VFL-TAGEBUCH: SAISON 2003 / 2004 - Teil 4
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DAS TAGEBUCH, SAISON 2003 / 2004:

VfL Bochum - VfL Wolfsburg 1:0 (31.1.2004)

Die Bochumer Videowand und laut Zuganzeige fand das alles statt am Zuganzeige!!?!

Vom Winde verweht in der fernen Zukunft

Die Libelle? Ja, die Welle auch!

Wir sind Helden

Jungs ihr habt Zeeeeeeeeeit!

Nur ungern gebe ich es zu, aber manchmal haben lange Haare auch Nachteile.
Der letzte Tag im Januar ist angebrochen. Auf den Straßen schmilzen gerade die letzten Reste des donnerstäglich gefallenen Schnees. Die Äste auf den Bäumen tanzen miteinander Walzer. Es ist windig. Es wäre Herbst, wenn nicht Winter wäre. Genau vor einem Jahr, beim ersten Spiel 2003 gegen Nürnberg, da habe ich mich noch als Fußball-Junkie bezeichnet. Und ja, am liebsten würde ich diese Passage für diesen Text hier kopieren. Es hat sich nichts geändert. Ein Sturm draußen, Regentropfen am Fenster, Durchzug in der Wohnung, nasse Haare von der Dusche, und die Gewissheit, helau, in ein paar Stunden sehe ich meine Jungs wieder. Es sind unzerstörbare Rituale. Die Trikot-Auswahl zwei Tage vor dem Spiel ist komplizierter als das Wahlverfahren für den US-Präsidenten. Jedes einzelne Kleidungsstück will Andi´s ganz eigene Wahlmänner auf sich vereinen, sei es das Uwe-Wegmann-Trikot von 1993, oder das von Peter Graulund, oder auch von "Gustl", oder Paul Freier... Nee, diesmal ist wieder das Raymond-Kalla-Trikot dran. "Wir schießen die Wolfsburger aus dem Stadion", trompetet mir unser Trainer aus der WAZ entgegen, während ich mir eine Cornflakes/Haferflakes/Kakao/Milch-Mischung in die Rübe donnere. Lasst mich nochmal die Tabelle auf der Zunge zergehen: FÜNFTER! WIR SIND FÜNFTER!!!!
Es ist die bisher windigste Saison. In Bremen wehte es ein bisschen, gegen Frankfurt ziemlich doll, und das heute, das schlägt alles. Die Wortfetzen vom Mann rechts neben mir an der Verkehrsampel gehen nicht am einen Ohr rein und am anderen raus, weil sie so unbedeutend sind, nein, es stürmt so sehr. Bahnhof. Viertelvorzwei. Wer wohl kommt? Mit dem VfL ist das wie früher mit dem Ringlokschuppen. Auch wenn ich mal allein zum VfL gehen müsste - irgendeiner aus meinem Kollegenkreis ist immer da. Heute hat sich die komplette Mannschaft angesagt. Fünf Wochen Winterpause ist auch genug. Mehr ist uns nicht zuzumuten.
Gegen wen spielen wir überhaupt? Ist doch egal. Wolfsburg oder so. Mist, der blöde Regen fliegt aufgrund des Winds mitten in die Kurve. Gut, dass ich die Brille zu Hause gelassen hab. Mein Stadion steht noch. Mein Stadion. Unser aller Stadion. Zum 176. Mal betrete ich es bei einem Heimspiel, fühle mich so allmählich wie ein Rekordfan, wohl wissend, dass es noch paar Tausend gibt, die noch bekloppter und noch länger dabei sind als ich. Keine Zeit für Melancholie. Jungs begrüßen. Gerd ist da. Er lebt noch, da er seinen Limerick-Vortrag in Dortmund ("ich steh hier im dortmunder norden/um mich herum: goldkettchenhorden/und dealer und diebe/und käufliche liebe!/was ist aus dem norden geworden?") scheinbar überstanden hat. "Ich war gar nicht da", versichert Gerd. Alleeeees klaaaaar. Feige Sau! Thommy hat irgendeinen Kommilitonen getroffen, sie stehen rechts über mir. Ja wer kommt denn da von links? Der Krüger, oder wie auch immer er heißen mag. 30 Minuten noch bis zum Anpfiff, die Musik wird besser. "Hells bells" von AC/DC, und - ja, wirklich - "Zu spät" von den Ärzten. Zum ersten Mal höre ich die goldenen Zeilen "Warum hast Du mir das angetaaaaan? Ich habs von eineeem Bekannten erfaaaahrn!" in einem Fußballstadion. Und es ist gut. Ich hab richtig Bock auf Fußball. Wir alle. Obwohls vom Winde verweht und kalt und wasweißich noch ist. Wir sind doch alle irgendwie Helden.
Na gut, und die größten Helden, das sind ja immer noch die elf Kerle, die im blau-weißen Trikot rumlaufen. In der Winterpause, da haben die Experten im Land fast nur über Dortmund und Schalke geredet. Dortmund, weil der Klub fast pleite ist, und Schalke, weil die den Rest der Liga leerkaufen. "Die beiden sind die eingeschlafenen Riesen", meint unser Trainer. "Und wir der aufgewachte!" Wär das doch wahr. Wie sieht die Realität aus? Bremen kauft uns Fahrenhorst weg, Leverkusen wedelt bei Freier mit dem dicken Scheckbuch, den Oliseh können wir wohl auch bald nicht mehr bezahlen. Harte Welt. Es ist aber das Gefühl, das ich, das wir alle so mögen am VfL: Wir alle gegen den Rest der Liga, auch wenn wir grad Fünfter sind, auch wenn die Ärsche unsere Mannschaft wieder schwächen. Wir sind noch da.. "Wie steht es bei Köln gegen Mönchengladbach?", fragt einer aus den hinteren Reihen. "Keine Ahnung, ist Abstiegskampf, interessiert mich nicht", antworte ich. Für VfL-Fans ist das ein gelungener Witz. Als Frankfurt gegen Bayern ausgleicht, errechnet einer den Rückstand auf einen Champions-League-Platz. "Ach hör mir mit dem Scheiß auf", meint jemand. "Wir wollen doch nicht so blöde Geldsäcke werden!" Mein Reden.
22 Spieler stehen auf dem Platz, ein Ball ist dabei, und der Wind verarscht sie alle. Knapp 20.800 sind da, die Sportpresse des Landes wird diese Zahl mit einem "nur" versehen (ich kann damit leben), wir gründen wieder den Anton-Vriesde-Fanklub und gehen den um uns herum Stehenden tierisch auf den Zeiger. Ja, der Anton, der verhinderte holländische Nationalspieler (hihi, keine Ahnung, warum der sich nicht gegen Jaap Stam durchgesetzt hat), der hat´s uns allen angetan. An jeder Szene ist unser Anton irgendwie beteiligt. Und selbst wenn nur der Wosz einen guten Pass gespielt hat ("Antons Aura!"). Wir alle zusammen geben wieder eine ganz schön lustige Runde ab, und lachen vor allem sehr über Hertha BSC (Gong, 0:1 in Bremen - Gong, 0:2 in Bremen - Gong, 0:3 in Bremen; und das innerhalb von zehn Minuten). Für unseren pleite gehenden Dortmunder Nachbarn entwerfen wir mögliche neue Trainer-Duos, sofern der Sammer fliegt (unser Favorit: Lattek/Brehme), und - ach so - Sport wird ja auch getrieben auf dem Rasen-Rechteck. Eine große Puuuuuuhhhh-Chance hat der lange Klimowicz für Wolfsburg, der nach zehn Minuten sowas von frei steht, aber den Ball auch sowas von vorbeischiebt... Glück gehabt! Wie lang sind wir zu Hause ungeschlagen? Seit dem Bayern-Spiel im März 2003?
Es hat sich über den Winter zum Glück nichts geändert. Die Jungs geben ein unglaublich geschlossenes, kompaktes, intaktes Gebilde ab, genauso wie wir das mögen. Die Stimmung ist sehr positiv. Sogar zwei Spieler mit Zweitligaformat (Bemben, Vriesde) schleppen wir durch (naja, okay, Vriesde ist ja eigentlich ein verkappter Weltklasse-Verteidiger). Die Stärken? Van Duijnhoven im Tor! Ihm kann der Wind nur wenig anhaben, außer der Klimowicz-Chance brennt nicht mehr viel an. Dann noch Oliseh im Mittelfeld, der Stratege. Und vorn? Peter Madsen, unbezahlbar. Ein riesiger Einkauf. Der hat wirklich eine unglaubliche Kondition und ein riesiges Kämpferherz. Irgendwann wird der auch mal einen Elfmeter kriegen, heute klappte das gleich zweimal nicht. Unsere größte Stärke ist auch geblieben: Die Standardsituationen. Bei der fünften Ecke von Wosz steht Frank Fahrenhorst endlich frei und köpft das 1:0. Das erste VfL-Tor im Jahr 2004, und ich hab´s gesehen... Und warum hat Frank getroffen? Sam ist sich sicher: "Weil der Anton ihm den Weg freigesperrt hat!"
"Anton-Vriesde-Fußballgott-Sprechchöre" gehen nicht durch. Leider.
"Du bist heute so kontrolliert", flüstert mir Gerd zu. Ja, bin ich diesmal. Ich genieße eher im Stillen, schreie nur bei den "V-F-L---V-F-L"-Stakkati mit. Halbzeit. Regen. 1:0. Wir bleiben Fünfter. Dirk aus München grüßt den "belgischen Kommunisten" Thommy und freut sich über die Führung. Und die Helden sind nicht müde. Wir auf der Tribüne nicht, die Jungs auf dem Rasen auch nicht. Wolfsburg bestätigt eindrucksvoll seine Auswärtsschwäche, leistet sich einige denkwürdige Querschläger, und in bester Abstiegskampf-Manier retten wir das 1:0 über die Zeit. Zum Einstieg in eine für mich anstrengende (und teure) Rückrunde wird das volle Programm geboten: Riesige Konterchancen (Paule Freier unterstreicht dabei, dass er seine Bestform wohl noch immer sucht), unnötige Gefahren in der eigenen Deckung, dazu noch Applausstürme bei Auswechslungen (Wosz) und ein abgefeierter Trainer nach dem Abpfiff (Neururer). Scheiß-Wetter, 1:0 gewonnen, drei Punkte geholt, Platz fünf verteidigt, eine Menge liebe Leute gesehen, viel gelacht, und am Ende sogar die Currywurst im City-Grill mitgenommen. That´s what it is for. Ein Spiel, an das ich mich am Saisonende (schau nach beim Hertha-Bericht) beim Rückblick garantiert nicht als erstes erinnern werde, das aber trotzdem sehr wichtig für mich an diesem Tag war. In zwei Wochen wirds noch wichtiger. Dann kommen endlich die Bayern.
Der Rest des Spätnachmittags geht rasendschnell vorbei. Die Zuganzeige will mir sogar mitteilen, die Zeit sei schon bis zum 16. September 2023 fortgeschritten... und ein bisschen fühl ich mich wie bei "Zurück in die Zukunft". Was passiert, wenn ich den Regionalexpress verlasse, und der VfL Bochum ist schon dreimal Meister geworden!?! Und ich hab alle Meisterpartys verpasst? Doch ein Blick auf den Block mit der unausgefüllten Statistik des Handballspiels DJK VfR Mülheim-Saarn gegen HSV Dümpten holt mich auf den Boden. Ach ja, ich muss ja jetzt noch arbeiten. Muss all die Helden aus meinem Kopf verdrängen. Und muss meine vom Wind völlig zerzausten Haare aus meinem Gesicht wegräumen.
Ich sagte ja: Manchmal haben lange Haare auch Nachteile.

Alles Helden
 
Held: Krüger! Held: Gerd! Held: Sam!
Wie auch immer er heißt - wir alle glauben Krüger - ein Held, keine Frage! Und der nächste Held... namens Gerd! Auch das ein Held, nämlich Sam, heute mal ganz im Cowboy-Look, als hätte er im neuen Kevin-Costner-Film mitgespielt. Und das mit Anton-Vriesde-Trikot!
Held: Thommy! Held: Andi! Helden: Mannschaft!
Held Nummer vier für heute: Thommy, auch der bemützt! Ein zerzauster fünfter Held: Euer vom Winde verwehter Webmaster! Na gut, und die haben dann doch hauptsächlich für den 1:0-Sieg gesorgt!

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Wie ich... (4.2.2004)

... auf dem Pidder sein Stuhl zum VfL selbst interviewt wurde...

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Hamburger SV - VfL Bochum 1:1 (7.2.2004)

Andi an den Landungsbrücken raus

An den Landungsbrücken endet alles 1:1 - Ein Tagebucheintrag mit Mzoudi, Musicals und ner Metropole

Kameras im Schlepptau!

Graue Wolken

Graue Wolken

Ein Blick aus dem Zugfenster bringt die Gewissheit: Gut, dass ich die Sonnencreme nicht mitgenommen habe. Es wäre verschenkter Platz gewesen.
Extra für diesen Tag habe ich ein Lied von "Blumfeld" mit in meine schwarze Umhängetasche gepackt. Und das passt gleich doppelt: "Graue Wolken" heißt der Song. Die anfängliche Frage "Wo kommen all die grauen Wolken her?" stelle ich mir auch in dem Moment, in dem der Sänger die Zeile trällert - und "Blumfeld" kommt aus Hamburg. Hamburg. Die deutsche Großstadt, die mir am längsten vertraut ist. Die ich schon vor 14 Jahren, im Jahr 1990, kennenlernte. Hamburg. AOL-Arena. Das ist andererseits aber das einzige "große" Stadion Deutschlands, das auf meiner Liste noch fehlt. Heute soll es soweit sein. Dafür stiefel ich sogar morgens um 9.30 Uhr aus dem Haus.
Beim Frühstück habe ich mich noch vorbereitet. Im mich treu begleitenden Fußballfan-Standardwerk "1000 Tipps für Auswärtsspiele" ist die AOL-Arena das einzige (!) Stadion, das die volle Wertung von fünf Sternen bekommen hat (Schalke, Bochum, Dortmund folgen erst dahinter), zudem soll die Bratwurst zur Liga-Spitze zählen. Beim Genuss des morgendlichen Pfefferminztees ist mir das erst einmal herzlich egal; aber der Appetit kommt schon noch. Hach ist das ne Hetzerei. Erwische den Regionalexpress bis Essen um 9.46 Uhr so gerade noch, doch was kommt dort für eine Durchsage? "Intercity nach Westerland/Sylt, über Bremen und Hamburg hat aufgrund eines Triebfahrzeugschadens etwa 35 Minuten Verspätung!" Helau. Da hätte ich eine volle halbe Stunde länger im Bett bleiben können! Und nun hänge ich rum, mit frisch geduschten Haaren am Essener Hbf, mich eitel alle zehn Minuten kämmend... Hamburg, Hamburg... wie war das noch 1990? Damals war ich genau zwölf Jahre alt, und mit der Family beehrten wir gerade im Weltmeister-Jahr das schleswig-holsteinische St. Peter-Ording. Irgendein örtlicher Reiseveranstalter bot Tagestrips nach Hamburg an, und zack, saßen wir schon in so einem komischen Reisebus. Natürlich machten wir direkt die volle Tour, inklusive Hafenrundfahrt und Bummel auf der Reeperbahn. In den Folgejahren kehrte ich oft - meist für einen Tag - an die Elbe zurück. Mit Marsch über den Hamburger "Dom" (das dreimal im Jahr stattfindende Volksfest auf dem "Heiligengeistfeld"), durch St. Pauli, über die Mönckebergstraße, rumfahren mit U- und S-Bahnen. Ich kenn mich aus dort. Ein bisschen. Nur beim Fußball - Mist - da war ich noch nie. "Und da werde ich auch nicht hin kommen, wenn die blöde Bahn nicht kommt", denke ich mir, als um 10.40 Uhr mit genau 40 Minuten Verspätung endlich der IC eintrifft. Hurra, ich finde einen Sitzplatz. Nix los im Zug.
"Wo kommen all die grauen Wolken her?" Es regnet. Die "taz" sinniert über den Rücktritt von Schröders vom SPD-Vorsitz. Zwei Sitzreihen weiter sitzen Fans von Rot-Weiß Essen, die in Bremen aussteigen. Die haben wohl nicht gemerkt, dass RWE schon vor zwei Monaten bei den Werder-Amateuren gespielt hat. Das Bord-Bistro ist vier Waggons entfernt. Eine Odyssee. Durch Waggon 1. "Morgen", "Hallo", "Tschuldigung" - mensch schaukelt das in dem Zug. Waggon, 2, dann 3 und 4. Und da ist er. Hilfe, was für eine Schlange. Und das daaaaauert. Geschlagene 15 Minuten warte ich, um dann für eine 0,5-Liter-Cola 2,70 Euro hinzublättern. Ich bin verwundert, wie routiniert ich diese Auswärtsfahrten inzwischen meistere. Vor zwei Jahren, bei der ersten hier im Netz begleiteten Tour nach Mannheim 2002, da war ich noch richtig nervös und angespannt. Und nun? Na gut, fahre ich halt mal einen Tag nach Hamburg. Was solls!?! Hmm... ist das nun ein Grund zum Lachen oder zum Weinen?
Mit genau 29 Minuten Verspätung landet der IC im Hamburger Hauptbahnhof - 60 Sekunden mehr und ein Gutschein wäre fällig gewesen, wieder Mist! 13.45 Uhr. Der IC tuckert weiter Richtung Sylt. Dort macht es bei diesem Sauwetter auch nicht viel Spaß im Moment. Ich stelle mir vor, im dicksten Orkan durch die Dünenlandschaften von List im Norden der Insel zu wandern, und verwerfe den Gedanken. Es ist zu spät, um vor dem Spiel noch durch die Stadt zu laufen. Ich schlurfe der Masse hinterher, bin gespannt, wie lange das noch dauert bis zur AOL-Arena. Früher, da hieß das Stadion noch ganz altmodisch "Volksparkstadion" und es war - glaube ich - von der A7 kurz vor dem Elbtunnel sogar zu sehen! Nun aber dränge ich mich in die S21 Richtung Stellingen/Volkspark, steige nach 15 Minuten Fahrt in einen Bus-Shuttle Richtung Arena, und um 14.20 Uhr ist es geschafft: Das Fünf-Sterne-Stadion der Liga liegt vor mir.
Es ist fett, echt fett.
Dieses Stadion ist eindeutig gelungener als die Arena Auf Schalke. Dieses Stadion hat einfach mehr mit Fußball zu tun. Es ist geöffneter und hat nicht den Touch einer Multifunktionsarena. Dafür ist die ColorLine-Arena direkt nebenan gut - in Kirschkernweitspuck-Nähe. Die Bratwurst, die hat leider nichts eigenes, da der Catering-Service "Aramark" inzwischen 75 Prozent der Liga beliefert. Ein Hoch auf den Kapitalismus! Da hat ein Dienst wohl alle anderen weggefegt und die Individualität bleibt auf der Strecke. Auch unseren VfL hat es schon erwischt. Wer zur Wurst noch ein Getränk ordert, erhält übrigens eine HSV-Fahne. Das nutzt die Lederjacken-Fraktion in der VfL-Kurve natürlich sofort aus. Sie reißt die Flaggen ab und behält die Holzstöckchen. Eigentor heißt sowas. In der Nähe der dunklen Gestalten bleibe ich lieber nicht. Ich stelle mich zu den Trommlern und sinniere über das Spiel. HSV gegen VfL. Dreimal hintereinander ist das nun 1:1 ausgegangen. Erwartet mich die pure Langeweile? Nein, und das liegt am neuen HSV-Trainergespann. Klaus Toppmöller und Katze Zumdick saßen in insgesamt 97 von meinen bisher 243 Spielen auf der VfL-Trainerbank. Nun sind sie die Gegner. "Tooooooppi ist ein Bochumer", klingt es vage. Kurz vor dem Anpfiff folgt das sehr witzige "Scheeeeeeiß Karaooooke!", als vom HSV-Vereinslied der Text auf der Videowand mitläuft. Stellt Euch vor, der Text von Grönemeyers "Bochum" würde jedes Mal im Ruhrstadion mitgliefert. Das wäre Majestätsbeleidigung. Und überhaupt: Diese "Videowandisierung" der Bundesliga geht mir gehörig auf den Zeiger. Auf unsere 08/15-Variante bin ich richtig stolz. Aber ich befürchte, bald sind auch wir fällig. Dieser Scheiß-Technikkram ist bestimmt demnächst Lizenzvorschrift!
Während ich mich 45 Minuten lang frage, wo die grauen Wolken herkommen, kicken 22 Spieler den Ball munter hin und her. In den ersten 15 Minuten kontrolliert der HSV das Spiel, danach sind wir die optisch bessere Mannschaft. Wir liefern für unsere Verhältnisse ein ordentliches Auswärtsspiel ab: Aufmerksam in der Abwehr, zweikampfstark im defensiven Mittelfeld. Dafür fällt unseren offensiven Jungs Wosz, Freier, Hashemian und Madsen nicht viel ein. Eine Chance für Hashemian, das wars aus Hälfte eins. Der HSV ist noch viel gedankenloser - und so ist die Reaktion der Fans zur Halbzeit logisch. Laute Pfiffe aus der einen, "Ohne Bochum wär hier gar nichts los"-Rufe aus der anderen Kurve. Yööö, ein 0:0 zur Pause beim HSV - das ist doch was. Soviel zum Thema: Wir sind Fünfter und deshalb mutiger geworden. Jede Auswärts-Halbzeit ohne Gegentor gehört als Seltenheit in die Vereinsgeschichtsbücher.
Toppi war wohl ein bisschen sauer in der Pause. Stark verbessert kommt der HSV aus der Kabine und - ich gebe es zu - erarbeitet sich drei gute Chancen. Aber, so komisch das auch klingt, ich bin mir ganz sicher, dass wir uns keinen einfangen. Ganz sicher. Mein Gefühl täuscht mich nicht. Und es wird noch besser: Edu wechselt die Seite auf Madsen. Der marschiiiiiiiiert, ein Pass auf Coldiiiiiinggggg, drrriiiinnn!!!! 72. Minuuute! Na gut, das ist mittlerweile unverschämt glücklich, aber HEY, 1:0, drei Punkte gehören uns! Und dann noch der Colding!!! Der hat doch noch nie ein Tor geschossen!!! "Die Nummer 1 - die Nummer 1 - die Nummer 1 im Pott sind wiiiir!!!" Astreine Stimmung in einem tollen Stadion - der Ausflug hat sich gelohnt. So ganz perfekt endet das Spiel aber dann doch nicht. Bernardo Romeo köpft noch das 1:1 sieben Minuten vor Schluss und dabei bleibt´s. Zum vierten Mal hintereinander ein 1:1 gegen den HSV. Verdient am Ende, Spielnote 4. Hab mich schon mehr unterhalten gefühlt in dieser Saison. Aber für ein Auswärtsspiel... "Mensch gegen Bochum brauchste nicht mehr gucken gehen", flucht ein HSV-Fan hinter mir beim Marsch Richtung Bus-Shuttle. "Zu Hause oder auswärts: Immer nur 1:1!" Und ich hab nicht gewettet.
Zweieinhalb Stunden Aufenthalt verbleiben mir noch in der 1,7-Millionen-Stadt (habe ich im Baedeker eroiert), und auf der Andi-Ernst-Skala erhält die AOL-Arena drei Minuspunkte. Zum einen war die Lautsprecheranlage in dem Laden mehr als amateurhaft. Also ich hab ja mal gar nichts verstanden. Zweitens lässt trotz der tollen Bauweise die Akustik zu wünschen übrig. Wenn der Megaphon-Mann der Ultras 20 Treppenstufen tiefer einen Sprechchor anstimmte, habe ich den schon gar nicht mehr verstanden (ob das jetzt so schlimm war, ist eine andere Frage). Und drittens - und das nervt tierisch - ist die Rückfahrt Richtung Hauptbahnhof in der trübsten Wettersuppe mehr als anstrengend. 15 Minuten lang dauert es, bis ein kleines Plätzchen in einem Bus-Shuttle frei wird... Am Bahnhof "Stellingen" angekommen, dauert es weitere 10 Minuten, bis endlich eine S-Bahn Richtung "Hauptbahnhof" am Gleis steht. Manmanman... Kurve raus, Hauptbahnhof rein in 60 (!) Minuten. In Bochum dauert das höchstens 10 !!!
Aber was solls... die Stadt wird es schon richten. Voller Vorfreude, dass ich mich auf dieser Homepage ein bisschen über Hamburg auslassen kann (hab ich bisher nämlich noch nicht getan), stürze ich mich ins samstagabendliche Einkaufsgewusel. Und gleich beim ersten Fußtritt auf die Einkaufsmeile "Mönckebergstraße" wird mir klar, warum ich Hamburg so mag. Hamburg ist nach Berlin nicht nur die zweitgrößte deutsche Stadt, sondern auch die zweitgrößte Metropole (und ich bin wie Ihr wisst ein Großstadtmensch). Noch vor München. Vor Köln. Gegen dieses Quartett wirken Möchtegern-Großstädte wie Frankfurt, Stuttgart und Düsseldorf provinziell. Hamburg hat so viel zu bieten, und sich doch einen gemütlichen Charme bewahrt. Hamburg zieht scharenweise Touristen an - und die verschwinden meist im Regengrau. Nicht einmal München kann so viele Besonderheiten aufweisen. Ein passendes Stichwort zur bayrischen Hauptstadt ist nur das "Oktoberfest". Bei Hamburg gibt es sehr viele davon: "Elbe", "Hafen", "Elbtunnel", "Reeperbahn", "St. Pauli"... Hamburg bietet nicht nur touristische Highlights wie den Hafen (wer keine Hafenrundfahrt miterlebt hat, der war nie dort), Massen an Musicals ("Phantom der Oper" war jahrelang dort, heute z.B. "Der König der Löwen") und das weltberühmte "Amüsierviertel" (Baedeker-Begriff) rund um die Reeperbahn in St. Pauli (mit Theatern, Kneipen und Bordellen). Nein, die Stadt hat der Welt auch ganz wundervolle Musikbands geschenkt (Beispiele: "Fettes Brot" sowie "Tomte", "Die Sterne", "Blumfeld" und vor allem "Kettcar", die die wundervolle Zeile "An den Landungsbrücken raus, dieses Bild verdient Applaus!" prägten). Große Verlagshäuser haben in dieser Pressestadt ihren Sitz (Spiegel, Gruner+Jahr), Heidi Kabel und Hermann Rieger kommen hier her, ja und Sportklubs gibt es auch zahlreich (der HSV in der Fußball- und Handball-Bundesliga, die Hamburg Freezers im Eishockey - und Weltklassetennis bietet der Rothenbaum). Hamburg, das ist die Stadt der Linken, die Stadt mit der Hafenstraße, den Hausbesetzern. Die Stadt mit dem FC St. Pauli, dem Vorzeigefußballklub der alternativen Kultur. Aber Hamburg ist auch die Stadt, in der Richter Schill vor zwei Jahren 18 Prozent der Stimmen bekam. Der "Richter gnadenlos" von ganz rechtsaußen. Hamburg ist die Stadt, in der die Flugzeugentführer die Tat für den 11. September 2001 planten. Der Mzoudi-Prozess, gegen einen Atta-Bekannten, der freigesprochen wurde, ist erst zwei Tage her.
Ich sinniere darüber, während ich an der Alster und dem Rathaus (in zwei Wochen sind Wahlen) entlang marschiere, über den Jungfernstieg, an den Landungsbrücken vorbei, während ich bei Mc Donalds ein Big-Mac-Menü futtere. Hamburg ist so vielseitig. Schade, dass ich nach nur einem Tag wieder gehen muss. Gern wäre ich heute Abend im Nachtleben an der Elbe verschwunden. Aber das nächste Auswärtsspiel kommt bestimmt. Um 19.45 Uhr fährt der ICE in Richtung Ruhrpott zurück. Auch diesmal gibt es zwei Sitzreihen vor mir interessante Neuigkeiten: Irgendeine Bärbel weint, weil irgendetwas "ganz furchtbares" passiert ist. Mein Gott, so schlimm ist es doch auch nicht, dass wir nur einen Punkt geholt haben.... okay, über den VfL wird sie wohl nicht gesprochen haben. Meinen toten Punkt erreiche ich zwischen 21 Uhr und 21.30 Uhr, also zwischen Bremen und Osnabrück. Zur Ablenkung pfeife ich mir einen heißen Kakao und ein Gummi-Croissant (schmeckt nicht wirklich echt) für 3,70 Euro rein. Ein teurer Tag.
In der Dunkelheit steige ich aus und beende routiniert mein 244. VfL-Spiel.
Grau ist nichts mehr.

Das Spiel
 
Einlauf-Bild 1 Einlauf-Bild 2 Nach der Halbzeit - waaarten...
Sie laufen ein und - glaubt es mir - ich habe die Einmarschmusik nicht verstanden. War ne scheiß Anlage in dem Laden! Naja, dafür habe ich dann zwei Bilder vom Einlaufen geknipst, quasi als Entschädigung! "Ooooohne Bochum wär hier gar nichts looooooos!" Also ganz alleine waren wir dann aber doch nicht auf dem Platz!
Toooor durch Sören Colding! Ohne Bochum wär hier gar nichts los! Neururer!
Hach is dat nicht schön? Da schießt der Sören Colding einmal in seinem Leben ein Tor, und damit macht er so viele Menschen glücklich! Am Ende gibt es einen Punkt für uns - und die Spieler bedanken sich zurecht. Die Stimmung war wirklich gut bei uns. Na und er darf auch nicht fehlen und muss seine Däumchen in die Luft recken: Peeeeeter Neururer schalalalalalalalala!

Schilder
 
Hauptbahnhof Jungfernstieg An den Landungsbrücken raus
Da begann alles und ging alles zu Ende: Am Hamburger Hauptbahnhof! Auch da bin ich gewesen, nämlich an der Alster entlang spaziert, um dann in der S-Bahnhaltestelle am berühmten Jungfernstieg zu gelangen! "An den Landungsbrücken raus - dieses Bild verdient Applaus..." - ein Insider für KETTCAR-Hörer!

Hamburg
 
Andi in der Dunkelheit! Der Anker! Der Hamburger Hafen in der Nacht! Das Rathaus!
Ziemlich deutlich undeutlich, gell? Auch die nachträgliche Helligkeit bringt nicht viel. Eins ist klar: Der Depp auf dem Bild bin ich! Das ist der Anker am Hamburger Hafen! Aufgenommen aus familiären Gründen - das ist ein echter Ernst-Insider, nicht wahr Dad? Gaaaaaanz viele Lichter! Der Hafen! Das Rathaus in der Innenstadt wird bald neu besetzt: Hamburg befindet sich im Wahlkampf! 

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VfL Bochum - FC Bayern München 1:0 (14.2.2004)

Anzeigetafel !

Das erste Mal an Weihnachten und Geburtstag zusammen

Die Helden!

Gegen Bochum kann man mal verliern

Das Tor in der Sportschau!

So etwas erlebe ich nur einmal in meinem Leben.
Es gibt sie, diese Bögen mit den äußerst blöden Fragen. "Wie war Dein erstes Mal?" "Was war Deine erste CD?" undsoweiter. Würden solche Fragebögen auch an Fußballfans verteilt, stünde eine weitere Frage drauf. "Wie war Dein erster Sieg gegen Bayern?" Bisher konnte ich nicht mitreden. Bisher. Denn, glaubt es mir oder nicht, tatsächlich kullerte mir heute um 17.25 Uhr eine Freudenträne über die Wange. Zwar eine nur, aber inmitten der lautesten "Oh, wie ist das schön"-Gesänge, die wir VfL-Fans seit UEFA-Cup-Zeiten ins knisternde Ruhrstadion-Gebälk gebrüllt haben, hat´s mich erwischt. In meinem 12. Spiel haben wir endlich die Bayern geschlagen. Endlich. Kanns nicht fassen. Ich glaub wenn ich zu Hause bin, dann schalte ich den Videotext an. Rufe Tafel 252 auf, die mit den Ergebnissen. Und die bleibt die ganze Nacht. Wenn ich dann mal aufwache - denn ruhig schlafen kann ich ganz bestimmt nicht - dann schleiche ich einfach ins Wohnzimmer, blinzle auf das TV-Gerät, und vielleicht wird mir dann klar, dass dies ein ganz besonderer Tag in meiner VfL-Karriere ist. Ich kann es spüren, bis in jede einzelne Haarspitze (und ich habe verdammt viele Haare), bis in den letzten Winkel meines Körpers... diese befreiende Jubelschreie um 17.25 Uhr, diese Implosion in meinem Körper, dieses ekstatische V-F-L-Gebrülle. Wir haben es geschafft. Wir kleinen Bochumer haben die großen Bayern einfach mal so mir nichts dir nichts mit 1:0 vom Platz gefegt.
Direkt nochmal auf den Videotext gucken. Ja, es stimmt. 1:0. Peter Madsen, 8. Minute.
Dass Spiele gegen den FC Bayern etwas Besonderes sind, habe ich vor einem Jahr schon geschrieben, es sei aber noch einmal erwähnt. Es sind die Spiele, die Du Dir Wochen, quatsch, Mooooonate vorher schon im Kalender anstreichst - und egal was passiert, Du guckst es Dir an. Die Arbeit ruft? Nee, geht nicht. Du hast einen Tag vorher die Traumfrau kennengelernt? Tut mir leid, Bochum spielt gegen Bayern. Du könntest für lau nach Australien fliegen? Keine Chance... Es sind die Nächte, in denen Du nicht gut schlafen kannst. Freitagabend, zu Hause, so viel zu tun, und doch einfach nur die Zeit tot schlagen. Du bist nicht müde, und doch. Gehst dann schlafen und bleibst irgendwie wach. Und wenn dann am nächsten Morgen der Wecker klingelt, dann ist sowieso alles zu spät. In den letzten Jahren schwand dieses besondere Gefühl aber immer mehr. Denn zu deutlich waren die Niederlagen (0:3, 1:4, 1:4) und zu schnell entschieden die Spiele. Doch diesmal... ja diesmal ist alles anders. Zum ersten Mal überhaupt habe ich das Gefühl, das wir was ausrichten können. Wenn wir eine Chance haben, dann heute.
Vor lauter Nervosität nehme ich einen Zug eher. 13.21 Uhr Abfahrt am Mülheimer Hauptbahnhof. Und schon jetzt Bayern-Fans überall. Einmal mehr stelle ich fest, dass 75 Prozent der Bayern-Fans unter zwölf sind. Gut, dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, aber es stört halt doch gewaltig. Irgendwie. Denn da der Anteil der jüngeren Fans wirklich so proportional hoch ist (na klar, fast jeder kleine Junge sucht sich den Verein aus, der in der Tabelle am höchsten steht), sollte dem Klub eigentlich eine pädagogische Funktion zukommen... am besten, ich führ den Gedanken nicht zu Ende. Gegenüber unterhalten sich zwei Bayern-Fans. So würde ich niemals reden. Die haben eine Bild-Zeitung in der Hand, starren auf die Tabelle und diskutieren über die heutigen Spiele. Dabei kommen sie gar nicht mal ansatzweise auf die Idee, den Sieg der eigenen Mannschaft anzuzweifeln. "Stuttgart holt nur einen Punkt, Leverkusen und Bremen verlieren, dann sind wir wieder dran." Ey wie heftig ist das denn? Mehrfach schüttele ich den Kopf. 20 Minuten später in der Kurve blicke ich dem Transparent "Herz und Seele gegen Geld und Arroganz" entgegen. Wie wahr, wie wahr.
14.10 Uhr, noch 80 Minuten bis zum Anpfiff, und vor der Kurve ist es rappelvoll. Bereits zwei Tage nach Beginn des Vorverkaufs waren alle Karten weg. "Vor dem Stadion", verrät mir Gerd zur Begrüßung, "werden die Karten auf dem Schwarzmarkt mit 100 Euro gehandelt." Wie bitte? Es dauert nicht lange, und im Stadion ist es richtig eng. Dicht an dicht stehen die Fans, und leider ist unsere Gruppe nicht komplett. Denn noch etwas ist störend an solchen Spitzenspielen. Du siehst lauter Fans in der Kurve, die - zugegeben - laut mitbrüllen, aber eben nur in den Spielen gegen Dortmund und Bayern. Die dafür gern den Top-Zuschlag blechen, aber sich die leichteren Aufgaben gegen Frankfurt oder Rostock lieber zu Hause bei Premiere angucken. Leute wie Sam und mein Bruder hingegen, die immer, wenn sie grad können, mitkommen, bei Wind und Wetter und egal gegen wen, die stehen draußen vor der Tür. Ziemlich ungerecht das Ganze. Spiele gegen Bayern sind was Besonderes - aber leider nicht nur positiv.
Nervös genug sind Gerd und ich auch ohne den Rest der Gruppe. Olli Kahn kommt und macht sich warm, danach noch unser Torwart. In der Aufstellung gibt es keine Überraschung. Dieselben Jungs wie letzte Woche in Hamburg laufen bei uns auf. Hoffentlich setzt der Pidder nicht auf eine Angsthasen-Taktik. Wir unterhalten uns in all der Hektik über Urlaub. Gerd und seine Frau verschwinden bald nach Lanzarote, bei mir dauert es wohl noch bis September. Diskussionen als Zeitvertreib. Von hinten werfen pubertierende Kinder mit zerknüllten Seiten des Stadionhefts. So´n Scheiß, ich hätte das gern gelesen! Bereits um 14.10 Uhr waren alle Heftchen weg. Egal. Aufstellung. Bei Bayern sitzen Linke, Jeremies und Santa Cruz auf der Bank. Bei uns Bemben, Meichelbeck und Vriesde. Das Transparant "Herz und Seele gegen Geld und Arroganz" hängt hoch in der Luft.
Luft holen. Einaaaatmen... Ausaaaatmen... puuuuuuhhh... ganz ruuuhiiig. Anpfiff... die Jungs sind heiß... gehen hohes Tempo... Zdebel foult nach 60 Sekunden, schubst, jaaaa, schön aggressiv! "Vor einem Jahr lagen wir um diese Zeit schon 0:3 zurück", unke ich zu Gerd. Zweckoptimismus. Zweck? Nein, denn es lässt sich gut an. Mit all dem Selbstvertrauen und der großen Klappe unseres Trainers im Rücken rennen wir an. "Sieht gut aus", rufen wir uns alle zu. 15.38 Uhr... Kovac passt fehl auf Freier. Paule, mach einmal in dieser Saison was vernünftiges! Paule läuft quer durch die Bayern-Hälfte, ein Paaaaasss, herrrrrrrliiiiich, Madsen ist durch, spiel ihn aus, spiel ihn aus, spiel ihn aus, ja ja ja ja ja JAAAAAAAAAAAAAAAAA! TOOOOOOOOOOOOOOOOOOORRRRRRR! Herzt mich alle! Alle zweiunddreißigtausend! Herzt mich! Die Welt gehört miiiiiiirrrr! "Der Torschütze mit der Nummer neeeeeeeun: Peeeeter M A D S E N !!!" Schnell die Anzeigetafel fotografieren. Wer weiß, wie lange dieser Spielstand anhält?
Wir reiben uns alle verwundert die Augen, während wir nahezu unaufhörlich "V-F-L" brüllen. Die Führung ist verdient. So schwach habe ich die Bayern im Ruhrstadion noch nicht gesehen. Unser Torwart, der übrigens mit einem gebrochenen Mittelfinger spielt, muss nur einen Schuss in 45 Minuten abwehren. Und Bayern spielt in anderthalb Wochen gegen Real Madrid. "Wenn die da so auflaufen", mutmaßt Gerd, "dann gibt´s richtig Senge!" Unser Trainer hat nicht nur eine große Schnauze, sondern auch gut aufgestellt. Bei Standardsituationen für Bayern übernimmt Oliseh den Makaay. Drecksack gegen Drecksack, das passt. Damit die Bayern keine kurzen Ecken ausführen können, stören gleich zwei Bochumer früh. Gut so. Madsen, Freier und Hashemian rochieren wie in den letzten Wochen häufig. Klasse. Zdebel holt im defensiven Mittelfeld fast jeden Ball - sensationell. Edu fügt sich links hinten in der Viererkette glänzend ein. Alle gehen ein hohes Tempo und ohne Respekt in die Zweikämpfe. Und Bayern? Nur passiv. 15. Minute Kopfball Hashemian nach einer Ecke - gehalten. 30. Minute Volleyabnahme Madsen nach Hashemian-Flanke, knapp vorbei. Chancenverhältnis 3:0 in einem - wirklich - einseitigen Spiel. Tina schickt eine sms: "Zitat Sport 1: Die Bayern-Spieler treten nun nach allem, was sich bewegt - und das ist beim VfL einiges!" Hashemian checkt Zé Roberto über die Tribünen-Bande; fast wie beim Eishockey. Einige Spieler mähen sich böse um. Es ist was drin. Aber nix los mit den Bayern... Egaaaaal! Pausenpfiff, 1:0, ganz ganz lauter Beifall und Jubel, weil Leverkusen zurückliegt. Die sind Vierter. Sollte es für uns noch weiter nach oben gehen? Die Stationettes tanzen, wir träumen. "It´s just a thought, only a thought", säuselt Dido in ihrem Lied "Life for rent" durchs Stadion.
Sollte es klappen? Nach 17 Jahren mit dem VfL endlich der erste Sieg gegen Bayern? Findet die lange Reise auf der Suche nach dem perfekten Spiel endlich einen neuen Höhepunkt, einen neuen Gipfel? Es sieht gut aus, es sieht gut aus, es sieht gut aus. 1:0 für Herz und Seele gegen Geld und Arroganz (ich muss das nochmal erwähnen). Das ist der deutsche Rekordmeister! Der Verein, der vor zwei Jahren noch den Weltpokal gewann. Da steht der beste Torhüter der Welt zwischen den Pfosten. Die haben vor der Saison für 18,75 Millionen Euro einen Stürmer namens Makaay gekauft, und der kriegt bei uns keinen Stich. Wir kleinen "Dödels" haben die im Sack. Leider hat Bayerns Coach Hitzfeld einen kleinen Blick auf seine Ersatzbank geworfen, Sagnol durch Santa Cruz ersetzt, und schon geht es nur noch in eine Richtung. Leider in die falsche. Das Zittern geht wieder los. 45 Minuten noch überstehen. Nur 45 Minuten. Die Bayern werden besser, wir schwächer. Unseren geht einfach die Puste aus. Zé Roberto fasst sich ein Herz, knallt aus 25 Metern drauf, VAN DUIJNHOOOOOVEN... zur Ecke... puuuuuh... Startschuss für die Schluss-Offensive? "Pidder, wechsel doch aus!", rufen wir vereint. Der Wosz trabt nur noch. Bring den Stevic! Und Neururer wechselt auch... aber Madsen aus und Diabang ein. Stürmer für Stürmer? Eine ganz schön kranke Entscheidung. Bayern bleibt überlegen... Schweinsteiger auf Pizaaarrrooo... wieder van Duijnhoven. Blick auf die Uhr. Noch 25 Minuten überstehen. Nächster Wechsel... Wosz geht endlich, jawoll Stevic. Stevic? Neeee, der bringt den Wikinger. Den Thoddi Gudjonsson! Ein Offensiver für einen Offensiven. Nochmal sehr mutig... Was kommt, ist die Entlastung. Zwei/drei Ecken, nix dolles, einmal klärt Kahn knapp vor Thoddi... und dann? Ein Tor von Momo Diabang, aber Abseits. Ein neuer Sprechchor, ein richtig guter, wird angestimmt: "Geeeeegen Bochum kann man mal verliiiiern! Gegen BOCHUM kann man mal verliiiern!" Das neue Selbstbewusstsein? Bewusst eingesetzte Selbstironie? LAUTER LAUTER LAUTER !!! SINGT ALLE MIT !!!
Der Schlusspfiff rückt näher. Also verlieren werden wir das Ding wohl nicht mehr. Unentschieden - wär auch schon ein Hammer! Dritter Wechsel bei uns, und das ist wohl der bescheuertste von allen. Slawo Freier muss zwei Minuten vor Schluss runter, und Meichelbeck kommt. Sein erster Einsatz in dieser Saison, in den letzten Minuten beim Stand von 1:0 gegen Bayern. Das KANN JA NUR SCHIEF GEHEN! Freistoß für Bayern, Nachspielzeit. Harakiri. Kahn mit vorn. Unsere probieren diese dämliche Abseitsfalle wieder aus. Salihamidzic köpft rein, doch die Fahne des Linienrichters ist oben. Also das möchte ich im Fernsehen noch mal sehen. Die Uhr tickt und tickt und tickt, kann es kaum noch erwaaaarten... und JAAAAAAAAAAAAAAAAAA... AUUUUUUSSS! Gewonnen. 1:0 gegen die Bayern. Eliminiere meine Statistik für immer aus meinem Kopf. Da ist er, der Sieg gegen die Bayern, den ich seit 17 Jahren herbeisehne. Für diese Momente bin ich Fan. Wenn Du und um Dich rum alle einfach nur austicken, wenn alle "Wir wollen Euch tanzen seeeehn" brüllen, wenn die Spieler nicht nur die Welle machen, sondern auch den Bauchfletscher vor der Tribüne, wenn unser Trainer Peter Neururer mittanzt, wenn ein Ultra-Mann den Bayern seinen nackten Arsch zeigt, wenn zahlreiche sms kommen, mit dem gleichen Inhalt (Nummer 1: "Olé olé. Heute ist wohl Weihnachten und Geburtstag zusammen für Dich!", Nummer 2: "Geil geil geil. Lass Dich umarmen. Das ist der Hammer!", Nummer 3: "Alter, was für ein Sieg!"). "Oooooooh wie ist das schöööööööööön, soooowas hat man lange nicht geseeeeehn". Ekstase.
Ja, wirklich: So etwas erlebe ich nur einmal in meinem Leben.
Nur muss ich mir nun für die Rubrik "Erster Sieg gegen..." einen neuen Gegner suchen.
Wie wärs mit Real Madrid?

Spielszenen
 
8. Minute, Peeeter MADSEN!!! Das Spiel läuft... Die Cheerleaders tanzen!
So schnell geht das... 8. Minute, 1:0 für uns! FÜHRUNG! In der ersten Halbzeit: Immer wieder rennen sich die Bayern fest, hier gegen Oliseh (Nr. 4), Fahrenhorst (15) und Zdebel (8). Halbzeit, 1:0 für uns. Beim Verschnaufen helfen uns die Cheerleader!
Freistoß für uns heißt: Entlastung! Und noch ne kranke Auswechslung Da guckt der Olli blöd!
Zweite Halbzeit, Olli Kahn steht bei uns in der Kurve. Freistoß für uns, aber nur ein Entlastungsangriff! Die dritte kranke Auswechslung unseres Trainers: Zwei Minuten vor Schluss kommt beim Stand von 1:0 Meichelbeck zu seinem ersten Saisoneinsatz! Und der Olli guckt nur blöd!

Drumherum
 
Noch steht es 0:0... Auf der Tafel steht Pappen hoch... Wir zeigen Euch den NACKTEN ARSCH! Naja, Pidder hält die Hose an!
Immer was Besonderes, diese Spiele gegen die Bayern. Über 32.000 Zuschauer, alle bis ins letzte Detail angespannt. Aber wer ist auf diese Idee gekommen? Total panne, diese Chereographie. Und dann steht auch noch "Pappen hoch" auf der Anzeigetafel!! Das Spiel ist aus, und wir haben den Bayern unseren nackten Arsch gezeigt. Unser Trainer bleibt artig und behält seine Hose an!

Die Sportschau...
Danke an Daniel Mühlenfeld für die edlen Bild-Spenden!
 
Vorher... Waldi in Bochum Kurz vorher.....
Helau... zum ersten Mal in dieser Saison haben wir es in der "Sportschau" zum SPIEL DES TAGES geschafft. Danke an Frau Lierhaus und den Rest! Und das beschert uns direkt den Auftritt von Waldi "Scheißdreck" Hartmann vor der Ostkurve! ... und außerdem sensationelle Standbilder, wie zum Beispiel Peter Madsen den Olli Kahn ausspielt...
Noch kürzer vorher! Da steht´s im Videotext TABELLEEE!
... und dann per Grätsche zum 1:0 vollstreckt! Im Videotext sieht das Ganze natürlich umso schöner aus! Und am allergeilsten ist immer noch die Tabelle!

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Bayer Leverkusen - VfL Bochum 1:3 (21.2.2004)

Wir wolln die Mannschaft sehn!

Hört das Glück denn niemals auf?

Und wieder ne Anzeigetafel mehr!

Außer Rand und Band

Wir sind nicht mehr zu halten!

Hoffentlich hört dieses Glück niemals auf. Hoffentlich. 17.21 Uhr, das Spiel ist gerade vorbei. Schaut Euch die Spieler an... sie fallen sich in die Arme, klatschen ab, und kommen in einer Polonaise Richtung Fankurve. Zdebel vorneweg, und dann die anderen. Zeigt mir eine andere Mannschaft, die das auch bringen würde. Jungs, wir alle sind unheimlich stolz auf Euch. Auf uns. Auf den Trainer. Ein einziger großer zufriedener glücklicher Klumpen. "Ey scheiße Alter schon wieder gewonnen. Langsam reicht´s", flucht jemand hinter mir, um dann seinen Schal über meinem Kopf in die Luft zu recken: "Sooooooo ein Taaag, so wunderschöööön wie heuuute". Ich mach mit. Die Spieler tanzen. Wir tanzen. Wir brüllen "Die Nummer 1 im Pott sind wiiiir", die Jungs auf dem Rasen stimmen ein. Oliseh schnappt sich eine blau-weiße Fahne und hält sie in den Wind. "Geeeegen Bochum kann man mal verliiiieeeern!" Dieses Glück. Dieser Kloß in meinem Hals. Es ist ein Kloß, den ich niemals runterschlucken möchte. Einfach alles gerät außer Rand und Band. Wo soll das hinführen?
Gestern habe ich mir eine CD gebrannt. Damit der Brenner meines neuen Laptops nicht so schnell rostet. Als erstes Lied war schon lange "Almost happy" von K´s Choice eingeplant. Ein melancholisches, romantisches, ruhiges Stück, für die sensiblen Momente im Leben. Auswärtsspiel in Leverkusen? Sensibel? Da war doch was im letzten Jahr... August 2002... 4:2-Auswärtssieg... "Those were the best days of my life"? "Und schon wieder Spitzenreiter VfL"-Sprechchöre? Es geht zum "Lieblings-Auswärtsspiel", unkten wir alle letzte Woche nach dem historischen Debakel für die Bayern, und ich höre zur Einstimmung einschmeichelnde, ruhige Musik, die meine Seele streichelt. Mit den Gedanken ganz woanders, mit den Gedanken im Urlaub, als es am Düsseldorfer Flughafen vorbeigeht. Mit den Gedanken noch beim Bayern-Spiel. Nein, Andi, konzentrier Dich auf Leverkusen... auf Bayer... ein neues Spiel. Immer noch Fünfter, immer noch die Nummer eins im Revier, und hier haben wir doch eigentlich immer gut ausgesehen. Mensch Andi, Leverkusen ist doch so etwas wie dein heimlicher Lieblingsgegner... Lied zwei auf der CD ist "Sing" von Travis. "But if you sing siiiiiing sing sing siiiiiing sing". Singen, einfach nur singen. Das hilft immer.
Und ein Spaziergang durch Deutschlands überflüssigste Stadt hilft sicherlich auch beim Aufbau meiner ganz eigenen Konzentration aufs Spiel. Vor anderthalb Jahren, ich erinnere mich, bin ich nicht gut mit Leverkusen umgegangen. Andi, jetzt achte doch mal auf das Positive, lautet mein Vorhaben, als ich um 13.21 Uhr mit Stöpseln und dem sensationellen "Someday" von den Strokes im Ohr das Grau in Grau par exzellence betrete. Leverkusen... eine Stadt, die erst nach der Firma (Bayer) entstand. Eine Stadt, die ihre Einwohnerzahl-Statistik (160.000) nur durch Eingemeindungen nach oben korrigieren konnte (die armen Dörfer, die seit 1975 ein "Leverkusen" vor sich tragen, tun mir richtig leid). Eine Innenstadt, die am Reißbrett konzipiert wurde und durch ihre unfassbare Eintönigkeit langweilt. Das Rathaus ist an verwaltungsarchitektonischer Langeweile nicht zu überbieten. Ein einziges Denkmal in der Stadt zeigt den Chemiker Carl Leverkus, der nicht ganz unschuldig an der Entstehung der Stadt war. Es steht im Schatten des - natürlich - Bayer-Kaufhauses. Nichts will wirklich gelingen in Leverkusen. Eigentlich heißt es, das Rheinland - dazu zählt Leverkusen geographisch irgendwie - spiele verrückt am Karnevals-Wochenende. Und? Ein paar Verkleidete, ein winziger Stand der "Roten Funken". Ansonsten sind die Leverkusener wohl nach Köln oder Düsseldorf geflohen. Na klar. Die Züge der DB machen einen großen Bogen um Leverkusen. Der "Hauptbahnhof", der nicht mal so, sondern "Leverkusen Mitte" heißt, ist nur das Ziel für S-Bahnen oder Regionalexpresse. Hihi, selbst in Mülheim halten IC´s und ICE´s... aber nicht in Leverkusen, durch das nicht einmal ein großer Fluss, sondern nur die Dhünn fließt. Der große Fußballverein der Stadt - natürlich Bayer - hat es sowieso schwer in Deutschland. Zurecht. Sportlich läuft der Klub seit Ewigkeiten dem Meistertitel hinterher und hat daher mit immer lauteren "Ihr werdet niiie deutscher Meister"-Sprechchören zu kämpfen (das wäre eine lustige Meisterfeier - vor 5000 Menschen), das Image in Fankreisen ist desaströs. Der Leverkusener an sich hat es noch schwerer. Idyllische Ansätze wie ein ruhiger Häuserblock werden durch hässliche graue Betonklötze um die Ecke direkt zerstört. Schau nach bei Wolfsburg: Eine alternative Kultur ist weit und breit nicht zu sehen. Und sagt mir einen, der richtig froh darüber ist, in Leverkusen aufgewachsen zu sein. Gibt es den wohl? In einer Stadt, die sich mit der eigenen Verantwortung für den zweiten Weltkrieg nicht angemessen auseinandergesetzt hat!?! In einer Stadt, deren Gebiet bestimmt zu 50 Prozent aus Firmengelände besteht?
Meine selbst gebrannte CD ist inzwischen bei "Siehst Du das genauso?" von den Sportfreunden Stiller gelandet, und beim Spaziergang durch das Leverkusener Forum in der City formuliere ich schon meinen Abgesang auf dieses Niemands-Örtchen. Ich bin angekommen, bin bereit für das Spiel, sehe blau-weiß gekleidete VfL-Fans. Ja, jetzt ist es da, dieses Kribbeln, jetzt ist es abgehakt, das Bayern-Spiel. Durch einen Leverkusener Wald geht es, in Richtung Sportpark, an Anlagen für alle möglichen Sportarten vorbei, auch am kleinen Flüssken - der eben erwähnten Dhünn - bis zum Stadion. Pünktlich, 14.30 Uhr, noch eine Stunde bis zum Anpfiff, und ein Ordner bestätigt meinen negativen Eindruck von der Stadt. Wie bei allen anderen Auswärtsspielen auch, trage ich meine schwarze Umhängetasche, gefüllt mit CDs, der Digitalkamera sowie mit zahlreichen Blöcken und Zeitungen. "Tut mir leid", faselt der Security-Arsch mit Heiner-Brand-Gedächtnisbart, "ich kann Sie damit nicht reinlassen. Das verstößt gegen die Brandbestimmungen." "Wie jetzt? Ich bin damit ÜBERALL reingekommen!" "Ja, Sie könnten aber damit einen Brand anzetteln!" "Sehe ich so aus?" "Ja tut mir leid. Entweder Sie geben es ab oder..." "Jajaa, schon gut." Unglaublich. Wie war das noch mit der Kriminalisierung der Fans?
Alle sind sie da. Ein VfL-Fanklub hat sich komplett in Krankenpfleger/-schwesterkluft geschmissen... herrlich... als die Spieler den Rasen betreten, sind nur die fast 2500 VfL-Fans und vereinzelt Leverkusener im Stadion. "Ohne Calmund wär das Stadion leeeer", schmettern die ersten. Schmeiße mir eine Bratwurst und nen halben Liter Cola in den Mund. Die Stimmung ist gut. Locker. Gelöst. Hey, wir haben letzte Woche die Bayern geschlagen. Und so treten wir auch auf. Dieselben 18 wie letzte Woche stehen im Kader. Der Bönig hat also Pech gehabt. Edu spielt wieder links hinten. Ansonsten die üblichen Helden: van Duijnhoven, Colding, Kalla, Fahrenhorst, Oliseh, Zdebel, Wosz, Hashemian, Freier, Madsen. Mein Bruder Thommy sitzt bei mir zu Hause und guckt Premiere. In Gedanken schlagen wir um 15.30 Uhr ein, um uns und den Jungs Glück zu wünschen, als der Schiri anpfeift. Hinter mir zwängt sich ein Fan durch, um zu seinem Fanklub zu gelangen. "Entschuldigung junge Frau", stupst er mich an. Ich dreh mich um, er lacht. "Egal", schmunzle ich mit. "Passiert mir häufiger." Gedanken über Slavo Freier. Unser Paule wird bald seinen Wechsel nach Leverkusen bekannt geben, wahrscheinlich wegen der "größeren sportlichen Perspektive für die WM 2006". Hallo Perspektive. Letztes Jahr 15., und jetzt schon wieder auf dem absteigenden Ast. Er selbst muss es wissen. Diese Mit-Geld-um-sich-Schmeißerei macht den Verein noch unsympathischer. Wegen der Stadt kommt keiner. In den VIP-Logen lassen sich die ach so wichtigen Menschen den Kaviar und den Champagner schmecken. Wir alle bekommen ein Champagner-Spiel zu sehen. Eins der besseren, der intensiveren Sorte, weil beide Trainer offensiv aufgestellt haben. Zunächst kommt Bayer, innerhalb von 45 Sekunden haben Fritz und Franca Riesenchancen, doch jeweils hält unser Torwart (10.). Dann wir... Freier über rechts, ein Schlenker, uuuuunddd... vorbeiiii... neeeein! Fünf Minuten später, in der 30., Flanke auf Madsen, der Ball verspringt, Madsen bekommt ihn aber noch, flaaankt, Freier - verpasst! Die Stimmung ist erstklassig. Es ist tatsächlich unser aller Lieblings-Auswärtsspiel. "Wir ha´m nen Heimspiel beim Dicken!", rufen wir also laut. Die Viererketten beider Mannschaften haben Schwachstellen. Nowotny bei Bayer, Edu bei Bochum... beide werden wohl zur Halbzeit rausmüssen. Ein kurzweiliges Gute-Laune-Schunkel-Spiel. Dem die Tore aber noch fehlen. Thommy ruft an. Mensch, ich bin über Handy noch nie aus meiner eigenen Wohnung angerufen worden. Egal. "Ich bin zufrieden", sage ich. "Der Reporter sagt, Bochum hätte auch führen können", meint Thommy. Spielnote 2,5. Mindestens.
Meichelbeck kommt für Edu. Es wird zittriger, aber nur emotional; für die physische Wärme sorgen die Wärmestrahler. Sieben Minuten gespielt. Freistoß. Aus 20 Metern. Halbrechte Position. Oliseh, Wosz und sogar Meichelbeck stehen bereit. Ein Schuuuuusssss, abgefälscht, liiinks DRINNN! Unglaublich. Unfassbar. Tor durch Meichelbeck. Ich höre in meinem Hinterkopf den Premiere-Kommentator in der Konferenz "TOOOOOOOOOOR IN LEVERKUSEN" brüllen und sehe parallel den Psychologie-Studenten Meichelbeck voller Ekstase davonsprinten. Heyaaa, welch ein Tag. "Geh Lotto spielen, bei dem Glück", sms-t Kumpel Helmut. Kaum ausgejubelt, nächster Freistoß, in etwa selbe Stelle, am rechten 16-Meter-Raum-Eck. Wosz steht da, wird wohl flanken... Tuts auch, der Ball trudelt und trudelt und trudelt - und ist?!?!?!?!?!? DRINNNNN! 2:0, jaaaaaa, laute "DARIUSZ! DARIUSZ! DARIUSZ! DARIUSZ!"-Sprechchöre, er kommt in die Kurve, wie alle Spieler... ich sehe interaktiv die Gesichter der Schalke-Fans, wie sie staunend das Zwischenergebnis via Videowürfel erfahren. Wir aus Bochum mischen die Liga auf. "Geeeegen Bochum kann man mal verliiiern!", "DIE NUMMER 1 IM POTT SIND WIIIR", "V-F-L, mein Heeerz schlägt nur für Diiiich!" Gute Laune. "Ihr seid nur Auswechselspieler! Auswechselspiiiieler", brüllen wir den sich warm laufenden Bayer-Kickern entgegen. Bei Bayer spielt Lucio mit, ein Weltmeister. Und Schneider, der unsägliche Ramelow und Neuville, die im WM-Endspiel für Deutschland von Beginn an spielten. Schneider kommt sogar erst nur zur zweiten Halbzeit.. Auch sonst nur Nationalspieler. Wie Babic, Nowotny, Juan. Oder Berbatov. Huch, der spielt mit und köpft urplötzlich das 1:2 in der 63. Wird es noch einmal spannend?
Nee, wir sind zu gut, zu abgebrüht, zu fair, zu schnell. 68. Minute, Juan grätscht Hashemian den linken Schuh aus, böses Foul - Gelb-Rot. Überzahl. Leverkusen fernschießt dreimal halbwegs gefährlich, wir kontern effektiv: Wosz mit Zuckerpässchen auf Diabang: 3:1. Extra-Tänzchen der Afrikaner, Kniefall von Wosz und Diabang, unglaubliches Rumgejuble auf den Rängen, das war´s, wieder gewonnen, 3:1. Der Rest ist eine einzige Demütigung für Bayer. Auf dem Platz sowieso, weil die Bayer-Spieler kaum noch den Ball berühren. Lucio knallt den Ball einmal extra auf die Tribüne, obwohl der Schiri längst abgepfiffen hat. Aus Frust. Macht Gelb. Unsere Leistung ist perfekt. Sören Colding zaubert, was ihm laute "Sööören-Colding"-Sprechchöre einbringt. Oliseh und Zdebel räumen im defensiven Mittelfeld unheimlich auf. Wosz erwischt einen Sahnetag und wird bei der Auswechslung bejubelt wie lange nicht mehr. Madsen macht kurz vor Schluss fast das 4:1. Wir sind nur noch drei Punkte hinter einem Champions-League-Platz. Ich darf nicht dran denken. Demütigung gibt es auch von den Rängen. Nach dem Abpfiff sind fast alle Bayer-Fans verschwunden. Die Mannschaft feiert, der Trainer gibt Interviews. Er lässt keine Fernsehkamera aus, geht an keinem Mikrofon vorbei. "Wir wolln den Träääääner seeehn!", "Kooooommm... koooommm... kooooom" und "Scheeeeiß Reporter!" erschallts, bis Herr Neururer endlich kommt. Er schnappt sich beschwingt ne VfL-Fahne und laolawellt mit uns.
Hoffentlich hört das Glück niemals auf.
Genieße den Augenblick. Genieße die Gegenwart. Genieße die Tabelle. 36 Punkte, also absteigen werden wir wohl nicht mehr. Der Vorsprung vor dem neunten Platz ist beträchtlich. UI-Cup in Reichweite. Genieße diesen Tag, diese unglaubliche Stimmung. Diese Laune, diese Lacher, dieses sehr gute Fußballspiel, diese Tore. Lasst es niemals enden... niemals! Gibt es schönere Momente als die Hormon-Entladung ist der Millisekunde nach einem entscheidenden Tor für Deine Mannschaft? Frag alle Fußballfans und Du wirst feststellen: Nee, nicht wirklich. Genuss. Genießen. Lust. Fünfter Platz.
Bitte...
... lasst mich noch eine ganze Weile außer Rand und Band bleiben!

Das Spiel
 
Da ahnt noch keiner was... Martin hat den geilsten Schuss der Welt! DARIUSZ! DARIUSZ! DARIUSZ!
Ganz in Blau-Weiß, so wie es sich gehört! 1:0 durch Martin-hat-den-geilsten-Schuss-der-Welt Meichelbeck... ungläubiges Gebrülle in der Kurve! Aber unser Dariusz setzt drei Minuten später einen drauf... da wehen die Fahnen. Dariusz ist von einer solchen leicht verdeckt!
Momooooo ist ein Booochumer! Soooo ein Taaaag! Wir wolln die Mannschaft seeehn!
Highlight ist Tor Nummer drei: Der arme Butt-Butt-Butt kuckt bedröppelt auf den Boden, unsere Jungs jubeln wie die Irren! "Soooo ein Tag so wunderschööööön wie heeeeuuuuteee!!!!!" Völlig von Sinnen: Spieler und Fans tanzen und schreien um die Wette - mit Polonaise und allem Schnickschnack. Ist das nicht ein herrliches Bild?

... Leverkusen ...

Leverkusen werden im "Baedeker Deutschland" (973 !!! Seiten) insgesamt FÜNF (!) Zeilen gewidmet: "An die rechtsrheinischen Kölner Bezirke schließt in nördlicher Richtung die Stadt Leverkusen an, die durch ihre chemische und pharmazeutische Industrie bekannt ist. Östlich des Zentrums liegt beim Stadtteil Schlebusch das Schloss Morsbroich (1774), in dem das Städtische Museum Ausstellungen zur Malerei, Graphik und Skulptur des 20. Jahrhunderts zeigt".
DAS IST WIRKLICH ALLES, und in dem Baedeker wird ansonsten JEDER FURZ erwähnt! Im Internet heißt es, Leverkusen hätte 161.770 Einwohner (auf meiner Homepage lernt Ihr richtig was, gell?) - davon arbeiten rund 40.000 im Bayerwerk. Durch die Eingemeindung von Opladen, Bergisch Neukirchen und Hitdorf im Jahr 1975 stieg die Einwohnerzahl beträchtlich an. Die Historie der Stadt beginnt 1860 mit dem Chemiker Carl Leverkus, der seine Fabrik in Wiesdorf baute... so nahm die Tragik der Trostlosigkeit ihren Lauf! Die Fabrik "Bayer" kaufte 1891 das Firmengelände von Leverkus´ Söhnen und verlegte 1912 den Firmensitz dorthin. Die Stadt selbst wurde 1930 gegründet. Auf der städtischen Homepage werden die Jahre 1933 bis 1945 ausgeklammert.
Warum?
Ganz einfach: Die größten Chemiefabriken schlossen sich 1924 zur "IG Farben" zusammen, die im Krieg eine nicht unbedeutende Rolle hatte... Hier ein Auszug aus einem kritischen Artikel, gefunden im Internet:

"In der Zeit von 1933-1945 konnte die IG FARBEN ihr Firmenvermögen beträchtlich vermehren, nicht zuletzt aufgrund der Ausbeutung von ZwangsarbeiterInnen. Als die Alliierten den Konzern nach dem Krieg schließlich entflechteten, war BAYER Hauptprofiteur, denn dem Chemie-Unternehmen wurde mit AGFA und WEILER-TER MEER die gesamte ehemalige Niederrheingruppe der IG FARBEN zugeschlagen. Die von der IG in der Region gebildeten Schwerpunkt-Produktionen "Pharma" und "Agrochemikalien" boten der neugegründeten FARBENFABRIK BAYER "gute Startbedingungen", wie die "Meilensteine" unumwunden zugeben. Aus den Erfindungen, Entdeckungen und neu entwickelten Verfahren der IG-Ära wie Perlon, Synthese-Kautschuk, Lackrohstoffen, Sulfonamiden, synthetischen Gerbstoffen und der Silbersalzdiffusion schlägt BAYER bis heute Profit. So war das dunkle Kapitel für die Menschheit ein lukratives für BAYER."
Oder auch:
"Die BAYER- Jubiläumsschrift "Meilensteine" rühmt sich allen Ernstes noch damit, die SklavenarbeiterInnen "zusätzlich mit einer heißen Mittagssuppe verköstigt" zu haben - um sie schlussendlich mit dem IG FARBEN-Gift ZYKLON B umbringen zu lassen."
Nach der Beerdigung des damaligen Bayer-Chefs Karl Duisberg kondolierte Adolf Hitler:
"Die deutsche Chemie verliert in ihm einen ihrer ersten Pioniere und einen erfolgreichen Führer, die deutsche Wirtschaft einen ihrer großen Organisatoren. Sein Name wird in Deutschland in Ehren weiterleben."

Das große Bayerkreuz mit soundsovielen Lichtern erstrahlte erstmals im Februar 1933. Klingelts?
Dass sich der Konzern angemessen mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt oder eine angemessene Entschädigung an die Opfer und Hinterbliebenen bezahlt hat, ist mir nicht bekannt.
 
Sie haben ihm... ein Denkmal gebaut! Karneval in Leverkusen! E.T. kommt!
Er hat die Trostlosigkeit in Gang gebracht: Dem Stadt"gründer" Carl Leverkus wurde sogar ein Denkmal gewidmet. Wenn er wüsste, wie hässlich die Stadt geworden ist, würde er vermutlich sein eigenes Denkmal anpinkeln! Karneval im Rheinland? Aber eher nicht in Leverkusen! Ein sensationeller Stand der "Roten Funken"... Helau, da ist ja selbst in Mülheim mehr los... Ich wusste gar nicht, dass E.T. einen Nachnamen hat... in Leverkusen sind scheinbar Wahlen, und nur Außerirdische können vermutlich helfen.
Kleinstadtidyll Sehr hübsch, dieses Rathaus! BayArena
Aber auch das gibt´s: Fünf Fuß-Minuten von der "brodelnden" City entfernt liegt dieses angelegte Wohn-Viereck mit Grünzeug mittendrin. Wie idyllisch... Tja, und kaum verlässt man die Idylle, folgt das Symbolbild Leverkusens: Links vorn ein "Tauben füttern VERBOTEN"-Schild, rechts der Hinweis auf die Landesgartenschau 2005 (welche Witzfigur hat diese Veranstaltung in diese Stadt vergeben? Ich dachte, das Sprichwort heißt "KEINE Perlen vor die Säue") und im Hintergrund das architektonische Meisterwerk schlechthin - das Leverkusener Rathaus. Um wenigstens etwas bieten zu können, gibt es in Leverkusen MASSEN an Sportplätzen, unter anderem die BayArena. Aber die ist ganz in den Händen der VIP´s... Es gibt sogar Wärmestrahler unterm Dach!

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VfL Bochum - FC Hansa Rostock 0:0 (28.2.2004)

... ist im VfL-Tagebuch 2003/2004 - TEIL 5 nachzulesen !

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Hertha BSC Berlin - VfL Bochum 1:1 (6.3.2004)

... ist im VfL-Tagebuch 2003/2004 - TEIL 5 nachzulesen !

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VfL Bochum - Borussia Mönchengladbach 1:0 (14.3.2004)

... ist im VfL-Tagebuch 2003/2004 - TEIL 5 nachzulesen !

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1. FC Kaiserslautern - VfL Bochum 2:2 (20.3.2004)

... ist im VfL-Tagebuch 2003/2004 - TEIL 5 nachzulesen !

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VfL Bochum - FC Schalke 04 1:2 (27.3.2004)

... ist im VfL-Tagebuch 2003/2004 - TEIL 6 nachzulesen !

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VfL Bochum - TSV München 1860 4:0 (27.3.2004)

... ist im VfL-Tagebuch 2003/2004 - TEIL 6 nachzulesen !

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Eintracht Frankfurt - VfL Bochum 3:2 (15.5.2004)

... ist im VfL-Tagebuch 2003/2004 - TEIL 6 nachzulesen !

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VfL Bochum - Hannover 96 3:1 (22.5.2004)

... ist im VfL-Tagebuch 2003/2004 - TEIL 6 nachzulesen !

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Diese Seite wurde zuletzt geändert am 24.5.2004
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