-
ZUM TAGEBUCH DER SAISON 2001 / 2002
-
ZUM TAGEBUCH DER SAISON 2002 / 2003
-
ZUM TAGEBUCH DER SAISON 2003 / 2004
-
ZUM TAGEBUCH DER SAISON 2004 / 2005
-
ZUM TAGEBUCH DER SAISON 2005 / 2006
-
ZUM TAGEBUCH DER SAISON 2006 / 2007
Links:
Startseite Beruf | Startseite Uni-Leben | Startseite VfL Bochum |
Startseite Konzerte | Startseite Reisen | Startseite Privates |
VfL Bochum - Eintracht Frankfurt 0:0 (21.9.2007)
Richter Gerd aus Block P rechts präsentiert die Geste des Spiels. *gääähn*
Deutschland gegen Österreich 1982 war gestern. Ab sofort wird im Fußball-Lexikon das Wort "Nichtangriffspakt" mit dem Spiel VfL gegen Eintracht 2007/2008 erklärt
Grausige Nullnummer-Mondnacht
"Guck mal da oben: Das erinnert mich an Weihnachten"
Ein trauriger, enttäuschter,
wütender, verärgerter, verzweifelter Ausruf in der 77. Minute.
"Laaaaaaaaaangweilig! So ein SCHEISSSPIEL, so ein Gewürge, GEGURKE!"
Maltritz hat den Ball, schnippt ihn aus der eigenen Hälfte Richtung
Frankfurter Tor. Und: ins Niemandsland. Der nächste Fehlpass. "Laaaaaangweilig."
Meinen Freunden um mich herum geht es ähnlich. Ein einziges Gemurre
in der Ostkurve. Zwar pfeift niemand und alle brüllen "Auf geht's
Bochum schießt ein Toooor", aber alle 25.500 wissen schon 13 Minuten
vor Schluss: Hier passiert nichts mehr. Lupo steht heute direkt links neben
mir, stupst mich an, deutet auf einen kleinen Fleck über der Südtribüne.
"Da, guck mal da oben: der Mond." Wenigstens etwas ist spannend. Die Mondnacht.
Plätscher, tropf, plätscher, tropf. Noch drei Minuten. Diesmal
deutet Lupo auf die VIP-Räume, die unterm Dach der Haupttribüne
hell leuchten. "Guck mal: Das erinnert mich immer an Weihnachten." Heute
ist der Abend für Kleinigkeiten. Ein grausiger Abend.
Schlusspfiff. 0:0. Spielnote
5,5. Wenn überhaupt. Selten leerte sich das Ruhrstadion so schnell.
Ein Volo-Kollege verlangte eine sms mit dem Ergebnis. Ich schicke sie:
"Die langweiligste Scheiße, die ich je gesehen habe. Nicht mehr Deutschland
gegen Österreich, sondern VfL gegen Eintracht. Nichtangriffspakt.
0:0."
0:0. Es war so öde, wie's sich anhört!
Formuliere meinen Blogeintrag
bei der WAZ Castrop-Rauxel um 18 Uhr. Schreibe noch eine Mail an eine Volo-Kollegin.
"Heute kann NIX mehr schiefgehen!", steht dadrin. Ein schöner Tag
geht zu Ende, den ich mit dem Gefühl begann, es würde mein letzter
in Castrop-Rauxel. Nun darf ich noch drei Arbeitstage länger bleiben,
bis einschließlich Mittwoch. Das Wetter ist astrein, die sieben Seiten
für die Samstag-Ausgabe stehen gegen 18.45 Uhr. Unterhalte mich mit
zwei Castroper Redakteuren. Für den einen bin ich "der fanatischste
VfL-Fan, den ich je erlebt habe" (sagt er), der andere ist Dortmunder,
will aber trotzdem heute ins Ruhrstadion kommen. Vielleicht gibt es ja
wieder ein 4:3, wie noch vor
einem Jahr... Das Wetter spielt unglaublich mit. Herrliches Spätsommerwetter
- und das zwei Tage vor Herbstbeginn. Dazu noch ein Flutlicht-Freitagabendspiel.
Versteht Ihr jetzt, warum ich meiner Volo-Kollegin schrieb: "Heute kann
NIX mehr schiefgehen"?
Fahre über die A40
Richtung Duisburg, die Sonne geht über der Autobahn unter. Hole meine
Digitalkamera aus der Arbeitstasche, stelle sie aufs Lenkrad und knipse
bei Tempo 110 km/h. Schöön. Komme ruck, zuck an, finde im untersten
Parkhaus-Geschoss einen genialen Smart-Parkplatz (dieses Auto ist so unglaublich
praktisch), ziehe mir mein VfL-Epalle-Trikot über die Arbeitskleidung,
wickle mir den VfL-Schal um meinen Hals, könnte schließlich
frisch werden und tapse Richtung Ostkurve. Um 19.25 Uhr betrete ich den
P-Block, sehe sofort Gerd, den Richter und lese eine sms. Ein Volo-Kollege
will nachher das Ergebnis wissen. So soll es sein.
Noch immer halten wir den
Start für äußerst gelungen, aber nach zwei Niederlagen
in Folge wird es wieder Zeit für einen Dreier. Ich verdrücke
ein Schweineschnitzel im Brötchen, nicht besonders nahr- und schmackhaft,
aber immerhin meine erste warme Mahlzeit am heutigen Tag. Und dann kommt
auch schon Lastuvka. Oh ja, er bekommt die nächste Schangse im Tor.
Bönig spielt für den gesperrten Pfertzel, das Wechsle-dich-Spiel
auf der linken Offensivposition geht weiter. Diesmal wieder Fuchs statt
Grote. Koller hatte noch große Änderungen versprochen - jetzt
bleibt doch alles beim Alten.
Spielbeginn, nach fünf
Minuten unken die ersten: "Ey super, vor einem Jahr stand's zu diesem Zeitpunkt
schon 0:2", Gerd gibt seine Lieblingssignatur eines Internet-Users in einem
VfL-Forum zum Besten ("Frankfurt-Spiel 2006/2007. Nach dem 0:2 in der fünften
Minute ein Dialog: "Also beim 0:8 gehe ich". Antwort: "Wie, schon zur Halbzeit?"),
doch es passiert nichts. Wenigstens schlägt das Zdebelmeter nach kurzer
Zeit schon voll aus - diesmal holt sich unser Käptn bereits nach zehn
Minuten seine Gelbe. Nach sechs Spielen vier Gelbe. Aber Hut ab! Beide
Mannschaften setzen von Beginn an auf die Taktik "Hauptsache wir spielen
zu Null". Das klappt natürlich auch ganz hervorragend. Die Frankfurter
Viererkette mit Mahdavikia, Kyrgiakos, Russ und Spycher steht genauso souverän
wie unsere mit Concha, Maltritz, Yahia und Bönig. Entlastung im Mittelfeld
bringt ledlglich zwischendurch der Frankfurter Albert Streit. Von unseren
hochgelobten Ballkünstlern Epalle, Bechmann und Sestak ist gar nichts
zu spüren oder zu sehen. Halbzeit 0:0, Chancenverhältnis 0:0.
Wir sind dankbar für
jedes außergewöhnliche Ereignis. Eintracht-Torwart Pröll
ist nach einem Zusammenprall mit Maltritz gehirnerschüttert, muss
nach der Pause durch Nikolov ersetzt werden. In der Pause lenken nicht
einmal mehr die Cheerleader ab, wobei: hüpfen können auch die
Frankfurter. Denn der Eintracht-Support sieht echt gut aus. Aber auch das
nur bis etwa zur 65. Minute. Danach schleicht und quält sich das Spiel
ins Ziel. Selten war eine VfL-Mannschaft harmloser. Nur in der Standardisituationsstatistik
liegen wir vorn. Und das sogar richtig: Wir erarbeiten uns 9:2 Ecken, holen
zehn Einwürfe in gefährlicher Distanz heraus (Bönig und
Concha können sensationell weit schmeißen) - dazu noch zehn
Freistöße rund um den Strafraum. Aber keine dieser 29 Situationen
wird nur im Ansatz gefährlich. Herr Koller! OFFENSIVSTANDARDS ÜBEN!!!!
Es gibt wohl nur einen Gewinner des Tages: unseren Torwart. Im Herauslaufen
wird Lastuvka immer besser, wirkt sicherer, hält erstmals die Null.
Die Eintracht nähert sich durch zwei Fernschüsse von Amanatidis
unserem Gehäuse. Einen pariert unser Torwart großartig (das
gibt Selbstvertrauen), beim zweiten jagt Amanatidis die Kugel vorbei. Knapp.
Der Rest besteht aus Ablenkung. Mond, Weihnachten, Lichter, Alltag, Reden,
"Laaaaaaangweilig" rufen.
"Das Schweigen der Bochumer"
lautet der Titel des Films, der nach dem Schlusspfiff in der Ostkurve gedreht
wird. Nehme mein Handy, tippe "Die langweiligste Scheiße, die ich
je gesehen habe. Nicht mehr Deutschland gegen Österreich, sondern
VfL gegen Eintracht. Nichtangriffspakt. 0:0", verabschiede mich ganz sanft
und leise bis zur nächsten Woche. Mittwoch in Stuttgart bin ich nicht
da - muss arbeiten - dann komplettieren wir die englische Woche nächsten
Samstag gegen Nürnberg. Vielleicht klappt es dann wieder besser.
Denn schlechter als in dieser
grausigen Mondnacht kann es nicht mehr werden.
1. Sam ist wieder da, 2. Sam trinkt während des Spiels ein volles Bier. Heißt: Es war so langweilig, dass er sich eins holte...
Erst "Am I just paranoid? Or I'm just stoned!", in der Halbzeit "Scheiße, das war heut nicht mein Tag! Wo war mein Sieger?", danach: 45 überaus lustig-grandios-unterhaltsame Minuten
Sechs Tore mehr als vor zwei Wochen...
Palast der Schrecklichkeit
Für mich der Matchwinner des VfL: Matias Concha, an allen drei Toren beteiligt. Guter Mann!
Dieser Song hat kein großes
Vorgeplänkel, keinen Prolog. Er geht direkt rein. Rein ins Gewühl,
dahin, wo's weh tut. Billie Joe Armstrong donnert in die Gitarre und röhrt
"Do you have the time / to listen to me whine / about nothing and everything
all at once / I am one of those melodramatic fools / neurotic to the bone
/ no doubt about it". Ich bin auch so ein melodramatischer Narr. Green
Days "Basket Case" läuft zum ersten Mal überhaupt im Ruhrstadion,
und der DJ ist entweder ein Glückspilz oder hat ein geniales Einfühlungsvermögen.
Dieser Funpunk-Song aus den späten 90ern trifft so alles, was ich
empfinde, als Jan Lastuvka um kurz vor drei zum Warmlaufen den Rasen betritt.
Schrieb eine sms, vor drei Minuten noch: "Was für ein Dreckswetter,
was für eine Dreckszuschauerzahl, was für eine Drecksstimmung.
Ich will nach Hause." Es regnet, in einer Tour. Ununterbrochen und ununununununterbrochen.
Der Wind weht ein paar Tropfen bis unters Dach der Ostkurve. Trage ein
T-Shirt, das Epalle-Trikot und die Ärzte-statt-Böller-Jacke.
Es hilft: nüscht. Kalt, nass, buuuuh! Melodramatic fool. Neurotic
to the bone. Auch Sam - heute schon für seine Verhältnisse sensationell
früh hier - wippt mit. "I'm just stoned - das trifft doch wohl auf
Lastuvka Woche für Woche zu, oder?"
Yeah, yeah, yeeeeaaaahhh,
wir sind neurotisch, wir sind dramatisch, wir sind einfach nur BEKLOPPT,
wir meckern, wir lästern, wir SCHIMPFEN! Mit einem Wort: Abstiegskampf.
Jungs, Leser, Freunde, Fremde: Ja, es ist wieder soweit. Sieben Spiele
mussten vergehen, bis ich es selbst einsehe: Der Start: schön und
gut. Aber jetzt ist alles wie gehabt: schwache Leistungen, viermal in Folge
ohne Sieg, dreimal in Folge ohne Tor, das Stadion leergespielt, nur noch
maximal 19.000 Leute hier. Im Stadion fand ich eine Stunde vor dem Anpfiff
einen Platz im Erdgeschoss - ist mir noch nie passiert (naja, noch nie
ist auch falsch, jedenfalls ganz lange nicht mehr). Gerd - auch da, natürlich
- Sam, der Fanklub um uns herum und ich maulen schon beim Aufwärmen.
"WAS? SPIELT SCHON WIEDER DER LASTUVKA?", brüllt Gerd. "DER HÄLT
DOCH SCHON BEIM AUFWÄRMEN KEINEN BALL!" Wir wetten wieder, wann Zdebel
die obligatorische Gelbe bekommt (die Tipps reichen von der 23. bis zur
70. Minute). Sam versucht, die angespannte Atmosphäre - ein Streichholz
rein und es explodiert hier in der Kurve - mit ein paar Witzchen aufzulockern.
"Seit ich Premiere nicht mehr hab, bombardieren die mich alle drei Wochen
mit irgendeinem Scheiß. Neulich riefen sie an. Mit dem Angebot: Bundesliga
und Champions League für 34 Euro pro Monat. Da hab ich nur gefragt:
Und wo ist da jetzt das Angebot?" Oder: "Ey, guck mal, die Ultras da unten.
Och sind die jung. Bilden die jetzt schon Ultra-Nachwuchs aus?" Ich finde
trotzdem, das Wetter ist einfach bestens geeignet, um "Titanic" zu schauen
und Leonardo di Caprio zuzubrüllen: SPRING DOCH MIT AUFS HOLZ! Was
für ein Blödmann. Oder Vollidiot, um in Lukas'-Tagebuch-Sprache
zu schreiben.
Bei aller Maulerei, Lästerei,
Schimpferei, Dramatisiererei: Es kribbelt wie Sau. Wie Sau. Wie Sau. Wie
Sau.
Aufstellung: Koller rotiert
mal wieder fleißig, nach dem Motto: "Wenn wir schon nicht treffen,
dann probier ich halt mal ganz andere Sachen aus." Heißt: Links vorn
spielt nicht Grote, spielt nicht Fuchs, nein, es spielt Ilicevic. Rechts
darf wieder Sestak für Pfertzel ran, vorn ist Bechmann für den
verletzten Epalle dabei, im defensiven Mittelfeld dann noch Zdebel für
Imhof. Wieder vier Änderungen... Samstag, fünfzehndreißig,
ununununterbrochener Regen, neurotic to the bone, nächste Woche Revierderby
in Dortmund, freu mich wie irre darauf, jetzt ist "Klubb" angesagt. Die
Nürnberger sind ja mal gar kein reisefreudiges Publikum, wundert mich.
Maximal 800 Franggen sind mitgekommen, nicht einmal viele Schalker haben
sich aus Fanfreundschaftsgründen ins Ruhrstadion getraut, dabei hat
Schalke schon am Freitag gespielt. Komisch. Seltsam. Überaus komsam.
Das letzte Heimspiel gegen Frankfurt war ein unfassbarer Langweiler, und
das Spiel gegen Nürnberg geht genau dort weiter. Genauuuu in diiiiieseeeeemmmm
uääähhh gääähhhhnnn Trooottt... Beide Mannschaften
stehen unten, beide brauchen die Punkte, beide spielen den Ball in den
Viererketten millionenfach hin und her, um überhaupt wieder das Gefühl
zu erlernen, wie es ist, den Ball länger als fünf Sekunden in
den eigenen Reihen zu halten. Das sieht - wie schon gegen Frankfurt - zunächst
erstaunlich nach Wir-tun-uns-gegenseitig-nicht-weh-Fußball aus, der
irgendwann mit einem Fehlpass endet. Grauenhaft! Einfach nur grauenhaft!
Schon ab der zehnten Minute beginnen etliche VfLer, Bier zu holen. Noch
nie herrschte in Block P während eines Spiels eine solche Bahnhofsatmosphäre.
Rein, raus, Bier neu, Bier weg, Cola neu, Cola weg, in Minute 20 geht auch
Sam, kommt in Minute 22 wieder. "Hab ich was verpasst?" "Nöö."
Ab Minute 25 werden die Nürnberger besser, Kristiansen schießt
aus 15 Metern gefährlich drauf, Lastuvka lenkt den Ball riesig mit
den Fingerspitzen um den Pfosten. Die mit großem Abstand spektakulärste
Szene seit anderthalb Heimspielen. Der Megafon-Ultra ist nach 35 Minuten
der einzige, der es versteht, seine Stimme zu erheben. In Minute 42 schweigt
auch er. Im Mittelfeld will Dabrowski auf Ilicevic passen. Missverständnis.
Galasek erobert den Ball, spielt flugs auf Saenko, der in bester Kontermanier
auf und davon zieht. Zdebel stört nur halbherzig, ein Rückpass,
Kluge versenkt klug, 0:1. Es setzt erstmals seit neun Monaten richtig,
richtig laute Pfiffe im Stadion. Der Regen peitscht mittlerweile fast sintflutartig
aufs Dach und auf der Anzeigetafel leuchtet 0:1 auf. Kann nicht sein. "Was
ist das denn hier für ein Palast der Schrecklickeit???", fragt Sam.
Im Gegenzug läuft Concha die rechte Seite von ganz hinten bis ganz
vorn, flankt, Sestak hält seine Zehen in den Ball, 1:1. Optimale Auswertung,
Tor. Niemand will's so recht glauben. Halbzeit. Ein furchtbares Spiel,
aber auf einmal zwei Tore!? Ein Spiel, das eigentlich genug Anlass gibt,
um mit allen Kräften zu pfeifen - aber auf einmal dieser Ausgleich!?
In der Halbzeitpause Werbung. Und der nächste musikalische Kracher,
mitten im Bochumer Herbstregen: "Liebesspieler" von den Toten Hosen - auch
das: noch nie gehört bei einem Bundesligaspiel. Es geht um einen Nachmittag
auf der Pferderennbahn, der Texter hat seine Kohle auf einen Gaul namens
"Liebesspieler" gesetzt. Er berichtet von diesem Erlebnis mit lautester
Gitarrenmusik im Hintergrund, doch Liebesspieler verliert. Die letzte Zeile
geht dann so: "Scheiße, das war heut nicht mein Tag." Palast der
Schrecklichkeit. Es steht 1:1 und doch werden wir alle schon darauf vorbereitet,
dass es schief geht. "Ihr wart ein fantastisches Publikum und müsst
WIEDER WIE EIN MANN hinter unserer Mannschaft stehen", kreischt der Stadionsprecher.
Was für eine Lüge. Die Stimmung war schon lange nicht mehr so
im Keller.
Um 16.31 Uhr geht's in Halbzeit
zwei, und die wird unverhofft unglaublich grandios. Auf einmal geht's hin
und her, rauf und runter, vor und zurück, beide wollen ganz, ganz
dringend gewinnen. Bravo! Die erste Schangse haben wir: Ilicevic kommt
über rechts, flankt Richtung Elfmeterpunkt, Bechmann vergibt. Huuuhhh...
Wir werden besser. Zur Pause war das 1:1 noch schmeichelhaft, jetzt verdienen
wir's uns. Unsere insgesamt acht Ecken schlenzt Ilicevic stets gefährlich
in den FC-Strafraum. Hier geht was. Doch in Minute 62 reißt uns Kluge
aus allen Träumen. Diesmal pennen nicht Zdebel, Dabrowski und Ilicevic,
sondern Bönig und Lastuvka. Kluge dringt über rechts in den 16er
ein, Bönig spielt wahnsinnig lässig und lässt Kluge fünf
Meter Platz. Der knallt auf das kurze Eck, Lastuvka lässt die Kugel
durchrutschen, Torwartfehler zum 1:2. Ich krieg das Kotzen! Nicht nur ich!
ALLE in der Kurve. Scheiße, das ist heute nicht unser aller Tag,
scheiße, wo sind unsere Sieger? 1:2 gegen Nürnberg. Abstiegsplatz,
Abstiegsangst, Abstiegswut. Einer aus dem Fanklub geht sofort Bier holen,
ganz laut fluchend und kommt eine Minute später mit einem vollen Becher
zurück. Einer hat heute war gegen die Schlappe: Matias Concha, unser
neuer Rechtsverteidiger aus Schweden, der es glänzend versteht, die
Defensive zu stabilisieren und vorn für Entlastung zu sorgen. Zwei
Minuten nach dem 1:2 setzt er sich wieder durch, flankt aber sehr ungenau.
Drei Nürnberger schieben am Elfmeterpunkt die Verantwortung weiter,
also spritzt Mieciel dazwischen und vollendet coooooooooooooooooooool zum
Ausgleich. 2:2!! Tooorrrr! Der Fanklubtyp schmeißt sein Bier in die
Luft, verteilt den kompletten halben Liter Gerstensaft auf meinen Haaren,
meinem Schal, meinem Trikot, aber egal! Schalalalalaaaaa, jetzt hat der
Jubel schon pogoähnliche Züge! WEITER, JUNGS, WEITER! 70. Minute,
nächster Angriff. Zdebel führt einen Freistoß an der Mittellinie
schnell aus, spielt auf Concha. Der umdribbelt - mal wieder - einen Nürnberger,
passt auf den langen Pfosten, SESTAK FREI, FREI, GANZ FREI, was machen
die Nürnberger? Wo sind die? NIRGENDWO! KEIN ABSEITS! TOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOORRRR!
3:2! Gedreht das Ding! Gedreht das Ding! Gedreht das Ding! Gedreht das
Ding! TOOOORRRR! Unglaublich! Dieses Gurkenspiel auf einmal so geil! Jetzt
wird's rasant, eine Treterei. Beide Mannschaften sammeln fleißig
Gelbe Karten, nur Zdebel geht diesmal leer aus, er will doch im Derby dabei
sein und nicht schon jetzt die fünfte Gelbe kassieren. Die Nürnberger
stehen am Abgrund. Wir müssen nur noch einmal pusten, dann sind die
Punkte unsere. Tolle Konter-Überzahlsituationen verspielen wir leichtfertig,
einige Kopfbälle nach Standards sind dank Ilicevic gefährlich.
Doch in Minute 78 nimmt Koller Ivo raus und bringt Pavel "Fernando Hierro"
Drsek. Die Schnecke. Warum? Völlig unnötig! Zwei Minuten später
kommt Misimovic im Strafraum an den Ball, ausgerechnet Zwetschge, vorher
überhaupt gar nicht zu sehen, in keiner Szene, und macht den Ausgleich.
Dabei bleibt's, 3:3, Riesenspiel in der zweiten Halbzeit, nicht gewonnen,
traurig, aber egal. Verdientes Ergebnis.
"Ihr habt gekämpft,
wir hams gesehen". Wenn wir Bochumer das rufen, dann heißt das: Wir
befinden uns in einer Krise und im Abstiegskampf, aber die Mannschaft hat
alles gegeben. Genau. Sam, Gerd, der Fanklub und ich verabschieden uns
für drei Wochen. Wieder so eine geile Samstag-15.30-Fußballshow.
Bundesliga, geile Sprüche, tolles Spiel, viele Tore. Was fürs
Herz. Mit der ARD-Sportschau, Boxen in der Stammkneipe und einem Voloabend
im Duisburger Pulp klingt der Tag aus. Jetzt bin ich nicht melodramatisch.
Jetzt will ich nix mehr vom Wetter wissen.
Scheiße, das war heute
nicht mein Tag?
Doch.
War er.
Alle Bochumer fühlten sich so wie Jan Lastuvka
Die "Top 5 der dümmsten Niederlagen meiner VfL-Geschichte" muss ich neu zusammenstellen. Denn dieses Spiel gehört ab sofort dazu!
Lasche Kontrolle. Heißt: Rauchbomben-Alarm
Maximal-Parks-Brutal-Niederlage
oder: Hätte ich doch weiter mit
Tönnies geredet
Lasst mich überlegen,
nachts um drei. "Im Keller" sind wir gelandet, eine Studidisko in Dortmunds
Mitte, höre zum hunderttausendsten Mal in den letzten drei Monaten
"Ruby" von den Kaizer Chiefs, macht diesmal nix, in dieser Lautstärke
ist's extrem erträglich. Die Tanzfläche ist gut gefüllt,
zumeist mit Erstsemestern, fühle mich etwas zu alt. Hinter dem DJ-Pult
hängt ein Trikot von Borussia Dortmund, ein Tanzend... äh Taumelnder
trägt ein Dede-Dress, bin verärgert, brülle "Ruby Ruby Ruby
Rubyyyy!" und es ist vergessen. Vergessen? Nein, doch nicht. Lasst mich
überlegen, was waren die Top 5 in der Liste der dümmsten Niederlagen
meiner VfL-Geschichte? Da war 1992 dieses 1:2 unter Osieck in Uerdingen.
Kalt, November, Regen, unnötige Gegentore, und dann dieser Elfmeter,
den unser heutiger Co-Trainer Funny Heinemann in der Nachspielzeit verschoss.
Osieck sprach von den "Imponderabilien des Fußballs". Sein Anfang
vom Ende in Bochum im ersten Abstiegsjahr. Und wir brüllten alle "Osieck
ist an allem schuld". Ärgernisfaktor 1000, selbstverständlich,
schon oft zitiert auf dieser Homepage, beim 0:1 im DFB-Pokal-Viertelfinale
bei Union Berlin. Beim damaligen REGIONALLIGISTEN Union Berlin. Minus 10
Grad, Berlin-Köpenick in einer dunklen Dienstagnacht, Tor in der Nachspielzeit.
Wohl ewig auf Platz eins dieser Top 5. Denk schon zu lange nach, "Books
from Boxes" von Maximo Park läuft, rücke der Tanzfläche
etwas näher, beschließe dann: Das heutige Spiel, BVB gegen VfL
am Freitag, 5. Oktober, Endstand 2:1, gehört auch auf diese Liste.
Freitag, 5. Oktober, ein
weiterer Tag in meinem Volontariat, ein weiterer Tag in der Stadtteilredaktion
Essen-Nord, ein historischer Tag. Wenigstens ein bisschen. Alles geht schnell
rum, Schal und Trikot liegen in meinem Auto - liefe ich so im Haupthaus
der WAZ herum, oweiowei... Um 16.45 Uhr verabschiede ich mich, aber nicht,
um schon nach Dortmund zu heizen. Um 17 Uhr steht ein Termin an, beim SV
Schonnebeck, tief in Essens Norden. Fahre quer durch die Stadt, suche ein
wenig herum, fahre um zehn nach fünf auf den Parkplatz der Sportanlage
"Schetters Busch", die gibt's schon seit langer, langer Zeit. Der SV ist
gerade Erster in der Landesliga, hat bisher nur gegen Galatasaray Mülheim
verloren. Am ersten Spieltag. Gesprächsort ist das Vereinshaus, und
wer sitzt da am Tisch? Michael Tönnies, der ist Sportlicher Leiter.
"Michael wer?", fragen diejenigen von Euch, die sich nicht in der Vereinsgeschichte
des MSV Duisburg Anfang der 90er auskennen. Tönnies ist einer der
großen Zebra-Helden - und er hat einen dicken Klecks im Bundesliga-Geschichtsbuch
als Schütze des "schnellsten Hattricks aller Zeiten". Drei Tore in
sechs Minuten, beim 6:2 gegen den KSC - ein Spiel mit insgesamt fünf
Tönnies-Toren. In Liga zwei holte er in einem MSV-Aufstiegsjahr die
Torjägerkanone - er schoss 29 Tore. Jetzt sitze ich Michael Tönnies
gegenüber und rede über Landesliga. Sage der Runde direkt am
Anfang, dass ich Karten für Dortmund gegen Bochum habe, ziehen das
Ding schnell durch. Was für ein Tag.
Fahre noch ein bisschen
durch die Ruhrgebiets-Prärie, quer durch Essens Norden, durch Gelsenkirchen-Feldmark
- diesen Stadtteil kannte ich bisher noch gar nicht - ab auf die... tja...
welche Autobahn soll ich nehmen? Habe die Wahl zwischen A2, A40 und A42.
Entscheide mich für die letzte Variante. Fahre noch nicht zum Stadion,
sondern direkt zu einem Mit-Volontär. Der ist großer Borussen-Fan,
schreibt bei schwatzgelb.de mit, ein zugegeben höchst bekanntes Internetportal.
Wir haben uns zwar zuletzt angefeindet und angepöbelt, aber egal.
S' geht über die 42 und dann die A45 bis "Dortmund-Hafen". Danach
weiß ich nicht mehr weiter... Rufe ihn an, und den restlichen Weg
schleust er mich quer durch Dortmund-Dorstfeld und Dortmund-Mitte. Doch
ganz schön groß, dieser Laden. Also Dortmund.
Quatschen noch ein wenig
über Fußball, wir beide sind äußerst fußballfrustriert.
"Mach dir keine Sorgen", sagt er. "Wenn wir Standards bekommen, passiert
garantiert nix." Ich entgegne: "Scheiße, dass Dede spielt - der Bundesligaspieler,
den ich am wenigsten leiden kann." Mir fällt noch ein: Mit Weidenfeller
im Tor hat der BVB bisher jedes Spiel verloren. "Bei uns", sagt er dann
noch, "fehlen noch einige. Frei, Petric, Degen, Valdez." Da werden wohl
ein paar Amateure auflaufen. "Dortmund steht mehr unter Druck", stelle
ich fest. "Wenn wir verlieren, ist's relativ wurscht. Aber bei euch..."
Laufen los gegen 19.15 Uhr, mit insgesamt vier Personen, Fußweg etwa
zehn Minuten, bewege mich auf die Gästekurve zu. Vor
einem Jahr, da kam ich spät, traf auf eine lange Schlange vor
dem Stadion, betrat es zwei Minuten vor dem Anpfiff beim Einlaufen. Diesmal
ist alles anders. Kaum jemand wartet vor den Toren, die Taschenkontrollen
sind die laschesten, die ich seit knapp fünf Jahren erlebt habe. Ich
muss keinen Schlüssel zeigen, keine Kamera, kein Handy. Sieht so aus,
als würden die Dortmunder auf Gesichtskontrolle setzen, das wäre
ja mal ein völlig neues Konzept. Ich wette trotzdem mit mir selbst:
Das gibt bestimmt eine richtig fette Rauchbombe! Hunger. Schnell mal anstellen.
Der Typ vor mir bestellt eine Currywurst, doch die gibt es beim Bonzen-BVB
natürlich nicht. Auf der Speisekarte stehen Bratwurst, Bockwurst,
Schweineschnitzel im Brötchen und - achtung - "Steak". Ich glaub sogar,
mich an "Putensteak" erinnern zu können. Habe ich mich da verlesen???
Bestelle im Bang-Boom-Bang-Style "Eine Brat" und stapfe in Block 61. Die
Borussen haben die Stehplätze in der Gästekurve ausgebaut, bravo,
in den vergangenen Jahren war es kaum auszuhalten. Im Vergleich zur vergangenen
Saison ist's hier - trotz Revierderby - sehr gastfreundlich, ich bin sehr
erstaunt. Sehr. Mein Respekt vor der Südtribüne des BVB hält
sich diesmal in Grenzen, ist schon mein siebtes Auswärtsspiel hier.
In keinem anderen Stadion habe ich persönlich eine so schlechte Bilanz.
Ein Unentschieden, fünf Niederlage - die dann meist auch noch hoch.
Heute, natürlich, heute wird alles anders. Wie vor jedem Auswärtsspiel
sage ich das. Wir gewinnen, wir gewinnen, wir gewinnen.
Halt, ganz so unwahrscheinlich
ist das nicht. Bei uns fehlt nur Epalle. Bei Dortmund spielen Njambe, Brzenska,
Nöthe, Kringe und Kruska von Anfang an. Dazu noch Null-Punkte-Weidenfeller
im Tor, Oma Wörns in der Innenverteidigung. Klimowicz ist auch nicht
mehr die Rakete vorn im Sturm. Bleiben einzig Dede, Tinga und Federico
und halbwegs überdurchschnittliche Bundesligaspieler. Aber Tinga und
Federico sind bei den Dortmundern auch sehr umstritten. "Wir wolln Euch
kämpfen sehen", brüllt die Südtribüne. Vor dem Anpfiff.
So viel zum Thema "Stimmung beim BVB". Präsident Reinhard Rauball
stapft für jeden sichtbar kurz vor dem Anpfiff quer über den
Rasen, um dem Borussen-TV für die Anzeigetafel ein Interview zu geben.
Fast wie Duisburgs Hellmich. Altegoer kommt nur alle fünf Jahre auf
den Rasen. Herrlich zurückhaltend. Beim Einlaufen enthüllt der
BVB-Hauptsponsor ein überdimensionales Trikot vor der Südtribüne.
Das ist so unglaublich peinlich, dass selbst einige Dortmunder pfeifen.
Mehr Sympathie habe ich jetzt nicht für diesen komischen Verein.
Kaum hat das Spiel begonnen,
ist bei uns alles weg. Alles futsch. Gleich drei Leute haben einen Ticker
angefordert, innerhalb kürzester Zeit schwindet die Leistungsfähigkeit
meines Akkus von zwei auf einen Balken (von sechs). "Brutalstmögliche
Leistung" fällt mir zu dem ein, was meine Jungs da produzieren. Null
Torgefahr, Fehlpässe ohne Ende. Wir müssen einfach nur 20 Minuten
ohne Gegentor überstehen, dann pfeift dieses Pulverfass Westfalenstadion
- sagt selbst der Mit-Volontär-Schwatzgelbe - von ganz allein. Aber
wir machen alles, damit der BVB seine Formkrise besiegt. Typisch VfL. "Hast
Du eine Krise, musst du nur gegen Bochum spielen". Eine Bundesliga-Bauernregel.
Nach knapp 25 Minuten haben wir's dann endlich geschafft. Zdebel verursacht
in Strafraumnähe unglaublich unnötig einen Freistoß. Dede
schlenzt, Wörns köpft, Lastuvka pariert sensationell, aber Tinga
kriegt den "Rebound", sprich: den Abstauber und netzt zum 1:0 ein. 70.000
Leute jubeln sehr laut, die Befreiung ist zu spüren. Scheiße!
SCHEISSESCHEISSESCHEISSE!!! Und dann auch noch eine STANDARD! Wie hieß
es noch vor dem Anpfiff: "Da musst du dir keine Sorgen machen." Genau.
Erst danach werden wir etwas besser. Unsere erste gute Szene in Minute
38. Sestak sestakt sich über die rechte Seite durch, schnippt den
Ball auf Mieciel. Der steht an der rechten Strafraumecke blank und trifft
ins lange Eck. Wieder 'ne Bierdusche, wieder ein TOOOOOR! 1:1! Erst jetzt
wird die Laune bei 5.000 Bochumern richtig gut. "Auf geht's Bochum schießt
ein Toooor", lautet der Spruch aus Unter- und Oberrang. In den sieben Minuten
vor der Pause bestimmt nur eine Mannschaft das Tempo. Der VfL. Drei Ecken
bekommen wir, Ilicevic läuft nach links nach rechts nach links. Nach
der dritten köpft Maltritz gefährlich, ein Dortmunder schlägt
das Ding von der Linie. Jetzt ist das 1:1 verdient! Kein hochklassiges,
aber ein spannendes Revierderby.
Zweite Halbzeit, der BVB
spielt auf unsere Kurve, wir auf die Südtribüne. Obwohl es Unentschieden
steht, ziehen sich die Dortmunder ganz, ganz weit zurück. Unsere Innenverteidiger
Maltritz und Yahia schieben sich schon in der gegnerischen Hälfte
den Ball hin und her - und kein Schwarz-Gelber greift an. KEINER!
Die verbarrikadieren ihren Strafraum. Unfassbar! Sestak ist das alles egal.
Er umdribbelt die unbeweglichen Dortmunder Abwehrspieler nach Belieben
und wird in Minute 53 von Wörns unsanft gelegt. Wörns hatte schon
Gelb. Heißt: Gelb-Rot. Elf gegen Zehn! BVB-Trainer Doll reagiert,
bringt eine Minute später Robert Kovac. Als der Stadionsprecher den
Kovac ankündigt, gibt es Pfiffe von 65.000. 1:1, Überzahl, unruhiges
Publikum. Wir haben die im Sack! Wir MÜSSEN die drei Punkte einfach
holen. Wir sind empirestatebuildinghoch überlegen. Ballbesitz in Halbzeit
zwei liegt gefühl bei 95:5 für uns. Die Dortmunder kloppen den
Ball nur nach vorn. Da steht Klimowicz, bewegt sich aber kaum. Sprich:
Maltritz bekommt den Ball, auch mal Yahia - und wir bauen neu auf. Eine
Struktur in unserem Angriffsspiel ist allerdings nicht zu erkennen. Einen
Bechmann-Schuss kann Weidenfeller nicht festhalten. Das ist alles - na
gut, ein paar ungefährliche Standards kommen noch dazu. Erst in der
71. Minute betritt der BVB erstmals in der zweiten Halbzeit gefährlich
unsere Spielhälfte. Kringe flankt lang, aber der Ball geht sicher
ins Aus. Geht ins Aus? Was macht der Concha?? Vor einer Woche noch hochgelobt,
will Concha den Ball zu Lastuvka köpfen. Das misslingt - und Concha
nickt den Ball zur Ecke ins Aus. Wieder ein unnötiger Standard. Die
Ecke kommt in die Mitte, jemand von uns verlängert ans Strafraumeck.
In Halbzeit eins stand auf diesem Fleckchen Mieciel und traf, jetzt nimmt
Federico den Ball direkt und nagelt das Ding unter die Latte. 2:1. Jetzt
ein Foto von der Bochumer Kurve *klick* 5.000 Münder stehen offen,
2.000 Hände klatschen gegen die eigene Stirn. Man ist das dumm. "Aaaaaaaaaaaahhhhh",
schreibt Sam, den ich mit einem VfL-Ticker versorge. Danach wieder das
alte Spiel: Überlegen ist nur der VfL, der BVB verteidigt mit allen
Mitteln. Allein in der Schlussphase kassiert der BVB drei Gelbe Karten,
vor allem Dede räumt auf. Ein Ding kriegen wir aber noch. In der Nachspielzeit.
93. Minute, gleich ist das Gezittere endlich vorbei. Eine Flanke, Yahia
köpft, auf die Latte. Zehn Sekunden später: aus. Schluss. "Dümmste
Niederlage aller Zeiten", smse ich in die Republik. Akku: leer.
Verharre noch fünf
Minuten auf meinem Stehplatz, rühre mich nicht ein einziges Mal, nicht
ein Körperteil. Zittere etwas, vor Wut auf meine eigene Mannschaft.
Die BVB-Fans in meinem Handy-Adressbuch schreiben hämische Nachrichten,
versuchen mich telefonisch zu erreichen. Ich gehe nicht dran. Verlieren,
okay. Hab ich schon oft. Aber BITTE NICHT SO! Wie war das noch? Schwach
bei Standards! Die beiden Gegentore? Standards! Null-Punkte-Weidenfeller!
Und jetzt? Drei-Punkte-Weidenfeller! Alle wichtigen Dortmunder verletzt!
Aber? Der BVB gewinnt! Den Dede kann ich nicht leiden! Und dann? Wird Dede
von den Dortmundern zum "Spieler des Tages" gekürt. Das sind zu viele
Schmerzen auf einmal, ich verlasse diesen schrecklichen Ort. Zieht Euch
das rein: Sieben Spiele in Dortmund gesehen. Ein Unentschieden, sechs Niederlagen.
Sechs! Warum muss der VfL Bochum in der Bundesliga immer erst einmal pro
Saison Letzter gewesen sein, bevor Spieler, Trainer und Verantwortliche
wach werden? WARUM? Jetzt kommen die Bayern, dann haben wir's mit dem letzten
Platz wohl endlich geschafft.
Halb vier in der Nacht.
"Im Keller" laufen jetzt die Arctic Monkeys. Will dieses Spiel vergessen.
Will nicht mehr an die Top 5 denken.
Es klappt nicht ganz.
Typisch: Pfertzels Kopf ist unten (l.), Ribéry läuft und läuft und läuft
Also Ribéry: Sowas habe ich noch nie gesehen... Und sonst ist alles wie immer gegen Bayern: Riesen-Vorfreude, und nach dem Abpfiff so schnell wie möglich alles vergessen
Ein Bayern-Fan bei uns - in der Mitte stehen Stefan Kuntz und Frauen-Weltmeisterin Annike Krahn!
Seppel-Francks Sause
Es beginnt am Freitagmorgen.
Fährst hin zur Arbeit, schiebst wie immer eine neue CD in den Player.
Diesmal ein "Blindflug", heißt: eine unbeschriftete. Die fliegt irgendwo
auf der Ablage im Smart herum. Lied eins: "Sing" von Travis, bestimmt schon
einmal irgendwo erwähnt auf dieser Homepage, ist eine ältere
CD. "But if you sing, siiiiing, sing" *pause* "Sing, siiiiiiing, sing!"
Singe etwas, werde morgen singen, werde "Bochum" singen. Rituale, wöchentlich.
Da die ganze Welt weiß, dass ich VfL-Fan bin, fragen mich die bundesligaunkundigen
Bekannten und Arbeitskollegen stets kurz vor Samstag, fümpfzehndreißich
"Gegen wen spielt Bochum?" Diesmal antworte ich ganz pflichtbewusst "Bayern
München!" und ernte danach fürchterlichste Sympathie. "Schlagt
die mal", heißt es dann - doch ein Schmunzeln folgt direkt danach.
But if you sing. Freitag, Arbeitstag, kurz vor dem Wochenende. Noch ein
paar Stunden überleben. Je näher der Anpfiff rückt, je häufiger
ich auf das Spiel angesprochen werde, desto sicherer werde ich, dass nur
wir das Spiel gewinnen können. Diese bekloppten Bayern. Okay, sie
haben 70 Millionen Euro investiert, okay, sie sind noch ungeschlagen, okay,
Ribéry und Toni verdienen zusammen soviel wie unser kompletter Kader
- aber das ist FUSSBALL! Da geht alles! Und wir werden die Mannschaft sein,
die Bayern stürzt. Ganz sicher. "Jetzt mal ehrlich", fragt der Kollege
Freitagmittag in der Kantine des Essener WAZ-Haupthauses, "wie geht's aus?"
"Ganz klar 2:1 für uns", sage ich.
Der Freitagabend wird noch
einmal richtig Rockshow. Cottbus gegen Duisburg bei Freunden gucken, danach
noch kurz bei "Deep Blue Sea" reinzappen und tierisch erschrecken, als
Samuel L. Jackson von einem mutierten Hai gefressen wird, danach der Freundin
eines Freundes um kurz nach Mitternacht zum Geburtstag gratulieren und
schließlich bis halb vier ins "Freeland". But if you sing. Viel reden.
Auch über Fußball. Bayern. War Länderspielpause. Und solche
freien Wochenenden sind echt nix für echte Fußballer. Verschenkt
ohne 15.30 Uhr. Wie oft haben wir nicht hintereinander gewonnen? Sechsmal?
Egal. Schlafe ein, wache auf, spät, aber nicht zu spät, schmeiße
mich unter die Dusche, in die Stadionklamotten, hole die Stadionzeitung
aus dem Briefkasten, lese sie an - bin inzwischen sogar davon überzeugt,
dass wir souverän mit 3:1 gewinnen und setze mich um 13.15 Uhr in
den Smart, weil ich es ohnehin gar nicht mehr aushalte. Brülle bei
"Sing" richtig laut mit, an den roten Ampeln schauen die anderen Autofahrer
bedröppelt, frei nach dem Motto "Was gehtn bei dem ab?" Bekomme während
der Hinfahrt drei sms. "Viel Erfolg gegen die Seppels", funkt ein Volo-Kollege,
BVB-Fan, gerade auf dem Weg nach Leverkusen. Wunderbar, das Wort "Seppels"
hatte ich vor geraumer Zeit aus meinem Sprachzentrum verbannt. Es feiert
für heute ein grandioses Comeback. VfL-Fan Dirk aus München schreibt:
"Wenn Du heute im Stadion bist: 2-1 fänd ich angemessen." Wenn ich
im Stadion bin, haha. Richter Gerd, den ich sowieso gleich sehen werde,
funkt: "Hmmm, sitze bei Sonne und blauem Himmel in der Straßenbahn,
hab erstmals an den ipod gedacht, knall mich mit meiner "Laut"-Kollektion
zu und glaube, Alter: wir haun die weg heut." Spitze, diese sms leite ich
direkt an meinen Volo-Kollegen und Dirk weiter... fleißiges Hin und
Her, Spitzenplatz unten im Parkhaus, Schal umlegen, sing, siiiiiiing, sing,
gute Laune, Antwort um kurz nach zwei vom BVB-Fan: "Ganz groß, ich
wünsch es euch! Nachdem mir der Ordneraffe fast mein Nasenspray gezockt
hätte, bin ich jetzt auch endlich drin. Chemieschweine raus!" Der
Ticketshop hat geöffnet, die Schlange ist überschaubar, ich nutze
die noch genug verbleibende Zeit, um Karten für die Auswärtsspiele
in Berlin und Duisburg zu kaufen. Drei sms hin, drei her, viele kleine
Kinder im roten Bayern-München-Trikot laufen neben ihrem oft gelangweilten
Vater her - die Eindrücke der letzten 20 Jahre bestätigen sich.
50 Prozent aller Bayern-Fans gehen eben noch zur Grundschule. Die Fußballfanpubertät
endet eben erst mit dem zehnten Lebensjahr.
Karten gekauft, rein in
die Kurve, halbdrei. Suuuuperwetter. Sonne, blauer Himmel, wie es Gerd
gerade schon schrieb. Zeit vergeht schnell, Unterhaltungen über dies
und das, Stadionkram wie immer, lest nach bei allen weiteren Texten, die
in diesem VfL-Blog stehen. Kinnlade runter bei der Aufstellung des FC Bayern.
Kahn, Lahm und Sagnol fehlen, die halbe Abwehr. Und trotzdem stehen auf
dem Platz: Ribéry, Klose und Toni, zusammen 45 Millionen Euro Ablöse,
bisher gemeinsam 18 Saisontore in neun Spielen und eine endlose Zahl an
Vorlagen. In der Innenverteidigung die südamerikanischen Nationalspieler
Lucio und Demichelis, rechts die 21-jährige deutsche Hoffnung Jansen,
im Mittelfeld ergänzen Mark van Bommel - gekommen aus Barca - sowie
der türkische Nationalspieler Altintop und Brasiliens Selecao-Kicker
Zé Roberto die Mannschaft. Auf der Bank die WM-Stars Podolski und
Schweinsteiger sowie mit Sosa ein 10-Millionen-Euro-Mann und mit Schlaudraff
ein weiterer deutscher Elitekicker. Was für eine Truppe. WAS FÜR
EINE TRUPPE! Ein kleiner Bayern-Fan hat sich mitten in die VfL-Kurve verirrt
und sitzt auf dem mittleren Zaun. Das macht uns alle fertig. "Kann doch
nicht sein!" Aber was tun? Einen achtjährigen Steppke vom Zaun runterholen,
bevor das die Ultras erledigen? Der Vater kommt selbst drauf... Unser Maskottchen
des Tages, fünf Jahre alt, tippt 5:0 für den VfL. Selten so gelacht,
aber doch ganz großer Sport.
But if we sing. Siiiiiiiiing.
Wir singen "Bochum", erst zum dritten, vierten oder fünften Mal überhaupt
kommt die letzte Liedzeile pünktlich mit dem Einlaufen. "Machst mit
'nem Doppelpass jeeeeeeeeden Gegner nass, Du und Dein VFL!" brüllen
wir den Bayern entgegen, 31.000 Zuschauer, ausverkaufte Hütte, Feiertag,
weil die Bayern da sind. Koller hat wieder fleißig umgebaut, das
wird ganz langsam zu einem Problem. Jede Woche zwei bis vier Änderungen:
Gut kann das nicht sein. Diesmal spielt der italienerfahrene Pfertzel links
für Bönig. Schröder ersetzt im Mittelfeld den rippenbrüchigen
Dabrowski auf der zweiten "Sechser"-Position. Den stämmigen Mieciel
hat Koller - trotz der guten 2/2-Bilanz - auf die Bank verbannt, dafür
soll's der laufstarke Epalle versuchen. Für Ilicevic ist Grote dabei,
verdient nach einem starken U21-Länderspiel während der Woche.
Die "goldenen Elf", die das Spiel gewinnen, sind: Lastuvka, Concha, Maltritz,
Yahia, Pfertzel, Zdebel, Schröder, Sestak, Grote, Bechmann und Epalle.
Auf geht's Bochum schießt ein Tooooooooor.
Munterer Beginn, Bechmann
schießt den Ball zur Eckfahne in der zweiten Minute, wir erarbeiten
uns eine Ecke in der sechsten Minute. Es läuft. Von Bayern kommt nix.
In Minute zehn schnappt sich Grote an der Mittellinie den Ball. Er lässt
den lustlos trabenden van Bommel locker stehen, umspielt Lell, danach auch
noch Lucio, Altintop grätscht ins Leere, 20 Meter vor dem Tor, Grote
schlenzt und TRAUUUUUUUUUUUUUUUUUUUUMTOOOOOOR!!!! YEAH! Yeah! Let me sing.
Siiiiiiiiiiiing, und diesmal: "Lalalalalaaaaaaaaaaaaa", unser Torjingle
kommt gut. Schalalalala. "Torschütze: DENNIS" "GROTE!" "DENNIS!" "GROTE!"
Es steht weiß auf blau auf der Anzeigetafel: Wir führen 1:0
gegen den FC Bayern München. Doch nach elf Minuten war's das mit dem
VfL. Bis zum Schluss beginnt eine unglaubliche Fußballtrickserei
von und mit Franck Ribéry. Sowas - und glaubt mir, ich bin fußballtechnisch
weit herumgekommen - habe ich noch nie gesehen. Wie ein kleiner Mann in
der Lage ist, mit dem Ball umzugehen, selbst in höchstem Tempo noch
zentimetergenaue Pässe zu spielen, sich instinktiv immer richtig zu
bewegen, das ist ganz, ganz große Klasse. Würde er nicht bei
Bayern spielen, hätten wohl selbst alle Bochumer applaudiert. Zum
Glück sind die Bayern heute nicht in Form. Unsere Top-Innenverteidiger
Maltritz und Yahia haben den hochgelobten "besten Sturm Europas" mit Luca
Toni und Miroslav Klose super im Griff. Okay, die Bayern drücken,
Chancen gibt es aber lediglich aus der Entfernung. Altintops Freistoß
aus 25 Metern Entfernung fischt Lastuvka aus dem Eck. Van Bommel und Klose
schießen jeweils zehn Zentimeter daneben. Okay, das einsnull wird
von Sekunde zu Sekunde schmeichelhafter, zumal überhaupt keine Entlastung
unserer Jungs kommt, unsere Viererkette bolzt einfach nur den Ball möglichst
weit in die Bayern-Hälfte. In der 35. Minute isses dann leider soweit.
Pfertzel verliert auf unserer linken Abwehrseite den entscheidenden Zweikampf
gegen Klose, der passt flach, aber blind in die Mitte. Ribéry schaltet
instinktiv und verlängert das Leder mit der Hacke in Richtung "langes
Eck". Die Kugel kullert und kullert und kullert, Lastuvka purzelt hinterher,
Tor. 1:1. Verdient, keine Frage, aber auf diese Art und Weise doch ärgerlich.
Auf geht's Bochum schießt ein Tor?? 1:1, dabei bleibt es bis zur
Halbzeit. Die Pause bietet uns ein interessantes Schauspiel. Pünktlich
zum Aktionstag "Zeig dem Rassismus die Rote Karte" betreten ein VfL- und
der Joel-Epalle-Fanklub den Rasen. Und halten das Transparent "VfL-Fans
gegen Rassismus" in die Höhe. Schön.
1:1, dabei bleibt es auch
nach der Halbzeit. Die Überlegenheit der Bay... äh Seppels wird
erdrückender von Sekunde zu Sekunde - aber scheißegal, es passiert
nichts. Lastuvka ist ausnahmsweise sehr sicher bei Flanken. Bayern-Trainer
Hitzfeld hat die Schnauze voll und wechselt. Es kommen Schweinsteiger und
Podolski. So will Koller bestimmt auch einmal wechseln können. Die
Stimmung wird immer ruhiger, gespannter, ja, auch relaxter irgendwie. Bejubelt
wird Rostocks 1:1 gegen Schalke 04, dabei ist das unfassbar dämlich,
denn schließlich ist Rostock ein Konkurrent. Schalke nicht. Keine
Zeit für Aufregung. Den Bayern fällt nicht mehr fiel ein, außer
Ribéry anzuspielen. Aber in Minute 80 reicht das auch. Ribéry
kommt über rechts wieder einmal bis zur Grundlinie durch, ein Rückpass,
Schweinsteiger stupst den Ball Richtung Tor. DOCH WAS MACHT LASTUVKA DA?
Er lässt das Kullerbälleken passieren. 1:2, scheißdreckscheißdreck,
scheißemistdreck. Objektiv ist das natürlich hochverdient, obwohl
die Bayern nicht einmal ein überzeugendes Spiel liefern - aber subjektiv
natürlich höchst unglücklich. Wenn Lastuvka da nicht patzt,
holen wir den Punkt. Ganz sicher! Bezeichnend, wie die Bayern das 2:1 über
die Zeit schaukeln. In den letzten fünf Spielminuten hält Ribéry
im Alleingang den Ball an der Eckfahne. Mal gibt's eine Ecke, dann wieder
ein Foul, unglaublich, was der Mann kann. Der Block A, der dieses Schauspiel
hautnah miterlebt, schmeißt Feuerzeuge, Bierbecher - das bringt uns
eine fette Strafe, aber Ribéry nicht aus der Ruhe. Abpfiff, verloren,
zum siebten Mal in Folge ohne Sieg. Abstiegsplatz, weil eben Rostock gegen
Schalke 04 den einen Punkt über die Zeit rettet.
Bleibe noch ein wenig stehen
in der Kurve. Gerd verzieht sich schnell und sofort, wird seine "Laut"-Kollektion
auf der Rückfahrt nicht mehr benötigen. Ich schaue auf den Rasen.
Sekunden, Minuten. Dennis Grote wird zum "Knaller des Tages" ernannt, zurecht,
der einzige richtig helle Moment unserer Mannschaft in diesem Spiel. Wie
immer gegen die Bayern. Die kommen hierhin, geben dir ein Leckerchen, indem
sie ein Tor kassieren und gewinnen am Ende doch schmutzig und humorlos.
Tja. Fahre nach Hause, verlebe den Abend im beim Kulinarischen Abend im
"Schrägen Eck". Mag nicht mehr reden über dieses Spiel. Es ist
doch verrückt. Gerade wenn du gegen die Bayern spielst, kribbelt's
besonders im Bauch ab Freitagmorgen. Aber direkt nach dem Abpfiff willst
du vom Spiel nix mehr wissen. Let me sing, siiiiiing, sing. Und zwar jetzt
folgenden Refrain: "Nie im Leben würde ich zu Bayern gehen". So isses.
Nur ein Spieler kam: Oliver Schröder
Ein erbärmlicher Tag, der schon schlimm begann: VfL-Schal vergessen, Zug verpasst - und das alles bei Eiiiiseskälte. Achtmal ohne Sieg, Vorletzter - und ab jetzt wehren wir uns
Wunderbar-schaurige Jahre
Der Anblick kann nichts mehr retten
Die ältere Frau steht
an der Theke der Kamps-Bäckerei im Essener Hauptbahnhof, schaut sich
ein bisschen um, studiert das Angebot und sagt mit Überzeugung: "Einen
Berliner bitte".
Ich muss lachen.
Es ist kurz nach zehn, ich
komme danach dran, ordere zwei Marzipan-Croissants und eine Coke Zero,
drehe mich um, spaziere zum vierten Gleis und verfluche das Leben. Schnappe
mir mein Handy, tippe "Zug verpasst, VfL-Schal vergessen, ich sollte in
Mülheim bleiben." Schon seit zwei Stunden bin ich wach - und habe
es tatsächlich geschafft, bis jetzt alles zu versauen. Der Wecker
klingelte um 8.05 Uhr, ich brauchte für die morgendlichen Aktivitäten
so lang, dass ich den Zug von Mülheim nach Essen verpasste. Also setzte
ich mich in den Smart, düste nach Essen, um dort zu parken. Doch nirgendwo
war ein Platz frei. Also ab ins Parkhaus. Dort kostet zwar ein Tag 15 Euro,
aber egal, für den VfL nehme ich das in Kauf. Sprintete zum vierten
Gleis - um 9.26 Uhr, wenn der ICE nach Berlin wie immer fünf Minuten
Verspätung hat... hatte er aber nicht. Der ICE war weg. Scheiße,
Zug verpasst, zum ersten Mal in meiner Auswärtsspiel-Karriere. Ging
zurück zum Parkhaus, bezahlte für sechs Minuten 1,80 Euro, schaute
auf meinen Beifahrersitz und stellte fest: Scheiße, den VfL-Schal
habe ich vergessen. Noch so eine Premiere. Eine Stunde Zeit hatte ich,
bis der nächste ICE kommt. Ich fuhr über die A40 zurück
nach Mülheim, parkte am Hauptbahnhof. Meinen Discman füllte ich
mit der Best-of-Moby-CD, die mir "That's when I reach for my revolver"
anbot. Ich nahm an. Parkte in Mülheim am Bahnhof, bestieg den Regionalexpress,
um wieder in Essen auszusteigen. Was für ein kompliziertes Wirrwarr,
eine vermeidbare Odyssee.
Dann steht die ältere
Frau an der Theke. Will einen Berliner.
Dieser ICE kommt jetzt
natürlich fünf Minuten zu spät, um 10.30 Uhr. Entscheide
mich für Sitzplatz 76 in Wagen irgendwas, komme endlich zur Ruhe.
Zur gewünschten Ruhe. Das Volontariat forderte in den letzten Tagen
meine vollste Kraft. Will nach vier Monaten durchschuften einen Tag raus.
Raus aus dem Pott. Schon nach wenigen Sekunden widme ich die Hinfahrt dem
Song "Under the bridge" von den Red Hot Chili Peppers, ein von mir viel
zu selten gewürdigtes Lied. Under the bridge downtown I gave my life
away. Mir ist danach, es laut zu singen. Naja, die Situation, Zug, voll,
ihr wisst schon, summe es leise. Packe die heutige WAZ aus, wenigstens
die habe ich nicht vergessen. Zum Glück. Denn auf der "Menschen"-Seite,
ein prominenter Platz in der WAZ, steht mein Sarah-Kuttner-Porträt.
Fuhr neulich nach Münster, um sie 40 Minuten lang mit Fragen zu bombardieren.
Ja, doch, ein besonderes Erlebnis. Per sms kommen die ersten Rezensionen
meiner Volokollegen, es lenkt mich ab. Wie schon so oft in meinem Leben
fahre ich an Bochum, Dortmund, Hamm, Bielefeld, Hannover und Wolfsburg
vorbei. Und mehr Herbst geht nicht. Der Horizont im südlichen Niedersachsen
ist vernebelt, alle Felder sind abgeerntet, die Bäume bunt. Wir häufen
eine Verspätung von insgesamt zwölf Minuten an. Verbanne "Under
the bridge", höre nun "Enjoy the silence", den Depeche-Mode-Klassiker.
Ein Volo-Kollege bezeichnet mich als "junger Skywalker", als hätte
er gewusst, dass ich gestern Abend "Star Wars - Episode I" geschaut habe.
Beschließe daraufhin, im StudiVZ der Gruppe "Yoda ist der einzige,
zu dem ich Meister sagen würde" beizutreten. Schon beim Anblick des
grauen Herbsthimmels ist mir kalt. Draußen wird's so schattig, dass
ich, Andreas Ernst, eine Jacke bei mir trage. Und meine Freunde wissen,
dass ich nur äußerst selten dieses Kleidungsstück benutze.
Die Anzeige blinkt. Ab Wolfsburg brettern wir mit 250 km/h durch den Osten,
holen ein bisschen Verspätung auf. Wechsle die CD, nehme nun die,
auf die ich einst "Sportfreunde Stiller" schrieb. Morgen in Oberhausen
sehe ich die. Höre Lied sechs, "Wunderbare Jahre". "In all den wunderbaren
Jahrn", heißt's im Refrain, so oft hintereinander. Ja, das ist's.
Einen Tag raus, Fußball gucken, nachdenken, gute Musik. Ob vergessen,
verpasst oder abgesagt - keins meiner angedachten Treffen mit Freunden
klappt - es sind und bleiben wunderbare Jahre.
Blicke in den "Baedeker
Berlin" und stelle fest, dass das Olympiastadion sehr nah am Bahnhof "Berlin-Spandau"
liegt. Wow, da muss ich so oft nach Berlin düsen, um das festzustellen.
Gegen 14 Uhr hält der ICE in Spandau, rechts geht's zu den "Spandau-Arkaden",
links Richtung S-Bahn. Die S5 RIchtung Mahlsdorf startet hier, steht schon
am Bahnsteig. Steige ein. Gegenüber verabredet sich ein etwa 20-jähriger
Kerl für "Achzehndreissich inne Schischa-Bar." Drei Haltestellen später
ertönt die Durchsage "Olympiastadion". Raus, Richtung Gästekurve
laufen, um 14.18 Uhr bin ich drin. Ging ja doch noch pünktlich. Schlage
den Kragen der Jacke bis zum Hals, ziehe den Reißverschluss bis zum
Anschlag hoch, vermisse meinen Schal, der Himmel ist grau, es nieselt,
schlimm, geschätzte 500 Fans sitzen im 76.000 Zuschauer fassenden
Rund, ich bin einer der ersten Bochumer. Lese den "Herthaner" durch, nach
wie vor eine der besten Stadionzeitungen der Liga, die mit 100 Hochglanz-Seiten
daherkommt - aber dafür auch zwei Euro kostet. Ich stehe direkt am
Marathontor. Auf der dortigen Treppe hat sich Radio RS2 breitgemacht. 45
Minuten vor dem Anpfiff sammeln sich dort Kameramänner und Fotografen.
Marusha ist dort, die DJane, die seit ungefähr 15 Jahren out ist.
Die mit "Somewhere over the rainbow" nur einen einzigen Hit hatte. Sie
wird scheinbar Hertha-Mitglied, performt ihren neuesten Flop "Kick it"
live. Tja, bei uns wurde Grönemeyer Mitglied. Und hier... Marusha.
Rufe MSV-Fan Helmut an, um mir die Langeweile und Kälte zu vertreiben.
Genau in diesem Moment betritt Jaroslav Drobny den Platz. Unser Ex-Keeper.
"Es ist so schlimm", sage ich, "die Lösung all unserer sportlichen
Probleme steht 120 Meter weiter." Er hätte der bestverdienenste Spieler
aller Zeiten beim VfL Bochum werden können. Doch er entschied sich
für den in Dieter Hoeneß' Hand wehenden Scheck des Pleitevereins
Hertha BSC. Doch Drobny ist in Berlin nicht gerade beliebt. Die Sprechchöre
gelten Christian Fiedler, der Berliner Nummer zwei. Das ist sehr, sehr
laut. Unüberhörbar laut. Unser Schnapper, der Drobny-Nachfolger
Jan Lastuvka, darf sich gar nichts anhören. Weder Pfiffe noch Jubel.
Kein Wunder, sind ja auch erst 50 Bochumer in der Gästekurve. Bei
der Kälte... Die Spieler kommen, studiere die Aufstellung. Dabrowski
spielt für den verletzten Zdebel, Ilicevic vorn für den formschwachen
Bechmann. Zwei Reihen vor mir sitzt ein VfL-Fan mit dem Trikot "Vader",
darunter die Nummer "77", darunter "Dark Side". Da war dieser Film wieder.
Star Wars. Schwer zu durchschauen die dunkle Seite ist. Meister Yoda. Trete
der Gruppe bei, weil mir danach ist. Zehn Minuten vor dem Anpfiff weist
Hertha via Tafel darauf hin, dass alle Zuschauer "die Plätze einnehmen
sollen". Gesagt, getan, 34.500 werden's. "Ist das nicht ein TRAUMWETTER?",
brüllt der Stadionsprecher.
Ich find's nicht komisch.
Stehe direkt vor einer BFC-Dynamo-Sitzreihe.
Irgendwelche Bochumer - ich erwähnte es schon oft - scheinen mit BFC-Leuten
befreundet zu sein. Die jubeln noch beim Einlaufen über ein Tor des
BFC. Ob sie bei der Aktion "Rote Karte gegen Rassismus" auch ihre Karten
in die Luft recken, weiß ich nicht. Will's auch gar nicht wissen.
Ich hätte mich wahrscheinlich wehren müssen. Auch bei den "Ultras"
passiert Erstaunliches. "Stewards", so heißen hier in der Hauptstadt
die Ordner, wollen ein Ultra-Plakat kassieren. Auch hier: Weiß nicht,
was draufsteht. WIll's auch gar nicht wissen. Bei den Berlinern sind Teile
der Ultras wohl aus dem Stadion geflogen. Anders lässt sich das Zaun-Plakat
"Hertha ohne Ultras ist wie Hertha ohne Fahne" kaum erklären. So viele
Ereignisse während des Einlaufens, das Spiel wird aber so wie das
Wetter. Gruselig. Es passiert nichts. Gar nichts. Ballgeschiebe im Mittelfeld,
ein Fehlpass auf der einen und kurz danach einer auf der anderen Seite.
Die Torhüter Lastuvka und Drobny müssen 25 Minuten lang keinen
einzigen Ball parieren. Unsere Spielverhinderungstaktik klappt so blendend,
dass pünktlich in der 25. Minute das ganze Stadion pfeift. Na gut,
bis auf die 500 Bochumer. Wir haben den Laden so im Sack, wie ich es nicht
einmal in meinen Träumen gehofft hatte. Sollte sich der Ausflug in
die Hauptstadt doch lohnen?
In Minute 26 schleicht Berlins
Gilberto die linke Seite entlang. Er wird nicht gestört, warum auch,
in der Mitte steht niemand außer Maltritz, Yahia und Lastuvka. Kein
Berliner weit und breit. Typisch für das Spiel: Gilberto flankt trotzdem,
warum, bleibt sein Geheimnis. Der Ball fliegt, tippt noch einmal auf dem
nassen Rasen auf, Maltritz will klären und klääär...
was isn das? Der Ball springt Maltritz gegen das Schienbein und von dort
ins kurze Eck. Lastuvka ist chancenlos, Eigentor, 0:1. "Noch Fragen?" funke
ich an MSV-Fan Helmut. "Technisch perfekt", antwortet der. So ist das mit
der Schadenfreude. Dieses Gegentor wirft uns komplett aus der Bahn. Drei
Minuten später sind Maltritz und Yahia unkonzentriert, Pantelic steht
allein vor Lastuvka - doch der pariert. In Minute 32 läuft Pantelic
durch unsere Spielhälfte, freundlich begleitet, aber nicht attackiert
von Yahia. Ein Schuss ins kurze Eck, Lastuvka kommt nicht mehr dran, 0:2.
Neun Minuten genügen, um uns auseinanderzunehmen. Ausgerechnet unsere
Beständigsten patzen. Ausgerechnet Maltritz und Yahia. Auch das noch.
"Bochum wir hören nichts", zwitschert die andere Seite. Warum sollte
ich, sollten wir auch was sagen, angesichts dieser verkorksten ersten Halbzeit.
Null Chancen, zwei vollkommen misslungene Torschüsse, Ballbesitz 45
Prozent. Ganz, ganz schlecht. Zweitligareif.
"Wann hört es endlich
auf?", frage ich per sms während der zweiten Hälfte in alle Ecken
der Republik? Das Spielniveau ist unterirdisch. Gut, wir sind nun klar
feldüberlegen, bleiben aber unfassbar ungefährlich. Ab der 74.
Minute stehen mit Bechmann, Epalle, Mieciel, Sestak und - ja, sogar - Benni
Auer fünf Stürmer auf dem Platz. Die Torchance-Bilanz: null!
0 Chancen in 90 Minuten, und das bei einer schwachen Berliner Hertha. Drobny
muss seinen Körper kein einziges Mal ernsthaft auf den Boden legen,
nur zum Zeitvertreib. Wir erarbeiten uns fünf Ecken, die - wie immer
- natürlich völlig verpuffen. Auch zwei Freistöße
direkt am Strafraum nageln Grote und Epalle unmotiviert in die Mauer. Wir
haben Glück, dass Hertha den Stand nicht noch bei einigen guten Pantelic-Konterchancen
auf 3:0 oder 4:0 erhöht. Die Stimmung bei uns ist nicht einmal im
Ansatz so erbärmlich wie die Leistung unserer Mannschaft. "Auf geht's
Bochum schießt ein Tooor". Hilft nicht. Hertha behauptet den Vorsprung
ohne jegliches Problem. 0:2 verloren, achtmal ohne Sieg, drei Niederlagen
in Folge, Sturz auf den vorletzten Platz. Bleibe nach dem Abpfiff noch
ein paar Sekunden stehen, warte was passiert. Und siehe da... zum ersten
Mal regt sich Widerstand bei den Bochumern. "WIR HAM DIE SCHNAUUUZE VOLL"
brüllen die ersten. Acht Spiele ohne Sieg, eine solch miese Serie
hatten wir in der kompletten vergangenen Saison nicht. Da brüllten
wir schon nach drei verlorenen Spielen mit 20.000 Mann "Koller raus!" So
etwas nennt man wohl "abgehärtet". Unsere 14 Berlin-Versager scheuen
den Weg in die Kurve. Nur ein einziger kommt ganz nah und entschuldigt
sich: Oliver Schröder. Applaus.
Mehr gebe ich mir nicht
mehr, sondern spaziere zum S-Bahnhof. Benutze die S5 Richtung Mahlsdorf.
Sitze mitten in der E-Jugendmannschaft des SV Karow. Der Trainer heißt
"Toralf" und berlinert unglaublich. Kann trotzdem nicht darüber lachen,
der Schock sitzt noch. Stopfe die Kopfhörer in die Ohren, Raveonettes'
"Great Love Sound", Sportis "Wunderbare Jahre" und der "Walk of Life" von
den Dire Straits heitern mich nur bedingt auf. Steige am Hauptbahnhof aus
und spaziere anderthalb Stunden ziellos am Spreebogen im Ortsteil "Tiergarten"
im Bezirk "Mitte" entlang. Am Wasser entlang, am Reichstag vorbei, am Brandenburger
Tor, der Straße "Unter den Linden". Fahre mit der S-Bahn bis "Friedrichstraße",
steige dort um Richtung "Ostbahnhof". Die Zwischenstationen: "Hackescher
Markt", "Alexanderplatz", "Jannowitzbrücke". Das nenn' ich Geschichtsunterricht.
Habe noch eine Viertelstunde Zeit, könnte "Sportschau" gucken, laufe
jedoch mit Absicht an allen Fernsehern vorbei.
"Gute Heimfahrt. Rockt null
nach so einem Spiel", schreibt ein Mit-Volo, BVB-Fan. Um 19.38 Uhr düst
der ICE zurück Richtung Essen. Dort umsteigen, kurz vor zwölf
komme ich an. Sehe mein Leben diese viereinhalb Stunden nur in Filmszenen.
Ich bewege mich in einer dieser seltsamen Momente der Auswärtsniederlagen-Romantik.
Du starrst geradeaus, ins Leere, konzentrierst dich auf nix. Hörst
Musik, ganz egal welche und malst die Spieltaktik in einen Block. Siehst
an die Gegentore. Wieder und wieder und wieder. Als gäbe es sonst
kein Problem auf dieser Welt.
Schrecklich schön.
Wunderbar-schaurig. Ja,
so war dieser Tag. So wie fast alle, die ich in meinem Leben bisher in
Berlin verbracht habe. Kurz vor Mitternacht ist alles ruhig in Mülheim.
Jetzt bestellt keiner mehr
einen Berliner. Nicht einmal ich. Ich lass' davon auch erstmal meine Finger...
Weitere Berlin-Besuche mit Texten und Bildern auf dieser Homepage
12. April 2003: Hertha
BSC Berlin - VfL Bochum 1:0 (Spielbericht bitte HIER
klicken)
14. bis 18. Juni 2003:
Ein kurzer Familien-Trip mit drei Generationen (Fotos und Eindrücke
bitte HIER klicken)
6. März 2004: Hertha
BSC Berlin - VfL Bochum 1:1 (Spielbericht bitte HIER
klicken)
7. August 2004: Hertha
BSC Berlin - VfL Bochum 2:2 (Spielbericht bitte HIERklicken)
11. November 2006:
Hertha BSC Berlin - VfL Bochum 3:3 (Spielbericht bitte HIER
klicken)
Wir haben einen neuen Glücksbringer: René Renno. Ein völlig verrücktes Spiel, eine sensationelle erste Halbzeit, so geht's raus aus der Krise
Lang nicht mehr gesehn
und
Gerd zeigt René
Renno vor seinem ersten Bundesligaspiel. Foto rechts: Zehn Sekunden vor
dem Anpfiff
Thommy schaut auf den Platz,
dann zu mir, dann auf den Platz, dann zu mir, 20.000 singen "Soooowas hat
man lang nicht mehr geseeehn so schöööön so schöööööön",
Thommy guckt und sagt: "Ich glaub' ich hab 'nen Filmriss."
Sonntagabendspiel. Mein
Bruder Thommy ist dabei, endlich einmal, endlich wieder da aus Brüssel.
Lang nicht mehr gesehn. Obwohl... Sonntagabendspiel, ein perfekter Anlass,
um die vergangene Woche, das vergangene Wochenende Revue passieren zu lassen.
Montag WAZ, Dienstag Seminar an der Journalistenschule, Mittwoch WAZ, Donnerstag
Feiertag und dann auch schon Freitag - hui, die Zeit ging verflucht schnell
vorbei seit dem unsäglichen 0:2 in Berlin. Hab inzwischen eine Volopraktikumsstelle
sicher, freu mich riesig darüber, weilte in der Nacht von Samstag
auf Sonntag bis kurz vor 5 Uhr im Duisburger Pulp, tanzte zu "Holiday"
von Green Day wie zu Musik der Arctic Monkeys, "God knows" von Mando Diao,
"Ok" von Farin Urlaub und Krachern von Jan Delay. Bekomme um kurz nach
halbfünf eine sms mit der wertvollen Nachricht, dass der VfB Speldorf
das Auswärtsspiel bei der SSVg Velbert mit 2:1 gewonnen hat.
So ein schönes Wochenende,
so viele schöne Sachen, die ich Thommy erzählen kann.
Und, bääh, dann
muss ich zum VfL.
Seien wir ehrlich: Es sieht
nicht gut für unsere blau-weißen Jungs. Wie elf lahmarschige,
nichtskönnende Trottel bewegen wir uns seit geraumer Zeit durch die
Abstiegszone der Fußball-Bundesliga, negative Höhepunkte mit
großem Abstand das fürchterliche 0:2 in Berlin vor einer Woche
und das 2:3 im Pokal in Aachen am Mittwoch. Als mein Bruder und ich die
Kurve betreten und dort 50 Minuten vor dem Anpfiff auf Gerd treffen, herrscht
eine komische Atmosphäre. Die Wolfsburger - unser heutiger Gast -
haben seit sieben Pflichtspielen nicht mehr verloren und sind unter Maggi
Magath auf dem Weg in die internationalen Regionen. Wir dagegen haben neunmal
nicht mehr gewonnen. Selbst unseren DFB-Pokalendspieltraum nach dem Motto
68/88/08 dürfen wir seit Mittwoch nicht mehr träumen. "Hoffnungen",
sagen alle um uns herum (auch wir selbst), "machen wir uns nicht." Ohne
die Für-lau-Fans der Ruhr-Uni Bochum hätten wir die 20.000-Grenze
nicht geknackt. Der Tipp des Tages lautet 1:3, und dann sehen wir auch
noch wer im Tor steht... René Renno, unsere langjährige und
ewige Nummer drei! Heerwagen verletzt, Lastuvka verletzt und jetzt darf
der René sein Bundesligadebüt feiern. Die Stimmung in der Kurve
ist äußerst durchwachsen - und sogar noch sehr viel Platz links
und rechts. Von der Enge des Abstiegskampfs keine Spur. Gönne mir
ein Schnitzelbrötchen, wieder, und erneut schmeckt es nach Gummi,
stillt aber - wenigstens das - mein Hungergefühl.
Wieder ein neues Spiel,
wieder hat Koller umgestellt. Diesmal kommt Epalle über rechts, und
unser eigentlicher Rechtsaußen Sestak durch die Mitte. Vorn spielt
als Einzelkämpfer Mieciel. Auch links offensiv wieder ein Tausch:
Diesmal wieder Danny Fuchs für Grote oder Ilicevic. Gucken wir mal...
Die erste gefährliche Szene in Minute vier. Freistoß für
uns auf der rechten Seite, Offensivstandards gehörten bisher nicht
zu unseren Stärken. Epalle läuft an, schlägt den Ball auf
den langen Pfosten, dort sprintet Sestak an Madlung vorbei und verwandelt
per Kopf zum 1:0. Schalalalalaaaaaaa, die frühe Füüüüüüührung,
yes, yes, yes! René Renno, unser Glücksbringer... Zwei völlig
verschiedene Vereinskonzepte treffen aufeinander. Auf der einen Seite der
bescheidene VfL Bochum, der nicht einmal die kompletten Gekas-Transfereinnahmen
reinvestiert - auf der anderen der VfL Wolfsburg mit einem Sportdirektor-Trainer
Magath, der 30 Millionen Euro zum Fenster 'rausschmeißen durfte.
Wir wollten Alexander Laas vor der Saison vom HSV holen - er wäre
bei uns gesetzt gewesen. Doch er entschied sich für Wolfsburg. Und
spielte bislang null Sekunden. So ist das Leben in den unsympathischen
Klubs der Liga. Nach dem 1:0 klappt bei uns auf einmal sehr viel. Renno
muss sich selten strecken, die beste und einzige Wolfsburger Chance in
Hälfte eins vergibt Marcelinho (oder wie wir Ruhrpottler ihn aussprechen
"Mazzelino"), der rund um die 25. Minute danebenschießt. Die neue
Offensivstruktur mit dem zweikampf- und ballabschirmstarken Mieciel vorn
sowie den wieselflinken Sestak und Epalle dahinter und daneben geht komplett
auf. Und über links spielt Fuuuuuuuuuchs auch nicht schlecht. Die
Wolfsburger Abwehr mit Quiroga und Madlung im Zentrum ist komplett überfordert.
Nach einer weiteren Standardsituation steht Yahia in Minute 20 ganz frei,
schiebt den Ball jedoch in die Arme von Jentzsch. Wir bleiben dran, zwischen
der 30. und 43. Minute spielen sich unfassbare und sensationelle Szenen
ab, die vor dem Anpfiff wirklich niemand vorhergesagt hätte. Sestak
schickt in der 30. Mieciel, KEIN ABSEITS, Mieciel legt den Ball an Jentzsch
vorbei und wird vom Wolfsburger Schnapper umgehauen. ELFMETER, der deutlichste
Elfer seit langer Zeit in der ersten Liga. Wir fordern "Epalléééé",
doch Maltitz legt sich die Kugel hin. Kurzer Anlauf, Schuss nach links
unten, zweinull, ja träum' ich?? Doch es wird besser und besser: Sestak
in Minute 33 frei vor Jentzsch, der er schießt dem langen Torwart
in die Arme. Besser in der 40.: Sestak - überragend in der ersten
Hälfte - passt auf Fuuuuuuuuuuuchs, der ist frei durch und schiebt
die Kugel lässig ins Tor. 3:0! Wir wollen uns alle hauen, um zu wissen,
ob es wirklich Realität ist! René Renno, Glücksbringer-Gott.
Drei Minuten später passt Epalle auf Sestak, und das näääääääääääächste
Tooooooooooooorrrrrr!!! Jetzt ist's einfach nur Riesengebrülle. 4:0!!!!!
Und das in unserer Formkrise! VIER ZU NULL!!!!!!!! Wir singen "Oh wie ist
das schööön" in der Ostkurve. Und das nach 43 gespielten
Minuten. Kann nicht sein. Empfange eine sms eines Soccerhallen-Fußballrunden-Kollegen:
"Was ist denn bei Euch los... - euer 2.Gesicht? Magath bestimmt kurz vor
Herzinfarkt." Oh ja, in der Wolfsburger Kabine wären wohl alle Zuschauer
jetzt gern. Auf der Bank sieht der Magath wirklich immer arschcool aus,
aber drinnen!?!
Halbzeit, Wiederanpfiff,
"Einer geht noch rein" rufen, dann donnert Schäfer nach einem Marcelinho-Pass
den Ball zum 1:4 ins Netz. Zwei Minuten nach dem Seitenwechsel. Hui. Schäfer
hat richtig Bock und schießt in der 53. Minute einfach drauf. Renno
patzt, wehrt den Ball nur ab, Grafite staubt ab. 2:4. Und es sind noch
37 Minuten plus Nachspielzeit. Das kann ja heiter werden. Lustig. Wir bibbern
auf einmal wieder. Aber auch das nur drei Minuten. In der 56. überschreiten
wir erstmals die Mittellinie, Mieciel spielt auf Epalle, der trifft aus
der Drehung zum 5:2, Tooooooooooooooor, Flicflac, wir liegen uns in den
Armen wie sonst nur bei UEFA-Cup-Toren. Ey 5:2. FÜNF ZU ZWEI!!!!!
Doch Hut ab Wolfsburg! Grafite trifft in der 73. zum 3:5, doch das wird's
doch gewesen sein, oder? Oh nein, verrückt bleibt verrückt. Nach
Mazzelino-Pass grätscht Grafite drei Minuten vor Schluss um Millimeter
am Ball vorbei. Ein 4:5 hätten wir wohl kaum noch verkraftet und den
Sieg noch abgegeben. Egal. Es bleibt beim 5:3 nach einem total irren, verrückten,
wahnsinnigen Spiel. Speldorf gewinnt, Bochum gewinnt, allen VfL-Fans, die
nicht hier waren, weil die ja "eh im Moment scheiße spielen", sei
hier der interaktive Stinkefinger gezeigt! GEWONNEN! DAS MUSS DOCH DIE
WENDE SEIN!!! Wir haben eine Taktik und eine Stammelf gefunden, einen Glücksbringer
mit Renno - mal schauen, wer in einer Woche in Duisburg im Kasten steht.
Zwölf Punkte nach zwölf Spielen sind nicht genug, aber drei mehr
als der Sechzehnte.
Abpfiff, Thommy hat 'nen
Filmriss. Da kommt er einmal wieder mit ins Ruhrstadion und direkt! A perfect
day!
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 3 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 3 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 3 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 3 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 4 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 4 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 4 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 4 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 4 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 5 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 5 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 5 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 5 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 5 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 6 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 6 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 6 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 6 nachzulesen !
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 6 nachzulesen !