---
ZUM 2. TEIL DES TAGEBUCHS DER AKTUELLEN SAISON 2004 / 2005 ----
---
ZUM 3. TEIL DES TAGEBUCHS DER AKTUELLEN SAISON 2004 / 2005 ----
---
ZUM 4. TEIL DES TAGEBUCHS DER AKTUELLEN SAISON 2004 / 2005 ----
---
ZUM 5. TEIL DES TAGEBUCHS DER AKTUELLEN SAISON 2004 / 2005 ----
---
ZUM 6. TEIL DES TAGEBUCHS DER AKTUELLEN SAISON 2004 / 2005 ----
-
ZUM TAGEBUCH DER SAISON 2001 / 2002
-
ZUM TAGEBUCH DER SAISON 2002 / 2003
-
ZUM TAGEBUCH DER SAISON 2003 / 2004
Links:
Startseite Beruf | Startseite Uni-Leben | Startseite VfL Bochum |
Startseite Konzerte | Startseite Reisen | Startseite Privates |
Hertha BSC Berlin - VfL Bochum 2:2 (7.8.2004)
Ein Saisonauftakt mit 65-minütiger Verspätung, unangenehmen Winter-Erinnerungen und einem hart erschwitzten Punkt
Grunewaldstraße 27, Bezirk Steglitz
Eigentlich müsste gleich
so ein Chinarestaurant kommen. China-Kaiser oder so ähnlich. Ein ziemlich
dämlicher Name für ein chinesisches Restaurant, wenn Ihr mich
fragt. Und da hinten, gleich hinter der Kreuzung, da ist das Ristorante
"La Fattoria". Hat sich nix geändert hier. Ist bloß 45 Grad
wärmer. Vor dreieinhalb Jahren stieg ich das letzte Mal im U-Bahnhof
"Rathaus Steglitz" aus der U9. Schritt ich das letzte Mal über den
Bürgersteig der Grunewaldstraße. Sah ich das letzte Mal die
Hausnummer 27. Zog ich das letzte Mal wärmend eine Wollmütze
über meine Ohren. Ich habe es nicht vergessen. Ich werde es nicht
vergessen. Der Winter rund um den Jahreswechsel 2000/2001, mit jungen 22
Jahren wollte ich die Welt erobern. Und mehr als das. Im Internet suchte
ich nach dem großen Glück; und fand es, bei einer jungen Studentin,
geboren in Uelzen, und nun in Berlin. Viermal bin ich hingefahren, einmal
als Tagesausflug, dreimal für drei Tage. Viermal so fühlen, als
würde ich nach Hause kommen. Viermal überhaupt fühlen. Umkleidekabinen
bei H&M, der Weihnachtsmarkt auf dem Alexanderplatz, die Mensa der
FU, und immer wieder der U-Bahnhof Rathaus Steglitz. Never forget. In diese
Zeit fiel mein schlimmstes VfL-Erlebnis, das 0:1 im Pokal gegen Union Berlin,
auch das noch. In diese Zeit fiel das Ende. Irgendwie. Sollte irgendjemand
mal auf die Idee kommen (wie einst bei Tucholsky) und eine leichte Sommergeschichte
á la Schloss Gripsholm bei mir in Auftrag geben, ich werde garantiert
über diesen Winter schreiben. Und es würde eine gute, aber traurige
Geschichte.
Ganz bestimmt kein "Sommernachtstraum".
Sommer haben wir zwar, aber nachts ist es zurzeit viel zu heiß zum
Träumen. Aber darauf will ich gar nicht hinaus. Ein "Sommernachtstraum"
hieß neulich eine Folge meiner Lieblings-Kinderpuppensendung "Hallo
Spencer", die derzeit im Kinderkanal wiederholt wird ('tschuldigung, sind
halt Semesterferien), und Spencer begrüßt doch immer so schön:
"Hallooo liebe Freunde, von A bis Z, von 1 bis 100, von Norden nach Süden
und von Osten bis Westen - hier bin ich wieder!" Und gibt es eine schönere
Einleitung für ein neues VfL-Tagebuch, für das vierte auf dieser
Homepage? Das letzte Spiel gegen
Hannover, diese unvergessliche Begeisterung, das ist erst vor zweieinhalb
Monaten gewesen. Unser letztes Spiel in Berlin, dieses wahnsinnig wichtige
und fast schon uefacupvorentscheidende
1:1 im März liegt lediglich fünf Monate zurück; und
doch: es ist alles anders. Fast alles.
Gleich ist nur noch die
Uhrzeit, mit der ich morgens Mülheim verlasse. 8.55 Uhr aus dem Haus,
9.05 Uhr mit dem Regionalexpress nach Essen, 9.23 Uhr nach Berlin. Wieder
zehn Minuten Verspätung. Wie fast immer. Schon seit Tagen plagen mich
ganz bestimmte Symptome: Zunehmende Schlaflosigkeit, Bauchgrummeln beim
Anblick des VfL-Schals, nervöses Rumgezucke beim Erblicken des ARD-Sportschau-Trailers.
Und es wird schlimmer von Tag zu Tag. Ein Arzt könnte da nicht helfen.
Er hätte keinen Rat, kein Rezept, kein Medikament. Es gibt nur eine
Diagnose: Der Saisonstart steht vor der Tür. Zum 42. Mal wird ein
deutscher Bundesliga-Meister ermittelt, und wir, wir kleinen Popel vom
VfL Bochum wollen der Liga ein weiteres Mal die Nase stopfen. "It´s
a very very mad world". Mit diesen Worten hat mich Michael Andrews per
Radio auf die Reise geschickt. Sie begleiten mich wie der feine Duft eines
Marzipan-Croissants. Obwohl ich - ganz nach der Andi-Auswärtsspiel-"Verfassung"
- die Zugfahrt mit "Slave to the wage" von Placebo beginne. Obwohl ich
WAZ und taz lese. Obwohl ich immer mehr Gründe finde, warum alles
anders ist. Es ist eine neue Saison, klar. Wir aber sind UEFA-Cup-Teilnehmer.
Im letzten Jahr, da fuhr ich mit der Gewissheit nach Berlin, dass wir noch
ein paar Punkte bis zur ominösen 40 brauchen. Und jetzt? Fünf
Monate später haben wir zwar Freier, Fahrenhorst und Hashemian nicht
mehr, darüber aber viele gute Neuzugänge, spielen international,
und verdammtnochmal, das muss sich doch im Selbstvertrauen niederschlagen.
Und tuts auch. "Wir fahren nirgendwo mehr hin, nur um einen Punkt zu holen",
brüllt mir unser Trainer aus der WAZ entgegen. Recht so! Per sms schickt
mich Dirk aus München "zum 2:1-Auswärtsdreier". Hey, Hertha wäre
fast abgestiegen, wir sind... siehe zwei Zeilen vorher. Erklär mir
einer die Oddset-Auswärtssieg-Quote 4!? Soll mir recht sein, wenn
wir immer noch unterschätzt werden. Was anderes, was anderes, was
anderes... genau, ich erlebe Berlin zum ersten Mal im Sommer. Juni, das
war bisher das höchste der Gefühle, aber Sommer? Diese Stadt,
die auf dieser Homepage bisher so gut behandelt wurde wie keine andere;
macht sie im Sommer einen Unterschied? Und zuletzt, jawohl, es ist mein
erster gefühlter Urlaubstag. Kein Alltag, der mich quält, keine
Uni, die mich mit Vorlesungen nervt. Beim letzten Mal, im März, da
hatte ich meine USA-Reise frisch gebucht. Jetzt steht sie unmittelbar bevor.
"I want to get away, i wanna fly away", trällert mir Lenny Kravitz
ins Trommelfell, und yes, das ist es. Berlin im August 2004. Ich bin dabei.
Ich bin der Andi, schönen guten Tag, ich erobere die Stadt, und nehme
drei Punkte für meinen VfL mit. Jawohl! Noch ist die Gegenwart derweil
nur der ICE. Klimatisiert. Neben mir im Zug sitzt ein junges Pärchen,
so um die 18/19. Die beiden blättern im MATADOR, einem Playboy-Verschnitt,
und diskutieren lautstark über Vorzüge von bestimmten String-Tangas.
Im eher konservativen ICE-Publikum kommt das natürlich besonders gut
an. Im Gegensatz dazu ernten die immer mal wieder vorbeitrampelnden VfL-Fans
begeisternde Blicke... Ich bin müde. Verschlafe die Strecke zwischen
Bielefeld und Hannover. Die Schlaflosigkeit der letzten Tage, jajaja, jetzt
muss wieder der ICE herhalten.
Lange habe ich überlegt,
wie ich mich wohl kleiden soll. Kurze Hose? Wär ne gute Idee gewesen,
nur meine einzig geeignete ist schon total schweiß-versickt. Also
lange Hose, aber welches Trikot? Oder nur ein ganz normales T-Shirt? Nun
ziert das Dänemark-EM-Trikot mit "21" und "Madsen" hintendrauf meinen
Oberkörper. Das ist pro VfL und doch nicht direkt auffällig.
13.20 Uhr. U9 Richtung Rathaus Steglitz. Tina und Helmut sind grad in Dresden.
Dynamo gegen den MSV Duisburg. Spielstand 0:0. Spazieren gehen. Der Berliner
Jugend beim nachmittäglichen Fußballspiel in einem Bolzplatz-Käfig
zuschauen. U9 bis Bundesplatz. S-Bahn Richtung Gesundbrunnen bis Westkreuz.
Wieder umsteigen. S-Bahn bis Olympiastadion. Ich spule die Meter automatisch
ab, fast ohne Blick auf irgendeinen an den zahlreichen Haltestellen hängenden
Plänen. Es ist fast schon meine Stadt (dieser Satz taucht in jedem
Berlin-Text auf dieser Homepage auf, tut mir leid...), dazu noch mein Wetter,
und mein Verein spielt. Und doch lasse ich Steglitz hinter mir. "Mad World"
von Michael Andrews wieder im Hinterkopf. Verrückte Welt. Winter 2000.
Minusgrade. Selbe Strecken. Nun: Plus 33 Grad zeigt ein Thermometer an
irgendeinem Hochhaus an. Der MSV geht gerade in Führung, als ich das
Olympiastadion ohne größere Komplikationen betrete. Der Umbau
ist beendet, vor einer Woche war die große Neueröffnung, Innenminister
Schily pries das Stadion als "das schönste der Welt". Naja, da hat
der gute Otto ein wenig hoch gegriffen. Groß, architektonisch reizvoll;
aber eben kein reines Fußballstadion, eher für repräsentative
Zwecke wie eben Pokalendspiel, Länderspiele, Olympische Spiele oder
Konzerte geeignet. Not more.
Das Bauchgrummeln steigt.
Die Spieler kommen. Warmlaufen. Tunnelblick. Jeder Fußballer kennt
das. Jeder Fußballfan kennt das. Der Tunnel. Der Blick geht stur
geradeaus. 45.000 Menschen um dich rum, zahlreiche Lautsprecher verkünden
Werbebotschaften, auf der Anzeigetafel flackern die Aufstellungen, egal.
Du schaust durch alle anderen Fans hindurch, fühlst dich nicht angesprochen,
willst nicht angesprochen werden, alle sind dir egal und doch gleichzeitig
so wichtig. Du fühlst dich so alleine wie in einem einsamen Verließ
in Draculas Schloss und doch so geborgen wie in einer großen Großgroßgroßfamilie.
Alltag eines Fußballfans. Und vor dem Saisonstart ist das Alltag
zum Quadrat. Also alle Emotionen doppelt so schlimm.
Alles anders hatte ich gesagt.
An ein paar neue Gesichter muss ich mich wohl noch gewöhnen. Wobei...
Lokvenc ist der größte; also gut zu erkennen. Preuß und
Bechmann - die Blonden, auch leicht. Knavs und Maltritz wird schon schwieriger.
Misimovic und Trojan sind auf der Bank. Wow, von 17 Spielern im Kader sind
sieben neu. Reife Leistung, Herr Neururer. Die Diskussionen kreisen um
das Stromausfall-Spiel zwischen Bremen und Schalke gestern Abend, das 65
Minuten später anfing. Ob unsere wohl auch 65 Minuten Anlaufzeit brauchen?
Ich nehme nichts mehr wahr. Wer sitzt neben mir? Ich weiß es nicht.
Welches Lied läuft beim Einmarsch? Okay, "Nur nach Hause gehn wir
nicht" von Frank Zander, das ist so penetrant nervig, das weckt selbst
Tote auf. 15.32 Uhr deutet die Uhr auf der Tafel an. Schiri Merk pustet.
Vorhang auf. Willkommen. Geschafft. Zweieinhalb Monate Sommerpause sind
vorbei. Geschichte. Endlich abgehakt. Die Leidenszeit hat ein Ende. Mal
ehrlich: Die EM war doch nur ein billiger Zeitvertreib im bundesligalosen
Juni. Jaaaa. Jaaaa. Jaaaa. Jaaaa. Beide Mannschaften passen das Bälleken
in den eigenen Reihen hin und her. 5. Minute, Freistoß für den
VfL aus der Halbposition. "Wow, da waren wir doch so stark", denke ich,
denken wir alle. Zdebel läuft an und versenkt die Kugel in der Mauer.
Und den Nachschuss verstümpert er so richtig. Konter. Marcelinho,
Steilpass auf Gilberto. Der geht noch zehn Meter und haut das Ding feste
rechts unten rein. "Tooooor" aus 43.000 Kehlen, der Schall fliegt aus allen
Richtungen des Stadions Richtung VfL-Kurve, Richtung Andi, Richtung Trommelfell.
Ein Schall, der schmerzt, eine Lautstärke, die beißt wie ein
Hund auf Nahrungssuche. "1:0 Gilberto. Super." Mehr bringe ich per sms
an meine Freunde nicht raus. Wie vor
einem Jahr in Wolfsburg. Die Saison hat noch nicht angefangen, schon
haste einen drin. Und das durch einen blöden Standardsituationskonter.
Dämlich. Dämlicher. VfL-Abwehr. Und was folgt, ist katastrophal.
Katastrophaler. Am katastrophalsten. Unsere Taktik funktioniert überhaupt
nicht. Taktik bedeutet, dass alle zehn Feldspieler dieselbe Ausrichtung
erfüllen. Und das geht bei uns gar nicht gut. Was haben die in der
Vorbereitung gemacht? Skat gespielt? Der Bönig links in der Viererkette
ist so nervös, der läuft sogar einmal mit dem Ball ins Seitenaus.
An Zdebel läuft nach dem 0:1 das Spiel völlig vorbei. Lasch.
Behäbig. Wenig Laufbereitschaft. Hat der Grippe oder was? Nimm den
raus!! Unsere Innenverteidiger Knavs und Kalla sind noch nicht aufeinander
abgestimmt. Lokvenc hat überhaupt keine Bindung zum Spiel und kriegt
keinen Pass. Da stimmt hinten und vorne nix. Nicht mal die taktischen Grunddinge
wie das "Verschieben in Richtung des Balles" Zum Beispiel Madsen. Der hält
den Ball dreimal hoch, und verliert ihn dann wehrlos an Wichniarek. "Erschreckend",
funke ich zu Helmut, der mir andersrum mitteilt, dass der MSV noch 1:3
verloren hat. Hihi, dann wäre eine VfL-Niederlage nicht ganz so schlimm...
Aber diese VfL-Pleite deutet sich schon nach zehn trostlosen Minuten an.
Mit welcher Taktik spielt Neururer eigentlich? 4-4-2? Nee. Vier Mittelfeldspieler
auf einer Linie? Quatsch, Wosz ist eindeutig Spielmacher. Also 4-3-1-2?
Drei defensive Mittelfeldspieler? Hmm... dafür spielt der Preuß
aber rechts ganz schön offensiv. Also wie gewohnt 4-2-1-3? Na, also
so offensiv auch nicht. Die Aufgabenverteilung stimmt so wenig, dass Hertha
leicht zu einem Übergewicht im Mittelfeld kommt. Hertha ist nicht
stark. Aber wir, wir sind schwach. Wichniarek, Marcelinho und Bobic haben
das 2:0 auf dem Fuß, das Marcelinho eine Minute vor der Pause mit
seinem zweiten Versuch endlich besorgt. Und wieder: Fehler über Fehler.
Erst gewinnt Hartmann gegen den drei Köpfe größeren Maltritz
ein Kopfballduell. Dann marschiert Mazzelinho 20 Meter lang durch die Bochumer
Spielhälfte; legt sich den Ball fünfmal vor, als wolle er sagen:
"Hier, nehmt ihn Euch. Ich will kein Tor schießen, heute nicht."
Doch kein Bochumer stört, und dann scheppert es. Im Winkel. 0:2 zur
Pause. Gefühlt 0:5. In der Kurve sagt keiner was. Selbst ein Werder-Fan,
der sich während des Spiels geoutet hat, schweigt anstandshalber.
Hui, wie schlecht.
Die ganz miesen Bönig
und Zdebel gehen raus, Edu und Bechmann kommen. Wiederanpfiff, und es bleibt
schlimm, schlimmer, am schlimmsten. Weiterhin Fehlpässe. Missverständnisse.
Taktik wird jetzt klarer. 4-2-1-3. Aber der Bechmann versteckt sich rechts
vorn. Nicht, dass er schlechter spielen würde als Freier im letzten
Jahr, aber er fordert den Ball nicht. Im Gegensatz zu Preuß, der
als einziger der Neuen wenigstens im Ansatz überzeugt. 60. Minute,
die nächste Frechheit von Madsen. Ohne Not verspielt er in der eigenen
Hälfte den Ball. Gilberto allein vor van Duijnhoven, abgewehrt, Nachschuss
Marcelinho, Pfosten. Der Matchball für Hertha. Ich trau mich kaum
noch, auf den Platz zu sehen. Schüttele den Kopf. Schimpfe. Fluche.
Sogar auf türkisch, was ich von meinen Galatasaray-Freunden aufgeschnappt
habe. Nichts deutet auf einen Sieg. Nichts. Vielmehr droht der letzte Platz
am ersten Spieltag. So schwach hätte ich uns wirklich nicht erwartet.
0:2. Immer noch. Ich vertreibe mir die Zeit. Gucke in die Luft, drehe Däumchen,
als würde ich "trallalitrallala" singen, schaue mich in der Kurve
um, sehe das neue Trikot des Ultra-Megafon-Manns, der heute kein Megafon
bei sich trägt. Dann 66. Minute, Freistoßflanke Wosz aus halbrechter
Position, Kopfball Kalla, 1:2. Gehts? Kaum einer traut sich richtig zu
jubeln. Erste Chance, erstes Tor. 65 Minuten Stromausfall bei der VfL-Mannschaft.
Bei den Fans. Jetzt wird es laut. Auf einmal. V-F-L, V-F-L, V-F-L. 240
Sekunden später. Flanke in den 16er. Friedrich gegen Lokvenc. Harter
Zweikampf. Dann pfeift Doktor Merk. Und gibt Elfmeter. Das geht gar nicht.
Wir kriegen einen Elfmeter? Seit über einem Jahr warten wir darauf.
Warum? Keine Ahnung. Foul, Hand, was auch immer. Der Merk wird schon richtig
liegen. Madsen, links oben, 2:2. In vier Minuten das Ding auf den Kopf
gestellt. Zwei Standardsituationen reißen uns raus. Und es ist noch
mehr drin. Hertha liegt jetzt völlig am Boden, ist fix und fertig.
Aber unsere Jungs belassen es bei einem Unentschieden. Ein Punkt geht mit
nach Bochum. Ich schwitze. Heiß. Spannend. Fußball. Die erste
La-Ola-Welle der neuen Saison. Und Neururer feiert doppelt so schön.
Der Jubel der Kurve ist für ihn eine Droge. Er genießt es, die
1500 Bochumer auf einen Schlag schweigen zu lassen, um dann selbst die
Welle anzuzetteln. Mad world. Dortmund hat verloren. Schalke auch. "Die
Nummer eins, die Nummer eins, die Nummer eins im Pott sind wiiir". Neue
Saison. Aber gewohnte Bilder. Gewohnte Sprechchöre.
Der Marsch zurück zum
S-Bahnhof, vorbei an enttäuscht-berlinernden Berlinern ("Die Bochumer
hatten mehr Saft, wa?"), gleicht einem Spaziergang durchs Meer. Durch ein
Meer an Schweißtropfen. An meinem ganzen Körper suppt es. Es
ist noch schlimmer geworden. Das letzte Mal in der Sauna war nichts dagegen.
Um 17.40 Uhr betrete ich die S-Bahn. Die aber erst um 17.56 Uhr losfährt.
Und dann auch noch ne Viertelstunde braucht. Ich gehe kaputt. Will was
trinken. Und nichts ist da. Minute um Minute verrinnt. Meine innere Uhr
schmilzt. Es tropft unaufhörlich. Wenigstens gibt es die Baustelle
zwischen Charlottenburg und Spandau nicht mehr und die S-Bahn fährt
durch. 18.10 Uhr, Bahnhof Zoo. "Mich is der Schweiß ausgegangen",
würde Herbert Knebel jetzt stöhnen. Und unsereiner soll jetzt
eine Entscheidung treffen. Nehme ich den ICE um 18.55 Uhr oder den um 19.55
Uhr? Was bieten sich für Optionen? Mit der U-Bahn zum Alexanderplatz
und dort ein bisschen abhängen? Bis zum Prenzlauer Berg und auf den
Straßen rumlaufen? Noch einmal zur Grunewaldstraße 27, in Erinnerungen
wühlen? Ich entscheide mich für Plan D. Laut mit Helmut über
die Fußballspiele des Nachmittags diskutierend ("Man haben wir ein
Glück gehabt") schlurfe ich über den Kudamm, genieße dabei
jede einzelne Pore Berliner Luft. An der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche
spielt eine kleine Band südamerikanische Musik. Der Himmel ist so
blau, als hätte er sich für Postkarten selbst angemalt. Herr
McDonald verkauft mir einen Big Mac und eine große Cola. Dann ab
zum Bahnhof Zoo. Meine Kraft reicht nicht mehr, alles weitere wäre
nur Betrug an meinem Körper. Der Berliner Sommer hat mich geschafft.
Kapitulation um 18.55 Uhr.
Schnell finde ich einen
Sitzplatz und staune über die Ruhe im Wagen, bis... ach du liebe Zeit...
bis in Berlin-Spandau eine 20-köpfige (dem Lärm nach zu urteilen
100-köpfige) Judogruppe der SU Witten-Annen zusteigt, die eine Freizeit
in Brandenburg hinter sich hat. Dreieinhalb Stunden lang nerven dieselben
Wortspiele wie in meiner Kindheit ("Fischers Fritze...", "Der Whiskymixer
mixt..." - dass es die noch gibt...), auf Toilette gehende Kinder und leicht
überreizte Gruppenleiter (nach einer Woche mit dieser Gruppe nur allzu
verständlich). Ich nehme mir wieder zwischen Hannover und Bielefeld
meine schlafende Auszeit und beschließe, nicht mehr zum Jahrgangsstufentreffen
heute Abend zu gehen. Um zwölf, wenn ich da sein könnte, sind
sowieso schon alle betrunken.
Lasst mich lieber schwelgen,
träumen, brainstormen, romantische Feststellungen notieren, ein nüchternes
Fazit ziehen... Berlin im August, Berlin im Sommer. Saisonauftakt. Hallo
42. Bundesligasaison. Ich mag es noch genauso wie am ersten Tag. Die Meter
im Bahnhof Rathaus Steglitz. Herzbeben. Der Gang ins Olympiastadion. Herzrasen.
Die ersten beiden Gegentore. Herzexplosion, vor Wut. Dann Kalla. Dann Madsen.
Hormonüberschuss. Dazu die Hitze. Schweißperlen. Ein heißer
Ausflug. Ein glücklich erschwitzter Punkt. Berlin, I love you.
Was ist wohl in der Grunewaldstraße
27 zwischen 15.30 Uhr und 17.15 Uhr passiert?
Ich weiß es nicht.
Ist auch egal. Ich weiß nur, dass ich wohl nie wieder zurückkehren
werde. Weil ich es nicht mehr muss.
Aber dass ich heute da war,
hat mir dennoch unendlich gut getan.
Die Stadt
Das Spiel
Weitere Texte auf dieser Homepage zum Thema Berlin:
1)
Saison 2002/2003: VfL - Hertha 3:0
2)
Saison 2002/2003: Hertha - VfL 1:0
3) Ein Ausflug
mit der Familie im Juni 2003
4)
Saison 2003/2004: VfL - Hertha 2:2
5)
Saison 2003/2004: Hertha - VfL 1:1
"V - F - L - mein Herz schlägt nur für diiiich; wir weeerden immer zu Dir stehn, V - F - L - mein VfL"
Spannender als Tontaubenschießen
Alles auf einmal: Die neue Videowand, das Ergebnis, und der beste Mann: Christoph Preuß (Nr. 17)
Ein verdammt gutes Fußballspiel
Gemischte Gefühle. Morgens,
beim Aufwachen. Während der "EinsLive-O-Ton-Charts" im Radio. Danach,
beim Aufstehen. Und fast sogar noch beim Frühstücken. Bebt es
noch? Wo führt das hin? Wie ist wohl meine Laune im ersten Heimspiel
nach dem grandiosen UEFA-Cup-Einzug? Wie lange werde ich wohl überhaupt
noch zum VfL gehen können? In der Fankurve stehen können? Nicht
dran denken, Andi. Wann kommt ein richtiger Job? Und wo? Mixed emotions.
Gemischt. Zweifel. Klatsch mir mit der flachen Hand gegen meine Backe.
Konzentrier dich, Andi. Wach auf. Wake up. Enjoy it. Carpe diem. Nutze
den Tag. Heute zweiter Spieltag. Leverkusen. Heimspiel. Fahr hin. Genießen.
Sonne. Sonnenbrille. Sonnenschein. Bebt es noch?
Einmal, wenigstens einmal
muss ich an einem Sonntag nicht arbeiten. Vor einem Monat, als die ersten
Spieltage termintechnisch modifiziert wurden und ich sie auf dem ARD-Videotext
erblickte, da habe ich vor Wut meine Fernbedienung in das Sofakissen geschmissen
(damit sie nicht kaputt geht, nennt man so etwas kontrollierte Wut?). Erstes
Heimspiel Leverkusen am Sonntag. Ja geht das denn schon wieder los? Doch
alles halb so wild. Dieses verfluchte Amateurfußball-Sommerloch ist
zwar schlecht für mein Konto, aber gut für kurzfristige "Ich
will frei haben"-Wünsche. So auch diesmal. Sonntag, 15. August. Meine
Wohnung ist meine Umkleidekabine. Konzentration nur auf das Spiel. Auf
die 90 Minuten. Darauf, dass es ein gelungener Nachmittag wird. Die üblichen
Vorbereitungen. Der Wetterbericht im Fernsehen gehört dazu. Er ist
sehr positiv. Und Sonne angesagt. Meine Fußball-Hose krame ich aus
dem Kleiderschrank hervor; verstaue Portmonee, ein paar Euros, Handy, Schlüssel
und Digitalkamera in den diversen Taschen. Das blau-weiße VfL-Kalla-Trikot
mit der "6" hintendrauf streife ich mir drüber, dazu noch den Schal;
konzentriert schnüre ich die Schuhe zu, und los gehts. Warmlaufen.
Warmlaufen, heiß laufen, heißmachen. Kopf-Training. Ich muss
mir noch Mitfahrer organisieren. Sam und Gerd sind im Urlaub, Thommy wohnt
ja in Trier; aber meine Freunde Helmut und Alex erklären sich bereit,
mit mir den Fußball-Nachmittag zu verbringen.
Die Geschichte beginnt um
15.46 Uhr im Regionalexpress von Aachen nach Paderborn, über - Achtung!
- Leverkusen, doch wie schon im
letzten und im vorletzten
Jahr sitzt kaum einer mit Bayer-Trikot drin. Ach ja, die Olympischen
Spiele in Athen haben ja gerade frisch begonnen, und so drehen sich die
Gespräche mehr um Zabel, Stockbauer, Ullrich und van Almsick als über
die gestrigen Fußball-Ergebnisse. Heute Morgen, als ich noch schlief,
da lief Tontaubenschießen. "Also ehrlich", echauffiert sich Helmut.
"Die sahen so aus, als wären die gerade von Mc Donalds gekommen und
hätten eine Knarre in die Hand gedrückt bekommen. Stell Dir mal
vor, im normalen Programm würde die deutsche Meisterschaft im Tontaubenschießen
übertragen. Würd doch kein Mensch gucken." Ey Tontaubenschießen!
Es ist warm. Prima warm. Aber zu warm im Zug. Letzte Woche 2:2 in Berlin,
die Saison ist noch jung. Zu jung, um detaillierte Urteile fällen
zu können. Wo stehen wir? Die Vorbereitung lief mehr schlecht als
recht und das Spiel in Berlin... naja, Schwamm drüber. In der U-Bahn
zum Stadion stellt jemand fest, ich sei der Bruder von Thomas Ernst (Bravo!).
Er will ein Gespräch anfangen. Ich grüble nur. Über dies
und das.
Was hat sich wohl geändert
in meinem Stadion? Ist der Rasen noch grün? Die Tribüne noch
blau? "Das ist das schöne an Bochum", merkt Schalke-Fan Alex an. "Man
kriegt immer noch ne Karte, auch bei Sonnenschein und im Sommer." Knapp
26.300 Zuschauer werden es. Alles nur Ablenkungsspielchen. Der Spaziergang
hinter der Ostkurve zum Block. Er gehört immer noch zum Warmlaufen,
heiß laufen, heißmachen wie das "Vorglühen" vor einem
Konzertbesuch. Es läuft aber nur zäh, zääääher.
Die Treppe zum Block P, uuuuuund? Noch nicht viel los. Hinsetzen, unterhalten,
über das MSV-Spiel am Freitag,
Olympia, Fußball, T-Club, das übliche. "Und sonst?" "Muss!"
Hey, und doch hat sich was getan. Die ANZEIGETAFELN sind weg. Vor einiger
Zeit, irgendwann in der letzten Saison, sprach ich von der Videowandisierung
der Bundesliga; an der unser VfL wohl auch bald leider teilnehmen müsse.
Und es ging schneller als gedacht. Ein topmodernes Ding hängt in beiden
Ecken - hilfe, unsere alten Dinger aus den 70ern waren wenigstens schön
Retro. Wir haben uns doch dem Willen aller gebeugt. "VfL-TV" heißt
das Spektakel, doch schon nach wenigen Momenten schließe ich meinen
Frieden mit dem Ding. Meinetwegen. Aber hauptsache, sie übertreiben
es nicht mit dem neuen Spielzeug. Warmmachen. Luft steigt, Puls steigt.
S´ wird voller. Ach, wenn doch Gerd, Sam und Thommy auch hier wären.
Geschichten erzählen. Von der Sommerpause. Den letzten vier Superspielen
gegen Leverkusen. Die Lautsprecheranlage funktioniert nicht. Helmut schimpft
über die lange Schlange am Getränkestand; Bayer läuft sich
warm. PFUIIIIIIIIIIII! Und die Blau-Weißen kommen dazu. Countdown.
"PEEEEETER MADSEN!!!!" wird gefeiert, auch Kalla, DARIUSZ!, Lokvenc und
Söööören Colding. Selbstverständlich auch Peeeeter
Neururer. Heimspiel, jaaaa, Hormone, Adrenalin, alles steigt und steigt,
von Minute zu Minute, und yes, es bebt noch, mein 256. VfL-Spiel, bin warm,
heiß, Betriebstemperatur... und hab eine trockene Fresse. Helmut,
gib mal´n Schluck. 30 Grad, ganz schön schweißtreibend.
Und ich Dussel hab meine Sonnenbrille nicht dabei. Die VfL-Aufstellung
wird von der Wand mit kurzen Videoeinspielfilmchen der einzelnen Spieler
begleitet. Witzigwitzig finde ich das - Helmut sagt nur "peeeinlich". Was
soll´s. Gleich geht´s los.
Pfiff. Anpfiff. Erstes Heimspiel
der neuen Saison. Und alle Befürchtungen sind weg. Lasst den Ball
laufen, Jungs. Und sprüht den Funken, der uns zum Brennen bringt.
Die Sonne brennt schon lange. Ich knipse meine Augen immer wieder zu kleinen
Schlitzen zusammen; will doch nichts verpassen. Die Aufstellung ist gleich.
Wie in Berlin. Also Preuß wieder rechts vorne. "Man", schimpfe ich.
"Der ist doch kein Offensivmann. Ich verstehe das nicht." Leverkusen spielt
mit der 5:0-gegen-Ostrau-Elf. Also ohne Slawo Freier. Der hockt traurig
auf der Bank. Aber mit Franca, Berbatov, Roque Junior, Robson Ponte. Rundblick
in der Kurve. Hunderte haben sich Schnauzbärte angeklebt. Derjenige,
der unserem Trainer am ähnlichsten sieht, kriegt ´nen Preis.
Schnapsidee des Hauptsponsors. Fußball, Andi, nur der Fußball
zählt. Es beginnt schleppend. Eine brenzlige Szene in unserem Strafraum
zwischen Kalla, Berbatov und van Duijnhoven in Minute sieben. Okay. Durchatmen.
Helmut findets "langweilig". Aber wenigstens auf hohem Niveau langweilig,
nicht so wie am Freitag beim MSV. Beide Mannschaften haben Respekt. Noch.
Ich tänzle. Vom linken auf das rechte Bein. Vom rechte auf das linke.
Muss nicht pinkeln. Bin nervös. Und heiß. Und warm. Unser Trainer
hat gut eingekauft. Maltritz holt in der Anfangsphase die meisten Bälle
- und gibt sie oft direkt an Preuß weiter. Meine Zweifel verfliegen
im Nu, und wie schon letzte Woche avanciert der kleine blonde Typ zu meinem
Lieblingsspieler. Er hat die erste Chance, in der 15., und Maltritz die
zweite, in der 20. Butt hält zweimal sicher. Es kommt Fahrt rein,
auch Leverkusen spielt schneller. Zack, zack, zack, zack, zack - läuft
der Ball durch beide Reihen; bei unseren wird es immer ein "zack" mehr.
Engagierter, zweikampfstärker, leidenschaftlicher - nicht nur als
letzte Woche, sondern auch als Bayer. Von Leverkusen kommt nichts. Gar
nicht. 29. Minute, Preuß auf Lokvenc, der lässt den blinden
Nowotny stehen - Toooooooooooooorrrrr!!! Schlagt mit mir ein, schlagt ein!!!!!
"Die Nummer eiiins im Pott sind wiiiiiiir!" "DER TORSCHÜTZE", krackt´s
aus dem mittlerweile reparierten Lautsprecher, "MIT DER NUMMER ELF: VRATISLAV!"
"LLLLLOKVENC!!!!" Danach schießt Berbatov. Vorbei. Und Franca. Auch
vorbei. Halbzeitpause, 1:0, erstmal hinsetzen. Angenehme Atmosphäre.
Angenehmes Fußballspiel.
Pfiff. Anpfiff. Zweite Halbzeit.
Und nun gibts keine Pause mehr. Staaaaark wird es nun. Und offensiv. Freistoß
Zdebel - drüber. Auf der anderen Seite hält unsere Abwehr. Noch.
Das Zusammenspiel zwischen Kalla und Knavs klappt deutlich besser als letzte
Woche; Bönig wackelt ein bisschen. Sollte er der Schwachpunkt sein?
Madsen ist nach einer frühen gelben Karte gehandicapt und auch einer
der Schwächeren; aber wir haben unsere Neuen, die unser 4-2-1-3-System
scheinbar besser beherrschen als die Alten. Maltritz gut, Lokvenc staaaark,
und Preuß: super! Überall zu finden; spielstark, wenig Fehlpässe.
Jürgen Klinsmann, hast du das gesehen? Und der steht nicht auf deiner
2006-Kandidaten-Liste? Minute 60, wieder Preuß auf Lokvenc, wieder
Toooooor, 2:0, aber neeeeeeein, ABSEITS?!?!?!?!?! NIIIIIE UND NIMMMMERRR!
"Du BLINDER SCHIRI", hallts von links. "Lass die FAHNE UNTEN, du PENNER!",
brüllt einer von rechts. Alle winken ab. 2:0. Das wärs gewesen.
So gleicht Bayer aus. In Minute 67 durch Berbatov. Per Kopf. 1:1. Keine
Ahnung, wer gepennt hat. Schon zehn Sekunden später weiß ich
nicht mehr, wie das Tor überhaupt gefallen ist. Mein Kurzzeitgedächtnis
versagt. Kann doch gar nicht wahr sein. Schockzustand. Doch Leute, aufgepasst,
noch über 20 Minuten. Da geht noch was. Abstoß van Duijnhoven
auf Looookvenc, Superpass, Prreeeeeeuß dringt in den 16er ein, Tunnel
für Butt, TOOOOOOOR, 2:1. Jaaaaaaaaa, es ist so geil, so geil, so
geil, ich halts nicht aus, ich halts nicht aus, Preuß probiert einen
Salto, bravo, eine 10,0 von mir und allen anderen, ich balle meine Faust.
Tooooooor! Alle wedeln mit ihren Schals, tolltolltoll! Das muss es gewesen
sein. Das muss es einfach gewesen sein. Der Preuß hats verdient.
Note 1. Wosz geht raus, kann nicht mehr. "Zwetschge" Misimovic kommt. Fünf
Minuten später. Freistoß Zwetschge aus Linksaußenposition.
Rotzfrech ans Außennetz. Eine Minute später wieder Freistoß.
Wieder Zwetschge. Diesmal aus 18 Metern, zentrale Position. Er läuft
an, zwirbelt, schnibbelt, schneidet - Latte, Unterkante. Meeeeensch; Bayer
liegt am Boden. Mittlerweile spielt Freier mit. Mensch, es passiert so
viel, da geht einiges unter. Nur die lauten Pfiffe bei seinen Ballkontakten
haben mich drauf gebracht. Anfang der zweiten Halbzeit haben wir noch "Freier!
Freier! Freier!" gebrüllt. Das wich dann einem "Du bist nur Auswechselspieler!"
und dann den Pfiffen. Mit Freier kommt Schwung. Ecke für Bayer, Kopfball
Roque Junior, van Duijnhoven hält. Riesenchance Voronin - wieder van
Duijnhoven. Es wird eng. "Wir haben den weltbesten Torwart! Weltbesten
Tooooorwart!" Auch den Sprechchor können wir noch. Konter über
Maltritz. Kläglich vergeben. Konzentriert Euch!!!! Mitfiebern, mitbangen.
Leverkusen drückt. Drängt. Schönes Wetter, tolles Spiel,
viele Torszenen, hohes Tempo. Zu hoch. Drei Minuten noch. Juan setzt sich
durch. Schuss. Van Duijnhoven pariert, RETTE DOCH EINER, KALLA, KNAVS,
WO SEID IHR??????? Voronin staubt ab. 2:2. Unglücklich. Gibts nicht.
Vorsprung verspielt. Gleich zweimal. Nur ein Punkt. Zu wenig.
Dabei bleibts. Mit meiner
rechten Hand wische ich mir den Schweiß von der Stirn. Und ich hab
mir Gedanken darüber gemacht, ob in mir überhaupt noch dieses
Fußball-Fan-Feuer lodert. Ich habe mehr Lust denn je auf den VfL,
auf diese Mannschaft, auf den UEFA-Cup, auf das Ruhrstadion, auf Torjubel,
auf dieses ekstatische Gebrüll! Dieses Spiel war klasse. Okay, nur
einen Punkt hats gebracht, aber das Ergebnis ist nach dieser Leistung uninteressant.
Bayer hat sich durch die Chancen den Punkt auch verdient. Thommy meldet
sich aus Trier. Auch er ist zufrieden. So werden wir niiiemals in Abstiegsgefahr
geraten. Niemals. Jetzt haben wir schon zwei von 40 Punkten. Nur: Wie formulier
ich das jetzt? Zweimal nicht verloren oder zweimal nicht gewonnen. Luxusprobleme.
Im City-Grill klingt der Nachmittag beim Manta-Teller und ner Flasche Cola
aus. Ich treffe Stephan, den Straßenbahnfahrer aus Mülheim,
der mit einem "Dynamo-Berlin"-"Fan" unterwegs zu sein scheint und mir ne
Karte für das Düsseldorf-Pokalspiel nächste Woche anbietet.
Gut, dass ich so viele Leute kenne. Helmut und Alex sind zufrieden. Schönes
Wetter. Knackig braun geworden.
Und ein gutes Fußballspiel
gesehen.
Ein verdammt gutes.
Das spannender war als Tontaubenschießen.
Um viele viele viele viele
viele Längen.
Eigentlich wollte ich da doch gar nicht hin...
Und wieder ein Elfmeter, und wieder Madsen, diesmal zum 2:1
Dat is wie Medizin
Hinter Gittern: Die Spieler beim Einlaufen
Der Korrespondent dieser
Homepage hat auch für das DFB-Pokalspiel einige Fotos und einen kurzen
Text abgeliefert.
Und der geht so:
Eigentlich wollte ich mir
dieses Spiel nicht angucken. Eigentlich wollte ich nicht an diesem Samstagmittag
mit dem Zug nach Düsseldorf fahren. Eigentlich war das Wetter auch
ziemlich mies. Eigentlich hatte ich leichte Kopf- und Bauchschmerzen. Eigentlich
hatte ich mein Kommen für einen Termin, der zeitgleich zum Pokalspiel
lag, aufgrund der Bauchschmerzen schon abgesagt. Eigentlich waren alle
800 VfL-Karten sowieso schon langelangelange ausverkauft.
Wäre da nicht das spontan
wiederholte Versprechen von Stephan, dem Straßenbahnfahrer gewesen,
mir kurzfristig wirklich noch ne Karte zukommen zu lassen.
Zeitsprung.
Es ist eng im Stadion.
Pünktlich zum Anpfiff
sind wir da. Ich bekomme aufgrund der Sichtverhältnisse nicht viel
mit. Stephan sieht insgesamt nur maximal fünf Minuten von dem Rumgekicke.
Ansonsten latscht er in der Kurve hin und her oder hält sich am Bierstand
auf. Die Zeit vertreiben wir uns mit dem Aufzählen von möglichen
UEFA-Cup-Gegnern oder mit den Geschehnissen auf den Tribünen. Im Fortuna-Block
prügeln sich Fans untereinander. Auf der Gegentribüne geraten
Fortuna- und VfL-Fans aneinander, und die Polizei stürmt dazwischen.
"Früher", erzählt Stephan, "früher ist das hier immer richtig
rundgegangen." Portugal? England? Hearts of Midlothian in Schottland? Moskau
im September? "Hömma, da musse schon mit Schneeketten hinfahren",
meint Stephan. "Außerdem musse aufpassen, wer da der Pilot is. Nich,
dasse mit dem kurz vor dem Abflug noch Karten gespielt und Wodka getrunken
has. Kann doch passieren..." Israel? "Nee, da fahr ich nich hin. Das wär
das einzige Auswärtsspiel, was nicht sein muss". Stephan hat schon
alles hingebogen. Jeden einzelnen UEFA-Cup-Termin geblockt. "Zu meinen
Arbeitskollegen habe ich gesagt: Gebt mir lieber frei. Ansonsten bin ich
ne Gefährdung für die Fahrgäste. Außerdem werd ich
dann nicht krank. Dat is wie Medizin." Sogar das Finale am 17. Mai 2005
in Lissabon ist gebucht. "Ich bin Fanclub-Mitglied. Wenn es um Auswärtsfahrten
geht, denk ich an dich." Schön, Leute zu kennen. Es ist lustig in
Düsseldorf. Vor allem, weil Stephan weiter von seiner langen langen
Fan-Karriere beim VfL erzählt.
Es ist nur ein durchschnittliches
Spiel. Und eigentlich will ich mir ohnehin nur die obligatorisch knappe
1:2-Pokalpleite abholen.
Und am Anfang ist alles
auch wieder so pokalpeinlich wie eh und je. Knavs lässt den Ball unter
dem Schlappen durchrutschen. Podszus ist auf einmal ganz frei und schießt
das 1:0 in Minute sieben. Unsere finden überhaupt nicht ins Spiel,
lassen noch zwei gefährliche Fernschüsse zu. Kein Leben drin,
keine Laufbereitschaft, viele vermeidbare Fehler. Und es scheint nicht
einmal jemanden zu stören. Neururer sitzt ganz ruhig auf der Trainerbank.
Uiuiuiuiuiuiuiui. Gedanken über Fortuna. Vor sieben Jahren noch 1.
Bundesliga. Und dann runtergewirtschaftet. Beispiellos. Bis in die viertklassige
Oberliga ging der Aufzug. Und das in dieser Stadt. Mit diesen Möglichkeiten.
Am Rhein entsteht eine der modernsten Multifunktionsarenen Europas. Wofür?
Für viermal Rheinfire im Jahr und wenigstens wieder Regionalliga.
Das Spiel gegen den VfL ist für Fortuna das "Spiel des Jahres". Unglaublich.
Nur zwischen der 25. und 60. Minute übt unsere Mannschaft Druck aus.
Das reicht für ein paar Ecken, gefährliche Standardsituationen
und drei Tore. Madsen köpft eine Bechmann-Flanke ein und verwandelt
einen Elfmeter nach einem Foul an Bechmann. Lokvenc verwandelt in der zweiten
Halbzeit eine Madsen-Vorarbeit zum 3:1. Danach schleppen unsere Blau-Weißen
den Sieg müde nach Hause. Sprechchöre sind selten. Kein Wunder.
"Glanzloser Arbeitssieg der abgebrühteren Mannschaft" wird dieses
Pokalspiel bestimmt in den verschiedensten Zeitungen betitelt. Und es ist
nicht falsch. Ein schmucklos-schmuddeliger Nachmittag geht zu Ende. Gewonnen
bei einem Amateurverein. Hurra. Ernst genommen hat dieses Spiel glaube
ich keiner. Und es hat dennoch gereicht.
Pünktlich zum Abpfiff
stürme ich aus der Kurve und sofort Richtung Mülheim.
Die Bauchschmerzen sind
weg. Stephan hat Recht: wie Medizin...
Diese Bilder kennt Ihr alle...
Buckley in Manchester, Daniel sagt Ja, zweimal Thommy und Dirk in Triers Café Lübke und Andi erlebt einen Saisonstart zum Anbeißen in Ostwestfalen
... und er hat auch immer Spaß beim Abfeiern!
Wir tanzen durch die Liga
Herr Lehrer, ich weiß was... Bochum hat nämlich gewonnen!
Also dann, Spiel Nummer 258.
Schon 257-mal gelitten, geschwitzt, gefroren, gejubelt, geweint, gelacht.
257-mal. Der Text auf meiner Homepage ist schon angelegt. "folgt" steht
an der Stelle, an der jetzt diese Zeilen zu sehen sind, als ich die Bagger,
die derzeit meine Wohnstraße in Mülheim verunstalten, hinter
mir lasse. 257-mal. 257-mal verschieden gelaunt. Gut. Schlecht. Mies. Super.
Überdreht.
Bielefeld ist um die Ecke.
Na gut, im Vergleich zu so manch anderer Auswärtsfahrt in den letzten
zwei Jahren - im Vergleich zu Kaiserslautern, Hamburg, Frankfurt, Stuttgart,
München, Rostock undundund. Bielefeld... das ist ein Auswärtsspiel
am Samstag um halbvier, und ich kann trotzdem bis 10.30 Uhr schlafen. Ja
wo ist denn da der Witz? Aber auswärts bleibt auswärts, und auswärts
sind die Einflüsse auf die Stimmungslage des Fußballfans Andi
noch wirksamer. "Einflüsse?" werdet Ihr fragen; und "Einflüsse!!!"
werde ich antworten. Mit drei Ausrufezeichen. Denn - Achtung, jetzt kommt
ein Fußballfan-Exkurs! - es gibt gleich vier davon, die zeilenlang
zu erklären sind, dann aber in zwei Worten münden. Wie sehen
die denn wohl aufgeschrieben aus? Ich sinniere darüber, als ich um
12.05 Uhr in Essen in den Intercity Richtung Leipzig über Ostwestfalen
einsteige, schnappe mir meinen Block, und beginne zu notieren. Der erste
Einfluss trägt den Namen "äußere Bedingungen", liegt in
der Wertigkeit bei etwa 15 Prozent. Dazu zählt das Wetter (heute durchwachsen)
sowie der Fitnesszustand (ein bisschen müde, aber sonst geht´s)
und so´n Zeug. Dieser erste Einfluss geht dann direkt über in
den zweiten, nämlich die individuelle Termin- und Stresssituation,
die doch eine Menge des "Fußballgenusses" (bei mir zumindest) ausmacht
(hatte ich schon erwähnt, dass die Gewichtung der Einflüsse von
Fan zu Fan wechselt?). Termine also. Stress. Bei mir steht ein großer
Urlaub vor der Tür. USA. Drei Wochen. Alleine. Das allein bringt schon
Stress. Seelischen zum Beispiel. So langsam beginnt die Nervosität.
Der heutige Ausflug ist der letzte große vor dem Flug. Und deshalb
besonders wichtig? Ich weiß es nicht. Wir fahren gerade am Dortmunder
Hauptbahnhof los, als ich meinen Griffel beiseite lege, durch das Zugfenster
in den wolkenverhangenen Himmel blicke, "Slave to the wage" von Placebo
höre, und meine Gehirnmaschine auf "full power" stelle. Dies heute
ist mein letztes VfL-Spiel für vier Wochen. Vier (!) werde ich verpassen,
weil ich durch Boston, New York, Philadelphia, sogar Washington laufe.
Ich fahre zum Auswärtsspiel des Auswärtsspiel wegens. Diesmal.
Der Gegner ist völlig schnuppe. Und wird es das Ergebnis auch sein?
Einflusspunkt drei sind die Erfahrungswerte mit der jeweiligen Stadt. Wenn
Du zum ersten Mal in einer Stadt, in einem Stadion bist, dann bist Du automatisch
ein wenig aufgedrehter - weil alles neu ist, weil du dich in einer ungewohnten
Umgebung daneben benimmst - aber Bielefeld? Zum vierten Mal bin ich bereits
auf der Alm, dies ist bereits der vierte Spielbericht über ein Match
gegen die Arminia auf dieser Homepage (ehrlich!), und in der Stadt Bielefeld
war ich auch außerhalb des Fußballs schon häufiger. Lange
Rede: So richtig schlecht wars bisher eigentlich nur einmal; im April
2002, als diese Seite noch in den Kindergarten ging. Bliebe noch der
vierte und letzte Einflusspunkt, den ich kurz vor Gütersloh Hauptbahnhof
um 13.03 Uhr in meinem Block verewige; mittlerweile stirbt in meinem Discman
"Grace Kelly" im gleichnamigen Ärzte-Song. Es ist die aktuelle Situation
deines Klubs, bei mir also der VfL, die auf deine Laune drückt. Gestern
war die UEFA-Pokal-Auslosung. In der ersten Runde geht es nach Lüttich.
Ich bin saufroh, dass das Rückspiel im Ruhrstadion ist - dann kann
ich da auch hin. "Uuuuuuuefa-Cup - und wir ham das blau-weiße Licht
bei der ... " - wer ist da schon Bielefeld? Am Donnerstag, also vor zwei
Tagen, besuchte ich im Fiege-Open-Air-Kino in Bochum die Premiere der VfL-Dokumentation.
"Wer braucht schon ein Sektfrühstück bei Real Madrid?" Meine
Passagen hat Filmemacher Ben alle rausgeschnitten, aber das hatte ich ja
schon im Februar befürchtet.
Eine sehr spannende Selbstreflexion. Nachdenken über unsere Gruppe
selbst. Anderen Fans zuhören. Ob wohl von den 2500, die in Bielefeld
mit dabei sein werden, auch welche den Film gesehen haben? Von den Ultras?
"Nächster Halt Bielefeld Hauptbahnhof" säuselt die Stimme aus
dem IC-Lautsprecher, als ich zwei gerade Striche unter den ganzen Kladderadatsch
auf zwei Block-Seiten ziehe. Und es zusammenfasse: "melancholisch-genießend"
ist meine Laune.
Eigentlich gibt es heute
nicht nur einen interessanten Schauplatz. Nicht nur die Alm. In Trier,
im Café Lübke, haben sich drei ehemalige Mülheimer versammelt,
nämlich mein Bruder Thommy und seine beiden Schulkollegen Thomas (jetzt
Köln) und Dirk (jetzt München, der VfL-Fan, der immer den sms-Ticker
von mir kriegt). "Wir sitzen im Cafe Lübke, reden Unsinn und lassen
den lieben Mann einen guten Gott sein. Schenk uns einen Dreier!", funkt
Dirk schöne Grüße rüber, und ich kann mir bildlich
vorstellen, wie das ausschaut. Wenn dieses Trio innerhalb eines Quadratmeters
beieinander hockt, dann bleibt kein Auge trocken, kein Glas leer und keine
leere Phrase unbenutzt. Wenn Horkheimer und Adorno die Frankfurter Schule
sind, dann sind die drei die Mülheimer Universität. Und da wäre
noch ein dritter Schauplatz, nämlich Mülheim-Heißen. Mein
Kumpel Daniel, VfL-Fan und früher mein Fußball-Mitspieler, heiratet.
Bei seinem Polterabend durfte ich vor einer Woche dabei sein - aber für
die Kirche musste ich absagen. "Man muss Prioritäten setzen", erkannte
Daniel und nickte zustimmend. Er war mir nicht böse. Vor allem, als
ich ihm noch drei Punkte versprach.
Enjoy it. Enjoy the trip.
Noch eine Woche bis Boston. Bis Amerika. Ein paar Dollarnoten liegen schon
zu Hause, zum "Urlaub füüüühlen", doch jetzt ist Bielefeld
Alltag. Aber was ist schon BIELEFELD im Vergleich zu New York City? Weder
in meinen letzten Texten noch bei den bisherigen Auswärtsspielen habe
ich je ein Wort über die Stadt Bielefeld verloren. Hmm... das mag
System gewesen sein, könntet Ihr sagen, und damit lägt Ihr auch
nicht so falsch. Aber bisher habe ich mir (außer einem Ausflug zur
Uni) auch noch keine Zeit "downtown" gegönnt. Also stapfe ich die
Bahnhofstraße entlang, Richtung Fußgängerzone (Herforder
Straße heißt die wohl), Richtung Rathaus, Stadttheater - immer
mit einem Blick im Baedeker. 325.000 Einwohner hat Bielefeld. Und was sind
die Wahrzeichen? Eine gewisse Sparrenburg, die Anstalt Bethel, der Teutoburger
Wald und die Arminia, die den traurigen Rekord hält, der Rekord-Aufsteiger
zu sein (dieser Begriff impliziert geradezu, dass die Arminia genauso oft
abgestiegen sein muss - also NOCH HÄUFIGER als der VfL!!!). Zweimal
bin ich mit einer Gruppe des CVJM Bielefeld zu ner Freizeit nach Dänemark
mitgefahren, zudem wohnten Freunde eine ganze Zeit lang dort. Ja, ich habe
ein paar Erinnerungen an Ostwestfalen; doch die einprägendste war
die Klassenerhalts-Party vor
anderthalb Jahren. Ein Wahnsinnserlebnis. Ich denke dran zurück, als
ich am Jahnplatz die Samstagseinkaufsmasse beobachte. Plötzlich klopft
mir jemand auf die Schulter. "Ey, wo isn Vodafone?", fragt jemand, und
ich erschrecke. Erstens scheint er mich für einen Bielefelder zu halten
(ich trage meinen VfL-Schal noch nicht), zweitens für jemanden, der
weiß, wo VODAFONE ist. Das bestürzt mich. Denn ich will nicht
für einen Bielefelder gehalten werden. Bielefeld ist eine Wohnstadt,
eine Stadt ohne jeden Höhepunkt, ohne jeden Reiz. Fast wie Mülheim.
Nur fast doppelt so groß. Doppelt so viel Tristesse. Hilfe. Die Uni
beschert der Stadt wenigstens ein paar hübsche Gesichter. Oléolé!
Wenigstens ist die U-Bahn-Anbindung
zur Alm (oder neuerdings "Schüco-Arena", auch die Arminia hat diese
Vermarktungsform entdeckt) ganz gut. Ich spaziere und spaziere vom Bahnhof
"Oetker-Straße" oder so ähnlich, mittlerweile ist es 14.10 Uhr,
als ich von weitem ein Riesenmenge höre. Hilfe, hilfe, hilfe, der
Sonderzug ist da. Angeführt von ein paar Polizeiwagen stürmen
Hunderte von VfL-Fans, ganz vorn die Ultras mit ihrem Megafon-Mann, Richtung
Stadion. Ich erhöhe meine Schrittfrequenz, schieße ein Bild,
und bin vor allen im Stadion. So langsam ist die Info in meinem Hirn angekommen,
dass ich erst am 26. September wieder die Jungs sehen werde. Der Angstschweißfaktor
ist höher als in Berlin, als gegen Leverkusen und erst recht als in
Düsseldorf. 0,4 Liter Apfelschorle verschwinden in Sekundenschnelle
in meinem Körper, und - scheiße - die Sicht von der Stehplatztribüne
ist immer noch beschissen. Eingepfercht in einen Käfig, und vom Rest
abgetrennt mit einer Plexiglas-Fangzaun-Konstruktion, ist eins der beiden
Tore überhaupt nicht zu sehen. Gut, das Stadion ist sonst nicht schlecht,
da es noch "wahre" Fußball-Atmosphäre ohne den ganzen Arena-Schnickschnack
bietet, aber für Gästefans ists nun wirklich eine Zumutung. So
voll wie in den letzten Jahren wird es nicht, nur gemächlich füllt
sich die Alm. 18.600 kommen; glatte 8.000 (!!) weniger als bei den letzten
beiden VfL-Spielen hier. Da ging es halt um viel mehr; erst um den Aufstieg,
dann um den Klassenerhalt. Und jetzt steht lediglich "3. Spieltag" über
der Tabelle.
Zeit, um an Fußball
zu denken. Hab heute lange gebraucht, wie ich grad merke. Merke? Merkt
Ihrs? Lust am Formulieren, Lust am Schildern. Melancholisch-genießend.
Die vier Einflussfaktoren. Ist alles erklärbar? Daniel und seine Freundin/Jetzt-Frau
Inske machen sich gerade hübsch, das Triersche Trio bestellt sich
ein Käffken (oder doch ne Pulle Wein?), als die Spieler um 15.28 Uhr
den Rasen betreten. Neururer setzt zum dritten Mal auf die gleiche Mannschaft.
Mensch, das muss doch einen Start zum Anbeißen geben. Zwei Unentschieden
bisher, schön und gut. Aber das hier ist BIELEFELD, der ABSTEIGER
NUMMER EINS. Da fährt man hin, gewinnt, und ab dafür (es ist
immer noch ungewohnt, dies als VfL-Bochum-Fan schreiben zu müssen
- und es wird immer ungewohnt bleiben). Wir sind der glasklare Favorit.
Auf der anderen Seite trägt einer die "Nummer 7", den ich über
100-mal im VfL-Trikot hab spielen sehen. Delron Buckley, das selbstverliebte
Genie. "Der macht bestimmt das Spiel seines Lebens", brüllt einer
von hinten. Während der Woche hat er den ganzen Verein ziemlich übel
beschimpft; gut angekommen ist das wahrlich nicht. Erst kommt die "Buckley,
du Arschloch!"-Nummer. Hinterher wirds kreativer: "Buuuuuckley spielt bei
Manchester!!!!!", hallts gleich mehrfach als Anspielung auf seine ursprünglichen
sportlichen Ziele. Wie immer in Bielefeld zündet irgendjemand eine
Rauchbombe, und schon nach wenigen Spieltakten wünsche ich mir, auch
die Spieler hätten mitten im Nebel gestanden. Von dem Rauch wären
sie wenigstens geweckt worden. Benebelt vom europäischen Los scheinen
unsere Jungs zu sein. Dieses Spiel ist zu Beginn das beste Beispiel für
das Bild "den Schneid abkaufen". Keiner will sich verletzen (vermutlich,
um in Lüttich dabei zu sein) und spielt nach dem Motto "lieber einen
Zweikampf mehr verlieren als gewinnen." Die Arminia hingegen läuft
mit der Moral eines Aufsteigers auf. Owomoyela schießt drüber
in der achten. Küntzel steht gaaaaaanz frei und schiebt die Kugel
vorbei (puuuuuuh, durchatmen) in der vierzehnten; und jawoll unser Delron
Buckley trifft auch nicht genau und scheitert. Und das in Minute 20. "Buuuuckley
spielt bei Manchester!" Es läuft wenig. Positiv ist lediglich mein
letztwöchiges Sorgenkind Knavs. Der holt heute sehr viele Bälle.
Maltritz dagegen? Schwach! Auch Lokvenc, Preuß, Madsen, Wosz: nicht
zu sehen. 30 Minuten um, null Chancen. Doch dann Tor. 0:1. Wer? Keine Ahnung.
Wie? Weiß nicht. Durch das Plexiglas habe ich nix gesehen. "Der Zdebel",
meint einer links hinter mir, und das auch noch zwei Minuten später.
Eine direkte Ecke. Zwei Chancen, zwei Tore - so war das in Berlin. Null
Chancen, ein Tor: So ist das heute. So ein Wahnsinnsglück. Kurze Zeit
später fischt Rein van Duijnhoven einen Freistoß von Skela aus
dem Winkel. Unsere Halbzeitführung ist unverschämt.
Was weiß ich, worüber
sich die drei in Trier gerade unterhalten haben, als ich ihnen die Halbzeit-sms
geschickt habe; keine Ahnung, was Daniel gerade denkt, als um 16.30 Uhr
die zweite Halbzeit beginnt; ich weiß nur, dass ich zittere. 1:0.
Das geht niemals gut, wenn die so weiterspielen. Neururer wechselt nicht
aus. Bielefeld auch nicht. Die Stimmung ist nicht schlecht, aber auch nicht
überragend. Das Spiel gibt es nicht her. Es ist sportlich bei weitem
nicht hochklassig, dafür aber spannend - und es hat Derbycharakter.
Zum Beispiel in Minute 63. Preuß rangelt mit Hain; beide kriegen
Gelb. Aber halt. Der Preuß hatte doch ... GELB-ROT! "Rot" in Verbindung
mit dem VfL Bochum? Das geht? Unser erster Platzverweis seit Sesis "Ampel"
beim Aufstiegsspiel in Aachen. Ich
sehe meinen Saisonstart zum Anbeißen akut in Gefahr. Ich sehe mein
Hochzeitsgeschenk für Daniel und Inske in Gefahr. Erst spielen wir
schlecht, nun noch in Unterzahl... zum Glück haben wir unseren Torwart,
zum Glück haben wir Kalla und Knavs. Bielefeld schraubt das Eckballverhältnis
auf 13:2; eine fantastische Bilanz. Dazu pfeift Schiedsrichter Fleischer
doch ein wenig zu viele Freistöße für die Arminia - und
zu wenig für uns (das finde ich ungerecht, aber im Fanwahn kann selbst
ich Schiris nicht wirklich objektiv bewerten). Ein Dutzend Mal gibt es
rund um den Elferpunkt ein Riesen-Spielergewusel. Neururer wechselt. Wosz
raus, Diabang rein. Unser 4-2-1-3-System ist völlig durcheinander.
Es ist wie ein Spiel in den 70ern. Zehn Mann hintendrin, und einfach nur
die Pille rausbolzen. Dann schießt Buckley, in der 81. - van Duijnhoven
pariert super. "Wir haben den weltbesten Torwart! Weltbesten Toooooorwaaaaaaaaaaaaaart!"
Daniel und Inske schreiten grad Richtung Altar - und ich sprinte der Tod-durch-Herzinfakt-Pforte
näher. "Und?", fragt mittlerweile auch mein Stadionkumpel Gerd per
sms; und ich fühle mich als lebender Infopoint. Es reicht für
uns. Es reicht für uns. Es reicht für uns. Ecke für Bielefeld,
die dreizehnte. Buckley. Tor. 1:1. So, wie Delron Buckley Tore zu schießen
pflegt. Anstandslos in den Winkel. Ein Tor Marke "traumhaft". Was für
ein Geschoss. Zwei Minuten vor Schluss. Keine Frage, es ist verdient für
Bielefeld. Aber so ärgerlich. Ein Kampfspiel, und dann ohne Happyend?
Noch ist nicht Schluss. Letzte Szene. Freistoß für uns. Zwetschge
Misimovic. Laaaange Flanke (vermutlich sagt Daniel grad in diesem Moment
"Ja" und die drei in Trier stoßen mit nem Gläschen Sekt an),
Kopfballvorlage Meichelbeck - DIAAAAABAAAAAANG, TOOOOOOOR! Das gibt es
nicht! Das gibt es nicht! Das gibt es nicht! "Den Papst in der Tasche haben",
lautet das passende Sprichwort für diese Situation. Unfassbar, dieses
Glück. Unfassbar, dass wir dieses Spiel gewinnen. Dann der Abpfiff.
Der Start zum Anbeißen ist perfekt. Fünf Punkte aus drei Spielen
- damit kann ich leben. Nur noch 35 bis zum Klassenerhalt. Die Partybilder
werden zur Legende, immer mehr und immer mehr. Wir alle - Fans, Spieler
und Trainer - genießen sie von Punkt zu Punkt, von Sieg zu Sieg intensiver.
Die Welle. Die "WIR WOLLEN EUCH TANZEN SEEEHEN!"-Rufe, die Tänzer
auf dem Rasen, die "Peeter-Neururer-schalalalalala"-Rufe. Ich könnt
nie genug davon kriegen.
Wie es angefangen hat, so
hört es auf. Eine Riesen-Polizeieskorte geleitet uns sicher zum Hauptbahnhof.
Na toll, so stelle ich mir auch das Lüttich-Spiel vor. Du hast keine
Chance, auch nur den geringsten Fetzen der Stadt zu sehen, nur damit sich
kleinste Teile der Fanbewegungen nicht gegenseitig verprügeln. Das
ist kein beruhigendes Gefühl. Beruhigt, melancholisch und genießend
gebe ich derweil im Regionalexpress ab 18.01 den Bochumer Spielern meine
persönlichen Noten. Van Duijnhoven 2, Colding 4, Kalla und Knavs 2,5,
Bönig 3,5, Maltritz 4,5, Zdebel 3,5, Wosz, Preuß, Lokvenc, Madsen
jeweils 4,5. Ob es der Kicker ähnlich sieht? Am Vierertisch nebenan
pokern vier Jungs um Geld. Im hinteren Teil des Waggons feiert eine besoffene
Mädel-Gruppe einen Junggesellinnen-Abschied feucht-fröhlich.
Es ist eine anderthalbstündige Gutelaunefahrt zwischen VfL-Fans und
den gackernden Frauen.
Ich setze mir meinen Kopfhörer
auf, höre "Extreme ways" von Moby, und verabschiede mich für
vier Wochen.
Viele Grüße
an Daniel, Inske und die drei Herren in Trier!
Unsere Heimaaaat... unsere Liiiiiebe!
Das mehr als verpatzte Vorspiel für die große UEFA-Cup-Sause am Donnerstag
Wär schön, wenn wenigstens DAS das Endresultat gewesen wäre!
Willkommen zu Hause
Zum Glück ist das WIRKLICHE Endstandbild unscharf geworden!
Nein, Andi, nicht einschlafen.
Nicht wegnicken. Drei Stunden noch; na gut, vier vielleicht mit dem Abendessen
anschließend. Dann darfst Du endlich ins Bett. Endlich ins flauschig
warme Deckchen sinken, im Palast der Träume versinken, die Augen werden
schweeeeer... Nein, Andi, nicht einschlafen. Es ist alles so ungewohnt.
Drei Wochen stapfte ich über amerikanische Bürgersteige. Über
die von Boston. Von New York City. Von Philadelphia. Von Washington. Und
nun ist mein Flugzeug kaum drei Stunden gelandet, und schon stehe ich im
Ruhrstadion, reibe mir meine müden Augen. Weil sie müde sind,
und weil ichs nicht fassen kann. Mensch, ich hab doch noch Urlaub. Aber
neben mir all meine Stadionfreunde; Gerd, Krüger (der belustigt uns
alle mit einem verbundenen und geschienten Mittelfinger, sieht superwitzig
aus), aaaaah, da hinten kommt ja auch der Sam. Und meine ganze Familie
ist auch dabei. Bochum gegen Bremen, das ist so eine Art Symbolspiel für
die Ernstens. Das haben wir uns schon so oft gemeinsam angesehen wie kein
anderes Spiel. Sie sind alle da, und doch blicke ich mich um, blicke in
den "Unsere große Liebe"-Schal meines Vordermanns, und kanns nicht
glauben. Vor nicht einmal 15 Stunden, Andi, da warst du 6000 Kilometer
entfernt, hast am Dulles International Airport in Washington einen Doppelcheeseburger
bei Burger King bestellt. Und nun hast du noch nicht mal so viel Hunger,
um eine der leckeren Stadionbratwürste an deinem "Happy Place" zu
ordern.
Luft. Stadionluft. Ich atme
tiiiief ein, husthust, jaja, stimmt, hier wird ja deutlich mehr geraucht
als in den USA. Nicht einschlafen, Andi... nee, so langsam gehts. "Was
habe ich verpasst, Jungs?" Gespräche über das Dortmund-Spiel,
das 2:2. Über die Pfiffe gegen Oliseh. "Bochum hatte nie einen besseren
Spieler als mich", hat er gesagt. Großmäulig regen wir uns über
diese anmaßende Unverschämtheit auf, und kleinlaut geben wir
zu, dass er damit nicht ganz unrecht hat. Und doch hat er durch seine ganzen
Interviews ziemlich viel Porzellan zerschlagen. Genug Oliseh. Diskussionen
über den verschossenen Madsen-Elfer. Ich erzähle meine Geschichte,
dass ich in New York grad in einem
Internet-Cafe mit Pudelmütze saß - und keiner scheints zu glauben.
Über Lüttich. Den UEFA-Pokal. Das Rückspiel, den Donnerstag.
"Auf meiner Dauerkarte steht Block N", sagt Gerd. "Ich muss in den H-Block",
fügt Sam hinzu. Na super, also werden wir drei am Donnerstag in den
verschiedensten Ecken des Ruhrstadions Platz nehmen müssen. Thommy
erzählt seine mehr als lustige Geschichte von und mit Anton Vriesde.
Beim Spiel in Lüttich, bei dem Thommy mich glänzend vertrat,
stand unser ehemaliges, an dieser Stelle oft und zurecht gewürdigtes
Abwehrtalent direkt hinter meinem Bruder. Ein supergeiles MP3-Interview
mit Extragrüßen an seinen größten Fan Sam und ein
sensationelles Foto mit Thommy sind neben dem 0:0 das zweite Ergebnis dieses
denkwürdigen Abends. Anton Vriesde. Tse, da stellt der sich in die
Bochumer Fankurve, obwohl er mehr oder weniger sanft aussortiert wurde.
UEFA-Cup. Am Donnerstag. Fünf Tage noch bis zum Spiel, an das ich
auch in den Staaten oft denken musste. Eins der wichtigsten der Vereinsgeschichte.
Und ich werde dabei sein. Fünf Tage. Nicht einschlafen Andi. Nicht
einschlafen. Heute ist Bremen da. Die Vorspeise? Einspielen? Untergehen?
Mein Ziel ist ein anderes
als bei allen anderen 258 VfL-Spielen meiner bisherigen Bundesligakarriere.
Ich will einfach nur nicht einschlafen (um das zum 1000. Mal zu verdeutlichen,
aufgrund des Jet-Lags BIN ICH ABER AUCH verdammt müde). Mein Bruder
strahlt wie Manuel Andrack nach einem gelungenen Witz von Harald Schmidt,
weil er mit einem "Thomas Ernst"-Schal rumläuft, den ich ihm bei ebay
für einsfuffzig ersteigert habe. Mensch, das sieht aber auch zu geil
aus. Die Bremer laufen sich warm. Frank Fahrenhorst wird gefeiert. "FAHNE!!!
FAHNE!!!" "FAAAAAAHNE ist ein Boooochumer!!" Tja, der Mann ist das größte
Problem, das wir bisher haben. Weil er nämlich nicht mehr das blau-weiße,
sondern grün-weiße Trikot trägt. Meine Mum ist zum ersten
Mal seit dem sensationellen Dortmund-Spiel
wieder dabei; mein Dad war noch länger nicht mehr im Ruhrstadion.
Sie schauen sich um. Hat sich was geändert? Jepp, die Anzeigetafel.
Wir haben einen guten Stehplatz erwischt, alle können gut sehen. Es
ist kurzweilig, genauso wie der Urlaub. Mein Gedanke streift nur kurz "Shrek
2", den Film, den ich mir im Flieger von Washington bis Amsterdam auf Niederländisch
ansehen musste. Das ist erst ein paar Stunden her. Gestern, ja gestern
wanderte ich noch durch Adams-Morgan, Georgetown, war in der Nähe
des Weißen Hauses. Und nun? Andi, Urlaub ist vorbei, konzentrier
dich auf Bremen. Ich hätte es mir leichter vorgestellt. Nach-Urlaubs-Melancholie?
Anpfiff. Vier Spiele verpasst.
Vier Unentschieden verpasst. Noch keine Pflichtspiel-Niederlage in diesem
Jahr kassiert. Bei uns spielt Bechmann erstmals von Anfang an. Neururer
setzt auf die übliche 4-2-1-3-Taktik. Bremen ist nicht wirklich konstant
gestartet, habe ich mir aus meinen Internetsessions in den USA gemerkt.
Eine dicke Klatsche gabs zum Auftakt in der Champions League - und auch
in der Bundesliga fluppts noch nicht richtig. Auf gehts. Stimmung ist solide.
Bin wach. In der ersten Halbzeit passiert nicht viel. Aber auch nicht so
wenig, dass ich den Jet-Lag spüren würde. Ich bin wach, gehe
mit, klatsche mit, feuere mit an, reiße Witzchen mit meinen Kollegen,
zum Beispiel über die komische Aufblasklapphandaktion des heutigen
Tagessponsors (man, wie dumm), stelle fest, dass Gerd sehr spöttisch
und eher schlecht gelaunt ist (warum eigentlich?), unterhalte mich mit
Sam über seine wirklich interessierten Erfahrungen mit Washington.
Er hat da mal ein Jahr gewohnt und ich ärgere mich tierisch, ihn nicht
vorher nach seinen Eindrücken befragt zu haben. Unterhaltungen, Unterhaltungen,
Unterhaltungen, zwischendurch ein Blick auf die Eltern, ob alles okay ist;
und hoppla, Halbzeit. Vom Spiel hab ich gar nicht viel mitgekriegt.
Pause. Die Cheerleader kommen;
"Rusty" nicht mehr. Der Darsteller der Lok aus "Starlight Express" sang
vor dem Spiel irgendsoeinen Song, und das ganze Stadion hat gefeiert. Lokalpatriotismus
heißt das wohl. Ich schwöre, ab sofort mehr auf das Spiel zu
achten. Auf Taktik, auf Einzelkritik, auf Chancen. Andi, üüüüüüüben
für die Arbeit, du musst wieder reinkommen in den Rhytmus. Aufpassen!!
Aufpassen!! Aufpassen!! Wiederanpfiff. Bremen hat gewechselt. Klose spielt
jetzt für den gelb-rot-gefährdeten Valdez. Ach ja, stimmt, da
war doch in der ersten Halbzeit mal ein Spielergetümmel, aus dem der
Valdez mit der gelben Karte hervorging. Stimmt ja. Und jetzt ist Pfeffer
drin. Der VfL hat Mühe, das Tempo mitzugehen. Bremen lauert geduldig
auf Fehler. Einen macht Zdebel in Minute 54. Konter, Borowski, 0:1. Maaaaaan,
ich sags ja, Bremen ist unser Super-Angstgegner. Ich selbst hab nur gegen
Bayern eine schlechtere Bilanz. Und von Sekunde zu Sekunde bin ich erschrockener.
Der verletzte Madsen fehlt überall. Er fehlt als torgefährlicher
Stürmer und vor allem als fleißiger Defensivarbeiter. In Minute
62 muss Wosz raus, nach einem Zusammenstoß mit Pasanen nach einem
Kopf(!)ballduell. Ohne den ebenso fleißigen Wosz ist gar keiner mehr
fleißig. Alle traben, behäbig, nicht engagiert genug, keine
Kondition? Thommy lobt nicht einmal mehr seinen Lieblingsspieler Maltritz
(der Name fiel in der von mir kaum beachteten ersten Halbzeit ziemlich
häufig in meiner Umgebung). Die Viererkette ist doch eigentlich dieselbe
wie im Vorjahr. Colding, Kalla, Bönig. Und Knavs statt Fahrenhorst.
Macht es dieser eine Wechsel aus? Wir haben schon fast so viele Heimgegentore
in drei Spielen wie in der kompletten letzten Saison...!!! Der Knavs wird
nie mein Liebling. Die Ostkurve murrt, die Haupttribüne schon viel
länger. Block A muss schon die Initiative ergreifen und laut "V-F-L!
V-F-L!" brüllen. Bechmann spielt schwach, genauso Preuß. Und
Lokvenc zieht sich den Unmut von allen zu. Gegen Ismael und Fahne Fahrenhorst
gewinnt er keinen Zweikampf, nicht mal ein Kopfballduell. Und weil seine
Spielweise sehr statisch und unbeweglich aussieht, bringt er nicht mal
einen Pass an den Mann. Das ist schwach. Das ist wirklich schwach. Und
die Erklärung, dass es gegen den Double-Gewinner des Vorjahres gilt,
ist eine ziemlich dürftige.
65. Minute, Standardsituation.
Vielleicht wieder so ein Krümeltor. Trojan flankt, Knavs köpft
wunderschön... TOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOORRRRRR! SCHALALALAAAAAAAAAAAAAlalalalalalalaaaaaaaaaaaa!!!
Man, ist das unverdient. 1:1, ausgerechnet der Knavs, sollte es wieder
zu einem Punkt reichen? Diese Standards reißen uns immer raus, und
nach vier Spielen Pause feiere und brülle ich aus vollster Ekstase
mit. Kaum ausgebrüllt, Gegenzug, Klose, 1:2. Und da war es wieder,
diese Bremen-Krankheit. Der Rest ist eine Demontage. Gut, Kalla köpft
nach Trojan-Freistoß aus derselben Distanz an die Latte, aber das
ist die einzige Szene, in der wir überhaupt noch einmal die Mittellinie
überschreiten. Das ist Aufgabe. Keine Arbeitsverweigerung, aber schon
Lustlosigkeit. Bei uns gibts die nicht. "Und wir gewinnen, und wir gewinnen,
und wir gewinnen am Donnerstaaaaaag!!!" Fünf Tage noch, dann zählts.
"LÜTTICH KANN KOMMEN!!!!" 1:2? Egal! Klose setzt kurz vor Schluss
sogar noch das 1:3 drauf. Macht nix, unsere Jungs denken halt auch schon
am Donnerstag. Und jeder hat mal einen schlechten Tag. Ein paar VfLer wollen
früher gehen. "Geeeeegen Lüttich wolln wir Euch nicht seeeeeehn!",
hallts durch unser Rund, und bei manchen kommt die Botschaft an. Klose
setzt sogar noch das mittlerweile verdiente 4:1 drauf, und bevor es eine
Packung gibt, verzichtet der Schiedsrichter auf die eigentlich zwingend
notwendige längere Nachspielzeit und pfeift lieber pünktlich
ab. Eine Leistung der Marke "unter aller Sau", schwache Leistungsträger
(bis auf van Duijnhoven und Wosz), mehr als dumme Fehler, und das gegen
eine superstarke Bremer Mannschaft. Sollte uns die Doppel- und Dreifachbelastung
doch schaden? Angst geht um im Ruhrstadion. Bei mir. Selbstgespräche.
Im DFB-Pokal sind wir raus, in der Bundesliga erst ein Sieg nach sechs
Spielen, und der war nicht einmal verdient. Stell dir vor, wir verlieren
gegen Lüttich oder spielen nur unentschieden? Dann ist die ganze Saison
schon am 1. Oktober total im Arsch!!! "Ach Andi, das war vielleicht gar
nicht schlecht", meint Thommy. "Die haben heute gesehen, dass man nicht
immer nur mit Glück und Standardsituationen weiterkommt. Das wird
schon!" Ausnahmsweise bin ich pessimistischer als er. Sieben Punkte nach
sechs Spielen - ziemlich wenig. Gerd und Sam haben fast fluchtartig den
Ort des Debakels verlassen. Tief enttäuscht. Meine Eltern gehen mit
einem Sack voll Erinnerung nach Hause und werden die heute Abend erst noch
sortieren müssen.
1:4 gegen Bremen. Manmanman.
Und dafür habe ich meinen Urlaub extra so ausgerichtet, dass ich am
Samstagmittag wieder da bin. Ich hätte noch einen Tag bei 30 Grad
in Washington verbringen können. Mit einem Sonnenbad vor dem Lincoln
Memorial. Aber nein, ich bin dem gefolgt, was der Schal meines Vordermanns
beschreibt: "Große Liebe!" Herzlich Willkommen zurück in Deutschland,
Andi! Wenigstens bin ich nicht eingeschlafen... das Spiel war also nicht
ganz nutzlos.
Fünf Tage noch.
Ab sofort zählt nur
noch Lüttich. Nur noch Lüttich!!! Wir packen es. Wir packen es.
Wir packen es. Ich bin ganz sicher.
"Und wir gewinnen - und
wir gewinnen - und wir gewinnen am Donnerstaaaaaaaaag!"
Nervös bin ich schon
jetzt.
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 2, UEFA-Cup nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 2 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 2 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 2 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 2 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 2 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 3 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 3 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 3 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 3 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 4 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 4 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 4 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 4 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 4 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 5 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 5 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 5 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 5 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 5 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 6 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 6 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 6 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 6 nachzulesen !