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VfL Bochum - FC Schalke 04 1:2 (27.3.2004)
Meine erste Heimniederlage seit 15. März 2003... eine lange Serie geht zu Ende; gegen meinen Heimspiel-Angstgegner!
Irgendwann musste es uns erwischen - aber so? Und im Derby? Und trotz Ünlü? Mission Matchball: Nicht erfüllt!
Rekord-Rein: Das Positivste am heutigen Tag! Herr van Duijnhoven schraubte einen unwichtigen Rekord (Heimspiele ohne Gegentor) auf 911 Minuten!!
Don´t forget to catch me
Andi, es ist ein Fußballspiel.
Ein ganz normales Fußballspiel. Und es ist nun schon einen ganzen
Tag vorbei. Einen ganzen Tag und fünf Stunden. Und doch nagt es, nervt
es, zerfrisst es. Du könntest lachen, weinen, schreien. Irgendwann
musste es uns mal wieder erwischen. Aber bitte erst irgendwann. Und nicht
ausgerechnet, lasst es mich wiederholen, NICHT AUSGERECHNET im Revierderby
gegen Schalke 04. Mensch, selbst wenn wir noch auf Platz acht zurückfallen,
wäre das ein Erfolg für den Verein. Mensch Andi, reiß dich
zusammen. Und doch: Gib mir einen Kauring für Hunde, und ich beiße
ihn durch. Das Foto auf der Anzeigetafel verrät es immer noch: Auch
einen Tag, fünf Stunden und eine Minute nach dem Abpfiff haben wir
das Spiel gegen Schalke verloren. 1:2.
"Die Nummer eeeeeeins im
Pott sind wiiiiir", brüllen wir fortwährend um kurz vor drei.
Das Wetter ist endlich einmal gut, und alles ist hektisch heute, anders,
voller, dichter. Andere Leute da, anderer Hinweg, alles anders. "Baby don´t
forget to catch me", diesen Song habe ich im Kopf. Vergesst nicht, mich
zu fangen. Uns nicht zu fangen. Stellt Euch vor, die Saison ist vorbei
und Bochum hat den UEFA-Cup erreicht. Ein Sieg heute, und es ist nah, so
nah. Alles so anders. Traf Kumpel Alex am Mülheimer Hauptbahnhof,
ein Schalke-Fan, der bereit ist, sich inkognito, still und leise neben
uns mitten ist die Ostkurve zu stellen. Es ist sein erstes VfL-Spiel in
dieser Saison. Funkte vom Hauptbahnhof aus erstmals Dirk aus München
an, der zum zweiten Mal nach dem Dortmund-Spiel dabeisein wird. Ließ
uns von Sam und Freundin Nicole am Bochumer Hauptbahnhof abholen. Liefen
von deren Wohnung am Stadtpark aus zum Stadion. Unterhielten uns über
den etwas anderen Hinweg zum Ruhrstadion. Über Bochum. Über Schalke.
Über die Tabellensituation. Trafen Dirk am Fanmobil. Stärkten
uns mit Bratwürstchen. Kämpften uns durch die Massen zu unserem
Stammplatz. Und stellten fest, dass unser Stammplatz längst dicht
ist. Mussten uns bis zu den Ultras durchdrängeln.
Und nun heißt es:
Zittern. Gestern, das kleine Derby zwischen RWO
und dem MSV, das war ein nettes Vorspiel. Aber jetzt... das ist fast
ein Endspiel. Zweimal haben wir Schalke geschlagen, jeweils in der Arena.
Einmal noch schlagen... Die Ultras planen eine Sonderaktion. Irgendein
Plakat mit einem Palmenstrand und einem "Sklaven" mit blau-weißem
S´04-Trikot, der mit dem Fächer wedelt. Naja. Der Block A kniet
per Transparent vor dem 25-jährigen Ruhrstadion nieder, mit einem
äußerst süffisanten Touch: "Ruhrstadion alt? - aber bezahlt!!!".
Wir sind in der Rostock-Besetzung da, oh je, kein gutes Omen. Sam und Nicole
feuern mit an, aber Gerd (Hamburg) und Thommy (Berlin) befinden sich in
größeren Städten Deutschlands. Aber wollen jeweils per
sms informiert werden. Dirk hat fortwährend 2:0 getippt, die ganze
Woche. Unruhe auf den Rängen, Unruhe in mir drin. Kann nicht ruhig
sein, will nicht ruhig sein. Wetter ist gut, immer noch. Die Aufstellung.
Fahrenhorst spielt nicht, dafür Meichelbeck. Das kann schief gehen.
Muss aber nicht. Die Zeit bis zum Anpfiff ist wie im Flug vergangen. Keine
Chance mit Dirk zu reden. Mit Alex. Stehen ungünstig weit weg. Aber
mit Sam. Er erzählt eine Geschichte, wie er nach dem Gladbach-Spiel
fast einen anderen Fan verprügelt hätte, der ihn und Nicole rassistisch
beschimpft hat ("Ich hab ihr schon meine Brille gegeben, so kurz davor
war ich."). Traurig. Ich erzähle im Gegenzug von der Lederjacken-Fraktion
aus dem RWO gegen MSV-Spiel. Traurigtraurig.
Pickepackevoll die Kurve.
Das ist mehr als ausverkauft. Nichts geht mehr vor, nichts mehr zurück.
Stimmung ist gut. "Die Nummer eeeeeiiiiins im Pott sind wiiiir". "Guck
mal, wie viele Schalker da sind", stockt Sam immer wieder der Atem. Aber
unnötig. Unsere Jungs zeigen eine tadellose Leistung. Das Bälleken
läuft flott durch die Reihen, schnell nach vorn, und der eine oder
andere gefährliche Schuss - Beispiel Hashemian - fliegt aufs Tor.
Eckballbilanz 8:1, und das nach kurzer Zeit. Assauer und Jupp "typich britich"
Heynckes schweigen auf der Schalke-Bank. Zu Beginn geht unser Blick auf
unseren Rein van Duijnhoven. Der ist dabei, einen völlig sinnlosen
Uralt-Rekord der Bundesliga zu knacken. 844 Minuten ohne Heimgegentor blieb
zuletzt Schalkes Nigbur in den 70-ern. Dann neunte Minute. Altintop. Solo.
Außenpfosten. Rein hätte den Rekord um 60 Sekunden verfehlt.
Aber so leuchtet "Herzlichen Glückwunsch Rein van Duijnhoven" auf.
Hurra. Es passt ins positive Bild der flotten ersten Halbzeit. 25. Minute,
Ecke... Wooooszzzz.... Kopfball... Toooooooor! Meichelbeck! Unglaublich!
Da spielt der Fahrenhorst mal nicht, und doch gibt es ein Kopfballtor,
ein verdientes. Unser 4-2-1-3-System funktioniert. Funktioniert prächtig.
Und Schalke leidet unter Torwart Ünlü. Der sieht beim Gegentor
schlecht aus und lässt auch sonst jeden Ball fallen. Doch Schalke
hält mit... Flanke Altintop, Kopfball Sand - vorbei. GLÜCK! Um
16.17 Uhr erklingt ein schriller Pfeifton, Pause. Sehr schönes Spiel,
viele Strafraumszenen, einige Chancen, gute Unterhaltung. Und die ganze
Nervosität, die ganze Unruhe ist futsch. 1:0 für uns, sieht gut
aus. Und bei Schalke spielen Leute wie Pinto, Ünlü, Lamotte und
Kläsener von Anfang an. Die halbe Amateurmannschaft.
Zweite Halbzeit. "Steht
auf für den VfL", fordern wir - aber nur die Hälfte des Stadions
steht auch auf. Sind doch verdammt viele Schalker da. Ich ärgere mich
darüber, dass ich keine Sonnenbrille dabei habe, es blendet tierisch.
Alle 30 Sekunden lohnt ein Blick auf die Anzeigetafel. Es fällt Tor
auf Tor, wow, es geht aufs Saisonende zu, das ist deutlich zu spüren.
Die Abwehrreihen werden mehr und mehr gelockert, so macht Fußball
Spaß. Immer was los. Auch auf dem Platz. Hä? Wir spielen auf
einmal Verwaltungsfußball, investieren zu wenig in das Spiel. Wir
spielen so, als würden wir 2:0 oder 3:0 führen, ziehen uns zu
weit zurück, lassen Schalke kommen. Ey, das ist ein Dööörby,
gegen Schalke - das gewinnst du nicht im Vorbeigehen! Schalke wird dominanter,
überlegener. Zwar ohne richtig große Chance, aber uns fehlt
die Entlastung völlig. Paulemann Freier könnte sie bringen, doch
er verzettelt sich und verzettelt sich und verzettelt sich immer wieder.
Erste leise "Freier raus"-Rufe kommen aus verschiedenen Ecken und bei der
Auswechslung wird nicht nur geklatscht, sondern auch gepfiffen. Geh nach
Leverkusen, Paul! Dir und uns tust du damit einen großen Gefallen!
Immer noch 1:0. Reicht es trotzdem? Großer Unsicherheitsfaktor im
Schalke-Tor ist Ünlü. Er wird bei jedem Ballkontakt mit Schmährufen
begleitet. Er muss ein Wrack sein. Und hat von uns bisher nur ein Tor gefangen;
peinlich. In der Kurve ist es immer noch eng. Keiner will früher gehen.
Torwart Rein baut seine Serie aus. Noch elf Minuten zu spielen. Ecke für
Schalke... da steht doch einer freeeeiii.... und TOR! Wars der eingewechselte
Glieder-Edi? Nein, Kläsener, ist fast genauso peinlich. 1:1. Der Ausgleich.
Gegentor. Ratlosigkeit. Zittern wieder da. Drei Minuten später. Freistoß.
Kooooommt - Delura, da steht gar keiner mehr - 1:2! Blankes Entsetzen.
Halb Schalke macht einen Aufstand, Ünlü sinkt nur zu Boden. Fahrenhorst
fehlt an allen Ecken und Enden. Jetzt greifen wir wieder an. Warum erst
so spät??? Ünlü zeigt seine einzige große Parade eine
Minute vor Schluss und dann verpasst Madsen eine Wosz-Flanke, aber das
war´s. 1:2 verloren. Serien vorbei. 16 Spiele ohne Heimniederlage
- vergessen. Pidder Neururer darf wieder zum Frisör gehen. Mal wieder
ein Gegentor kassiert. Mist. Und der UEFA-Cup ist auch wieder in Gefahr.
Matchball vergeben, würden die Tennisspieler sagen. Dirk schüttelt
den Kopf. Alex will sich freuen, aber darf nicht. Sam und Nicole schauen
entgeistert. Wie ich. Wie konnten wir das Ding noch aus der Hand geben?
Und dann noch so unnötig! Aufgrund der zweiten Hälfte ist
das nicht mal unverdient. Wenigstens eine Serie hat gehalten: Wir sind
seit dem Wiederaufstieg ohne Platzverweis. Dabei hat der Bönig alles
getan, um runterzufliegen, sogar den Delura richtig derbe geschubst. Derby
eben. Hitzige Atmosphäre. Und die Nummer 1 im Pott, die sind wir auch
immer noch. "Baby don´t forget to catch me"... gefangen hat mich
noch keiner. Aber ihr seid mir dicht auf den Fersen...
Wir wählen den Umweg
über den City-Grill. Ich überspiele meinen Frust, meinen Ärger,
und unterhalte mich mit Alex und vor allem Dirk (wann sehe ich den mal?)
angeregt über Arbeitsstellen und den Zeitungsmarkt. Gerd und Thommy
erhalten per sms die schlechte Botschaft. Merke: Wenn Ihr beide parallel
fehlt, kann das gar nix werden. Also sprecht Euch demnächst ab. Nach
elf Spielen in Folge werd ich nächste Woche das Derby in Dortmund
aus beruflichen Gründen verpassen.
Ich werde ein bisschen sterben.
"Vielleicht auch Tenneriffa - eine Woche Sandstrand" - Neue Sprechchöre, viiiiele Adjektive und der Verlust des Stammplatzes: ALLES HEUTE IM VFL-TAGEBUCH !!!
Andis Privat-Soap
"Ach irgendwie fehlt mir
der Abstiegskampf schon", brummel ich vor mich hin. Schau auf die Anzeigetafel;
denn da steht "4:0" zwischen den Vereinswappen des VfL und des TSV 1860
München. Schau auf den Megafon-Mann der Ultras, der knapp einen Meter
Luftlinie von mir entfernt auf dem Zaun hockt und "Erste Runde Bukarest,
zweite Runde Rom, in Stockholm klingelt ein Telefon, vielleicht auch Rotterdam,
vielleicht auch Mailand, vielleicht auch Tenneriffa - eine Woche Sandstrand
- Europapokaleuropapokaleuropapokal" (wer hat sich diesen Mist ausgedacht?)
brüllt. Schau auf Gerd, auf Sam, auf Krüger, auf die Flutlichtmasten,
auf den grauen Himmel, und wieder auf die Anzeigetafel. Da steht immer
noch "4:0".
Seit zwei Wochen habe ich
ein neues Handy. So ein kleines von Siemens, mit rausfahrbarer Tastatur.
Das ist so praktisch, dass ich es fast schon kaputtgespielt habe von der
ganzen Rausschieberei. Jedenfalls hat das Ding auch die sogenannten "polyphonen"
Klingeltöne, und für mein VIP-Telefonbuch habe ich einen flotten
Tango eingespeichert. "Ja, ich lass mein Handy an", versprach ich gestern
einem Arbeitskollegen - ich hätts lassen sollen. 10 Uhr, früh
am Morgen, ein weiterer Wunschtraum von der Meisterschale zerplatzt, und
nein, nicht der Wecker klingelt, sondern ein Tango ertönt. Häää?
"Jaaa, bitteee?", murmele ich verschlafen in den Hörer. "Was ist,
kannst Du jetzt kommen?" Ich reib mir die Augen, schaue auf den Wecker,
da steht "10:01" und denke: "Ach Du scheiße, das schaffst Du nie."
Und was sage ich: "Ich steh jetzt auf und komm dann!" Es sind schwierige,
anstrengende Tage im Moment. Für eine Uni-Hausarbeit, Abgabetermin
Montag, führe ich im Moment Krieg mit der Friedensbewegung, dazu noch
der ganze Arbeitsmist, mensch, das ist alles so demotivierend. Und dann
kommt noch so ein Tag wie heute, an dem die Welt irgendwie gegen dich ist.
Du wirst geweckt von Deinem Handy, dass Du am liebsten aus dem Fenster
schmeißen würdest, hast Kopfschmerzen (weil Du so früh
geweckt wurdest). Dann fährt der Bus Richtung Mülheim-Saarn (zum
Arbeitskollegen) auch noch vor der Nase weg - also ein Taxi für Extrageld
ordern. Ich fluche, schüttle den Kopf. Das alles für die paar
Kröten, die die Stadionzeitung des Fußballklubs VfB Speldorf
bringt. Die Arbeiten daran dauern länger - scheiße, dann kann
ich meinen angestammten Regionalexpress nicht nehmen. Rufe Kumpel Alex
Post an, der heute wieder mitfahren will. "Wird später!" Wir fahren
los um 14.10 Uhr, wollen um 14.21 Uhr den Zug kriegen... und finden in
der Stadt keinen Parkplatz. Suchen zu lange, verpassen den Zug, stellen
die Karre außerhalb ab, steigen aus - und es fängt an zu regnen.
Aaaaaahhhh!!! Fahren bis Essen Hauptbahnhof, verpassen den Anschlusszug
um Sackhaaresbreite. Frust. "Fehlt nur noch, dass wir zum Anpfiff da sind,
und Bochum direkt nach 30 Sekunden das 0:1 kassiert", maule ich rum. Alex
berichtet von der einmillionsten Bewerbung, die ihm keinen Job gebracht
hat. Ich referiere die Friedensbewegung. Noch mehr Frust. Nur die Erzählungen
über den neuen, sensationellen Kinofilm von Helge Schneider halten
unsere Stimmung halbwegs oben...
Um 15.20 Uhr, erst zehn
Minuten vor dem Anpfiff, betreten wir die Kurve - suchen den Rest, und
finden ihn weeeit weeeeit unten, direkt neben dem Megafon-Mann, direkt
im Pulk der Ultras. Häää? "Heimatlos in der eigenen Kurve",
schüttelt Gerd den Kopf (und will diesen Satz direkt als Überschrift
vorschlagen - ätsch, nicht geklappt!). Denn: MAN HAT UNS UNSEREN STAMMPLATZ
GEKLAUT!!! Eine zweite Trommelgruppe hat sich unsere Wellenbrecher geschnappt
und uns verjagt. Müssen wir auf neue Suche gehen? Kann doch nicht
wahr sein. Aufgrund ihres dämlichen Fahnenkults schwenkt irgendein
Ultra nämlich immer was blau-weißes durch die Luft, der Megafon-Mann
versperrt die Sicht, sehr unbefriedigend diese Gesamtsituation. Mensch
Andi, genieß doch das Spiel, genieß es, es ist eins der letzten
in dieser Saison... genieß es! Diese bekloppten Sonntagspiele...
"Mensch Gerd, da schick ich Dich einmal nach Dortmund letzte Woche, und
dann gibts direkt eine 1:4-Klatsche!", schimpfe ich rum. Gerd erzählt
von seinen Erlebnissen vor einer Woche bei der Niederlage in der "verbotenen
Stadt" (Fankurven-Jargon), wie es ihm gelang, umsonst die Stadiontore zu
passieren, da wird mir bewusst: Auswärtsspiele in Köln und Stuttgart
und leider auch das Heimspiel gegen Bremen - die nächsten drei VfL-Spiele
kann ich mir NICHT ANGUCKEN. Es ist ein so trauriger April-Morgen. Nichts
gelingt, alles nervt eigentlich nur noch... und dann:
Dann schießt Dariusz
Wosz in der 2. Minute den Ball gegen den auf der Linie rumliegenden 60-er
Stranzl.
Vorbei sind die Ideen für
einen depressiven Texteinstieg (so ist er aber leider doch geworden), vorbei
ist es mit der Trübsalblaserei, vorbei ist es mit der Wut über
Uni, Arbeit und den ganzen Mist. Unsere Jungs geben in den ersten zehn
Minuten richtig Gas, verpassen zwar die Führung, aber hurra, sie zeigen
mir: Andi, es geht um Fußball. Um nichts anderes. Durch die einwöchige
Zwangspause muss ich mir die Tabellensituation noch mal deutlich vor Augen
führen: Wir sind Siebter, werden das vermutlich auch am Saisonende
sein, und keinen störts. Hauptsache, wir ärgern Leverkusen, Dortmund
und Schalke noch beim Kampf um den UEFA-Pokal-Platz. Hashemian, Freier
und Fahrenhorst gehen; naja, so ist das eben. Unser Gegner sind die Münchner
Löwen, einer der Vereine, die - ich sag es in jedem Jahr - für
ein bisschen mehr Geld ihre Seele verkauft haben. Der Klub hat die Heimspielstätte
(Stadion an der Grünwalder Straße) verlassen, und die einzigen
beiden Symbolfiguren des Klubs (Präsident Wildmoser und Trainer Lorant)
sind auch nicht mehr da. Die waren zwar bekloppt, aber immerhin sowas wie
das vereinte Markenzeichen des Vereins. Inzwischen haben die Sechz´ger
einen nichtssagenden Trainer, namenlose Spieler, so dass wir bei unseren
Diskussionen zum Schluss kommen: Also die haben ja mal gar nichts mehr
in der Bundesliga verloren. Kaum ausgesprochen, schlägt es auch ein:
Flanke Wosz, Kopfball von Hashemian in der 25. Minute, 1:0. Schon jetzt
eine verdiente Führung. Außer ein paar Flanken kriegen die Münchner
gar nichts hin. Sie spielen nicht bundesligareif. Dirk aus München
(diesmal nicht dabei), schickt ein: "Giesinger Arschlöcher" per sms.
Mein Bruder Thommy und er tingeln aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen
durch Regensburg. Ich habe nicht die geringsten Zweifel, dass wir das Spiel
klar gewinnen. Gerd und ich diskutieren über mögliche Neuzugänge,
zum Beispiel die gehandelten Lokvenc udn Knavs aus Kaiserslautern. Unsere
Elf spielt durch die Bank ordentlich. Hashemian rackert für zwei,
selbst der Wosz hat einige gute Pässe drauf. Kalla und Fahrenhorst
stehen sicher... rundum gut, während die Münchner rundum hinterher
laufen. Und wenn es schonmal so gut läuft, dann fallen ganz schnell
Traumtore. Freistoß Wosz, Fahrenhorst Kopfball, Hashemian mit einem
Fallrückzieher: 2:0 in der 41. Minute. Sooooo schön kann Fußball
sein, es ist eins von den "Meeeeeine Fresse wie geil"-Toren, und hinter
uns freut sich jemand so lautstark, dass er einen Becher Bier über
unsere Köpfe verteilt.
Halbzeitpfiff, 2:0 für
uns, schlechte Laune kein Thema mehr. Vier Persönchen in ulkigen Klamotten
hüpfen auf dem Rasen auf und ab. Im Rahmen einer "Abba-Show" machen
sich vier angebliche VfL-Fans fürchterlich zum Affen, trällern
"Dancing Queen" und "Waterloo". Es ist richtig fehl am Platz, aber wiederum
gut für Massen an Scherzen. Sam vermisst einen Bassisten auf dem Rasen,
obwohl der Bass deutlich in den Lautsprechern vernehmbar ist. Wir diskutieren
über das Angebot an die originalen Abba, für eine Milliarde Euro
eine Reunion-Welttournee zu starten, und nebenbei darüber, ob es erniedrigender
ist, Abba-Hits vor der Ostkurve zu singen, oder als Fiege-Bierflasche wie
im Schalke-Spiel zu jobben. Der Stadionsprecher
präsentiert die Band mit dem Spruch: "Und jetzt spielen euch eine
Biographie von Abba..." Auauauauauaua.
Naja, eigentlich sind wir
ja wegen Fußball da, und in einer sehr witzigen zweiten Hälfte
schaukeln wir das Spiel locker nach Hause - und ein Traumtor bekommen wir
auch noch präsentiert. Madsen schlenzt das Ding in der 61. Minute
unglaublich geil zum 3:0 in den Winkel. Ein Tor des Monats. Mindestens.
Die Münchner sind so schlecht, die schießen erst in der 75.
Minute erstmals in der zweiten Hälfte aufs Tor. Das 4:0 ist ein Geschenk
von 60-Torwart Hofmann. Der passt den Ball - sieht fast nach Absicht aus
- auf Freier. Querpass, Diabang frei, 4:0, 81. Minute. Der DIABANG!!! Wir
alle schütteln den Kopf. "Also wenn der Chancentod höchstpersönlich
trifft", unkt jemand von links. "Na den konnte der auch nicht mehr vorbeischießen!",
antworte ich. "Ach, der Diabang, der würde viel hinkriegen." 4:0.
Stell dir vor, es wäre Abstiegskampf. Neee, ist aber nicht. Wir sind
gerettet. Und das schon lange. Leverkusen fegt Kaiserslautern mit 6:0 aus
dem Stadion. Die Zwischenergebnisse, einige Auswechslungen und ein verflixt
souveränes Spiel bestätigen unsere richtig gute Laune, und noch
etwas: In der Nähe der Ultras zu stehen, ist verdammt anstrengend.
Dauernd schubst jemand aus irgendeiner Richtung... Vorsicht, stabile Rückenmuskeln
und starke Nerven sind gefragt. Naja, stabil ist Krüger nicht gerade.
Der kleinste regt sich auch am lautesten auf. "Sag mal Sam", frage ich.
"Kennst Du den Krüger?" "Ich weiß nur, dass er Hans-Dieter heißt!"
Ich tratsche das an Gerd weiter. Hans-Dieter. Wieder eins der letzten Geheimnisse
gelöst.
Gelöst sind wir alle.
Die Spieler und unser Coach kommen in die Kurve, der Applaus ist groß.
Ein gutes Spiel, eine tolle Mannschaftsleistung, wieder auf den fünften
Platz gehüpft. Schon jetzt haben wir so viele Punkte wie in der letzten
Saison nach 34 Spielen. Unglaublich. Schick den Andi zum Fußball
und seine miese Laune verschwindet im Nu. Keine Gedanken mehr an das manchmal
böse, anstrengende, stressige Leben.
Würde mein Leben wie
eine Soap á la "Berlin Berlin" verfilmt (in etwa mit dem Titel "Mülheim
Mülheim", hihi, klingt gut - aber mit Titelsong von Helge Schneider
bitte, und auch mit Feli Woll in der weiblichen Hauptrolle, süüüß),
heute wäre ein Paradetag für eine Folge gewesen. Arbeiten, gestresst,
alles geht schief, quer durchs Ruhrgebiet fahren, in die Schrebergärten
an der Bahnstrecke gucken, mit einem Kumpel über Gott und die Welt
quatschen, andere Leute treffen, schön locker Fußball gucken,
tolle Tore bejubeln, Frauen hinterher pfeifen. Viel passiert. Viel Gelaber.
Und doch Ruhe.
Und den Tag im "City-Grill"
am Bochumer Hauptbahnhof ausklingen lassen. Eine Pommes in die Majo tunken,
auf den Videotext gucken, die Tabelle genießen und Fußballfans
beobachten. So hab ichs gerne, immer wieder.
Das ist meine Privat-Soap.
LESERBRIEF
VON TROMMLER CHRIS (11.4.2004)
Wir nehmen hiermit Bezug
auf Deine Äußerungen in dem Artikel Deiner HP zum Thema Trommelgruppe.
Wir haben am Samstag niemanden verjagt. Wir nahmen unseren Platz um 15.00
Uhr an den Trommeln ein. Da es in der Ostkurve nunmal keine nummerierten
Plätze gibt , hast Du oder andere Stadionbesucher auch keinen Anspruch
auf einen Stammplatz. Übrigens genau wie wir. Da wir einfach nur versuchen
wollen , die Stimmung in der OK zu verbessern , war das am Samstag ein
Test von mehreren , die wir in dieser Saison noch machen werden. Das nächste
mal werden wir ein Stück weiter unten stehen und auch ,,Stammplätzler
verjagen".(die uns aber aufgrund unserer Trommeln sogar Stimmungsmäßig
herbeiwünschen) Wenn Interresse besteht , schau doch einmal auf unsere
HP und lies Dir einmal das Statement und die Absicht der Blue-White Drums
durch. Dann wirst Du feststellen , daß wir jeden Fan als Fan des
VfL akzeptieren und nur mit Euch zusammenarbeiten wollen , statt
auch nur einen einzigen zu verjagen. Gruß vom Trommler Chris ( Tamburo)
www.bluewhitedrums.de
Auf den schönsten Zug-Strecken zu einem konsternierten Fußball-Erlebnis
Talkin' 'bout a revolution ?
Leise erreicht mich der sanfte
Gesang Tracy Chapmans... "Don´t you knooowww... they´re talkin
'bout a revolution", säuselt sie mir am frühen Morgen ins Ohr.
Ja, heute ist ein guter Tag, um eine Fußball-Revolution anzuzetteln.
Ich schaue in den Spiegel, beglückwünsche mich selbst dazu, VfL-Bochum-Fan
zu sein, und lausche weiter dem Lied: "It sounds like a whisper", flüstert
Tracy, und ich schütte mir Wasser ins Gesicht, Zahnpasta auf die Zähne.
Es ist so ruhig morgens
in
Trier.
Mein Bruder Thommy und ich
haben noch nichts gespachtelt, als wir um 7.50 Uhr seine Wohnung verlassen,
eiligst mit unseren Taschen über der Schulter, mit hassen Haaren auf
dem müden Schädel. Der erste Sprint des Tages, Porta Nigra in
Sicht, der Hauptbahnhof ist auch nicht mehr weit. Ich reibe mir meine müden
Augen, pflanze mich auf einen Sessel im Regionalexpress Richtung Koblenz,
in dem wir jetzt anderthalb Stunden verbringen werden, und krame meinen
Block hervor. Was wollte ich nicht alles erwähnen zu Beginn dieses
Textes? Dass es mein erstes Spiel als VfL-Mitglied ist? Dass es mein erstes
Spiel nach vier verpassten ist? Dass ich die neuesten Sprechchor-Kreationen
verpasst habe? All das steht auf dem Zettel ganz oben, hinter Gedankenstrichen.
Erwähne es, Andi! Erwähne es! Halte den Stift in meiner rechten
Hand, will was schreiben, und kann es nicht. Die Mosel liegt so friedlich,
die Sonne schlummert noch im Flussbett und wird von klitzekleinen Wellen
zugedeckt. Hach ist das schön... Unser Zug bereichert die Landschaft,
gehört dazu, es ist wohl eine der schönsten Strecken in Deutschland.
Das Spiel rückt näher und näher, und was geht in mir vor?
Lampenfieber? Ruhe vor dem Sturm? Die Ruhe selbst? Ich weiß es nicht.
Ich weiß nur, dass ich es liebe, solche Situationen zu beschreiben:
Ein total relaxter Tag in Trier liegt hinter mir, eine zu kurze Nacht ebenfalls,
als Ohrwurm schwirrt "Talkin' 'bout a revolution" und das folgende
"It sounds like a whisper" im Kopf herum, und mein Hirn gibt an den Rest
weiter: "Gottverdammtescheiße, heute packen wir es!" Links neben
mir sitzt Thommy und erzählt Geschichten von einer Fahrt mit einer
Mülheimer Fußball-Stadtauswahl nach Kobern-Gondorf, er erzählt
von in der Mosel tanzenden Proll-Kickern, die - nur mit Boxer-Shirts gekleidet
sind und einen Kasten Bier in der Hand halten - "I like to move it" schmettern.
Koblenz. Umsteigen. Müde. - Zwei Schokobrötchen bitte. Haben
Sie einen kalten Kakao? Schön! Davon auch noch einen! Ach, und so
einen Marzipanplunder könnte ich gut gebrauchen. Wissen sie, ich liiiiebe
Marzipan. - Sie schaut mich an, als würde ich vom Mars kommen. Ist
noch früh. Koblenz ist der Treffpunkt der Fußballfans. Wieder
einmal spüre und genieße ich das unverwechselbare Feeling bei
Auswärts-Zugfahrten. Dortmunder und Gladbacher fahren zum Treffen
der beiden in der für Bochum-Fans "verbotenen Stadt", Schalke-Fans
tuckern nach Gelsenkirchen, und Frankfurter und Bochumer gen Main. Ist
das herrlich? Rein in den Zug, Sam anrufen. Der gute alte Sam. Er hat sich
auch angesagt. Es klingelt. Lauuuuut ist es im Hintergrund: "Wiiiiiir sind
nur zum FEIERN hier! Wir sind nur zum FEIERN hier!!!" Verstehe Sam kaum.
Wir vertagen uns auf später. Der Anpfiff rückt näher, und
die Wartezeit versüßen wir uns mit einer weiteren wunderwunderschönen
Bahnstrecke, die ich an dieser Stelle schon oft gewürdigt habe. Rhein.
St. Goarshausen, Rüdesheim, Kaub, Loreleyfelsen - und wie die ganzen
kleinen Dörfchen und Örtchen sonst noch heißen mögen.
Deutschlands 17. Bundesland, nämlich das "Kegelclub-Land". Eine Kaschemme
folgt hinter der nächsten, ein Weinberg liegt hinter dem anderen.
Wie sich die Landschaft über Kilomeeeter und Kilomeeeter gleicht...
Rhein in der Mitte, zwei Berge (entweder Felsen oder Weinberge) an der
Seite. Direkt am Ufer des Rheins ein Bahngleis und am Fuße der Berge
Dörfer mit massenweise Kneipen-Angeboten. Eine Alte-Muttis-Gruppe
mit lustigen Hütchen drauf steigt zum Beispiel in Rüdesheim aus.
"Guck Dir die ganzen kleinen Gässchen an, Andi" Andi guckt sich die
Gässchen an und staunt. Hier wird bestimmt ganz schön gebechert,
Abend für Abend, im Sommer. Anruf bei Sam. In seinem Zug ist es mittlerweile
ruhiger geworden. Treffpunkt Frankfurt Hauptbahnhof. Gegen eins. SMS von
Gerd und Dirk. Fordern einen Ergebnisticker an. Dirk ist gerade im Urlaub
in Dänemark. Die SMS - ein Zeichen; es rückt näher. Das
letzte VfL-Spiel ist vier Wochen her, ich war an den letzten Sonntagen
mehr als einmal der Verzweiflung nah,
und nun können wir alles klarmachen... Gegen Frankfurt, die sind doch
schon so gut wie weg!!! "Don´t you knooowww... they´re talkin
'bout a revolution", schleichts mir wieder in den Kopf... über eine
Revolution reden? Wäre das eine Revolution? Wir im UEFA-Cup? Nicht
Hertha, nicht Schalke, nicht Hamburg, nein, der popelige VfL schafft es?
Es scheint Wirklichkeit zu werden. Wirklichkeit. Welcome to reality. Reality.
Realität. Was ist die Realität in der nächsten Saison? Es
geht wieder bei "0" los. Und wir müssen erst einmal die 40-Punkte-Marke
knacken. Und kein Bochum-Fan denkt anders. So sind wir.
Kurz nach High-Noon... die
Müdigkeit ist besiegt und die hohen Türme von Frankfurt haben
uns in den Empfang genommen. Was tun in der nächsten Stunde? Rumlaufen!
Rumlaufen, gucken, staunen, ein paar Fotos schießen. Es ist so anders
als in Trier, so ein Gegensatz. Die Straßen sind voller Leben, Menschenmassen
drängen sich und drängen sich und drängen sich, und wir
drängeln mit. Drängeln durch die Straße mit dem "Beate
Uhse Shop" und dem "Dolly Buster Center" (komischerweise unmittelbar im
Bänker-Viertel), drängeln an den Wolkenkratzern der Commerzbank,
der deutschen Bank und den anderen Scheißläden vorbei, zeigen
Stinkefinger, wo es nur geht, drängeln über die Zeil, die Haupt-Einkaufsstraße,
gehen im Kaufhof auf Klo, vertilgen eine Currywurst auf dem Weg vom Frankfurter
Römer zur Paulskirche, fahren eine Station mit der U-Bahn, sehen Petra
Pau am Bahnhof. Frankfurt, eine Stadt, die ich bisher mit meiner Ablehnung
strafte, allein aus dem Grund, weil solche Wolkenkratzer jedes Stadtbild
einfach nur stören und zumindest in Deutschland absolut überheblich
und fehl am Platz wirken. Ich strafte die Stadt für ihre vermeintliche
Selbstüberschätzung und weil ich sie nicht schön fand, als
ich im kalten Februar 1997 mit meinem Biologie-Grundkurs besuchten. Wobei:
Wesentlich mehr als das Ebbelwoi-Viertel Sachsenhausen, das Senckenberg-Museum
und den Weg dorthin über die "Zeil" bekamen wir von der Stadt nicht
mit. Selbst "Matula" konnte meine vorgefertigte Meinung nicht ändern.
Was ist mit dem kurzen Besuch? Frankfurt ist die Stadt der Böhsen
Onkelz, die Stadt der Börse, die Stadt der Banken. Und Frankfurt ist
auch die Stadt der Frankfurter Schule, des Instituts für Sozialforschung,
die Stadt Adornos, die Stadt, in der Joschka Fischer randalierte, die Stadt,
in der TITANIC produziert wird. Was ist Frankfurt? Metropole? Oder Bielefeld
mal drei, wie im Buch "Öde Orte 2" steht? Frankfurt ist groß.
Frankfurt ist an diesem Tag sonnig. Frankfurt ist an diesem Tag voll. Ich
genieße es. Heute ist der Tag für die Fußball-Revolution
und ich nehme mir vor, mir jedes einzelne Gefühl zu merken, alle Emotionen
auf mein Herz zu tätowieren, auf dass sie nie wieder verschwinden.
Halb zwei, Sam steht am
Bahnhof... er breitet seine Hand aus, fragt, ob wir denn irgendwas bemerken
würden...? Wir verneinen, da deutet Sam auf seinen Ring am Finger
und meint: "Seit gestern!" Nääää, der gute alte Sam
hat geheiratet und fährt direkt live von der Hochzeitsnacht zum Fußballstadion.
Und seine Frau darf die Wohnung putzen... Hurra! Wir trinken was in einem
Café, reden, aber mein Ansprechbarkeits-Faktor sinkt rapide. Ich
schlürfe so schnell wie möglich, so dass die beiden merken: Aha,
der Andi will los. 14 Uhr, wir erwischen eine Straßenbahn, und erleben
eine Fahrt, die wir so schnell nicht vergessen. Es sitzen acht absolut
liebenswerte, aber auf eine rührige Art und Weise total verstrahlte
VfL-Fans im Zug, die 25 Minuten lang nur Blödsinn singen. Sie bemerken
Sam und brüllen: "Raymond Kalla - Du bist der beste Mann!" Und direkt
danach: "Ganz egal woher Du kommst - ganz egal wer Du bist - auch die Farbe
Deiner Haut interessiert uns nicht!" Ich finds gut, Thommy gut gemeint.
Es wird noch besser. Immer wieder: "Erste Runde Bukarest, zweite Runde
Rom, in Stockholm klingelt das Telefon, vielleicht auch Rotterdam vielleicht
auch Mailand vielleicht auch Teneriffa eine Woche Sandstrand - EUROPAPOKAL!!!"
Mittlerweile kann ich den Text. Ganz weit vorn ist der Spruch: "Wir stehen
auf und setzen uns hin wir stehen auf und setzen uns hin - Das finden wir
lustig, weil wir bescheuert sind". An einer Haltestelle steigen viele Frankfurt-Fans
ein, und laut schreien wir: "IHR HABT KEIN GELD FÜRS AUTO!!" Der fünfminütige
Klatschreim "Vater Abraham hat sieben Söhne" rundet die gelungene
Veranstaltung ab. Also wenn das keine Werbung für uns Ruhrpottler
war... uns muss man doch einfach mögen... Von den Frankfurtern singt
keiner. Betretenes Schweigen. Sie haben sich mit dem Abstieg abgefunden.
"Da kann gar nichts schiefgehen", lautet unsere einhellige Meinung. "Aber
jetzt mal ganz objektiv: Jetzt lassen wir uns das nicht nehmen!" Objektiv?
Karte zeigen, einmal ums
Stadion rumlaufen. Man ist das weitläufig hier. Wieder einmal bestätigt
sich der Name "Waldstadion". Und nochmal links, und wieder rechts, und
da brandet Applaus auf. Mist, das Einlaufen der Spieler verpasst. Egal.
Sam, Thommy und ich trotten Richtung Stehplatzkurve, immer noch bei 1-2-3-Oberkörper-frei-Wetter,
suchen und finden drei schöne Plätze, lassen uns die Sonne ins
Gesicht scheinen und genießen. Genießen einfach nur. Mehr nicht.
So viele Bochumer sind da, soooo viele. Es ist ein wundervolles Bild. Blankes
Entsetzen auf der anderen Seite. Wir haben vollstes Verständnis, steckten
wir doch jahre-, quatsch jahrzehntelang in dieser Lage. Ein "Ohne Konzept
und System - Reimann muss gehn"-Plakat ist zu sehen, und das Synonym für
Anti-Fußball erhält einen Extra-Blumenstrauß. Uwe Bindewald
hört auf. Nach dieser Nachricht hörte mein Herz für kurze
Zeit auf zu schlagen. Mit einem Blumenstrauß in der Hand trat der
laufende Fehlpass und die rennende Grätsche zur Ehrenrunde an, wohl
rechnend damit, dass nach dem Abpfiff eher Heulsusen gefragt sind als aufhörende
Main-Maradonas. "Zico" wird Bindewald genannt. Humor haben sie, die Hessen.
Es rückt näher
und näher... lenke mich ab, gehe den Tag durch... Tracy Chapman, Koblenz,
viele andere Fans, Mosel-Strecke, Rhein-Strecke, Zeil, Sams Hochzeit, Vater
Abraham, und jetzt, alles, sofort, direkt, jaaaa, nur für diesen Moment.
15.31 Uhr, jetzt zählts. Anpfiff. Und 25 Minuten lang schauen wir
6000 Bochumer konsterniert auf den Rasen. Tunnelblick. Links nichts. Rechts
nicht. Nur die Außenlinien als Sichtbegrenzung im Bild. Was spielt
sich da gerade ab? Was ist das? Was soll das? Lexa spielt mit Bönig
schon in den ersten fünf Minuten dreimal Katz und Maus. Dann ein erster
Warnschuss von Amanatidis - van Duijnhoven zur Ecke. Erste "Wir haben den
weltbesten Torwart"-Rufe. Doch wir verstummen ganz ganz schnell. Ecke,
dann Kopfball von Puljiz und Rein klärt mit einem phantastischen Reflex.
JUNGENS, AUFWACHEN!!! MACHT WAS!!! UEFA-CUP!!! Dann Gladbach: 1:0-Führung
in Dortmund. Yeaaaahhhh! Yeaaaahhhh! Aber wir sind heute das viel größere
Problem. Frankfurt ist offensivstark, schießt aus allen Lagen aufs
Tor. Lexa stark über rechts, na gut, Beierle fällt im Sturm etwas
ab, dafür drehen Amanatidis, Skela und Preuß ganz schön
auf. Skela passt in Minute 15 auf Preuß, 1:0, da ists geschehen.
Madsen spielte den Fehlpass, Kalla und Fahrenhorst waren sich nicht einig.
Die besten patzen. Das MUSS schiefgehen. Es ist völlig verdient. Sechs
Minuten später Freistoß, Kopfball Puljiz - WIE FREI STEHT DER
DENN??????? - 2:0 für die Eintracht. Wo bin ich hier? In welcher Veranstaltung?
Dortmund führt mittlerweile 2:1, Platz fünf ist futsch. Ich mache
alles, um nicht aufs Spielfeld gucken zu müssen. Das Stadion wird
bald wirklich WM-tauglich sein, keine Frage. Noch ist eine Tribüne
mitten im Bau, noch geht die Anzeigetafel nicht, noch ist keine Tribüne
überdacht. Kommt alles noch. Unseren ersten Ergebnis vollstreckt Hashemian
zum 1:2. Effektive Chancenauswertung nennt man das. Halbzeit. Der dicke
Reimann, der total ulkig aussieht, ist zufrieden. 2:1 gegen Bochum, das
ist okay - aber es hätte höher stehen können. Wir alle fassen
es nicht...
... und hoffen auf die zweite
Halbzeit. Doch noch die Revolution? Eine spontane vielleicht? 49. Minute,
Fehler Puljiz, der vierte grobe Schnitzer (zwei pro Mannschaft), Hashemian
passt super auf Wosz, 2:2!!!!!! Riesen-Jubeeelll! Ein Rachenkratzer-Tor!
Es fällt so spontan, aber in einer Phase, in der die Stimmung ohnehin
wieder ansteigt (zu Beginn der zweiten Hälfte), und es ist so wichtig.
Also nur noch "JAAAAAAAAA! JAAAAAAAA! JAAAAAAAAA!" brüllen und Leute
umarmen. Der Rachen wirds Dir zwei Tage lang danken. Jetzt bloß das
2:2 halten. Dann muss Frankfurt aufmachen und wir kontern. Bloß halten,
bloß halten, bloß hal.... scheiße... 2:3, Amanatidis.
Abseitsfalle hat nicht funktioniert. Im Gegenzug ein Tor kassiert. Wie
blöd muss man sein? Wir werden das wohl doch nicht ausgerechnet in
Frankfurt noch vergeben!?! Die steigen sowieso ab; aber wenn wir aus dem
UEFA-Cup fliegen, ist doch keinem geholfen. Es wird ungemütlicher.
Lautstarke "Freier-raus!"-Rufe folgen, je näher das Spielende rückt.
Slawo, der einstige Volksheld, kriegt nix hin. Woran liegt es? Madsen arbeitet
für seine Verhältnisse ganz ganz wenig. Schlechte Zweikampfwerte,
kaum Defensivarbeit und keine gelungene Offensivaktion. Bönig ist
hinten links bis zu seiner Auswechslung überfordert. Das Umschalten
klappt gar nicht. Neururer wechselt verzweifelt. Am Ende stehen Madsen,
Freier, Hashemian, Diabang, Buckley und Wosz parallel auf dem Platz! Doch
die beste Chance hat Amanatidis nach einem Konter. Nichts geht -
und das in so einem Spiel. 91. Minute, nochmal ne Flanke, und Diabang köpft
Fahrenhorst an, im gegnerischen Fünf-Meter-Raum. Bezeichnend. Direkt
danach Abpfiff. 2:3 verloren. Unglaublich. Ein Spiel, das wir eigentlicht
nicht verlieren konnten, haben wir verloren. Es kommt auf den letzten Spieltag
an. Finale im Ruhrstadion. Wir müssen Hannover schlagen, Dortmund
darf in Lautern nicht gewinnen. Die Eintracht-Fans hoffen auf Dortmund.
Nur wenn der BVB Lautern schlägt, hat Frankfurt noch eine Chance.
Wie gern hätte ich mir den Taschenrechner erspart. Kleinere Späßchen
mit Frankfurtern bringen die Laune zurück. Obwohl Thommy zugibt, noch
ganz "konsterniert" zu sein. 6000 Bochumer fahren zurück zur Ruhr,
und können es noch gar nicht glauben. HEY JUNGS! WO IST DAS PROBLEM!
WIR SIND SECHSTER!!!, möchte ich Ihnen zurufen. Was ist denn das für
ein Anspruchsdenken?? Dann spielen wir halt UI-Cup, ist doch auch ein Supererfolg.
Und wir hatten so oft Massel in diesem Jahr, da ist doch ein solches Spiel
mal schneller verziehen!
"Alte Scheiße", ist
die am meisten verwendete Redewendung ab 18 Uhr. Eine Riesenschlange bei
Mc Donalds, extremst müde Beine und eine zu lange Wartezeit verschlechtern
das Gemüt, während Sam Richtung ICE verschwindet. Die Gedanken
fliegen. Fliegen zurück nach Trier. Nach Mülheim. Zur Uni. Zur
WAZ. Zum Urlaub. Überallhin. Die Gedanken fliegen zum Spiel. 2:3.
Der Zug? Der fliegt nicht gerade... Noch drei Regionalexpresse... der erste
bis Siegen, der zweite bis Köln-Deutz, der dritte bis Mülheim.
Ankunft 23.45 Uhr. Parallel singt Max mit Stephan Raab beim Grand Prix
in Istanbul - und wir reisen quer durch die Galaxie (zumindest einen Teil
davon). Ich bin müde. Ich schlafe. Zehn Minuten, Viertelstunde. Das
muss sein. Vor uns hockt ein Bochum-Fan mit seinem absolut nervigen Kind,
das pausenlos Geräusche von sich gibt. Umsteigen in Siegen, einer
Stadt, in der mir in zehn Minuten so viele komisch aussehende Leute begegnet
sind wie in Mülheim in einem Jahr (und das muss was heißen?)
Bitteschön, was war DAS DENN für eine Stadt? Krass! Siegen ist
diesmal der Treffpunkt der Fans aus Dortmund, Köln, Gladbach, Rostock,
Frankfurt, Schalke, Kaiserslautern und Bochum. Fast die halbe Liga ist
vertreten. Zwei Coladosen vertreiben uns die Zeit bis Köln-Deutz,
und der Walkman sorgt bei mir für noch depressivere Laune, als "The
bitter end" von Placebo läuft.
Max liegt gerade auf dem
achten Platz von 24 Teilnehmern, als der rumänische Kommentator seine
Punktwertungen bekanntgibt. Ich pfeffere meinen Rucksack in die Ecke meiner
ohnehin schlimm verwüsteten Wohnung von einem Dieb namens "mir selbst".
Jetzt nur noch pennen.
Talkin´ 'bout a revolution?
No, only a whisper...!
MEHR FOTOS ZUM SPIEL
SONSTIGES
MEHR WIRKLICH TOLLE FOTOS
UND ANMERKUNGEN
ZUM TRIER-BESUCH UND
AUS FRANKFURT GIBT ES HIER
!!!
"Nimm den besten Orgasmus, nimm ihn mal 1000, und du bist noch nicht einmal nah dran"
Europa... wir haben´s geschafft!
Eigentlich macht "man" das
ja nicht. Eigentlich denkt "man" ja nicht daran, was wohl genau passiert,
wenn die letzten Sekündlein des eigenen Lebens schlagen und die wichtigsten
Momente noch einmal vor den Augen ablaufen. Der Mensch lebt von Augenblicken,
von kleinen Gefühlen, von Kicks, von Ekstase; und oft stelle ich mir
ein eigenes Gefühlsalbum zusammen. Ein Album, das ich aufschlage,
in dem ich herumblättere, und das mich alle Gefühle der jeweiligen
Momente noch einmal erleben lässt. Welche Emotionen hätte ich
wohl bisher archiviert? Sicher, die Verleihung des Abi-Zeugnisses und der
darauffolgende Stinkefinger Richtung Schulgebäude. Na klar, die Momente,
als ich unter dem Nordkapp-Globus stand oder unter der Davidsquelle in
En-Gedi am Toten Meer in Israel. Natürlich auch der Aufstieg 2001
in Aachen. Nicht zu vergessen das UEFA-Cup-Spiel gegen Trabzonspor. Heute,
ja heute hat dieses Gefühlsalbum ein ganzes Kapitel dazu bekommen.
"Nimm deinen besten Orgasmus, nimm ihn mal 1000, und du bist noch nicht
einmal nah dran", beschreibt Irvine Welsh in "Trainspotting" das Gefühl
eines Drogenkicks. Okay, jajaja, der Vergleich ist gewagt (aber hey, ich
bin Single), aber so ging es mir nach dem Abpfiff, ganz ohne Drogen. Rausch,
Höhenflug, schreien, brüllen, hüpfen, der Waaaaaahnsinn.
Schreien im Stadion, vor dem Stadion, vor der Bühne, in der Straßenbahn,
in der Kneipe, zu Hause und immer wieder immer wieder immer wieder: "UUUUUUUUUUEFA-Cup,
UUUUUUUUUEFA-Cup, und wir ham das blau-weiße Licht bei der Nacht
und wir ham das blau-weiße Licht bei der Nacht, UUEEEEEEEEFA-Cup,
UUEEEEEEEEFA-Cup." Diesen Tag werde ich niemals vergessen, niemals niemals
niemals. Diese Gefühle werden fein säuberlich in meinem Herzen,
auf dieser Homepage, in den Geschichtsbüchern und den Zeitungen aufbewahrt
und bei Bedarf hervorgekramt. Die vielen Momente, die Eindrücke, die
Menschen, der Jubel, die Umarmungen, die Freudentränen. Europa...
wir haben´s geschafft! Und ich war dabei. Wie lang ich wohl brauche,
um zu realisieren, was geschehen ist?
Aber jetzt nehmt den Uhrzeiger,
und dreht ihn mit mir ein paar Stunden zurück.
... 14.15 Uhr - noch drei
Stunden... dann ist alles vorbei. Dann ist die gesamte Saison vorbei, Geschichte,
Schluss, Aus. Saison 2003/2004 byebye, war schön. Wo du am 34. Spieltag
stehst, das zählt, das hast du dir verdient, heißt es ligaauf-,
ligaab-, sportabauf-, sportartabwärts. Heute, genau heute, das ist
der 34. Spieltag. Ich erinnere mich an den Saisonstart, als uns nicht wenige
sogenannte Experten neben Eintracht Frankfurt zum ganz heißen Abstiegskandidaten
kürten (ohne Christiansen und Schindzielorz, wie soll DAS NUR gutgehen!?!).
Ich erinnere mich an die Spiele in
Wolfsburg und gegen den HSV, den
totalen Holperstart mit nur einem Punkt aus drei Spielen. Erinnere mich
an Sonne. Regen. Kälte. Schnee. Freude. Jubel. Den Oliseh-Rauswurf.
Und heute, heute ist Spieltag 34. Ein Sieg noch. Ein Sieg noch, dazu ein
passendes Ergebnis aus Kaiserslautern und wir sind drin, wir sind drin,
wir sind drin. Ich grinse, lache, schmunzle, versuche Witze zu reißen,
mich vernünftig zu unterhalten. Es gelingt. 14.45 Uhr, noch zweieinhalb
Stunden, dann ist alles entschieden. Dann wissen wir Bescheid. Es ist ein
Gefühl wie vor einem Blind Date (... und da kenn ich mich aus). Du
weißt überhaupt nicht, was dich erwartet. Du hoffst auf was
schönes, was intensives, was lange anhaltendes, und doch kann es ein
ganz schneller und hässlicher Flop werden. Nervosität, Nervosität,
Nervosität... 15 Uhr... jetzt treffen sich gerade Sam und Thommy vor
dem Ticketshop. Für die beiden hat es nur noch für ein Sitzplatz-Ticket
im C-Block gereicht, Kostenpunkt 25 Euro. Thommy hat - welch Einsatz -
sogar einen Besuch in Brüssel bei seiner Freundin unterbrochen. Nur
um heute dabeizusein. Die Spieler laufen sich warm. Bochum mit van Duijnhoven.
Ich bekomme die neuen Sprechchöre hautnah mit. "Wir haben den weltbesten
Torwart" und auch "Unser Torwart braucht nen deutschen Pass" und natürlich
"Siehst Du Olli - so wird das gemacht". Hannover kommt. "Christiansen o
- ho", wir haben die 21 Tore aus dem letzten Jahr nicht vergessen. Du Trottel,
bitte heute an jedem Ball vorbeihüpfen. Ein letztes Mal Fahrenhorst,
Hashemian, und selbstverständlich Anton-Vriesde-Fußballgott.
Mein erstes Heimspiel seit fünf Wochen. Und die Abstinenz bemerke
ich kaum noch. So voll in der Kurve, so viele Menschen, so viele bekannte
Gesichter. Um mich rum Gerd und Krüger, nur die Dauerkarten-Inhaber
haben es heute auch tatsächlich in die Kurve geschafft.
Warmlauf-Zeit überstanden.
Jetzt gilts. "Danke" leuchtet auf der Anzeigetafel auf, der obligatorische
Dank der Spieler an die Zuschauer erfolgt per Plakat. Plakate gibt es im
A-Block reichlich: "Noch 90 Minuten bis Europa" steht auf einem. Die Stimmung
scheint am Siedepunkt der Anspannung. Noch ein Tropfen mehr, und alles
kocht über. Ich spüre die Anspannung aller 32.645 Zuschauer,
die in Volt kaum zu messen wäre. Minute 1,2,3,4,5,6... nichts passiert...
auf einmal springen Menschen auf der Haupttribüne auf. Mehr und mehr
und mehr. Wie im Kindergarten-Spiel "Stille Post" verbreitet sich eine
Flüsterbotschaft, die auch von der Gegentribüne kommt. Und die
Gewissheit: 1:0 für Kaiserslautern! 1:0 für Kaiserslautern! 1:0
für Kaiserslautern! 1:0 für Kaiserslautern! Auf der Anzeigetafel
leuchtet das Fiege-Zeichen zur Ankündigung eines Zwischenergebnisses
auf. Wir strecken unsere Hände aus. Tausende von Händen in der
Luft. Hin- und heraufundabbewegungen wie vor einer La-Ola-Welle... "oooooooooooohhhhhhhhhhhhh"
- "HEEEEEYYY!" Es steht dort gelb auf schwarz: 1. FC Kaiserslautern - Borussia
Dortmund 1:0. Wir sind drin im UEFA-Cup. Noch nie zuvor strapazierte ich
meine Stimme so sehr bei einem Tor auf einem anderen Platz.
Aber wie ich schon vorher
sagte: Dortmund gewinnt auf keinen Fall. Wir müssen unsere Hausaufgaben
lösen. WIR sind das viel größere Problem. Verhalten, behäbig,
ängstlich ist unser Spiel. Bis sich Zdebel traut und einen 40-Meter-Pass
auf Bönig schlägt. Flanke, Kopfball Hashemian, Ziegler hält
sensationell. Na das nenn ich Torszene, hätt noch gefehlt, dass 96
in Führung gegangen wäre. Bleibt dran Jungs, bleibt dran. Nächster
Angriff. Freier auf Hashemian, schöööön setzt der sich
auf rechts durch. Eine weeeeite Flanke, MADSEN !!! MADSEN !!! MADSEN !!!
TOOOOOOOOOOORRRR !!!! "Uuuuuuuuuuuuefa-Cup, Uuuuuuuuuuuuuu-efa-Cup... und
wir ham das blau-weiße Licht bei der Nacht!!!!" "Die Nummer EINS
im Pott sind wiiiir". Es ist nicht mehr zu toppen. Nicht mehr zu toppen.
Ich stehe auf der Tribüne und brülle. Brülle einfach alles
aus mir heraus. Schrei-Therapie. Alle machen es genauso. Alle. Thommy und
Sam auf der Tribüne auch? Stelle mir die Stimmung in Lautern vor,
in den anderen Stadien, in denen die Zwischenergebnisse eingeblendet werden.
Außer Dortmund drücken uns alle die Daumen. Wir haben es verdient.
Die La-Ola-Welle geht rum. Schon in Minute 30. Schreien. Einfach nur schreien.
Und dann kommt Christiansen und trifft. Ein Tor, das in der Dramaturgie
nicht vorgesehen ist und trotzdem hochverdient erscheint. 1:1 zur Pause.
Und Christiansen jubelt nicht mal. Traurig zieht er von dannen. Er will
nicht der Pastor bei der Bochumer UEFA-Cup-Beerdigung werden. Halbzeit,
Gedanken sammeln, noch 45 Minuten bis Saisonende. Die Cheerleader kommen.
SMS von meinen Premiere-Kontaktmännern überall in Deutschland.
Torschütze für Lautern? Lokvenc. Also wenn der uns in den UEFA-Cup
schießt, hat der schon gewonnen, wenn er ab 1. Juli bei uns spielt.
Die Sekunden verrinnen bis
zum Saisonende. Unsere legen munter los. Madsen hat eine tolle Chance,
doch Haas hält. Haas? Die Hannoveraner helfen uns, wo sie nur können.
Die US-Amerikaner Mathis und Cherundolo hat Trainer Lienen vorzeitig in
den Urlaub geschickt. Ersatzkeeper Haas und Christiansen ersetzten die
verletzten Ziegler und Brdaric vor bzw. während des Spiels. Ab der
55. Minute gehts wieder runter mit der Spielfreude. Hashemian ist gar nicht
zu sehen, Wosz glücklos und Freier vertändelt mal wieder jeden
Ball. "Nimm den raus", rufen viele. Manche neigen wieder zu "Freier raus".
Die Trommelgruppe hockt wieder vor uns am Wellenbrecher und malträtiert
ununterbrochen das Lärminstrument. Wir geben nicht auf, wir haben
noch die Kraft, wir müssen unsere Jungs nach vorn peitschen. Auf der
anderen Seite, die Hannoveraner, die haben gut lachen, sind seit einer
Woche fein raus, aber doch verlässt mich das Gefühl nicht, als
wollten die uns nicht den Feierspaß versauen. Auf einmal recken sich
auf der Haupttribüne die Hälse... Stille Post... Flüsterbotschaft...
aber es wird weiter geflüstert. Auf der Anzeigetafel erscheint nichts.
Kollers 1:1 in Kaiserslautern lässt die Gedanken einfrieren, versetzt
dem Hirn einen Kälteschock. Zwei Minuten später... noch frierts,
da steht Freier frei und lässt sich den Ball abluchsen. Alle schreien,
pfeifen, sind sauer, sehen den Zug Richtung Europa davonfahren. Die Rücklichter
blinken. Was weiß ich. Bei uns 1:1, in Lautern 1:1. Ne Viertelstunde
noch. V-F-L, V-F-L, V-F-L, fehlt nur noch, dass die tollen Fans aus Hannover
auch noch mitbrüllen. Doch in einer Saison, in der alles läuft,
hält das Drehbuch noch die passende Pointe parat. Jaaaa, unser Slawo,
unser hassgeliebtes Baby, das in dieser Saison so unfassbar SCHEISSE gespielt
hat... auf den schwachen linken Fuß unseres Slawo kullert der Ball
in Minute 76, und der lange Flug dieses 20-Meter-Schusses wird in meinem
Gefühlsalbum immer (und ich betone: IMMER) weit vorn stehen... TOOOOOOOOOOORRRRRRR!!!!
2:1!!!!!! SLAWO WIRD UNSTERBLICH!!!! DENKMAL!!!! Wie Rocky persönlich
recke ich meine Fäuste nach oben. JAAAAA! Umarmen, klatschen, interaktiv
auch mit Thommy und Sam. Es ist vollbracht. "Der Freier - hab ich doch
gleich gesagt, dass der gut ist", frohlockt Gerd, der vor fünf Minuten
noch zur Freier-Raus-Fraktion gehörte. Eine Minute später geht
Freier auch raus, aber mit den größtmöglichen Sprechchören,
die seit vielen Jahren ein Spieler im Ruhrstadion bekommen hat. Noch ist
es nicht gelaufen. Bloß keinen reinkriegen. Wie stehts in Lautern?
1:1 immer noch? Gut. Freistoß Jaime, Minute 81. Van Duijnhoven hält.
Puuh. Lautern? 1:1? Frag nicht dauernd, Andi. Das nervt bestimmt. Drei
Minuten noch. Ecke für uns. Stevic. Konzentrier dich, Micky! Er tuuuuuuutttss,
langer Pfosten, Fahne Fahrenhorst nickt rein... 3:1, es ist der Klecks
Erdbeersoße auf dem Spaghetti-Eis. Fahne, der nächste, der sich
mit einem Tor verabschiedet, seinem siebten. Es passt wirklich wieder alles.
Schluss bei uns. Und das bange Warten. "Drei Minuten Nachspielzeit in Kaiserslautern",
tönt es aus dem Lautsprecher. Wir fassen uns alle an den Händen,
die Spieler knien auf dem Rasen, Neururer ist irgendwo bei einem Premiere-Bildschirm
verschwunden. Fast jeder zweite Fan telefoniert, hört Radio und bibbert.
Gehen diese Minuten denn nie um? Du kannst nichts mehr tun, nur hoffen,
nur hoffen auf die Gerechtigkeit, die uns in den UEFA-Cup hieven müsste.
Und hieven wird. Ich bin sicher... da geht nichts mehr schief! Und dann
die Bestätigung auf der Anzeigetafel... Jubel. Ohrenbetäubend.
Es ist vorbei. Europa, wir haben´s geschafft!
Was in den Minuten bis 17.35
Uhr geschieht, entzieht sich meiner Kenntnis. "Nimm deinen besten Orgasmus,
nimm ihn mal 1000, und du bist noch nicht einmal nah dran." Es ist ein
Mischmasch aus Ungläubigkeit, Handyvibration, Jubel, Gebrülle,
Gelächter über die Spieler und einem Schuss europäischer
Überheblichkeit. Zum Lieblingslied wird ein langgezogenes "Ladiladiladiladihoooo
- BVBBBBB Hurensööööhne!" Ich habs nie mitgesungen,
aber heute schmettern das alle. Obwohls furchtbar primitiv und dämlich
ist. Egal. Immer lauter dann "DIE NUMMER EINS IM POTT SIND WIIIIIR!" Haut
euch das mal rein: Wir stehen vor Dortmund und Schalke, deren Etat mindestens
doppelt so hoch ist. Wir haben die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte
hinter uns. 56 Punkte aus 34 Spielen, das gab es noch niiiiieee!!! Ich
realisier nicht, was grad passiert, mit mir, um mich herum. Die Mannschaft
dreht eine Ehrenrunde, hält auch vor der 96-Kurve. Eine fantastische
Geste. Sie gratulieren uns auch. Nach einem ordentlichen Spiel. Und dann
klopft jemand bei mir auf die Schulter. Robert Morgenthaler. Ein Mit-Abiturient
von 1997, den ich damals mit zum VfL schleppte, anno 1994 oder so. Jetzt
studiert er in München und kommt extra zum Spiel ins Ruhrstadion.
Geschichten, Geschichten, Geschichten. "Europa, wir kommen", singt Jo Hartmann,
"Europa, wir haben´s geschafft, der VfL Bochum - IM UEFA-CUP!!!"
Treffpunkt mit Thommy und
Sam direkt vor der Ostkurve. Umarmen, hüpfen, "UUUUUUUEFA-Cup" brüllen,
anderen auf die Füße treten, egal, die hüpfen mit. Wir
schlendern Richtung Bühne vor der Ostkurve. Sam geht direkt weiter
nach Hause, Gerd zieht es ins Bermuda-Dreieck zu seiner Frau. Thommy und
ich harren aus, schauen Michael Wurst zu, dazu rocken wir zu Jo Hartmann.
Wir sehen, wie unser Fan-Beauftragter Moppel und der Stadionsprecher Mirko
immer betrunkener werden, singen alle Jo Hartmann-Lieder dreimal, vom "Bochumer
Jungen-Lied" über "Wir sind die Fans des VfL", "Europa wir kommen"
bis zu "Mein VfL". Zwischendurch Grönemeyers "Bochum", immer wieder,
und auch einmal - aus welchem Grund auch immer - "Geh doch zu Hause" von
Mickey Krause. "Die Mannschaft kommt in fünf Minuten", heißt
es alle fünf Minuten. Es regnet, egal, dann warten wir halt. Es wird
18.10, 18.20, 18.30, und noch immer schauen Thommy und ich uns ungläubig
an, ohne zu realisieren, was genau abläuft, ohne zu realisieren, in
welchem Film wir uns gerade befinden. Stephan Berger, der VfL-Fan, der
mich über diese Seite kennenlernte, spricht mich an. Wir schießen
ein Foto, Wahnsinn, heute treffe ich wirklich fast alle VfLer, die ich
auch treffen will. Fehlt noch Stephan, der Mülheimer Straßenbahnfahrer
und Dirk aus München. Egal, dann wird mit ihnen die Feier nachgeholt.
18.50 Uhr erspäht Moppel dann erst Sören Colding und Micky Stevic,
dann den Rest und jetzt gehts erst richtig los. Jeder Spieler schnappt
sich das Mikro, singt, brüllt. Der kleine Slawo Freier ist am allervollsten,
Hashemian findet alle freundlich und wird mit "Zieht den Bayern die Lederhosen
aus"-Rufen verabschiedet. Und unser Trainer verliert dann sogar noch seinen
Schnäuzer. Ganz groß. Einfach ganz groß.
Wird das eine Nacht in Bochum.
1996, da soll der Toppmöller - sagen die Legenden - auf den Schultern
durch die Stadt getragen worden sein. Und diesmal? Diesmal sind im Bermuda-Dreieck
alle Kneipen pickepackevoll, und aus allen dringen die Gesänge. Nahezu
überall läuft "Bochum" fast sogar als Endlos-Schleife, und überall
reichen kurze Takte aus den Fan-Sprechchören "Ladiladiladiladihoooo",
"UUUUUUUUEEEFA-Cup..." oder "Die Nummer eiiiiins im Pott...", und alle
singen mit. Wir landen im Threesixty, mit Gerd und seiner Frau, später
mit Sam und seiner Frau, und begießen den Triumph. Begießen
ihn mit guter Laune, zerstrubbelten, vom Regen nassen und total verangstschwitzten
Haaren (naja, das trifft eher auf mich zu, die anderen Herren haben nicht
mehr so viele...). "Steeeht auf für den V-f-L", stimmt jemand an.
Und alle stehen auf (außer Gerds Frau).
Um etwa zehn geht der Tag
vorbei. Geht die Saison vorbei. Kein UI-Cup. Erst am 8. August wieder Pflichtspiel-Fußball.
Wen wünschen wir uns im UEFA-Cup? Also ich wünsch mir in der
1. Runde zuerst ein Auswärtsspiel. Bin dann im Urlaub, in New York,
Philadelphia oder wo auch immer an der US-Ostküste. Ach, lasst uns
morgen darüber nachdenken. Erst einmal wird genossen. Die Saison,
die Situation, dieser Augenblick des Formulierens, der auch ins Gefühlsalbum
gehört. Es bleibt mir nur noch DANKE zu sagen für die großartige
großartige großartige Saison. DANKE gilt allen Lesern meiner
kleinen Texte, DANKE natürlich an meine Stadionfreunde Gerd und Sam,
DANKE an meinen Bruder Thommy, DANKE an meine besten Freunde, meine Familie
und meine Arbeitskollegen dafür, dass sie meine Launen ertragen haben
und DANKE an die VfL-Spieler für dieses großartige Jahr.
Europa, wir haben´s
geschafft.
Der VfL Bochum - im UEFA-Cup!
... IM SPIEL ...
... DIE SEKUNDEN NACH DEM ABPFIFF...
... DIE AFTER-PARTY AUF DER KLEINEN
BÜHNE VOR DER OSTKURVE...
... SONSTIGES ...