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VfL
Bochum - MSV Duisburg 1:1 (26.4.2008)
(eingebettet in mein Volo-Praktikum
bei jetzt.de in München)
Nach diesem Spiel gibt
es nur einen "Knaller des Tages": René Renno
Ein Plädoyer für Doktor Sek, eine Beileidskarte für alle MSV-Fans in meinem Freundeskreis, ein - ich sag's frei heraus - UN-ENT-SCHIE-DEN
Und weil er wirklich
so geil gehalten hat, hier noch ein Bild über des Renno-Renés
Freude
Dem Renno sein Punkt
Seltenes Bild: Eine "Choreo"
in Block A
Vor jedem Spiel stürmt
Pavel Drsek in den Strafraum, pünktlich 15 Minuten vor dem Anpfiff.
Einst, vor zwei Jahren, war der aufgrund seines hübschen Namens im
Stadion und in Folge auch hier in diesem Text Dr. Sek oder "Doktor" genannte
Mann ein ziemlich guter Abwehrspieler, der an unserem Wiederaufstieg erheblich
beteiligt war. Doch inzwischen ist der Doktor in die Jahre gekommen, enorm
langsam und wenn er eingewechselt wird, geht stets ein Raunen durchs Rund.
Das ruft dann die anderen, richtig guten Spieler auf den Plan. Maltritz
zum Beispiel stänkerte Mitte der Saison richtig gegen die Fans. Zurecht.
Vor jedem Spiel, 15 Minuten
vor dem Anpfiff. Dann nimmt der Doktor den Ball und schießt den Ersatztorwart
warm. Der darf sich dann "pro forma" zwischen die Pfosten stellen, wenn
die zehn Stamm-Feldspieler die Kugel mit Vollspann ins Netz wuchten, um
fürs Spiel selbstbewusst und topfit zu sein. Das ist der Doktor. Promoviert
im Fach "Gute Laune". Michael aus dem Fanklub, der immer um uns herum steht,
beobachtet die Szene auch vor diesem Heimspiel, setzt seine Brille
auf die Nase, verschränkt die Arme und sagt: "Was habe ich geweint
für diesen Klub!" Es ist Zeit, pathetisch zu werden, weil absehbar
ist, ja fast schon feststeht, dass wir auch die Saison 2008/2009 in der
Erstklassigkeit verbringen. Auch Michael findet den geschafften Klassenerhalt
scheiße, wie fast alle hier. Michael schlägt vor, dass wir zum
letzten Heimspiel der Saison das älteste Trikot anziehen, das wir
im Schrank haben. Seins trägt die Aufschrift "Foto Porst". "Haha",
sagt Gerd und lacht, "damals gab's die Trikotwerbung wahrscheinlich noch
für 5000 Mark." Ich höre mir alles in Ruhe an, denke ein wenig
an München, dass ich bis gestern
um 18.30 Uhr in der Redaktion saß, dann sechs Stunden mit dem ICE
in den Pott fuhr, eilig schlafen ging und nun schon wieder auf den Stufen
des Ruhrstadions stehe. Das ist alles so bekloppt. Noch 14 Minuten bis
zum Anpfiff. Drsek spielt wieder mit den übrigen Ersatzspielern "5
gegen 2", während unserem zweiten Torwart Philipp "der ist so schlecht,
dass er Lastuvka und Renno vor sich hat" Heerwagen die Bälle links
und rechts um die Ohren fliegen.
Wer heute auf der anderen
Seite des Ruhrstadions steht, weiß ich schon seit 12.40 Uhr. War
um 13 Uhr im Bermuda-Dreieck verabredet, kam aber 35 Minuten zu spät.
Denn als ich in Mülheim in den (um fünf Minuten verspäteten)
Regionalexpress steigen wollte, ging das erst nach weiteren fünf Minuten
mit großer Anstrengung. Nach der Abfahrt verkündete die Chef-Zugbegleiterin:
"Wegen hohen Fahrgastaufkommens beträgt unsere Verspätung im
Moment zehn Minuten." Ja, der MSV Duisburg ist heute zu Gast und kommt
wieder einmal als Letzter der Bundesliga nach Bochum. Wieder einmal hat
der MSV in der Saison fast alles falsch gemacht, aber aufgrund der Schwäche
der anderen sogar eine Chance, den Abstieg noch zu verhindern. MSV, das
ist der Ex-Klub unseres Doktors, der sich sogar in MSV-Arena-Nähe
niedergelassen hat. Im Regionalexpress packte trotz der Enge ein Vater
für seinen sechsjährigen Sohn Wurstsemmel (in München gelernter
Begriff) aus, direkt daneben stießen beschalte 20-Jährige mit
Bier an, könnte noch weitere Geschichten erzählen. 20 Minuten
zu spät landen wir in Bochum, mein Kumpel im Bermuda-Dreieck erzählt
davon, wie er am Rande des
Derbys
gegen den BVB eine Ohrfeige von BVB-Fans bekam. Sein Kumpel hat nun
keinen Schal mehr, denn "Schal zocken" ist wohl der neueste Lieblingssport
diverser Fangruppierungen. Die erbeuteten Pseudo-Strickerzeugnisse werden
dann vor dem Anpfiff feierlich in die Luft geschmissen. Wahnsinnige Fußballfan-Welt.
Die Fans des MSV blieben
im Zug ganz friedlich - bei einer gefühlten Tausendschaft Polizisten
an jeder Ausgangstür auch kein großes Wunder. Der MSV, ja der
hätte gern unsere Probleme. "Ihr wollt Abstiegskampf", kriege ich
von meinen MSV-Freunden immer zu hören. "Ihr spinnt doch!" Ein ehemaliger
Arbeitskollege ruft mich gegen 14 Uhr an, er hat eine Sitzplatzkarte erworben
und meint: "Ich habe 2:1 für uns getippt. Wenn wir heute nicht gewinnen,
dann war es das für uns." Die Duisburger sind alle so optimistisch,
dass ich glaube, die unterschätzen uns und nicht wir sie. Nach zwei
Auswärtssiegen in Folge in Bremen und Hamburg reisen die mit so einem
enormen Vertrauen in die eigene Stärke an - das schafft sonst nur
der FC Bayern München...
Bayern, Duisburg - für
die Ultristen unter unseren Fans zählt eigentlich nur das nächste
Auswärtsspiel. An den Stützpfeilern der Ostkurve pappen "Auf
nach Ostwestfalen"-Plakate, und beim Einlaufen präsentieren diejenigen,
die Arminia Bielefeld nicht besonders mögen, ein Spruchband, das von
Block N bis Block Q reicht. "Treffpunkt 11:00 Uhr Hbf - Abfahrt 11:43 Uhr
Gleis 6". Okay, denke ich, dann muss ich wohl darauf achten, dass ich vorher
oder nachher fahre, bin doch nach 21 Jahren VfL (scheiße, so lange?)
etwas bequem geworden. Zudem ist mein Bruder Thommy dabei, der will alles
über jetzt.de wissen - in einem überfüllten Zug geht das
so schlecht.
Lasst mich ein bisschen
auf den Platz schauen. Trotz des 1:0-Sieges in Wolfsburg hat unser Trainer
die Hitzfeld-Gedenk-Rotation zurückgenommen, wir spielen wieder im
üblichen 4-1-2-1-2-Rauten-System - mit Mieciel als "Zehner". Das kann
ja heiter werden. Wird es auch. Bereits nach zwei Sekunden segelt eine
Flanke genau auf den Kopf von Auer, der steigt hooooch und höööööher
- köpft, macht alles richtig, doch STARKE, wie hält der den denn?
Eine Weltklasse-Parade! Ecke, Dabrowski per Seitfallzieher - Außenpfosten!
Superstart! Dabrowski sieht superlustig aus, nenne ihn nur "Batman". Nach
seinem Augenhöhlenbruch aus dem BVB-Spiel trägt er eine irrwitzige
Maske und bekommt dafür erstmals in seiner VfL-Karriere Sprechchöre.
Nach dieser fulminanten ersten Minute unterhalten wir uns über die
kommende Saison - die aktuelle ist ja schon abgehakt. Gerd hält einen
Sturm Hashemian/Sestak für "eine Waffe". "Was brauchen wir da den
Auer noch? Weg mit dem!" Wir verabschieden uns schon in unseren Gesprächen
von Bechmann, Lastuvka, Belik und eben Auer. Bei Azaouagh sind alle unschlüssig,
bei Drsek alle einig. Fast. Alle wollen den Vertrag nicht verlängern.
Und ich? Ey der Doktor! KULT! Nach der tollen ersten Minute wird das Spiel
eine mittelschwere Katastrophe. Die Duisburger spielen sich den Ball so
sehr nach Belieben zu, dass ich die Bild-Überschrift "Mauschel-Alarm
im Ruhrgebiet!" zitiere. Ein halbes Dutzend tausendprozentiger Chancen
erspielen sich die Zebras, weil unsere Abwehr zuschaut. Doch wir haben
nicht nur Batman, sondern auch Superman im Team. René Renno verdient
die Fan-Frage "Warum stand der nicht die ganze Saison im Tor?", weil er
überragend jeden Ball abwehrt. Nur einmal, ein einziges Mal, ist er
machtlos. Niculescu schlenzt einen Freistoß in Roberto-Carlos-Manier
über die Mauer in den Winkel, rund um die 25. Minute. 1:0 für
die gut kombinierenden Zebras. Heute gibt das kein Unentschieden.
In der Pause kommen Schröder
und der geforderte Epalle für Auer und Zdebel. Besser wird's nicht.
Wieder spielt nur Duisburg. Sogar so sehr, dass ich zwischendurch eine
sms an die MSV-Fans in der Republik verschicke: "Kompliment für Eure
Leistung! Aber wenn ich's nicht besser wüsste, würde ich sagen:
Das Spiel ist verkauft." Also eins jener Kotelettspiele, wie sie seit Jahrzehnten
in den Kreisligen dieser Welt vorkommen, aber nie zu beweisen sind. Ansatzpunkt
eins: Die Mannschaft, die verkauft, verzichtet aus fadenscheinigen Gründen
auf wichtige Spieler. Bei uns fehlt Ono. "Schone ihn für die kommende
Saison", sagt Koller. Und ob Azaouaghs Grippe wirklich schon anderthalb
Wochen dauert? Verschwörungstheorien! Ansatzpunkt zwei: Die Mannschaft,
die kauft, trifft nach unnötig verursachten Standardsituationen. Das
Tor fiel: nach einem unnötig verursachten Freistoß. Ansatzpunkt
drei: Um den Schein zu wahren, bekommt das verkaufende Team selbst etliche
Ecken. Die Zebras verursachen mit nicht zu fassender Penetranz 14 Ecken,
doch mit einer ebensolchen Penetranz versemmeln wir ALLE. Das ist peinlich!!!
Wir kommen nur selten zu Gegenangriffen, auch weil der bei den eigenen
Fans mehr als umstrittene MSV-Torwart Starke super mitspielt und jede Flanke
pflückt. Aber unser Keeper ist noch besser. Ishiaku und Niculescu
laufen ganz frei auf Renno zu, doch der schnappt beiden die Kugel vom Fuß.
Dass es 1:0 steht: Rennos Verdienst. Und noch einer hat bei meiner Verschwörungstheorie
nicht genau zugehört: Stanislav Sestak. Nach einer Pfertzel-Flanke
fünf Minuten vor Schluss köpft er das 1:1 und sprintet beim Torjubel
zu auf? Natüüürlich, auf unseren Doktor Sek. Ein neuer Vertrag
für den, schnell! Das Tor ist so unverdient, wir jubeln nicht einmal
richtig. Die Duisburger sind perplex. Die Spieler, die Fans, alle. "Sprachlosigkeit",
funkt der Arbeitskollege von der Sitzplatztribüne, "Dummheit", ein
zweiter MSV-Fans, "Der MSV hat laut Premiere in diesem Jahrtausend noch
nicht so oft auswärts aufs Tor geschossen", ein dritter. Tja, vielleicht
gewinnen wir das Ding noch... In der Nachspielzeit stürmt Sestak über
rechts nach vorn, auf der anderen Seite steht Schröder blitzeblank.
Der kann der HELD werden. Der Pass kommt, doch Schröder verstolpert.
Passend für unsere Leistung. Abpfiff - zum letzten Mal im Ruhrstadion
von Markus Merk (Tschöö!) - wieder ein Unentschieden. Das Ergebnis,
das ich nicht leiden kann. Fünf meiner letzten sieben Spiele endeten
1:1. Scheiße spielen, aber trotzdem punkten - das ist der VfL Bochum
in der Saison 08/09.
Michael setzt seine Brille
ab, deutet auf unseren Torwart: "Der, der ist ganz allein dafür zuständig."
Ich radebreche: "Das ist dem Renno sein Punkt." Folgerichtig wird er von
einem Sponsor via Videoleinwand zum "Knaller des Tages" gekürt. La
Ola fordert keiner, Humba auch nicht. Nur einen: "Reeeeeeeene Reeeeeeenno!"
"Wir haben eine neue Nummer eins", schreibe ich an die MSV-Fans zurück.
Tschüss Lastuvka!
Tschüss Bochum. Für
mich vorübergehend. Zweimal aus München nach Hause gefahren,
unter anderem auch, um den VfL spielen zu sehen. Zweimal 1:1, zweimal Mist
gespielt. Das hat sich ja richtig gelohnt. Ich brauche jetzt Ruhe. Fahre
deshalb nicht direkt nach dem Abpfiff zurück nach Mülheim, steige
nicht in den mit mehr als enttäuschten MSV-Fans gefüllten Regionalexpress.
"Wir singen DUISBURG DUISBURG, zweiiiiiiiite Liga!", brüllen VfL-Fans.
Es hallt richtig im Bahnhofsgang, aggressive Grundstimmung. Mein Regionalexpress
führt mich in die Gegenrichtung nach Witten-Annen, zur Liebsten, wir
spazieren durch die Felder.
Morgen geht's wieder ab
nach München. Vielleicht lese
in den nächsten zwei Tagen die Nachricht: "Drsek verlängert beim
VfL". Es würde meine ohnehin schon immer gute Praktikantenlaune noch
weiter euphorisieren. In diesem Spiel hätte selbst der Doktor nichts
verschlimmert. Im Gegenteil. Vermutlich wäre unsere Laune sogar gestiegen.
Der Ordner ringt, der Megafonmann singt
Ein rabenschwarzes Wochenende für den VfL Bochum. Ein schwer verletzter Ordner und die vierte blamable Leistung in Folge.
Wenn alles in die falsche Richtung läuft.
Wenn die Worte fehlen
Man, nicht schon wieder diese
Rauchbomben. Jedes Jahr in Bielefeld, warum auch jetzt. Das fängt
doch wieder tierisch an zu stinken. Bisher lief's doch eigentlich ganz
lustig. Schon weit, weeit, weeeit vom Stadion entfernt hörten mein
Bruder und ich die Sprechchöre, hörten "Ostwestfaaaalen-Idioooten".
Problemlos gelangten wir in die Kurve, schauten uns die neue Alm an, lachten
über das Vereinsmaskottchen (eine Kuh!). Ja, endlich wird das Schüco-
(oder so ähnlich) Stadion auf- und umgerüstet und die Gästefans
müssen nicht mehr in einem Käfig am Spielfandrand stehen, sondern
können sich direkt hinterm Tor platzieren. Endlich. Weather is fine,
die Sonne scheint, ich trage die Mailand-Sonnenbrille auf dem Kopf. Irgendjemand
verlor 50 Minuten vor dem Anpfiff einen Schlüssel, ein Ultra schnappte
sich das Megafon und brüllte mit hundertfacher Unterstützung
auf der bekannten "Fußballfans sind keine Verbrecher"-Melodie "Wer
hat diesen Schlüssel verloren?" Nach weiteren zwei Minuten dann ein
Wink zu irgendjemandem: "Er hat den Schlüssel verloren!" Haha, dreimal
laut gelacht, die Stimmung war scheckig.
Bis vorhin.
Jetzt wieder diese Rauchbombe.
Schnappe meinen Schal, ziehe ihn übers komplette Gesicht, presse ihn
gegen meine Nase. Zum Glück ist der Gästebereich noch nicht überdacht,
dann zieht der Rauch so schnell wie möglich ab. *BUFF* *PENG* Was
war denn das? Ein lauter, ganz lauter, silvesterknall-lauter Böller
geht in die Luft, unglaublich. Vorn am Zaun ist's - natürlich - unglaublich
laut, ultraeskes Verhalten. Der Rauch verzieht, die Mannschaften laufen
zu den Klängen von Metallicas "Enter Sandman" ein (sehr cool), das
Spiel beginnt. Man, ist das ärgerlich, blöde Fans, blödes
Ultra-Umfeld. Doch was ist das? Da werden ja zwei behandelt! Schaue in
den Anfangsminuten kaum aufs Spielfeld, passiert sowieso noch nicht viel.
Ein VfLer hat Verbrennungen, Wunden, was auch immer - jedenfalls ist einer
der beiden Unterarme verbunden. Irgendein anderer liegt aber noch am Boden,
keine fünfzig Meter von mir entfernt. Keine fünfzig Meter! Die
Sanitäter und Notärzte fordern eine Trage, legen den Mann an
den Tropf. Er trägt eine gelbe Weste. Ein Ordner. Die nächstgelegenen
VfL-Fans stehen keine zehn Meter entfernt und verfolgen das Geschehen aus
allernächster Nähe und brüllen weiter, als sei nichts passiert.
Polizisten setzen sich auf die neu gebaute Sitzplatztribüne, alle
brüllen "Einmal winken für die Polizei" (Melodie: "Das war super,
das war elegant!") und "HINSETZEN!" (wie vor 'ner Humba). Und unten ringt
ein Mann mit dem Leben?
Mir vergeht der Appetit
auf Fußball.
Für ein paar Minuten.
Gestern Abend fuhr ich zu der Liebsten nach Witten. Stieg in Essen um, fuhr mit der Regionalbahn Richtung Hagen weiter. Über Bochum. Dort stiegen VfL-Fans zu, schätze zwischen 17 und 20, vier oder fünf an der Zahl. Hatte mich umgezogen, war also nicht mehr als Gleichgesinnter erkennbar. Das Quartett, Quintett, wie viele auch immer es waren, hatte sich in Bochum scheinbar noch richtig weggeschmettert, sang und laberte dummes, ganz dummes Zeug. "Das Spiel haben wir verloren", sagten sie immer wieder. "Aber die Schlacht gegen Ordner und Polizei gewonnen. Geil, ein Schädelbruch." Heute ist schon übermorgen. Montag, 5. Mai, kurz nach Mitternacht, 0.19 Uhr, sitze am Laptop. BIn neidisch, weil ich gerade im Fernsehen die Bilder aus der MSV-Arena sehe. 3:2 hat der MSV in der Nachspielzeit Bayer Leverkusen geputzt, Emotionen, Jubel, Feier, Abstiegskampf, Nervenkitzel. Bei uns gibt's im Fanforum einen Thread "Emotionslosigkeit". Der letzte Eindruck einer Saison bleibt, sage ich. Meint mein Bruder zwar nicht, ich glaube aber fest dran. Wir verlassen die Saison mit katastrophalen Leistungen und dem absoluten Negativerlebnis. Es ging durch alle Medien, durch die komplette Republik. "Schädel- und Kieferbruch" und "Fans des VfL Bochum" - in diesem Zusammenhang. Möchte nicht wissen, wie's in den Fanforen rauf- und runtergeht, habe immer noch keine Lust, über solche Idioten nachzudenken, zu schreiben. Was tun, wenn die Worte fehlen? Was soll das? Was sollen Rauchbomben? Wie Ihr eifrigen Leser wisst, stehe ich einigen Verhaltensweisen von Polizisten und Ordnern gegenüber Gästefans kritisch gegenüber, aber nichts (NICHTS!) rechtfertigt es, Menschen zu verletzen. Schlimm genug, dass ich überhaupt meine Homepage mit solchen Zeilen versehen muss. "Wenn die Worte fehlen..." ist die einzig wahre Überschrift.
Ein rabenschwarzes Wochenende für den VfL Bochum. Die zahlreichen Anrufe und sms der MSV-Fans: "Vielen Dank für die hilfreiche und engagierte Unterstützung des VfL im Abstiegskampf." Lieber Duisburg in der Bundesliga als Bielefeld. Diese berechtigten Negativschlagzeilen gegen die Fans, dass das Verhältnis zwischen Verein und Fans bis Saisonende und vielleicht darüberhinaus abkühlen werden. Ganz am Schluss muss ich irgendwie in diesem Blogeintrag noch das beschämende Spiel unterbringen. Selten waren wir so überlegen, selten bis nie in der Bundesliga konnten wir 61:39 Prozent Ballbesitz vorweisen. Selten bis nie in der Bundesliga konnte jeder Zuschauer sehen, dass der VfL Bochum technisch eine ganze Klasse besser ist als der Gegner. Was haben wir daraus gemacht? Nichts! Eine überhebliches und peinliches Ballgeschiebe mit ekelhaft schlechten individuellen Leistungen. Die Abwehrriegel-Arminia spielte im Rahmen ihrer Möglichkeiten, also unterirdisch. "Wenn überhaupt, dann kriegen wir nur nach einer Standardsituation ein Tor", sagt mein Bruder in der 60. Minute. In der 67. wird er erhört: Epalle verliert in der Vorwärtsbewegung den Ball und foult beim Zurücklaufen einen Arminen. Freistoß, Kopfball Mijatovic, Tor. 1:0 für Bielefeld. Der Rest ist schrecklich. Yahia vergibt unsere größte Chance, köpft kurz vor Schluss an den Pfosten. Kamper sorgt in Minute 91 für klare Verhältnisse. Konter, 2:0, noch viel schlechtere Laune. Vier blamable und peinliche Leistungen in Folge. Vier! Witzig nur, dass wir aus den ersten drei Spielen sage und schreibe fünf Punkte holten und im vierten haushoch feldüberlegen waren. Aber warum schreibe ich hier das Wort "witzig". Es ist verflucht fehl am Platz nach diesem Negativereignis, einem der miesesten Momente in meiner Auswärtsspiel-Geschichte. Das 1:6 in Oberhausen, schlimm, klar, aber auch Kult. Viele, viele Niederlagen in den fünf Abstiegsjahren, auch elendig schlimm. Aber emotionslos und verletzend: Das ist eine Mischung, die ich so nie wieder erleben will.
Wann ist die Saison endlich
vorbei? Ich kann nicht mehr!
Flutlichtspiel am Dienstagabend: die große Trostlosigkeit!
Nicht einmal in den fünf Abstiegsjahren habe ich mich so sehr geschämt. Wie kann sich eine Mannschaft nur so hängen lassen?
Gerd macht's vor: Nur mit Bierchen zu ertragen!
Verein für Lustlosigkeit
Und dafür an diesem Supersonnentag der ganze Stress...
Es war das Spiel der Spiele,
das geilste der vergangenen zehn Jahre, die Mutter aller Heimspiele. Nach
unserem 2:1 gegen Schalke
vor einem Jahr bebte das Stadion, bebte die Stadt, bebte die Fußballwelt.
Eine Woche später stand der Klassenerhalt auch theoretisch fest.
Und jetzt, ein Jahr später?
Morgen früh gibt es
keine Schlagzeile, die da lautet "Bochum schockt Schalke". Niemand verteilt
auf der VfL-Homepage eine "10" für irgendeinen Spieler. Ich sitze
vor dem Rechner, genau wie vor einem Jahr. Damals euphorisiert. Und heute:
desillusioniert. Selbst in allen fünf Abstiegsjahren habe ich mich
nicht so geschämt für diese Mannschaft. Wie ist es dieser technisch
nicht einmal unbegabten Mannschaft möglich, nach so tollen Spielen,
nach einer so tollen Vorrunde, so einzubrechen? Fünf Katastrophenspiele
hintereinander, fünfmal versagt, fünfmal fast gar nicht auf dem
Platz gestanden. Wir haben von den vergangenen elf Spielen nur eins gewonnen.
Nur EINS! Aus dem "Das ist die Mannschaft der Zukunft"-Jubel nach dem Leverkusen-Spiel
sind "Wir wollen Euch kämpfen sehen"-Rufe geworden - mit einem gellenden
Pfeifkonzert. Aus der Bewunderung der übrigen Bundesligisten über
eine fantastische Einkaufspolitik ist Gelächter geworden, weil wir
unseren Supermanager Stefan Kuntz aus unerfindlichen Gründen zum Zweitliga-Abstiegskandidaten
Kaiserslautern getrieben haben. Aus einem aufstrebenden Bundesligisten
ist der "Abstiegskandidat Nummer eins" der kommenden Saison geworden. "So
wie die jetzt spielen", heißt es in der Liga, "und ohne den Kuntz."
Und ich will es all den Experten dieser Republik nicht verdenken. Das ist
unfair, unsportlich und peinlich.
Möchte über diesen
Tag, über dieses erbärmliche Spiel nicht viele Worte verlieren.
Eigentlich.
Arbeite im Moment in der
WAZ-Redaktion Vest in Recklinghausen. Von dort geht's mit dem Bus "20"
bis Herne Bahnhof, mit der U35 bis Bochum Hbf und schließlich bis
Ruhrstadion. Bin inzwischen aus allen Richtungen zum Ruhrstadion gefahren
- aus Castrop-Rauxel, aus Herne, aus Mülheim, Essen, Dortmund, mit
dem Zug, Auto. Von Haltestelle zu Haltestelle steigen mehr Fans zu, doch
richtiges Derbyfeeling - wie noch vor einem Jahr - mag nicht aufkommen
bei mir. Schalke als Gegner funktioniert nur, wenn's für uns gegen
den Abstieg und/oder für Schalke um den Titel geht. Hätte eine
Ehrenkarte haben können (mit Aufenthalt in der Moritz-Fiege-Lounge
oder so ähnlich), stehe aber lieber mit Gerd in der Ostkurve zum Pöbeln.
Kurz vor dem Anpfiff sagt sich noch Daniel an, ein alter Freund aus Mülheimer
Zeiten, der nur ein-, zweimal pro Saison die Ostkurve betritt ("Der soll
den Kuranyi foulen. Richtig foulen. Dann spielt der bei der EM nicht mit."
Oder: "Warum macht Kuranyi Werbung für Nutella? Weil er Nusspli nicht
aussprechen kann!" DAS ist Daniel).. Er will einen Sieg sehen. Natürlich.
Ich auch. Selbstverständlich.
Großes Diskussionsthema
sind natürlich bei allen die Vorkommnisse aus Bielefeld. Die Mannschaft
hat einen offenen Brief an die Kurve verfasst, unterzeichnet von Zdebel
und Maltritz - auch die Ultras sahen sich zu einer "Stellungnahme" genötigt,
die sie auf ihrer Homepage und in ihrem A4-Blättchen "Blick in die
Kurve" veröffentlicht haben. Beim Einlaufen steht auf einem Transparent
"Gute Besserung". Der Megafonmann ist heute weit und breit nicht zu sehen.
Streiken die Ultras? Verzichten sie aus Angst vor "Ultras raus"-Rufen?
Wollen sie der Diskussion die Schärfe nehmen? Ob Brief oder Stellungnahme:
Die Mehrzahl klatscht brav Beifall. Gut so.
Stellungnahme der Ultras im eigenen "Blick in die Kurve"
Richtig ist, was zum Schalke-Spiel
sportlich im A4-Blatt steht: "Alles geben, um unseren lustlosen Kickern
in ihren hochbezahlten Hintern zu treten." Klappt aber nichr lang. Eine
halbe Stunde ist's ganz okay, was wir abliefern. Unsere allerallerbeste
Schangs vergibt Dabrowski in der 3. Minute. Seinen Kopfball pariert Schalkes
Torwart Neuer super. Danach übernimmt Schalke von Sekunde zu Sekunde
mehr das Kommando. Asamoah trifft kurz vor der Pause zum 1:0. "Abseitstor",
funkt ein Premiere schauender Mit-Volo per SMS. Egal. Rakitic erzielt das
zweite Tor Mitte der zweiten Hälfte und Bordon kurz vor Schluss sogar
das dritte. Völlig problemlos passen sich die Schalker den Ball zu,
unbedrängt und in der Schlussphase gar ohne jegliche Gegenwehr. Wir
können froh sein, dass die Schalker ihre Überlegenheit nicht
voll ausspielen. Auch über ein 0:4 oder 0:5 würde ich mich nicht
beklagen.
Unmittelbar nach dem erlösenden
Abpfiff verabschiedet sich Gerd in die Sommerpause - er weilt in anderthalb
Wochen beim abschließenden Heimspiel gegen Hansa Rostock im Urlaub.
Da wäre ich auch gern. Kumpel Daniel aus Mülheim bringt mich
dankenswerterweise nach Hause. Wir analysieren das Spiel im Auto nur kurz.
Ganz kurz. Und ich möchte zum Abschied dieses kurzen, frustrierten
Beitrags den Satz in Kursivschrift setzen, den ich auch nach dem Bielefeld-Spiel
schon schrieb:
Wann ist die Saison endlich
vorbei? Ich kann nicht mehr!
Frühsommer im Ruhrgebiet, Trockenheit im Ruhrstadion: Im Mai wird's endlich, endlich schön - eine Stunde vor dem Spiel bekommt der Rasen des Ruhrstadion ein paar kräftige Schlücke Wasser... | ... und wir Fans werden aufgemuntert. Zu den Klängen der großartigen Sirtaki gibt's die Tore vom 2:1 in der vergangenen Saison. Theofanis Gekas' Tor mit dem zugehörigen Jubel vor der S04-Kurve: Das ist und bleibt unvergessen! Obwohl es die Schalker kaum zugeben werden: Das hat bestimmt verdammt weh getan. |
Ich weiß, ich habe diese Bildunterzeile überstrapaziert, aber wenn "Wo die Sonne verstaubt" nun einmal so gut passt... Nach der Aufstellung sang unser Stadionsprecher Michael Wurst "Und schon wieder keine Punkte S04". Zwar ganz leise, aber doch laut genug. Aggressive Derby-Stimmung? Ja, schon, aber um Längen nicht vergleichbar mit den Ereignissen Ende April 2007. | Zum letzten Mal in der Saison 2007/2008 besuche ich ein Heimspiel mit dem Richter Gerd. In zwei Wochen weilen er und sein Bochum/Trabzonspor-Schal aus dem UEFA-Cup-Jahr 1997 im Urlaub. Bis zum Wiedersehen im August! |
Einlaufen: Schaffen wir's wieder? Vor einem Jahr waren die Schalker eindeutig in der Überzahl. Diesmal ist's fuffzichfuffzich. | Die Anzeigetafel verrät den Spielverlauf: Bochum schlecht, Schalke gut und souverän. |
Nur fünf Buchstaben: B R A V O !
Ich tilge einen weißen Fleck auf meiner Stadion-Landkarte - und das fulminant: 3:1-Sieg, 30 Grad, Pfingstsamstag. Super!
Heut bin ich ein Sonnenkind
Kriege des Grinsen gar
nicht mehr raus aus meinem Gesicht. Nur sieht das hier keiner, nachts um
kurz nach elf zu Hause in Mülheim. Ist schon dunkel. Auf dem Spielplatz
unweit meiner Wohnung haben die Jugendlicher meines Neighbourhoods "Gangbang"
an die Inline-Skate-Anlage geschraubt. Aus den Boxen irgendeines Stereo-Abspielgeräts
dröhnt in dieser warmen Sommernacht Rapmusik. Ich setze meine Sonnenbrille
auf die Nase, obwohl ich dann absolut gar nichts mehr sehe und wippe mit.
Fühl mich wie ein Sonnenkind.
Setze mich sofort an den
Rechner. Heute Abend mach ich nichts mehr. Heute will ich einfach nur diesen
Triumph genießen, die Bilder meines Karlsruhe-Ausflugs von der Kamera
auf diese Seite heben, nebenbei Fernsehen schauen - Mist, läuft nur
"Notting Hill", aber egal - und rausgucken in die Dunkelheit Mülheim-Eppinghofens.
Seht ihr die Denkblase neben meinem Kopf? Denke an den Morgen, an die Aussichtslosigkeit,
mit der ich diesen Tag begann. An die Zweifel. An den "Ich war noch nie
da und will nur das Stadion sehen"-Strohhalm, an den ich mich klammerte.
KSC gegen VfL, das ist das unwichtigste Spiel der Saison, wird in der Sportschau
ganz am Anfang gezeigt (und dann auch nur die Tore) und im Sport-Studio
am Ende in der Spieltags-Zusammenfassung (und dann auch dort nur die Tore).
Schaue kurz auf die Titelseite der WAZ, jawoll, wieder 28 Grad und Sonne.
Der Himmel ist blau. Ziehe mein weißes Flattershirt aus vergangenen
Bangkok-Zeiten an. Es kostete drei Euro in der Khao San Road und brachte
mich quer durch Südostasien. Die Mailänder Sonnenbrille (auch
drei Euro) auf der Nase. Sonnenkind eben. Um 9.56 Uhr fährt die S-Bahn
Richtung Duisburg, mein bei Kamps gekauftes Frühstück ist bei
der Ankunft schon wieder im Magen verschwunden. Heute fahre ich IC, ist
erstaunlich viel billiger als der ICE und fast genauso schnell. Heute ist's
ein EC, der von Hamburg-Altona übers Ruhrgebiet nach Basel fährt.
Der Zug ist richtig voll, kein Sitzplatz frei, selbst die Gänge sind
so voller Menschen, dass ich glaube, ich würde mit der 308 vom Bochumer
Hauptbahnhof Richtung Ruhrstadion fahren. Erst in Köln finde ich einen
Sitzplatz, direkt neben einer sehr schnuckeligen Oma. Bis Bonn kenne ich
schon ihre aktuelle Lebensgeschichte. Sie kommt aus Mönchengladbach,
ihre Tochter hat sie nach Düsseldorf gebracht. Jetzt fährt sie
nach Winterthur. Dort wohnt ihr Sohn mit Frau und Enkelkindern. Leider
liegt der Sohn - Bürojob, gut bezahlt - im Krankenhaus. Oma muss auf
die Enkel aufpassen. Sie erzählt's und löst danach Sudoku in
diversen Frauenmagazinen. Mehr Klischee geht eigentlich gar nicht. Wer
fährt heute eigentlich überhaupt noch IC? Überwiegend Jugendgruppen
und ältere Menschen (irgendwer im Zug sagt "Silbermützen", nanaaa,
nicht so unkorrekt). Der Boden ist aus Plastik und nicht mit Teppich ausgelegt,
die Laptop-Dichte - im ICE bei 85 Prozent - liegt hier bei fünf Prozent.
Im IC riecht's nach selbst geschmierten Leberwurst-Stullen. Wer mit dem
IC in den Südwesten fährt, kommt auf jeden Fall am Rhein vorbei.
Vorbei an St. Goar, Boppard, Bingen, an der Loreley. Für solche Tage
liege ich die Bahn, wenn die Sonnenstrahlen auf dem Wasser tanzen, wenn
in den kleinen Weindörfern wie Kobern-Gondorf bei den Dorffesten der
Grillrauch bis zum Zug reicht. Mir ist, als würde ich die Bratwurst
durchs Fenster schnuppern können. Da komme ich schnell in sms-Schreiblaune.
Nur Helmut, der MSV-Fan, antwortet: "Warum habe ich das Gefühl, dass
wir heute endgültig absteigen?" Angesichts eines Heimspiels gegen
Bayern München allzu verständlich...
Der Zug hat nur fünf
Minuten Verspätung. Erreiche um 13.52 Uhr Karlsruhe und habe noch
genug Zeit, um ein klitzekleines bisschen durch die Stadt zu laufen. Mit
der Straßenbahn "S1" tuckere ich über Poststraße und noch
so'n paar Tingel-Haltestellen bis zum Marktplatz, die sprechen hier alle
badischen Dialekt, das ist nicht mehr hihi, sondern schon hehe. Auf dem
Marktplatz ist 'ne ganze Menge los, bei dem Wetter - in der Tat 28 Grad
und Sonne - kein Wunder. Schlendere zum Karlsruher Schloss, dem Mittelpunkt
der Stadt. Hier stand - wenn ich mich richtig erinnere - erst das Schloss
und dann folgten die Einwohner. Im wunderschönen Schlossgarten geht's
auf den Wiesen zu wie in den großen Parks dieser Welt. Frisbee, Fußball,
Bikini, Grillwurst. Zwischendrin Fußballfans, die durch den Schlossgarten
ins nahe Wildparkstadion wandern. Ich spaziere mit, muss als Gastfan einmal
um das Stadion rum, vorbei an den Ultras Karlsruhe und spüre dann
die Folgen des Bielefeld-Auswärtsspiels. Eine Stunde vor dem Anpfiff
steht für jeden Fan ein Ordner am Eingang. Ich komme an, mein Gegenüber
verschränkt die Arme und sagt nur: "Alle Taschen ausleeren!!!" Mit
drei Ausrufezeichen. Ich packe ein bisschen aus, ganz langsam. Er wiederholt:
"Alle Taschen ausleeren!!!!!" Mit fünf Ausrufezeichen. "Und Schal
ablegen!!!!!!!" Mit sieben Ausrufezeichen. Erledigt, er tastet ab, ich
darf rein und merke drin, dass er meinen Schlüssel gar nicht bemerkt
hat. Nicht mehr hihi, sondern hoho. Drinnen gibt es nur alkoholfreies Bier,
wie mir Fans am Getränkestand berichten. "Sonst immer nur Bier mit
Alkohol. Heute ohne." Vor dem Block, in dem 55 Minuten vor dem Anpfiff
keine 100 Bochumer stehen, steht eine ganze Ordner-Armee. Die Kollektivstrafe
für das Spiel gegen Hansa Rostock ist nicht die einzige Strafe.
Das Wildparkstadion ist
so richtig "Oldschool", ein Werk aus den 80ern. Haupt- und Gegentribüne
sind überdacht, die beiden anderen nicht, eine Laufbahn umrundet das
Rasen-Spielfeld. Aramark sorgt hier noch nicht für die Verpflegung.
Das ist richtig, richtig gut. Endlich noch handgebratene Würstchen!
Wir Gästefans stehen unüberdacht. Ist heute super, aber im Regen
wird's hier ganz schön matschig. Denn die Stehstufen sind nicht aus
Beton, sondern mit Asche und kleinen Steinchen ausgelegt. Ich setze die
Sonnenbrille ab und schaue mitten rein ins Helle. Bräun mich, sun!
Verpasse fast, dass die Spieler zum Aufwärmen das Stadion betreten.Bei
uns ist Maltritz verletzt, dafür spielt Dr. Sek in der Innenverteidigung.
Der ist zwar Kult, aber ob er die kombinationsstarken Karlsruher zu stoppen
vermag? Es werden etwa 1000 treueste VfLer, die den Weg ins Badische fanden.
Was bei uns Grönemeyer ist, heißt hier das "Badener Lied", die
Konkurrenz zum VfB Stuttgart wird deutlich mehr als einmal betont. Auf
geht's Bochum schießt ein Tor. Nervös bin ich trotz allem. Siehe
oben: trotz aller Bedeutungs- und Emotionslosigkeit.
Was sich in der ersten Halbzeit
abspielt, finde ich sogar recht munter - vor allem mit unseren vergangenen
Spielen im Hinterkopf! Azauoagh schlenzt eine Ecke direkt aufs KSC-Tor,
Miller boxt den Ball so gerade eben von der Linie - direkt in der Anfangsphase.
Sestak schießt nach einer Kombination knapp vorbei, rund um die 10.
Unsere Abwehr - vor allem Dr. Sek - kontrolliert das Spiel, sieht gut aus.
Erst ab Minute 25 schenken wir das Ding etwas ab, gönnen dem KSC etliche
Standardsituationen in Strafraumnähe. Aber es passiert nichts, wir
haben etwas Glück. 0:0 wäre ein verdienter Pausenstand - auch
1:1 oder 2:2. Doch Peter Gagelmann, der Schiedsrichter, würde unmittelbar
vor der Pause noch gern ein Tor sehen. Deshalb fälscht er einen Pass
des Karlsruhers Stefan Buck so unglücklich ab, dass Azaouagh an den
Ball kommt. Der zieht von der Mittellinie davon, marschiert und marschiert,
umdribbelt einen Karlsruher, wird nicht gestört und schiiiiiebt die
Kugel locker ins Eck. 1:0 für uns, überglücklich. Üüüüüüberglücklich.
Gagelmann pfeift gar nicht mehr an, zuckt mit den Schultern, sagt zu den
anstürmenden Karlsruhern "Tut mir leid". Nicht hihi, sondern hahahahaha.
Halbzeit.
Wie mir gerade auffällt,
sind die Ultras wieder ohne Vorsänger angetreten, mich würde
echt interessieren, was da los ist. Die Karlsruher schwenken ihre 20.000
Fahnen, die der Hauptsponsor spendierte. Sieht gar nicht so unbeeindruckend
aus. Doch nach der 51. Minute ist die Stimmung hier gar nicht mehr so richtig
scheckig wie sonst beim letzten Heimspiel nach einer tollen Saison. Nach
einer Azaouagh-Ecke köpft "Batman" Dabrowski trotz Gesichtsmaske das
2:0 - in der 48. Zwei Minuten später zieht der sehr starke und extrem
verbesserte Epalle unwiderstehlich über rechts davon, sieht den in
der Mitte frei stehenden Sestak. Epalle passt, Sestak verwandelt direkt:
3:0-Führung! AUSWÄRTS! DREINULL! UNGLAUBLICH!!!!! Da setze ich
die Sonnenbrille ab, schließe die Augen, hoffe auf ein wenig Bräune
und verfolge das Geschehen auf dem Rasen nicht mehr wirklich. Denn es wird
ein unfassbarer Sommerkick, aber diesmal stört es mich null. Drsek
lässt sich verletzt auswechseln, Mervim Mavraj darf sein erstes Bundesligaspiel
bestreiten. Auf der Anzeigetafel leuchten die Zwischenergebnisse auf. Duisburg
und Rostock erwischt's schon heute, wir überholen Dortmund wieder.
Da hat MSV-Helmut heute üble Laune. Ich grinse. Grinse einfach nur
und teile das per sms nahezu jedem in meinem Adressbuch mit. Die Karlsruher
pfeifen ab der 75. Minute nicht mehr, sondern feiern. Sie freuen sich auf
die große Saisonabschlussfeier im Anschluss an den Abpfiff, mehrfach
bittet der Stadionsprecher: "Bitte bleibt in Eurem Block!" 60 Sekunden
vor Schluss gönnt unser sonst starker Torwart Lastuvka dem KSC-Kapitän
Eggimann das 1:3. Wieder ein Torwartfehler, aber für mich ein guter.
Denn ich habe Eggimann im Kicker-Manager-Spiel. Lalalalala, fünf Punkte
mehr.
Abpfiff, Applaus des ganzen
Stadions. Die KSC-Fans klatschen für eine Supersaison, unsere Spieler
bedanken sich bei den Treuesten. Selbst unser Trainer Marcel Koller kommt
in die Kurve und klatscht mit jedem Fan ab. Die Laune bei allen ist super,
wenn mein Zug nicht um 18.08 Uhr führe und ich null Ahnung habe, wie
ich in der Zeit zum Bahnhof gelangen soll, bleibe ich nur fünf Minuten
und genieße diese tollen Momente nach dem saugeilen Spiel. 3:1, unglaublich.
Habe den weißen Fleck auf meiner Stadion-Landkarte geschwärzt,
und das direkt so fulminant. Weil wir Bochumer in Bielefeld komplett so
böse waren, werden wir in Sonderbussen zum Hauptbahnhof gekarrt, begleitet
von mehreren Polizeiwagen. Das ist diesmal super für mich, pünktlich
steige ich in den Regionalexpress, der mich in knapp 100 Minuten über
die Dörfer nach Mainz bringt. Auf einem mitgebrachten Zettel (für
die Notfälle) notiere ich, dass in der Halbzeitpause "It's my life"
von Bon Jovi und "Choose to be me" von Sunrise Avenue liefen. Schreibe
die Tabelle auf, die Ergebnisse, kritzel, dass Ludwigshafen aus dem Zug
heraus nicht den Anschein erweckt, als lohne es sich, dort auszusteigen.
Umsteigen in Mainz, bei McDonalds ertönt "One love" in der Bono/Mary
C. Blidge-Version (notiere, dass ich diese Version gar nicht so schlecht
finde, verputze einen BigMäc), umsteigen in Köln, umsteigen in
Duisburg. Alle Züge sind pünktlich.
Kriege des Grinsen gar
nicht mehr raus aus meinem Gesicht. Nur sieht das hier keiner, nachts um
kurz nach elf zu Hause in Mülheim. Ist schon dunkel. Auf dem Spielplatz
unweit meiner Wohnung haben die Jugendlicher meines Neighbourhoods "Gangbang"
an die Inline-Skate-Anlage geschraubt. Aus den Boxen irgendeines Stereo-Abspielgeräts
dröhnt in dieser warmen Sommernacht Rapmusik. Ich setze meine Sonnenbrille
auf die Nase, obwohl ich dann absolut gar nichts mehr sehe und wippe mit.
Fühl mich wie ein Sonnenkind.
Spiel und Stadion
Geschichte des Wildparkstadions
(mit
Hilfe von "1000 Tipps für Auswärtsspiele", Wikipedia und sonstigem
Netz-Kram):
Jetzt mal ehrlich: Wer von
Euch hat nicht sofort an das UEFA-Cup-7:0 gegen den FC Valencia und an
Winni Schäfer gedacht, als er den Vereinsnamen Karlsruher SC hörte?
Na? Ja, aber jetzt sind wir nicht mehr in den für die Badener so erfolgreichen
90ern, sondern 2008. Talfahrt? Trifft es dieses Wort? Nein, das ist eigentlich
noch viel, viel, viel zu schwach. Nach dem UEFA-Cup-Einzug und dem damit
verbundenen Größenwahn (immer international dabei etc.) ging
es natürlich - blitzgescheit kombiniert - ganz steil bergab bis in
die Regionalliga. Von der Planung eines neuen, reinen Fußballstadions
war fortan selbstverständlich nicht mehr die Rede, 2002 entging der
KSC nur haarscharf der Insolvenz. Dank des stillen, energischen und wahnsinnig
sympathischen Trainers Ede Becker spielt der KSC nun aber wundersamerweise
wieder in der 1. Bundesliga. Und muss sich daran noch gewöhnen.
Deshalb ist der Karlsruher
Wildpark das einzige "Oldschool"-Stadion mit durchgehender Laufbahn und
etlichen nicht überdachten Blöcken. Die Stehstufen sind nicht
komplett aus Beton, sondern noch hübsch mit Schutt und Sand aufgefüllt.
Olé. Im Mai 1923 wurde an späterer Wildpark-Stätte der
"Phönix-Platz" eingeweiht, mit überdachter Holztribüne für
1000 Zuschauer. Bis 1955 wurde es auf 50.000 Plätze ausgebaut, nach
dem Vorbild des Ludwigshafener Südweststadions. Heißt: Sukzessive
wurden die Seiten zugebaut, die Holztribüne für 5000 Menschen
neu errichtet. Eine kleine Flutlichtanlage folgte 1957. Erst 20 Jahre später,
von Ende 1977 bis August 1978, der nächste Umbau: Eine überdachte
Tribüne für 17.000 stehende und sitzende Zuschauer entstand.
Danach tat sich nichts mehr - bis auf ein paar "sicherheitstechnische Gerätschaften"
(1000 Tipps für...). Der Wildpark wurde (1000 Tipps für... sagt's)
"eine mittelprächtige Bruchbude". Zu UEFA-Cup-Zeiten ging's dann bergauf,
die Haupttribüne kostete 44 Millionen Mark (1000 Tipps sagt: "Andere
bauten in der gleichen Zeit für dieselbe Summe ganze Stadien"). Dabei
blieb es. Bevor der Rest umgebaut werden konnte, stieg der KSC ab und ab
und ab.
Und jetzt wieder auf und
auf.
Das Karlsruher Wildparkstadion: 29.699 Plätze! Zwischen der Saison 1997/98 und der Saison 2006/2007 spielte der KSC nicht in der ersten Liga. | Deshalb war diese Haupttribüne höchst selten komplett besetzt. |
Karlsruher SC gegen VfL Bochum - das gab es schon etwas länger nicht mehr in der 1. Bundesliga... | ... und trotz aller Bedeutungslosigkeit, trotz aller Lust- und Emotionslosigkeit der Vorwochen, trotz all des Ärgers: Ey Jungs, ist BUNDESLIGA! GUTE LAUNE! FUSSBALL! |
Eine VfL-Fahne, 20.000 kleine KSC-Fähnchen. Der Hauptsponsor des Vereins ließ die springen und holte sich dafür vor dem Anpfiff Applaus ab. | Noch so ein einheitliches Bild. Oder auch: Bielefeld und die Folgen. Folge eins: Im Gästeblock gab es nur alkoholfreies Bier, nicht wie sonst "mit Umdrehungen". Folge zwei: Eine Ordnerarmee, nicht nur vor dem Block. Auf fünf VfL-Fans kam ein Ordner. Folge drei: Eine Polizei-Eskorte mit dem Sonderbus zum Hauptbahnhof nach dem Spiel. Also nicht nur eine Kollektivstrafe für das nächste Heimspiel, sondern auch für die Auswärtsfans in Karlsruhe. |
Applaus für den VfL! Da macht es flupp und flupp und flupp... | ... und dann steht es nach 50 Minuten 3:0 für uns. Habe ich auswärts erst ganz, ganz, ganz selten erlebt. |
Naja, ein 3:1 auswärts schon häufiger. Mal eben nachschauen auf meiner VfL-Statistik-Seite: zum achten Mal! | "Batman" ohne Maske: Die Mannschaft kam nach dem Abpfiff zum Abklatschen in die Kurve. Nicht nur die Spieler, sondern auch Trainer Marcel Koller! Christoph Dabrowski kam ohne seine Gesichtsbekleidung. |
Stadt
Sorry, aber durch diese Sightseeing-Mühle
müsst Ihr jetzt durch - denn Karlsruhe fehlt noch auf meiner Homepage...
Karlsruhe. Hatte ich vorher nie mit zu tun. Ehrlich nicht. Weder direkt
noch indirekt. Ich kenne auch niemanden dort - höchst ungewöhnlich.
Wüsste nicht einmal etwas von einer Zeitung, von Kollegen, was auch
immer. Ich surf und les mal ein bisserl was und meld mich dann eine Zeile
später wieder!
So. Karlsruhe lässt
sich von einem CDU-Oberbürgermeister regieren. So weit, so konservativ?
Nicht wirklich! Denn - ganz Uni-Stadt - die Grünen erreichten bei
der Kommunalwahl 16,6 Prozent (die SPD derweil nur 23,8). Scheinbar
eine ziemlich brisante Mischung verschiedener Altersklassen und politischer
Richtungen. Ab zu den
Zahlen:
Einwohner: 286.861.
Liegt am Rhein, ist die drittgrößte Stadt Baden-Württembergs
(gut, also so viel wusste ich auch noch), wobei das "Württemberg"
in Karlsruhe nicht viel zählt. "BADEN" ist das entscheidende Wort.
Das merkt jeder Besucher schon nach einer Sekunde. Die Karlsruher Fußballer
- und wahrscheinlich Einwohner insgesamt - versuchen, sich sehr von Stuttgart
und den Schwaben abzugrenzen. Hat was von Düsseldorf gegen Köln,
wie mir scheint. Freilich auf etwas geringerem Niveau.
Geschichte: Karlsruhe
ist eine im deutschen Vergleich sehr junge Stadt und entstand am Reißbrett
mit der Grundsteinlegung des Karlsruher Schlosses am 17. Juni 1715. Reißbrett?
Das sagt die Legende! Denn Markgraf Karl Wilhelm von Baden-Durlach soll
einst während eines Jagdausfluges eingeschlafen sein und von einem
Schloss geträumt haben, eben "Karls Ruhe". Von diesem Schloss bewegen
sich die Straßen stadtauswärts - ganz wie Sonnenstrahlen. Ja,
doch, wer auf den Stadtplan schaut: stimmt sogar etwas. 1901 überschritt
die Einwohnerzahl die 100.000-Einwohner-Zahl. Von 1918 bis 1945 war Karlsruhe
Hauptstadt des Freistaates Baden. Die Baulücken nach 1945 wurden laut
Wikipedia mit "Betonbauten" gefüllt. Die bekannteren Stadtteile heißen
Durlach
und Rüppurr. Direkte Nachbarstadt ist Pforzheim. Vororte
außerdem: Ettlingen und Bruchsal.
Karlsruhe ist...
die "Residenz des Rechts" - weil Sitz des Bundesverfassungsgerichts
und des Bundesgerichtshofs (wusste ich auch), eine Universitätsstadt
(war mir auch bekannt), eine Messestadt. Okay, Messestadt,
soviel wusste ich nun doch nicht. Gibt's auch erst seit 2003, wie ich parallel
mitlese. Aha. Hey, eine Hafenstadt auch! Der fünftgrößte
Hafen Deutschlands, wer weiß das schon?
Industrie in Karlsruhe:
Mit der dm-Drogeriemarktkette und EnBW (Energie) haben zwei international
tätige Unternehmen ihren Hauptsitz in Karlsruhe. Außerdem ist
Siemens groß vertreten in der Stadt.
Sehenswürdigkeiten:
Klar, das Schloss überstrahlt alles. In seiner heutigen Form fertig
war's um 1775. Das Schloss beherbergt das "Badische Landesmuseum", der
Schlossgarten ist - denke ich - ein beliebter Treffpunkt aller Karlsruher
und vor allem im Sommer der Studenten der nahegelegenen Uni. Der seeeehr
nahegelegenen Uni. Vor Fußballspielen räkeln sich in schöner
Regelmäßigkeit Fußballfans auf den großen Wiesen.
Womit wir beim Sport
in Karlsruhe wären: Karlsruher SC im Fußball, logisch
- mit der "KSC-Zweiten" in der Regionalliga Süd. Dann noch - auf der
Anzeigetafel wurde geworben - der "TC Rüppurr" in der Tennis-Bundesliga
der Frauen! In der Europahalle (4.500 Plätze) spielte bis 2007 ein
Karlsruher Basketballverein erstklassig. Wie gesagt: spielte. Jetzt nur
noch Zweite Liga. Die Galopprennbahn in Iffezheim/Baden Baden ist noch
ein großer Bringer in der Region - war auch 'ne Werbung im Stadion.
Ach ja, Zeitungen:
Das habe ich natürlich doch noch nachgeschlagen. Die "Badische Neue
Nachrichten" (BNN) haben das Tageszeitungs-Monopol, wenn ich richtig gelesen
habe.
Ach, was sag ich: Ein wirklich
sehr schöner Pfingstsamstag bei sensationellen Bedingungen. Karlsruhe
bietet ein naja, ganz nettes Stadtbild, aber ob diese Stadt wirklich so
eine Reise wert ist? Immerhin heißt eine Hauptverkehrsachse "Kriegsstraße".
Also bitte! Wie sagte ich neulich noch, keine Ahnung, bei welchem Spiel:
Eigentlich hat jede Stadt einen Fluss/Hafen, einen Zoo/Tiergarten/Park,
ein Schloss/Burg, eine Uni und eine hübsche Einkaufsstraße zu
bieten. Alles darüberhinaus ist besonders, auch Vororte. Aber Karlsruhe
hat - so scheint's - keine Extras, genau wie das Wildparkstadion. Und auch
nicht knallermäßig interessante Nachbarstädte.
Aber vielleicht lesen ja
Karlsruher mit und überzeugen mich.
Und die Fahrt:
Eins noch: Wer mit dem Regionalexpress
von Karlsruhe bis Mainz fährt, kommt in knapp anderthalb Stunden an
folgenden Metropolen vorbei: Graben-Neudorf, Philippsburg (Baden), Germersheim,
Speyer Hbf, Schifferstadt, Ludwigshafen Hbf, Frankenthal und Worms Hbf.
Sam sagt: "Der beschissenste Saisonabschluss aller Zeiten." Ich belasse es bei einem: DANKE MARTIN MEICHELBECK!
Das Geisterspiel
Ein letztes Mal drehen wir uns um. Es ist der Ich-schaue-also-musst-Du-auch-schauen-Reflex. Wir blicken zum grauen Himmel, obwohl es seit ein paar Minuten nicht mehr regnet, sehen auf den nassen Rasen, beobachten, wie sich das Stadion langsam leert, wie die VfL-Fans gemächlich und wortlos an uns vorbeitrotten. Sam und ich schauen noch einmal in den Sitzplatz-Block C, auf diese großartigen Plätze in Reihe drei, direkt an der Bande, zwei Meter von der Außenlinie entfernt. Dann rückt Sam seine Brille auf der Nase zurecht und sagt: "Das war der komischste und beschissenste Saisonabschluss aller Zeiten, oder?" Ich bewege meinen Kopf in alle Richtungen, blicke schließlich auf den Boden und antworte: "Das war es wohl." Ein letztes Mal für drei volle Monate drehen wir uns um, schauen aufs Ruhrstadion zurück. Und ein bisschen auch auf die komplette Saison.
Einziger Vorteil: geile Sicht!
Ein Spiel noch überstehen.
Eins. Schon der Morgen beginnt seltsam. Naja, er beginnt sehr schön,
bei der Liebsten zu Hause. Aber die Gehrinhälfte, die sich mit dem
VfL Bochum befasst, sagt: Irgendwie schon fein, dass alles heute zu Ende
geht und wir diese nichtssagende Abschlusstabelle in der Schublade verstauen
und verstauben lassen können. Aber: DREI MONATE OHNE VFL! Fußball-Ambivalenz.
Die Liebste kommt heute erstmals mit ins Stadion, auch das ist ein sehr
seltsames (aber gleichsam auch schönes) Erlebnis. Und überhaupt
wird das heute das gespentischste Spiel meiner VfL-Karriere. Weil ganz
bundeswehrlike die Kollektivstrafe beim DFB noch gilt, ist die Osttribüne
komplett gesperrt. Die paar Idioten, die in Bielefeld
den Ordner halbtot geprügelt haben, sind dafür zuständig.
Na super. Alle Karten-Inhaber für die Ostkurve (also auch alle Dauerkarten-Inhaber)
durften ihre Tickets in Sitzplätze auf der West- oder Südtribüne
umtauschen. Mit meiner und zwei weiteren Ostkurven-Dauerkarten (Urlaub!)
bestückt, ging Sam am vergangenen Dienstag in den Ticketshop. Reihe
C, Platz drei, direkt am Rasen.
Treffpunkt ist um 14.30
Uhr vor Block C. Tranken zuvor ab eins noch ein Wasser im "Extrablatt"
im Bermuda-Dreieck mit einem Arbeitskollegen und fluchten schon: Es regnet.
Und wie. Als Sam Anfang der Woche die Tickets orderte, brannte die Sonne
nach einem sensationellen Pfingst-Wochenende. Und jetzt? Wir betreten Block
C, wie ungewohnt, und stellen fest: Diese Block- und Reihenwahl wird zu
einem klassischen Bumerang. Natürlich ist das Ruhrstadion überdacht,
aber leider schützt das Dach nicht die ersten drei Sitzplatz-Reihen.
Also packt die Liebste ein Taschentuch aus, wischt drei Sitze trocken,
ich setze mich unspektakulär auf meine Stadionzeitung.
Setze mich und schaue mich
um.
"Oha, das sieht heute gar
nicht gut aus mit der Zuschauerzahl", sagt Sam sofort. In der Tat. 55 Minuten
vor dem Anpfiff sind 1000 Rostocker da und 800 Bochumer. Davon im C-Block
- ungelogen - 100 bis 200 Japaner mit "Shinji-Ono"-Schal. "Warum sind hier
so viele Japaner?", fragt die Liebste recht schnell. Offiziell heißt
es "ausverkauft", offiziell sind 19.000 Besucher hier, aber viele Ostkurvis
verweigern den Besuch. Die Ostkurve selbst ist leer, bis auf ein paar "Brittas
und Steffis", wie Sam die weiblichen Ordner tauft. Etliche Fanklubs haben
ihre Banner ausgebreitet, aber auch das mag die Gespensterstimmung nicht
vertreiben. "Leere Ostkurve - trotzdem nicht alleine" ist das dickste Banner.
Sieht aus, als hätte es der Verein gespendet. Aus meinem üblichen
Umfeld sehe ich niemanden. Nicht den Professor, nicht Lupo. Wo sich die
Ultras aufhalten, bleibt völlig offen, der Vorsänger streikt
zum dritten Mal in Folge. Die Trommler haben sich im einzigen noch verfügbaren
Stehplatzblock verschanzt. Es ist alles so trostlos an diesem Tag. Wie
unmittelbar vor einem Saisonvorbereitungsspiel im Ruhrstadion gegen einen
namenlosen Zweitligisten aus Moldawien. Die sensationelle Sicht sorgt da
nur kurzzeitig für Hallo-Wach-Laune. Schiedsrichter Manuel Gräfe
dehnt sich mit seinem Team direkt vor unseren Augen. Da muss ich mit meiner
Digitalkamera nicht einmal zoomen. Hammer.
Wenn die Liebste nicht dabei
wäre, würden die Sekunden bis zum Anpfiff noch viel, viel zäher
vorbeigehen. Cola und Bier gibt's heute nicht aus dem Pfand-, sondern nur
aus dem Plastikbecher. 3,30 Euro kostet der halbe Liter, puh. Es ist ein
Sicherheits-Risikospiel, weil sich die Ostkurven-Prolls (Polizei-Sicht)
und die Rostocker Zaun an Zaun begegnen. Besonders ergreifend wird es nur
zwei Minuten vor dem Anpfiff, als Martin Meichelbeck verabschiedet wird.
Acht Jahre trug er das VfL-Trikot, wurde zu einem der sympathischsten Spieler,
die jemals in Bochum aufliefen, ließ sich ständig im "Tucholsky"
im Bermuda-Dreieck sehen - und auch bei Stadtfesten wie "Bochum total".
"Viele Freunde lasse ich zurück", sagt er. Doch Martin kam nicht mit
Marcel Koller klar - und ist nach van Duijnhoven, Colding und Wosz der
vierte Publikumsliebling, den Koller unsanft aussortiert. Sieht schlecht
aus für Epalle in der kommenden Saison... Im Regen erhält Martin
den obligatorischen Blumenstrauß und ganz laute "Martin-Meichelbeck-schalalalala"-Rufe.
Verdient.
Und das vor offiziell in
der Tat 18.883 Zuschauern. Aber dennoch bleiben viele, viele Sitze blau
- auch in der Rostocker Ecke. Etliche Hansa-Fans, die auf ein Abstiegs-Endspiel
am letzten Spieltag hofften, blieben zu Hause - und wie erwartet eine ganze
Reihe Ostkurvis. Ich schätze insgesamt 12.000 - maximal. So richtig
Stimmung mag nicht aufkommen. Zudem ist es so irre kalt, dass ich am ganzen
Körper zittere. Ich dachte eben, ein Longsleeve würde reichen.
Gibt aber schlimmeres, als von der Liebsten im Lieblingsstadion gewärmt
zu werden... "Ich würde auch gern so hüpfen wie die", sagt die
Liebste und deutet auf die Rostocker. Die benehmen sich 90 Minuten lang
so richtig daneben und klettern in der Böse-Buben-Tabelle unter die
"Top 3" - Qualifikation für die nächste Kurvensperre nicht ausgeschlossen.
Insgesamt drei Rauchbomben, ein bengalisches Feuer und einen ziemlich lauten
Knallkörper zünden die Rostocker, brüllen immerzu "Scheiß
St. Pauli", immer ein "rechtes" Zeichen. Auf unsere wechselseitigen "Wen
lieben wir? VFL!"-Wechselgesänge, die zwischen beiden Tribünenseiten
sogar hübsch klingen, reagieren die Rostocker mit "Wen lieben wir?
Hooligans!" Und das ist keine gelungene Satire. Auf jede dieser Rostocker
Unarten reagieren wir mit "Absteiger! Absteiger!"- und "Wir singen Rostock,
Rostock, zweite Liiiiga!"-Gebrüll, auch nicht gerade kreativ. Seltsame
Stimmung, seltsame Zuschauerzusammensetzung, seltsames Spiel. Das soll
Bundesliga sein?
Sportlich unterschreiten
die 90 Minuten Erstliga-Niveau um Längen. Wir führen zwar durch
ein Tor von Mergim Mavraj nach einer halben Stunde mit 1:0, kassieren aber
durch Enrico Kern und Fin Bartels völlig verdient noch zwei Dinger.
1:2 verloren. Gegen den Absteiger und Tabellenletzten. "Wir haben gegen
Rostock verloren", stammle ich nach dem Schlusspfiff alle drei Minuten
zu der Liebsten. Ich gebe mir alle Mühe, mich nur noch an wenige Szenen
dieses bis auf die Anwesenheit der Liebsten grausigen Nachmittags zu erinnern.
In der Halbzeit ließ der Hauptsponsor beider Vereine - KiK - Plastikfußbälle
Richtung Sitzplätze schießen. Etwa 100. Dumm nur, dass auf allen
Bällen der Preis noch vermerkt war. Ein Euro. Na da hat KiK ja richtig
was springen lassen. Direkt nach dieser Superaktion trat letztmals in dieser
Saison unsere Cheerleader-Truppe "Stationettes" auf, zu Melodien von Grönemeyer.
"Bochum", in der "Machst Tennis Borussia und Hertha auffem Kanaldeckel
nass"-Live-Version und "Mambo". Tagelang bei Sonnenschein auf der Fitnessstudio-Terrasse
eingeübt sieht das aus. In der Halbzeitpause schüttete es aber
und die armen Mädels mussten aufpassen, dass sie sich nicht hinlegen.
In den sportlichen Szenen des Tages spielte Martin Meichelbeck die Hauptrolle.
Ab dem 1:2 stürmisch von allen 11.000 Bochumern gefordert, wechselte
Trainer Koller den Martin tatsächlich ein, zehn Minuten vor Schluss.
Unter lauten "Martin Meichelbeck schalalala"-Rufen ging die Saison zu Ende,
der lange Linksverteidiger-Schlaks erhielt bei seiner Ehrenrunde Ovationen.
Tschüss Martin!
Und TSCHÜSS SAISON!
Ein letztes Mal drehe ich mich jetzt um, nicht wirklich, sondern nur virtuell.
Ich schaue mich auf den sechs Tagebuch-07/08-Seiten auf dieser Homepage
um, suche nach meinen persönlichen Höhe- und Tiefpunkten des
VfL-Jahres. Viel erlebte ich privat, mit dem Beginn des Volontariats, das
inzwischen auch schon seit zehneinhalb Monaten läuft, mit der Liebsten.
Der VfL-Höhepunkt ist natürlich in Windeseile herausgepickt,
nämlich der erste Sieg in der Vereinsgeschichte bei Werder
Bremen. 2:1, das werde ich, werden wir nie vergessen. Sportlich ganz
toll fanden wir alle die Heimspiele gegen Leverkusen
und Stuttgart. Und
doch hatte dieses Spieljahr, klingt richtig bescheuert, viel mehr Tiefen.
Selten bis nie waren wir so früh gerettet, selten bis nie ging eine
Saison so entspannt zu Ende, selten bis nie konnten wir uns den Abstiegskampf
relaxt aus den oberen Etagen anschauen. Und doch quälten diese vielen
Horror-Unentschieden, Beispiele: 0:0 gegen Frankfurt,
1:1 (nicht nur) gegen Hertha,
unsere Augen. Und doch mältratierte uns der Aufsichtsrat mit dem mehr
als unsinnigen Kuntz-Quasi-Rausschmiss. Und doch wirkte unsere Elf am Ende
peinlich unmotiviert, peinlich lustlos. Wie beim 1:1 gegen Duisburg,
wie beim 0:2 in Bielefeld, beim 0:3 gegen Schalke
oder auch heute beim 1:2 gegen Rostock.
Wie sagte noch der Arbeitskollege
um eins im "Extrablatt": "BILD hat getitelt: So will der VfL in den UEFA-Cup.
Wenn's schon so weit ist, dann können wir uns darauf einstellen, dass
wir in der kommenden Saison absteigen." In der Tat: Die Zeitung mit den
großen Buchstaben nannte die Wunschelf der kommenden Saison (Fernandez
- Pfertzel, Maltritz, Yahia, C. Fuchs - Dabrowski - Freier, Azaouagh -
Ono - Hashemian, Sestak) und setzte das mit diesem UEFA-Wort in Verbindung.
Wir alle diskutieren darüber, wen wir alles hinter uns lassen. Karlsruhe,
Cottbus, Bielefeld. Auf Anhieb fallen uns nur drei Vereine ein - naja,
auch wenn das reichen würde.
Jetzt speichere ich diesen
Text ein letztes Mal und knalle die Seite weltweit ins Netz. Auch das siebte
VfL-Tagebuch dieser Homepage ist nun zu Ende. Wie endet ein solches Tagebuch,
ein Poesiealbum, was auch immer!? Gibt's da ein Wort, einen Satz? Ich glaube
nicht, oder. Alles bleibt vernebelt im Nichts. Vernebelt, nichts, verregnet.
Irgendwie passt das zu diesem
Nachmittag.