VFL-TAGEBUCH: SAISON 2004 / 2005 - TEIL 2
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Die ersten Utensilien

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VfL Bochum - FC Hansa Rostock 0:1 (16.10.2004)

Anzeigetafel

Erfolg ist vergänglich - dem Fußball-Orgasmus vor fünf Monaten folgt das Nichts und  ein Nachmittag zum Schämen

In der FankurveIn der Fankurve... (v.l.) Sam, Krüger, Gerd

Bochum, wir haben ein Problem!

Opelrettung

Fünf Monate ist es her, dass ich mich freudestrahlend, siegestrunken, überglücklich und fassungslos an diesen Computer setzte und die Zeilen "Wir sind im UEFA-Cup" verewigte. Zwei Jahre lang war diese Homepage eine einzige Partyorgie, ein verbaler Fußballorgasmus, ein fortlaufender. Elf Pflichtspiele und einen Sommer später hocke ich auf meinem höhenverstellbaren Schreibtischstuhl, habe mich nach ganz unten gedrückt, ganz so, wie es meine Gemütsverfassung momentan will, und mir sprudeln die Worte wieder heraus. Aber diesmal bin ich nicht freudestrahlend. Nicht siegestrunken. Nicht überglücklich. Aber doch fassungslos.
Es ist das erste Mal, dass ich das Ruhrstadion nach "dem" Spiel betrete. "Dem" Spiel, dessen Name wir alle nicht mehr aussprechen wollen. In den letzten Tagen, in den letzten zweieinhalb Wochen habe ich Abstand gebraucht. Musste Zeit für mich gewinnen. Es klingt danach, als sei ich von der Liebe meines Lebens verlassen worden, und ein bisschen was davon hatte dieser Moment auch. Er hat so weh getan. So weh, dass mich dieses Tor in "diesem" Spiel bis in meine Träume verfolgt hat. Ich an der Stelle von Edu, und ich haaaaauuuuu den Ball weg, bis zum Hauptbahnhof, bis nach Essen, bis nach Mülheim, der Ball fliiiiiegt, und wir sind weiter. Ich wusste eine Sekunde später, dass ich diesen Moment in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Ein Moment, den mir niemand mehr nimmt. Was ist da nur passiert? Deprimiert schlich ich durch Turku, durch Stockholm, durch Mülheim. Ab und zu hämisch beklatscht, meist aber bemitleidet. Bitter, so bitter. Das "Bochum"-Lied von Grönemeyer höre ich eigentlich selten bis nie zwischen den Heimspielen. Zur Aufmunterung hörte ich es in den letzten Tagen täglich. Und das dreimal.
Okay, Neubeginn.
Der "worst case", der größte anzunehmende Unfall, das Schlimmste ist eingetreten. Raus aus dem UEFA-Pokal. Raus aus dem DFB-Pokal. Und in der Bundesliga stehen wir weit unten. Eigentlich können wir schon mit der Planung für 2005/2006 beginnen, absteigen werden wir wohl nicht. Es sei denn, ja es sei denn, wir schaffen nochmal... aber dann müssen wir heute damit anfangen. Heute, gegen Rostock, den Tabellenletzten, den vermutlich sicheren ersten Absteiger dieser Saison. Voller Tatendrang ziehe ich mein Kalla-Trikot über den Kopf, stopfe meine Digitalkamera in die rechte Hosentasche, und motiviere mich selbst, die Spieler, den Trainer, alle VfL-Fans: "LOS!!! HEUTE!!!" Muss das bescheuert aussehen. Huch, was ist das denn? Die aktuelle Stadionzeitung "Mein VfL" für das heutige Spiel steckt in meinem Briefkasten. Merkwürdig. Ist das üblich für Mitglieder? Wenn ja: Warum kriege ich die heute zum ersten Mal? Mitglied bin ich schon etwas länger! Egal. Gutes Omen? Schlechtes Omen? Gar kein Omen. Sortier dich, Andi, sortier dich. Wofür war das UEFA-Pokal-Aus gut, frage ich mich im Regionalexpress. Ich überlege und denke nirgendwofür. Dass wir alle wieder auf dem Boden der Tatsachen sind, ist zwar korrekt, aber wer will schon auf dem Bürgersteig der Tatsachen herumlaufen? Wo es doch in schwindelerregenden Höhen so schön ist? Der Bochumer Hauptbahnhof ist eine Baustelle. Wie der VfL. Und im U-Bahn-Tunnel wird auch gebaut. Erstmals geht es mit Sonderbussen zum Stadion. Und der scheint einen Umweg über Mülheim zu nehmen. Das dauuuuert und dauuuuert. Endlos. 30 Minuten später hocke ich in der Kurve, mit einer Bratwurst in der Hand. Das Stadion steht noch. Deprimiert sind wir alle geblieben. Viele empfangen ihre Kurvenkollegen (ich auch) mit dem Satz "Wir konnte deeeer bloß über den Ball treten?" Es verfolgt uns alle. Es ist keine leichte Zeit für die Stadt Bochum. Der VfL scheint wieder da anzukommen, wo er ein paar Jahrzehnte verbrachte - und dem Opel-Werk droht die Schließung. Es ist eine traurige Atmosphäre. Auf den Pupillen der meisten Zuschauer ist die Anzeigetafel vom UEFA-Cup-Spiel mit dem "1:1" drauf zu erkennen. Und im Sinn haben viele das Opel-Werk. Einige Mitarbeiter dieser Firma kommen auch zum VfL, und solidarisch ist auch der Rest. "Bochum ohne Opel ist wie der VfL ohne Ball", steht auf einem Plakat, "Gemeinsamer Kampf um jeden Arbeitsplatz" auf einem anderen. 4000 von 10.000 sollen abgebaut werden, von den Zulieferfirmen ganz zu schweigen. Im Opel-Werk läuft ein Streik, und wir brüllen laut "Opel! Opel! Opel!"
Keine leichte Zeit.
Das "Bochum"-Lied kommt zur rechten Zeit. Die Melodie bohrt sich fest im Kopf, obwohl sie schon 1000-mal mein Gehirn erreichte, meine Sinne streichelte. "Tief im Westeeeeeen....", eiert Grönemeyer durch die Lautsprecher. Und es versöhnt ein wenig. Mit der Ungerechtigkeit der Fußballwelt. Mit dem Herbstwetter. Ach mit wasweißich. So richtig aus sich raus geht niemand heute. Zumindest zu Beginn. Dass fast 25.000 Zuschauer da sind, ist für mich ohnehin ein Wunder. Folgt eine Trotzreaktion? Es wäre zu schön. So können wir uns nicht aus dem internationalen Geschäft verabschieden. Doch wie lange dauert die erneute Rückkehr? Nicht an dieses Spiel denken. Nicht! "Andi, wir wollten doch nicht darüber reden", sagt Sam zu mir, und JA, er hat Recht. Aber, by the way: Wie konnte der Edu da über...!?! Neeeein... Rostock, unser Angstgegner. Ein offensives Spiel kündigt sich an. Beide Trainer setzen auf drei Stürmer. Bei uns spielt Peeeeeeeeter Madsen wieder - Preuß muss raus. Und Meichelbeck vertritt den verletzten Knavs in der Abwehr. "Ich hab", unkt Sam, "ein verdammt gutes Gefühl, dass die das klar gewinnen." Doch nichts passiert. Dieses eine Gegentor in diesem einen Spiel scheint unseren Jungs die Fähigkeit, gepflegt Fußball spielen zu können, zerstört zu haben. Kaum ein Pass findet einen Abnehmer. Die Bemühungen, einen Zweikampf zu gewinnen, enden zwar oft im Erfolg - aber genauso oft verschwindet der Ball danach im Niemandsland. Langsam, behäbig, schlecht. Die Rostocker haben Platz, nutzen den Raum für ihr gutes Kombinations- und Direktspiel. Und haben eine Chance nach der anderen. Oft verschränke ich meine beiden Arme, noch öfter halte ich mir die flache rechte Hand vor die Augen. Will nicht mehr hingucken. Ist es wieder da, das Abstiegsgespenst? Schaut es mal wieder vorbei in Bochum, hat es geklingelt, ganz nach dem Motto "ich wollte mal wieder alte Bekannte auf nen Kaffee besuchen?" Im Moment machen alle Fehler. Der Trainer, die Spieler, auch die Fans. LAUT UND NOCH LAUTER müsste es in dieser Lage werden, doch immer leiser wird es. Rostock vergibt eine Riesenchance nach der anderen. Zweimal rettet Sören Colding auf der Torlinie, was Sam zum Satz "Wenigstens auf der Linie sind alle gut" treibt. Dass es zur Pause 0:0 steht, ist so glücklich, dass die Mannschaft in der Kabine ein Rubbellos freirubbeln sollte. Gewinn an einem solchen Tag garantiert. Wir schauen uns ratlos an. Verstehen die Welt nicht mehr. Was ist da los? Wenigstens lassen wir uns die Laune nicht verderben. "Hängt sie auf die schwarze Sau", brüllen Unverbesserliche, und Sam schaut über seine Schulter und meint lässig: "Jaja, immer auf die Schwarzen." Ganz groß. In der Halbzeitpause beim Torwandschießen hat Sponsor Novoferm ein elektrisches Garagentor ausgelobt. Habe ich auch noch nicht gehört.
Jetzt, auf die eigene Kurve, jetzt müsste es doch gehen. V-F-L, V-F-L, WEEEEN LIEBEN WIIIIIR??? V-F-L !!!!! Jaaa, brüllt, noch lauter, doch die Stimme versagt. Genauso wie den Spielern die Füße zu versagen scheinen. Das Wetter versagt auch ein bisschen. Mal Regen. Mal Sonne. Man Petrus: Jetzt ENTSCHEID dich doch mal endlich! "Bochum, wir haben ein Problem!", stellt Sam messerscharf fest, irgendwann in einer langweiligen Sekunde zwischendurch, als ich Gerd frage, ob er für sein Haus in Bochum-Dahlhausen, das er im November bezieht, IKEA-Möbel kauft. In Minute 75 passierts. Rade Prica hält aus geschätzten 58 Metern drauf, und drin. 0:1. Hochverdient, längst überfällig, wie erwartet Riesenpfiffe. Und ausgerechnet der in den letzten Jahren konstanteste, unser heute bester Mann, patzt. Im Moment läuft alles schief und schräg. Zwei Jahre nur Glück gehabt, und jetzt dreht sich der Wind. Jetzt knallt uns die volle Pech-Breitseite mitten ins Gesicht. Mitten ins Tor trifft Prica. Genau in die Mitte. Und das nichtmal feste. Doch van Duijnhoven zeigt null Reaktion. Einen klareren Torwartfehler gibt es nicht. Der Rest geht in Pfiffen unter. Gut, eine Chance nach einer Ecke für Madsen gibt es noch, aber er wollte den negativen Unterton dieses Textes nicht zerstören. Einer ist scheinbar schuldig für diese Pleiten, Pech und Pannenserie: Vratislav Lokvenc. Jede unglückliche Aktion unseres neuen Stürmers wird kritisch beäugt, jeder Fehlpass, jede verunglückte Chance mit wütenden Beschimpfungen begleitet. Der Mann gibt alles, aber er hat kein Glück. Er ist ein wenig langsam, statisch, unbeweglich, aber er meint es doch nicht böse!! Außerdem hat er es schwer. Fast alle Pässe kommen auf Halshöhe und ständig wird er von zwei Gegenspielern umringt. Hart. Nach dem x-ten Ballverlust brüllt die halbe Kurve "LOKVENC RAUS!" und das unüberhörbar laut. Ich schäme mich. Mit einem Hammer möchte ich mich in den Boden hauen, als wäre ich in einen Asterix-Comic verpflanzt worden. Was soll das? Einen eigenen Spieler auspfeifen? So etwas ist wirklich das Allerletzte! "LOKVENC! LOKVENC!", brüllt sogleich die andere Hälfte der Kurve, und kurzzeitig befürchte ich eine Schlägerei in blau-weiß. Lokvenc stolpert nur noch mehr herum. Er tut mir leid. Das hat er nicht verdient, obwohl er - wie gleichwohl alle anderen auch - einen unerträglichen Mist auf dem Rasen produziert hat. "Das gibt Abstiegskampf", zieht der vor dem Anpfiff noch unglaublich optimistische Sam sein eigenes Fazit. Natürlich bleibt es beim für Bochum noch schmeichelhaften 0:1 in diesem Grottenkick.
Erfolg ist vergänglich, würde der Literat zigarettenrauchend und Kaffee trinkend auf seinem Laptop verewigen. Aber ich bin keiner. Vor fünf Monaten, da haben wir alle "Europa wir kommen! Europa wir habens geschafft!" gesungen. Vor fünf Monaten hat es Lokvenc mit seinem Tor für Kaiserslautern gegen Dortmund erst ermöglicht, dass wir im UEFA-Cup spielen. Und jetzt scheint alles kaputt. Bochum in Liga zwei, Opel weg. Eine Beerdigung ist gegen diese Stimmung eine Comedyshow. Auf der 30-minütigen Busfahrt zurück zum Hauptbahnhof reagieren viele panisch, reden von Burghausen, Aue, zweiter Liga. Wir haben erst sieben Punkte, richtig, aber es sind noch 26 Spieltage! 26!!! Erfolg ist im Fußball wohl vergänglicher als anderswo.
"Tief im Westeeeeeen", klingt von weither, aus irgendeinem Lautsprecher am Hauptbahnhof, aus irgendeiner Kneipe, in Richtung Andis Trommelfell.
So bitter und traurig klang es lange nicht mehr.
 
Fans für Opel Dieser Mantel...!! Einlaufen
Doppelter Kampf in Bochum! Die Spieler um drei Punkte, viele Zuschauer um den Arbeitsplatz. Auf den Transparenten steht (l.) "Schluss mit den Erpressungen" und (r.) "Heute wir! Morgen IHR! Gemeinsamer Kampf um jeden Arbeitsplatz!" Ein Aufwärmfoto, kein normales. Guckt Euch diesen MANTEL rechts an. Den MANTEL mit unserem Trainer drin. Was für einen Berater hat der Mann??? Sie laufen ein... das erste Heimspiel nach Lüttich!
Novoferm-Schießen Ecke! Nur wenige bedanken sich...
Das Novoferm-Halbzeitschießen! Der Sieger erhielt eine - ACHTUNG - elektrische Garagentür! Ecke für Bochum, kurz vor Schluss! Von der Sorte gab es leider nicht genug. Der Megafon-Mann (unten rechts) schaute - wie immer - nicht aufs Spielfeld. Abpfiff, 0:1. Nur wenige Spiele bedanken sich in der Ostkurve. Lokvenc ist nicht dabei. Verständlich.

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VfL Bochum - Borussia Mönchengladbach 3:0 (26.10.2004)

Flutlicht... Flutlichtspiele sind einfach nur geil ...

Das 1000. Bundesligaspiel für den VfL - und die Statistik freut sich über drei weitere Punkte und drei weitere Tore

Die Anzeigetafel

Das Feuer ist zurück

Fan des VfL Bochum zu sein, ist nicht leicht. Nun gut, das ist keine allzu große Neuigkeit, schon gar nicht nach den Tausenden von Definitionsversuchen an dieser Stelle... aber seitdem ich diese Homepage nun "betreibe", gab es immer positive Ereignisse und Erlebnisse zu berichten. Kaum etwas Deprimierendes. Nur eine einzige schlechte Serie, und die war aufgrund von einer unheimlichen Verletzungsmisere auch noch erklärbar. Doch in den letzten Wochen merkte ich, warum ich diesen Verein so schätzen und lieben gelernt habe. Gescheitert im DFB-Pokal, knapp, unglücklich, unverdient. Gescheitert im UEFA-Pokal, knapp, unglücklich, unverdient. An heftigen Zusatzeinnahmen vorbeigeschrammt, knapp, unglücklich, unverdient. In der Liga ganz weit unten, nach dem 0:3 in Wolfsburg sogar erstmals unter Neururer auf einem Abstiegsplatz, und das knapp, unglücklich, unverdient, weil uns in diesem Jahr schon drei korrekte Treffer aberkannt wurden, die zusammen vier Punkte gebracht hätten. Gescheitert. Allüberall. Und nun muss ich all den Hohn und Spott ertragen, den ich zweieinhalb Jahre in aller Überheblichkeit über den Rest der Fußballwelt um mich herum ausschüttete. "Aha, sind wir also doch endlich Tabellennachbarn", unken die Fans des zurzeit auf einem fast schon unheimlichen Zweitliga-Höhenflug schwebenden MSV Duisburg. Und Gerd schickte schon eine sms mit dem Inhalt: "Na spitze, so eine Saison mit langem Abstiegskampf hatten wir schon lang nicht mehr." Es ist nicht leicht, Fan des VfL Bochum zu sein. Vor allem in diesen Tagen.
Es ist spät abends im Herbst. Das bedeutet eigentlich an der Straßenecke zwischen Oktober und November mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Nebel, Wind und Nieselregen. Es regnet nicht, der Wind ist nur schwach, und eine Nebelwolke hat sich auch nicht über das Ruhrstadion gelegt. Aber doch: Es ist ein Herbsttag, um 18.45 Uhr, und an der Castroper Straße strahlt nur das Ruhrstadion hell. Wie lange schon warten wir auf ein waschechtes Flutlichtspiel? Der Duft der Bratwurst wirkt abends wie der Duft eines glänzend komponierten Joint in einem Amsterdamer Coffeeshop und nicht nur wie der Duft einer Bratwurst. Die Kohlensäurebläschen in der Cola streben abends nicht einfach nur nach oben, sie scheinen miteinander Walzer zu tanzen. Wenn Ihr einen sucht, der ein Plädoyer für Freitagabendspiele in der Bundesliga halten soll: Ich bin Euer Mann. Im Bus vom Hauptbahnhof zum Stadion - so eine Scheiße, die U-Bahn-Röhre ist immer noch gesperrt - höre ich per Discman zur Feier des Tages "Football´s coming home" von den Lightning Seeds, ignoriere die lauten "Bochumer Frauen, ficken und verhauen"-Sprechchöre von grün-schwarz gekleideten Fans, die danach noch ein "Ohne Bullen habt Ihr keine Chance" nachlegen. Was ist bloß los mit dem VfL? Ich kann diese Frage nicht mehr hören. Das ist eigentlich die Standardfrage an mich nach jedem Spiel, und in den letzten beiden Jahren beantwortete ich sie auch immer fröhlich, freundlich und gern. Aber im Moment geht mir die Frage einfach nur auf den SACK! Jaaaaa, wir sind Vorletzter! Jaaaaa, es droht wieder Abstiegskampf. Jaaaa, wir spielen im Moment den größten Mist zusammen. Angekommen am Ruhrstadion. Das Flutlicht brennt.
Solche Abendspiele haben den Vorteil, dass der Tag schon rum ist, und jeder einzelne Fan mit einer ganzen Ansammlung von aktuellen Erlebnissen ins Stadion geht. 30.975 aufgeladene Gefühlsknubbel sind heute da; vermutlich ist es das, was die Abendspiele neben der Dunkelheit so auszeichnet. Am Samstag oder Sonntag sind alle Fans gerade einmal ausgeschlafen oder immer noch verkatert... wochentags stehen alle voll im Saft, sind hellwach, konzentriert, bereit, lauter zu werden als sonst. Ich habe noch die Stadionzeitung des VfB Speldorf im Kopf, die ich heute Morgen erstellen musste, für das Freitagspiel gegen Viktoria Goch (nochmal Flutlicht, hurra), und vor allem das Germanistik-Seminar zum "Spracherwerb" an der Uni, in dem es unter anderem über "melodisches Brabbeln" geht. Ein netter Begriff, den ich glatt aufgreifen kann, um das Geschehen in der Stunde vor dem Anpfiff zu beschreiben. Gerd ist auch schon da. Jeder von uns verschlingt eine Bratwurst, und ab geht es auf den Stammplatz. Sam kommt auch, sogar mit seiner Frau, Krüger ist sowieso da, und um 19 Uhr traue ich meinen Augen nicht. 1000 Spiele leuchtet auf der Anzeigetafel auf, und stiiiiiiimmt, heute feiert der VfL ja Jubiläum!?! Und von links nach rechts werden unsere alten Helden nacheinander interviewt. Thomas Kempe, Ata Lameck, Dieter Bast, Peter Közle und Rob Reekers. Herrlich. Alle werden beklatscht, gefeiert. "Közle, zieh das Trikot an", möchte Gerd sogar anstimmen. Aber er lässts.
Man, das ist heute ein gar nicht mal so unwichtiges Spiel... wenn wir verlieren, sind wir vermutlich Letzter, haben schon den Anschluss an die einstelligen Plätze, an denen wir so gern schnuppern würden, verloren. Oh neeein, bloß das nicht. Aber heute ist Borussia Mönchengladbach zu Gast. Keine andere Mannschaft habe ich so oft gegen den VfL spielen sehen. Und die Gladbacher sind ein saukomisches Volk. Jahr für Jahr bezahlen sie bei uns in Bochum den absolut gemeinen "Top-Zuschlag" für das in den meisten Fällen nahezu ausverkaufte Abstiegsderby und meist holen sie sich zum Dank dafür noch eine unverdiente Niederlage ab. Auch heute sind wieder mehrere Tausend Gladbacher da. Und sie sind besser gelaunt als wir. Kurz vor dem Anpfiff leuchtet noch einmal die Zahl "1000" auf der Videowand auf. Ich habe 171 Spiele gesehen. Nur einen Bruchteil.
Die Spieler laufen ein. "In BLAU", ruft Sam, als er die Trikots unserer Mannschaft erblickt. "Dann kann ja nichts schiefgehen." Zuletzt war Weiß unsere Heimfarbe. Zuerst auf die Ostkurve... fertigmachen zum Jubeln?!? Das Spiel wird keins, das in die Annalen meiner VfL-Fan-Geschichte eingeht. Oh nein, wirklich nicht. Es ist 90 Minuten lang "intensiv" (Scheiß-Wort für einen Fußballbericht, aber das triffts nun einmal am besten), hart umkämpft, bietet unendlich viele Kopfballduelle und Zweikämpfe, doch in den ersten 75 Minuten sind gelungene Spielzüge über mehr als drei Stationen die Seltenheit. Aber was erwarte ich?
Der Reihe nach. Anpfiff. Die ersten Minuten vergehen. Es ist ein anderer "Zug" in der Mannschaft. Die Spieler attackieren früher, sind aggressiver in den Zweikämpfen. Egal, ob Lokvenc, Maltritz oder Meichelbeck. Meichelbeck? Jooo, der spielt für den jungen Matip. Nach seinem enttäuschenden Debüt hockt der arme Marvin jetzt erst einmal wieder auf der Tribüne ab. Doch auch die Borussia hält dagegen. Fouls, Unterbrechungen und eine Rauchbombe im Borussia-Block. Pfui! Spielnote vier, Kampfnote zwei. So schauts aus. In Minute 18 der erste Aufschrei. Einen Ulich-Kopfball kratzt van Duijnhoven mit Ach und Krach von der Linie. Puuh, durchatmen. Bis zur Grundlinie oder in den Fünf-Meter-Raum dringt keine Mannschaft entscheidend vor. Bei uns zimmert Misimovic (auch der darf von Beginn an spielen) zweimal knapp vorbei, und auch Gladbach hat zwei gute Weitschusschancen. Dann ein Schock für uns, in Minute 29. Kalla muss raus, unser einziger noch verbliebener Innenverteidiger. Dann müssen es Meichelbeck und Maltritz alleine richten. Klappt bis zur Pause gut. 0:0. Die Stationettes kommen. Soso, also 1000 Bundesligaspiele. Das verpflichtet. Die VfL-Fans, die beim letzten Heimspiel durch die Lokvenc-Kretik viel Kredit verspielten, machen einiges wieder gut: Bei mir und beim Wratislaff. "Lokvenc"-Sprechchöre hallen mehrfach durchs weite Rund, wenn die immer besser gelaunten Gladbacher mal nicht die Lauteren sind. Halbzeit 0:0. Die Stationettes bilden wie immer zum Abschluss ihres Mini-Tanzes eine "VfL"-Formation.
Noch 45 Minuten. 45 Minuten Zeit bis zum ersten Heimsieg. 45 Minuten alles geben, rennen, kämpfen, brüllen. Gegenseitig hangeln wir uns das Seil bis zu den drei Punkten hinauf; man, das ist ein JUBILÄUMSSPIEL, und solche Spiele gewinnt "man" gefälligst. Noch 45 Minuten. Noch eine Halbzeit. Misimovic nach zwei Minuten - vorbei. Startschuss? Startschuss! Das Spiel bleibt erst zerfahren, nur selten blitzt die technische Stärke der beiden Mannschaften auf. Minute 54. Lokvenc lässt den Ball mit dem Kopf kurz auf Preuß abprallen, zwei Drehungen, ein Schuss, Kampa fällt wie ne Bahnschranke, EINS ZU NULL!!!! YEEEEEEEEEES!!!!! Schicke eine sms zum Urlauber Dirk in die USA. Freude auf zwei Kontinenten über ein Tor. Über ein blödes Tor nach einem individuellen Fehler. Erleichterung. Erster Heimsieg in dieser Saison? Fünf Minuten später. Strasser foult Lokvenc. Gelb-Rot für Strasser, und ich klatsche doppelt so laut. Denn dieser Luxemburger ist einer der letzten aus der Fußball-Generation der Arschlöcher. Der Mann ist so unsympathisch, dass sich Krusty der Clown weigern würde, ihn zu belustigen. Strasser, wenn der nicht gerade in deiner eigenen Mannschaft spielt, dann ist er der Todfeind jedes Fans. Unfair, nicht einsichtig, stets tretend und laut meckernd. Und jetzt muss er gehen. Tschüss!
Die Gladbacher wirken k.o.; und das nach 60 Minuten. Mittlerweile lässt sich auch Gerd auf die "Lokvenc"-Sprechchöre ein, und ach, wie wär ein Tor jetzt doch schön und passend? Aber 1:0... das Gefühl kenne ich. Die mitlaufende Uhrzeit auf der Videowand vergeht nicht und vergeht nicht. "Der bringt doch wohl nicht den Edu", ruft jemand von oben. Ein bisschen Ironie klingt in seiner Stimme. Die Gladbacher lassen aus irgendwelchen Gründen nach. Sie kommen nicht mehr richtig in die Zweikämpfe, und Konterchancen gibt es gar nicht mehr. Führung und Überzahl, brennt da noch was an? Nein, vor allem dank unserer Abwehr. Martin Meichelbeck macht als Abwehrchef wohl das beste Spiel in seiner Zeit beim VfL. Jede Grätsche sitzt, fast jeden Zweikampf bestreitet er erfolgreich. Hut ab! Erstmals erntet er ganz laute "Martin Meichelbeck - schalalalalalala"-Sprechchöre. Gerd und ich wollen die "Erste Runde Budapest... Europapokal!!"-Nummer anstimmen - sind nur noch fünf Punkte, wenn wir gewinnen - doch das wird missverstanden. Oh jee, der Lüttich-Schock sitzt doch noch. Und die Gladbacher? Die sagen nüscht. Gar nüscht. Fünf Minuten vor Schluss ist der Tag für sie vollends gelaufen. Nach einem ganz ganz üblen Schnitzer von Korzynietz netzt Wosz zum 2:0 ein. YEEEEEEES, UUUUUUHHHHHH, TOOOOOOR!!! Madsen packt sogar noch das viel zu hohe 3:0 drauf, nach Flanke des lange zu Unrecht nicht berücksichtigten Thoddi Gudjonsson, und so haben wir sogar noch einen Kantersieg zu sehen bekommen.
Der Rest ist die Versöhnung zwischen Fans und Mannschaft. Zwischen zwei sich kurzzeitig fremden Gruppen, die sich zwei Jahre lang super verstanden, und nun fast getrennte Wege gingen. Ein wichtiger Sieg in einem packenden, aber nicht sehr niveauvollen Fußballspiel. 45 Minuten dauert die Busfahrt auf den völlig überfüllten Straßen bis zum Hauptbahnhof. Wäre ich doch gelaufen. Im Bus sehen sich zwei nach ein paar Wochen mal wieder :"EEEEEYYY, Du SITTICH!", brüllt der eine zur Begrüßung. Gute Idee... mach ich morgen auch mal.
Ich höre mir noch einmal die letzten Takte von "Football's coming home" an. Dahinter nochmal "Bochum" von Grönemeyer. Heute kriege ich selbst nach dem Abpfiff noch Gänsepelle, so schön klingt das. Ich glaube, den Lüttich-Schock habe ich jetzt verdaut. Denn das Spiel brachte zwar keine neuen Erkenntnisse über die taktische Entwicklung des Fußballs in Gegenwart und Zukunft.
Aber es brachte etwas anderes: Nämlich mein Feuer zurück!
 
 
Legenden Ohrenschmerzen Einlaufen
Da läuft die Suppe: Bochumer Fußball-Legenden aus 999 Spielen auf einen Blick... Als da wären (v.l.) Rob Reekers, Peter Közle (leider durch den Pfahl verdeckt), Dieter Bast, Ata Lameck und Thomas Kempe. Ganz ganz groß... Aber leider kam die VfL-TV-Regie auf die Idee, Fans via Videowand singen zu lassen. So wie Gerd fühlten wir uns alle. Und wie Ihr an meinem obligatorischen Einlauf-Foto merkt, hatte ich (fototechnisch) heute ganz besonders große Schwierigkeiten mit dem Fangzaun. Blödes Teil!
Stationettes Torjubel Spielszene!
Erste Halbzeit 0:0. Und dann kamen die Stationettes, von denen ich mich bis heute frage, warum es die eigentlich gibt. TOOOOOOOOOORRRR... Triumphmarsch, wie hab ich Dich vermisst... Mutmaßlich stand es zu diesem eigentlich gefährlichen Zeitpunkt schon 2:0, denn sonst würde der Fan rechts wohl kaum so mit den Armen rumfuchteln.
Spielerdank Wosz-Dank Nach dem Spiel
Erster Heimsieg seit knapp fünf Monaten. Und wir haben es alle zusammen geschafft. Unsere Besten auf einen Blick: Martin Meichelbeck (2. v. l.) und Käptn "Dariusz - Dariusz - Dariusz - Dariusz" (ganz vorne). Das Spiel ist schon knapp fünf Minuten vorbei, und trotzdem stehen noch alle in der Kurve. Die Angst ist besiegt.

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Hannover 96 - VfL Bochum 3:0 (30.10.2004)

Schlecht, schlechter, am schlechtesten - ein Spiel, das kein Foto verdient

Augen zu und durch

"Den Text schreibe ich erst morgen", denke ich mir, ziehe mein verrauchtes Bochum-Trikot aus und werfe mich in mein Bett wie vom Drei-Meter-Brett ins Schwimmbecken. Ich schließe die Augen und schüttle den Kopf. Schüttle, schüttle und schüttle. Wie den ganzen Tag. Wie zwischen 15.30 Uhr und 17.15 Uhr eigentlich pausenlos. Lange Zeit habe ich einen Tag nicht mehr so dermaßen vergeudet. Nicht mehr so weggeschmissen. Meine Zeit und mein Geld nicht so sinnlos verpulvert. Es war kompletter Schwachsinn, was ich da gemacht habe. Es ist das typische Bochumer Abstiegskampf-Auswärtsspiel-Gefühl. Du gehst mit einem Riesenfrust auf dich, die Mannschaft, den Trainer, den Verein und den Rest der Welt ins Bett und ärgerst dich über verflucht idiotische Stunden. Und beim nächsten Mal bist du doch wieder da. Und jetzt nur noch Augen zu. Und durch.
10.15 Uhr... vielleicht... ja vielleicht beginnt ja heute die große Serie. Und bei 96 endet eine solche. Wir Bochumer sind ja grenzenlose Optimisten, um im Zweifelsfall dann zu den gnadenlosesten Pessimisten zu werden (ich berichtete mehrfach davon), aber so früh am Tag... Hannover hat mit einer relativ namenlosen Mannschaft viermal in Folge gewonnen, dabei war Trainer Zettel-Ewald schon so gut wie arbeitslos. Und wir? Nach dem grandiosen Sieg gegen Gladbach... "Hab ein gutes Gefühl", meint Thommy am Telefon, und ich steige in den Regionalexpress Richtung Bad Oeynhausen. Mein VfL-Schal liegt noch versteckt in meiner Tasche, und vermutlich schaue ich aus wie ein Student auf einem Wochenend-Ausflug. Ist ja auch nicht so ganz falsch. Als am Bochumer Hauptbahnhof ein ganzer Trupp mit allerlei blau-weißen Utensilien zusteigt, merke ich, dass es gar nicht so dumm war, mich noch nicht als VfLer zu outen. Als alter Soziologe perfektioniere ich die empirische Methode der "teilnehmenden Beobachtung". Ich hocke mitten in der bestimmt 20-köpfige Fangruppe, die mir eine der witzigsten Hinfahrten beschert. Wir sind noch gar nicht in Dortmund, als jemand brüllt: "Eeeeeey EFENDI, hol mal die Gitarre raus..." Und Efendi, mutmaßlich ebenso Mitglied in dem Fanklub, fuchtelt an seinem "Handgepäck" herum, und zieht tatsächlich eine waschechte Klampfe hervor. Mit einer VfL-Fahne wird der Regionalexpress-Waggon in zwei Hälften geteilt, und in meiner sitzen außer dem VfL-Trupp nur noch ein türkischer Vater mit zwei Kindern. Ein herrliches Bild. "Eyyy Efendi, singt der beim Steiger eigentlich bei der Hand oder bei der Nacht???" Efendi nimmt diesen Steilpass volley und versenkt ihn unter der Latte. Und es wird gesungen. "Glüüüückauf glüüüüückauf, deeeer Steeeeiger kommt, und er hat sein helles Licht bei der NACHT..." Und direkt danach das "Bochumer Jungenlied". "Es kann ja nicht immer so bleiben, hier unter dem wechselnden Mond..." Im Refrain, als eigentlich drei schrille Pfiffe kommen müssten, brüllen alle "Pfeifen könn wir nicht..." Hab ich noch nie gehört. In Hamm gibts ne kleine Pause. Trinkpause. Efendi setzt sich hin. Jemand singt ohne Gitarre und dichtet den alten Gassenhauer "Deutscher Meister wird nie der VfL" um. "Schießt der Lokvenc wieder drüber, lahmt im Mittelfeld Zdebel, stolpert Kalla in der Abwehr, passt der Darek wieder fehl." Gelächter. Und die nächste Runde Fiege-Pils wird beim Getränkewart geordert. Efendi ist wieder dran. Er verteilt das scheinbar fanclubeigene Liederheftchen. Und der alte Ruhrpott-Schlager "Der Tag, als der FC Schalke starb", auf die Melodie von "Der Tag, an dem Conny Kramer starb", läuft. Dann wird lautstark irgendein Martin gefordert, und zuerst weiß ich gar nicht, was Sache ist. Auf einmal steht der mutmaßliche Alterspräsident von seinem Sitz auf, den er bisher beinahe lethargisch mit einer Flasche Bier in der Hand bevölkerte, und alle lauschen andächtig, wie er "Griechischer Wein" von Udo Jürgens grandios vorträgt. Längst ist auch die abgetrennte Hälfte des Waggons Zeuge des unverwechselbaren Schauspiels. "Bundesliggaaaaaaa", schmettert er anstelle von "Griiiiechischer Wein", und fährt fort: "Bayern, Dortmund, Werder Bremen // Wir sind wieder daaaaaa". Und so gehts weiter. In Bielefeld unterbrechen alle ihre Aktivitäten, um gemeinsam "Ostwestfaaaaaalen-Idioooooten" zu brüllen. Nach Vadder Abrahams "Schlumpflied" wird Bad Oeynhausen angekündigt. Die türkische Familie und ich steigen aus. Ein ganz lautes und wenig schmeichelhaftes "Unser Abteil !! Unser Abteil !!! Unser Abteil !!!" begleitet uns nach draußen. Wenn die wüssten, dass ich ein Kalla-Trikot unter meinem grünen Pulli trage.
Ich habe mich für die ein wenig schnellere Luxus-Variante der Hinfahrt entschieden. Der letzte Weg wird im IC zurückgelegt. In Bad Oeynhausen will ich meine Foto-Story beginnen, doch - oh Graus - meine Kamera springt nicht an. Biiipbiiiipbiiiip, piepts nur. Scheiße, Akku leer. Oh FUCK, so ein Anfängerfehler. Maaan, mein erstes Auswärtsspiel ohne jegliches Bild, wie peeeeeinlich! Dreimal laut geärgert, und schon sitze ich im IC. Der beschleunigt ruckizucki auf 198 und um 13.10 Uhr erreiche ich Hannover Hauptbahnhof. Dass hier alle Ansagen zweisprachig sind (Deutsch und Englisch), finde ich immer noch wahnsinnig überheblich. In Hannover bin ich mittlerweile schon zum unzähligsten Mal. Dreimal habe ich hier den VfL gesehen, dreimal gab es ein Unentschieden. Das würde diesmal auch reichen. Finde ich. Diesmal - erst recht ohne Kamera - lasse ich eine große Innenstadt-Tour sein. Ich belasse es bei einem ausgiebigen Frühstück am "Kröpcke", dem Hauptplatz in der City, und verziehe mich mit der Linie "3" bis zur "Stadionbrücke".
Ich habe dieses Stadion in allen Phasen erlebt. In der uralten Version vor fünf Jahren. Also quasi in der WM-1974-Version. 3:3 ging dieses Spiel aus, damals in der 2. Bundesliga, als wir schon als Aufsteiger feststanden und das nur eine Partyfahrt war. Vor zwei Jahren, beim 2:2, da begann der Umbau erst, vor einem Jahr, ebenso beim 2:2, war das Stadion im kalten Dezember eine einzige Bruchbude. Und nun? Um 14.20 Uhr stehe ich in der schon überdachten Kurve, rufe aus Langeweile meinen Bruder Thommy an und sage: "Joooaaa, ist eines WM-Stadions doch würdig." Das Stadion wird schön. Alle Sitzplätze sind schon angeschraubt. Nur das richtige Fußballfeeling will nicht ankommen. Weil es nämlich ein Ovalbau ist, der doch eher an Leichtathletik erinnert. Die eckige Variante á la Ruhrstadion ist mir doch deutlich lieber. Eine Stunde schlage ich tot, beobachte die Spieler beim Aufwärmen und bewundere zum wiederholten Mal den erstaunlichen Musikgeschmack des Sprecherteams. "Runaway", eins der besseren Lieder von Bon Jovi, habe ich jedenfalls noch nie irgendwo gehört, und Liquidos "Narcotic" ist immer noch das Tor-Lied.
Ab 15.30 Uhr wünsche ich mir nach so viel positivem Vorgeplänkel aber sekündlich, dass Efendi irgendwo in meiner Nähe steht. Ich würde zu ihm hingehen, ihn und seine Freunde schnappen, zum benachbarten Maschsee wandern und am Lagerfeuer und bei kühlen Getränken ein paar schmutzige Lieder grölen. Ach wie wär das schön. Doch die Realität ist so grausam. Es ist ein Rückfall in allerschlimmste Zeiten. Es ist schlecht, richtig schlecht, und so mies wie alle miesen Spiele in der bisherigen Saison zusammen. Siehe oben. Ich schüttle, schüttle und schüttle. Nichts stimmt mehr bei uns. Was am Dienstag gegen Gladbach noch so prächtig harmonierte, ist heute ein Scherbenhaufen. Es ist so ein Tag, an dem uns ein richtig guter Gegner zweistellig nach Hause schicken würde. Doch ist Hannover ein guter Gegner? Pidder Neururer setzt auf die gleiche Taktik wie gegen Gladbach. Mit Misimovic und Wosz. Leider ist Misimovic ein Totalausfall. Die Stürmer Lokvenc und Madsen haben einen ganz fürchterlichen Tag. Entlastung kommt keine. In der Innenverteidigung ersetzt Maltritz unsere schwarze Wand Kalla. Und das schlecht. Er verliert ganz viele Zweikämpfe. Soviel Unfähigkeit nutzt 96 in Minute 16 erstmals aus. Und damits so richtig schmerzt, heißt der Torschütze Thomas Christiansen. Der trifft scheinbar nur gegen den VfL. "So kommen wir in große Schwierigkeiten", funke ich per sms in die Welt. Und es wird schlimmer. Vor und nach der Pause. Hannover fährt das Spiel mit dem Selbstbewusstsein eines Serientäters und mit der Souveränität eines derzeitigen Spitzenteams nach Hause. So trostlos sind eigentlich nur VfL-Auswärtsspiele in Bremen. Unser Torwart präsentiert sich mal wieder als der Mann mit den Zauberhänden. Er bringt seine Patschehändchen mal wieder in alle Ecken des Tores und verhindert einen höheren Rückstand. Dass es nicht schon zur Halbzeit 0:2 oder 0:3 steht, gleicht einem Wunder. Und irgendwie machen wir uns ja sogar noch Hoffnungen. Auf eine Wende.
Doch nichts da. Schon nach wenigen Augenblicken beginnen die Kopfschüttler, selbst eine kurzzeitige Feldüberlegenheit vergeht ohne einen Torschuss. Die Spieler sehen so aus, als hätte ihnen Neururer in der Kabine befohlen, ab sofort jeglichen Siegeswillen vermissen zu lassen und sich total aufzugeben. Folgen bei uns nun wieder sieben magere Jahre, wie nach der letzten UEFA-Cup-Teilnahme? Mit insgesamt fünf verschiedenen Trainern sowie jeweils zwei Auf- und Abstiegen?? Die Stimmung ist gut. Wir als Bochumer sind solchen Leid und Kummer gewöhnt. "Oleeeee, oleeeeee, VfL Bochum oleeeeee VfL Bochum ole VfL Bochum oleeee...", hallt es minutenlang durch die AWD-Arena, aber gegen die Jubelschreie der Hannoveraner kommt das kaum an. Zweimal noch muss ich diesen stechenden Schmerz des Torjubels ertragen. Wie ein mieser Stich zuckt mein Körper automatisch zusammen, wenn ein ganzes Stadion ein Tor brüllt - das aber für den Gegner gefallen ist. Es tut weh, so weh. Daniel Stendel verarscht unsere ganze Abwehr beim 2:0 in Minute 66, und als zwei Minuten vor Schluss Leandro gar das 3:0 schießt, sind wir alle zu faul, um "Wir haben die Schnauze voll" zu brüllen. Neururer hat die Angst, dass die Stimmung kippt? Glaubt mir, die Stimmung ist längst gekippt. Manche planen schon die Fahrt nach Aue. "Im Radio hört sich das mal wieder maximal scheiße an", ärgert sich Gerd per sms. Mein Frust ist sehr sehr groß. Ich rufe Thommy an, um meinen Ärger kommunikativ loszuwerden. Und gebrauche die Worte "schlecht" oder "megaschlecht" im Sekundentakt. Am Ende steht die Null gleich zweimal. NULL Tore, NULL Torchancen. Gut, ein paar Standardsituationen gab es, aber die Ecken landeten allesamt bei Torwart Enke - oder wurden wegen eines Offensivfouls abgepfiffen. Schlimm. Wenn die 96er ernst gemacht hätten, wären wir mit einem Siebener- oder Achterpack ins Ruhrgebiet zurückgefahren. Wären wir mal. Dann wäre diese Niederlage wenigstens ein entlarvender Warnschuss gewesen.
Ganz schnell verlasse ich nach dem Abpfiff den Ort des großen Grauens, bemerke, dass ich auch im vierten Anlauf in Hannover keinen Sieg gesehen habe, verstaue meinen Schal wieder in der Tasche, und belustige mich an einem VfL-Fan, der mit seinem Schädel aus einem Opel Corsa hängt und "ÜBERNÄCHSTES JAHR SIND WIR WIEDER DA!!" brüllt und damit die Gedanken eines jeden VfL-Fans wiedergibt. Auf der Stadionbrücke treffe ich Domi, einen alten Stufenkollegen, der in Hannover studiert und den ich vor zwei Jahren auch hier getroffen habe. Kurze Unterhaltungen über früher, heute, morgen, das Spiel. Nach einem Essen beim China-Mann ist der Frust immer noch riesengroß. Im IC bis Minden und im Regionalexpress von dort bis Dortmund höre ich eine selbst zusammengestellte CD, die vor zig Jahren unter dem Motto "Pure Lust am Saufen" entstand. Die habe ich nämlich, aber es reicht wieder nur zu einem Kohlensäure-Zucker-Cola-Rausch... Lied Nummer vier ist "99 Luftballons"... "Hast du etwas Zeiiit für mich?", fragt Nena und ich sacke verzückt in meinen Zugsessel. Kein Efendi in Sicht. Fünf Lieder später "Augen zu und durch" von Wolle Party. Ich schlafe ein wenig. Bis Dortmund.
Ein letztes Mal umsteigen, und ein weiteres Mal schämen. Im Dortmunder Hauptbahnhof fällt mir eine 10- bis 20-köpfige VfL-Gruppe auf, die Jagd auf noch am Bahnhof herumlungernde Borussia-Fans macht und im Stakkato "Juden-BVB" brüllt. Alles Jugendliche, ja fast noch Kinder, und alles solche, die mir im Ruhrstadion noch nie begegnet sind. Es ist so traurig, ein Drama, wieder schäme ich mich für meine eigenen Fans; zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen. Wäre ich doch lieber ganz mit dem ICE von Hannover bis in den Pott durchgefahren. In Mülheim feiere ich noch in Tinas Geburtstag hinein. Die hämischen Sprüche ihres Freundes Helmut ignoriere ich schnell. Einfach nur vergessen. Und zum Titel "Wie schön dass Du geboren bist" klatschen. Zu diesem Zeitpunkt ist nicht mehr heute, sondern schon morgen.
Denn heute, diesen Tag, den will ich ganz schnell aus meinem Gedächtnis, aus meinem Gehirn verbannen.
Diesen Tag hat es nie gegeben.
Es war unnötig verschenkte Zeit.

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VfL Bochum - 1. FC Kaiserslautern 1:1 (7.11.2004)

Himmel überm Revier!Der Herbst-Himmel überm Revier!

Phase 1 des Abstiegskampfs: Es nicht wahr haben wollen

Zustandsfoto
Klassisches Zustandsfoto: Standardsituation für den VfL, der Megaphon-Mann (r.) brüllt, und nebenbei kommt Vander (rechts oben) für van Duijnhoven.

Viel zu wenig

Anzeigetafel

Viel habe ich gelernt in meinen anderthalb Jahrzehnten als Fan des VfL Bochum. Wenn du dich nämlich - als Beispiel - ein wenig zu sehr auf "deinen" Verein einlässt, dann kann das schnell zu einem Nebenjob werden. Unbezahlt natürlich. Vielmehr zahlst du sogar noch drauf, um diesen Job ausüben zu dürfen. Und zwar ganz schön. Im Dienst bist du immer, tagtäglich, in jeglichem Wachzustand. Sechs Tage fieberst du auf den siebten entgegen, bis er dann endlichendlichendlich kommt. Die Nacht vor dem Spiel ist traditionell unruhig, der Tag selbst von Nervosität geprägt. Im Umfeld eines jeden Berufsfans weiß jeder Bescheid. Wo immer du auftauchst, jeder fragt dich sofort: "Und? Was macht der VfL?" Und diejenigen, die sich auch noch ein wenig für Fußball interessieren, sagen direkt: "Ganz schön gut/schlecht gespielt am Samstag/Sonntag, oder?" Doch das ist alles nicht genug: Wenn dann mal Auswärtsfahrten vor der Tür stehen, müssen die geplant werden. Welche Züge? Wie komme ich dann zum Stadion? Kann ich da FreundInnen treffen? Kommt jemand mit? undsoweiter... Und bei mir gibts dann noch einen drauf, nämlich diese Homepage. Jeden Tag klicken Internet-User aus aller Welt in meinen VfL-Tagebüchern herum, blättern über die zahlreichen Geschichten, mailen mich an. Oder auch nicht. Letzte Woche wurde ich von der Seite "vfl4u" verlinkt. Wenn ich irgendwann nochmal nach meinem Beruf gefragt werde, sage ich nicht mehr nur "Student" oder "Journalist", sondern auch "VfL-Fan".
Und noch etwas habe ich begriffen. Nämlich dass so ein echter Abstiegskampf in mehrere Phasen unterteilt ist. Und die erste lautet "Nicht wahr haben wollen, dass man mittendrin steckt". Und wieder kommen die Träume, in die uns unsere goldene 04er-Mannschaft im Mai durch das 3:1 gegen Hannover schickte, zurück ins Gedächtnis. Kommt die fantastische Siegesserie im Ruhrstadion in mein Gehirn zurück, als ganz reales Doping. Nun sind wir auf Platz 15, und Kaiserslautern auf Platz 17. Müde schalte ich morgens das DSF ein, "Bundesliga pur". "Nur das nackte Ergebnis zählt", plärrt unser Trainer in die Kamera. Meine Fresse, was klang das doch in den ersten fünf Monaten des Jahres anders.
Im kalten Regen des Novembers betrete ich die Welt, spaziere über das nasse Laub. Die Blätter tragen alle Farben, na gut, nicht alle, aber wenigstens alle in den Farbtönen grün und braun, windig ist es nicht. Ich trage meinen VfL-Schal, ziehe ihn ein wenig enger um meinen Hals als noch im Sommer. Die Witterung ist dafür verantwortlich, dass ich die schäbigsten Klamotten angezogen habe, die in meinem Schrank lagern. Mein Rock-am-Ring-Allzweckpulli schützt mein Kalla-Trikot, und meine blaue Jeans habe ich zum ersten Mal in diesem Jahr überhaupt an. Die ist bestimmt schon fünf Jahre alt. Am Bahnsteig sehe ich gleich zwei Hunde mit Regencape. Egal. Der November ist der dööööööfste Monat der Saison. Das ist die blödeste, komischste, langweiligste Phase. Die Starteuphorie ist futsch, das Wetter wird schlechter und ungemütlicher, es ist nicht heiß, nicht warm, aber auch nicht so richtig knackig eiskalt, alle Wettbewerbe sind mehr oder weniger entschieden (und wir überall raus, so wie immer), und in der Bundesliga ist nichts wirklich absehbar. Bööööööh, vom neunten bis zum vierzehnten Spieltag mag ichs so gar nicht. Nichts wirklich absehbar? Merkt Ihr, wie ich den Abstiegskampf verdränge?
Letztes Jahr, daaaa war alles anders. Da war von der herbstlichen Tristesse in aller Euphorie nichts spürbar. Mit einem teuflischen Viererpack schickten wir Kaiserslautern einst in die Pfalz zurück. Und nun zählt das nackte Ergebnis. Man, was für ein Begriff: nacktes Ergebnis. Was für ein Rückfall. Perfektes Beispiel für unsere Situation ist Martin Meichelbeck. Vor einem Jahr, als sich Kaiserslautern eben jenes 0:4 im Ruhrstadion abholte, da saß Martin-hat-den-geilsten-Schuss-der-Welt auf der Tribüne. Da war Spielkultur gefragt, schnelle kurze Pässe, arschgenaue Zuspiele... ruckzuck ging das, und das war nix für unseren ungelenkigen Martin. Jetzt allerdings, mitten im - ähem, ich wills ja nicht wahr haben - Abstiegskampf, da ist Martin auf einmal der Allergrößte. "Martin Meichelbeck schalalalalalala", hallt es auf einmal durchs Ruhrstadion, beim Warmlaufen ist er inzwischen der zweite Spieler, der gefeiert wird. Warum? Weil er immer eine 80- bis 100-prozentige Zweikampfbilanz hat. Weil er sich den "Arsch aufreißt", wie die Fans hinter mir in der Ostkurve bemerken. Sie stimmen ein ins "schalalalalala" und versprechen, auch mal den einen oder anderen Fehlpass, das eine oder andere nicht arschgenaue Zuspiel zu verzeihen. Spielkultur, oh Spielkultur, das wird wohl heute nichts. Rechts neben mir steht Gerd, und der Herr Doktor versteht erstmals den Sprechchor, der da "Keine Titel und Trophäen, trotzdem wird es weitergehen" lautet. "Ich hab mich immer gefragt, was "Keine Titten und Trophäen" bedeuten soll", sagt er. Links hat sich Krüger postiert, mit einer Wollmütze (also so kalt ists nun auch wieder nicht), und stolz verkündet er, in zwei Wochen eine Aida-Kreuzfahrt durch die Karibik zu beginnen. Der Arsch! Sam ist mittlerweile sowieso die Kultfigur in Block P. Jeder kennt Sam, jeder will Sam kennen, jeder will Sam begrüßen; es ist echt herrlich. Sam ist das Paradebeispiel für Phase eins. Er faselt immer noch was von Platz acht, und irgendwie beschleicht mich das Gefühl, als meine der das auch noch ernst. Bei Kaiserslautern ist "Gustl" Ernst Ersatztorwart. Gerd und ich brüllen "Gustl". Aber kein anderer. Es regnet nicht mehr.

Mein VfL"V - F - L --- mein Herz schlägt nuuuur für Dich" - Gerd kann den Text

Immerhin fast 23.000 sind noch da - normalerweise ebben die Zuschauerzahlen im öden Herbst rapide ab, vor allem gegen einen solchen Durchschnittsgegner, der den Abstieg in die zweite Liga seit Jahren verdient hat. Aus sportlichen Gründen sowieso, und dazu noch aufgrund der dubiosesten finanziellen Machschaften. Ich glaube, die sind nur noch in Liga eins, weil der FCK "dem Fritz sei Klubb" ist. Es ist ein klassisches Spiel, dass man sich im "Three Sixty" im Bermuda-Dreieck bei einer heißen Tasse Kakao anschaut, inmitten einer großen Menge. Aber ich, aber wir - wir sind ja alle so bekloppt, und gehen immer noch ins Stadion. Wo wird das heute enden?
Es geht erstaunlich gut los. Unser Trainer hat Trojan, Kalla und Knavs gebracht; Bönig sitzt zum ersten Mal in seiner Zeit beim VfL draußen. Tja, Junge, Pech gehabt, sei ehrlich, du warst auch echt schlecht in letzter Zeit. Die Lauterer ziehen sich ganz ganz weit zurück, leider spielt Jancker nicht, über den hätten wir uns alle gern kaputt gelacht. Trojan sorgt als Linksaußen für mächtig Furore. Für so mächtig viel, dass der arme Madsen auf rechts keinen Ball kriegt, und wenn, ihn dann direkt wieder verliert. Trojan jagt den Ball gleich zu Beginn mal geschmeidig an die Latte, und der sehr agile Lokvenc scheitert an Wiese. Das Zwischenfazit nach 25 Minuten ist sehr positiv. "Also wenn Lautern auf diesem Niveau bleibt, dann mache ich mir keine Sorgen. Dann wird das ein souveränes Ding", sage ich zu Gerd, der nickend zustimmt. Auch der ganze Ostkurvenrest ist gut gelaunt, und hat sich auch diesmal ein Feindbild ausgesucht: Lauterns Torwart Wiese. Na gut, der ist wirklich dumm und kann nicht vom Fünfmeterraum bis zur Latte denken, ich kann den alles andere als leiden, aber direkt "Wiese du Fotze" und "Wiese ist ein Hurensohn" brüllen? Sowas puscht den nur auf. Der braucht sowas. Und die Parade beim Lokvenc-Schuss war schon erste Sahne. Wiese ist der einzige Lauterer, der halbwegs überzeugt. In Minute 26 kommt Lautern erstmals vor unser Tor. Auf einmal steht Lembi völlig blank und nimmt das Geschenk per Kopf an. 0:1, Rückstand. "Gegen einen solchen Gegner. Wahnsinn!", schreibe ich per sms zu Kumpel Helmut, der in Mülheim mit Freundin Tina die Konferenz guckt. Sechs Minuten später rasselt unser Torwart mit Seitz zusammen und muss raus. Unser Ersatzschnapper Vander kommt; keine Frage, ein guter Ersatztorwart, aber ohne Spielpraxis. Halbzeit. Aus einem souveränen Sieg ist ein 0:1-Rückstand geworden. Aus einem souveränen Sieg gegen einen schwachen Mitkonkurrenten, der nur die eigene Hütte verbarrikadiert, ist ein Spiel ohne unseren Besten geworden. Aus einem souveränen Sieg ist Angst geworden.
Halbzeit zwei; jetzt wirds lauter. Vorher hatte das "Weeeen lieben wir?" "V-F-L" noch leicht müden Charakter. Gepfiffen hat keiner, das macht im Abstiegskampf zu solch einem Zeitpunkt niemand (sowas wissen wir in Bochum aus Erfahrung), außerdem spielen die Jungs nicht schlecht, kämpfen, bemühen sich. Ja, wirklich, sie spielen gut, kaum einer macht einen Vorwurf. Der dunkle Herbsthimmel weicht langsam der untergehenden Sonne, weiße Wölkchen schieben sich neben die grauen Romantiktöter, und wir kombinieren sogar gut. Teilweise. Bechmann kommt für Maltritz, und bereitet eine Minute später gleich das 1:1 durch Lokvenc vor. 64. Minute, noch 26 zu spielen. Überfällig ist es. Längst überfällig. Lokvenc hat stark gespielt, längst brüllt glücklicherweise keiner mehr "RAUS", längst wird er gefeiert, und jaaaa - wird es doch noch ein Sieg, ein Dreier, ein so dringend benötigter? Die Jungs spielen gut, aber nicht gut genug. Sie geben alles, aber eben nicht genug. In den letzten zwanzig Minuten wird es ein richtiges Fußballspiel, da auch die Lauterer aus ihrem Herbstschlaf erwachen und ihrerseits aus mir kaum ersichtlichen Gründen versuchen, sich einen Sieg zu erkontern. Beide Mannschaften bekommen noch ein paar Chancen. Zuerst bugsiert der mittlerweile herausragende Wiese irgendwie einen Knavs-Kopfball von der Linie, zweimal unterlaufen Lauterer Abwehrspielern fast Eigentore, Lokvenc schießt zweimal aufs Tor. Nix. Lautern versuchts aus der Ferne. Kosowski und Mettomo beispielsweise. Doch Vander ist jedes Mal sicher und hervorragend zur Stelle. Nach 92 Minuten ein Pfiff. Der Abpfiff. 1:1. Viel zu wenig.
Ohne große Gespräche gehen wir alle direkt auseinander. Kaum einer wartet auf die Mannschaft, die artig ins Publikum applaudiert. Niemand fordert die Welle, niemand will den Trainer sehen. Aber keiner pfeift. Keiner weiß, wie er dieses Spiel analysieren soll, wie er es werten soll. Abends in der Kneipe, in der Disco, lohnt es sich nicht, dieses Spiel zum Party-Anlass zu erheben. Aber es war eben auch nicht wirklich schlecht. Ich mache in einer solch schwierigen Analysesituation das, was ich immer mache und rufe meinen Bruder an. Der siehts ganz nüchtern: Bochum hat eine Riesenchance verpasst. Vor uns stehen der HSV, Dortmund und Hertha. Alles Mannschaften, die am Saisonende wohl kaum in den Abstiegskampf verwickelt sind. Die nächsten Mitkonkurrenten, also Nürnberg und Bielefeld, sind schon fünf oder sechs Punkte weg. Wir haben nur elf, bis zum Zwischenziel 20 zur Winterpause fehlen noch neun. Um diese Rechnung zu komplettieren: Wir müssen drei der letzten fünf Spiele 2004 gewinnen, um dieses Ziel zu erreichen. Schwierigschwierig, zumal jetzt auch noch die Piss-Bayern zu uns kommen. Und wir schaffen garantiert nicht jedes Jahr ein 1:0. "Bis zur Winterpause kommen wir da nicht mehr raus", sagt Thommy.
Wenigstens einer, der Phase eins schon hinter sich hat.
 
Einlaufen Vander Halbzeitpause
Zum 263. Mal sehe ich, wie zwei Profifußball-Mannschaften den Platz betreten. Im Ruhrstadion das Ganze zur Musik der "Carmina Burana" (was ich immer noch wahnsinnig übertrieben finde). Lang nicht mehr gespielt: Christian "ewiger Ersatztorwart" Vander... Gute Wünsche von Käptn Darek begleiten ihn. Halbzeitpause. Sam (r.) und ? (l., hmm, wie heißt sie bloß - Gerd hilf!) verschnaufen!
Letzte Spielszene Der Dank! City-Grill
90. Minute, Ecke für Kaiserslautern: Alle zittern, inklusive Megaphon-Mann (der sogar - oh Wunder - mal aufs Spielfeld blickt). Schluss, Aus, Vorbei: Nur einen Punkt geholt. Wenigstens hat Vander (Nr. 13) gut gehalten. Kalla (r.) grüßt und dankt klatschend. City-Grill von draußen: Der Mann, der im letzten Jahrzehnt zu meinem VfL-Leben gehörte wie der Curry zur Wurst, dreht mir grad den Rücken zu (hinten). Vorn steht seine meist richtig mies gelaunte Frau. Ich hab sie noch nie lachen sehen.

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VfL Bochum - FC Bayern München 1:3 (14.11.2004)

Der Schal fliegt!

Erst abgefälscht, dann Abseits und schließlich ein Eigentor - sechs Minuten Ruhm reichen den Piss-Bayern

Tor gegen BayernSo sieht das aus, wenn Deine Mannschaft gegen Bayern 1:0 in Führung geht!

Von Glücklosigkeit und Brutalität

Anzeigetafel, richtig!Da war noch alles richtig auf der Anzeigetafel!

Die ersten Lichterketten für den Weihnachtsmarkt hängen schon. Sie sind auf der Schlossstraße von Haus zu Haus gespannt, und werden in zwei Wochen in allen möglichen Farben leuchten. Langsam steige ich die eine Treppenstufe von der WAZ-Redaktion auf den Bürgersteig hinab, wühle ein wenig in meiner schwarzen Arbeitstasche, drücke zwei Knöpfe in beide Ohren, stippe kurz auf die "Play"-Taste. Ein schnelles Gitarrensolo kommt, und Dieter Thomas Kuhn brüllt: "Wind-Nordost-Startbahn-Nulldrei". Na toll, habe ich doch die Mallorca-2000-Erinnerungs-CD drin gelassen. Ich bin zu faul, sie auszutauschen und singe dann eben mit. Innerlich. "ÜÜÜÜüüüüüüüber den Wolken... muss die Freiheit wohl grenzenlos sein!" Ich erblicke den blau-weißen VfL-Schal, der seit 17 Uhr meinen Hals ziert, ziehe ihn ein wenig fester, genau so, dass das VfL-Wappen für jeden deutlich zu erkennen ist, und gehe durch Mülheims Fußgängerzone Richtung Heimat. Die Straßen sind leergefegt. Nur ein paar Laternen erhellen die Innenstadt. Ein paar Servietten und ein bisschen Müll bezeugen noch den Trubel des Tages, im Café Lux schlürfen noch ein paar an ihrem Kaffee, Kakao, was auch immer. Von denen ist wohl keiner beim Spiel gewesen.
Morgens. Radio Einslive springt an, aber meine Augen nicht auf. Man, war das eine kurze Nacht, denke ich, ziehe mir mein Kissen wieder über den Kopf, und beschließe, bis Weihnachten durchzuschlafen. Selbst irgendein Ärzte-Lied kann mich nicht aufwecken, und schon gar nicht die Vorfreude auf das Bochum-Spiel. Bayern München kommt heute. BAYERN!!! "Niiiie im Leeeben würde ich zu Bayern geeeeeehn!", heißts doch im Hosen-Lied. Ich würds heute nicht mitbrüllen. Aufgrund unserer bisher miesen Saison und der noch mieseren Tabellensituation liegt meine Hoffnung bei nullkommaeins. Und wer geht schon freiwillig gern zu einem Spiel, dass deine Mannschaft sowieso verliert? Wir VfL-Fans sind zwar Masochisten, aber so weit gehen selbst wir nicht. Ich dreh mich nochmal rum, meine Haare fallen mir in meine Nase. Bääääh, riechen noch ganz nach Nebelmaschine. Auf dem Boden liegt noch die "Big Puma"-Flasche, einer Art "Red Bull", nur als Billigvariante vom Plus-Eigenbetrieb, die wir gestern fast auf Ex getrunken haben, auf dem Weg zur und auf dem Weg von der "Matrix" in Bochum-Langendreer. Was für ein Abend. Das erste Mal habe ich um halb vier auf die Uhr geguckt. Und bin jetzt müde. Ich quäle mich aus dem Bett, quäle mich durch eine telefonische Umfrage über mein Nutzungsverhalten von Radios und quäle mich durch ein Handballspiel, über das ich berichten muss. 34:23 gewinnt die Mülheimer Mannschaft, und - ach hätte ich doch weitergeschlafen. Ab in die Redaktion, ärgern, schreiben, telefonieren. "Tschüss, ich geh dann mal." "Viel Erfolg! Wir alle drücken die Daumen, dass Bochum gewinnt." "Dann drückt mal."
Ich marschiere am Mülheimer Hauptbahnhof vorbei. Ein ICE kommt herangerauscht und ist in Sekundenschnelle wieder weg. Nur ein paar Mal am Tag hält so ein Ding bei uns, und dann auch nur, um noch die restliche Zeit bis zur Endstelle Dortmund oder Köln totzuschlagen. In der Bahnhofspizzeria mit dem sensationellen Namen "La Stazione" ist und isst niemand. Ob ich vielleicht noch...? Nee, hab doch grad erst beim City-Grill eine Currywurst-Pommes-Majo bestellt. "Willenlos" hat Marius Müller-Westernhagen in meinem Gehirn angestimmt. "Frauen gegenüber bin ich willenlooooooooos..." Mallorca 2000, jaja. Gestern Abend in der "Matrix" war die Musik um Längen besser. Von Peppers "Can´t stop" über Offsprings "Self esteem" und Green Days "When I come around" bis zu "Last Nite" von den Strokes und "Seven Nation Army" von den White Stripes.
Bayern München. Gegen keine andere Mannschaft habe ich persönlich eine schlechtere Bilanz, und doch ist die aktuellste Erinnerung die positivste. Unser 1:0-Sieg im Februar war mein Sieg das Jahres, und das Tor von Pidder Madsen mein persönliches Tor des Jahres. Diesen Tag, jaaa, den werde ich nie vergessen. Fünfter, oder sogar Vierter waren wir damals, zu den besseren, unglaublichen, unfassbaren Zeiten. Nun sind wir wieder da, wo wir eigentlich schon immer standen. Ganz unten. Dass Freiburg und Rostock noch unter uns stehen, ist kaum erklärbar. Nach solch einer missratenen Hinrunde haben wir es überhaupt nicht verdient, Drittletzter zu sein. Der Regionalexpress ist voll, aber viele Fußballfans sind nicht mehr drin. Die sitzen oder stehen wohl alle schon längst im Ruhrstadion. Per Live-Ticker lasse ich mir die Zweitliga-Ergebnisse und die lokalen Fuppes-Resultate auf mein Handy schicken, was Überraschendes passiert nicht. 17 Uhr, ich stehe am Eingang zum Block P und zupfe mir gerade meinen Schal zurecht, da laufen beide Mannschaften zum Warmlaufen aufs Feld. "Vahid-Vahid-Vahid-Ha-she-mi-an", hallts aus Tausenden von Kehlen durchs eckige Rund, und ein kleiner Mann mit Pudelmütze applaudiert. Ich glaub, nur sein monatlicher Blick auf den Kontoauszug entschädigt ihn dafür, dass er nicht mehr im Ruhrstadion vor den Ball treten darf. Bayern. Ballack. Kahn. Frings. Lucio. Makaay. "Keine Angst vor Rheuma-Kai", steht auf einem Plakat. Pizarro. Schweinsteiger. Elf Nationalspieler. Das kann ja heiter werden. Sam ist mit seiner Frau schon da, zwei Freunde von den beiden kommen auch noch. Nach dem Motto "Jeden Tag eine gute Tat" habe ich meine drei Karten an dieses Trio verscheuert. Gerd und Krüger fehlen. Krüger schippert gerade auf der Aida durch die Karibik. Der hats gut.
Bei "Okay" von Farin Urlaub haben wir traditionsgemäß am lautesten mitgebrüllt, gestern Abend gegen zwei oder halbdrei, als auf der Tanzfläche kaum noch Platz war. Danach habe ich mir ein "Kelt´s" gegönnt, um nach einer kurzen Pause zu "Denkmal" von den Helden wieder ein wenig abzuzappeln. Sieht bei mir zwar immer aus wie bei einem ungelenkigen Fußballer auf Dope, aber das ist mir egal. In der Matrix jedenfalls. "Okay" ist leider nicht auf der Mallorca-2000-CD, die ich gerade unter Selbstfolter höre, sondern "99 Luftballons" von Nena. Ich spaziere an den zahlreichen Döner-Läden auf Mülheims Eppinghofer Straße und damit der Verlängerung der Fußgängerzone vorbei, und verspüre immer noch keinen Hunger. Auf meiner Zunge liegt der Geschmack der City-Grill-Majo. Und der 0,5-Liter-Cola danach.
Anpfiff. Es ist laut, aber nicht unvorstellbar laut. Die Anspannung ist da, aber nicht so stark wie vor einer Woche. Heute sind die Bayern hier, darauf kommts nicht an. Wenn das Spiel in die Hose geht, beschwert sich keiner; in solch einem Spiel musst du die Punkte nicht holen. Die erste Halbzeit ist langweilig. Es ist die "schönste Langeweile", die ich seit Ewigkeiten erlebe. Nichts passiert. Und nichts und nichts und nichts. Wenn das beim 0:0 bis zum Ende bleibt, dann steht meine Überschrift. Unsere Abwehr ist gut. Wirklich! Konzentriert. Colding, Kalla, Knavs und Meichelbeck wirken auf einmal so eingespielt. Die Bayern versuchen es oft aus der zweiten Reihe. Doch ein Versuch ist ungefährlicher als der andere. "Die sind ganz schön schwach", flüstern Sam und ich uns im Wechsel alle zwei Minuten zu. Und ja, das sind sie. Bei uns sitzen sogar, wenn wir mal den Ball haben und ihn nicht den Bayern überlassen, ein paar direkte Kombinationen, über Zdebel, Preuß, Wosz, Madsen, Lokvenc und Trojan. Na gut, richtig gefährlich wirds nur einmal, als Trojan eine Lokvenc-Flanke verpasst (so um die 35. Minute), aber wir sind nicht deutlich unterlegen. Im Gegenteil. Pause 0:0. Spielnote 4 bis 5, eher 5. Egal. Zufrieden sind wir alle. Dafür, dass wir so offensiv spielen wollten wie immer, sieht das ganz schön nach Schafstall-Beton aus. Ist mir schnuppe. "Geht doch", meint Lupo von irgendeinem Fanklub, der immer in unserer Nähe steht, während er sich an uns vorbeizwängt, um Bier zu holen. In der Pause zappeln die "Stationettes", und irgendsoein bescheuertes Halbzeitspiel findet auch statt. Aufreger Nummer eins, zwei und drei waren nur die Zwischenergebnisse aus Rostock. 0:1, 0:2, 0:3 steht es dort gegen den HSV. "Na wenigstens können die uns mit der Tordifferenz nicht mehr einholen", unkt Sam. So allmählich kommt der typische Bochumer Abstiegskampf-Humor wieder. Der hat was von Fahrrad fahren. Wenn du das einmal drauf hast, dann verlernst du es nicht mehr.
Um in Richtung Wohnung zu gelangen, muss ich von der Eppinghofer Straße abbiegen und durch einen 100 Meter langen, dunklen kleinen Weg, der die Eppinghofer- mit der Aktienstraße verbindet, stapfen. Als Nena gerade den letzten Ton krächzt, piepts im Discman. Akku leer. Kein Wunder. Auch technische Geräte haben Gefühle, und die "Mallorca 2000"-CD ging dem "Man" bestimmt selbst auf den Geist. Ich floppe die Knöpfe aus dem Uhr, die Uhr zeigt 21.35 Uhr. Abpfiff war schon vor fast zweieinhalb Stunden. Am Horizont erblicke ich die Jet-Tankstelle an meiner Straßenecke. Sie hat noch geöffnet. Mein Schal sitzt perfekt.
Zweite Halbzeit, es ist ein seltsam ereignisloses Spiel. Die Bayern enttäuschen, wir nicht. Zumindest nicht für unsere Möglichkeiten. Mensch, da sind Ballack, Kahn und der Rest der Idioten endlich mal hier in Bochum, und dann zeigen die NIX! WERDET DOCH MAL MUTIGER!, will ich den elf Blau-Weißen zubrüllen, und dann werden sie es. Minute 66, Flanke Zdebel, Madsen toll auf Lokveeeeeencccccc, TOOOOOOOOOOORRRRR!!!! Oléééééé blau-weiiiiß! "Zieht den Bayern die Lederhooosen aus!" "Scheeeiß Bayern München!" Eine Minute später fängt unser Torwart eine Flanke ab. "Siehst Du Olli, so wird das gemacht, so wird das gemacht, so wird das gemacht", brüllt eine ganze Kurve. 1:0, und wir alle lieben uns. Zweimal in einem Jahr die Bayern schlagen? Okay, die hatten mehr vom Spiel, und haben auch zwei-/drei-/neunmal häufiger aufs Tor geschossen. Unverdient ist die Führung derweil aber nicht. Unser Trainer bleibt bei derselben Taktik. 4-2-1-3. Die UEFA-Cup-Taktik. Er wechselt nicht. Alle dürfen bleiben. Alle sollen das Ding nach Hause schaukeln. Irgendwie. "Denk dran", sagt Sam. "Die Bayern brauchen nicht lange." "Sei ruhig, das wissen wir doch alle", flüstere ich in mich hinein. So, dass mich keiner hören kann. Magath reagiert. Guerrero kam schon zur Pause für Pizarro. Guerrero. Nicht Hashemian. Der bringt lieber einen 18-Jährigen. Und nicht unseren Vahid. Bezeichnend. Dann kommt Mehmet Scholl. "Der sieht im Moment so aus wie Nicolas Cage bei Con Air", hörte ich neulich jemanden sagen. "Con Air" habe ich nie gesehen. Die Bayern machen nix und nix und nix. Und die wollen deutscher Meister werden? Drei Titel holen? Inklusive Champions League? Minute 76, Freistoß. Scholl flankt, wir gewinnen den Kopfball, eigentlich keine Gefahr. Doch keiner ist bei Guerrero am Elfmeterpunkt, Schuss, abgefälscht, Tor. 1:1. Kinnlade runter. Das kann und darf und muss und kann und darf nicht wahr sein. Ist das ungerecht, brutal, hilfe. Scheiß-Piss-Bayern. Schuld? Trainer, weil er keinen Defensiven gebracht hat? Preuß, weil er den Freistoß verursacht hat? Derjenige, der das Ding abgefälscht hat? Das Schicksal? Alle? Keiner? Wir kratzen und am Kopf, überlegen, wollen "V-F-L", "V-F-L" brüllen, da steht es 1:2. Wieder Freistoß, gleiche Welle, gleiche Stelle, gleicher Typ. Scholl, diesmal Seitenwechsel auf Schweinsteiger, Querpass, Guerrero. Tor. Abseits? Denk nicht drüber nach, sie jubeln, keiner sagt was. Würd mich nicht wundern, wenn das irregulär war. Die Jungs spielen ordentlich, sie geben, was sie können, und doch reichts nicht. Die Abwehr ist immer für einen Klops gut. Im letzten Jahr hätten wir so ein Ding hundertprozentig "zu Null" nach Hause gefahren. Anstoß. Bayern erobert den Ball, Missverständnis, Preuß kloppt das Ding bei einem Klärungsversuch astrein links unten in unser eigenes Tor. 1:3. Sechs Minuten, drei Gegentore. PISS-BAYERN. SECHS MINUTEN haben die gebraucht. SECHS, um uns lockerflockig enttäuscht nach Hause zu schießen. "Die Bayern brauchen nicht lange", hat Sam gesagt.
Das Benzin an der Jet-Tankstelle ist immer noch teuer. Gut, dass ich kein Auto mehr besitze. Sonntagabends um 21.40 Uhr fahren nicht mehr so viele Leute über die recht breite und sonst so belebte Aktienstraße. Ich bin nicht auf die Fußgängerampel angewiesen, sondern schlendere gemächlich über die vom Nieselregen feuchten Straßenbahnschienen in Richtung Wohnung. Schnell noch am Spielplatz vorbei, und dann kann ich schon die Schlüssel herauskramen.
Das Spiel endet mit Applaus für unsere glücklose Mannschaft. Alles das, was uns im letzten Jahr an Glück widerfahren ist, kehrt sich nun um. Nicht einen Krümel seines großen Kuchens hat uns Gustav Gans bisher geschenkt. Megablödes Aus im UEFA-Cup, dummes Aus im DFB-Pokal, und nun das. 13 Spiele, elf Punkte, so langsam wird es zappenduster. Nächste Woche geht es nach Mainz, und da müssen, ich schreibs nochmal groß, MÜSSEN wir gewinnen. Schon jetzt hat sich ein kleiner Rückstand auf die Mitkonkurrenten gebildet. Schon jetzt. Wie gern würde ich diese bescheuerte Hinrunde abhaken. Ich stelle mir vor, Duisburg, Aachen und Köln steigen auf. Es ist eine NRW-Bundesliga. Und wir sind abgestiegen. Müssen nächstes Jahr in Liga zwei spielen, in der dann keine einzige Mannschaft aus NRW mehr dabei ist. Albtraum. Bitte nicht. Das Trio neben Sam bezahlt mir noch das Geld für die Eintrittskarten, und tschüssi. Es war ein Versuch. Aber gegen Bayern zu gewinnen, das schaffen wir nur einmal in 18 Jahren. Zum Glück hab ichs gesehen.
Zu Hause angekommen, schmeiß ich erstmal den Computer an. Spiele Sensible Soccer. Bochum gegen Bayern.
Es endet 1:3.
 
Taktische Formation Freistoß für Bayern! Spielerdank
Kurz vor dem Anpfiff... Die Mannschaften formieren sich in ihrer taktischen Formation. Die Position von Herrn Kahn (ganz vorn) ist klar... ... beim Stand von 1:0 für uns... gefäääährliiiiiich! Aus, Aus, Aus, das Spiel ist AUS! 1:3 verloren. In sechs Minuten. Unglaublich.

Mülheim by night
 
Straßenschild! Forum und Hochhaus!
Mülheim, mitten in der Nacht. Mitten auf dem zentralen Platz der Innenstadt, der im Kreuzungsbereich zwischen der Schloßstraße (Fußgängerzone) und der Eppinghofer Straße liegt. Mülheim, mitten in der Nacht. Der Blick auf das Einkaufszentrum Forum und eins der vier dahinter liegenden Hochhäuser, die Mülheim eine unverwechselbar hässliche Skyline verleihen.
Schlossstraße! Jet!
Mülheim, mitten in der Nacht. Bochum hat 1:3 gegen Bayern verloren. Wahrscheinlich sitzen alle 175.000 Mülheimer zu Hause und trauern. Auf der Schloßstraße, immerhin Mülheims "Flanier-Meile" (ähem...) ist jedenfalls nix los. Mülheim, mitten in der Nacht. Bochum hat immer noch 1:3 gegen Bayern verloren, aber zumindest in der Jet-Tankstelle an meiner Straßenecke geht das Leben weiter.

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FSV Mainz 05 - VfL Bochum 1:0 (20.11.2004)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 3 nachzulesen !

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VfL Bochum - 1. FC Nürnberg 3:1 (27.11.2004)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 3 nachzulesen !

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VfB Stuttgart - VfL Bochum 5:2 (4.12.2004)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 3 nachzulesen !

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VfL Bochum - Hamburger SV 1:2 (11.12.2004)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 3 nachzulesen !

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MSV Duisburg - VfL Bochum 0:0 (16.1.2005, Benefizspiel für die Flutopfer in Südostasien)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 4 nachzulesen !

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VfL Bochum - Hertha BSC Berlin 2:2 (23.1.2005)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 4 nachzulesen !

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Bayer Leverkusen - VfL Bochum 4:0 (29.1.2005)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 4 nachzulesen !

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Borussia Dortmund - VfL Bochum 1:0 (12.2.2005)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 4 nachzulesen !

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VfL Bochum - SC Freiburg 3:1 (19.2.2005)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 4 nachzulesen !

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Werder Bremen - VfL Bochum 4:0 (26.2.2005)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 5 nachzulesen !

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VfL Bochum - FC Schalke 04 0:2 (5.3.2005)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 5 nachzulesen !

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VfL Bochum - VfL Wolfsburg 5:1 (19.3.2005)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 5 nachzulesen !

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Borussia Mönchengladbach - VfL Bochum 2:2 (3.4.2005)

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VfL Bochum - Hannover 96 1:0 (9.4.2005)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 5 nachzulesen !

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FC Bayern München - VfL Bochum 3:1 (23.4.2005)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 6 nachzulesen !

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VfL Bochum - FSV Mainz 05 2:6 (30.4.2005)

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1. FC Nürnberg - VfL Bochum 2:1 (7.5.2005)

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VfL Bochum - VfB Stuttgart 2:0 (14.5.2005)

... ist im VfL-Tagebuch 2004/2005 - TEIL 6 nachzulesen !

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Diese Seite wurde zuletzt geändert am 15.5.2005
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