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VfL
Bochum - VfB Stuttgart 1:1 (15.3.2008)
(weil meine kamera verrückt spielte,
leider nur mit handybildern - sechster teil)
Gerd Geburtstagskind bekommt ein sehenswertes Geschenk!
Eine gelungene Fan-Premiere für Doktor Alex, ultrastische Unterhaltung, Punkt Nummer 31 in dieser "Nowhere-Man-Saison", aber: saugeiles Spiel
Ja, doch, allmählich wird er gefeiert: Jan Lastuvka
Magic Carpet Ride
Hier ist unser Schnapper noch ganz aufmerksam!
Es ist schon ein sehr seltsames
Gefühl. Morgens aufzuwachen und eine Melodie zu pfeifen, die ich seit
vielen Jahren nicht mehr pfiff und die sich nicht einmal mehr im hintersten
Eck meines Gehirns befunden hat. Wache auf, setze mich auf den Rand des
Bettes der Liebsten, kratze meine Stirn, aber nicht, weil's juckt, sondern
weil diese Melodie da ist. "Magic Carpet Ride" von den Mighty Dub Katz,
ein furchtbarer Techno-Heuler aus den 90ern.
Magic Carpet Ride. Zauberteppich-Rennen.
Stehe auf, schaue übermüdet
im Zimmer herum, suche - ja, vielleicht - einen Zauberteppich. Fliegen
wir im Moment auf dem Zauberteppich durch die Liga? Naja, in den beiden
UEFA-Cup-Spielzeiten hätte ich das sofort unterschrieben, in der Rückrunde
der vergangenen Saison vielleicht auch. Aber jetzt? Pfeife weiterhin die
"Magic Carpet Ride"-Melodie, schaue auf den Küchentisch, auf die Wittener
Ausgabe der "Ruhr-Nachrichten" und denke: Wir sitzen nicht, wir liegen
nicht, wir stehen nicht, wir fliegen, wir schweben nicht. Wir sind... irgendwie...
im luftleeren Raum. Oder um es mit den Beatles zu sagen: "Nowhere men".
Das Problem, das ich schon im Frankfurt-Text
angesprochen habe, wird größer und größer und größer.
Alles ist für die Tabelle so bedeutungslos. Denke an den Zauberteppich,
schaue auf den Tipp der Ruhr-Nachrichten-Redaktion: 2:2. Tja, und dann
tippen die auch noch Unentschieden. 'Ne Punkteteilung. Als ob ich darauf
auch noch Lust hätte. Ein Aufreger wär nicht schlecht. Ein Kantersieg.
Oder mal ein richtig geil hohes Debakel. Mit fünf Gomez-Toren oder
so.
Duschen, anziehen, Liedchen
pfeifen (einen Text hat dieser Techno-Scheiß natürlich nicht),
Schal um den Hals binden, Stadionzeitung in die Hand nehmen. Gegen wen
spielen wir? Ach ja, Stuttgart. Das sind Erinnerungen!
Das 3:2 der Stuttgarter am vorletzten Spieltag der vergangenen Saison war
das beste Spiel eben jener, ein 90-minütiges Spektakel. Eine Superleistung
von unseren Jungs, Schalke wird nicht Meister. Alles gut. Und heute? Für
uns geht's - hab ich das schon angesprochen? - um wenig, die Stuttgarter,
hoho, haben viermal in Folge gewonnen und mit Gomez den zweifelsohne besten
Stürmer der Liga. DER fliegt momentan auf einem Zauberteppich! Blättere
im Stadionheft ein wenig vor und zurück, es bleibt dabei, wir haben
30 Punkte, und komme an bei Frank Goosens Kolumne auf der letzten Seite.
Und muss richtig lachen. Richtig. Es geht um das Spiel
gegen Leverkusen, erinnert Ihr Euch? Ich fragte mich noch, was Goosen
wohl zu diesem Spiel schreiben würde und jetzt weiß ich's. Es
ging um die Szene, als Zdebel verletzt ausgewechselt werden musste. Darauf
meinte Goosens Sohn, in der Kolumne immer zärtlich "Thronfolger" genannt:
"Wie, der ist verletzt? Der verletzt doch sonst immer nur andere!" Hahahahahahaha,
Riesen-Schenkelklopfer. Goosen verteilte sein Stadionbier - laut Kolumne
- im Nacken des vor ihm Sitzenden, ich pruste so, dass sich in der "308"
Richtung Stadion alle denken, ich sei bescheuert.
Bin heute sehr früh
dran. Der Vorverkauf lässt darauf schließen, dass 25.000 Zuschauer
kommen, um zwei geht's noch sehr gemächlich zu am Stadion. Verspeise
- wird fast eine Tradition - ein Gummi-Schnitzelbrötchen, schlürfe
eine Cola Light. Gerd ist schon da. Der Mann hat heute Geburtstag! Wird
37! Happy Birthday to Gerd! Das Sensationsspiel gegen Leverkusen hat er
verpasst, ich wünsche ihm ähnliche 90 Minuten heute. Neben Gerd
steht Doktor Alex. "Mit 37 muss ich meinen Hausarzt immer dabei haben".
Alex ist zum zweiten Mal in seinem Leben überhaupt im Stadion und
"sehr gespannt." Die Zeit bis zum Anpfiff vergeht sehr schnell. Einem Neuling
das Stadion, das Spiel und den Ablauf zu erklären, macht immer wieder
Laune. Zudem sorgt das aktuellste Blättchen der "Ultras" wieder für
einige Schmunzler in unseren Kreisen. In den vergangenen Spielen verweigerten
die Ultras nämlich diverse Feierlichkeiten nach dem Abpfiff - und
liefern hier prompt die Begründung. Denn die "Humba" stammt von Mainz-Fans
und die "Die ganze Kurve hüpft" erfanden die Aachener. Und das ist
ja bööööööse. Unser "So gehn die Bochumer"
soll auch nur situativ eingesetzt werden. Ja was machen wir denn da noch
nach dem Abpfiff? Applaudieren? La Ola? Oder wie? Zweiter Höhepunkt:
"Etwas mehr Gespür" beim Einsatz von Sprechchören u. ä.
wird eingefordert. Da haben die Ultras selbst noch Nachholbedarf. Wer mitten
in den heißesten Szenen des Spiels - Freistoß am 16er, Ecke,
Powerplay-Phase - neues "Liedgut" anstimmt, das niemand mitsingen kann,
hmm... Ich halt's da mit den "Treuen", die heute - am "Fan-Tag" - eine
Vereinsurkunde zum 25-jährigen Bestehen bekommen: Den Ultras kritisch
gegenüberstehen, aber sie doch irgendwie als "Fan-Nachwuchs" ab und
an verteidigen.
Wow, mit Unterhaltungen
und Blättchen die Zeit vertrödelt, Sam kommt pünktlich um
15.25 Uhr ("Hab wegen eines Auto-Aufklebers 25 Minuten im Fanshop gestanden").
Aufstellungen? Bei uns alles wie gehabt, bei Stuttgart sitzt Gomez erst
einmal auf der Bank. Angeschlagen. Soll nur kommen, wenn es das Spiel erfordert.
Die Fotografen und Kameramänner interessieren sich gar kein bisschen
für die auflaufenden Mannschaften, sondern für den auf der Bank
sitzenden Stuttgarter Stürmer. Und sogar etwas für unseren Manager
Stefan Kuntz. Aus uns allen völlig unerfindlichen Gründen gibt
es scheinbar einen Streit zwischen unserem mächtigen Vereinsboss Werner
Altegoer und Kuntz über die Vertragsverlängerung. Warum nur???
Wir alle sind uns einig: Kuntz in Watte packen, ihm alles geben, was er
fordert. Sind wir etwa zu erfolgreich??? "Altegoer raus" steht direkt in
allen Internetforen - das ist eine sehr empfindliche Personalie. Okay,
Spiel läuft, und direkt geht's in die Vollen, wie im Vorjahr. Vor
einem Jahr traf Schröder nach zwei Minuten zum 1:0. Und jetzt? Sestak
tankt sich nach drei Zeigerumdrehungen über rechts durch, schießt,
VfB-Torwart Ulreich wehrt ab, den Abpraller drückt Auer über
die Linie. Riesenjuuuubel, Torpogo. Aber: ABSEITS! Wo war das Abseits???
In Minute neun Ecke eins für Stuttgart. Der Ball segelt in den Strafraum,
Lastuvka fliegenfängert etwas, und dann zappelt der Ball im Netz.
Wieder pfeift der Schiri ab. Torwartbehinderung. Puh. In der 11. Spielminute
brummt mein Handy. SMS von Duisburg-Fan Helmut, der Premiere schaut: "Beide
Tore regulär", funkt er. Was für eine Anfangsphase! Wow! Wir
sind gut drauf, unsere eingespielte Elf überzeugt. Minute 20, Schlag
auf Schlag geht's: Ono passt sensationell auf Pfertzel, unser ungestümer
Rechtsverteidiger dringt bis zur Grundlinie vor, spielt scharf in die Mitte,
dort steht Dabrowski und drückt die Kugel rein. JAAAAAAAAA!!!!!! Supergeil!
Supergeil! VfL Bochum EINS - VfB Stuttgart NULL! Doch die Stuttgarter spielen
auch nicht schlecht. 'Ne halbe Stunde ist um, Freistoß für den
VfB aus dem Halbfeld. Zdebel verlängert den Ball Richtung eigenes
Tor, doch Lastuvka??? PARIERT! GEIL! Superparade, vielleicht seine beste
im VfL-Trikot! Der VfB spielt gegen Sestak auf Abseits, huuhh, das kann
ins Auge gehen. Geht's in Halbzeit eins aber nicht. Doktor Alex, der Fußball
im Fernsehen immer langweilig findet, ist positiv überrascht und sieht
sich erst zwischen der 35. und 45. Minute bestätigt, als es etwas
verflacht. Alex schaut fasziniert Richtung Megafonmann ("Der hat doch was
genommen, oder?" Hihi, so reagiert jeder "Neuling"). Meine Analyse: "Für
die langweiligen Phasen des Spiels haben wir ihn eingestellt!" Achte selbst
auch gar nicht darauf, welche Sprechchöre die Ultras anstimmen. Ist
einfach zu spannend. Einsnull zur Pause. "Ein schönes Spiel" beschließen
wir alle. Alle. Wir werden im Moment wirklich verwöhnt.
Da ist es wirklich nicht
nötig, in der Pause zu kiffen. Doch wieder einmal vernebelt der unbekannte
Kiffer die Luft in der Ostkurve, und ich würde sehr gern wissen, wer's
ist! Und gern wissen, ob die Stadionregie alle Zuschauer verarscht. Denn
Cottbus soll gegen Bayern München mit 2:0 führen. Irre Liga.
Wach werden! Wach für die zweite Hälfte!!! Gegen Hannover setzte
es ein Gegentor in der 48., in Frankfurt in der 48.! Und jetzt? Marica
setzt sich gegen unsere komplette Abwehr durch - natürlich in der
48. - und stubst den Ball zu Hitzlsperger. Der steht blitzeblank vor unserem
Tor und schiebt die Kugel an Lastuvka vorbei ins Netz. Scheiße. So
toll gespielt in der ersten Halbzeit - und das alles innerhalb von drei
Minuten zerstört. "1:1" steht dick auf der Anzeigetafel. Es geht danach
bis zum Schlusspfiff hin und her, ja, VfB-Trainer Veh beschließt
sogar, Gomez noch einzuwechseln. Drei Chancen bekommen wir noch: Sestak
verzieht rund um die 50. Minute, ein Dabrowski-Hammer streicht Millimeter
übers Tor (65.) und Zdebels Drehschuss landet in den Armen von Ulreich
(80.). Kurz vor Schluss kommt - mehr als stürmisch gefeiert von den
25.000 (Zuschauerzahl-Prognose zugetroffen) - Epalle, doch eine Offensivaktion
schafft er nicht mehr. Die beste, größte, dickste und schön
herausgespielteste Chance hat der VfB. Nach einer sehr feinen Ballstafette
flankt Bastürk auf Hilbert, doch der nutzt den Matchball nicht und
jagt die Kugel volley übers Tor. Das ist in der 70. und wir schrammen
ganz knapp am sicheren K.o. vorbei.
"1:1" steht auch am Ende
noch auf der Anzeigetafel. Ein gerechtes Ergebnis in einem sehr, sehr schönen
Fußballspiel. "Gibt nix zu meckern", sagen wir. Geburtstagskind Gerd
haut sofort nach Schlusspfiff ab. Feiern womöglich. Sam sagt die Reise
nächste Woche nach Nürnberg ab. Super. Der Professor bietet an,
dass ich mit dem BOZ-Fanexpress für 55 Euro fahre. Mal sehen. Zdebel
hat wieder 'ne Gelbe gekriegt und die anderen verletzt. Die Ruhr-Nachrichten
können mit einem richtigen Riecher glänzen. Aber das Spiel endete
eben nicht 2:2, sondern 1:1. Cottbus gegen Bayern: 2:0. Es stimmt. Nach
dem Abpfiff gibt es diesmal kein Medley, sondern "nur" Applaus und zaghafte
"Stefan Kuntz"-Rufe. Da haben die Ultras in ihrem nächsten Blättchen
"nix zu meckern" - das Motto des Tages. Als die Spieler längst in
den Katakomben verschwunden sind und Pfertzel via Anzeigetafel zum "Knaller
des Tages" erkoren wird, singen einige "Gegen Dortmund dürft ihr nicht
verlieren". Ach ja, unser nächstes Heimspiel. Da wird es dann RICHTIG
bedeutungslos, weil die Dortmunder auch "Nowhere men" sind. "Was für
ein Scheißspiel", funkt BVB-Fan Felix (ein Mit-Volo) aus Hamburg,
wo der BVB 0:1 verloren hat. Dafür können die Dortmunder noch
ins Pokalfinale einziehen. In dieser Lage wäre ich auch gern.
Gut gelaunt und beschwingt
setze ich mich auf meinen Zauberteppich. Ja, doch, habe ihn noch im Gebüsch
gefunden, nach einem solch angenehmen Fußball-Nachmittag. Treffe
in Mülheim den Straßenbahnfahrer Stephan, VfL- und Glasgow-Rangers-Fan,
der an der Bierflasche nippt und von einer Schlägerei nach dem UEFA-Cup-Spiel
der Rangers in Bremen erzählt. Steige ab von meinem Zauberteppich.
Aber nur kurz. Zu Hause bei "youtube" lausche ich "Magic Carpet Ride".
Auch wenn's ein furchtbarer Techno-Heuler ist.
Nicht schlecht, aber nicht ganz: 2:2 tippen die Ruhr-Nachrichten...
Applaus für alle: gelungener Support, ordentliche Leistung, nichts verschenkt. Gut.
90 Minuten Spielnote 4,5, aggressiver, langweiliger Abstiegskampf. Aber drumherum die interessante Geschichte eines typischen Auswärtsspieltages.
Wie auf Schalke: Zu den Klängen von Status Quos"Whatever you want" geht's auf den Platz
Deal
Unsere Gemütslage: 1:1 = okay!
Hey. Ostern. Aufwachen, früh
am Morgen. Ganz früh am Morgen. Auswärtsspiel. Gestern Abend
die Liebste in den Nachtzug Richtung Skiurlaub gesetzt, danach mit einem
alten Freund bis nachts um zwei Uhr gequatscht. Nun bimmeliert und klingeliert
der Wecker um kurz nach sieben. Uah ist das früh. Drehe mich nicht
noch einmal um, das wäre tödlich, schlurfe ins Bad. Auswärtsspiel
in Nürnberg. Mensch warum mache ich das überhaupt? Die üblichen
Vorgeplänkel begannen bereits Anfang der Woche. Der Trainer der zweiten
Mannschaft meines Heimatvereins VfB Speldorf (mein Coach zu A-Jugend-Zeiten)
ist großer Nürnberg-Fan und am Telefon lieferten wir uns einen
sehr schönen Dialog. "Endspiel", betonte er immer wieder. "Endspiel
aller Endspiele". Ich hörte mir das ganz in Ruhe an. Gaaaaaaaanz in
Ruhe und antwortete: "Uns kann das Spiel egal sein." Jetzt, während
ich zum Bad schlurfe, mich unter die Dusche stelle und versuche, die geeignete
Temperatur fürs Duschwasser zu finden, muss ich wieder daran denken.
Uns ist's EGAL! Und ich stehe trotzdem um kurz nach sieben unter der Dusche,
gebe eine irre Kohle aus und das mutmaßlich für eine Schlappe
gehörigen Ausmaßes. Denn wie heißt es schön? Hast
du eine Krise, muss nur der VfL Bochum kommen. Dann hast du keine Krise
mehr.
Fertig geduscht, die gestern
zurechtgelegten Klamotten übergezogen - dieselben wie bei meinem Auftritt
in Nürnberg 2005 - und zur Ablenkung das TV angeschmissen. SAT.1,
dort läuft schon so früh am Morgen "Deal or no deal!", diese
unsäglich dumme, dumme Show mit Guido Cantz, in der ein Kandidat von
25 geschlossenen Koffern mit Geldsummen von 50 Cent bis 250.000 Euro einen
auswählt und die anderen sukzessive (im Lauf der Sendezeit) auswählt
und somit Summen ausschließt. Nach jedem dritten bekommt er von der
"Bank" ein Angebot, das die Durchschnittssumme der übrig gebliebenen
Beträge bildet. Schalte den Videotext ein, damit ich die Losgeh-Uhrzeit
nicht versäume, muss aber parallel die Gespräche verfolgen. Der
aktuelle Kandidat ist Bäcker, lässt sich vom Publikum helfen,
killt 50 Cent und zwei Euro, aber die 250.000 sind auch schon weg.
Worum würde ich in
dieser Show spielen? Drei Koffer. Sieg, Unentschieden, Niederlage. Die
Bank ruft an, sagt: "Unentschieden!"
Deal.
Laufe etwas zügiger
zum Bahnhof, erreiche den Regionalexpress Richtung Essen pünktlich,
auch der IC Richtung Kassel-Wilhelmshöhe fährt rechtzeitig in
Essen ein. Finde meinen Sitzplatz, räume meine Laptoptasche aus. Mein
Laptop ist nicht darin - zu gefährlich in einem Auswärtsspiel.
Finde die WAZ, die taz und einen Reiseführer Mailand. Dort bin ich
ab Montag für drei Tage und will mich ausführlich vorbereiten.
Mailand, das ist die Scala, das sind Prada-Tussen, das ist das noble, vornehme,
teure Norditalien. Und das ist San Siro. Im "Stadio Giuseppe Meazza" werden
wir wohl nie spielen. Unser Torwart vielleicht. Lese die Meldung, dass
unser Fliegenfänger Lastuvka für die tschechische Nationalmannschaft
nominiert wurde. Als dritter Torwart, noch vor Drobny. Verstehe das, wer
will. Weiße Weihnachten wollten wir, weiße Ostern haben wir
bekommen. Schon in Bochum und Dortmund sind die Dächer weiß,
im Ländlichen - bei Soest, Lippstadt, Paderborn - ganze Wälder
und Landstriche. Seit gestern ist FRÜHLING - und draußen sind
knapp zwei Grad. Habe meinen Schal dabei, meine VfL-Mütze, einen dicken
Pulli, eine dicke Jacke. Ende März. Will nach Mailand. Klimawandel
allez.
Klingt bescheuert, aber
ich glaube zu wissen, was ein Fußballprofi denkt, so ein paar Stunden
vor dem Spiel. Er setzt sich ruhig auf sein Hotelzimmer, geht vielleicht
spazieren, hat zwei Stecker im Ohr, lauscht seinen liebsten Melodien. Ich
stehe vor meinem 355. Profifußball-Spiel, bin so etwas, was im Sportjournalistenjargon
"Routinier" heißt. Und doch sitze ich in Ruhe auf meinem Sitz im
Intercity, hole meinen Discman heraus, dazu die "Fetenhits - Rock Classics"
und versuche bei Furys "Time to wonder" zu entspannen. Frage mich: Bin
ich in Form? Ist meine Stimme geölt? Habe ich genug Geld mit? Wie
komme ich vom Bahnhof zum Stadion? Wie stellt der Trainer wohl auf? Wie
sind die Stärken und Schwächen des Gegners? Gut, einige dieser
Fragen stellt sich ein Fußballprofi nicht. Aber eben ein Fanprofi.
Der tippt auch fleißig sms. Sam hat seine Begleitung ja schon vor
einer Woche abgesagt. Die MSV-Fans Tina und Helmut sind im Osterurlaub
auf der niederländischen Insel Texel, die Liebste schickt eine Kurzmitteilung,
dass sie "in der Sonne auf dem Berg steht, die verschneite Piste vor mir".Und
ich feiere eine Premiere. Steige zum ersten Mal in meiner Profifußball-Auswärtsspiel-Geschichte
in Kassel-Wilhelmshöhe um, dabei ist eben Kassel-Wilhelmshöhe
einer der führenden Verkehrsknoten Deutschlands.
Schnalle mir meine Laptoptasche
ohne Laptop um, die Jacke brauche ich wirklich und ich lausche der Stimme
der Sprecherin. Die redet in einer Tour, weil jeder Zug Verspätung
hat. Jeder. "Triebwerkschaden", "Notarzteinsatz am Gleis" undsoweiter.
Ich finde den Bahnhof sehr klein. Er hat kein richtiges Foyer, nur vier
Fernverkehrs- und wenige Nahverkehrsgleise, obwohl hier so viele Züge
durchreisen. Ich vergesse, wie geplant die SZ zu kaufen, kaufe ein Schokocroissant
gegen mein Hungergefühl, lache darüber, dass ein ICE zwei Stunden
Verspätung angehäuft hat. In den 20 Minuten Umsteigezeit gehe
ich einmal vor die Bahnhofstür, schaue einmal die Hauptstraße
rauf und runter und lese, was im Reiseführer bei "Kassel" steht. Wow,
200.000 Einwohner, hätte ich nicht gedacht. Wieder angekommen am Gleis,
stelle ich fest, dass der Zwei-Stunden-Verspätungs-Zug mit meinem
ICE zusammengekoppelt wird. Daher ist meiner pünktlich um 11.26 Uhr
da. Herrlich. Da sind die anderen Reisenden neidisch. Sitze im Zug nehmen
einer geschätzt 80-jährigen Frau, die ihren Enkel in Bremen besuchte
und nun nach Hause fährt. Nürnberg. "Schon blöd, wenn die
Verwandtschaft so weit auseinander wohnt." "Stimmt", sage ich. Nehme meinen
Block zur Hand, male die vermutlichen Aufstellungen, schaue nur kurz auf
die Tabelle - weil sie mich auslachen und "Haha, und du mittelfeldgeplänkelter
Idiot fährst nach Nürnberg" sagen würde und langweile mich
deshalb etwas. Hätte ich meinen Computer bloß bei mir. Wird
Zeit, dass das Spiel beginnt. Mit dem Spiel "Snakes" meines Handys vertreibe
ich mir die letzten Minuten bis zur Ankunft. Meine Fingerfertigkeit stimmt.
Ich bin bereit.
13.29 Uhr, die Bahnhofshalle
in Nürnberg ist voll mit "Clubberern". Finde trotzdem noch ein leeres
Schließfach, mistmistmist, noch einmal: Hätte ich doch meinen
Computer bei mir. Die S-Bahn-Linie S2 fährt ab 13.45 Uhr direkt bis
zur Haltestelle "Frankenstadion", ich verzichte auf einen Vor-dem-Spiel-Spaziergang
durch die Stadt, ist auch - überraschend - sehr, sehr schattig. Wenigstens
schneit's nicht. Auch das Reichsparteitagsgelände lasse ich rechts
liegen, laufe direkt zum Stadion und zur Gästekurve, weiß noch,
wo sie ist. Ist 14.15 Uhr, noch 75 Minuten totschlagen. Bin gespannt, wie
viele Bochumer kommen. Die meisten waren nicht so bekloppt wie ich und
sind gleich im Ruhrgebiet geblieben. Richtig so, denke ich in der Kälte,
weil ich als gerade einmal 50. Bochumer das Stadion betrete. Ui. Zwei der
50 kenne ich, äh, kennen mich. Es sind zwei Berliner, die ich ab und
zu schon erwähnte an dieser Stelle, die zu nahezu jedem Heim- und
Auswärtsspiel fahren. "Aufjestanden um Sechse", sagt der eine. Wir
kommen ins Gespräch. Einer arbeitet als Gleisbauarbeiter und muss
nächste Woche in Halle ran. Deshalb verpasst er das Revierderby und
ärgert sich. Um einmal eine Fahrt im Fanbus zu erleben, sind die zwei
von Berlin (!) bis Bochum gefahren, mit dem Fanbus nach Chemnitz (wohlgemerkt:
Chemnitz/Berlin ist nicht weit), dann wieder zurück nach Bochum, pennten
im Auto und fuhren dann nach Berlin. Bekloppt. "Positiv bekloppt", würde
Calli Calmund sagen. "Morgen muss ich um Fünfe raus", sagt der Gleisbauarbeiter-Bruder.
Wenigstens sind die zwei diesmal schneller daheim als ich. Über die
A9 geht's in dreieinhalb Stunden bis Berlin. "Fast ein Heimspiel", sagen
beide gleichzeitig und lachen danach. Hunger, keine Schlange am Stand.
Hole "Drei im Weckla", heißt: drei Rostbratwürstchen im Brötchen.
Die Gästekurve wurde seit 2005 umgelegt. Wir stehen nicht mehr links
der Videowand (die alten Anzeigetafeln sind out), sondern rechts davon.
Hübscher ist dieses WM-Stadion nicht geworden, die Laufbahn stört
enorm, der Berliner sagt: "Auch im Sommer weht hier ein furchtbarer, kalter
Wind." Die Nürnberger erleben einen Sporttag, am Abend nach dem Spiel
treten noch die Ice Tigers im Eishockey an. Bei den Nürnbergern fallen
mir die zahlreichen "Stolz"-Shirts auf und die Vereinsschals in Schwarz-Weiß-Rot.
Bin ich angesichts der Reichsparteitagsgeländen-Nähe zu empfindlich?
14.30 Uhr, noch eine Stunde.
"Frühlingsbeginn gleich
Frühlingserwachen?", fragt der Moderator des Stadion-TV auf Fränggisch.
Er kündigt die Anti-Rassismus-Woche an, schon die dritte in der laufenden
Bundesliga-Saison. Die Musik ist 1a, auch wenn es sehr belustigend ist,
wenn die Stadionregie schon vor dem Anpfiff "Steh auf wenn du am Boden
liegst" von den Hosen spielt. Ein frommer Wunsch. Danach noch "Enter Sandman"
von Metallica - vielleicht als Vorbereitung für "Rock im Park 2008"
- und AC/DCs "Thunderstruck". Der Professor kommt mit den BOZ-Fanexpress-Nutzern
um 15.15 Uhr, raunzt mich an, warum ich nicht mit dem BOZ gefahren bin
(meine Ausrede: "Ähem") und gesteht, schon "ein paar Bier drin" zu
haben. Mich interessiert, wie Ben Redelings' regelmäßige VfL-Diskussionsrunde
"Scudetto" mit dem Stargast Stefan Kuntz unter der Woche verlaufen ist.
Der Professor schätzt zu Kuntz' Perspektive: "Alles ist offen." Und
er ergänzt: "Der Abend war beängstigend schön. Der beste
Scudetto bisher. Nach den "Standing Ovation" kamen dem Kuntz die Tränen.
Ehrlich jetzt." Sollte Kuntz wirklich gehen, wäre das der Beginn vom
Sturz in die 2. Bundesliga. Wie bescheuert wäre das denn? Einlaufen
zur Musik von Status Quos "Whatever you want", das haben die Nürnberger
bei ihren Fanfreunden Schalke 04 geklaut. Ein Berliner reicht mir ein Kaugummi
*ein Punkt, Deal*, verbreite aus Nervosität den Sprachwitz "Warum
ist ein komisch, wenn Familie Beil ihren Sohn Timo nennt?" und auf geht's.
Nervös, trotz aller
Bedeutungslosigkeit. 43.000 Clubberer im aggressiven Abstiegskampf-Fieber,
das sonst nur wir Bochumer perfekt kennen. Minute fünf: Dabrowski
passt von der Mittellinie durch alle Nürnberger Abwehrbeine, Sestak
steht frei und sprintet Glauber davon, ja ja ja ja ja, TOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOORRRRRRRRRRR!!!!!
TOOOOOOOOOOOORRRRRRRRRRR!!! Riesen-Torpogo bei uns 500 Bochumern, die den
kleinen Stehplatzblock dann doch noch füllen, TOOOOOOOOOORRRR!!! "Absteiger!
Absteiger! Absteiger!"-Rufe. 1:0 für uns, so muss das! Sestaks erstes
Auswärtstor, der ist einfach riesig. Kuntz: RIESENEINKAUF! Doch die
Nürnberger antworten. Ein frühes Tor war im Gespräch mit
den Berlinern mein Wunschtraum, doch leider stört das die Nürnberger
überhaupt nicht. Vittek schießt, unser Nationaltorwart lässt
den Ball unter seinem Körper durchrutschen, sieht gefäääährlich
aus, doch der Ball flutscht am Tor vorbei. Puh, 7. Minute. 9. Minute: Vittek
setzt sich auf der rechten Seite durch, passt in die Mitte, der lange Koller
verlängert mit der Hacke und Misimovic versenkt. 1:1. Super, wie schon
im Hinspiel ein Zwetschge-Tor. 1:1, das hätte nie passieren dürfen.
NIE! Aber: zwei Tore und drei Großchancen in neun Minuten. Nicht
unlustig, dieses Spiel. Das wird noch witziger, als der FC innerhalb von
drei Minuten - von der 12. bis zur 15. - zweimal wechseln muss, weil sich
der erste eingewechselte Spieler - ohne Aufwärmprogramm - eine Zerrung
holte. Danach lässt's aber nach mit der Unterhaltung. Die Nürnberger
Taktik erinnert an unsere zu Lokvenc-Zeiten. Ein langer Pass aus der Abwehr
auf Jan Koller, der stoppt mit der Brust und lässt sich weder von
Maltritz noch von Yahia stören, legt ab - aber keiner ist da. Nach
25 Minuten pfeifen die ersten Fans, vor allem nachdem Auer nach toller
Sestak-Vorarbeit nur knapp am Tor vorbei schießt. In Minute 28 ist
das. Das MUSS das 2:1 sein. Wir diskutieren über ein Plakat, das die
FCN-Fans beim Einlaufen in die Lüfte reckten: "Polizei in NRW ist
wie China in Tibet" oder so ähnlich. Unsere Ultras antworteten mit
"ACAB - All cops are bastards"-Rufen. Der Ober-Megafon-Ultra ist überglücklich,
denn er darf seinen Dienst auf einem Podest verrichten. Wieder etwas, was
die der Ultramanie huldigenden Nürnberger Verantwortlichen wohl bei
den Schalkern abgeschaut haben. Wir stehen solide, bringen aber äußerst
wenig nach vorn. Und wenn, dann nur über Sestak. In Minute 43 ist
er wieder durch, aber Klewer kommt eher an den Ball und schlägt diesen
weg. Beide stehen auf und dann stubst Klewer den kleinen Sestak um. DAS
IST DOCH ROT! Schiri Rafati lässt weiterspielen. Das Kaugummi hat
den Geschmack verloren. "So'n Rotz. Heute haben wir den Rafati am Arsch",
funke ich in der Pause - Spielstand 1:1 - ins Westfalenstadion, wo Volokollege
Felix den BVB gegen Karlsruhe unterstützt. Er antwortet: "Bei uns
singen gerade Eike Immel UND Bata Ilic "Mikaelaaaa". Wie tief kann ein
ehemaliger Nationaltorwart sinken...
In der zweiten Halbzeit
passiert nichts. Die langweiligste Halbzeit der Saison. Keine einzige große
Torchance gibt es mehr. Bei uns ist sehr schnell offensichtlich, dass unserem
Trainer der eine Punkt völlig reicht. Zudem spielen unsere Techniker
Azaouagh und die später eingewechselten Epalle und Ono viel zu ballverliebt
für so ein zweikampfintensives Spiel. Lastuvka pflückt jede Flanke
vom Himmel, Jan Kollers Pässe finden keine Abnehmer. Die Sonne kommt
raus, Höhepunkt der zweiten Hälfte. Zwei Nürnberger Schüsse
gehen nur knapp drüber - Misimovic in der 80. und Mintal in der 86.
Dass Mintal erst acht Minuten vor Schluss kam, kreiden die Fans ihrem Trainer
von Heesen an und pfeifen nach Kräften. Wie auch beim Abpfiff von
Babak Rafati. Der "Club" hat das Endspiel der Endspiele nicht gewonnen,
steigt vielleicht ab. Manmanman, mit dem Kader. Kennen wir aber alles.
In unserer UEFA-Cup-Saison - ach, ich fang nicht damit an. Wir singen inzwischen
seit dem Wiederanpfiff "Auf geht's Bochum schießt ein Tor", sind
mördermäßig gut gelaunt, bejubeln unser Tor und die sechs
Ecken, die wir uns erspielen konnten. Und freuen uns über den verdienten
Punkt, den wir nach einem - objektiv - ab der 15. Minute ganz, ganz furchtbaren
Spiel mit in den Pott nehmen. Die Spieler bedanken sich artig, Punkte:
32. Auf jeden Fall zwölf Punkte vor einem Abstiegsplatz. Herrlich.
Als die Spieler schon Richtung Kabine trotten, brüllen wir erst "Gegen
Dortmund dürft ihr nicht verlieren". Bönig dreht sich um und
nickt. Dann kommen zaghafte "Altegoer raus"-Rufe. Von den Ultras angestimmt.
Das lässt hoffen für das Revierderby nächste Woche. Da geht
es richtig rund, so meine Prognose. Die Berliner, der Professor und ich
schlagen ein,. sind zufrieden. 1:1. Gut.
Es bleibt kalt, so um die
vier Grad, als ich nach dem Abpfiff noch ein bisschen im "Volkspark Dutzendteich"
verweile und mir von der Frühlingssonne die Nase kitzeln lasse. Betrete
die Nazitribüne, beobachte, wie asiatische Touristen sich im Hitler-Style
fotografieren. Die Sonne scheint durch die transparente Infotafel, die
den Lichtdom bei Reichsparteitagen darstellt, mystisch sieht das aus. Aus
einem großen Bierzelt direkt am Stadion dringt die Musik von "Thunderstruck"
(das mögen die wohl hier besonders gern in Franken) bis zum hintersten
Eck der Tribüne. 200.000 Leute fanden in den 30ern hier Platz. 200.000.
Jetzt sitzen drei Nürnberger auf den brüchigen Stufen und trinken
Dosenbier, die auf die Reisebusabfahrt wartenden Club-Fans pinkeln gegen
die Leitplanke und wenige VfLer informieren sich an der Tafel. Um 18.10
Uhr nehme ich die S-Bahn Richtung Hauptbahnhof und setze meinen Spaziergang
in der Sonne fort. Ein Volksfest in Nürnberg läuft bis zum 6.
April, vielleicht stehen deshalb so viele Stände auf dem Hauptmarkt.
Kaufe eine riesengroße Marzipan-Kartoffel für genau zwei Euro,
dazu "Fünf im Weckla" mit Sauerkraut für vier Euro. Ganz schön
gesalzen. Also die Preise, nicht die Mahlzeiten. Die munden. Drehe eine
große Innenstadt-Runde, vorbei am Schauspielhaus, an den verschiedenen
Toren, die den Stadtkern begrenzen, vorbei am Weißen Turm. Und gegen
19.10 Uhr bin ich zurück am Hauptbahnhof und nehme meine Laptoptasche
wieder in Empfang. Die Liebste sitzt inzwischen in der Sauna in Österreich.
Der Zug - ein zweiteiliger
ICE, in dem ich bis Duisburg Hbf sitzen bleibe - fährt pünktlich
um 19.28 Uhr ab. Ich finde meinen Platz 38 in Wagen 32 schnell, Auswärtsspiel-Routine,
genauso wie ein Fußballprofi nach vollbrachter Bundesliga-Arbeit
schließe ich die Augen, höre etwas Musik, komme 'runter. Es
warten sechseinhalb Stunden härtester Rückfahrt auf mich. Ich
nehme meinen Block zur Hand, notiere fleißig die taktische Aufstellung,
gebe Noten - bester Bochumer: Sestak. Lese den Reiseführer Mailand
zu Ende, studiere den Baedeker Deutschland zu den Themen "Kassel" und "Nürnberg"
und denke über Nürnberg nach. Langweilig wird es dort nicht,
keine Frage, Stadt und Umgebung haben viel, sehr viel zu bieten. Und doch
stört mich die Tradition, die Geschichte, die Kultur (mehr dazu siehe
unten). In Mainz leert sich der Zug, ich sitze allein im Waggon. Ach hätte
ich meinen Computer dabei, dann könnte ich diesen Text schon jetzt
schreiben und nicht am Sonntag. Mist. Eine Cola Light für 2,80 Euro
hält mich wach.
Um 0.47 Uhr bin ich in Duisburg,
habe noch 40 Minuten Aufenthalt. Plus fünf Minuten, denn die S1 kommt
später. Die Anschlüsse sind miserabel, leider fahren nachts nur
zwei Züge pro Stunde von Duisburg nach Mülheim. Bei "Le Crobag"
kostet ein Kaffee 1,20 Euro. Den brauche ich, um hier nicht schlafend zu
versacken. "Alle für Jeden" schmettern Son Goku in meine Ohren, "Nichts
in der Welt" die Ärzte. Die CD brannte ich am 1. Juni 2004, gefällt
mir aber heute, um diese Uhrzeit. Spiele wieder "Snakes", meine Fingerfertigkeit
stimmt auch um halbzwei in der Samstagnacht noch. Schließe um 1.45
Uhr meine Wohnung auf.
Ein Punkt.
Schöner Tag.
Deal.
Bin ich bei diesem Bild besonders empfindlich!? Aber eine Menge Polizisten und Massen, die vorbeiströmen, lösen vor Tribüne des Reichsparteitagsgeländes enorme Bauchschmerzen bei mir aus. Mehr zum Gelände: siehe unten oder (ausführlich) Tagebuch-Eintrag 2005. | Unser Trainer: Marcel Koller beobachtet bei jedem Spiel seine Mannschaft beim Aufwärmprogramm. Auch nach zweieinhalb erfolgreichen Jahren beim VfL wird er nicht mit Sprechchören gefeiert. Warum eigentlich? |
Ecke für den VfL, kurz vor dem Abpfiff: Die Schlussoffensive des 1. FC Nürnberg findet nicht statt, dafür drücken wir und spielen auf Sieg. Aber die Ecke bring nichts. Interessanter Blick, wer gegen wen steht, zum Beispiel Glauber gegen Yahia (rechts) und Wolf gegen Maltritz (am Strafraum). | Wie auf Schalke, Teil zwei: Die "Clubberer" verneigen sich vor der Ultramanie und haben dem Vorsänger einen kleinen Thron gebaut. Tja. Dass ich das sehr kritisch sehe, muss ich nach sechseinhalb Jahren Homepage wohl nicht mehr betonen, gell? |
Der Nürnberg-Text aus der Saison 2004 / 2005
4. Mai 2005: 1. FC Nürnberg - VfL Bochum 2 : 1 - der Abstieg. Neururer weinte. Zum Text und den Bildern geht es HIER ! Dort gibt es weitere Informationen zum Reichsparteitagsgelände, das ich heute nicht sehr ausführlich beleuchte.
Nürnberg
Frühlingsbeginn: Abenddämmerung über dem Dutzendteich
Vor zwei Jahren durchwanderte
ich Nürnberg noch im strömenden Regen und stapfte durch den Matsch.
Jetzt - in der herrlichen Abenddämmerung - hatte ich etwas mehr Zeit,
mir die Stadt ein wenig näher anzusehen. Aber auch nur ein wenig näher,
denn anderthalb Stunden sind wirklich nicht viel. Nun denn.
Wer Nürnberger ist
oder wird, der kann sich nicht über zu wenig Tradition oder zu wenig
individuelle Eigenschaften beschweren. Sind viele Städte austauschbar,
bieten eine ansprechende Fußgängerzone mit Marktplatz, einen
Fluss, eine ganz schöne Kirche und - wenn's gut läuft - noch
einen sehenswerten Park samt Schloss, gibt's für Nürnberg (das
den eigenen Dialekt "Fränkisch/Fränggisch" prägte) mehrere
Bezeichnungen. Nürnberg - das ist die Lebkuchenstadt. Nürnberg
- das ist die Dürerstadt. Nürnberg - das ist die Rostbratwürstchen-Stadt.
Nürnberg - das ist die Christkindlmarktstadt. Nürnberg - das
ist die Reichsparteitagsstadt. Erklärungen? Der Begriff "Nürnberger
Lebkuchen" ist in Deutschland und sogar Europa geschützt. Weihnachten
stecken sie in fast jeder Süßigkeitentüte. Die "Nürnberger
Rostbratwürstchen" sind ebenfalls deutschlandweit bekannt und eine
beliebte lokale Spezialität. "Drei im Weckla" (heißt für
die Nicht-Dialek-Tiker: Drei kleine Rostbratwürstl im Brötchen)
mit Sauerkraut: Ja, doch, schmeckt. Albrecht Dürer, ein bedeutender
Künstler zu Zeiten des Humanismus und der Reformation (1471 bis 1528)
war ein Ur-Nürnberger. Natürlich steht dort auch das Albrecht-Dürer-Haus.
Der "Christkindlmarkt" im Dezember ist der bekannteste Weihnachtsmarkt
in Deutschland und lockt Zehntausende, vielleicht sogar Hunderttausende,
an die Pegnitz.
Bleibt noch: die Reichsparteitagsstadt.
Denn Nürnberg hat eine sehr, sehr zweifelhafte Vergangenheit. Bei
den Reichsparteitagen nahmen die NS-Größen in den 30er Jahren
am Zeppelinfeld (siehe unten) die Aufmärsche ab. Die Tribüne
wurde zu Ende gebaut und steht teilweise noch, die Kongresshalle blieb
allerdings ein Torso. Heute gibt es dort eine Gedenkstätte mit Schautafeln.
Ein Gang durch Nürnberg
lohnt sich, für zwei Stunden wenigstens. Ein längerer Aufenthalt
in Franken ist auch nicht verkehrt, schließlich locken in der Umgebung
ganz hübsche Städtchen wie Erlangen, Fürth und Bayreuth
sowie die Fränkische Schweiz mit ihrem Zentrum Forchheim. Ich kenne
bis auf Bayreuth alles und kann sagen: Joaaahh, nicht verkehrt. Den Nürnberger
Stadtrat regiert zwar Rot-Grün, aber diese CSU-Atmosphäre Frankens,
die sieben (!) Kirchen in der Innenstadt (St. Sebaldus, Frauenkirche, Jakobskirche,
St. Elis, St. Klare, St. Martha, St. Lorenz - nennt mir eine City mit SIEBEN
großen Kirchen), die Nazi-Vergangenheit (die berühmten Kriegsverbrecherprozesse
gegen Göring, Hess und Co. fanden dort statt, wodurch Nürnberg
weltweit Berühmtheit und einen Platz in den Geschichtsbüchern
erlangte), dass ich nur Theologen kenne, die in Nürnberg und Umgebung
studiert haben, dass das bekannteste Museum "Germanisches Nationalmuseum"
heißt, stört doch ein wenig.
Langweilig wird's dort aber
nicht. Bestimmt nicht.
Ein paar Daten:
Einwohner:
502.984 (aktueller Stand, wirklich: 31. Januar 2008, Quelle: Wikipedia)
Geschichte:
1050 wurde Nürnberg erstmals urkundlich erwähnt - 700 Jahre,
bevor die USA gegründet wurden. Was die Amerikaner wohl aus so viel
Historie zaubern würden...
Umgebung (im Umkreis
von 35 Kilometern): Fürth (114.374 Einwohner - kenne ich),
Erlangen (104.600 - kenne ich, mit dem berühmten Volksfest "Bergkirchweih",
auf fränkisch "Kerwa" - kenne ich auch), Bayreuth (73.048 - fehlt
mir noch), Bamberg (70.063 - kenne ich). Nürnberg ist die Metropole
und bietet alles, was dazugehört. Aber als spektakuläre, klassische,
verträumte Studentenstädte glänzen vor allem Bamberg und
Erlangen, bekanntere Kultur mit den "Festspielen" gibt es Bayreuth. Insgesamt
haben die Franken-Großstädte knapp 850.000 Einwohner, dazu kommen
noch die Dörfer der Fränkischen Schweiz mit der höchsten
fränkischen Erhebung "Walberla" (hurra, da war ich schon). Zusammen
klassisch Metropol-Charakter mit schönen "Vororten" - wie ein kleiner
Bruder des Rhein-Main-Gebiets rund um Frankfurt. Bis nach München
sind es mit dem ICE 60 Minuten, mit den Regionalzügen zwei Stunden.
GANZ VERGESSEN: Ganz in der Nähe liegt auch Herzogenaurach (22.000),
Hauptsitz von Adidas und Puma, die beide auch Outlet-Verkauf anbieten und
deshalb vielfach angefahren werden.
Sport: 1.
FC Nürnberg (Fußball-Bundesliga), Nürnberg Ice Tigers (Eishockey-Bundesliga)
Kultur: Nürnberg
bietet in Bahnhofsnähe das Schauspielhaus und am ersten Juni-Wochenende
"Rock im Park", das Schwesterfestival von "Rock am Ring", das 45.000 Zuschauer
in den "Volkspark Dutzendteich" lockt. Die Hauptbühne steht im Franken-
äh Easy-Credit-Stadion (gut übrigens, dass die S-Bahn-Haltestelle
noch "Frankenstadion" heißt. In Bochum haben wir es nicht geschafft,
den alten Namen zu retten). Bekannte fränkische Bands von Bedeutung
sind mir nicht eingefallen. Gut, J.B.O. vielleicht, die Fun-Metal-Band.
Aber wer kennt die schon? Irgendetwas Alternatives ist mir nicht bekannt.
"Nürnberg alternativ" oder "Nürnberg alternative Szene" gibt
bei Google keine nennenswerten Treffer. Ein paar Chöre und Orchester:
Das ist alles, was die Nürnberger Musik zu bieten hat.
Zeitungen:
Nürnberger Zeitung, Nürnberger Nachrichten sowie Regionalausgaben
der "Abendzeitung" und der "BILD". Außerdem "sitzt" der Olympia-Verlag
in Nürnberg. Der bringt unter anderem den "Kicker" heraus.
Und sonst?
Nürnberg ist Messe- und Universitätsstadt und perfekt ans Verkehrssystem
angebunden. Den Flughafen fliegt "Air Berlin" an, die Autobahn A3 führt
durch Hessen (Frankfurt) nach NRW (Köln, Düsseldorf, NRW) und
die A9 von Berlin nach München über Leipzig. Auch die Züge
werden aus allen Richtungen angefahren, Nürnberg ist eine perfekte
Verbindung zwischen Deutschland und Tschechien. Prag liegt nur wenige Stunden
entfernt. Wohl auch deshalb spielen beim FCN so viele Tschechen und Slowaken
(Jan Koller, Tomas Galasek, Jaromir Blazek, Robert Vittek, Marek Mintal
- früher noch Jan Polak).
Kassel-Wilhelmshöhe
Hochspannung! Lebensgefahr in Kassel-Wilhelmshöhe! Schnell weiterfahren...
War ich jemals in Kassel?
Mal überlegen... Jawoll,
damals, als Kind, als wir diverse Familienfreizeiten in den Sommer- und
Herbstferien unternahmen. Da betrat ich auch irgendwann einmal Kasseler
Boden (Kasseler, Kassler - Hunger!). Erinnern kann ich mich daran nicht
mehr. Deshalb greifen mir Internet und Reiseführer unter die Arme...
Viel habe ich übrigens nicht gesehen. In 25 Minuten!
Fahrt
Hinfahrt (5:34 Stunden)
... um 7.55 Uhr ging's zu
Fuß zu Hause los!
8.07 bis 8.13 Uhr: Regionalexpress
RE1 von Mülheim Hbf bis Essen Hbf
8.18 bis 10.57 Uhr: IC von
Essen Hbf bis Kassel-Wilhelmshöhe (über Bochum, Dortmund, Hamm,
Soest, Lippstadt, Paderborn Hbf, Altenbeken, Warburg)
11.26 bis 13.29 Uhr: ICE
von Kassel-Wilhelmshöhe bis Nürnberg Hbf (über Fulda, Würzburg
Hbf)
Rückfahrt (6:21 Stunden)
19.28 bis 0.47 Uhr: ICE
von Nürnberg Hbf bis Duisburg Hbf (über Würzburg Hbf, Hanau
Hbf, Frankfurt-Süd, Frankfurt Flughafen (Fernbahnhof), Mainz Hbf,
Koblenz Hbf, Bonn Hbf, Köln Hbf, Düsseldorf Hbf)
1.32 bis 1.41 Uhr (fünf
Minuten Verspätung): S-Bahn S1 von Duisburg Hbf bis Mülheim Hbf
(über Mülheim-Styrum)
... um 1.49 Uhr schloss
ich meine Wohnung auf!
Torjubel nach zwei Minuten. Dabrowski, einsnull, besser geht's nicht.
Befürchtet: keine Tore, Regen, Pfiffe. Eingetroffen: sechs Tore, Sonne, Jubel. Ein überraschend guter Tag mit:
Spielnote 2. Ja wer hätte das vorher gedacht?
Remmidemmi
Stadt- und VfL-Wappen. Der Schriftzug: "Liebe auf den ersten Blick". Große "Choreo".
Also so spät war ich
noch nie zu Hause. Naja schon, aber diese bescheuerte Zeitumstellung. Hab
in der S-Bahn von Bochum-Langendreer Richtung Mülheim Hauptbahnhof
schon ein bisschen geratzt, biege nach zehn Minuten Fußweg in meine
Heimatstraße ein, kicke einen Stein Richtung Bürgersteigkante,
versuche ihn so zu schlenzen wie Benni Auer in der neunten Minuten, links
oben in den Knick, aaaaachhh, herrrrlich, klappt aber um halbsechs nicht
mehr so gut. Halbsechs ist es schon. Eigentlich wär's halbfünf.
Aber die Zeitumst... Ihr wisst schon. Schließe die Haustür auf,
habe eine Melodie auf den Lippen, die ich vorhin noch in der "Matrix" eben
in Langendreer hörte. Deichkinds "Remmidemmi", ein In-Song dieser
Tage. "Schmeiß die Möbel aus dem Fenster, wir brauchen Platz
zum Dancen. Yippi Yippi Yeah Yippi Yeah, Krawall und Remmidemmiiiii!"
Remmidemmi.
Hach was wäre das schön,
so eine Saison ohne Remmidemmi. Hab mich in den vergangenen Wochen nur
allzu sehr über die sportliche Langeweile beschwert, doch unser Aufsichtsrat
bemerkte dieses Problem und dachte sich: "Machen wir den VfL in ganz Deutschland
lächerlich." Früh am Morgen, die Sonnenstrahlen klopfen ans Fenster,
ich lasse sie rein, blättere die Zeitung durch. Im WAZ-Interview tippt
Frank Goosen - der verfolgt mich in den vergangenen Spielen - 2:1 ("Wenn
der Nelson Valdez irgendwann trifft, dann gegen uns"). Und er sagt das,
was wir alle denken: "Warum? Was hat Stefan Kuntz verbrochen?" Einer der
erfolgreichsten und beliebtesten Manager der VfL-Vereinsgeschichte wird
völlig ohne Not wegen Nichtigkeiten vergrault. "Unterschiedliche Vorstellungen",
heißt das in der offiziellen Stellungnahme beider Seiten. Wir alle
schütteln nur den Kopf. Wir alle, die Fußball-Experten Deutschlands,
die Journalisten. Alle ziehen das gleiche Fazit: "Der einzige Verlierer
ist der VfL". Joo.
Remmidemmi.
Und Krawall. So ein bisschen.
Stünde heute nicht ein Revierderby an, es würde ganz gewiss reichlich
knallen. Bin gespannt. Okay, Gedanken aus dem Gehirn streichen, wegwischen
wie eine vollgekritzelte Tafel mit einem Schwamm. Was ziehe ich heute an!?
Bin heute Abend mit BVB-Fan und Volo-Kollege Felix in der Bochumer Matrix
verabredet, entscheide mich aber für die Fußball- und noch nicht
für die Ausgeh-Klamotten. Die Waffen lauten "Stadionzeitung" in der
linken Hosentasche und "Digitalkamera" in der rechten. Los. Gegen wen spielen
wir? Ach ja, BVB, gerade schon erwähnt, fast vergessen. Surfe noch
ein bisschen zur Spielvorbereitung im Netz. Die üblichen Derbygeplänkel
waren auch schon mal größer. Die Dortmunder - egal ob persönlich
oder im Netz - versuchen wieder mit dem üblichen "Boooochum interessiert
uns nicht" zu punkten, was aber nicht so ganz gelingen mag. In vielen Posts
klingt doch ein gewisser Respekt für die Leistung des VfL an. Bleibt
es bis Saisonende bei diesem Tabellenstand, beenden wir zum dritten Mal
in fünf Jahren eine Saison vor dem BVB - und wir waren ein Jahr in
der zweiten Liga. Das ist schon sehr beachtlich. Wir regen uns alle wieder
fürchterlich über die BVB-Modefans auf. Zum Pokalfinale kommen
alle aus ihren Höhlen, 184.000 wollen eine Karte. Beim Bundesliga-Alltag
in Bochum, 20 Kilometer weiter, schickt der BVB von 3.500 Tickets 400 zurück.
"In den 80ern", schreibt ein Fan im Forum, "da sind die mit 20.000 gekommen.
Aber da gab's noch kein Premiere." Besser hätte ich's nicht formulieren
können. Den treuen, jahrzehntelangen BVB-Fans gehen diese Modefans
auch auf den Keks. Sagt Felix.
Remmidemmi?
Nein, denn diese "Berlin
Berlin wir fahren..." (weiter möchte ich's nicht singen)-Sprechchöre
überdecken den sportlichen Misserfolg der vergangenen Jahre. Unverschämtes
Losglück - ey, zwei Zweitligsten in Viertel- und Halbfinale ZU HAUSE
- beschert dem BVB das internationale Geschäft. "Ohne das Pokalfinale",
heißt es, "wäre der Doll längst geflogen." Bin mal gespannt.
Wir haben 32 Punkte, der BVB 30, wir sind Elfter, der BVB Dreizehnter.
Wahrlich, es gab schon viel, viel, viel wichtigere Derbys. Treffe mich
um 13.45 Uhr am Mülheimer Hbf mit Jens und Björn, zwei BVB-Fans
(meine Fresse, ich kenne ganz schön viele "von denen"). Jens argumentiert
gegen meine "Arroganz- und Modefans"-These. Er hat sich auf der VfL-Homepage
eingeloggt und sich seinen Sitzplatz selbst ausgesucht. Abwarten, wie viele
Schwarz-Gelbe wirklich auftauchen. Doch interessiert mich das wirklich!?
"Dortmund interessiert mich nicht", möchte ich manchmal zurückbrüllen.
Gut, wenn der BVB zurückliegt, dann reagierte auch ich mit dem üblichen
"Jöööö"-Reflex, und weil ich so viele BVB-Fans kenne,
schaue ich schon manchmal genauer hin. Aber der Verein an sich und die
Fans insgesamt? Ich finde es einfach nur widerwärtig und beschäftige
mich nicht weiter damit. Wir landen immer schön vor dem BVB und das
ist inzwischen fast schon Normalität. Jens, Björn und ich erzählen
uns Geschichten aus vergangenen Zeiten, zum Beispiel, als vor vielen Jahren
ein Bekannter - volltrunken - für eine Minute bewusstlos wurde, weil
er sich ein Kondom über den Kopf zog und versuchte, es mit der Nase
aufzublasen. Ging natürlich richtig schief, haha. 14.05 Uhr, Bochum
Hauptbahnhof.
Remmidemmi.
So viele Polizisten weilten
schon seit langer Zeit nicht mehr dort. Die Krawalle aus dem Vorjahr hinterließen
doch Spuren, vor der Ultra-Kneipe "Oblomow" in Hbf-Nähe soll es diesmal
nicht knallen. Auch der Stadionvorplatz ist bestens gefüllt, muss
mich schon um 14.20 Uhr zu meinem üblichen Stehplatz - hinter dem
linken Torpfosten - remmidemmiartig durchboxen. Gerd ist da, Sam und Nicole
sind da, Lupo ist da, der Professor ist da, die ganze Kompanie ist heiß,
will den BVB vermöbeln und mit einer richtigen Reise nach Hause schicken.
Die Gästefans treffen nur schleppend ein, sind nur mit "Berlin, Berlin..."-Sprechchören
leise zu vernehmen. Sehr leise. Die "Ultras" brüllen bereits 15 Minuten
vor dem Anpfiff durchs Megafon. Auch lange nicht vorgekommen. Die Jungs
haben eine Riesenchoreographie vorbereitet, informiere Felix, damit er
mir per sms mitteilt, was draufsteht. Will sowas ja wissen. Keine Änderung
in unserer Startaufstellung, warum auch, drei Unentschieden in Folge, fünfmal
ungeschlagen, da haben die Ersatzspieler heute schlechte Karten. Der Altegoer-/Kuntz-Konflikt
ist kein Sprechchorthema. DÖÖRBY!!! Anpfiff und es geht wunderbar
los. Wundervoll. Zauberhaft. Direkt nach zwei Minuten Freistoß aus
halbrechter Position. Alle Langen sind im Strafraum vertreten. Maltritz.
Yahia. Dabrowski. Azaouagh schlenzt den Ball aufs Tor, die Sonne steht
tief, aber was macht BVB-Torwart Ziegler da? Er lässt die harmlose
Flanke in Volleyball-Manier nur abprallen, Dabrowski ist da, TOOOOOOOOORRRR,
TOOOOOOORPOGOOOOOOOOOO, hüpfen, scheißegal, dass es um nichts
geht, SCHEISSEGAL, ein Tor in der Anfangsphase, unfassbar, unfassbar, unfassbar.
"Schwarz-gelbes Tränenmeer", sagt unser Stadionsprecher. Wir spielen
einfach nur richtig gut. Die Dortmunder schauen nur hinterher. Immer greifen
zwei Bochumer einen Dortmunder an, Riesenlaufleistung. Super. Minute neun.
Azaouagh setzt sich auf der rechten Seite gegen Kehl durch, legt den Ball
zurück, Auer steht am Elfmeterpunkt frei und NAGELT, NAAAGELT das
Ding unter die Latte, JAAAAA, ja isset denn!?? Zweinull! Zweinull! Hüpfen,
hüpfen, hüpft, Bochumer, hüpft!
Remmidemmi.
"Der Torschütze: BEN-JA-MIN!"
"AUER!" Von den BVB-Fans kommt gar nichts mehr, man, was sind die schwach.
"Ich habe", sagt Lupo, "den VfL in einem Heimspiel noch nie einen Gegner
in der Anfangs-Viertelstunde so an die Wand spielen sehen!" Und Lupo besucht
seit 31 Jahren die Castroper Straße! In Minute 20 kontern wir über
Bönig und Sestak - ein Flachpass an den Fünf-Meter-Raum, Dortmund
wieder in Not, aber Ziegler rettet vor Auer. Das MUSS das 3:0 sein. Wir
verhöhnen den BVB, der nur bei Standards nach vorn kommt. Wörns
lachen wir uns, johlen bei jedem gelungenen Pass. Jetzt bloß nicht
überheblich werden. Bemerke Felix' Antwort vor lauter Remmidemmi erst
in der 23. Minute. "Liebe auf den ersten Blick" stand auf der Riesenchoreo,
die wir geschmeidige zwei Minuten in der Luft hielten. Vereinsrekord. Kommen
etwas zur Ruhe, Lupo erzählt, dass er als 16-Jähriger von Castrop-Rauxel-Henrichenburg
mit dem Fahrrad zum Ruhrstadion fuhr. Und das ist eine ganz schöne
Strecke. Vor lauter Freude vergessen wir fast, auf das Spielfeld zu schauen.
Dabei lohnt sich das wirklich, das Spiel ist echt lustig, weil ab der 25.
Minute auch die Dortmunder mitspielen. Denn ab diesem Zeitpunkt sind die
Standards des BVB auf einmal auch gefährlich. Tinga trifft mit einem
Kopfball die Latte - puuuh, Glück gehabt, Leute: AUFPASSEN! In der
34. muss Dabrowski gehen, irgendein Dortmunder hat unsern Längsten
im Gesicht erwischt. Sofort sage ich zu Gerd (fragt ihn): "Jetzt geht das
schief bei Standards!" In der 37. hat Dortmund den ersten Freistoß
aus halblinker Position in der Post-Dabrowski-Zeit. Flanke Dede, Kehl entwischt
Yahia, steht völlig frei, Kopfball, 1:2. Na super. WAS HABE ICH GESAGT???
Zwei Minuten später wieder Freistoß, diesmal von halbrechts,
wieder Dede. Flanke, Petric gewinnt das Kopfballduell gegen Pfertzel, 2:2.
Wie leicht kann man ein Spiel herschenken? WIE LEICHT??? Durch zwei ganz
bescheuerte Standards! Wahnsinn!!! Ohne Dabrowski geht's nicht, keine Ordnung
mehr. Ich möchte mich umdrehen und allen 12.000 in der Ostkurve zubrüllen:
SCHAUT HIN! Denn die meisten beurteilen den - zugegeben nicht gerade schnellen
- Langen sehr kritisch. Doch wir haben ja noch unseren neuen Torjäger.
Zdebel erobert ganz toll den Ball gegen den fahrlässigen Dede, Auer
nimmt die Kugel super mit der Brust und versenkt ins lange Eck. HIN UND
HER! TOOOOOORRR! 3:2 nach 43 Minuten! Fünf Tore! 3:2!!!!
Remmidemmi.
Halbzeit. Durchpusten. Ganz
tief durchpuuuuuuuuuusten. Was für ein Spiel. Mit allem hatte ich
gerechnet. Regen, Schnee, Langeweile, 0:0, miesen Sprüchen, schlechter
Laune. Dann das. Torpogo vom Feinsten, ein wirklich ganz tolles Fußballspiel
mitdementsprechend furchtbaren Abwehrreihen, aber auch einem Supertor -
das von Auer steht bestimmt in der "Tor des Monats"-Auswahl. Hoffentlich
hat Koller unsere Jungs durchgeschüttelt. Klappt am Anfang der zweiten
Hälfte gut. Azaouagh dribbelt sich in der 52. wieder durch die komplette
BVB-Abwehr, schießt, aber Ziegler ist im kurzen Eck und wehrt den
Ball zur Ecke ab. Dann jagt Azaouagh eine Ecke noch an den Pfosten, rund
um die 60. - aber das ist schon alles. Wenig Entlastung. Zdebel muss mit
Muskelfaserriss raus, holt sich - clever, clever - noch die zehnte Gelbe
Karte ab. Jetzt haben wir nicht mehr drei "Sechser", sondern drei "Zehner"
auf dem Platz. Doch Ono ist kaum zu sehen, Epalle bemüht, aber glücklos.
Und Azaouagh nach Minute 60 platt. Der kann nicht mehr. Also drückt
Dortmund. Zum Glück ist Nelson Valdez - muss bald selbst Goosen zugeben
- der blindeste Stürmer der Bundesliga-Stürmer und lässt
gute Möglichkeiten ungenutzt. Die beste: Eine Flanke von Dede von
links, Valdez steht frei am Elfmeterpunkt, köpft jedoch gefühlte
100 Meter vorbei. Nach Klimowicz-Vorlage trifft Tinga in der 70. zum 3:3,
betretene Gesichter in der Ostkurve, wir alle spüren, dass das sogar
noch komplett verloren gehen kann, wenn wir nicht aufpassen. Petric vergibt
in der 73. den Matchball, weil er nach einer scharfen Flanke von links
den Ball nicht richtig trifft. Pffffff, gibt's nicht. 2:0 und 3:2 geführt.
Man, man, man. Ich bin richtig enttäuscht. Richtig. In der Schluss-Viertelstunde
verflacht's dann etwas, nach einer Ecke köpft Epalle gefährlich,
doch Rukavina steht am langen Pfosten gut und haut den Ball Richtung Tribüne.
Abpfiff von Schiri Fleischer, wieder Unentschieden, Nummer vier in Folge.
Remmidemmi?
Sie gehen alle. Der Reihe
nach. Gerd: "Tschöö!" Sam und Nicole: "Gehst du mit zur Bahn?"
Ich: "Nee, ich bleib noch einen Moment." Lupo: "Bis in zwei Wochen!" Der
Professor: "München?" Ich: "Jo!" Weiß nicht warum, aber trotz
des sehr unterhaltsamen Fußball-Nachmittags mit Teilerfolg bin ich
irre enttäuscht. Schaue auf die Tabelle, die auf der Videowand eingeblendet
wird. 24 Punkte sind noch zu vergeben, wir haben elf vor dem Tabellen-16.
Elf. Und doch befürchte ich Remmidemmi in der Saisonschlussphase.
Dabrowski verletzt, Zdebel verletzt, Kuntz weg, jetzt ein Spiel bei den
Bayern. Wenn wir das verlieren, heißt es nicht mehr sechsmal in Folge
nicht verloren, sondern fünfmal hintereinander nicht gewonnen. Das
ist die Gefahr bei so vielen Unentschieden. Schüttel den Kopf, empfange
eine sms von Felix, wir verabreden uns zum Essen im Bermuda-Dreieck. Schon
nach dem Abpfiff. Hab kein Bock mehr auf Remmidemmi. Sportliche Langeweile
ist mir nach diesem Spiel doch etwas lieber. Gehe mit Felix ins "Salsa",
esse einen Chickenburger, wir lassen die Polizei-gegen-Ultras-Situation
etwas Revue passieren (die Dortmunder "Ultras" heißen "Desperados",
wie ich lernen durfte), auch hier: sehr viel Ruhe, trotz Kirmes an der
Castroper Straße. Gestalten im VfL- und BVB-Trikot bevölkern
den Hauptbahnhof, stoßen sogar an auf das interessante Spiel. Sachen
gibt's. Wie sagte Goosen noch? "Schalke ist uns noch näher als Dortmund!"
Stimmt. Die Dortmunder ziehen ihre Fans überwiegend aus Hagen, Hamm,
dem Sauerland. Ganz anderes Einzugsgebiet. Dortmund interessiert mich nicht.
Jetzt nicht mehr für diese Saison. Essen, nach Hause fahren, Fußball-
gegen Diskoklamotten tauschen, das Spiel wieder von der Gehirntafel wischen,
fällt doch leicht, schaue mir in der aufgezeichneten "Sportschau"
noch einmal die Tore an. Um 22.30 Uhr ab nach Bochum-Langendreer. Steige
am Hauptbahnhof aus, Felix und ich nehmen den Bus "345", der durch Bochum-Werne
fährt. "Ich war schon überall", sagt Felix. "Aber hier noch nie."
Richtig viel los, interessante Leute, gute Musik. "Deine Mutter hat gesagt
"Tragt nicht soviel Dreck rein"/Auf dem Foto in der Küche sieht sie
aus wie Katja Ebstein." Augen zu, Füße bewegen, linke Hand bewegen,
in der rechten die Flasche Coke Zero halten. "Yippie Yippie Yeah, Yippie
Yeah, Krawall und
Remmidemmi.
Wird halbsechs.
Ein überraschend toller
Tag.
Fans
Das Spiel
Träumen von der großen Sensation...
1:3 in München ist völlig normal. Doch wir verlassen das Stadion frustriert, traurig und enttäuscht. 1:0 geführt und 64 Minuten in Überzahl gespielt. So groß war die Chance auf einen "Dreier" noch nie
... doch Ribery verwandelt einen Elfer zum 2:1 und wir wachen auf!
Konstruktion
Und so sehen zufriedene Bayern-Fans nach dem Abpfiff aus!
Gehen ist das nicht. Trotten
viel eher. Drehe mich im Trottgang um, schaue noch einmal Richtung Allianz-Arena,
hole meine Digitalkamera aus der Tasche, halte wahllos in die Menge und
erinnere mich einen kurzen Augenblick an den gestrigen Vormittag
auf dem Olympiaturm, als ich die Arena nur mit Zoom entdecken und abknipsen
konnte. Schaue Dirk und Thommy an, meine Begleiter. "Kenn da einen Geheimweg",
sagt Dirk und zeigt uns ein paar Umwege Richtung U-Bahnhof "Fröttmaning".
Dirk findet das Stadion toll, vor allem aus der Luft. "Ich bin einmal abends
nach München geflogen, in der Dunkelheit, an einem Spieltag. Da leuchtete
der Reifen ganz in Rot." Lokalpatriotismus ist das schon fast. Thommy lauscht
kaum, schüttelt fortwährend den Kopf. Ich packe meine Digitalkamera
wieder ein, atme tief ein und kaum hörbar "Aaaaah ja" schnaufend wieder
aus. Wir haben 1:3 bei den Bayern verloren. So weit, so erwartet, so normal.
Doch wir sind tief erschüttert, weil wir den "Dreier" hätten
mitnehmen müssen. Wir. Das ist besonders.
Giesing, am Vormittag
Beginne den Tag in München-Giesing.
"Wenn du ehrliche bayerische Arbeiterkneipen suchst, dann musst du nach
Giesing fahren", hat Dirk gesagt. Giesing, das sind Wohnblöcke, Giesing,
das ist Schotterufer an der Isar, Giesing, das ist Sechzig. Oder auch "Sechz'ger"
genannt. "Die Bayern-Fans kommen alle aus dem Umland. Die wahren Münchner
gehen zu Sechzig", lautet die allgemeingültige Fußballregel.
So falsch ist die gar nicht. Prozentual. Stehe etwas später auf, die
erste Woche meines Praktikums hat
eben doch schön geschlaucht und vertreibe mir die Zeit beim DSF-"Doppelpass".
Udo Lattek redet wieder irgendeinen Stuss, wahrscheinlich, dass jede Mannschaft
einen Drecksack braucht, der ordentlich dazwischenhaut. Sagt der in jeder
Sendung. Oder wie hart er früher durchgegriffen hat, ob bei Gladbach,
Barcelona oder Bayern. In den Werbepausen folgt die Ankündigung für
die Abendsendung, mit Berichten zu den Spielen Bayern/Bochum und Dortmund/Leverkusen..
"Es geht um die Meisterschaft", heißt es da, als das Bayern-Wappen
gezeigt wird, "Es geht um die Champions League", heißt es beim Leverkusener
Wappen, "Es geht um ein Ende der Krise", heißt es beim BVB-Wappen.
Werbung zu Ende. Der VfL wird nicht mit einer Silbe erwähnt. Im übrigen
auch längst nicht im Doppelpass. Alle reden von neun Punkten Vorsprung,
dabei müssen die Bayern uns erst einmal schlagen. Vor
einem Jahr, da zählten wir auch nichts. Resultat: 0:0 - und Magath
flog raus. Um punkt 13 Uhr packe ich mir meinen Rucksack und meine Arbeitstasche
und ziehe um. Wieder einmal.
Innenstadt, am Mittag
Laufe durch Giesing Richtung
"Candidplatz", nehme die U1 Richtung "Olympia-Einkaufszentrum" bis "Hauptbahnhof".
Das Hotel liegt in der schmierigen Bahnhofsgegend. Ein Hostel reiht sich
ans nächste, zwischendurch sorgen endlos viele Dönerläden
für Ablenkung im Straßenbild und schicke bunt angeleuchtete
Läden mit der Werbeschrift "Ab 18" bieten Eventcharakter. Um 13.30
Uhr ist mein Zimmer noch nicht eingerichtet. Vertreibe mir eine Stunde
im Münchner Hauptbahnhof, schaue den Zügen nach, die nach Landshut,
Augsburg, Stuttgart, Nürnberg, Mailand fahren. Aus jedem Regionalexpress
steigen Bayern-Fans aus, was die "Kommen alle aus dem Umland"-These unterstreicht.
Zudem sind die meisten "U 12" und erscheinen mit Daddy an der Hand. Noch
so ein Klischee, das ich bei JEDEM meiner Aufenthalte in München wieder
erwähnen muss. Schlinge eiligst ein Schoko-Croissant herunter und
schlürfe heißen Kaffee, da ist's halbdrei. Mein Zimmer liegt
in einem Hinterhof, die Tapete bröckelt ab, der Schrank hat keine
Tür mehr, aber es ist so verflucht billig. Jetzt weiß ich auch
warum... Fußball.
Fröttmaning, am
Spätnachmittag
Treffpunkt Redaktion. Dachte,
ich müsste heute nicht arbeiten, na egal, ist es ja auch nicht. Wobei:
Ist Fußballfan zu sein wirklich keine Arbeit? In Dirks Büro,
er ist nämlich mein Chef in diesem Monat, warten mein Bruder und Thommy
aus Köln, ein Filmemacher, Kino und Fernsehen. Der kommt aber nicht
mit, hat für Fuppes nix übrig. Manchmal denke ich: "Der hat's
gut." Um kurz vor drei machen wir uns aus dem Staub. Thommy, mein Bruder,
hat noch Kohldampf. Wir steigen am "Sendlinger Tor" in die U6 Richtung
"Fröttmaning", aber an der "Münchner Freiheit" wieder aus. Warum
die so heißt, kann selbst Dirk nicht beantworten, und der wohnt seit
13 Jahren hier. Die U-Bahn-Haltestelle wird "Münch E ner Freiheit"
geschrieben, das Straßenschild nicht. Bezeichnend. Irgendwo mampft
Thommy einen Döner, bis zum Englischen Garten ist es nicht weit, aber
bei diesen kühlen Temperaturen - wann wird's mal endlich wieder Frühling
- ist ein Besuch dort kein besonders großer Spaß. Zurück
zur "Münch(e)ner Freiheit", wieder rein in die U6. "Ich bin zuletzt
oft zur Arena gefahren. Entweder wir sind viel zu früh oder die Bayern
denken: Wir gewinnen das sowieso". Wie schon im vergangenen Jahr findet
es Dirk enorm leer in der Bahn. Nach einer endlosen Viertelstunde steigen
wir im Vorort Fröttmaning aus, am Bahnsteig warten schon Schwarzmarkthändler.
Undenkbar vor einem Jahr. "In der letzten Saison", klärt uns Dirk
auf, "war es unmöglich, Karten für normale Preise zu bekommen."
Dauerkarten gibt's sowieso nur für VIP's, Klub- und Fanklub-Mitglieder
- der Rest geht an die Gäste. Dirk: "Es war schick, die Arena gesehen
zu haben, vor allem architektonisch." Bei ebay musste jeder Interessierte
mit mindestens 100 Prozent Aufschlag rechnen. Auch heute ist das teilweise
so. Da ist es vor dem Stadion vielleicht sogar leichter. Und billiger.
Angekommen, trotz der Krawalle gestern beim Spiel Frankfurt gegen Nürnberg
(musste fast abgebrochen werden), sind die Kontrollen erstaunlich human,
wie vor einem Jahr stören mich die drei Millionen Treppen, die wir
hinaufsteigen müssen. Wir sitzen in der fünftletzten Reihe im
obersten Rang. Also direkt unterm Dach. "So hoch habe ich noch nie gesessen",
sagt Dirk.
Der hat sogar inzwischen
- wie er zugibt - ein "bisschen Sympathie für Bayern entwickelt".
Ein guter Freund ist Bayern-Fan und nimmt ihn oft mit. Er glaubt zwar,
dass Klinsmann scheitert und die nächste Saison nicht überlebt.
Aber dennoch - sagt er - bräuchten die Bayern einen Typen wie Klinsmann,.weil
der Schlagzeilen und Spektakel garantiert. Da würden die Fans auch
eine titellose Saison akzeptieren. Hitzfeld dagegen stehe für Titel,
aber auch für Langeweile, für 1:0- und 2:1-Fußball. "Der
Wunschtrainer der Bayern ist Augenthaler. Den mögen hier alle", fügt
er an. Die Spieler laufen sich warm, für die verletzten und gesperrten
Dabrowski und Zdebel spielen Fuchs und Schröder. Die Arena ist wie
vor einem Jahr komplett stimmungstötend. Bestimmt 500 Bochumer haben
ihre Oberrang-Karten auch bei ebay verkloppt, so dass die Sitzplätze
in etwa so angeordnet sind: fünf Bochumer, zwei Bayern, ein Bochumer,
ein Bayer, vier Bochumer, ein Bayer. Der Vorsänger der Ultras muss
heute ohne Megafon auskommen, wurde ihm vermutlich abgenommen. Das Stadion
ist so groß, hoch und weit, dass die Sprechchöre mutmaßlich
gar nicht bis auf den Rasen dringen. Wir stellen fest, dass irgendjemand
ein Lied auf Oliver Kahn geschrieben hat. Und dann geht's auch schon los.
In der vierten Minute rammt
Azaouagh die Kugel aus 30 Metern Entfernung in den Giebel.
TOOOOOOOOOOOOOOOOOORRRR!
Wir fassen uns an die Rübe,
glauben es nicht.
Was für ein Ding. Was
für ein Traumtor. Lange nicht gesehen. Wir führen 1:0 bei den
Bayern. "Allein dafür hat es sich gelohnt", sagt Thommy. Alle denken
so.
"Wahnsinn, was Koller aus
dieser Truppe gemacht hat", sagt Thommy. "Wahnsinn." Wir spielen wirklich
überragend, gewinnen etliche Zweikämpfe, Azaoaugh überragt.
"Glatt 1,0", sagt Thommy nach 15 gespielten Minuten, als Ribery schon zwei
sehr gute Chancen ausgelassen hat. Wir kommen offensiv nicht mehr so oft
vor. Eine Ecke erarbeiten wir uns, stehen zudem dreimal im Abseits - ein
Zeichen, dass wir wenigstens die Mittellinie überschreiten. "Können
die Bochumer mal mit dem Unsinn aufhören?", tickert Dirks Bayern-Fan-Kumpel
per sms. Die 26. Minute beginnt, als van Bommel Schröder im Mittelkreis
von den Beinen holt.
Gelb-Rot.
1:0, 64 Minuten Überzahl
und die Bayern sind UEFA-Cup-geschlaucht. Wir werden doch nicht...
Teile das meinem Volo-BVB-Fan-Kumpel
per sms mit und der hat direkt Befürchtungen, wir würden die
Bayern so wütend machen, dass die sich im Pokalfinale abreagieren.
"Wie geil der van Bommel", fügt er noch an. Die Bayern starten leider
einen zehnminütigen Sturmlauf. "Wir haben sie gereizt", tickere ich
zurück. Zwei Minuten später gewinnt Lucio nach einem Schweinsteiger-Freistoß
von halbrechts das Kopfballduell gegen Yahia und erzielt das 1:1. Verdient
ist das. Ohne Dabrowski sind wir anfällig ohne Ende. Irgendwie retten
wir uns dann doch in die Halbzeit, applaudieren laut, obwohl's am Ende
nicht applauswürdig war.
Zweite Halbzeit, Schock.
Azaouagh, unser Bester, muss verletzt raus. "Vor einer Woche haben sie
uns Dabrowski kaputt getreten und jetzt Azaouagh", stellt Dirk fest. Jawoll.
Die VIP's betreten ihre Plätze erst fünf Minuten nach Wiederanpfiff
- deshalb ist 1/4 des Stadions bis zur 50. leer. Wahrscheinlich ziehen
sich die Bayern deshalb zurück. Ja, das machen sie wirklich. Gegen
Bochum!! Bis zur 60. Minute kontrollieren wir das Geschehen. Tatsächlich!
Wir haben das Ding im Griff. Mehr als zwei Gewaltroller von Auer in die
Arme von Kahn bekommen wir aber nicht auf die Reihe. Fünftes Unentschieden
in Folge? Ab der 60. schimpft Thommy im Sekundentakt. Da lassen wir enorm
nach. Enorm. Ribery schlenzt vom Sechzehner, Lastuvka segelt und boxt die
Kugel aus dem Winkel. Ein "Torwart-Ball", wie es so schön heißt.
"Wir betteln um das Gegentor", resümiert Thommy. Ich sage schon lange
nichts mehr. Genau wie die 2000 anderen Bochumer, während die Bayern-Fans
lustig ihre Fahnen schwenken. Dirk analysiert das Spiel: "Ist ja das erste
Bochum-Spiel für mich in dieser Saison. Ich wusste nicht, dass der
Auer so schlecht und der Maltritz so super ist", sagt er. "Im Fernsehen
kommt das immer anders 'rüber". Auer verliert tatsächlich jeden
Zweikampf gegen Lucio und Demichelis. In der 73. springt irgendeinem Abwehrmann
von uns der Ball an die Hand, Dirks Kumpel tickert sofort: "Klares Handspiel".
Elfer. Ribery rechts unten, Lastuvka springt richtig, aber nicht richtig
genug, 2:1. Das war's. Das lassen sich die Bayern nicht mehr nehmen. Zwar
tauchen Luca Toni und Lukas Podolski kaum auf, aber dennoch schaukeln sie
das Ding nach Hause, Hitzfeld setzt wieder auf 2:1-Fußball. "Die
mauern gegen BOCHUM!", mault ein Bayern-Fan hinter uns. Nur einen Geistesblitz
haben die Rot-Weißen noch. Klose spielt den Ball mit der Hacke in
den Strafraum und leider genau in den Lauf von Lell, der humorlos mit 120
km/h verwandelt. 3:1, verloren, Thommy schimpft inzwischen richtig laut.
RICHTIG laut. "1:0 und Überzahl. Wir sind Bundesligaverein, selbst
bei den Bayern muss das reichen. Man!!! Man, man, man!!!!" Abpfiff, schnell
verschwinden. "Die Stimmung war heute besser als sonst", sagt ein Bayern-Fan
auf dem Treppenabgang. Wahnsinn, das war schon gut? Zu vernehmen war von
der anderen Seite nicht wirklich irgendwas. Stimmungstötend. Ich erinnere
Thommy an seinen Spruch mit den ersten fünf Minuten, er will nichts
mehr davon hören.
Wir schauen in unseren Gedanken
auf die Tabelle. Alle Kellerkinder haben gewonnen, unser Vorsprung beträgt
nur noch neun Punkte. "Wenn wir alles verlieren", sagt ich laut denkend.
"Also jetzt hört mal auf", fährt Dirk in die Parade. "Ihr konstruiert
doch jetzt gerade Abstiegskampf." Stimmt. "Wir Bochumer brauchen das!",
sage ich. "Es muss doch noch um etwas gehen." In Spielen gegen Hertha,
Duisburg und Rostock sowie in Bielefeld und Karlsruhe sollten wir die noch
fehlenden vier Punkte noch fehlen, obwohl 3/4 unseres Mittelfeldes verletzt
ausfällt. Dabrowski, Zdebel, Azaouagh, Ono - alle innerhalb von sieben
Tagen schwer verletzt. Buh.
Neuhausen, am Abend
"Parken kostet hier einen
Zehner. Haben die Bayern mal eben am Anfang der Saison von fünf auf
zehn Euro erhöht", sagt Dirk. "War auch noch nie mit dem Auto hier."
Wir bekommen direkt eine Bahn, steigen wieder an der "Münchener Freiheit"
aus, weil Thommy erneut ein Hungergefühl verspürt. Wieder beim
gleichen Dönermann kehren wir ein, ordern diesmal ein Stück Pizza.
Wir laufen durch Schwabing bis zum Hohenzollernplatz, Dirk zeigt uns, wo
Maxim Biller wohnte, ziehen für 30 Cent eine Abendzeitung, die seit
heute in einem neuen Layout erscheint. Wir reden über die zahlreichen
Busse, die wir auf dem Arena-Parkplatz erblickten. "Spricht für die
These, dass fast alle Bayern-Fans aus dem Umland kommen." Die Busse kommen
sogar aus Italien. Und dem Ennepe-Ruhr-Kreis. Am Hohenzollernplatz steigt
eine 20-köpfige Gruppe aus Italien zu. 20! Wir fahren quer durch die
Stadt, die Niederlage sackt nur langsam bis in den Darmtrakt, in Neuhausen
kehren wir im "Löwengarten" ein. Hat nichts mit Sechzig, sondern mit
Löwenbräu zu tun.
Trinke "Kracherl Cola-Mix".
Denke an meine Konstruktion.
Wird es wirklich noch einmal eng?
Der aktuelle Aufenthalt
Weitere Bilder und Texte zum Praktikum in München im April 2008 stehen HIER !
Weitere Links zum Thema "München" auf dieser Seite:
30. Januar 2007: FC
Bayern München - VfL Bochum 0 : 0 - Spielbericht HIER
!
29. Januar bis 3. Februar
2007: Südost-Rundreise, u. a. München - Blog HIER
!
13. März 2006:
TSV München 1860 - VfL Bochum 0 : 1 - Spielbericht und Blog HIER
! (u. a. Englischer Garten im Schnee, Innenstadt rund um Marienplatz, zum
ersten Mal Allianz-Arena)
21. bis 23. April 2005:
München-Kurzurlaub - Blog HIER ! (u. a.
Englischer Garten "normal", Ludwig-Maximilians-Universität, zum letzten
Mal Olympiastadion, Deutsches Museum, Isarufer, Flughafen)
23. April 2005: FC
Bayern München - VfL Bochum 3 : 1 - Spielbericht HIER
!
5. Oktober 2002:FC
Bayern München - VfL Bochum 4 : 1 - Spielbericht HIER
!
4. bis 6. Oktober 2002:
Kurz-Urlaub nach München - Blog HIER
! (u. a. Rückfahrt mit dem Wochenend-Ticket) - Special Oktoberfest
HIER
!
Ich beginne dieses Ergebnis zu hassen!
An alle Spieler: Note sechs wegen Fanfolter und Zuschauerverarsche. Fünf Unentschieden aus den vergangenen sechs Spielen. Und dafür fliege ich aus München ein...
Bravo. Unentschieden. Ich juble.
Ein Grottenkick
Die zwei wahren Stars des Nachmittags.
Sonntag
Die "Bild am Sonntag" habe
ich nie gekauft. Nicht einmal im Urlaub, nicht einmal im noch so entlegensten
Fleckchen dieser Erde. Selbst wenn ich allein auf einer einsamen Insel
wäre und ich nur die "Bild am Sonntag" lesen könnte, ich würde
es verweigern. Als ich am heutigen Sonntag, am Tag nach diesem unglaublich
furchtbaren Fußballspiel, am Flughafen Köln/Bonn eintreffe,
und noch 65 Minuten bis zum Abflug vertrödeln muss, ja, doch, da betrete
ich den Flughafen-Zeitungsladen und blättere absichtlich in der "Bild
am Sonntag" herum. Will doch schließlich wissen, wie die Kollegen
das Spiel bewertet haben. Finde den Bericht. Schaue ans Ende. Die Bild-Bewertungsskala
reicht von "1 Fußball" bis zu "5 Fußbälle". Das heißt:
"Mehr davon! Weltklasse!"
Unser Spiel hat einen Fußball.
Das heißt: "Grottenkick".
Ich bin tatsächlich
einer Meinung mit einem Springer-Journalisten.
Samstag
Heimaturlaub. Dass ich dieses
Wort einmal im Laufe meiner Journalistenkarriere schreiben darf... Nach
zwölf Nonstop-Tagen in München, zwölf rasanten Tagen (wie
ihr HIER nachlesen könnt),
weile ich zwei Nächte im Ruhrgebiet, um die Liebste zu sehen, um Klamotten
auszutauschen, um durchzuatmen. Ach komm, und ihr wisst's doch: Genau,
und damit ich bloß kein Heimspiel des VfL verpasse. Rational zu erklären
ist so etwas nicht. Es geht um gar nichts mehr, da kann ich noch so sehr
gewollt Abstiegskampf konstruieren, dazu kommt mit Hertha BSC Berlin der
weißgott unattraktivste Gegner von allen ins Ruhrstadion. Stadionkumpel
Gerd ist auch nicht da, also könnte ich doch eigentlich diesmal auch
bläuen. Könnte. Denn natürlich mache ich's nicht.
Das ist mein Laster, meine Sucht. Andere trinken zu viel Alkohol, die nächsten
spielen und spielen und hören nicht mehr auf damit, die übernächsten
rauchen bis die Lunge schwarz ist. Und ich schaue mir diesen Verein an,
auch wenn eigentlich alle Argumente dagegen sprechen. US-Komiker Jerry
Seinfeld, in seiner gleichnamigen Comedyshow aus den 90ern Fan des Baseballklubs
"New York Yankees", hat mal die Frage aufgeworfen, von was Fans überhaupt
Fans sind. Denn Spieler und Vorstände wechseln durchschnittlich im
Drei-Jahres-Rhythmus. Von der Tradition? Vom Wappen? Vom Trikot? Vom Stadion?
Ach scheißegal, mag nicht mehr darüber nachdenken, diese Art
von Liebe ist eben rational... lies nach oben! Jetzt bin ich da, bin ich
hier, Fußball. Oliver Kahn hat über 800 Pflichtspiele im Profibereich
absolviert und trotzdem beim unfassbaren 3:3 im UEFA-Cup-Spiel in Getafe
am Donnerstag etwas völlig Neues erlebt. Wie sagte er noch? "In zehn
Jahren werden wir nicht über unseren Champions-League-Sieg 1999 reden,
sondern über Getafe." Und vielleicht erleben wir ja heute unser Getafe.
Stellt Euch vor, ich wäre dann nicht dabei...
Solche Hinfahrten zum Stadion
sind echt berechenbar. Straßenbahnfahrer Stephan kommt zwar erst
später, weil seine D-Jugend von Tuspo Saarn noch spielt, dafür
steht sein bester Kumpel (mist, wie heißt der noch?) am Mülheimer
Hauptbahnhof, mit Rangers-Schal. Er erzählt die Geschichte vom BVB-Spiel,
als er zu Hause ankam, ohne zu wissen wie. "So voll war ich". Aus Gelsenkirchen
macht er "Gesellenkirchen", kotzen heißt "Plätzchen gelegt"
(lang nicht mehr gehört). "Steigen wieder immer mehr Bochumer in Mülheim
ein", analysiert er. "Wär doch schön, wenn wir eine gesammelte
Hinfahrt hinbekommen würden. Treffpunkt immer zwei Stunden vorher
am Bahnhof. Und dann mit 20, 25 Mann zum Stadion." Gehe nicht auf den Vorschlag
ein.
In der 308 zum Stadion treffe
ich einen Redakteur von derwesten.de. Ihm schrieb ich noch gestern aus
München, aus der jetzt.de-Redaktion. Er kann kaum glauben, mich in
den Bahn sitzen zu sehen. "Was machst du hier?" "VfL gucken! Ich kann doch
kein Heimspiel verpassen!!!" "Du bist bescheuert! Total bescheuert!" Vor
dem Stadion ist wenig los, im Stadion noch viel, viel weniger. Nur die
Erstsemester-Studenten der Ruhr-Uni Bochum retten die 20.000er-Marke, und
die sind umsonst drin. Sam kommt auch, aber fragt sich schon vor dem Anpfiff,
warum. Aus Berlin sind keine 700 da, das ist auch ein ganz, ganz schlimmer
Modefan-Verein. Der "Professor" - erst ganz kurz vor dem Anpfiff versammeln
sich alle Schäfchen - erzählt von München, dass er von Münchner
Freunden Tickets fürs Pokalfinale in einer Woche ergattert hat. Fußball
soll auch noch gespielt werden, irgendwie nebenbei. Kurz auf unsere Aufstellung
geschaut, Koller setzt tatsächlich auf die elf Versager, die in München
das 1:0 trotz Überzahl nicht retten konnten. Bei Hertha BSC fehlt
Pantelic. Die Berliner haben ohnehin schon den schwächsten Sturm der
Liga, und dann auch noch ohne den mit Abstand gefährlichsten Mann??
"Also die schießen garantiert kein Tor", sage ich. "Wir haben Lastuvka
drin, das vergisst du immer", antwortet einer aus der Runde.
Apropos Torwart: Jaroslav
Drobny, in der Rückrunde der vergangenen
Saison unser Super-Rückhalt, kehrt erstmals nach Bochum zurück.
In Berlin ist er aber genauso beliebt wie Lastuvka bei uns, allein der
Blick auf den Gehaltsscheck entschädigt ihn für all den Hohn
und Spott. Von uns wird er aufgrund dieser wahnsinnigen Söldnermentalität
gnadenlos ausgepfiffen. Ja, er hat den VfL benutzt, ja, mit voller Absicht,
ja, Söldner, ja, wes Brot ich ess, des Lied ich sing, ja, Drobny ist
blöd. Ich pfeif mit. Oder ich würde, wenn ich's könnte.
Drei Minuten ist's bis zur ersten Ecke für uns ganz munter. Danach
wird es der fürchterlichste, brutalste Kick im Ruhrstadion in dieser
Saison. Ganz, ganz schlimm. Gut, dass ich beim Fußball etwas besonnener
bin als mein werter Herr Bruder (heute in Brüssel weilend), sonst
hätte ich nach zehn Minuten schon zwei Herzinfarkte zu verarbeiten.
Was unsere Jungs auf dem Rasen veranstalten, geht ganz nah in Richtung
"Arbeitsverweigerung". Aber da die Berliner die Arbeit genauso einstellen,
wird es ein zweikampf- und chancenloses Gewürge. Ziemlich laut für
meine Verhältnisse moniere ich das körperlose Spiel unserer Abwehr.
"Was ist das da?" ist der einzige Satz, den Sam 40 Minuten lang von sich
gibt. Das Stadion schweigt. Aus gutem Grund. Auf dem Platz sieht das dann
so aus: Lastuvka hat den Ball bei einem Abschlag, und schlägt ihn
gaaaanz weit nach vorn. Dort steht Auer allein gegen Arne Friedrich und
Josip Simunic (ohne Pantelic ist die Innenverteidigung Herthas Herzstück)
und verliert das Kopfballduell natürlich. Ich zähle laut mit:
VIERMAL passiert das in den ersten 25 Minuten und Lastuvka merkt's nicht.
Der vor einer Woche zurecht hochgelobte Azaouagh spielt sehr, sehr überheblich.
Schröder und Fuchs auf den Außenpositionen der Mittelfeld-Raute
sind ein mehr als schlechter Ersatz für Zdebel und Dabrowski. Warum
bekommt Epalle keine Chance? Und Sestak: Ein Schatten seiner Hinrunden-Tage!
Dass dieses Ding 0:0 ausgeht,
bezweifelt schon nach wenigen Minuten kaum ein Zuschauer mehr. Doch in
der 28. Minute schlägt's auf einmal doch ein. Irgendein Hertha-Winterpausen-Nachkauf,
Skalec, Kaclek, Kalcek, Kadlec oder so ähnlich, bringt einen Freistoß
aus halbrechter Position, etwa Höhe Mittellinie, hoch in den Strafraum.
Keiner geht hin! KEINER! Typisch für dieses Spiel!!! Niemand will
den Ball haben, böööh, wozu auch! Leider ist der Ball so
fein geschlenzt, dass er im langen Eck einschlägt. Ja, Lastuvka, da
guckste blöd, was? 0:1, oder nullzulastuvka, wie die Lastuvka-Kritiker
in der Kurve sagen. "So einen guten wie den van Duijnhoven", sagt ein Vater
rechts unter mir zu seinem kleinen Sohn, "den hatten wir seitdem nicht
mehr im Tor." Rückstand, gegen diese blinde Hertha. Unglaublich. Unsere
gurken weiter, vor Entsetzen pfeifen wir nicht einmal, sondern schweigen.
Hier ist nicht "Enjoy the silence", hier ist "The Silence". Standardsituations-Gott,
hilf! Nichts mag uns einfallen, ein Imhof-Fernschuss, den Drobny in der
37. aus dem Giebel fischt, ist unsere erste Torchance. Dabei sind wir eine
der heimstärksten Mannschaften der Liga! In der 42. bekommen wir einen
Freistoß in Strafraumnähe, halblinke Position. Azaouagh flankt,
schwach für seine Verhältnisse, doch Simunic (eigentlich Herthas
Bester!) springt am Ball vorbei und unser Anthar Yahia nickt ein. 1:1,
von Torpogo sind wir aber weit entfernt. Es schalalaaaat sehr leise. 1:1
zur Pause. "Wie schlecht". Der Auftritt zweier achtjähriger Jungs,
die einen Slalomparcours mit dem Ball gekonnt absolvieren, ist der Höhepunkt
des Nachmittags. Wir wissen es schon jetzt. So technisch beschlagen hat
sich niemand der 22 Spieler angestellt.
Die zweite Halbzeit wird
noch viel schlimmer als alles, was ich bisher in dieser Saison sah. Gleich
zweimal betteln wir um ein Gegentor, aber bei Hertha fehlt eben Pantelic.
In Minute 48 köpft Mineiro an den Pfosten, und in der 64. läuft
irgendein Berliner ganz blank auf unser Tor zu, nachdem Yahia in bester
F-Jugend-Manier voll über den Ball gesäbelt hat, doch Lastuvka
rettet die Situation und pariert. Man, sind die Berliner blind. Eigentlich
muss das 1:2, 1:3 stehen. Ich flehe die Spieler, die Trainer, die Fans
an: Bitte ein Tor! Egal für wen! Auch für Hertha, mir egal! Hauptsache
kein Unentschieden mehr! Es wäre das fünfte in den vergangenen
sechs Spielen. Ich KANN UNENTSCHIEDEN NICHT MEHR SEHEN!!! Eine einzige
Gelegenheit bekommen wir noch. Der eingewechselte Belik empfiehlt sich
nicht gerade für einen neuen Vertrag, als er freistehend aus fünf
Metern den Ball drüberhaut. Symptomatisch. Für das Highlight
in der zweiten Halbzeit sorgt unser Torwart, der sich in Minute 66 einen
Muskelfaserriss holt und sich auswechseln lässt. That's it. Abpfiff.
Chancenverhältnis 3:3, Spielnote glatt fünf, mit Bundesliga hatte
das wenig bis gar nichts zu tun. Wahnsinn, dass wir für diese Grütze
noch einen Punkt bekommen. Normalerweise müssten beide Mannschaften
einen Punkt abgezogen bekommen, wegen Fanfolter und Zuschauerverarsche.
Sam durchbricht "The Silence",
indem er von seiner Abendgestaltung erzählt. Mit seinen Schwiegereltern
vertilgt er einen Mettigel. "Wenn das keine Integration ist." Ich weiß
nicht, was ich von all dem halten soll und rufe MSV-Fan Helmut an, der
mit seiner Mannschaft 1:0 in Hamburg gewonnen hat und wieder vom Klassenerhalt
träumt. Ich teile ihm meine Sorgen mit und er würde mich am liebsten
in die Fußballfan-Psychatrie überwiesen. Wir haben acht Punkte
Vorsprung, ein leichtes Restprogramm, ein sehr gutes Torverhältnis
- und überhaupt sind nur noch 18 Zähler zu vergeben. "Andreas,
sieh es ein: Ihr erlebt eine so entspannte Restsaison wie seit vielen Jahren
nicht." Ich mag es kaum glauben, vor allem nach solchen Spielen nicht.
In der Bar "Lounge" im Bermuda-Dreieck trinken meine Liebste, ein anderes
Pärchen und ich Cocktails, im Fernsehen läuft die Premiere-Sendung
"Alle Spiele, alle Tore".
Beim VfL-Spielbericht bin
ich nicht einmal abgelenkt.
Sondern unterhalte mich
weiter.
Sonntag
"Grottenkick" bewertet also
"Bild". Sitze schon längst wieder im Hotel Modern in München,
lausche "Fear of sleep" von den Strokes und plane die nächsten zwei
Wochen. Am Dienstag spielt der VfL in Wolfsburg, erstens verlieren wir
da grundsätzlich immer, zweitens ist es das zweite Rückrundenspiel,
das ich nicht sehen kann - wäre etwas weit aus München. Nächstes
Wochenende ist DFB-Pokal-Final-Pause, übernächste Woche kommt
der MSV Duisburg ins Ruhrstadion. An einem Samstag um 15.30 Uhr. Da läuft
mein Praktikum in München noch.
Ich werde trotzdem da sein.
Rational zu erklären
ist das nicht.
... ist im VfL-Tagebuch 2007/2008 - TEIL 6 nachzulesen !
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