean vom
Himmel. Irgendwie bin ich froh, dass Alex hupt und mich in seinen aufgemotzten
Golf bittet, denn auf Bahnfahren... nee, das ist bei dem Wetter saublöd,
zudem ist der Weg vom Gelsenkirchener Hauptbahnhof bis zur Arena ziemlich
weit, schmutzig und lang. "Letzte Woche war ich schonmal in der Arena -
bei Rheinfire", erzähle ich Alex,
voller Vorfreude? Ja, doch. Voller Vorfreude. Habe auf dieses Spiel hingearbeitet.
Man könnte nicht sagen, ich hätte in meiner Bundesligakarriere
schon viele Auswärtssiege gesehen (siehe Statistik),
man könnte nicht sagen, ich hätte eine gute Auswärtsspielserie
- aber kommt es darauf an? Alex erzählt von Hochzeiten in seinem Bekanntenkreis,
von seinen Praktika, von der "gewählten" Sprache, die er sich dort
angeeignet hat. "Kaum ist Andi Ernst im Auto, wird wieder nach Herzenslust
rumgeprollt!", teilt er mir mit, und ich weiß nicht, ob ich dieses
zweifelhafte Kompliment annehmen soll. Wir beschimpfen uns mindestens dreimal
mit "Arschloch", "Flachzange", "Pommes", "Depp" und "Idiot" hin und her,
und ich weiß schlagartig, was er gemeint hat.. jaja, ich seh´s
ein. Reden über Politik (er hat Stoiber gewählt, ein Thema zum
Aufbau von Aggressionen!), über die Autobahn ("Mein Gott, ist das
voll heute!"), über Parkplätze ("Fahr doch rechts, Du Blödkopp!"),
brauchen nicht einmal unseren ursprünglichen Langweiligkeits-Überbrückungs-Dialog
("Und sonst?" "Muss!").. pfeifen uns ne Bratwurst rein, mit so richtig
viel Ketchup, sprinten durch den Regen, ganz ohne Schirm und Jacke, die
Suppe läuft durch die Haare, über die Brille (warum hab ich die
überhaupt mitgenommen?), ins Trikot, über die Haut, versifft
das Ketchup, Turboessen wie an früheren Kindergeburtstagen; "Alex
beeil Dich, will ins Stadion!" Keine Zeit für Nervosität. Knochen
sortieren, Schal um, Block suchen. Ganz schön kompliziert hier. Ach
sooo, da ist der Oberrang, hinter der ... Häää? "Wo müssen
wir lang?" "Weiß ich doch nicht, Du Vogel!" Ahja, gefunden, Block
67.
Erschlagen.
Wahnsinnsblick. Ein Hammer-Stadion.
Dach ist zu. War schon dreimal hier. Bei einem Schalke-Spiel, einem Länderspiel
und eben bei Rheinfire. Immer mit offenem
Fenster. Geschlossen. Astreiner Platz. Spitzensicht, keiner vor uns. "Fehlt
nur noch ein Tablett!" Jemand rutscht aus und purzelt die Treppen runter.
Glitschig hier. Alex holt zwei Cola. Ich bleib sitzen. Genieße es.
Sauge es auf. Wir hier. Glaub´s kaum. Klassenerhalt ist in Sichtweite.
Im nächsten Jahr kauf ich Karten für alle meine Freunde und zeigs
ihnen. Warmlaufen. Unser Trainer kommt. Hat Geburtstag heute. "Happy Birthday
to youuuu, happy birthday to youuuuu, happy birthday lieber Peter, happy
birthday to youuuuuu!" Peter winkt und kriegt ein Schalke-Trikot geschenkt.
Pfiffe! Kenne außer Alex zwei weitere Schalke-Fans supergut. Einmal
Marc, dann noch Matthias, wünschen uns gegenseitig ein schönes
Spiel. Bei allen feindseligen Sprechchören (die wohl oder übel
zu jedem Fußballspiel dazugehören), Schalke ist ein sympathischer
Verein. Viele Bochumer denken das im Hinterstübchen, und viele Schalker
auch (ich weiß es). Der große Unsympath des Potts ist eindeutig
die Borussia mit den komischen Farben.
Es kommt "Whatever you want",
es kommt der Anpfiff. So muss Fußball sein. Ein gemischter Fanblock.
Links neben mir Alex, der Schalker. Dann Andi, der Bochumer. Dann ein Schalke-Pärchen,
dann wieder Bochumer. Undsoweiter. Und kein Streit, nichts. Wenn die Schalker
aufstehen, weil sie Schalker sind, stehen sie auf und klatschen; und wenn
ich aufstehe, weil ich für den VfL bin, klatsche ich. Fairplay geht
vor. Es dauert genau 50 Sekunden, bis ich meine Träume von einem Auswärtssieg
wieder ganz tief in die Erde vergrabe. Erstens spielt Bemben, das ist ohnehin
ein schlechtes Zeichen, dann köpft Ebbe Sand den Ball Millimeter am
Tor vorbei. Das ganze Stadion scheint zu raunen, und wir Bochumer schlagen
nur noch die Hände über dem Kopf zusammen. Fünf Minuten
später knallt Agali den Ball "mit 500 Stundenkilometer", wie Matthias
mir mitteilt, an den Pfosten. Das kann ja ein heiterer Nachmittag werden.
Wenigstens mal in der Arena gewesen... Erstmals über der Mittellinie
- mitten im "Steht auf für den VfL"-Gebrüll (Stimmung ist astrein!)
- Bemben flankt, Rost faustet, Wosz am Ball, Pass auf Freier, Freier weiter
auf Christiansen, eine Körpertäuschung, ein Schuss, Pfosten,
hochspringen, hinsetzen, Nachschuss, TOOOR!!! Und dann die Hände zum
Himmel... Alex angucken, ihn auslachen... 1:0, endlich ein Auswärtstor!
Historisch.
"Du mit Deiner dreckigen
großen Fresse", raunt mich Alex von links an, und springt selbst
kurz drauf hoch wie ein HB-Männchen. Eine Flanke von Sand, Varela
mit dem Kopf zum 1:1 rein. Hochverdient für die Schalker. Unsere mal
wieder zu passiv, nicht ins Spiel gefunden, mit Glück ein Tor geschossen.
Schalke kriegt noch ne vierte Chance... Kopfball Agali, van Duijnhoven
zur Ecke. Tiiiief durchatmen, ganz ruhig Andi, ganz ruhig. Es steht noch
unentschieden. Dach wird kurz geöffnet. Damit der Rauch rausziehen
kann. Damit´s ein bisschen frische Luft gibt. Nix passiert, nix passiert,
nix passiert.
Von der Cola ist sogar noch
was da. Nippe einmal kurz, Wiederanpfiff, dann Flanke Böhme, Kopfball
Agali vorbei. Spätestens jetzt erkläre ich den Agali gegenüber
allen meinen Schalker Freunden per SMS zum "besten Bochumer Abwehrspieler".
Es geht auf den Rängen hin und her. "V-f-L", "Schaaaalke", "Wen lieben
wir? VFL", "Königsblauer S´04 - königsblaues Schalke!".
Ist gar keine Polizei präsent. Die scheint in den Katakomben zu hausen.
Noch sowas sympathisches, wobei vermutlich die ganze Arena vervideokamerat
ist. Auf dem Rasen wirds etwas mauer, was mich nicht sonderlich stört.
Alex schon. Unruhig ruckelt er auf seinem Sitz hin und her, während
zwei weitere Betrunkene beim Bierholen die Treppe runterpurzeln. Hihi.
Schalke will angreifen, muss angreifen, bringt zwei weitere Stürmer.
Und doch vermag dabei nix rauszuspringen. Der Punkt rückt näher
und näher, kurz vor Schluss ruckelt das ganze Stadion unruhig hin
und her. Nicht hochklassig, aber wahnsinnig spannend. Fotografiere die
Anzeigetafel beim Stand von 1:1... befürchte ein Gegentor. Wäre
doch typisch für die Rückrunde... Buckley ist drin, boah der
hat doch keinen Möbelwagen getroffen in letzter Zeit! Da schnappt
der sich den Ball, hält ihn zweimal hoch, schießt... Lupfer,
Bogenlampe, Heber... wie in Super-Zeitlupe fliegt der Ball vor meinen Augen
her... der Mund geht laaangsam auf... noch langsamer erhebe ich mich uuuund?
REIN........ van Duijnhoven sprintet aus seinem Tor, Buckley Richtung Kurve...
TORTORTORTOR!!! "Auswärtssieg!!!", "Ohhhhh wie ist das schöööön,
ohhhh wie ist das schöööön, sowas hat man laaang nicht
mehr geseeeehn, so schöööön, so schööööön!",
"Nieeee meeeehr zweite Ligaaaa, nie meeehr, nie meehr, nie meehr!". Fußball-Orgasmus!
Mein vierter Bundesliga-Auswärtssieg im zigsten Spiel. Historisch.
Drei Minuten Nachspielzeit und der Abpfiff gehen im Jubel-Getose unter.
Drei Punkte geholt. Auf Schalke. Der Klassenerhalt ist mit 37 Punkten so
gut wie sicher. Ein Dreier fehlt noch. Zu schön um wahr zu sein. Einen
Titel gibt es für Bochum-Fans wohl nie zu feiern. Daher ist ein Auswärtssieg
auf Schalke das Größte, was uns Blau-Weißen passieren
kann. Das Allergrößte! Draußen regnet´s noch. Sprint
zum Auto. Das Schweigen auf der Rückfahrt. Das Öl fließt
immer noch. EINSLIVE wirkt wie ein Fingerschnipps für den Hypnotisierten.
Bochum hat 2:1 gewonnen.
Nicht 1:0. Wette verloren.
Verdammt!!!
Nachdenklicher Autofahrer... ob er die Niederlage schon vorausahnte, der gute Alex? Auch in Dortmund war er übrigens mein Begleiter! Ein Derby-Experte quasi! | Zwei Trainer zehn Minuten vor dem Anpfiff: (v.l.) Marc Wilmots und Peter Neururer. | Schon ein geiles Ding, die Sporthalle von Gelsenkirchen-Buer! 60.000 Zuschauer, alles irgendwie unwirklich... aber schön! Und auch vom Oberrang mit einer sehr guten Sicht! |
83. Minute: Zu diesem Zeitpunkt wäre ich mit diesem Ergebnis hochzufrieden gewesen. Da ich noch ein VfL-typisches Gegentor befürchtete, schoss ich schnell dieses Bild... | Sie können´s selbst kaum glauben... 2:1 gewonnen! AUF SCHALKE! Und den Klassenerhalt so gut wie sicher! | Und ich sag Euch: Das Wetter war ziemlich beschissen... da hatten die Scheibenwischer auf der Rückfahrt Überstunden! Aber in der Halle war davon nichts zu spüren! |
- Weitere Impressionen vom Auswärtsspiel "Auf Schalke" gibt es HIER !
Slawissimo... Enjoy the silence... Der Tag der verhinderten Überschriften
Orhan fährt jetzt Taxi
Hab ich mich da verhört?
Oder lief da tatsächlich "Enjoy the silence", als ich die Kurve betrat?
Ein weiterer Beweis, dass es nicht zwingend notwendig ist, der englischen
Sprache mächtig zu sein, um in einem Fußballstadion DJ spielen
zu dürfen... "Genieße die Stille"... ein Klasse-Depeche-Mode-Lied,
mal ganz nebenbei, aber heute? Die Stille genießen? Ausverkauftes
Haus? Wär eigentlich auch ne tolle Überschrift...
Was war ich nervös
vor den letzten Spielen. Schweißhände in Berlin, Zitteranfälle
gegen Stuttgart, Augenflattern auf Schalke... Abstiegskampf zehrt an den
Nerven. Vergleichbar mit Prüfungsangst. Du weißt genau, dass
an einem bestimmten Tag um eine bestimmte Uhrzeit etwas passiert. Du weißt
genau, um was es geht und was Dich erwartet. Und bei manchen Aufgaben weißt
Du genau, dass sie unlösbar sind. Und dann gibt es noch solche, in
denen es um alles geht. Eben jene mit Schweißhänden, Zitteranfällen
und Augenflattern. Und solche, in denen die Note egal ist, weil Du Dein
Ziel sowieso schon erreicht hast.
Vor solchen Prüfungen
musst Du auch nicht mehr lernen, nicht mehr drauf hinfiebern. Und nach
den beiden letzten mit Auszeichnung bestandenen Tests ist mir auch jegliche
Nervosität abhanden gekommen. Mein Riecher hat mich eigentlich noch
nie verlassen, was den VfL angeht, und mein Riecher sagt mir seit Wochen,
dass wir nicht absteigen. Dafür ist die Saison einfach zu gut gelaufen
und... mal ganz ehrlich... auch an alle Nicht-Bochumer... wir haben´s
doch wirklich nicht verdient!!! Nein, das Spiel ist mir nicht egal gewesen...
das nicht... es war nur seit Wochen mal wieder kein ängstliches Entgegenfiebern,
sondern ein gaaanz entspanntes. Die Vorfreude auf ein schönes Fußballspiel
in einem ausverkauften Stadion, die Vorfreude auf einen angenehmen Abend
mit Gerd und Thommy im Bermuda-Dreieck. Naja, nicht wirklich die Vorfreude
auf das morgendliche Tennisspiel, das ich im Rahmen meiner Journalistenkarriere
zu besuchen hatte (irgendwer gegen irgendwen - irgendwer hat gewonnen).
Aber eins sag ich Euch: Vom dauernden Kopf-Hinundherbewegen wird man ziemlich
gut wach! Um zu diesem Termin zu gelangen, fuhr ich mit dem Taxi - getreu
dem Moto "man gönnt sich ja sonst nichts". Und wer saß am Steuer?
Orhan;
ein ehemaliger Fußballspieler von Vatanspor Mülheim. Einer,
der anderthalb Jahre gesperrt war, weil er angeblich einen Schiedsrichter
getreten haben soll. Ich weiß, dass er es nicht war. Ich weiß
es! Aber weil er selbst kungeln wollte und sich falsch beraten ließ,
geriet er tief in die Sache rein. Will das jetzt nicht näher ausführen.
Jedenfalls fährt Orhan jetzt Taxi. Menschliche Schicksale.
Das alles erzähle ich
Thommy und Gerd bei Wind und einem Hauch von Sonne in der Ostkurve - und
was sechs Punkte mehr doch ausmachen können... es wird wieder gelacht
im Ruhrstadion! Da werden beim Warmlaufen mehr Spieler gefeiert als nur
Rein van Duijnhoven und Thomas Christiansen. "Delron Buckley" (nach dem
Tor auf Schalke auch kein Wunder...), "Slawo Freier",
"Kalla", "Sunday Oliseh", prächtig, auch "Sören Colding"-Rufe.
"Mensch ist das eine gute Stimmung hier", frohlockt Thommy, und klärt
uns über sein fantastisches Gefühl auf. Ein Kerl hinter uns (HALLO
SAM!!!) - nanu, den kennen wir doch - schüttelt mit dem Kopf. "Nee,
hab ein mieses Feeling." Wer hat das bessere Gefühl? Es geht um dies
und das, lauter belangloses Zeug - tut auch mal wieder gut; dass nicht
jede Silbe eine Winzigkeit Abstiegskampf in sich trägt. Meine zweite
Wunsch-Überschrift nach "Enjoy the silence" steht auch schon: "Slawissimo".
Wollte ich immer schon mal schreiben... Muss nur noch der Freier gut spielen.
Wow... ausverkauftes Stadion...
da hat der Vorstand alles richtig gemacht. Vier Spiele mit Top-Zuschlag
- Bayern, Schalke, Gladbach und Dortmund - das waren die vier mit genau
32.645 Zuschauern. Satte Einnahme! Die Gladbacher bewundere ich wirklich...
die haben in 15 Auswärtsspielen bisher ganze fünf Punkte geholt,
zudem ist Ewald Lienen dort Trainer, und trotzdem haben 10.000 Fans Eintritt
bezahlt und brüllen "Auswärtssieg!" Das hat was von Selbstironie,
oder? Thommy ruft laut: "Ja, richtig, EINEN habt Ihr schon" und ich möchte
"Mehr kommen auch nicht mehr dazu" ergänzen. Ein Sieg - und wir sind
durch. Ach quatsch, da brennt schon nichts mehr an. In einer Saison, in
der wir auf Schalke gewinnen, können wir einfach nicht absteigen.
Geht gar nicht!
Gerd und Thommy finden die
Orhan-Geschichte nicht so mitfühlend wie ich. Die leiden im Spiel,
während ich das Geschehen relaxt, fast schon ein wenig teilnahmslos
für meine Verhältnisse verfolge. Erzähle Thommy dies und
das; unser Kumpel Dirk ist beispielsweise grad nicht in München, sondern
will seinen sms-Ticker nach Dresden geschickt haben, dann muss ich ihm
sein Geburtstagsgeschenk geben (er hat zwar erst im Juli, aber was soll´s;
Der frühe Vogel fängt... undsoweiter). Das Spiel? Genau, gespielt
wird auch. Es ist ein intensives, ein spannendes, offenes. Von Beginn an.
Die große Kulisse beflügelt und hemmt alle Spieler gleichzeitig.
Alle 22 versuchen ihr Bestes, ganz klar, und doch wirken sie sehr nervös.
Nie entwickelt sich in den 90 Minuten ein hochklassiges Bundesligaspiel
mit tollen Ballstafetten und sensationell herausgearbeiteten Torchancen.
Schwaches Niveau, Kicker-Spielnote 4 - und dennoch eine für Fans gefühlte
"2". Das ist der Unterschied zwischen rationalem und emotionalem Empfinden.
1:1 stehts zur Pause - soviel
sei vorweggenommen. Ein wenig schmeichelhaft für Gladbach, wenn ich
an unsere Torchancen denke. Zum Beispiel daran, wie Christiansen in der
5. Minute scheitert, wie der Tapalovic in der 10. Minute einen Schritt
zu langsam ist, wie der Schindzielorz das Ding Zentimeter am Tor vorbeihaut
(30.). Dass es einmal bei uns klingelt, war sowieso klar. Natürlich
eine Standard (Ecke), natürlich ein Kopfball, so wie immer. Forssell,
0:1. Zeit zum Aufregen? Keine Chance. Im Gegenzug ganz locker, ganz lässig,
unheimlich abgezockt, einfach Christiansen. 1:1, der wird bestimmt Torschützenkönig.
Der erste Bochumer seit Stefan Kuntz. Vor dem Spiel haben wir ihn noch
einmütig verkauft ("Mensch, zweieinhalb Millionen für einen 30-Jährigen.
Weg damit!") - und jetzt? Wohl doch eher den Slawo gehen lassen, oder?
Halbzeit. Stationettes.
Keine Ahnung, warum die gegen Stuttgart nicht da waren. Gerd beschwert
sich (ICH HABE ZUGEHÖRT) darüber, dass auch ein Richter mal "Titten"
rufen darf und dass dies nicht sofort eine Erwähnung auf dieser Homepage
zur Folge haben muss. Ist ja gut. Meine Fresse, sind die Bochumer Ärsche...
die bewässern in der Halbzeitpause nur die Gladbacher Spielhälfte,
damit der Ball so richtig gut abgeht. Dazu guckt der Stiel (bevorzugtes
Opfer von Sam... Sprechchor-Vorschlag: "Da steht ein Schweizer im Tor"...
das reicht als Beschimpfung) auch noch in die Sonne - das muss doch was
werden mit dem zweiten Tor und dem endgültigen Klassenerhalt.
Immer noch blicke ich entspannt
dem Tagesrest entgegen, versuche mich durch meine Überschriften zu
arbeiten... nee, "Enjoy the silence" fällt aus; beide Gruppen machen
ganz schön Lärm. Für die Gladbacher ist das sowas wie das
Auswärtsspiel des Jahres! Und "Slawissimo".. da muss der Freier noch
ganz schön zulegen. Oh spielt der Wosz heute schlecht. Was ist denn
mit unseren Jungs los? Gelbe Karte Schindzielorz, ganz lautes und dummes
"Arschloch-Wichser-Hurensohn"-Gebrülle bei Stiels Abstößen,
und sonst? Immer noch ein tippkickartiges Gebolze, aber eher in Richtung
VfL-Tor. Gladbach holt eine Ecke nach der nächsten raus... "Bei unserem
Glück momentan machen wir das entscheidende Tor", hofft Thommy. Nee,
machen wir nicht. Um den Rasenvorteil auszunutzen, müssten wir in
die Gladbacher Hälfte kommen. Weit gefehlt. Es bleibt schließlich
beim 1:1 - geht unterm Strich mit viel Wohlwollen und der blau-weißen
Brille in Ordnung. Für uns zählt der Punkt mehr als für
Gladbach. Ich bin immer noch sehr entspannt.
Und bleibe es auch. Thommy
und ich zeigen Gerd den "City-Grill" mit currywurstpommesmajo, und treffen
Thommy Schmalenbach. Noch so ein Meeting mit der Vergangenheit - Schmali
und ich fuhren von 1994 bis 1996 meist zusammen zum VfL. Und nun... ewig
nicht gesehen. Dann noch ab zum Bermuda-Dreieck, zum millionsten Mal die
Geschichte erzählen, wie ich als A-Jugendlicher gegen Marcel Ketelaer
spielen durfte, und in einem Laden versacken, der Sixty-three, Eighty-four
oder twenty-one oder so heißt. Eine Tradition fortsetzen, die keine
Tradition ist, aber schnellstens eine werden sollte. Direkt nach dem Abpfiff
ins Bermuda-Dreieck, in ner Kneipe "Ran" gucken. Und dann ab nach Hause
fahren. Schön!
Jetzt hab ichs!
Ich hab ne Überschrift!
"Orhan fährt jetzt
Taxi".
Das Schicksal, das mich
heute am meisten bewegte.
Alles ist einfach riesig heute
Nie meeeeehr zweite Ligaaaaa!
So langsam verschwindet der
Geruch des Rauchs aus meinem Schal. Bitte bleib, flehe ich ihn an. Du bist
doch ein Stadionschal, Dich gibts nur nach Rauchbomben und Zigarettenqualm
stinkend. Nehme einen Hauch von Ketchup, und verstreiche ihn, suche ein
paar Bierflecken aus vergangenen Zeiten, finde sie. Du hast mich begleitet,
Du namenloser Schal, durch die ganze Saison. Bis nach München und
Rostock, nach Stuttgart und Hannover, auch Rostock und Wolfsburg. Und innerhalb
Nordrhein-Westfalens. Wir waren Tabellenführer, und auch Tabellenfünfzehnter
- und vorhin hast Du´s erlebt. Diese grandiose Saison hat das von
mir im letzten Spiel gegen Gladbach prophezeite
Happy-End gefunden. "Ohhhhhh wie ist das schöööön",
klingts noch in meinen Ohren, und das "Nie meeeeehhhr zweite Liigaaaaa",
vermag meine verkratzte Stimme nicht mehr zu flüstern... eine Saison
der Superlative findet ihr Ende ausgerechnet in Bielefeld. Dort, wo
letztes
Jahr der tanzende Stern unterging. Dort begrub ich im Vorjahr alle
meine Hoffnungen - und holte sie heute mit einer imaginären Schaufel
aus der Erde wieder hervor. Hab den Peter Neururer im Herzen, wie er tanzend
vor der Kurve die Welle machte, hab Thomas Christiansen in mein Gehirn
aufgesaugen, wie er vor den Fans auf die Knie ging. Und diese Sprechchöre.
Es ist einfach herrlich; dieses verdammt geile Gefühl. Eine Rekord-Saison.
25 von bisher 32 Spielen gesehen, das werde ich wohl nie mehr toppen können.
Und einmal nicht am Saisonende als Loser dastehen. Einfach riesig alles
heute.
Sonntag. Stress. Sonntagsstress.
Will arbeiten. Muss arbeiten. Will nach Bielefeld. Muss nach Bielefeld.
Meine innere VfL-Stimme treibt mich an die Alm. Doch komme ich rein? Riss
gestern die Eintrittskarten (drei Stück davon, eine für Thommy,
eine für Sonja, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der Uni Bielefeld
- wenn ich das richtig behalten habe - und eine für mich) aus meiner
Geldbörse, und die Perforation gleich mit ab. Ja scheiße. Nachher
stehste vor dem Stadion dumm da. Thommy kommt später, Oma gehts schlecht,
der Tabelle gut. Ein Sieg heute, und wir sind durch. "Auf Bochum wartet
der pure Hass", titelt RevierSport im besten 30er-Jahre-Style. Es ist wie
ein Tennisspiel. Im Tiebreak des dritten Satzes steht es 6:4 - und Du hast
dreimal Aufschlag. Ein verdammter Sieg. Warum nicht ausgerechnet heute?
Halb Bielefeld ist verletzt und gesperrt. Naja, das war im
Vorjahr irgendwie auch so... Endstand 0:3. "Kennt kein Schwein", grinst
die ruhrpöttische Überlegenheit beim Weltstadtbahnhof "Neubeckum",
"Kühe, Schweine, Bielefeld", hallts aus der nächsten Ecke. Boah
bin ich müde, denke ich und nicke kurz weg. Herbert
sei dank. Laufen zum Stadion, bei bestem Fußballwetter, wozu die
Sorgen, das Perforationsproblem taucht wohl häufig ein, der Ordner
winkt mich durch. Bratwurst ins Maul, und wieder hier. Drittes Auswärtsspiel
in Bielefeld, die beiden anderen Geschichten erspar ich Euch... heute ist
heute... jetzt ist jetzt. Heute schaffen wir´s!
Nehme das Handy in die Hand,
warte auf Nachricht von Thommy. Nix kommt. Dafür die Jungs zum Warmlaufen.
Christiansen steht direkt vor der Kurve. Hat Angebote aus Wolfsburg, Berlin,
Saragossa. Mensch der soll doch bei uns bleiben. Laute "Christiaaansen"-Sprechchöre,
die in einer Welle bereits vor dem Anpfiff münden. Es wird wieder
so knalleeng. Und doch passen Thommy und Sonja noch rein. Tauchen zwei
Minuten vor dem Anpfiff auf. Dieser Depp schafft es doch immer wieder,
so gerade im letzten Augenblick da zu sein. Aber ist da. "Schön Dich
zu sehn!" "Meine Güte Andi, hab ich ne Odyssee hinter mir. Erst mit
Mintard 0:5 zur Halbzeit zurückgelegen, mich auswechseln lassen, dann
eine ganze Reihe von Verspätungen! Aber ich bin hier, wie geil, wie
geil!" "Andi: Sonja! Sonja: Andi!" "Kennen uns doch aus dem letzten Jahr!?"
"Stimmt!"
Tröööt. Anpfiff.
Rauchbombe. Husthusthust (hilfe, wie ich in die sms-Sprache reingerate,
schlimm sowas, mal gucken, ob ich noch ein paar ganze Sätze hinkriege...).
Wir trauen unseren Augen kaum. Es entwickelt sich von der 1. bis zur 90.
Minute ein ganz tolles Fußballspiel. Beiden Mannschaften ist der
(Achtung, saukomischer Fußballbegriff) "absolute Siegeswille" anzumerken.
Beide sind hemmungslos offensiv eingestellt, und durch den in den letzten
Jahren hoch stilisierten und von den Medien geförderten "Hass" zwischen
Bielefeld und Bochum gewinnt der Kick sogar eine besonders emotionale Note.
Nicht Abstiegskampf, Abstiegsspiel heißt das Zauberwort. Es geht
hin und her. Torschuss folgt auf Torschuss. Riesenchance auf Riesenchance.
Im Gegensatz zum Vorjahr haben wir auch ein paar. Erst Wichniarek, dann
Hansén für Bielefeld an die Latte. Hiiiiilfe... "Trau nicht
mehr meinen Augen", um mal Grönemeyer zu zitieren. Thommy ist da!
Freu mich drüber! Würd doch so gern mit ihm live den Klassenerhalt
feiern, ansonsten verpasst Thommy nämlich meist die entscheidenden
Spiele (siehe Aachen im Vorjahr oder das Relegationsspiel anno 1988). 23.
Minute: Buckley geht riesig über links ab (heute ist einer von den
drei Sahnetagen, die der im Jahr erwischt), Klasserückpass auf Slawo
Freier.... JAAAAAA! TOOOOR! "Nie meeeehr zweite Ligaaaaa!" Drin der Fisch.
Die Anzeigetafel zeigts rot auf blau: Bielefeld 0 Bochum 1. Weiter hin
und her. Wosz zaubert, Dammeier flankt die Ecken, und Momo Diabang köpft
drüber. "Mooomooooo ist ein Bochumer", schallts ihm in tausendfacher
Phonstärke entgegen. Jaja, den Momo ziehts zu uns, und dafür
ist er auf der Alm ziemlich ausgezählt worden. Einmal kriegt der Momo
noch den Ball. Er zwirbelt ihn auf Wichniarek. Fallrückzieher, Innenpfosten,
Tor des Monats, 1:1. Musste ja so kommen. Ein traumhafter Treffer gegen
unsere schon durchgeplante Klassenerhaltsparty.
Halbzeit. Sonja machts Spaß,
denke ich. Mit zwei Wissenschaftlern im Stadion; kann das gut gehen? Wenn
das mal keine Theoretisierung der Fankultur gibt... aber es hält sich
in Grenzen! Die Augen brennen noch von der Rauchbombe, die bestimmt wieder
irgendwelche pubertären Bengel gezündet haben, um besonders cool
und in zu sein. Versuchts mit anderen Dingen, aber nicht so, okay? Die
wichtigen 45 Minuten nahen. Und wieder hin und her. "Es kann in beide Richtungen
kippen", stellen Thommy und ich fest. Diabang drüber, Wichniarek zweimal
an die Latte. Bei uns Oliseh in die Arme von Hain. Immer noch 1:1. Aber
da passiert noch was. Ich hab 3:1 für den VfL getippt, 50 Cent bei
Quote 33. Noch 17 Minuten. Ein Schuss von Freier, HAND!!!!! Hand? HAND!!!!!
Elfmeter! Gelb-Rot für einen Bielefelder, Bogusz glaub ich. Das kann
sie werden, die Schlüsselszene. Christiansen. Hat im Hinspiel
einen verballert. Legt sich den Ball hin, links unten, 2:1! Er sprintet
in Richtung Kurve, reißt sich das Trikot vom Leib, wir bemerken ihn
kaum vor lauter Gehüpfe und Gejuble. Und wieder "Nie meeeehr zweite
Liiigaaaa!" Die Bielefelder geben alles, was sie haben. Ein irres Spiel
zweier bundesligareifer Teams. Doch Kalla und auch Vriesde stehen immer
sicherer. Sekunden abwärts zählen. Dann Buckley... machs nochmal
wie auf Schalke! Und er machts! Guckt Hain aus....
3:1!!!!!!! Spiel gewonnen, Wette gewonnen, schnall es gar nicht richtig:
Wir sind drin geblieben! Bilder fast wie nach dem Aufstieg. "NIE MEEEHR
ZWEITE LIGAAA!" Neururers Meisterstück. Nicht einmal auf einem Abstiegsplatz.
Unglaublich!
Es bleibt ein Riesenschrei.
Es bleibt Neururer tanzend.
Es bleibt Christiansen auf
den Knien.
Es bleiben die Sprechchöre.
Es bleibt das Wort "riesig"
in allen Variationen. Riesen-Spiel. Riesen-Stimmung. Riesen-Saison. Riesen-Tore.
Riesen-Erlebnisse. "Beste Grüße an den Erstliga-Andi", sendet
Dirk aus München. Tja Pech gehabt, zum letzten Spiel bei 1860 brauche
ich jetzt nicht mehr zu kommen. Weil es für uns um nichts mehr geht.
Ey wir sind der VfL (!) und schon am drittletzten (!!) Spieltag gerettet
(!!!). Ein Widerspruch in sich, aber ein wahrer! Riesig.
Auf der Rückfahrt stopfe
ich goldgelbe fritierte Kartoffelstäbchen in mich rein. Das Glück
setzt sich. Setzt sich auf den Sessel in meinem Körper und macht es
sich bequem. Kuschelt sich ein; so, dass es einfach nur richtig gut ist.
Wie ein inneres Wärmekissen. Pfeife dabei "Gone with the sin" von
Him vor mich hin, denke an "Rock am
Ring 2001", werde durch mein Shirt daran erinnert, an den Wind, den
Regen, diese irre Stimmung. Beinahe so irre wie heute. Gegensätzliche
Erinnerungen törnen sich an. Euphorie, Lust, Melancholie - Emotions-Cocktail
mitten im Mai.
So viele Glückwunsch-sms
erreichen mich im Zug. Bin ich Euch so auf den Keks gegangen in den letzten
Wochen? Wahrscheinlich... sorry... lasst mich nochmal an meinem Schal riechen.
Er riecht immer noch nach
Rauchbombe und Zigarette.
Hoffentlich bleibts so!
- Weitere Impressionen von der Klassenerhalts-Party in Ostwestfalen gibt es HIER !
Tschüss Sesi und andere Sehnsüchteleien
Schaulaufen zum Schluss
Schluss. Aus. Finito.
Stopfe mir das Bochum-Hauptbahnhof-Nutella-Crepe
in den Mund, trotte schlurfend die Treppe zum dritten Gleis hinauf. So,
als ob nichts wär, als ob ich das nächste Woche auch tun würde.
"Bing", leuchtet dann im nächsten Moment die gezeichnete Cartoon-Glühbirne
über meiner Rübe auf und blinkt: "Saison für Dich vorbei!"
Und da begreif ich´s erst! Das war mein letztes Heimspiel in der
Saison 2002/2003. Das letzte Mal, dass ich Sebastian Schindzielorz im VfL-Trikot
hab
spielen, kämpfen und vor allem grätschen sehn. Das letzte VfL-Spiel
für über zwei Monate. Schreck lass nach. Jetzt beginnt sie also,
die öde Phase der Abstinenz, in der ich mir am Samstagmittag selbst
auf den Geist gehen werde, in der ich oft verzweifelt meinen blau-weißen
Schal anstarre, ihn einfach nur schweigend umlege, um dann doch leise "Hurra
Hurra die Bochumer sind da" zu seufzen. Das war´s also. Eine weitere
Dauerkarte, die sich fürs Fotoalbum qualifiziert hat. Eine weitere
Endtabelle, die in den Archiven verschwinden wird. Aber Bilder die bleiben.
Bilder einer Rekordsaison. 26 Spiele gesehen. 26 Tage für den VfL
investiert. Stundenlange Diskussionen, tagelange Internet-Homepage-Sessions.
Die Saison, in der ich für mich das VfL-Fansein theoretisch begründete,
die Saison des offensiven Fußballs, die Saison der Tabellenführung,
der Euphorie - aber auch der Negativserie, der Trauer. Die Saison, in der
aus Mirko Gerd wurde und aus Sam Sam. Die Saison des Thomas Christiansen.
Die Saison der Reisen.
Das war´s also.
Halt. Ein Spiel muss ich
Euch noch schildern - das heutige gegen den HSV. Liebe Leute, es ist so
verdammt ungewohnt, in der 1. Bundesliga zu einem Heimspiel des VfL Bochum
zu fahren, und es geht um GAR NICHTS mehr. Ich glaub das hatte ich noch
nie. Na gut, dieses blöde Gerede vom UI-Cup, und mein blöder
Scherz, dass ich wohl Mitte Juli nach Wladiwostok fliegen muss - das ist
doch Mumpitz (Spitzen-Wort, wollte ich immer mal schreiben). Dass dies
aber nicht zu einem Zuschauerschwund führt, wird sehr schnell deutlich.
Ausverkauft. Elf Buchstaben, die ein dickes Portmonee bedeuten. 32.645
Zuschauer beim Heimspiel gegen den Tabellenvierten. HSV. Echt irre. Eine
wahnsinnig gelöste Stimmung. "Nie mehr zweite Liga" ist jeder zweite
Sprechchor, alles hallt vom Ostwestfalen-Spiel nach.
Grinsen im Gesicht am Hauptbahnhof. Oha, so viele Polizisten da wie noch
nie in dieser Saison. Der HSV ist nun einmal ziemlich berüchtigt.
Es tummeln sich Tausende
rund ums Ruhrstadion, schon um kurz nach zwei. Unter den Tummlern auch
etliche, die blaue und weiße Servietten unters Volk schmeißen.
Winkewinke heißt´s für zwei von uns. Der erste ist Björn
Joppe, kein Spiel gemacht, ist mir also völlig latte, dafür aber
TSCHÜSS Sebastian "SESI" Schindzielorz. Hat in der E-Jugend beim VfL
angefangen, sich bis zu den Profis durchgebissen. War die von RevierSports
Günther Pohl getaufte "Nähmaschine" im defensiven Mittelfeld.
Einer, der nie vom Publikum gefeiert wurde, obwohl er es lange verdient
gehabt hätte. Aber auch einer, der keinen einzigen Pfiff abbekommen
hat, obwohl sein Wechsel seit Februar feststeht. "Tschüss Sesi" heißt
also das Motto des Tages; und das ist kein herbeigezaubertes. Es wäre
selbst dann aktuell gewesen, wenn Bochum noch gegen den Abstieg gespielt
hätte.
Im Fragebogen vor dem Stadion
ist von "Tschüss" nicht die Rede. Hurra, mal was für die von
mir ach so geliebte empirische Sozialforschung tun. Bitte sehr. "Wie bewerten
sie den Service an den Imbissbuden?" "Gut". "Wie beurteilen sie den Stadionsprecher?"
"Nicht zufrieden." Undsoweiter. "Darf ich den Kuli behalten?" "Nein!" Schade.
Bratwurst nur 1 Euro heute statt 1,80. Geben se gleich zwei. So komisch
alles. Nein, keine Freundschaftsspiel-Atmosphäre, das nicht, dafür
ist es zu voll und zu laut, zu viele Gäste-Fans da... nein, auch die
Spannung ist da, das Kribbeln wie vor jedem Bundesliga-Spiel - aber alles
ist so... so..... so.... wie soll ich sagen? Alles ist so verflixt relaxt.
Es ist völlig egal, was heute passiert. "Hallo Gerd!" "Hallo Sam!"
"Nabend!" "Jungs", sage ich, "Ihr habt was verpasst in Bielefeld. Es war
ziemlich geil!" Und wir lachen, kramen die Tabelle hervor und baden uns
in der Freude darüber, dass uns nichts mehr passieren kann. Immer
und immer wieder. Dirk aus München wäre auch lieber in Bochum:
"Versuch noch, ins Arschloch-Meisterstadion zu kommen. Hab auf Bochumer
Sieg geODSETZT, mein Tipp: 2:1, Buckley 89. vom 16er. So sei es. dvg" Hauptsache
der Sesi kriegt einen geilen Abschied und der Christiansen wird Schützenkönig.
"Fiege braucht kein Kölsch Sesi" ist das von mir gekürte Transparent
des Tages. Gerd berichtet frohlockend, dass er Helmut Rahn kennt, weil
er ihm eine Betreuung zuweisen musste (beruflich). Altegoer sieht von weitem
so aus wie Calmund. Der Fanbeauftragte Moppel ist im Stress. Sesi winkt
mit Blumen. "Danke 12. Mann" steht auf den Warmlauf-T-Shirts der Jungs.
Irgendwas mit "Vielen Dank" (Rest hab ich vergessen) ist weiß auf
ein blaues Band gedruckt, das die Spieler unmittelbar vor dem Anpfiff der
Ostkurve entgegen recken. "Niemals geht man so ganz" tönt es aus den
Lautsprechern. Ein Kölner Lied zum Abschied von Sesi zum FC. Diese
äußerst flippige Pointe haben die Jungs in der Stadionregie
wohl nicht mitgedacht. Und die Tabelle zeigt immer noch: Tatsächlich!
Für uns geht´s um nix mehr!
Und so bemühen sich
22 Mann um eine weiße, mit Luft gefüllte Lederkugel. Bei uns
versuchen das die gleichen Elf wie in Bielefeld,
also auch Vriesde und Bemben, die Lieblingsspieler von Thommy und mir.
Upps... Thommy. Bruder wo bist Du? Heut nicht da. In Berlin bei so nem
Seminar. Nächste Saison wieder. Wir haben schon die ersten Reisen
geplant. Das Auswärtsspiel in Freiburg wollen wir AUF JEDEN FALL mitnehmen,
und auch das Hamburg-Auswärtsspiel ist gebucht. Versprochen Thommy?
Gedanken an die nächste Saison, Gedanken an diese Saison. Die Zwischenergebnisse
zeigen: Auch Rostock bleibt drin. War eine nette Auswärtsfahrt.
Könnte ich glatt wiederholen. Auch Hannover.
Wie stehts eigentlich auf dem Rasen? 1:0 für uns. Ach in solch einer
Situation klappt einfach alles. Da patzt sogar ein sonst so zuverlässiger
Torwart wie der HSV-Pieckenhagen. Er gönnt Christiansen sein 20. Tor
in der 30. Minute! Gerd, Sam und ich möchten "Giovane - hast Du das
gesehn?" gegen Bayerns komischen Stürmer anstimmen, aber gegen 32.642
andere Kehlen sind wir machtlos. Dass Hamburg klar besser ist, dass sie
ihre UEFA-Cup-Ambitionen untermauern, schnuppe. Sesi fightet, grätscht
und rennt wie eh und nie. Die Nähmaschine rattert, würde Günna
Pohl dazu sagen.
Zweite Halbzeit, zwei SMS
von Dirk innerhalb von 20 Minuten. Nummer eins: "Der Elber-Depp!" Nummer
zwei: "Wieder der Elber-Depp!" Sprich: Christiansen wohl doch nicht Torschützenkönig.
Dann rückt das Unvermeidliche immer näher. Ein junger Amateur
namens Zajas zieht sich die Trainingsjacke aus, und jeder weiß was
kommt. Er geht. Er geht wirklich. Zieht das VfL-Trikot aus - und es nie
wieder im Ruhrstadion an. "Schind-zie-lorz! Schind-zie-lorz" im Stakkato...
"Seeeeesi ist ein Bochumer!" Er dreht eine Ehrenrunde, während das
Spiel läuft. Tschüss Junge! Hast alles gegeben und komm bald
wieder! "Coloooooogne Coloooogne die SCHEISSE vom Dom!" direkt noch hinterher.
Muss der Handgeld gekriegt haben, dass der uns freiwillig verlässt.
Im Zuge der Auswechslung
geht das 1:1 durch Rahns herrlichen Freistoß in der 83. Minute total
unter. Na gut, also nicht Wladiwostok im UI-Cup, ist ja auch egal. Rostock,
Hannover und Kaiserslautern schaffen tatsächlich die Rettung; dafür
schubst Leverkusen die Bielefelder auf den 16. Platz. Sollten wir denen
tatsächlich den entscheidenden Stoß versetzt haben?
Das war´s also.
Eine weitere Saison geht
vorbei. Eine, die ich nie vergessen werde. Nicht nur, weil es die erste
war, die ich komplett schriftlich fixiert habe. Sondern weil sie alles
in sich trug: Freude, Trauer, Reisen, Depressionen, Euphorie, Menschen,
Begegnungen, Ablenkung, Stress. Alles, was Fußball interessant macht.
Doch bevor ich gleich selbst anfange zu weinen, verabschiede ich mich besser.
Also - Schluss mit dem Wort
zum Sonntag!
Schluss mit dem Schaulaufen!
Ich hoffe, Ihr hattet genauso
viel Spaß wie ich!
Gute Nacht und bis zum nächsten
Mal!
Freu mich schon jetzt drauf!